ADB:Vincke-Olbendorf, Karl Freiherr von
Georg’s v. V., bekannt geworden besonders als Vertrauter des Prinzen von Preußen, wurde am 17. April 1800 in Minden geboren. Anfangs auf dem Mindener Gymnasium erzogen, trat er im April 1817 bei der Gardeartillerie ein. Beim Besuch der Kriegsschule (1822–1824) wurde er mit dem jungen Prinzen Wilhelm bekannt. 1824 zur trigonometrischen Abtheilung des Generalstabes commandirt, war er in dieser Stellung mehrere Jahre bei der Triangulation von Schlesien und Posen thätig. Als ausgezeichneter Officier befunden, wurde er 1829 in den Generalstab versetzt. 1832 kam er als Hauptmann zum Generalcommando des 6. Armeecorps. 1837 erhielt er mit den Hauptleuten Fischer und v. Mühlbach ein Commando zur Organisation und Ausbildung der türkischen Armee nach Constantinopel. Er langte dort am 27. August mit den Gefährten an und man vereinigte sich mit dem bereits seit einem Jahre daselbst weilenden Hauptmann Hellmuth v. Moltke. Seine Gattin, von der er sich anfangs auf zwei Jahre trennen sollte, folgte ihm nach. Als Rangältester übernahm V. die Gesammtleitung. Seine Aufgabe wurde ihm durch die Unfähigkeit, den Schlendrian und den Argwohn der Türken auf das äußerste erschwert. Trotzdem gelang es ihm sie auf das beste zu bewältigen. Anfangs machten die vier die Arbeit in Constantinopel gemeinschaftlich. Später wurden die drei jüngeren Hauptleute zu Sendungen verwandt, während V. in Constantinopel zurückblieb. Im December 1838 begab auch er sich, seine Gattin in Constantinopel zurücklassend, auf Befehl des Sultans nach Angora, um dort dem Muschir Izzet Mehmed Pascha bei der Bildung eines Armeecorps aus Landwehr (Redifs) Hülfe zu leisten. Ein Zettel von Moltke setzte ihn in Kenntniß von der Niederlage der Türken bei Nisib. Sofort beförderte er die Nachricht nach Constantinopel. Seine Meldung war die erste, die die Pforte über den Unglücksfall erhielt. Gegen Vincke’s Rath führte Izzet Pascha seine Truppen der zurückweichenden Armee entgegen. V. suchte wenigstens dem drohenden Verhängniß während des Marsches vorzubeugen, wurde aber, wie dies öfter klugen Officieren in ähnlicher Lage von ungebildeten Heerführern widerfahren ist, von dem Pascha beschimpft. Er trennte sich nun von diesem, traf zehn Tage nach der Nisiber Schlacht, am 4. Juli 1839 in Albistan, zwanzig Meilen nördlich von Nisib, freudig begrüßt mit Moltke, Mühlbach und dem Artilleriehauptmann Laue zusammen und begab sich mit diesen zu dem geschlagenen Hafisz Pascha, der sie freundlich empfing. Einige Tage hielt man sich in Asbusu bei Malatia auf, als die Nachricht vom Tode Sultan Mahmud’s und der Thronbesteigung Abdul Medschid’s eintraf. Zugleich erhielten die Officiere die Erlaubniß des neuen Sultans nach Constantinopel zurückzukehren. Dort angelangt fand V. den Befehl des Königs vor, heimzukehren. Am 9. September 1839 verließ er mit seiner Frau, Moltke, mit dem er sich in diesen Jahren besonders befreundete, und Mühlbach Constantinopel. Unterwegs erkrankte Moltke bedenklich und Frau v. V., die schon vorher einmal den erkrankten Hauptmann Fischer in Constantinopel in der aufopferndsten Weise gepflegt hatte, während ihr Gatte noch in der Ferne weilte, wurde zum zweiten Mal Krankenpflegerin des „orientalisch-preußischen Generalstabes“. [757] Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalt in Pest ging es nach Preßburg, wo Moltke liegen blieb. Am 31. October reiste man mit ihm nach Wien, wo man ihn zurücklassen konnte. Am 19. November traf V. mit Frau in Breslau ein. Im April 1840 zum Major ernannt, kam er in den Generalstab des Gardecorps. Ueber seinen Aufenthalt im Orient hat er einen eingehenden Bericht an den Chef des Generalstabes erstattet, der mit denen Moltke’s und Fischer’s vereinigt unter dem Titel „Die militärische Sendung der drei Kgl. Preuß. Generalstabsoffiziere nach der Türkei in den Jahren 1837–1839“ im Kriegsarchiv des Großen Generalstabes aufbewahrt wird. Eine andere Frucht seines Aufenthaltes im Orient war die von ihm im Verein mit Fischer, Moltke und Kiepert herausgegebene musterhafte Karte von Klein-Asien und Türkisch-Armenien.
Vincke: Karl Freiherr v. V., gewöhnlich V.-Olbendorf genannt, ein VetterBald darauf (1841) kaufte er die Herrschaft Olbendorf bei Grottkau im Strehlener Kreise. 1843 schied er mit Urlaub auf unbestimmte Zeit aus dem activen Dienst, um sich der Bewirthschaftung seines Gutes zu widmen. Ende 1844 schrieb er die kleine Schrift: „Ueber Kommunal- und Polizeiverwaltung in den Landgemeinden Niederschlesiens“ (Breslau 1845), in der er sich als ein liberal gesinnter Mann zeigte. Varnhagen, mit dem er gut bekannt war, schickte sie umgehend mit einem Empfehlungschreiben an die Vossische Zeitung. Bei Zusammentritt des Vereinigten Landtages, dem er nicht angehörte, erschien V. in Berlin und gewann Fühlung mit vielen liberalen Männern, denen er eine neue Schrift: „Die Patrimonial- und Polizeigerichtsbarkeit auf dem Lande in den östlichen Provinzen des preußischen Staats“ überreichte. Zunächst war sie nur als Manuscript gedruckt. Sie kam in der Herrencurie als Grundlage einer Petition zur Sprache. Noch in demselben Jahre wurde sie in zweiter Auflage dem Buchhandel übergeben (Breslau 1847), eine der wenigen Flugschriften, deren Verfasser genannt war, noch dazu mit dem Vermerk „Kgl. Preuß. Major, aggregiert dem Generalstabe“. V. erörterte darin mannichfache Mängel der Patrimonialgerichtsbarkeit und machte Vorschläge, wie ihnen abzuhelfen sei, ohne so weit wie ein Freiherr v. Putlitz gehen zu wollen, der in einer 1843 erschienenen Schrift für Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit eingetreten war. Der Hauptvorschlag war die collegiale Einrichtung der Gerichte. Der Abschnitt über die Reform der Polizeigerichtsbarkeit war beeinflußt durch eine der vielen trefflichen Denkschriften des Oberpräsidenten v. V. über „Die innere Verwaltung Großbritanniens“ und die darin enthaltenen Ausführungen über die Friedensrichter. Diese wurde der Schrift im Anhange beigegeben.
Seit 1841 stand V. mit dem Prinzen von Preußen in mündlichem und schriftlichem Verkehr; der Prinz lieh der Aeußerung liberaler Ansichten stets ein offenes Ohr. Diese Vertrauensstellung führte es herbei, daß V. dem Prinzen in schwerer Stunde einen bedeutsamen Dienst leistete. Als Friedrich Wilhelm IV. am Abend des 19. März 1848 dem Prinzen Wilhelm befohlen hatte, von Berlin fort, nach Rußland zu gehen, da der Haß gegen ihn sich zu deutlich ausspreche, verschaffte ihm V. eine Equipage, mit der der Prinz und die Prinzessin nach dem Karlsbade zum damaligen Regierungsrath v. Schleinitz fuhren, V. als Dritter auf dem Bediententritt. Bei Schleinitz wechselte V. mit dem Prinzen die Kleider; sogar seine ungespornten Stiefel mußte er ihm abtreten. V. bewog ihn nun nicht nach Rußland, sondern nach England zu gehen, ohne daß vorher mit dem Könige Rücksprache genommen war. Nachher mußte er dem Könige von dem geänderten Entschluß des Prinzen mittheilen und seine nachträgliche Zustimmung erwirken. Noch in der Nacht fuhr der Prinz mit V. nach Spandau. Dann zum König zurückkehrend eilte er dem Prinzen nach Hamburg nach und hatte dort noch eine mehrstündige bewegte Unterredung mit ihm. V. war es denn auch, der durch eine öffentliche Erklärung dem Prinzen den Weg zur Rückkehr [758] ebnete, sodaß der schwergeprüfte Prinz am 7. Juni 1848 wieder ungehindert nach Potsdam kommen konnte. V. selbst verfiel infolge der bewegten Ereignisse in einen Zustand krankhafter Aufregung, von dem er sich jedoch bald wieder erholte. Mit dem Prinzen von Preußen aber war er seitdem fürs Leben verbunden.
Seinen Verkehr mit dem Schwätzer Varnhagen setzte er fort, ohne zu ahnen, wie unwürdig dieser Mann seines Umgangs war. Ihm gab er auch eine neue kleine Druckschrift von sich über „Gemeindeverfassung“ zu lesen, die jenem recht „aristokratisch“ vorkam. Als er dann seinem Unmuthe über das unwürdige Gebahren der Abgeordneten im Schauspielhause Luft machte, schalt ihn Varnhagen einen Reactionär, der auf die Militärherrschaft hinsteuere. Doch wünschte V. wie im vorigen Jahr sein Vetter die Abdankung des Königs. In den folgenden Jahren, in denen die conservative Partei die herrschende wurde, kehrte V. wieder sehr seine liberalen Ansichten hervor, sodaß eine Erkältung seiner Beziehungen zum Prinzen von Preußen eintrat. Schon 1848 als Stellvertreter in die deutsche Nationalversammlung gewählt, aber nicht einberufen, trat er 1849 in die preußische Erste Kammer, der er bis zur Bildung des Herrenhauses (1854), mit der er sehr wenig einverstanden war, angehörte. Auch war er Mitglied des Erfurter Parlamentes (1850). In seiner parlamentarischen Zeit hat er im ganzen selten und meist nur bei einigen wenigen bestimmten Berathungsgegenständen das Wort ergriffen und im Gegensatz zu seinem Vetter Georg v. V. wenig Redegabe entwickelt, obwol man ihm stets gern zugehört hat. Immerhin ist er ein einflußreicher Parlamentarier gewesen, wie er denn, nachdem er um 1850 seinen förmlichen Abschied als Oberstlieutenant genommen hatte, sich ganz der Politik widmete. Nach Schaffung des Herrenhauses dachte er daran sich in das Abgeordnetenhaus wählen zu lassen. Doch unterblieb dies vorläufig. Sein alter Freund Moltke, der früher von Vincke’s politischen Ansichten nichts erfahren hatte, weil in jenen stillen Jahren „niemand in Preußen eine politische Meinung hatte“, schrieb damals an den nunmehrigen General Fischer: „Es ist recht gut, daß V. aus den Kammern herausbleibt. Ich glaube, er hat sich in seinen oppositionellen Ansichten doch sehr verrannt“. Moltke fühlte sich gelegentlich veranlaßt, sich energisch dagegen zu verwahren, daß er für einen Gesinnungsgenossen Vincke’s gehalten werde, indem er im übrigen mit dem Freunde in engem Verkehr blieb. In ein nahes Freundschaftsverhältniß trat V. in dieser Zeit mit Theodor v. Bernhardi. Er vermittelte diesem den Zugang zum Prinzen und der Prinzessin von Preußen. Mit Bernhardi besprach er (1857) den Plan der Gründung einer constitutionellen Zeitschrift, der „Preußischen Jahrbücher“, an der er pecuniär stark betheiligt war. Bei Beginn der Stellvertretung trat er dem Prinzen Wilhelm wieder näher. In der Bewegung wegen der Wahlen zum Abgeordnetenhause im Sommer 1858 war er eifrig in Schlesien mit den Führern der liberalen Partei (Wentzel, Carlowitz, Milde, Dyhrn, Yorck u. a.) thätig und sprach sich dabei erfolgreich gegen den Gedanken eines Zusammengehens mit den Demokraten aus. Er selbst wurde in Strehlen und Breslau aufgestellt. Für den Wahlkreis Brieg-Ohlau-Strehlen ist er bis zu seinem Tode ununterbrochen der Vertreter im Abgeordnetenhause gewesen. Mit besonderer Freude begrüßte er den Eintritt der Regentschaft, weil er von der Stellvertretung ein Verblassen der Volksthümlichkeit des Prinzen befürchtet hatte. Durch ihn erhielt der Prinz noch vor dessen Veröffentlichung von dem Programm der liberalen Partei Kenntniß. Zugleich beeinflußte V. ihn in seiner Auffassung über die bureaukratischen Maßnahmen des Ministeriums Manteuffel. Die italienische Kriegsgefahr nahm V. leicht. Gefährlicher schien ihm der Ausblick in die Zukunft [759] wegen der Gestaltung der deutschen Frage. Es stand für ihn fest, daß Preußen sowol die auswärtige Politik als die Militärmacht des Bundes ganz in die Hand bekommen müsse. Er strebte nach einem Anschluß seiner schlesischen Freunde an den Nationalverein und suchte auf alle Weise Propaganda für die Einheitsbewegung zu machen. Der kühldenkende, scharfblickende Bernhardi hielt es für praktischer, lediglich die eigene Regierung im Fortschreiten zu unterstützen; dann würde sich Alles von selbst machen. V. glaubte, daß dann die Demokraten die Sache in die Hand nehmen würden. Doch gab er schließlich Bernhardi recht. Bei den Berathungen der Militärgesetze versteifte sich V. anfänglich ganz wie sein Vetter auf einen hartnäckigen Widerspruch. Seine Hauptforderung war die der zweijährigen Dienstzeit. Vergeblich suchte ihn Bernhardi zu belehren. Der Prinzregent, der mißmuthig äußerte, daß V. auch von dem allgemeinen Schwindel angesteckt sei, gab ihm zu verstehen, daß er vor der Alternative der Kammerauflösung oder der Thronentsagung stehe. Den Gedanken der Abdankung redete ihm V. jedoch energisch aus, indem er ihm und der Prinzessin auseinandersetzte, welche Verwirrung dann entstehen würde. Dem Einfluß des Herzogs von Coburg und Bernhardi’s gelang es endlich, V. zum Nachgeben in der Militärfrage zu bewegen. Ende 1860 war er für die neue Organisation gewonnen. Zum Unglück erkrankte er in dieser Zeit, sodaß er seinen Einfluß nicht geltend machen konnte. Indeß unterzeichnete er im October 1861 wieder einen Aufruf, in dem ein Zusammengehen mit den Demokraten bei den Wahlen in Aussicht gestellt wurde. Er ahnte gar nicht, was für einen verhängnißvollen Fehler er damit beging, wie er sich denn überhaupt sehr widerspruchsvoll in den ganzen folgenden Verhandlungen benahm. Der Anfang der Bismarck’schen Politik erfüllte ihn mit den schwersten Besorgnissen. Er fühlte sich berufen, dem König in seinem Glückwunsch zum Neuen Jahr 1863 seine Gefühle auszusprechen: „Eure Majestät sind über die Stimmung des bei weitem größten Theiles des Volkes getäuscht“. Dies halte fest an dem Recht, welches ihm der Artikel 99 der Verfassung unzweideutig gewähre. Der König antwortete ihm darauf sofort in einem längeren, tiefbewegten Schreiben: „Daß aber auch Sie in das Horn stoßen, daß Ich nicht die Stimmung des Volkes kenne, ist Mir unbegreiflich. Ich möchte wissen, wie viele Menschen im Volke den § 99 kennen. Das ist aber einerlei. Wer hat denn aber die Ausführung des Paragraphen unmöglich gemacht?“ Zu guterletzt bekehrte sich V. jedoch dauernd und vollständig in der Militärfrage. Die Haupturkunde darüber ist seine im September 1864 zu Olbendorf verfaßte Schrift: „Die Reorganisation des preußischen Heerwesens nach dem Schleswig-Holsteinschen Kriege“ (Berlin, 90 S.). Darin setzte er in sachlicher, ruhiger Weise die Verhältnisse auseinander, trat der Ueberschätzung der Landwehr entgegen, wies auf die von Frankreich drohenden Gefahren und betonte vor allem, daß die dreijährige Dienstzeit sich im eben beendeten Kriege im Gegensatz zu der mangelhaften Ausbildung der Dänen glänzend bewährt habe. 1865 verlor er seine Gemahlin, Rosalie geb. v. Schulze, durch den Tod. 1862 schloß er sich der neugebildeten altliberalen Partei seines Vetters Georg v. V. an. Dies geschah auch im Reichstage des Norddeutschen Bundes, in den er 1866 und 1867 gewählt wurde. Er starb zu Berlin am 18. Mai 1869 infolge eines Herzleidens. Sein Tod berührte den König auf das schmerzlichste. Er hinterließ zwei Adoptivkinder, leibliche Kinder seines Bruders Philipp, Hermine, verheirathet an den General v. Stiehle, und Franz, vermählt mit der Tochter des Oberpräsidenten von Schleswig-Holstein, Freiherrn v. Scheel-Plessen.
- Stenographische Berichte. – Die genannten Schriften. – Aus dem Leben Theodor v. Bernhardi’s II–IV. Leipzig 1893–1895. (Sehr ausführlich über den Militärstreit.) – Graf Moltke, Gesammelte Schriften V u. [760] VIII. – Leopold v. Gerlach, Denkwürdigkeiten I. Berlin 1891. – Varnhagen, Tagebücher. – L. Schneider, Aus dem Leben Kaiser Wilhelm’s I, 193–196. Berlin 1888. – Ferd. Schmidt, Kaiser Wilhelm, Erklärung Vinckes 1848. – Der Briefwechsel mit König Wilhelm dürfte umfangreich und zweifellos von höchster Wichtigkeit sein.