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Artikel „Brandis, Johannes“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 248–249, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brandis,_Johann&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 10:19 Uhr UTC)
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Brandis: Johannes B., Archäolog und Sprachforscher, geb. zu Bonn 14. Dec. 1830, † auf einer Reise zu Linz 8. Juli 1873, der dritte Sohn von Christian August B. (s. d.). Im J. 1837 begab sich die ganze Familie mit dem vom Könige von Griechenland dahin berufenen Vater nach Athen. Nach der Heimkehr besuchte er das Gymnasium und später die Universität zu Bonn, um sich dem Studium der Philologie und alten Geschichte zu widmen. Am 21. Dec. 1852 erwarb er den Doctorgrad und zugleich einen von der philosophischen Facultät ausgeschriebenen Preis mit der Dissertation: „Assyriarum rerum tempora emendata“. Die von der Facultät gestellte Aufgabe war dahin gegangen: die Ueberlieferung der Alten in Betreff Assyriens mit den Funden von Botta und Layard zusammenzustellen, um damit eine damals brennende Frage zu lösen: in wiefern zwischen den Ergebnissen der neuen assyrischen Entdeckungen und der bis dahin geltenden, von Böckh, Welcker, O. Müller u. A. gelehrten Anschauung von der hellenischen Geistescultur unlösbare Widersprüche vorhanden seien. – 1853 nach Berlin gegangen, setzte B. dort an der Universität seine Studien fort, arbeitete sich insbesondere unter Lepsius’ Leitung in die Hieroglyphik ein, während er zugleich am Joachimsthaler und Friedrich-Wilhelmsgymnasium unterrichtete. Ostern 1854 begab er sich nach London, um Bunsen, der sich bei seinen historisch-chronologischen Arbeiten seiner Hülfe zu bedienen wünschte, als Privatsecretär zur Seite zu stehen. Zwar löste sich dies Verhältniß schon im Juni durch Bunsen’s Fortgang von England wieder auf, aber der Aufenthalt in Bunsen’s Hause wie in London blieb doch nicht ohne reiche Früchte für B., der jetzt seine assyrischen Studien in größerem Maßstabe wieder aufnahm. Er kehrte inzwischen in das elterliche Haus zurück und habilitirte sich in Bonn als Privatdocent der Philologie und alten Geschichte. Hier verfaßte er in der Schrift: „Ueber den histor. Gewinn aus der Entzifferung der assyrischen Inschriften nebst einer Uebersicht über die Grundzüge des assyrisch-babylonischen Keilschriftsystems“, 1856 die erste Arbeit deutscher Forschung auf dem Boden der ninivitisch-babylonischen Studien. Dieser folgte in dem akademischen Festprogramm zum 15. October 1857 eine Abhandlung über die älteste Zeitrechnung der Griechen („De temporum graecorum antiquissimorum rationibus“), in welcher die verschiedenen Bestandtheile der Königslisten, auf denen seit der Zeit der Alexandriner die älteste griechische Chronologie beruht, kritisch untersucht werden. – Im October 1857 ward B. zum Cabinetsrath und Secretär der nachmaligen Kaiserin Augusta berufen, in welcher Stellung er bis zu seinem Tode geblieben ist, von dem kaiserlichen Hofe wegen seiner hohen geistigen Begabung und der trefflichen Eigenschaften seines Charakters wie wegen seiner treuen und gewandten dienstlichen Thätigkeit auf das höchste geschätzt. Seine wissenschaftlichen Arbeiten aber blieben daneben nicht liegen; die Kaiserin selbst sorgte vielmehr dafür, daß ihm wie zur Arbeit so zu [249] jährlichen Reisen Muße blieb. Seine Forschung wandte sich jetzt vorzugsweise der Metrologie zu. Von der Erforschung der vorderasiatischen Maß- und Gewichtssysteme ausgehend, indem er die erste vollständige und lichtvolle Auseinandersetzung des dort geltenden Sexagesimalsystems gab, wies er sodann dessen Verbreitung nach außen wie seine weitere Entwicklung durch das Aufkommen von Silberwährungen mit verschiedener Theilung neben der Goldwährung sowie durch hellenische Einflüsse nach und schritt von hier aus zur Geschichte der Münzprägung in jenen Grenzgebieten zwischen asiatischer und hellenischer Cultur fort: „Das Maß-, Münz- und Gewichtswesen in Vorderasien bis auf Alexander den Großen“, 1866. Die weiteren Arbeiten, in denen die wichtigen Resultate dieser Untersuchungen nunmehr nach Griechenland und Italien fortgeführt werden sollten, wurden leider durch Brandis’ frühen Tod unterbrochen. Dagegen sind von kleineren Arbeiten, die noch beendigt wurden, zu erwähnen seine Untersuchung über die auf den griechischen Münzen als Nebenzeichen erscheinenden Familienwappen der Münzmeister (in v. Sallet’s Zeitschr. f. Numismatik I, S. 58) und der erst nach seinem Tode in den Monatsberichten der Berl. Akademie (Sept. 1873) gedruckte „Versuch zur Entzifferung der kyprischen Inschriften“, in welchem er die kyprische Schrift als einen Versuch, das asiatische Schriftsystem auf einen griechischen Dialekt anzuwenden, und als eine im Uebergang zur neuen Buchstabenschrift befindliche Sylbenschrift nachweist.

E. Curtius, Johannes Brandis. Ein Lebensbild (Preuß. Jahrbücher Bd. XXXII). 1873.