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Artikel „Moltke, Helmuth Graf von“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 447–458, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Moltke,_Helmuth_Graf_von&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:47 Uhr UTC)
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Moltke: Helmuth Karl Bernhard Graf von M., königlich preußischer Generalfeldmarschall, wurde am 26. October 1800 zu Parchim in Mecklenburg-Schwerin geboren. Sein Vater, Friedrich v. M., ein schöner stattlicher Mann mit vielen glänzenden Eigenschaften, seit 1786 Officier im preußischen Infanterieregimente Möllendorf Nr. 25, dessen Standort Berlin war, hatte das geringe Vermögen, welches aus dem Verkaufe des bei Ribnitz in Mecklenburg-Schwerin belegenen Familiengutes Samow ihm zugefallen war, bald verbraucht und sich dann mit Henriette Paschen, der Tochter des Geheimen Finanzrath Paschen, eines Lübecker Kaufherrn, verheirathet, der dem Verlöbnisse unter der Bedingung zustimmte, daß der lebenslustige Lieutenant aus dem Dienste schied und sich der Landwirthschaft widmete. Der Schwiegervater ermöglichte ihm den Erwerb des Gutes Liebenthal bei Wittstock in der Priegnitz, welches er mit einigem Vortheile bald wieder verkaufte. Er zog nun nach der kleinen Landstadt Parchim, wo einer seiner Brüder ein mecklenburgisches Bataillon befehligte. Hier wurde ihm ein dritter Sohn geboren und nach jenem Oheim „Helmuth“ genannt. Aber des Vaters unruhiger Geist ließ diesen nicht lange an einer Stelle. Er kaufte bald ein anderes Gut, veräußerte es nach kurzer Zeit mit Verlust und nahm dann seinen Wohnsitz in Lübeck. Hier befand sich die Mutter mit ihren Kindern, als am 6. November 1806 die Stadt von den Franzosen mit stürmender Hand genommen ward, während der Vater auf einem neuerstandenen dritten Gute Augustenhof im ostholsteinischen Kreise Cismar weilte. Verluste, die mit dem Besitze zusammenhingen, führten einen gänzlichen Vermögensverfall der Familie herbei und veranlaßten, daß der Vater, der, um Augustenhof erwerben zu können, dänischer Unterthan hatte werden müssen, in die Armee seiner neuen Heimath trat, aus welcher er erst 1839 als General und Commandant von Kiel geschieden ist. Er starb 1845 zu Wandsbeck. Eine allmählich immer mehr wachsende Entfremdung zwischen den Eltern brachte mit sich, daß der Einfluß der Mutter auf die Entwicklung der Kinder der überwiegend größere war. Eine Frau von hoher Bildung, tiefen Gemüthes und gläubigen Herzens, ernst und schweigsam, aber voll Lust an Poesie und Kunst, pflegte sie sorgsam die Keime der Geistes- und Charaktereigenschaften, die ihren Sohn Helmuth groß gemacht haben, und mit zärtlicher Liebe hat dieser bis zu ihrem 1837 erfolgten Tode an ihr gehangen. Aber schon früh verließ er das elterliche Haus, wo für seine Erziehung und Ausbildung nicht hinreichend gesorgt werden konnte. Im J. 1809 kam er mit den beiden älteren Brüdern zum Pastor Knickbein in Hohenfelde bei Itzehoe, wo er in jeder Hinsicht vortrefflich aufgehoben war, und 1811 mit einem dieser Brüder in die Landcadettenakademie zu Kopenhagen. Die wirthschaftliche Lage des Vaters hatte ihn bewogen, um die Aufnahme zu bitten. Sie erfolgte im J. 1811 zunächst als Externe. Als solche nahmen sie nur am Unterrichte der übrigen Cadetten theil, erst später kamen sie als Alumnen in die Anstalt. Hier wie dort war ihnen ein trübes Dasein beschieden. Ohne Verwandte und Freunde befanden sie sich in der fremden [448] Stadt; nur die Sonntage, die sie mit ihren Freunden, den Söhnen des General v. Hegermann-Lindencrone, in deren Elternhause zubringen durften, erhellten das Dunkel ihres Alltagslebens; die Behandlung im Cadettenhause war streng und rauh, aber tüchtige Soldaten gingen aus der spartanischen Erziehung hervor.

In M. zog sie die Selbständigkeit des Charakters, die Freude an der Arbeit, die Anspruchslosigkeit und die Entsagungsfähigkeit groß. Eine erhebliche Schwierigkeit, die ihm zunächst entgegentrat, die Unkenntniß der dänischen Sprache, in welcher der Unterricht ertheilt wurde, überwand er rasch. Ueberhaupt waren seine Leistungen stets hervorragend und so bestand er laut Abgangszeugnisses vom 1. Januar 1819 die Officiersprüfung, auf Grund deren ihm die Anciennetät vom 22. Januar 1818 verliehen wurde, mit dem „besten Charakter“ als der Vierte unter seinen Classengenossen und mit dem nämlichen Erfolge als der Erste das gleichzeitig abgehaltene Pagenexamen. Er trat nun aber nicht sofort in die Armee, sondern kam zunächst für ein Jahr als Page an den königlichen Hof, wie alle diejenigen Cadetten, die im Genuß von Freistellen gewesen waren und sowol ihrem Aeußeren wie ihren gesellschaftlichen Formen nach dazu geeignet erscheinen. Erst im J. 1819 wurde er zum Secondlieutenant in dem in Rendsburg stehenden Oldenburgischen Infanterieregimente ernannt, an dessen Spitze der Herzog von Holstein-Beck, Vater des nachmaligen König Christian IX. von Dänemark, stand. Daß M. im Truppendienste sich tüchtig erwies, zeigen seine bald darauf erfolgende Versetzung zur Jägercompagnie und die später ihm ausgestellten Dienstzeugnisse, aber das Gefühl seines inneren Werthes und die geringe Aussicht im engen Rahmen des dänischen Heeres vorwärts zu kommen regten ihn an, ein größeres Feld für seine Thätigkeit zu suchen. Eine Reise nach Berlin, die sein Vater im J. 1821 mit ihm machte, rief den Wunsch in ihm wach, der preußischen Armee anzugehören. Er wandte sich mit der Bitte um Erfüllung an das Berliner Militärcabinet und erhielt am 7. December den Bescheid, daß dem Wunsche Folge gegeben werden würde, wenn er die Officiersprüfung bestünde und auf die Anrechnung seiner bisherigen Dienstzeit verzichtete. M. ging darauf ein, am 5. Januar 1822 wurde sein Abschiedsgesuch bewilligt und nach vierzehntägiger Vorbereitung in Berlin bestand er die von ihm selbst als streng bezeichnete Officiersprüfung.

Am 12. März 1822 wurde er als jüngster Secondlieutenant im 8. (Leib-)Infanterieregimente angestellt und dem in Frankfurt a. O. stehenden Füsilierbataillone zugewiesen. Er dachte aber nicht daran, den Weg der großen Masse seiner Kameraden zu gehen. Von vornherein war sein Sinnen und Trachten auf Höheres gerichtet. Als einziges Mittel, dahin zu gelangen, zeigte sich ihm, der ohne einflußreiche Verbindungen und nur auf sein Gehalt von 16 Thalern 22 Silbergroschen 6 Pfennig angewiesen war, wozu freilich noch das Servis- und Tischgeld kamen, woran aber auch Abzüge gemacht wurden, der Besuch der Allgemeinen Kriegsschule, die den Zugang zur Generalstabslaufbahn eröffnen konnte. Nach bestandener Aufnahmeprüfung war er vom October 1823 an drei Jahre lang zu dieser commandirt. Sie hatte schon damals den nämlichen Zweck, den sie später unter Moltke’s Leitung verfolgte; sie sollte strebsamen Officieren Gelegenheit zur Erweiterung ihres Wissens und Könnens bieten und sie für den Generalstab, die höhere Adjutantur und das Lehrfach vorbereiten, doch stand die allgemeine Bildung damals hinter der militärischen weniger zurück, als jetzt der Fall ist; auch beschränkte sich der Unterricht auf akademische Vorträge und schriftliche Arbeiten, die applikatorische Lehrweise hatte noch keinen Eingang gefunden. M. hörte eine große Zahl von Fächern [449] verschiedener Art, aber er betrachtete sie alle vom Standpunkte ihrer Verwendbarkeit für militärische Zwecke. Sein großer Fleiß und seine angeborene Gründlichkeit schützten ihn vor einer Zersplitterung seiner Kräfte. Von seinen Lehrern übten den bedeutendsten Einfluß auf ihn Major v. Canitz, welcher Kriegsgeschichte vortrug, der Geograph Karl Ritter und der Physiker Erman. Es war eine Zeit, von der er selbst später sagte: „Es ist kein beneidenswerthes Loos, das eines armen Lieutenants.“ Trotzdem brachte er fertig, Privatunterricht in neueren Sprachen nehmen zu können, im Sommer 1825, durch seine angegriffene Gesundheit genöthigt, das Bad Salzbrunn zu besuchen und im Anschlusse daran eine Reise in das schlesische Gebirge, nach Breslau und zu Bekannten in das Posensche zu unternehmen. Beim Abgange von der Schule erhielt der Lieutenant Baron M. die Hauptcensur „vorzüglich gut“; anfangs hatte er auf Grund der Censurbücher nur „sehr gut“ haben sollen, der Mathematiker Professor Fischer, welcher Mitglied der Studiendirection war, beantragte die Aenderung. Einer seiner Kameraden ward als „sehr vorzüglich“ beurtheilt. (Poten, Geschichte des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens in den Landen deutscher Zunge, IV, 260, Berlin 1896.)

Im Juli 1826 nach Frankfurt zurückgekehrt wurde er als Lehrer zu der dort bestehenden Divisionsschule commandirt, welcher die wissenschaftliche Heranbildung des Officierersatzes der 5. Division oblag. In dieser mit einer Monatszulage von 5 Thalern verbundenen Stellung blieb er, bis er im Mai 1828 zum Topographischen Bureau des Großen Generalstabes nach Berlin commandirt wurde. Damit that er den zweiten Schritt auf der Bahn, die er bis zu ihrer obersten Spitze durchmessen sollte. Das Commando dauerte für ihn vier Jahre. Während der Sommermonate war er mit Vermessungen in Schlesien und in Posen beschäftigt, deren Ergebniß er im Winter auszuzeichnen hatte, daneben nahm er an der Bearbeitung von taktischen Aufgaben theil, die der Chef des Generalstabes, General v. Müffling, stellte, und an den Uebungsreisen, die dieser leitete. Im Frühjahr 1830 war er für kurze Zeit in Frankfurt bei der Ausbildung von Landwehrersatz und hiemit zum letzten Male im Frontdienste thätig. Auch der Schriftstellerei lag er damals zuerst ob. Hauptsächlich um seine finanziellen Verhältnisse zu bessern. Im J. 1827 hatte er damit begonnen. „Der Freimüthige“ brachte in Nr. 48 vom 8. März d. J. eine Erzählung: „Zwei Freunde“; der Verfasser nannte sich „Helmuth“. Jetzt folgten, durch die politischen Ereignisse veranlaßt, zwei Flugschriften, von denen die eine Holland und Belgien, die andere die Zustände in Polen behandelt. Ein anderes Unternehmen, im Auftrage eines Buchhändlers des Engländer Gibbon großes Werk über das römische Kaiserreich in das Deutsche zu übertragen, brachte viel Arbeit und Aerger, aber nur geringen Ertrag (166 Thaler), es blieb unvollendet und ist nie gedruckt, weil der Verleger seinen Verpflichtungen nicht nachkam. Am 30. März 1832 wurde aus dem Commando zum Topographischen Bureau ein Comnmando zum Generalstabe und genau ein Jahr später erfolgte die Versetzung in den letzteren unter Beförderung zum Premierlieutenant. Damit war viel erreicht: Gute Aussichten für die Zukunft und ein besseres Einkommen. Letzteres vermehrte sich; am nämlichen Tage 1835 durch das Aufrücken zum Capitän und die Berufung in die Ober-Militär-Examinations-Commission. Kurz zuvor war ihm die erste Ordensauszeichnung verliehen, der Johanniter-Orden, den damals der König in anderer Weise vergab als jetzt geschieht. Moltke’s Thätigkeit im Generalstabe bestand hauptsächlich in der Theilnahme an der Bearbeitung der Geschichte des Siebenjährigen Krieges, auch nahm er an den Generalstabsreisen [450] unter dem Chef, General Krauseneck, und an den großen Herbstübungen des Heeres theil, in deren Verfolge er im J. 1835, zwei Prinzen von Holstein-Glücksburg beigegeben, auch der Verbrüderung russischer und preußischer Truppen im Lager von Kalisch beiwohnte. Im Herbst 1833 hatte er eine Reise nach Oberitalien gemacht, 1834 führte ein dienstlicher Auftrag ihn nach Kopenhagen, jetzt trieb es ihn mehr von der Welt zu sehen.

Er erbat und erhielt einen sechsmonatlichen Urlaub zur Reise nach Constantinopel, von wo er über Athen und Neapel zurückzukehren gedachte. Aber aus dem Urlaube wurde ein Commando und die Abwesenheit dauerte vier Jahre. Ueber die Art, wie er diese zugebracht, hat M. in „Briefen über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835–39“ selbst Bericht erstattet; das Buch kennzeichnet ihn als einen scharfen Beobachter und als einen geschickten Darsteller politischer, geographischer und volkswirthschaftlicher Verhältnisse, dabei als einen für alles Große und Schöne empfänglichen, eines glücklichen Humors sich erfreuenden Menschen; bei seinem Erscheinen im J. 1841 fand es wenig Beachtung, sie ward ihm erst, als der Verfasser ein berühmter Mann geworden war.

Am 6. October 1835 trat er von Breslau seine Reise an, am 24. November traf er in Constantinopel ein. Hier regirte Sultan Mahmud II., welcher bestrebt war, sein Heer mit Hülfe des Oberbefehlshabers, des Seraskiers Chosrew Pascha, nach abendländischem Muster neu zu gestalten. Moltke’s Verständniß für die Benutzung eines Kriegsspieles, welches dem Sultan von König Friedrich Wilhelm IV. und von jenem dem Seraskier geschenkt war, führte ihn bei Chosrew Pascha vortheilhaft ein. Dieser nahm sofort Moltke’s Dienste noch anderweit in Anspruch, und bald wurde dieser sein vertrauter Rathgeber bei Beantwortung der Fragen, die bei den militärischen Reformplänen des Sultans zu lösen waren. Im Februar 1836 legte M. ihm eine Denkschrift über die Errichtung einer Miliz vor, im März erkundete er in des Seraskiers Auftrage die Dardanellenstraße und machte Vorschläge für ihre Neubefestigung. Sein Urlaub wurde auf den Wunsch des Sultans verlängert und am 26. Juli d. J. in ein „Commando zur Organisation und Instruction der türkischen Truppen“ umgewandelt. M. lag nicht viel an der Ausdehnung seines Aufenthaltes am Goldenen Horn, weil er voraussah, daß er dauernden Nutzen nicht werde schaffen können, daher hatte er, als er gefragt wurde, nicht den Wunsch geäußert zu bleiben, sondern die Entscheidung seinen Vorgesetzten überlassen. Das Jahr verging auf Reisen, die M. theils in dienstlichem Auftrage ausführte, theils aus eigenem Antriebe unternahm, und mit Arbeiten verschiedenster Art, zu denen er gebraucht wurde. So hatte er, neben topographischen Aufnahmen und dem Erstatten von Gutachten über Befestigungsanlagen, einen Plan für die Wasserversorgung von Constantinopel zu entwerfen und Vorschläge zur Bekämpfung der Pest zu machen. Im Januar 1837 wurde er dem Großherrn vorgestellt, der ihm bei dieser Gelegenheit den Nischan-Iftachar-Orden in Brillanten verlieh, und im Mai begleitete er ihn auf einer hauptsächlich zur Besichtigung der Befestigungsanlagen in Rumelien und Bulgarien unternommenen Reise. Im Herbst 1837 trat eine Veränderung ein, welche Moltke’s Lage und sein Leben in sehr erwünschter Weise veränderte. Anfang September trafen drei weitere preußische Officiere ein, die der König auf das Ersuchen des Sultans diesem zur Verfügung gestellt hatte. Es waren vom Generalstabe Capitän Fischer und v. Vincke, dieser von seiner Gattin begleitet, und v. Mühlbach vom Ingenieurcorps. Zugleich trat eine Vereinbarung zwischen den Regierungen in Kraft, laut deren die Officiere, auch M., neben ihren preußischen Gebührnissen, von der Pforte eine Monatszulage [451] von 2000 Piaster (etwa 400 Mark), Pferde und Diener, auf Reisen auch Wohnung, Verpflegung und Reisekostenvergütung erhielten. Weniger günstig für sie war, daß Chosrew Pascha, der die Preußen herangezogen hatte, inzwischen einem Schwiegersohne des Sultans, Halil Pascha, hatte weichen müssen, und dieser ihnen eher Mißtrauen als Wohlwollen entgegenbrachte. Bald nach ihrer Ankunft erhielten sie, M. eingeschlossen, den Auftrag, die Festungen zwischen dem Balkan und der Donau sowie am Schwarzen Meere zu besichtigen, dann beachtete man sie nicht weiter, bis die Aussicht auf einen Krieg mit Mehemed Ali, dem Vicekönige von Aegypten, dessen Sohn Ibrahim Pascha mit einer Armee in Syrien stand, die Entsendung von drei unter ihnen in die Provinz veranlaßte. Sie wurden als „Müsteschar“ (Rathgeber) türkischen Generalen zugetheilt, der Sultan gab ihnen Ehrensäbel auf den Weg. Halil Pascha wurde bald darauf durch Said Mehemed Pascha, einen anderen Schwiegersohn des Sultans, ersetzt, und Chosrew Pascha trat als Vorsitzender des Staatsrathes an die Spitze der Verwaltung des gesammten Reiches.

M. war mit Mühlbach (Moltke und Mühlbach zusammen unter dem Halbmonde, 1837–1839, von R. Wagner, Berlin 1893) für die von Hafiz Pascha befehligte Taurusarmee bestimmt. Am 17. März 1838 trafen sie zu Messreh, etwa 120 km nordwestlich von Diarbekir, in seinem Hauptquartiere ein und wurden sehr freundlich empfangen. Der Pascha betrachtete als die erste ihm obliegende Aufgabe, die aufrührerischen Kurdenstämme in seinem Rücken niederzuwerfen. Dabei erhielt M. die Feuertaufe. Es geschah bei einem von ihm geleiteten Angriffe auf ein Kurdenschloß, welches jedoch capitulirte, bevor es zum Sturme kam. Daneben hatte er diese Zeit benutzt, um eine alte Handschrift des Neuen Testaments in arabischer und syrischer Sprache sowie eine in Holz gebundene handschriftliche syrische Uebersetzung des Alten Testaments aus dem Jahre 1591 zu erwerben; beide befinden sich in der königlichen Bibliothek zu Berlin (Kurzes Verzeichniß der Sachau’schen Sammlung syrischer Handschriften, Berlin 1885). Auch noch an anderen Gefechten hatte M. theil. Dann galt seine Thätigkeit der Geländeerkundung und der Ausbildung der Truppen für den Feldzug vom Jahre 1839. Dieser führte am 24. Juni zur sogenannten Schlacht von Nisib, bei der es kaum zum Kampfe kam, weil die türkische Armee vorher auseinander lief. Hafiz Pascha wurde geschlagen, weil er dem Mollah und nicht dem Müsteschar sein Ohr geliehen hatte. Inzwischen war am 30. Juni Sultan Mahmud gestorben. Der Nachfolger Abdul Medschid setzte Hafiz Pascha ab und rief die preußischen Officiere nach Constantinopel zurück. Hier kamen sie am 4. August an. Hafiz Pascha hatte M. ein sehr ehrendes Zeugniß ausgestellt. Zwei Monate später durfte dieser die Heimreise antreten. Die für ihn und seine Kameraden bestimmte Zeit war abgelaufen, sie hatten selbst schon um ihre Ablösung gebeten und erhielten keine Nachfolger. Am 27. December 1839 traf M. wieder in Berlin ein. Er hatte glänzende Beweise von Verstandesschärfe und Entschlußfähigkeit an den Tag gelegt und seine militärischen Eigenschaften wesentlich ausgebildet. Der König erkannte seine Leistungen durch Verleihung des Ordens pour le mérite an.

In der Heimath fand M. zunächst im Generalstabe des IV. (sächsischen) Armeecorps Verwendung. Damit blieb er in Berlin, wo dem commandirenden General, dem Prinzen Karl von Preußen, statt in Magdeburg sein Wohnsitz angewiesen war. Dieses Verhältniß brachte mit sich, daß M. auch in den engeren Kreisen des Hofes verkehrte und bekannt wurde. Neben seiner dienstlichen Thätigkeit übte er solche in reichem Maaße auf litterarischem Gebiete, [452] indem er, an Tagesfragen anknüpfend, Aufsätze in Zeitschriften veröffentlichte und ein größeres Werk schrieb „Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei, 1828 und 1829“ (1845), dessen Schauplatz er an Ort und Stelle genau kennen gelernt hatte. Gegenstand jener Aufsätze war mehrfach das damals im Entstehen begriffene Eisenbahnwesen. M. hatte die Bedeutung der Schienenwege alsbald klar erkannt. Schon 1841 trat er in den Verwaltungsrath der geplanten Berlin–Hamburger Eisenbahn und trug kein Bedenken, seine türkischen Ersparnisse, etwa 10 000 Thaler, in dem Unternehmen anzulegen. Einen für sein Privatleben wichtigen, ihn hoch befriedigenden Schritt that er, als er sich am 20. April 1842, kurz vorher Major geworden, mit der fast sechsundzwanzig Jahre jüngeren Marie v. Burt, der Stieftochter einer seiner Schwestern, verheirathete.

Die Gleichförmigkeit dieses Lebensabschnittes wurde unterbrochen durch die Berufung nach Rom als Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen, eines Bruders König Wilhelm’s III., der dort schon dreißig Jahre lang lebte und seit dreizehn Jahren einer vielleicht mehr eingebildeten als wirklichen Krankheit wegen nur selten das Bett verlassen hatte, aber geistig ungemein rege und mit allem vertraut war, was die Zeit auf allen Gebieten geistigen Lebens interessantes Neues brachte. Von seiner Gemahlin begleitet traf M. am 18. December 1845 in der ewigen Stadt ein. Seine Dienstgeschäfte ließen ihm viele freie Zeit, die er zum Theil zu einer topographischen Aufnahme der Stadt und ihrer Umgebung verwerthete. Die Karte (zehn Geviertmeilen umfassend) ist später, zum Theil auf Kosten König Friedrich Wilhelm’s IV., in 1:25 000 gestochen (Berlin 1852, zwei Blätter). Aber schon am 12. Juli 1846 starb der Prinz, am 21. September schiffte M. sich mit der Leiche auf der Segelcorvette „Amazone“ ein, verließ diese, an der Seekrankheit leidend und erfüllt von dem Drange möglichst viel von der Welt zu sehen, in Gibraltar, durchflog Spanien und Frankreich und wohnte, rechtzeitig auf deutschem Boden angekommen, am 7. November der Beisetzung im Dome zu Berlin bei. Ende des Jahres erfolgte seine Zutheilung zum Generalstabe des VIII. Armeecorps in Coblenz, im Mai 1848 eine Berufung in den Großen Generalstab und am 22. August des nämlichen Jahres die Ernennung zum Chef des Generalstabes des IV. Armeecorps, dessen Generalcommando sich jetzt wieder in Magdeburg befand. In dieser Stellung blieb er bis zum Mai 1855, die Mobilmachung vom Jahre 1850 zeigte ihm die schwachen Seiten der Heeresorganisation. Dann wählte der König ihn zum Adjutanten seines Neffen, des Prinzen Friedrich Wilhelm, nachmals Kaiser Friedrich III. Weder dieser noch sein Vater, der damals noch Prinz von Preußen hieß, hatten einen Einfluß auf die Wahl äußern können. Mit jenem machte er viele Reisen, sah Großbritannien, Paris, Petersburg und Moskau und verlebte das Jahr 1856 in Breslau, wo der Prinz ein Infanterieregiment commandirte, ist aber in ein näheres persönliches Verhältniß zu ihm nicht getreten. Dann ward er, den verstorbenen General v. Reyher ersetzend und inzwischen zum Generalmajor aufgerückt, als Chef an die Spitze des Generalstabes der Armee berufen. Es war der Prinz von Preußen, welcher kurz vorher an des erkrankten Königs Stelle die Regierung übernommen hatte, der ihn am 29. October 1857 dazu ernannte.

Die Stellung war damals eine wesentlich andere als sie später unter M. wurde. Dieser stand, zunächst und fast noch neun Jahre lang, nicht neben sondern unter dem Kriegsminister, der ihn nur zu Rathe zog, wenn es ihm gefiel. An der Art und Weise, wie die Dienstgeschäfte innerhalb seines Befehlsbereiches erledigt wurden, fand er nichts zu ändern, Alles war wohlgeordnet, er fuhr daher fort im Sinne seiner Vorgänger zu wirken. Lebhaft beschäftigten [453] ihn die Vorbereitungen auf Kriege, in welche Preußen künftig verwickelt werden könnte. Der erste davon, zu dem es kam, war der vom Jahre 1864 gegen Dänemark. Nachdem M. im November 1863 beim Bundestage in Frankfurt a. M. abgehaltenen Vorbesprechungen für die Ausführung der später in anderer Weise erfolgten Ausführung der Bundesexecution in Holstein theilgenommen hatte, war sein Einfluß auf die Operationen während der ersten Monate des Kriegsjahres 1864 von geringem Einflusse. Dienstlich erfuhr er kaum etwas von dem, was in Schleswig und Holstein vorging. Mit seinem Vorschlage, die Entscheidung durch ein energisches Handeln jenseits der Königsau zu Wege zu bringen, drang er nicht durch. Ueberall legte die Politik der Strategie Fesseln an. Allmählich aber wurde M. zu den Berathungen herangezogen, die in Berlin unter dem Vorsitze des Königs stattfanden, und am 30. April erhielt er den Befehl, an Falckenstein’s Stelle den Dienst als Chef des Generalstabes beim Obercommando der verbündeten Armee zu übernehmen, welches Wrangel führte. Schon am 2. Mai traf er bei diesem in Veile ein. Er gedachte den Krieg mit größtmöglicher Energie zu führen. Aber zunächst verhinderte eine durch die Londoner Conferenz auferlegte, vom 12. Mai bis 26. Juni währende Waffenruhe die Verwirklichung der Absicht, dann beschränkten diplomatische Abmachungen mit Oesterreich sie auf die am 29. d. M. in das Werk gesetzte Einnahme der Insel Alsen. M. wohnte ihr im Gefolge des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, des nunmehrigen Oberbefehlshabers, persönlich bei. Die Ausführung anderer Pläne, die M. für die Fortsetzung des Krieges erwog, bei denen ihm aber überall politische Hindernisse in den Weg gelegt wurden, unterblieb wegen der Friedensunterhandlungen, welche am 20. Juli zum Abschlusse einer neuen Waffenruhe, am 1. August zu Präliminarien führten, denen am 30. October der Friedensschluß folgte. Am 16. December traf M. wieder in Berlin ein.

Hier nahmen bald die Vorbereitungen für einen neuen Feldzug ihn voll in Anspruch. Es war der gegen Oesterreich und seine Verbündeten. Als er eröffnet wurde, geschah ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Stellung des Chefs des Generalstabes der Armee im Kriege. Am 2. Juni 1866, als die Armee schon mobil war, befahl der König, daß den Commandobehörden die Befehle für die von ihnen anzuordnenden operativen Bewegungen nicht mehr wie bisher durch den Kriegsminister, sondern durch den Chef des Generalstabes der Armee zugehen sollten. Dieser hatte Jenen von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Die Neuerung legte den Grund zu einer Entfremdung zwischen M. und Roon. Auch die Generale erkannten Moltke’s Befehle, an die sie, allerdings nicht in vollem Umfange, gewiesen waren, nicht unbedingt an. So fragte in der Schlacht von Königgrätz ein Divisionscommandeur, General v. Manstein, einen Generalstabofficier, der ihm einen Befehl überbrachte: „Das ist Alles sehr richtig; wer ist aber der General Moltke“? that dann aber, was ihm geheißen war. (Erinnerungen des General Grafen Wartensleben-Carow. Berlin 1897, S. 36, Anm.)

Daß der kommende Krieg angriffsweise geführt werden müsse, stand bei M. fest. Daher war ihm wenig erwünscht, daß der Ausbruch sich aus Rücksichten verschiedener Art verzögerte. Erst am 30. Juni, nachdem die Hannoversche Armee, auf deren Einschließung M., da Falckenstein versagte, von Berlin aus entscheidend eingewirkt hatte, zur Capitulation gezwungen war und die preußischen Truppen von drei Seiten in Böhmen eingerückt waren, um vereint zu schlagen, reiste der König mit dem Großen Hauptquartiere, zu dem M. gehörte, nach dem Kriegsschauplatze ab. In der Nacht zum 3. Juli erfuhr dieser in Gitschin, wo er schon vor dem Könige angekommen war, mit Sicherheit, [454] daß der Feind nördlich der Elbe stände, wohin die drei preußischen Armeen in concentrischem Anmarsche begriffen waren. Zum Könige beschieden, erhielt er dessen Zustimmung zu seinem Vorschlage, das Vorrücken am 3. fortzusetzen. Es führte zur Schlacht von Königgrätz. Am frühen Nachmittage konnte M. auf dem Rozskosberge nördlich von Sadowa auf eine vom Könige an ihn gerichtete Frage nach seiner Ansicht über den Stand der Schlacht antworten, daß er nicht nur die Schlacht, sondern den ganzen Feldzug für gewonnen erachte. Und so war es. Der Feind zog sich in fluchtartiger Verwirrung zurück. Eine Verfolgung fand nicht statt. Die Verantwortung für das Unterlassen hat M. in erster Linie zu tragen. Er war kein Gneisenau. Dann war Wien sein nächstes Ziel. Dort suchte er die Entscheidung des Krieges. An der Donau mußte er in der aus Italien nahenden siegreichen Armee des Erzherzogs Albrecht einen neuen Gegner erwarten und gegen diesen wandte er sich mit dem Haupttheile der preußischen Kräfte, die Verfolgung der geschlagenen Nordarmee dem kleineren Theile überlassend. Aber ehe es zum entscheidenden Kampfe kam, machten die am 20. Juli abgeschlossenen Friedenspräliminarien den Feindseligkeiten ein Ende. Die I. Armee unter Prinz Friedrich Karl und die Elbarmee standen im Anblicke des Stefansthurmes.

Am 4. August, nach fünfwöchiger Abwesenheit, war M. wieder in Berlin. Hier harrte seiner neue Arbeit. Kaiser Napoleon III., dessen Haltung schon bald nach dem Entscheidungskampfe Anlaß zu Besorgniß gegeben hatte, drohte mit Einmischung in die deutschen Angelegenheiten, er wollte aber Preußen bei ihrer Regelung freie Hand lassen, wenn ihm selbst Gebietsabtretungen gemacht würden. Schon am 8. August, als der Friede mit Oesterreich noch nicht geschlossen war, sprach M. in einer Denkschrift seine Ansicht über die Lage der Dinge, wie sie sich gestalten werde, wenn die Forderung zurückgewiesen würde, dahin aus, daß es kein zu großes Wagniß sei, beiden Mächten mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten. Der König wies die fremde Einmischung entschieden zurück, und der Austrag der unvermeidlichen Fehde, auf den M. jeder Zeit vorbereitet war, unterblieb zunächst. Viel Arbeit erforderte ferner die Ordnung der militärischen Verhältnisse im geeinten Deutschland. Aber reich war die Zeit auch an Ehren. Sie brachte M. den Schwarzen Adlerorden, die Stellung als Chef des Colbergschen Grenadierregiments, die vor ihm Gneisenau bekleidet hatte, und eine Dotation im Betrage von 200 000 Thalern, die in Grundbesitz anzulegen waren. Kriegswolken, welche im Frühjahr 1867 am politischen Himmel in Gestalt der Luxemburger Frage heraufgezogen waren und die M. schon damals bereit war mit dem Schwerte zu bekämpfen, wurden im Wege der Verständigung zertheilt; dann begleitete er den König zur Weltausstellung nach Paris, und im August wurde er Besitzer der Güter Creisau, Wierischau und Graditz bei Schweidnitz in Schlesien. Damit war überreich ein Wunsch seines Lebens, der Traum seiner Jugend, erfüllt, eine Scholle Land zu besitzen, wo die Familie sich sammeln könne, und der Erwerb wurde für ihn ein Quell reiner Freude und mannichfachen Genusses. Gern und so oft seine Dienstgeschäfte es ihm erlaubten hat er in dem von ihm wesentlich verschönten Creisau geweilt. Dort errichtete er auch seiner Gemahlin, die am 24. December 1869 nach kurzer Krankheit ihm genommen wurde, ein Mausoleum. Nach Moltke’s Tode ist der Besitz, da seine Ehe kinderlos geblieben war, mit der Bestimmung nach dem Rechte der Erstgeburt vererbt zu werden, an einen Neffen übergegangen. Schon vorher, am 24. Februar 1867, war M. auch in das parlamentarische Leben eingetreten. Drei Wahlkreise hatten ihn als ihren Vertreter in den constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes entsenden [455] wollen; er nahm für den Bezirk Memel-Heydekrug an und hat ihn bis zu seinem Tode im Reichstage vertreten.

Der bevorstehende Krieg rief ihn am 12. Juli 1870 aus Creisau in die Hauptstadt zurück. Es war Alles dafür vorbereitet. M. hatte in der Zwischenzeit seit 1866 für eine den geänderten Verhältnissen entsprechende Erweiterung des Generalstabes, für die Ausbildung seiner Mitglieder und für Einrichtungen gesorgt, die den Ansprüchen der Neuzeit Rechnung trugen. Mit zuversichtlicher Ruhe sah er den kommenden Ereignissen entgegen. Dank den für die am 16. Juli begonnene Mobilmachung des Norddeutschen Bundesheeres getroffenen Anordnungen war diese am 24. im wesentlichen beendet, und die vorzüglichen Leistungen der Eisenbahnen, denen Moltke’s besondere Sorge gewidmet gewesen war, hatten bewirkt, daß, als der König, und mit ihm M., am 2. August in Mainz eintrafen, der strategische Aufmarsch des Norddeutschen Bundesheeres an der Grenze sich vollzogen hatte. Auch die Süddeutschen, mit denen Alles rechtzeitig vereinbart war, fehlten nicht. M. war am 18. Juli, wie 1866, mit der Ermächtigung ausgerüstet, alle Befehle über die operativen Bewegungen der Armee den Kommandobehörden unmittelbar mitzutheilen. „Allgemeine Offensive ist beabsichtigt“, hieß es in einem Armeebefehle, welchen er am 3. August erließ, und in diesem Sinne erfolgten seine weiteren Anordnungen, deren Grundgedanke darauf hinauslief, den Gegner südlich zu umgehen und ihn nach Norden abzudrängen. An den Einmarschkämpfen von Weißenburg, Wörth und Spicheren war M. nicht betheiligt, die Schlachten vom 14. und 16. August wurden ohne sein Zuthun geschlagen. Erst die Letztere rief ihn auf den blutigen Plan. Sie hatte dargethan, daß die bis dahin im Großen Hauptquartiere gehegte Ansicht, daß die französische Rheinarmee von Metz nach Westen abmarschirt sei, irrig gewesen war. Es handelte sich jetzt darum, sie dort festzuhalten. Am 17. geschahen die einleitenden Bewegungen. Am 18. kam es zur Schlacht von Gravelotte-Saint Privat. Sie wurde mit verkehrten Fronten geschlagen. Dazu hatte die 200 000 Mann starke, aus der I. Armee unter Steinmetz und der II. unter dem Prinzen Friedrich Karl bestehende deutsche Heeresmacht im Angesichte des Feindes eine umgehende Bewegung ausführen müssen. Ein kühnes Unternehmen, aber mit glänzendem Erfolge gekrönt. Durch den Ausgang der Schlacht war die Rheinarmee nach Metz hineingeworfen und damit vorläufig außer Thätigkeit gesetzt.

M. nahm nun den Plan, gen Paris zu marschiren, wieder auf. Ein Theil der bei Metz befindlichen Truppen blieb zur Einschließung der Festung zurück; mit der aus den übrigen gebildeten Maasarmee unter Kronprinz Albert von Sachsen und der III. Armee unter dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen setzte sich das große Hauptquartier zu diesem Zwecke alsbald in Bewegung. Aber schon am 26. wurde die im Vorrücken begriffene Armee von ihrer ursprünglichen Marschrichtung abgelenkt. Mac Mahon war mit einer bei Châlons gesammelten Heeresmacht nach Norden aufgebrochen, um längs der belgischen Grenze Metz zu erreichen und dem eingeschlossenen Bazaine die Hand zu bieten. Die Kunde von diesem Vorhaben, die am 25. Abends im Hauptquartiere zu Bar-le-Duc eintraf, veranlaßte die Heeresleitung zu dem meisterhaft angelegten und durchgeführten Rechtsabmarsche, dessen Endergebniß am 1. September die Schlacht bei Sedan und die am 2. ihr folgende Capitulation der ganzen feindlichen Armee nebst der Gefangennahme Kaiser Napoleon’s III. waren.

Der Krieg gegen das Kaiserreich war zu Ende. Es begann der Kampf gegen die zweite Republik. Die Armee von Sedan wurde dazu, soweit sie [456] nicht zunächst noch dort nöthig war, schon am 3. in Marsch gesetzt. Ihr Ziel war Paris. Und dem Besitze der Hauptstadt galt das gesammte, noch fünf Monate dauernde Ringen, sei es, daß die Einnahme der unmittelbare Endzweck der Kämpfe war, sei es, daß sie Entsatzversuche zu hindern hatten. Für seine Person hat M. an den Vorgängen insoweit theilgenommen, als er verschiedentlich in den Gang der Gefechte bei Paris eingriff, zu denen die feindlichen Durchbruchsunternehmungen Veranlassung gaben. Bedeutender aber war seine Thätigkeit nach außerhalb. Denn in seiner Hand liefen alle Fäden zusammen, durch welche die Maßnahmen der auf den Kriegsschauplätzen im Norden und im Süden, im Osten und im Westen befehligenden Heerführer geleitet wurden, er bildete den geistigen Mittelpunkt, von welchem diese die Directiven für ihr Verhalten im Ganzen und Großen empfingen, von dem aus sie angewiesen wurden, ihr Verhalten mit dem auf die Einnahme von Paris gerichteten Ziele in Einklang zu bringen. Dabei theilte er immer nur die großen Gesichtspunkte mit, nie griff er in die Einzelheiten ein. Der Geschäftsgang war der, daß M. dem Könige im Beisein betheiligter Generale, und, wenn zugleich politische Fragen im Spiele waren, auch des Bundeskanzler Graf Bismarck oder seines Vertreters, Vortrag hielt, und der Kriegsherr dann die Entscheidung traf, die meist im Sinne des Generalstabschefs ausfiel; ein Kriegsrath ist nie gehalten, die Anwesenden hatten keine Stimme abzugeben, sie redeten nur, wenn sie dazu aufgefordert wurden. Die schwerstwiegende dieser Fragen war die, wie man vor Paris zum Ziele gelangen solle. Allgemein hatte man die Widerstandskraft der Festung unterschätzt, und bei den im Frieden für den Krieg getroffenen Rüstungen war die Vorbereitung zu Belagerungen ungenügend berücksichtigt. M. hoffte zunächst die Stadt durch Hunger zu bezwingen, gab dann aber dem vielseitigen Drängen auf Anwendung von Waffengewalt unter der Bedingung nach, daß zu einer Beschießung erst geschritten werden dürfe, wenn genügend Geschütze und Schießbedarf herangeschafft sein würden. Ende December begonnen, führte sie vier Wochen später zum Ziele. Am 28. Januar 1871 capitulirte Paris. Wenn dazu auch der Hunger am meisten beigetragen hat, so haben doch auch die Granaten gewirkt. Am 5. October war M. in Versailles eingetroffen, wo am 18. Januar die Einigung des Deutschen Reiches verkündet wurde, bei dessen Begründung er einer der meistthätigen Werkmeister gewesen war, am 7. März trat er die Rückfahrt in die Heimath an. Dort bezog er das am Königsplatze dem Generalstabe bereitete neue Heim, welches bis dahin in der Behrenstraße gewesen war.

Die erste der Ehrungen, durch welche König Wilhelm seinem vornehmsten militärischen Gehülfen für die ihm und dem Vaterlande geleisteten Dienste dankte, war nach dem Falle von Metz die Verleihung der Grafenwürde gewesen; am 22. März, des Königs Geburtstage, folgte die des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes, dessen niedere Classen dieser nach einander schon früher erhalten hatte, und am 16. Juni, dem Tage des Einzugs der heimgekehrten Truppen in Berlin, die Ernennung zum General-Feldmarschall. Die zum Generallieutenant war im J. 1859, die zum General der Infanterie bei der Mobilmachung für den Krieg von 1866 vorangegangen. Im J. 1872 folgte als Nationalbelohnung eine neue Dotation im Betrage von 300 000 Thalern, welche der König von der aus der französischen Kriegsentschädigung ihm zur Verfügung gestellten Summe dem Feldmarschall überwies. „Das Sparen konnte er sich trotzdem nicht abgewöhnen“ (Gesammelte Schriften, Berlin 1891. Bd. IV, S. 312). Er schrieb es einem seiner Brüder, dem gegen über er im Gegensatze dazu kurz vorher seine Freigebigkeit in glänzender [457] Weise bekundet hatte (ebenda S. 304). Seine Jugend hatte ihn den Werth des Geldes kennen gelehrt.

Mit gewohntem Eifer nahm er sofort nach der Heimkehr seine Dienstgeschäfte wieder auf, und länger als zehn Jahre hat er sie in vollem Umfange noch fortgeführt. Die Erweiterung der Reichsgrenzen, die Vergrößerung des Heeres, das damit verbundene Anwachsen des Generalstabes und seiner Aufgaben, die Bearbeitung des Geschichtswerkes über den letzten Krieg, an welcher wie an der nämlichen Arbeit nach 1866, M. sich lebhaft betheiligte, und manches Andere nahmen ihn in Anspruch bis an die Grenzen seines Vermögens. Damals aber glaubte er, den Pflichten seines Amtes nicht mehr genügen zu können. Am 12. November 1881 bat er um den Abschied. Der König erwiderte am 27. December, daß er darauf, weder jetzt, noch überhaupt jemals eingehen könne, entlastete ihn aber nach Möglichkeit, indem er ihm den Generalmajor Graf Waldersee als Generalquartiermeister beigab, den M. als für die Stellung als meistgeeignet bezeichnet hatte. Dieser übernahm den größten Theil der laufenden Geschäfte, in wichtigen Fällen traf M. die Entscheidung, auch nahm er regelmäßig an den Kaisermanövern und an den Uebungsreisen des Großen Generalstabes theil. Mit großer Pflichttreue wohnte er daneben stets den Verhandlungen des Reichstages und denen des Herrenhauses bei, in welches er 1872 berufen war und dessen Sitzung er noch an seinem Todestage besucht hatte. In den Versammlungen sprach er selten und obgleich ihm bei seiner umfassenden Bildung kaum ein Thema der Verhandlungen fremd war, immer nur über Gegenstände, die auf seinen militärischen Beruf Bezug hatten; wenn er aber das Wort ergriff, so geschah es unter vollster Aufmerksamkeit der Häuser und nie ohne tiefen Eindruck zu machen. Erst als Kaiser Wilhelm II. den Thron bestiegen hatte, schied er aus seiner Dienststellung. Das Abschiedsgesuch, welches er einreichte, war damit begründet, daß er nicht mehr felddienstfähig sei. Am 10. August 1888 wurde es genehmigt, gleichzeitig aber wurde M. zum Vorsitzenden der Landes-Vertheidigungscommission ernannt, als deren Mitglied er bisher schon thätig gewesen war und deren Arbeiten er ein besonderes Interesse entgegenbrachte. Er blieb in seiner Wohnung im Generalstabsgebäude, in welcher er einen großen Theil des Jahres verlebte und in der er gestorben ist. Den Sommer brachte er wie früher in Creisau zu. Nach dem Tode seiner Gemahlin hatte zunächst seine Schwester und Schwiegermutter ihm eine Häuslichkeit bereitet, als sie gestorben war, wurde sie durch einen Brudersohn, der im J. 1906 gleich dem Oheim Chef des Generalstabes wurde, und dessen Gattin ersetzt. In ihrem Beisein schied er am Abend des 24. April 1891, ohne krank gewesen zu sein, sanft und schmerzlos, aus dem Leben.

Moltke’s Charakter- und Geisteseigenschaften sind durch den Bericht über seine Laufbahn hinreichend gezeichnet. Sie zeugt auf jeder Stufe für seinen Verstand, seinen Fleiß, seine Pflichttreue und die Festigkeit seines Willens. In der Politik war er conservativ ohne vernünftigem Fortschritte zu widerstreben und den Forderungen der Zeit sein Ohr zu verschließen; in kirchlichen Dingen war er duldsam, aber ein gläubiger Christ, überzeugt vom Walten Gottes auf Erden, von der Gewißheit eines ewigen Lebens und von der Wiedervergeltung nach dem Tode. Den Krieg betrachtete er als ein Uebel, aber als ein nothwendiges, das nie verschwinden werde aus der Welt. Für die bildende Künste, für Poesie und für Musik hatte er Sinn und feines Verständniß. Zu seiner umfassenden Bildung gehörten ausgezeichnete Sprachkenntnisse. Er sprach und schrieb Deutsch, Dänisch, Französisch, Englisch, Italienisch und Türkisch.

[458] Seinen Namen tragen ein Fort bei Straßburg, das Schlesische Füsilierregiment Nr. 38 und ein Schiff der kaiserlichen Marine. Der vielfachen sonstigen bei seinen Lebzeiten ihm gewordenen Auszeichnungen sowie der ihm gewidmeten Denkmäler Erwähnung zu thun ist hier nicht der Ort, eben so wenig braucht seine äußere Erscheinung gezeichnet zu werden.

Die Hauptquelle zur Kenntniß Moltke’s sind seine in acht Bänden erschienenen Gesammelten Schriften und Denkwürdigkeiten (Berlin 1891/2), sowie, vom Großen Generalstab herausgegeben, Moltke’s militärische Correspondenz während der Kriege von 1864, 1866 und 1870/71. – Von den zahlreichen Lebensbeschreibungen sind die bedeutendsten die von Oberstlieutenant Dr. M. Jähns (drei Bände, 1894–1900) und die von Oberst Bigge (zwei Bände), 1901.