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Artikel „Niebuhr, Marcus Carsten Nicolaus von“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 662–664, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niebuhr,_Marcus_von&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 20:15 Uhr UTC)
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Niebuhr: Marcus Carsten Nicolaus v. N., preußischer Staatsmann, geb. am 1. April 1817 in Rom, † am 1. August 1860 in Oberweiler. Sohn des Geschichtsforschers Barthold Georg N., seit 1816 preußischen Gesandten beim päpstlichen Stuhle, verlebte er die Kindheit in Rom und seit 1823, nach des Vaters Uebersiedelung, in Bonn. Er besuchte das Gymnasium in Lübeck, studirte in Kiel, Bonn, Halle und Berlin die Rechte sowie die Staatswissenschaften und bestand mit Auszeichnung die ersten Staatsprüfungen. Nach längeren Reisen in England, Belgien und Frankreich wurde er als Hülfsarbeiter im preußischen Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten angestellt. Seine ersten Schriften bestanden in einem „Beitrag zur Feststellung der Urtheile über die heutige Gestalt des Bankwesens“ (Heidelberg 1846); „Bankreform und Bankrevolution“ (Berlin 1846) und einer Reihe von Aufsätzen über preußische Finanzverhältnisse in Rau’s und Hanssen’s „Archiv der politischen Oekonomie“. Auch gab er aus dem Nachlasse seines Vaters heraus „Heroengeschichten“ (Hamburg 1842), „Vorlesungen über Geschichte des Zeitalters der Revolution“ (Hamburg 1845) und die die alte Geschichte umfassende Abtheilung der „Historischen und philologischen Vorträge“ (3 Bde., Berlin 1847–51), später auch die „Grundzüge für die Verfassung Niederlands“ (Berlin 1852). Nach den Märztagen von 1848 schloß er sich eng an die conservative Partei in Preußen und förderte eifrig deren Presse, namentlich als Mitarbeiter der Kreuzzeitung in Berlin und (1848 und 1849) als Redacteur des „Magdeburger Correspondenten“. In dieser Stellung gerieth er in einen nicht zu seinen Gunsten endenden Streit mit v. Unruh, früherem Präsidenten der preußischen Nationalversammlung. 1850 zum Regierungsrath ernannt, wurde er vom Könige, dessen Gunst er sich schon von Jugend an zu erfreuen hatte, mit einer diplomatischen Sendung betraut. Es handelte sich darum, in letzter Stunde den Krieg mit Oesterreich zu vermeiden, ohne die Forderung erfüllen zu brauchen, schleunigst die Etappenstraße in Kurhessen zu räumen. Zu dem Zweck sollte hier rasch eine solche Wendung bewirkt werden, daß die Hülfe des im Wiedererstehen begriffenen Bundestags unnöthig erschien. Als einziges Mittel hierzu hatte Fürst Schwarzenberg in Berlin den Fall bezeichnet, daß der in Wilhelmsbad bei Hanau residirende Kurfürst mit eigenen Truppen seine Autorität in Kassel herstelle, und hinzugefügt, derselbe habe sich Oesterreich verpflichtet, nicht eher dorthin zurückzukehren, bis das Volk oder die Stadt Kassel ihn bedingungslos darum werde gebeten haben. Als die dortigen Stadtbehörden sich hierzu nicht abgeneigt zeigten, verschärfte Hassenpflug aus Besorgniß vor einem fortan glatten Verlauf der Dinge die Bedingung dahin, daß mit jener Bitte die Zusage der Befolgung der Septemberverordnungen verbunden werde. Der Stadtrath lehnte dies dem vom Ministerium Manteuffel gesandten Geheimen Regierungsrath Delbrück gegenüber ab, weil er damit seine Ueberzeugung, sein und des Landes bisheriges Verhalten zu desavouiren glaubte. Gleichwol stellte N., der vom König zunächst zum Kurfürsten gesandt war, am 28. November dem Stadtrathe von Kassel dasselbe Verlangen mit dem Bemerken, [663] ohne die verschärfte Bedingung könne der Kurfürst wegen seiner Verpflichtung gegen den Bundestag nicht zurückkehren, im Falle der Ablehnung aber werde folgenden Tags der Krieg ausbrechen und Hessen der Schauplatz werden. Dieses Verhalten Niebuhr’s widersprach dem Manteuffel’s, der am 27. November obige einfache Bedingung für genügend erklärt hatte. Der Stadtrath ließ sich nicht wankend machen, worauf N. eine von demselben an den Kurfürsten beschlossene Vorstellung als ungenügend bezeichnete, seine Sendung aber war mißglückt. 1851 wurde N. Cabinetssecretär des Königs mit dem Titel eines Geheimen Regierungsraths. In dieser Stellung ist er bis 1857 von bedeutendem Einflusse auf die Gestaltung der staatlichen und kirchlichen Verhältnisse Preußens gewesen. Er suchte, unabhängig vom Ministerium Manteuffel, die conservativen Interessen im Sinne der Rückschrittspartei zu fördern und glaubte, daß Preußen in einer Anlehnung an Rußland eine Stütze gegen revolutionäre Bestrebungen in der deutschen Frage sowie gegen den Liberalismus im Innern finde. Als der Wunsch seiner Partei nach Umgestaltung der Verfassung von 1850 im Sinne ständischer Grundsätze und Formen 1851 in bestimmten, dem Könige unterbreiteten Vorschlägen Gestalt gewonnen hatte, sandte dieser im Februar 1852 N. nach London, um dieselben Bunsen zur Begutachtung vorzulegen. Diesem gegenüber hatte N. schon zuvor brieflich sich dahin ausgesprochen, Hauptziel der Regierung sei die Rettung der neben der geschriebenen Verfassung bestehenden ungeschriebenen Verfassung; die corporativen Freiheiten der Provinzen, Kreise, Städte, Landgemeinden sowie „Beseitigung aller Bestimmungen, welche ein festes und fertiges Regiment unmöglich machen und den Kammern das Streben nach Omnipotenz einpflanzen“. Aber auch diese Sendung Niebuhr’s mißglückte, nachdem Bunsen sich in scharfem Gegensatze zu jenen Vorschlägen und dahin ausgesprochen hatte, daß Niebuhr’s Sendung ihn „einen schreckhaften Blick“ in die Pläne habe thun lassen, in welche die nächste Umgebung den edlen Monarchen zu ziehen suche. Zurückgekehrt erhielt N. den rothen Adler- und den Hohenzollern-Hausorden. Auch zahlreiche außerpreußische Orden wurden ihm mit Rücksicht auf seine Stellung zutheil. 1854 erfolgte seine Ernennung zum Cabinetsrath und zum Mitgliede des Staatsraths. Daran schloß sich auf seinen Wunsch die Erhebung in den Adelstand. Nach Reumont hat N. „durch sein hitziges Wesen der Erregung des Königs bedenklichen Vorschub geleistet und zum Befestigen gewisser Tendenzen in dessen späteren Regierungsjahren beigetragen“. Derselben Meinung war Minister Manteuffel, als er 1856 den Wunsch aussprach, N. möge den König nach Marienbad nicht begleiten, da er aufregend auf denselben wirke. In den Abendgesellschaften des Königs soll N., wie dessen Vorleser Schneider und A. v. Reumont berichten, A. v. Humboldt rücksichtslos zu widersprechen geliebt haben. Als Vertreter für Westhavelland gehörte er dem Abgeordnetenhause der dritten Legislaturperiode während der ersten Session (November 1852 bis Mai 1853) an. Hier trat er hauptsächlich (10. Februar 1853) für den Gesetzentwurf über eine zweijährige Berufung der Kammern mit der Behauptung auf, im Osten der Monarchie sei die Abneigung gegen das parlamentarische Wesen allgemein, weil man den Ursprung der Verfassung von der Märzbewegung von 1848 nicht trennen könne. Am 4. November 1853 legte er das Mandat nieder. 1855 übernahm er mit General v. Wedell eine diplomatische Sendung nach Paris. Es war ein schwerer Schlag für ihn, daß 1855 diplomatische Actenstücke, welche ihm und dem General v. Gerlach anvertraut waren, durch den früheren Polizeibeamten Techen entwendet wurden. Dieser gab in der gerichtlichen Untersuchung am 30. Januar 1856 zu, längere Zeit als geheimer Agent des Ministers v. Manteuffel N. und die Gebrüder v. Gerlach in Potsdam überwacht zu haben und durch deren Bediente wichtige Papiere haben entwenden oder abschreiben lassen, welche er dann an [664] Manteuffel abgeliefert habe. Die Sache wurde um so peinlicher, als am 17. März 1856 in einem Flugblatte diese Angaben unter schweren Beschuldigungen gegen N. und v. Gerlach veröffentlicht und der frühere Chef der geheimen Polizei, Seiffart, wegen der Verbindung mit Techen gerechtfertigt wurde (Weserzeitung Nr. 3821). Es folgte eine Erklärung der Kreuzzeitung zum Schutze Manteuffel’s, welche vom „Preußischen Wochenblatte“ (1856, S. 156) als unpassend bezeichnet wurde. Einige der entwendeten Briefe waren bei der französischen Gesandtschaft in Berlin verwerthet. Die Aufregung über diese auch im Abgeordnetenhause zur Sprache gebrachten Vorgänge und der Schmerz über die schwere Erkrankung des Königs zogen N. im Herbst 1857 ein den Geist umnachtendes Gehirnleiden zu. Bald darauf erschien sein Werk „Assur und Babel“ (Berlin 1858), in welchem er die Uebereinstimmung der bezüglichen neueren Forschungen mit der Bibel nachzuweisen suchte. – N. war vermählt mit einer Tochter des Generals v. Wolzogen auf Kalbsrieth.

Nekrolog in A. Allg. Ztg. 1853 Nr. 294, 299; 1855 Nr. 39 B.; 1856 Nr. 89 B.; 1860 Nr. 224 Beil. – Briefe von A. v. Humboldt an Varnhagen a. d. J. 1827–58 (Leipz. 1860). – Chr. K. J. v. Bunsen’s Briefe, her. v. Nippold, Bd. III (Leipz. 1871), S. 245–252. – Schneider, Aus meinem Leben, Bd. II (Berl. 1879), S. 245, 251. – v. Unruh, Erinn. a. m. Leben in Deutsche Revue (Leipz. 1881, 4. O.). – Memoiren Stieber’s, her. v. Auerbach (Berl. 1883). – Wagener, Erlebtes, Abth. 1 (Berl. 1884), S. 66. – Reumont, Aus K. Fr. W.’s ges. u. krank. Tagen (Leipz. 1884), S. 147 u. 373.