ADB:Canitz und Dallwitz, Karl Freiherr von

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Artikel „Canitz und Dallwitz, Karl Wilhelm Ernst Freiherr v.“ von Julius von Hartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 757–759, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Canitz_und_Dallwitz,_Karl_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 06:03 Uhr UTC)
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Canitz und Dallwitz: Karl Wilhelm Ernst Freiherr v. C u. D., wurde 17. November 1787 in Cassel geboren, wo seine Mutter, eine geborene v. Haudring aus einem altritterlichen, jetzt ausgestorbenen Geschlechte ihre Heimath hatte. Der Vater besaß Güter bei Strehlen in Schlesien, war aber eine Zeit lang Hofmarschall am Casseler Hofe. Getragen von Familienerinnerungen – seine beiden Großväter, Canitz und Haudring, waren auf dem Schlachtfelde gestorben – hatte C. den Wunsch Soldat zu werden. Der Vater widerstrebte, drang auf den Besuch der Universitäten Marburg und Göttingen. Erst als dort die Studien absolvirt waren, 1805 auch der Vater gestorben war, trat C. in die preußische Armee. Die Niederlage von Jena vermochte nicht, ihn davon zurückzuhalten. Im März 1807 zum Lieutenant im Regiment Towarszycz befördert, wurde er in der Schlacht bei Heilsberg am 10. Juni verwundet, zugleich aber wegen seiner Bravour durch Verleihung des Ordens pour le mérite ausgezeichnet. Die Neuformationen des J. 1808 theilten das alte Regiment in das westpreußische und das schlesische Ulanen-Regiment. C. wurde dem letzteren überwiesen. Im Februar 1812 in den Generalstab versetzt, hatte er Theil am Feldzuge gegen Rußland. General York schickte ihn am 3. Dec. nach Wilna und war er es, der von dort zuerst am 8. des Monats ausführliche und dem Augenschein entnommene Nachrichten über die Auflösung der französischen Armee nach Mitau brachte. (S. Droysen[WS 1]: Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg, 1854.) Seine Schilderungen blieben nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen York’s, noch mehr aber wirkte sein lebendiger Enthusiasmus für dieselben inmitten der in ihren Stimmungen mannigfach gefärbten Officierkreise. – Die Feldzüge 1813 und 1814 finden C. zunächst als preußischen Generalstabsofficier im Stabe des russischen Obersten v. Tettenborn auf dessen Zug nach Hamburg; dann vom Waffenstillstande an im York’schen Corps, mit dem er an der Katzbach und bei Möckern focht. Er wurde rasch befördert, 1813 im Waffenstillstande zum Hauptmann, 1815 zum Major. Ende 1821 wurde er zum ersten Adjutanten des Prinzen Wilhelm, Bruder des Königs, ernannt. Mit dem ritterlichen Herrn gewann C. die innerlichsten Beziehungen, ebensosehr mit seiner Gemahlin, der Prinzeß Marianne, der geistig angeregten Freundin Stein’s. Zugleich wurde er als Lehrer an die Kriegsschule (jetzt Kriegsakademie) berufen. Die belebten, auf eine reiche, mit Verständniß gesichtete Erfahrung begründeten Vorträge gewannen sich die Dankbarkeit der Schüler; sein damals nicht unter seinem Namen erschienenes Werk: „Nachrichten und Beobachtungen über die Thaten und Schicksale der Reiterei in den Feldzügen Friedrichs II. und in denen neuerer Zeit“, 2 Bde., 1823–24, fand die günstigste Aufnahme. Nach Ausbruch des russisch-türkischen Krieges 1828 wurde C. nach Constantinopel entsendet. Man war nicht zufrieden mit den von der dortigen Gesandtschaft eingehenden Berichten, wünschte auch ein militärisch gebildetes Auge dem Kriegsschauplatze nahe zu haben. Erst 1829 kehrte C. zurück, wurde zum Oberst, sodann zum Chef des Generalstabes beim Garde-Corps und bald darauf zum Commandeur des 1. Leib-Husaren-Regiments in Danzig ernannt. Die polnische Insurrection rief auch von Seiten Preußens militärische Maßnahmen hervor. Das Regiment war im December 1830 an die Grenze gerückt; C. erhielt den Befehl, sich als militärischer Vertreter Preußens ins russische Hauptquartier zu begeben. Seine von dort erstatteten Berichte wurden in Berlin sehr gewürdigt, zugleich aber erwarb er sich die Gunst der beiden nach einander commandirenden russischen Heerführer, Diebitsch und Paskiewitsch. Durch sie dem Kaiser Nicolaus genannt, wurde er auf ausdrücklichen Wunsch desselben nach Petersburg geschickt. Bald nach seiner Rückkehr erging an C. der Ruf, den Gesandtschaftsposten in Cassel zu übernehmen. Es war ein Vertrauensposten; die nahe Verwandtschaft [758] der Kurfürstin mit dem Könige – sie war dessen Schwester – und die gerade sie berührenden verwickelten Verhältnisse des Hofes forderten besondere Berücksichtigung. Gleichzeitig beim Hofe in Hannover accreditirt, siedelte er dorthin über, als die Personal-Union mit England gelöst wurde und Ernst August in Hannover seine Residenz nahm, 1837. Der König begrüßte den zum Generalmajor beförderten C. besonders freundlich, fand bei ihm indessen für seine Maßnahmen nicht alle die Billigung, welche er erwartete. Den freimüthigen Aeußerungen des Gesandten folgte bald entschiedene Ungnade. Mittlerweile hatte aber auch in Berlin der Thronwechsel vom J. 1840 stattgehabt. Canitz’s ganze Persönlichkeit, sein dem Idealen zugewandter Sinn, seine subjectiv-lebendige, positiv-gläubige, auf innersten Erfahrungen beruhende Religiosität, seine politische Richtung, die einer Entwicklung der bestehenden Verhältnisse und Verbindungen zugewandt war, in der Uebertragung fremd scheinender Repräsentativ-Formen kein Heil erblicken wollte, gewannen ihm die ganze Sympathie Friedrich Wilhelms IV. Und das um so mehr, als der Erscheinung des Generals das fein angelegte Gepräge edler, lauterer Wahrhaftigkeit aufgedrückt war. Der König schickte C. 1841 als Gesandten nach Wien, wo vor allen anderen Orten ein auf gegenseitigem Verständniß beruhendes Zusammengehen gesucht werden sollte. Obgleich er nun auch beim Fürsten Metternich Werthschätzung und Vertrauen fand, so konnte C. doch die Weise, wie in Wien die vom Könige mit wärmster Pietät gepflegte Hinneigung zum Kaiserhause als eine Gebundenheit an Oesterreich aufgefaßt wurde, nicht zu der von ihm vertretenen Politik machen. Er wünschte vielmehr den Beruf Preußens zu einer lebhafteren Initiative in den deutschen Angelegenheiten zur Anerkennung zu bringen; ein Streben, das nicht selten unangenehm berührte und verstimmte. Im Spätsommer 1845, nach dem Tode des Ministers v. Bülow[WS 2], wurde C. das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten übertragen. Es war eine Zeit der mannigfachsten Bewegung. C. wollte das Uebergewicht Preußens in Deutschland auf seine eigene Entwicklung im Innern begründet sehen. Auf das eingehendste beschäftigten ihn die Berathungen über Verfassungsangelegenheiten. Eine auf ständischer Gliederung beruhende Monarchie mit erweiterten Rechten aller Stände galt ihm als das für Preußen zu erstrebende Ziel. Die Vereinigung der Provinzialstände zum Vereinigten Landtage 1847 erschien ihm dazu ein Anfang, dem die weitere Entwicklung unweigerlich folgen würde. Hierfür nach beiden Seiten hin Anerkennung zu gewinnen, blieb die schwere ungelöste Aufgabe. Auch von außen wurde die Ruhe Preußens bedroht. Im Osten berührte der im Freistaate Krakau ausgebrochene Aufstand die slavischen Provinzen. Das Einschreiten der drei Schutzmächte, Rußland, Oesterreich und Preußen, wurde unerläßlich. Die in Wien 6. Nov. abgeschlossene Uebereinkunft überantwortete Stadt und Gebiet Krakau an Oesterreich. Der schlesische Handel schien schwer geschädigt; es erhoben sich laute Stimmen gegen den Minister. Er mochte auch unter dem eigenthümlichen Zauber des königlichen Einflusses dem Metternich’schen Streben nicht entschieden genug widerstanden haben. Im Süden zogen die Schweizerwirren das dem Königshause unterthänige Neuenburg in unmittelbare Mitleidenschaft. Oesterreich warb mit drängendstem Eifer um gemeinsames Interveniren bei Frankreich und Preußen. C. zögerte; der König fühlte sich als Fürst von Neuenburg in seinen eigensten Rechten gekränkt. Der Sonderbundskrieg kam den Plänen Metternich’s und Guizot’s zuvor. Die von Oesterreich, Frankreich und Preußen unterzeichnete Note an die Bundesregierung vom 22. Jan. 1848 gewann keinen Einfluß mehr. Die Februar-Revolution in Paris war vor der Thür. Die Bewegung der Berliner Märztage bewog auch C. mit den andern Ministern am 18. sein Portefeuille dem Könige zurückzugeben. Er lebte dann ganz zurückgezogen, [759] bis daß er, schon seit 1844 zum Generallieutenant avancirt, im Februar 1849 nach Düsseldorf als Divisions-Commandeur geschickt wurde. Der Gang, den die deutsche Entwicklung genommen, hatte ihn dann an die Spitze einer Ende April bei Wetzlar concentrirten, zum Einrücken ins Großherzogthum Baden bestimmten Truppenabtheilung gestellt, als eine auf ihn gefallene Wahl zur ersten Kammer seine Berufung nach Berlin zur Folge hatte. Dort wurden die den engern Bundesstaat anstrebenden Verhandlungen gepflogen und das Ministerium Brandenburg wußte keinen geeigneteren Vertreter zur Geltendmachung seiner Wünsche nach Wien zu entsenden, als den frühern Gesandten beim Kaiserhofe. C. fand daselbst unter dem Eindrucke der günstigen Wendung, welche die Dinge in Ungarn genommen, entschiedene Abweisung der preußischen Pläne. Mit seiner Rückkehr nach Frankfurt a/O. versetzt, ergriff ihn im Spätherbst des Jahres die Krankheit, welcher am 25. April 1850 die Constitution des kräftigen Mannes erlag. Die Bitterkeiten, mit denen die letzten Jahre an ihn herangetreten waren, fanden nicht die Widerstandskraft, die ihnen rohere Naturen entgegen zu setzen vermochten. C. ist vielfach als einer der Träger jener Orthodoxie genannt worden, die unter Friedrich Wilhelm IV. Einfluß auf die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten gewann. Und doch war er gerade dieser Richtung entschieden fremd. Das Anstreben besonderer Correctheit im confessionellen Bekennen widerstrebte ihm. Getragen von einem subjectiv gepflegten Glauben, war seinem Handeln ein eigenthümlicher Reiz von Selbstlosigkeit und Reinheit gegeben; in die Formen äußerer Erscheinung trat seine religiöse Richtung wenig. Zur Zeit seiner Mission in Hannover schrieb er anonym unter dem Titel: „Betrachtungen eines Laien über das Leben Jesu von Strauß“, Göttingen 1837. Er wollte das Erfahrungsleben seines Glaubens auseinandersetzen mit den wissenschaftlich-kritischen Erörterungen des in seine Forschungen versenkten Gelehrten.

C. hatte eine sehr geliebte Gattin, geb. v. Schmerfeld, früh verloren. Die an Geist und Herz sehr ausgezeichnete Wittwe eines Bruders führte sein Hauswesen und stand ihm geistig sehr nahe. Seine Söhne haben in der preußischen Diplomatie und in der Armee seinen Namen ehrenvoll vertreten.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist hier: J. G. Droysen
  2. Bülow trat zu dem Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen zurück, er starb erst im Februar 1846.