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Artikel „Seidler, Louise“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 642–645, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seidler,_Louise&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 04:24 Uhr UTC)
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Seidler: Louise S., Malerin, geboren zu Jena am 15. Mai 1786 als Tochter des Universitätsstallmeisters S., † zu Weimar am 7. October 1866. Unter der Obhut ihrer Großmutter, der Wittwe des fürstlich Eisenach- und Weimarischen Oberconsistorialrathes Johann Wilhelm S., verflossen ihr die ersten Jugendjahre bei heiterem Spiel und Scherz, während doch auch auf ihren Unterricht die größte Sorgfalt verwendet wurde. Sie lernte schon als Kind Zeichnen und erfreute sich in der Musik der Unterweisung tüchtiger Lehrer. Nach dem Tode der Großmutter wurde sie zu ihrer weiteren Ausbildung in das Pensionat der Doctorin Stieler nach Gotha gebracht. Hier schloß sie sich eng an Fanny Caspers an, jenes Mädchen, das in späteren Jahren in der Lebensgeschichte des berühmten Bildhauers Thorwaldsen eine so bedeutende Rolle zu spielen berufen war. Wichtig wurde für sie der Zeichenunterricht des Bildhauers Döll, der nach elfjährigem Aufenthalt in Rom nach Gotha zurückgekehrt war. Louise berichtet, daß durch ihn zuerst die Liebe zur Kunst in ihr erweckt worden sei. Nach dreijähriger Abwesenheit in Gotha empfand sie die Ruhe des väterlichen Hauses in Jena und den vertrauten Umgang mit gleichaltrigen Freundinnen doppelt angenehm. Sie hatte das Glück, als vollberechtigtes Mitglied in den geistig hochstehenden Kreisen Jenas, wo damals Männer wie die beiden Schlegel, Tieck, Schelling, Hufeland, Loder und Gries lebten, verkehren zu dürfen. Sie gehörte zu den Vertrauten des Frommann’schen Hauses und hatte hier Gelegenheit, Goethe näher zu treten, der sich bald auf das wärmste für sie zu interessiren anfing. Die Ereignisse der Schreckensjahre 1806 und 1807 und die französische Invasion in Jena gingen auch an ihrem Leben nicht spurlos vorüber. Sie wurde die Braut eines zu Bernadotte’s Corps gehörigen Oberarztes, Namens Geoffroy. Das Schicksal aber verhinderte die Verbindung der beiden Liebenden. Geoffroy wurde nach Spanien abcommandirt und starb dort im Lazareth am Fieber. Um Louise aus dem Zustande dumpfen Hinbrütens, in den sie beim Empfang dieser Todesnachricht verfallen war, zu befreien, sandten sie die Eltern nach Dresden. Hier war es, wo sie angesichts der Kunstschätze der Galerie den Entschluß faßte, sich für immer der Malerei zu widmen. Da sich der Maler Professor Christian Lebrecht Vogel ihrer annahm, indem er ihr unentgeltlichen Unterricht ertheilte, machte sie nicht unbedeutende Fortschritte. Ihre Copie der [643] heiligen Cäcilie von Carlo Dolce war so gelungen, daß sie Goethe, der im J. 1810 auf der Rückreise von Karlsbad zehn Tage in Dresden verweilte, beim Gang durch die Galerie auffiel. Er erkundigte sich sofort nach der Urheberin, sprach ihr sein Wohlgefallen an ihrer Arbeit aus und lud sie beim Abschied zum Besuch in Weimar ein, wobei er ihr den Auftrag ertheilte, sein Porträt zu malen. Louise S. entledigte sich desselben während des Winters von 1810 auf 1811 (nach Zarncke, Kurzgefaßtes Verzeichniß der Originalaufnahmen von Goethe’s Bildnissen. Leipzig 1888, Nr. 36 wurde das Porträt erst im December 1811 vollendet) und hatte die Genugthuung, daß Goethe sich befriedigt über ihre Leistung aussprach. Während des Winters meistens in Weimar und Jena, arbeitete Louise in jenen Jahren im Sommer in Dresden, wo Gerhard v. Kügelgen sie eine Zeitlang mit Rath und That unterstützte. Im Winter des Jahres 1811 wandte sie sich nach Gotha, um den Herzog August und seine Gemahlin, die Herzogin Karoline Amalie, sowie die Prinzessin aus der ersten Ehe des Herzogs zu malen. Diese Lebensweise fand ein Ende, als die Mutter Louisens am 23. September 1814 starb. Louise mußte dem Vater fortan die Wirthschaft führen und zog daher zu ihm nach Jena, eifrig bemüht, über den neuen Pflichten ihren künstlerischen Beruf nicht zu versäumen. Zu Anfang des Jahres 1816 bestellte Goethe bei ihr die farbige Ausführung eines Cartons von Meyer, die von ihm für die Rochuscapelle bei Bingen bestimmt war. Diese Bestellung gab zu einem lebhaften Briefwechsel zwischen Goethe und Louise Anlaß. Die Künstlerin erwarb sich aufs neue die ganze Zufriedenheit des Dichters und hatte die Freude, daß der Großherzog Karl August ihr auf Goethe’s Verwendung ein Stipendium von 400 Thalern aussetzte, damit sie sich ein Jahr lang in München in ihrer Kunst weiter ausbilden könnte. So reiste denn Louise am 4. Juli 1817 über Nürnberg und Augsburg nach München, begleitet von einem Empfehlungsschreiben Goethe’s an den Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi. Von diesem freundlich aufgenommen, fand sie bald darauf auch in dem Hause Schelling’s Zutritt, wo sie unter anderen hervorragenden Männern auch den schwedischen Dichter Atterbom kennen lernte. Unter dem Einflusse des Akademiedirectors Langer und seines Sohnes Robert gewann ihre Kunst eine selbständigere Richtung. Langer hielt nicht viel vom Copiren und wies Louise auf das Studium der Natur, das sie bis dahin vernachlässigt hatte. Er verlangte von ihr die Composition einer Sybille, die ihr jedoch nicht recht gelingen wollte. Nebenbei fertigte sie für den Großherzog von Weimar auf Goethe’s Wunsch eine Copie nach einem in München befindlichen Porträt Raphael’s und für Goethe selbst eine Zeichnung nach dem die Kämpfe der Centauren und Amazonen darstellenden Fries vom Apollotempel zu Bassae bei Phigalia in Arkadien (vgl. Chr. Schuchardt, Goethes Kunstsammlungen. Jena 1848, I, 289, Nr. 676). Ein Schreiben von Henriette Herz aus Rom, mit der sie in München zusammengetroffen war, erregte den heißen Wunsch in ihr, Italien sehen zu dürfen. Sie übersandte den Brief Henriettens an ihren Vater, der ihn durch Vermittlung der Frau v. Heygendorf dem Großherzog Karl August zustellte. Dieser fühlte sich bewogen, der an ihn gerichteten Bitte der Künstlerin Gehör zu geben, und bewilligte ein abermaliges Geschenk von 400 Thalern, das im J. 1819 noch einmal wiederholt wurde, mit der Erlaubniß, diese Summe zum Studium in Rom zu verwenden. Hoch beglückt über diesen neuen Beweis landesväterlicher Huld von Seiten des Großherzogs, machte sich Louise S. am 20. September 1818 auf die Reise nach Italien, wo sie bis zu Johannis 1823 die glücklichste Zeit ihres Lebens verbringen sollte. Die Erzählung ihrer Erlebnisse in Italien und die Schilderung ihrer dort im Verkehr mit den deutschen Künstlern gewonnenen Eindrücke gehört wegen ihrer Schlichtheit und Anschaulichkeit [644] zu den anmuthigsten Berichten, die wir über die deutsch-römische Kunst zu Anfang unseres Jahrhunderts besitzen, und muß als eine der wichtigsten historischen Quellen für jene Epoche bezeichnet werden. Louise S. langte am 30. Oct. 1818 in Rom an und nahm ihre Wohnung in einem der üblichen Künstlerquartiere am Monte Pincio, wo damals außer Julius Schnorr v. Carolsfeld auch Johann und Philipp Veit wohnten. Bald war sie mit allen hervorragenden Malern und Bildhauern bekannt, die damals in Rom lebten und wirkten. Sie galt ihnen als eine ebenbürtige Genossin, durfte sich sowohl an ihren gemeinsamen künstlerischen Uebungen als an ihren geselligen Unterhaltungen betheiligen und fand auch bei Niebuhr und Frau v. Humboldt[WS 1] stets ein offenes Haus. Im Frühling 1819 unternahm sie einen Ausflug nach Neapel, von dem sie erst gegen Ende des Jahres wieder nach Rom zurückkehrte. Im Herbst des Jahres 1820 finden wir sie in Florenz. Sie hatte sich dorthin zurückgezogen, um sich von den vielen gesellschaftlichen Zerstreuungen in Rom zu erholen und Zeit zu einer größeren Arbeit zu gewinnen. Sie copirte für ihren Großherzog in der Galerie der Uffizien Raphael’s Madonna mit dem Stieglitz, welche Friedrich Preller für die beste ihm bekannte Copie erklärte, sowie die sog. Madonna del Gran Duca und die Madonna Tempi, welches Bild König Ludwig von Baiern im J. 1826 für die Pinakothek in München ankaufte. Im Spätherbst 1821 siedelte sie wieder nach Rom über. Hier entstand im April und Mai 1822 die Copie des Violinspielers, die sich jetzt im Raphaelsaale des Orangeriegebäudes zu Sanssouci befindet; gleichzeitig legte Louise Hand an an eine eigene Composition: „Die heilige Elisabeth, Almosen austheilend.“ Ihre Vollendung erfolgte erst nach der Rückkehr nach Deutschland, zu welcher sich die Künstlerin im J. 1823 infolge der Nachricht von der Erkrankung ihres Vaters genöthigt sah. Auf Goethe’s und Meyer’s Empfehlung wurde ihr in der Heimath der Zeichenunterricht bei den beiden weimarischen Prinzessinnen Maria und Augusta (später Gemahlin Kaiser Wilhelm’s I.) übertragen. Kurze Zeit nach ihrer Heimkehr starb ihr Vater. Die Künstlerin, die auf diese Weise wieder frei geworden war, gedachte nach Rom zurückzukehren, ließ sich aber in Weimar festhalten, als ihr im J. 1824 die Custodie der großherzoglichen Gemäldesammlung in Weimar anvertraut wurde. Seitdem blieb sie mit Ausnahme der auf einigen Reisen verbrachten Zeit bis an ihr Ende in Weimar, wo sie in allen Kreisen gern gesehen war und vielfach von vornehmen durchreisenden Personen aufgesucht wurde. Nach wie vor unterhielt sie einen lebhaften Briefwechsel, am interessantesten sind darunter die mit Philipp Veit und seiner Gattin Karoline, sowie mit Dorothea Schlegel gewechselten Briefe. An der Errichtung des sächsischen Kunstvereins durch Herrn v. Quandt hatte sie hervorragenden Antheil. Lediglich ihr Verdienst war es, daß Goethe für die Bestrebungen des sächsischen Kunstvereins ein reges Interesse an den Tag legte. Goethe’s Tod versetzte sie in tiefe Trauer; sie bewahrte ihm bis zu seinem Ende die wärmste Dankbarkeit für seine Förderung. Noch im Herbste desselben Jahres (1832) unternahm sie in Begleitung einer Frau v. Bardeleben eine zweite italienische Reise, die sie jedoch nur fünfviertel Jahr von Weimar fern hielt. Unter den nach Goethe’s Tod von ihr daselbst unterhaltenen künstlerischen Beziehungen war die zu Friedrich Preller, dem Maler der Odysseebilder, die wichtigste. Ihr verdankte sie einen neuen Aufschwung ihrer Kunst, die sich seitdem hauptsächlich auf die Herstellung von Heiligen- und Andachtsbildern richtete. Louise entfaltete eine große Fruchtbarkeit und hörte nicht auf zu schaffen, bis die zunehmende Erblindung ihr den Pinsel aus der Hand nahm. Sie starb zu Weimar am 7. October 1866. Das schönste Denkmal, das sie sich selbst gesetzt hat, ist ihre von Hermann Uhde herausgegebene Selbstbiographie, die unter dem Titel „Erinnerungen aus dem Leben der Malerin Louise Seidler“ [645] zu Berlin im J. 1874 erschien (2., umgearb. Aufl. ebd. 1875; vgl. Herm. Grimm, Fünfzehn Essays. 1. Folge. 3. Aufl. Berlin 1884. S. 288–309). Das Selbstporträt der Künstlerin s. Illustr. Ztg. Leipzig 1875, Bd. 61, S. 437.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Caroline von Humboldt (1766-1829), geb. v. Dacheröden, seit 1791 Ehefrau Wilhelms von Humboldt.