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Autor: Anonym (= Johann Nikolaus Becker)
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Titel: Ueber Mainz
Untertitel: In Briefen an Freund R.
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Erscheinungsdatum: 1792
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Erscheinungsort: Auf einer Rheininsel [= Frankfurt/Main]
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[1]
Ueber
Mainz.


In Briefen an Freund R.




Sine ira et studio.






Auf einer Rheininsel.
1792.


[2]

[3]
Erster Brief.

Mainz, am –     
Versprechen macht Schulden.
Mein Lieber!

Du wirst dich noch erinnern, daß ich bei unserm Abschiede mein Wort gab, dir von allen Abendtheuern, welche mir während meiner Reise durch die drei geistlichen Churfürstenthümer vorkommen würden, Rechenschaft zu geben. Doch hätte ich nichts versprechen sollen, denn ich habe nun auch einsehen gelernt, wie leicht man sich in Sachen irren kann, von denen man keine nähere Kundschaft hat. Darum muß ich die Hälfte meiner Zusage itzt schon zurücknehmen, um nicht ganz in den Verdacht einer Großsprecherei zu fallen. Von Trier und Cölln ist es mir unmöglich, dir auch nur eine Sylbe zu schreiben. Ich beschleunigte meine Reise, so viel nur möglich war, um endlich einmal [4] aus diesen Ländern zu kommen. Da ist fast kein einziger Gegenstand, der aufgezeichnet zu werden verdiente. Ich habe die sogenannte Eifel in der Runde durchstrichen, und ich glaube nicht viel übertrieben zu haben, wenn ich die ganze Strecke einem Sumpfe in einer schönen ländlichen Gegend vergleiche. Doch itzt bin ich in einer Stadt, die meine ganze Aufmerksamkeit an sich zieht, besonders da fast alle Reisebeschreiber wenig oder gar nichts davon gesagt haben. Dies finde ich um so nachlässiger, da sie ohne Zweifel eine der ersten in Deutschland ist, und sich hier dem Auge des Beobachters Gegenstände darbieten, die allerdings zur Menschen- und Völkerkunde ihr nicht kleines Scherflein beitragen können.

Du kannst dir also zum wenigsten über den andern Posttag auf Briefe von mir Rechnung machen, und ich glaube, es ist nicht zu viel gefodert, wenn du mir den dritten davon beantworten sollst. So viel Zeit kannst du leicht von deinen Geschäften abbrechen, und du bist es unserer Freundschaft auch schuldig. Lebe wohl.


[5]
Zweiter Brief.

Mainz –     

Gestern durchlief ich die Stadt in die Kreutz und Queere, um, so viel mir möglich war, Kundschaften von ihr einzuziehen. Sie verdankt ihre erste Befestigung dem römischen Feldherrn Drusus, und wie einige Schriftsteller wollen, ihre erste Entstehung dem M. Vips. Agrippa, den August, um einen Aufruhr in Gallien zu dämpfen, über den Rhein schickte. Dem sey nun, wie ihm wolle. Drusus hat ohnstreitig das meiste Verdienst darum, und er bestimmte Moguntiakum zur Hauptfestung am Ober-Rheine. Ihre erste Lage war nicht die nämliche mit der itzigen. Jene zog sich mehr gegen Dalheim und Zahlbach zu. Vermuthlich brachte Handel und Betriebsamkeit sie dem Rheine näher. Itzt nennt man noch diesen Theil die alte Stadt. Ich machte die Bemerkung, daß man in dieser Gegend eine ganz andere Mundart hat, als in dem obern Theile der Stadt. Er kömmt so, wie der Häuser- und Straßen-Bau darinn, dem alten Kostume näher.

[6] Lange trieben die Römer ihr Wesen am Rheine. Doch wie immer ein Reich ab und das andere zunahm, so ergieng es auch der stolzen Weltbeherrscherinn Roms. Unter August hatte sie den höchsten Gipfel erstiegen, und nun mußte sie wieder sinken. Sie sank, und aus ihren Ruinen hob sich ein neues Reich, das ihr die Beute entriß, und sich selbst aufzuwerfen anfieng. Die Römer wurden nach und nach aus ihren Besitzungen am Rheine vertrieben; alle ihre Festen geschleifet und zerstöret. Nachher begannen die Völkerzüge, und in diesem Gewühle ward auch Mainz das Opfer der Wuth der Vandalen und Hunnen.

Nach und nach schimmerte wieder die Hoffnung besserer Zeiten. Bonifaz, der deutsche Apostel, betrat das Theater der Welt, und ihm hat eigentlich das hiesige Erzbisthum seine Größe und sein Ansehen zu danken. Er war ein Engländer von Geburt, hieß eigentlich Winfried, und erblickte zu Ende des siebenten Jahrhunderts zu Kirton in Devonshire das Licht der Welt. Er taufte unter Karl dem Großen Witikinden und die Sachsen. Als er nach Deutschland kam, fand er das alte Metropolitan-Sistem [7] zu Grunde gegangen. Das Erste, was er that, war, daß er bei Karlmannen auszuwirken suchte, daß auch disseits des Rheines Bisthümer errichtet würden. Dies geschah. Die neuen Bischöffe baueten nun Kirchen und Klöster, stifteten Pfarreien, errichteten Schulen und verbreiteten Religion, Sitten und Aufklärung. Bald vermogte er Karlmannen dahin, daß auch Erzbisthümer errichtet wurden, und er selbst ward zum Erzbischoffe von Mainz ernannt. Ueberhaupt suchte er das Verhältniß der Bischöffe gegen die Erzbischöffe, wie es im alten Gallien war, wieder herzustellen. Diese mußten nun die Provinzial-Consilien versammeln, denn diese hielt Bonifaz für die einzigen und besten Mittel, die alte Kirchenzucht wieder zu erneuern. Er bestrebte sich, das Ansehen der Erzbischöffe, vorzüglich aber das Ansehen des H. Vaters auf die Bischöffe und Erzbischöffe zu erweitern. Er that keinen Schritt ohne Vorwissen und Genehmigung des Pabstes. Gregor II. weihte ihn zu Rom zum Bischoffe unter dem schweren gestabten Eide, sich nie von der römischen Kirche abzusondern. Dann ward er nach Deutschland gesandt, und ihm die collectio [8] canonum ecclesiae romanae mitgegeben. Gregor versah ihn auch mit Schreiben an Karl Martell, an die Geistlichkeit, an die Reichsbeamten, an die Thüringer, Sachsen u. a. m., und gab ihm das Pallium, die Würde eines Erzbischoffes und Vikar über die Kirche von Deutschland. Man kann ihn also mit Recht einen Primas dieser Kirche nennen. Gewiß hoffte Rom keinen größern Eiferer für seine Hoheit als Bonifazen. Und nicht unbelohnt blieb dieses Streben, die päbstliche Hierarchie in Teutonien zu verbreiten. Welcher Deutsche weiß nicht aus seiner Mutterlands-Geschichte, welch eine ungeheure Strecke von Ländern damals der Mainzer Erzbischoff unter seinem Krummstabe vereinigte? – So pflanzte sich von Bonifazens Epoke sein Ansehen bis auf die itzigen Zeiten fort, denn dieser ist noch heut zu Tage ohne Unterschied der angesehenste Mann unter der christlichen Geistlichkeit. So hob Mainz vor allen andern sein Haupt empor. Ein Bonifaz – ein Willigis – ein Siegfried – ein Gerhard – ein Heinrich – ein Dieter – ein Johann Philipp, und ein Emmerich Joseph waren bedeutende Männer dieses Landes.

[9] Ich machte heute mit einigen Herrn, an die man mir von Koblenz aus Addressen gegeben hatte, eine Lustpartie nach Hochheim, das eine Stunde von hier entlegen ist, und eine bezaubernde Aussicht hat. Der Ort selbst liegt erhaben, und man kann von dort aus die ganze Stadt wie in einem Gemälde vor sich liegen sehen. Sie erstreckt sich längst dem jenseitigen Ufer des Rheines auf eine halbe Stunde von Süden gegen Norden; an dieser Seite prangt die alte Martinsburg, an jener die churfürstliche Favorit. Die Aussicht von Hochheim ist ohnstreitig eine der schönsten in den Rheingegenden. Vor sich das Ehrfurcht erweckende Mainz und die Schiffbrücke, links das Paradies von Worms und Mannheim, rechts die mit Weinreben bekränzten Gebirge des gesegneten Rheingaues, und hinter sich die Aussicht nach der Gegend von Frankfurt; so daß wem dieses nicht reizend scheint, der muß Hannibalischer Abkunft seyn. – Der Hochheimer Wein ist nach dem Rüdesheimer ohne Vergleich der beste. Wir tranken in Freundschaft einige Kannen dieses Nektars aus, und ich muß gestehen, ich hätte für den Laubthaler, den wir für die Maas zahlen mußten, [10] etwas besseres erwartet; doch das kannst du dir leicht enträthseln, warum man in dem Orte selbst den Wein nicht rein bekömmt. Die besten Gattungen werden meist von den Einwohnern verkauft und weggeführt und die schlechtern zurückgehalten. Hochheim selbst gehört dem Mainzer Domkapitel, und mag ihm jährlich eine ansehnliche Summe abwerfen.



Dritter Brief.

Schwerlich findet man eine Stadt in Deutschland, die so viele römische Alterthümer aufzuweisen hat, als Mainz. Jahrhunderte vergiengen, Völker entstanden und verschwanden, und noch trotzen diese Ueberbleibsel der römischen Größe der Vergänglichkeit. Die Wasserleitung ohnweit Zahlbach giebt uns einen Beweis davon. Ehrfurcht und Staunen erfüllten mein Herz, als ich das erstemal zu diesem kühnen Werke eines römischen Jünglings wanderte. Drusus feuriger Geist ward dazu erfordert, um auf [11] eine Meile weit das Wasser über mehrere hundert Pfeiler in sein Lager zu leiten. Zwei und sechzig sind noch vorhanden; und auch diese würde der Eigennutz des Landmannes weggeräumt haben, wenn es möglich wäre, sie zu zertrümmern. Die Steine sind wie in einander gegossen, und härter als Felsen. Von außen sollen sie durchaus mit Quatersteinen versehen gewesen seyn, wovon der Beobachter noch einige da und dort entdecken kann. Die Pfeiler selbst sind von verschiedner Höhe. Der Zahn der Zeit, das Regenwetter, und die Brechinstrumente der Maurer haben sie ziemlich mitgenommen. Einige davon sind kaum noch über der Erde sichtbar. Wohl über eine Stunde schlich ich in diesen Ruinen, und die Szenen der grauen Vorwelt schwebten deutlich vor meinen Augen. Bald bedauerte ich den Untergang dieses Athletenwerkes, bald freuete ich mich darüber, da wir bei seinem Daseyn vielleicht itzt noch unter dem Zepter römischer Hoheit schmachten würden. Dank sey es unserm tapfern Hermann, daß er unser Mutterland von diesen gefräßigen Raubthieren reinigte.

[12] Fast merkwürdiger als die Wasserleitung ist der römische Straßendamm, den August durch alle Theile seines Reichs führen ließ, ein Unternehmen, das auf Handlung, Verbindung der Länder, und Kultur einen wesentlichen Einfluß hatte. Besonders kam es den römischen Soldaten in dem unbebaueten Deutschland zu gut. Unkundig des Landes, der Pässe und der Wälder, rund um von Sümpfen eingeschlossen, wo hätten sie sich ohne diese Straßen wohl hinwenden sollen? August und die römischen Feldherrn mögen ihren Vortheil auch wohl eingesehen haben, sie hätten sonst nicht so ungeheure Summen darauf verwendet. Wäre es ihnen gelungen sie weiter fortzuführen, gewiß wären sie tiefer gedrungen. Ich nehme das mit als eine Hauptursache des Verfalls der römischen Größe in Deutschland an, weil sie des Landes unkundig waren. Zu was hätten uns die starken Arme unserer Urväter gefrommet, wäre nicht ihrer Unwissenheit das Land selbst zu Hülfe gekommen. Die Römer, geübt in den Waffen und gewohnt auf das Kommando ihres Feldherrn zu fliegen, hätten doch endlich gegen den armen Deutschen, der nichts als Schwerdt und Wurfspieß [13] trug, die Oberhand gewonnen. Was hilft dem Westindier seine wilde Tapferkeit, wenn er gegen fremde aufgeklärte Ankömmlinge in seinem Lande fechten soll? Der einzige Vorsprung also, der den Deutschen in die Länge überlegen machte, war, daß der Römer das Land nicht kannte und das Klima nicht so leicht vertragen konnte. Der Natur konnte er keinen Gehorsam abtrotzen, jenem aber suchte er, so viel nur möglich war, durch die Anlegung der Straßen, zuvorzukommen. In wie weit es ihm gelang, mag der Geschichtschreiber untersuchen. Noch itzt zeigt man von diesem so wohlthätigen Werke Ueberbleibsel; die meisten sind aber durch Anlegung neuer Straßen unter die Erde verschüttet.

Von gleichem Alter scheint auch das Eisen zu seyn, das man auf dem Speißmarkte auf 3 Pfeilern befestigt sieht. Es besteht aus 2 Stücken, und mißt ohngefähr 8 Schuhe in der Länge, und 1 ½ in der Dicke. Der Pöbel, der immer geneigt ist, Sachen, wovon er den Ursprung nicht finden kann, einen misteriösen Anstrich zu geben, erzählt sich davon folgende Fabel: Der Schwarze ergrimmte [14] über den Anbau des Doms, und suchte ihn zu vernichten. Er ergrif also dieses Eisen, und wollte es auf die Zinne des Gotteshauses schleudern, um sie zu zertrümmern. Zum guten Glücke aber ward es durch Hülfe Gottes und seiner lieben Heiligen darüber geleitet, und zum Andenken des Triumphes auf seine itzige Stelle befestiget. Der klügere Theil der Stadt gab mir einen andern Aufschluß darüber, der auch der wahrscheinlichste ist. Man leitet nämlich seine Entstehung von den Römern her, die gewohnt unter freiem Himmel auf Eisen zu schwören, mehrere errichteten.

Auch Kastel der Stadt gegen über verdanket unserm Drusus sein Daseyn. Dieser Ort war anfangs, wie der Name selbst zeigt, eine römische Feste. Um ihn mit Mainz in Verbindung zu bringen, begann Drusus das große Wagestück, eine Brücke von hier aus über den Rhein zu bauen. Wie man mich versicherte, kann man noch itzt bei seichtem Wasser Pfeiler dieses Riesenwerkes entdecken, einige Schritte unter der heutigen Schiffbrücke, in der Gegend, wo die Mühlen stehen.

[15] Nicht lange genoß der junge Herkules die Früchte seines unermüdeten Fleißes; er starb im Frühlinge seiner Jahre, und mit ihm gieng die schöne Hoffnung, die Gegenden des Rheines ganz dem römischen Adler zu unterwerfen, zu Grabe. – Die Dankbarkeit seiner Soldaten errichtete ihm hier mehrere Denkmäler, wovon aber itzt nur noch der Eichelstein übrig ist. Noch streiten die Alterthumsforscher unter sich, ob dieser Steinkoloß eigentlich den Manen des Drusus gewidmet war, oder ob er nur als eine Warte diente, die Bewegungen des Feindes in der Gegend zu beobachten. Die meisten kleben der ersten Meinung an; doch der Umstand, daß die Masse von innen hohl, und noch zur Zeit mit einer Thür versehen ist, bestimmte mich für diese. Zudem findet man nicht eine einzige Aufschrift daran, und kein Schriftsteller hat eine bemerkt; diese wäre aber die treflichste Urkunde für seine Aechtheit, denn wer nur einigermaßen die Geschichte der Römer kennt, weiß, wie sehr Inschriften bei ihnen gewöhnlich waren. Er steht noch überdies an einem Orte, wo sich die Gegend rund umher überschauen läßt. Er soll auf seinem Wipfel [16] mit einer Urne, die die Asche von Drusus Herzen umschloß, und mit einer goldnen Eichel ausgezieret gewesen seyn, davon: das goldne Mainz. Indessen ist es noch nicht ausgemacht, ob dieser Thurm sich eigentlich aus jener Epoke herschreibe; ich zweifle sehr daran. Wenigstens kömmt seine Bauart mit den Wasserleitungen zu Zahlbach nicht überein. So viel ist gewiß, daß dem Andenken des Feldherrn, in dieser Gegend ein Denkmal errichtet worden; ob es aber dieses unregelmäßige Gebäude gewesen, hat noch niemand bewiesen. Der Römer liebte die Pracht, und gewiß würde er auf ein Denkmal dieses Helden, den er liebte und ehrte, alles gewendet haben. Mir fällt es aber nicht ein, wie man einen solchen Steinkoloß habe auszieren können. Er drohte vor einiger Zeit dem Einsturz; dies zu verhindern, ließ man ihn mit einer neuen Mauer unterstützen.

Uebrigens sind für den Geschichtsforscher die unzähligen Grabschriften und andere Gelegenheits-Inschriften der Römer noch merkwürdig. P. Fuchs liefert uns in seiner alten Geschichte von Mainz ein vollständiges Register davon. Ich selbst sah zween [17] solcher Steine im hintern Hofe der Universität aufgestellt.

Ich gehe zu den Denkmälern des Mittelalters, der Druckerei-Erfindung von Faust und Schäffer, und dem Grabe des Meister Heinrich Frauenlob. Noch itzt zeigt man Fremden das Haus in der Bezzelsgasse, wo jene unschätzbare Erfindung ihr erstes Daseyn erhielt. Jedem Mainzer muß das Herz hoch klopfen, wenn er in der vermoderten Geschichte seines Mutterlandes wühlet, und überall Spuren entdecket, aus denen er auf die schönen Rollen schließen kann, die es nicht allein in der Epoke der Römer, sondern auch in den Zeiten des Mittelalters spielte. Frauenlob lebte hier zu Anfange des vierzehnten Jahrhunderts, und soll nach Einiger Meinung Doctor der Theologie gewesen seyn. Er wird gemeiniglich für den Stifter der Gesellschaften der Meistersänger gehalten, und hatte die besondere Ehre, nach seinem Tode von dem hiesigen Frauenzimmer zu Grabe getragen zu werden. Dabei ersäuften sie seine Leiche in Wein und heißen Thränen, und das mit Recht. Das schöne Geschlecht hatte viel an ihm verlohren. Viele sonderbare Züge trug der [18] Mann in seinem Karakter. Dieser entsprach seinen Gedichten nicht, die er zum Lobe des Frauenzimmers gemacht hat. Gleichzeitige Schriftsteller erzählen Beispiele, wo er in Gegenwart einer Dame kein Wort hervorbringen konnte. Sein angenehmstes Vergnügen war, wenn er mit schönen Winzerinnen herumziehen und Weinlieder ihnen singen konnte. Dieser Genie- und Dichter-Zug hat sich noch bis auf die itzigen Zeiten erhalten. Sein Grabmal ragt an einer Mauer im Domkreuzgange. Ich war sehr lüstern darnach, fand aber nicht, was ich erwartet hatte. Das alte gleichzeitige Denkmal ist dahin; ob aus Vernachlässigung oder Unglück, dies kann ich nicht entscheiden. Man hat itzt daselbst ein neues im Jahr 1783. errichtet, das ein ungeschickter Steinhauer nach dem Ideale des alten aus rothen Steinen verfertiget hat.

Wer kennt Walpoden, den Hanseebundstifter, nicht? Er war ein Mainzer, und sein Andenken muß noch jedem deutschen Patrioten verehrungswürdig seyn.

Unbegreiflich ist es mir, warum unter der Menge Mainzer Gelehrten sich wenige mit dem Studium [19] ihrer Vaterlands-Geschichte abgeben, da sich doch hier dem Beobachter unzählige Gegenstände darbieten, die allerdings ein fleißiges Nachforschen verdienten. Pater Fuchs und Schunck sind noch die einzigen. Fast unbeschreiblich ist die Mühe, die sich jener in Aufsuchung der römischen Alterthümer gab. Ich besitze selbst eine saubere Ausgabe seiner Geschichte, worinn er alle Grabsteine und Denkmäler in Kupfern abdrucken ließ. Er ist nun seit einigen Jahren todt; ihm gebühret immer die Ehre, die Bahn zuerst gebrochen zu haben. Hutter, ein hiesiger Jurist, hat sich durch die Herausgabe seines historischen Taschenbuchs auch einiges Verdienst erworben. Aber bessere Aussichten glänzen nun! Mainz besitzt in seinem Vogt einen tiefblickenden Geschichtsforscher, von dem ich dir bei Gelegenheit der Universität mehr sagen werde.


[20]
Vierter Brief.

Herr Hofrath Schlözer in Göttingen liefert uns in seinem Briefwechsel wichtige Urkunden des Kurfürstenthum Mainz. Es liegt zerstreut zwischen Pfalz, Hessen, Schwaben, Franken und Thüringen, und an den Ufern des gesegneten Rheines. Seine Größe hat man noch nicht mit Zuverlässigkeit angeben können. Man setzt es gemeiniglich zwischen 140 und 160 Quadrat Meilen. Wie schwer die Fläche dieses Landes zu bestimmen ist, kannst du leicht aus den verschiedenen Angaben beurtheilen. Das Erzstift selbst ist unter den Kurmainzischen Ländern das größte; es beträgt ohngefähr 115 bis 116 Quadrat Meilen. Der Boden des ganzen Landes ist sehr verschieden; man findet waldichte und kalte, bergichte und sumpfichte Gegenden darinn; doch kann man es im Durchschnitt fruchtbar und gesegnet nennen. Sein Klima ist mild und gesund, besonders in der Gegend des Rheines.

[21] Wenn man in Meiners lies’t, daß der Mainzer slavischen Ursprungs sey, so muß man dies nicht so strenge nehmen. Es ist wahr, die Slaven haben vor der Epoke Pipins und Karl des Großen die Burgunder, Schwaben, und die Bewohner jenes Theils des alten Germaniens, der an den Ufern des Maines und Rheines liegt, vertrieben, über die Elbe gejagt, und sich ihrer Wohnsitze bemächtiget. Doch ist es mehr als auffallend in der Geschichte, daß sie nicht lange die Früchte ihrer Hannibalischen Wuth genossen, sondern wieder von andern vertrieben wurden. Es ist daher schwer, den wahren Ursprung der Mainzer anzugeben. Alles was man hierüber sagen kann, sind nur willkührliche Muthmaßungen. Ich habe mehr als einmal in der Geschichte gelesen, daß die Germanier sich selten mit fremden Völkern vermischet haben. Dies scheint aber an keinem Orte weniger als hier einzutreffen. Es ist beinahe zum Glaubensartikel geworden, daß die römischen Damen in der höchsten Epoke ihrer Galanterie sehr viel auf ausländische, besonders auf deutsche Haare gehalten haben, und daß diese nicht selten, um einen römischen Kopf zu schmücken, nach Italien wandern [22] mußten. Die erste Folge, die man hieraus ziehen kann, ist diese: daß bei den Römern die blonden Haare nicht heimisch waren. Hier findest du auch im Durchschnitt mehr schwarze und dunkelgraue Haare, als blonde; ein Beweis, daß der hiesige Einwohner nicht reinen Ursprungs seyn müsse. Dies habe ich auch schon an andern Orten des Rheines bemerkt, da hingegen die südöstlichen Länder mehr Deutsches an sich haben. Zuverlässig kommen diese Haare von den Römern her, die in dem ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung in den Gegenden des Rheins ihr Wesen trieben.

Auffallend muß es jedem Reisenden seyn, wenn er die Klimaten der 3 geistlichen Erzbisthümer unter einander vergleichet, und eine so große Mannigfaltigkeit findet. Das Resultat dieses Vergleiches ist ein trefflicher Beweis, welche schöne Früchte Aufklärung und Kultur in einem Staate tragen. Es ist ein ausgemachter Grundsatz, daß die Einwohner der unbebautesten Gegenden die dümmsten sind. Man darf nur hievon auf die 3 geistlichen Kurfürstenthümer abstrahiren, und, sieh da! wieder eine unverwerfliche Urkunde dieses Satzes. Mainz ist [23] ohne Vergleich darunter am aufgeklärtesten, und es ist am meisten bebaut und urbar gemacht. Im Erzstifte Cölln haben noch immer Bigotterie und Aberglauben ihren Thron, und es sieht darinn in Rücksicht auf den Anbau des Landes am wildesten aus. Trier schwebt hierinn, so wie in Schritten der Aufklärung, zwischen beiden.

Die vornehmsten Produkte des hiesigen Erzstiftes sind nach dem Weine, Getraide, Obst und Gemüß. Ersterer in einer der besten Gattungen im ganzen Deutschland. Sonst hat das Erzstift noch eine vortreffliche Viehzucht, auch an Mineralien keinen Mangel. Das Kupferbergwerk in der Gegend von Aschaffenburg ist stets einträglich, so wie die Salzsud zu Orb einen ansehnlichen Gewinnst abwirft. Den größten Theil des Holzes zieht es aus dem Spessart und Odenwalde. Schade für das schöne Land, daß es nicht zusammen grenzt. Wie schön könnte ein Theil dem andern mit Produkten aushelfen. Das Eichsfeld lieferte alsdann dem Erzstifte Flachs und Hanf und den kleinen Ueberrest seiner Früchte, da dieses jenem mit Wein behülflich wäre.

[24] Die hiesigen Lande sind im Vergleich mit andern stark bevölkert; sie zählen ohngefähr 330 tausend Einwohner; davon kommen der Stadt Mainz allein nach Schlözer 27,000, nach den neuesten Berechnungen aber 38,000 Seelen zu gut.

Die Manufakturen und Fabriquen sind nicht sehr beträchtlich, wenn du die Wollen- und Leinen-Manufakturen in Kronenburg, die Rothgerberei Fabrique ohnweit Hofhaim, die Glashütte zu Lohr, und die Porzellan-Fabrique zu Höchst ausnimmst; diese liefert schönes Porzellan, das besonders von weitem gut in’s Auge fällt.

Mainz hat ohnstreitig in Rücksicht auf Handel eine günstige Lage; die beiden Flüsse, welche sich hier vereinigen, und das Stappelrecht mögen dieses erweisen. Doch will es damit noch nicht recht fort, wovon besonders die vielen Zölle, und die Reichthümer des Adels und der Geistlichkeit Hindernisse seyn mögen. Doch hat man sich in den letztern Jahren ungemein angelegen seyn lassen, den Handel blühend zu machen. Er besteht hauptsächlich in dem Absatze der einheimischen Weine, wovon jährlich allein über 1000 Stücke nach Holland verführet werden. Der [25] Gewinnst des Landes von der Schiffahrt und den Zöllen beläuft sich auf 60000 Fl., so wie der von dem Weine, Getraide und den Bergwerken sehr beträchtlich ist. Unter dem itzigen Kurfürsten hat der Handel ungemein zugenommen, so, daß man den Betrag dieser Gegenstände mit Einschuß der Rheinschiffahrt auf 1 ½ Mill. Gulden rechnen kann. – Die hiesige Jubilat- und Herbstmesse, die Kurfürst Johann Friedrich Karl gestiftet hat, haben nicht viel zu bedeuten. Das benachbarte Frankfurth thut der Stadt hierinn einen gewaltigen Abbruch. Dies im Allgemeinen, nun etwas im Besondern.

Der Häuser- und Straßen-Bau ist in Mainz sehr verschieden. Winklichte Gassen und alte Einsturz drohende Häuser sind die Hauptzüge der sogenannten alten Stadt. Da findest du fast kein einziges Gebäude, das einer Auszeichnung werth wäre, keinen einzigen Gegenstand, der deine Aufmerksamkeit auch nur auf einige Minuten fesseln könnte. Um so schöner ist aber der obere Theil der Stadt, besonders da, wo die kurfürstliche Residenz liegt. Die 3 Bleichen, die sich auf 720 Schritte in parallelen Linien von der Residenz bis zum Münsterthore [26] strecken, verdienen die ganze Aufmerksamkeit des Reisenden. Sie haben ein gutes Pflaster, und thun Abends, wenn sie beleuchtet sind, eine ungemein gute Wirkung. Schade, daß die Häuser daselbst nicht gar ansehnlich sind; auf der großen Bleiche siehst du meist zweistöckige Gebäude, einige herrschaftliche Häuser ausgenommen. Besonders gefällt mir der Kurfürstliche Marstall auf dieser Straße nicht, der an heissen Sommertagen seinen Nachbarn sowohl wegen der Fliegen, als durch den übeln Geruch sehr überlästig seyn muß. Weiter hinaus, ohnweit dem sogenannten neuen Brunnen, sieht man die Börsche, die auch die Universitätsbibliothek bewahret. Ich ließ mir bei dieser Gelegenheit die Kerker der Akademiker zeigen, die wahrlich eher Mördergruben, als Gefängnissen gesitteter Menschen ähnlich sehen. Die Universität hat hier die oberste Kriminal-Gerichtsbarkeit über ihre Untergebene. Sie kann zum Tode verdammen und lossprechen, ohne daß der Kurfürstliche Justizsenat etwas darein reden darf. Sie verdankt diese Rechte Dietern von Isenburg, der sie im Jahre 1482. gestiftet hat. Der Kurfürst soll vor kurzem jenes Haus um 150000 Fl. [27] der Universität abgekauft, und seiner vertrauten Freundin, der Fr. v. G****, zum Stammhause geschenkt haben. Man sagt, die Bibliothek würde nun in die Jesuitenkirche wandern. Wozu auch so viele Kirchen in einer Stadt? Man schaffe sie um, daß sie gemeinnütziger werden, und dem Volke nützlich sind, dies ist der Natur gemäßer.

Unter den übrigen Straßen verdienen noch die Augustiner- und die wegen dem benachbarten Markte so bevölkerte Schustergasse angemerkt zu werden. An dieser nimmt sich besonders das Universitätshaus gut aus. Ein schönes Gebäude, sowohl von außen als innen. Es hat helle und geräumige Hörsäle, die es vor andern empfehlen. Der Promotionssaal ist minder geschmackvoll; ich ziehe den zu Trier weit vor. Man hat sich hier ins Ohr geraunet, als würde dieses Gebäude in eine Fabrik metamorphosiret. Die Professoren sollten dann mit einem noch ansehnlichern Gehalt in ihren Häusern lesen, wie auch auf andern Universitäten geschieht. Ich muß diesem wohlthätigen Projekte meinen ganzen Beifall geben.

[28] Gegen der Universität über liegt das ehemalige Jesuiten-Kloster, das nun auch eine Tuchfabrique ist, worinn ansehnliche Arbeiten gemacht werden.

Ueberhaupt sucht man unter der itzigen, so wie unter der vorigen Regierung ein starkes Augenmerk auf die Verschönerung der Stadt zu richten. Die neuangelegten Häuser auf dem Thiermarkt und ohnweit dem Dom geben volle Beweise davon.



Fünfter Brief.

Der Mainzer ist ein schöner und starker Schlag Leute, hat ungemein viel muntern Witz und Laune. Man glaubt auf einmal in eine ganz neue Welt versetzt zu seyn, wenn man aus den Niederlanden kömmt, und den so auffallenden Unterschied zwischen den Einwohnern beider Länder gewahr wird. Der Charakter des Mainzer ist mehr leicht als schwer, so wie sein Umgang sehr angenehm ist; daß das Klima hierauf den meisten Einfluß habe, ist schon oben bemerkt worden. Er zeichnet sich auch in der [29] Sprache von seinen nördlichen und nordöstlichen Nachbarn aus, wiewohl diese sehr verschieden ist. Die letzte Klasse der hiesigen Einwohner bis weit über die Mittelklasse hat einen abscheulichen Aczent, der dem Ohre jedes Fremden unerträglich ist. Desto besser spricht man aber in der ersten Klasse.

Die Sitten des hiesigen Janhagels sind so verderbt nicht, als in den benachbarten Städten Koblenz und Cölln. Doch bieten sie dem philosophischen Zuschauer reichen Stoff zu Betrachtungen dar.

Was die schönen Künste betrifft, so hat der itzige Kurfürst, der große Kenner, Liebling und Gönner der Kunst, eine besondere Zeichenschule für junge Leute errichtet. Der Vorsteher davon wird von ihm ansehnlich salarirt, und muß seine Lehrstunden den Lehrlingen umsonst geben. Wie wohlthätig dieses Institut ist und welchen großen Einfluß es auf die Erziehung der Jugend hat, brauch’ ich dir nicht erst zu erklären; es fällt jedem Patrioten von selbst in die Augen. Ich besuchte einigemal diese Akademie, ward aber in Betracht ihrer innern Einrichtung nicht befriediget. Ich bin dir hierüber einige Aufklärung schuldig. Strenge Aufsicht ist das erste [30] Requisit, das ich von einem solchen Institute fodere; diese habe ich hier durchaus vermisset. Sobald der junge Zögling eingeführet wird, werden ihm Stücke vorgelegt, die er kopiren muß. Sobald er dieses gethan, geht er wieder nach Hause, und selten macht man ihm Bemerkungen über seine Arbeiten. Den andern Tag kömmt er zurück und erhält neue Stücke; dies dauert, bis er die ganze Sammlung von Landschaften, Blumen oder Figuren, die hier nach ihren Abstufungen aufgehänget sind, bearbeitet hat und alsdann sind seine Lehrstunden vorüber. Wie zweckwidrig dieses gehandelt sey, davon giebt uns die Bemerkung einen vollständigen Beweis, daß selten Einer in den Geheimnissen der Kunst eingeweihet ist, wenn er ausgelernet hat. Er versteht nichts als mechanisches Kopiren und auch das nicht immer. Auf die Schönheiten des Gemäldes selbst, auf Feinheit, Straffirung, Licht und Schatten wird er wenig oder gar nicht aufmerksam gemacht. Dies ist ein wahres Verderb für den jungen Künstler, und ich glaube, daß schwerlich einer von denen, welche diese Schule frequentiren, mit der Zeit Meister seiner Kunst werden kann. Ueberhaupt herrscht [31] auch hier in der Auswahl der Originale selbst, welche vorgelegt werden, wenig Geschmack. Der Zögling erhält keine Erläuterung darüber, und sieht schwerlich eine von tausend Schönheiten ein, die oft in dem Stücke mögen zu finden seyn. Ich habe auch die traurige Bemerkung gemacht, daß der Schüler, sobald der Meister den Rücken gewendet, zum Fenster läuft und den Entwurf der Stücke nachzeichnet. Dadurch erhält er nie ein ordentliches Augenmaas, und gewöhnt sich an diesen Gebrauch so, daß er im reifern Alter kaum mehr davon wird abzubringen seyn. Fenster oder Zirkel müssen ihm das ersetzen, was seinem Augenmaase abgeht. Diesem allen könnte man mit weniger Mühe zuvorkommen, wenn der Meister mehrere Sorge und Achtsamkeit auf seine Schüler verwendete.

Vor einigen Tagen besuchte ich die sogenannte Akademie der Musik im Konzertsaale des Kurfürstlichen Pallastes. Ich fand nicht, was ich suchte. Die Hofkapelle in den benachbarten Städten Koblenz und Bonn lassen die hiesige ziemlich weit zurück. Ueberhaupt findet man dort einen reinern und gleichern Strich. Das hiesige Orchester gehört auch zu [32] der Oper, wo man große Stücke nach Glukk’s und Pinini’s Musik aufführet. Geschickte Sänger und Sängerinnen schmücken diesen Tempel, der sehr viel vorzügliches hat. Mad. Schick und Mad. Walter, Hr. Walter der ältere und Hr. Eunike sind die vorzüglichsten bei dieser Gesellschaft. Ich sah unter andern Armida im italiänischen Texte aufführen, gieng aber nicht ganz befriedigt aus dem Theater. Dies Stück wurde mit zu wenig Pracht gegeben. Es giebt auch Kastraten am hiesigen Hofe. Ueber die Zuläss- und Unzulässigkeit dieser die Menschheit entehrenden Behandlung haben große Männer im Natur-Rechte entschieden. Ich sage also weiter nichts davon.

Mainz ist in Rücksicht auf Wissenschaften eine der ersten Städte Deutschlands. So viel gelehrte Männer im ganzen Umfange des Worts findest du nicht auf mancher Universität beisammen. Ich habe oft sagen gehört, ohne Freiheit befänden sich die Musen nicht wohl. Das ist nun freilich zu wahr, doch hier scheint es am wenigsten einzutreffen. Mainz hat seit einiger Zeit eine Censur eingeführt, und doch sind alle Pressen beständig mit [33] Entreprisen übersetzt, obschon die wenigsten Gelehrten ihre Werke hier drucken lassen. Ueberhaupt scheint Mainz die Schriftstellerei am ganzen Rheinstrome gleichsam gepachtet zu haben. Die Schreibsucht herrscht hier gleich einer ansteckenden Seuche. Hat Einer etwas geliefert, und der Andere höret es, geschwind setzt er seinen ganzen Autorwitz in Feuer, um bald auch etwas zum Druck befördern zu können. Ich wüßte dir Beispiele zu erzählen, wo junge Leute nur blos das Autorhandwerk trieben, um in Gesellschaften sich in Geruch großer Verdienste zu setzen. Daß also unter den hiesigen Schriftstellern viele kleine Geister seyn müssen, magst du leicht hieraus beurtheilen. Ich mußte bisweilen herzlich lachen, wenn ich in die Gesellschaft eines oder des andern solcher Eingebildeten eintrat, die von nichts anderm zu reden wußten, als von ihren glücklichen Versuchen in dem Fache der schönen Wissenschaften. Ich suchte dann immer am offnen Fenster mir Luft zu machen.

Um so verehrungswürdiger sind mir aber die hiesigen Gelehrten, die in ihren Arbeiten klassisch geworden sind. Ein Dalberg, ein Forster, ein [34] Heinze, ein Müller u. a. müssen als Menschen und Schriftsteller jedem Patrioten vollwichtig seyn.

Schon lange wirst du gewünschet haben, ich möchte dir auch etwas von den Rechten des hiesigen Kurfürsten sagen. Sie sind größtentheils im Staatsrechte bestimmt. Er wird durch die Wahl des Domkapitels ernennt, dann muß er eine Kapitulation beschwören. Doch hat man nicht selten Beispiele, wo Einer blos aus Empfehlung des kaiserlichen Hofes zu dieser Stelle erhoben wurde, obschon das hiesige Domkapitel, so viel nur möglich, seine Wahlfreiheit gegen kaiserlichen Einfluß zu schützen trachtet. Daß der Kaiser Einen aus seiner Mitte vorschlagen kann, ist gegründet. Ist nun Einer gewählt, so muß er die Bestätigung des Pabstes und das Pallium holen, welcher Schaafspelz ihm 30000 Gulden kostet. Auch die Annaten, die er dem römischen Hofe bezahlt, machen eine beträchtliche Summe aus. Wie viel Geld die katholische Geistlichkeit in einem Jahrhunderte nach Rom wandern läßt, hat der Verfasser des Faustins artig berechnet. Möchten doch einmal deutsche Fürsten diese Misbräuche einsehen lernen, und sich mit vereinten Kräften [35] dagegen stellen, wie schon der König von Neapel in neuern Zeiten mit gutem Erfolge sich gegen dieses Unwesen gestemmet hat. Der hiesige Kurfürst ist auch unter seinen weltlichen und geistlichen Kollegen die erste Person. Er ist des Reichs Erzkanzler; er dirigiret das Kurfürstenkollegium; er macht den Todesfall des Kaisers den übrigen bekannt; er läßt durch seine Gesandten den Wahltag ansagen; er sammelt die Stimmen der Andern, wenn er sie vorhin in Eid und Pflicht genommen hat; er krönet endlich den Kaiser, wenn diese Feierlichkeit zu Frankfurth begangen wird. Er hat noch überdies in andern Reichsangelegenheiten das meiste Gewicht. Er ernennet den Reichsvizekanzler, die Reichsreferendäre, und die Reichshofräthe, doch nicht ohne Einfluß des Kaisers; er dirigiret das Reichsarchiv, visitiret den Reichshofrath, und hat die Protektion über das Reichspostwesen. Sein Titel ist: N. N. von Gottes Gnaden Erzbischoff des h. Stuhls zu Mainz. Sein Wappen besteht in einem silbernen Rade im rothen Felde. Dieses Rad schreibt sich von dem hiesigen Erzbischoffe Willigis her, der eines Wageners Sohn soll gewesen seyn. Man zeigt hier noch [36] verschiedne Ueberbleibsel von ihm. Unter andern besitzt das Kollegiatstift zum h. Stephan eine Korkappe von diesem Manne. Jenem allgemeinen fügt noch der Kurfürst sein Geschlechtswappen hinzu.

N. S. Heute morgen lief die unerwartete Nachricht ein, daß Kaiser Leopold am ersten dieses die Welt verlassen habe. Dies war uns um so unerwarteter, da man gar nichts von einer Krankheit dieses großen Mannes gehöret hat. Alles hat auf einmal eine ganz andere Wendung genommen. Das Theater ward augenblicklich geschlossen und alle öffentliche Lustbarkeiten untersagt. Doch zeigen sich unter dem hiesigen Publikum wenig bekümmerte Gesichter um ihn; Joseph war ihnen mehr. Doch nicht so dem Fürsten. Dieser soll sich über diesen Fall sehr betrübet haben, wie er denn auch heute schon die feierlichsten Anstalten zu der Trauer machen läßt. Er soll mit ihm in ziemlich genauem Verhältnisse gestanden haben. Wer von gewissen politischen Vorfällen genau unterrichtet ist, wird die Ursache davon leicht zu finden wissen. Man hat schon wirklich neue Spekulationen auf die bevorstehende Kaiserkrönung gemacht. Das wird wieder in [37] manchen Börsen neue Wunden schlagen, zumal da die alten noch nicht ganz geheilet sind.



Sechster Brief.

Da du schon lange Erläuterungen von der hiesigen Universität gefordert hast; so sollen diese heute der Inhalt meines Briefes seyn.

Für eine Universität ist Mainz der Ort nicht, denn hier wird alles zu Lustbarkeiten, die so häufig sind, gereizt; du weißt aus Erfahrung, daß ein junger Mensch sich nicht genug mäßigen kann, wenn er etwas von einem Ball, schönen Mädchen und dergl. höret. Hat er das darzu erforderliche Geld nicht, so giebts allerley Anschläge, um dieses Bedürfniß zu erhalten. Und also bleibt der Kopf leer; sehr oft ist auch der Koffer sehr leicht, wenn man nach Hause gehen soll.

Die Einrichtungen bei der hiesigen Universität sind übrigens nicht zu tadeln. Der itzige Kurfürst hat sehr viel darauf verwendet. Er zog Klöster ein, [38] und gab ihr die Stiftungen, wo das Geld auch natürlicherweise mehr Interesse bringt. Man endet die Vorlesungen alle halbe Jahre; diese Anordnung, welche wir Protestanten zuerst gemacht haben, hat sowohl für den Lehrer als Schüler sehr vielen Nutzen geschafft. Der Lehrer zieht mehr Kollegiengelder, die hier von jeder Stunde 5 Fl. betragen; der Schüler sparet vieles Geld, und eines Theils wird die Ausschweifung dadurch gehemmet, da der Studierende täglich 6 bis 7 Stunden Kollegien hat.

Landeskinder sind sehr strenge gehalten, und dies aus löblicher Absicht. Wer von ihnen seine Zeugnisse der Fortschritte im Studieren nicht genau aufzeichnen kann, kömmt nicht durch. Was die Fremden angehet, so haben diese auch nicht mehr so viele Freiheiten als in vorigen Zeiten; dies hat man auch weise abgeändert, denn daher entstanden oft viele Verdrüßlichkeiten und Schlägereien. Die Juristen und Mediziner bestehen größtentheils aus Fremden. Die Anzahl jener beläuft sich ohngefähr auf 250, und dieser auf 100 oder etliche mehr.

[39] Wer von Fremden hieher studieren kömmt, findet sich nicht betrogen, denn Mainz ist ohnstreitig die beste Universität im katholischen Deutschland. Um dich davon zu überzeugen, will ich dich mit den Lehrern jedes Faches, so viel als möglich, bekannt machen.

Die Philosophie lehret seit Anfang dieses Jahres Hr. Dietler, den du aus seiner Vernunftwissenschaft kennen wirst. Er ist ein Mann, der viele Kenntnisse besitzt. Mir gefällt nicht an ihm, daß er einen besondern philosophischen Gang führet, und besondre zugeschnittne Kleider und gar keine Frisur trägt, wie sich dermahlen viele philosophische Kleinmeister angewöhnen. Dies letztere geht übrigens Dietlern nicht so sehr an; ich wünsche nur von ihm, daß er sich von jenen Afterphilosophen in die Zukunft besser unterscheiden soll. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit dir etwas von Dorsch, vormaligen Professor der Philosophie, zu berichten. Mainz und die hiesigen Studierenden haben an diesem Manne sehr viel verlohren. Er besitzt eine weitumfassende Kenntniß, hat die Philosophie sowohl in deutscher als fremden Sprachen studieret. Er wußte [40] seinen Schülern Alles so deutlich und lebhaft vorzustellen, daß sie Fortschritte machen mußten, wenn sie nur ein wenig mitarbeiteten. Er lehrte das Kantische Sistem, welches er sehr gründlich durchdacht hat, so groß auch die Mühe ist, von selbem sich deutliche Begriffe zu machen. Diesem Manne machte man hier sehr viele Verdrüßlichkeiten; man erbrach Briefe an ihn; einige gaben mir zur Ursache an, weil er ein Mitglied der berufnen Propaganda gewesen sey; man untersuchte alles in seinen geschriebenen Heften, und hielt Kommission in seinem eignen Hause. Man wollte sogar den gelehrten und für das Wohl seiner Schüler so bedachten Dorsch nach Marienborn führen. Aber er dankte ab, unter dem Vorwande, in Zukunft ein stilles Leben für sich zu führen. Kurz darnach hörte man, er sey in Straßburg mit dem nämlichen Gehalte, den er in Mainz hatte, in diesem Freiheitssitze erschienen; einige wohlausgearbeitete Predigten von ihm, worunter sich vorzüglich die von der Vaterlandsliebe auszeichnet, machen ihm Ehre. Es scheint jedoch, daß Dorsch noch viele Feinde in Mainz hat. Neulich ließ sogar einer dieser niedrigen Seelen in die Frankfurther [41] Zeitung einrücken: Dorsch hätte Reue über seinen gethanen Schritt, wünschte wieder nach Mainz, und sey itzt aus Verdruß nach Paris gereist, um den Bischoff von Straßburg bei der Nationalversammlung zu verklagen. Dies alles hat keinen Grund; am nämlichen Tage hatte noch Dorsch an einen seiner hiesigen Freunde geschrieben, dem er seine vergnügten Stunden zu wissen that. Die Reise nach Paris machte er mit einem seiner Bekannten blos aus Vergnügen. Wenn ich mündlich mit dir sprechen kann, so werde ich dir von diesem Manne mehr erzählen.

Nun auch von Vogt, Prof. der Geschichte. Dieser ist ein sehr lustiger und unterhaltender Mann. Ich hörte diesen Winter einige seiner Vorlesungen über die Geschichte der ältern Zeiten in Beziehung auf neuere Begebenheiten; ich kann dir sagen, es war mir leid, wenn es Abends 6 Uhr war, daß sein Kollegium aufhörte; mit solcher Laune, mit solchem Geschmacke hörte ich noch nie eine Geschichte vortragen. Er giebt sich auch itzt mit schönen Wissenschaften ab. Die Proben davon sind seine chimischen [42] Bilder, wo du ein Gedicht auf Walpoden, Faust und Frauenlob finden kannst.

Was den philosophischen Kurs angehet, muß ich dir noch etwas von Engel, Lehrer der schönen Wissenschaften, sagen. Er ist ein Mann, den seine Schüler sehr lieben. Was seine Kenntnisse betrifft, kannst du schon genug aus seiner Uebersetzung des Agrikola von Tazit abnehmen.

Die Physik lehren Bergmann und Metternich. Ersterer ist ein Jünger von Loiola, weswegen ihn vielleicht seine Schüler nicht achten. Dieser hat sich schon durch etliche Schriften Ruhm erworben. Sowohl im physischen als mathematischen Fache hat er es in kurzer Zeit weit gebracht.

Hier hat jeder Studierende sehr viele Gelegenheit, sich in der Physik und Mathematik Kenntnisse zu erwerben, denn die dazu nöthigen Instrumente sind mit großen Unkosten angeschafft worden, und was fehlet, suchet man noch täglich zu bekommen. Die Instrumente werden sehr gut bewahrt; sie stehen in einem wohleingerichteten Saale, der seine Aufseher hat.

[43] Ueber den philosophischen Kurs machte ich die Anmerkung, daß man Fremde mehr zum frequentiren anhalten sollte. Diese wählen sich in einem halben Jahre oft nur eine Stunde, und treiben, anstatt zu studieren, ein liederliches Leben, da doch die Philosophie den Grund zu Allem legen muß. Diese Bemerkung eröffnete ich auch einigen Professoren. Allein es soll sich nicht ändern lassen.

Nun wollen wir auch etwas von deinem Fache, dem juristischen Studium, reden. Es ist sehr stark besetzt. Du wirst mir keinen Theil der Rechtsgelehrtheit nennen, zu welchem nicht ein Lehrer bestimmt ist. An der Spitze steht itzt der Hofrath Hartleben, der die Pandekten liest, dessen Kenntnisse in allen Fächern der Rechtswissenschaft, besonders aber im römischen Civil-Rechte, man nicht genug bewundern kann. Diesen trocknen Theil der Rechtsgelehrtheit weiß er seinen Schülern sehr geschmackvoll zu erläutern. Man wird selten einen Mann finden, den seine Schüler so sehr lieben, als diesen. Hartleben weiß sich auch dieser Liebe würdig zu machen. Nicht aber bei seinen Schülern allein, sondern auch bei der gelehrten Welt steht er [44] in großem Ansehen. Du kennst ja seine Meditationen über euren hochberühmten Leyser, seine gelehrten Anzeigen, Fortsetzung der Schottischen juristischen Litteratur u. s. w. Dies sind Werke, woraus man seinen unerschöpflichen Geist beurtheilen kann, woraus man sieht, wie sehr er die römische Terminologie hasset und alles auf deutschen Fuß zu bringen sucht. Er ist übrigens sehr lustig, hat seine jungen Jahre auf alle Art genossen, aber auch schon sehr vieles auf der Welt gelitten. Von diesem Manne kannst du nun schon schließen, daß man hier auf das juristische Studium sehr bedacht ist, welches du auch noch weiter vernehmen wirst, wenn ich von den übrigen Lehrern rede. – Aber die hiesige Universität bekam einen sehr großen, sehr empfindlichen Stoß durch die Beförderung Frank’s, Prof. der Reichsgeschichte und des deutschen Staates, zum Reichs-Referendar. Er ist ohne Vergleich der erste Publizist im katholischen Deutschlande, und viele Protestanten werden ihm den Vorzug auch nicht streitig machen. So froh ich über die Beförderung dieses Mannes war, so sehr bedauerte ich den Verlust der Universität. Er trug seine Lehren stehend auf dem [45] Katheder so hitzig und mit solchem Enthusiasmus vor, daß, wer ihn nur eine Stunde hörte, gleich auf seinen Eifer in jenem Fache schliessen konnte. Er war so patriotisch gesinnet, daß er sich nicht mehr freute, als wenn er einen Deutschen nennen konnte, der Epoke in einer Wissenschaft gemacht hatte. Pütter in Göttingen sagte selbst in seinen Vorlesungen: Frank sey einer der ersten Publizisten Deutschlands. Mehr kann ich wohl nicht sagen, wenn dieses ein Pütter spricht.

Diese Stelle ist nur eines Theils durch Roth ersetzt. Wer dieses Mannes Vorlesungen hört, macht gleich die Bemerkung, daß er sehr fleißig studieret, und es sich sehr angelegen seyn läßt, daß die Zuhörer seine Kollegien nicht leer verlassen möchten. Seine Kenntnisse im Staatsrechte der deutschen Reichslande haben schon mehrere große Männer aus seinen Schriften anerkannt. Es wäre zu wünschen, daß er das in die Feder diktiren abschaffte, denn hiedurch geht vieles verloren; der Zuhörer sucht nur alles ordentlich aufs Blättchen zu bringen und kann nicht weiter auf den Inhalt Acht haben; kömmt er hernach nach Hause, so muß er [46] nochmals so lange studieren, bis er das Gesagte in gehöriger Ordnung fassen kann.

Auch Bodmann, itziger Prorektor, macht der Universität sehr viele Ehre. Er lehrt das deutsche Recht und die Diplomatik. In beiden Theilen ist er sehr weit gekommen, und sucht es durch seinen unermüdeten Fleiß noch immer weiter zu bringen. Er weiß jeden mit den meisten Urkunden zu unterhalten, und besitzt hierinn sehr ausgebreitete Kenntnisse. Schade für den Mann, daß er keinen Vortrag hat!

Unter den Lehrern des juristischen Faches verdienen auch noch bemerkt zu werden, Hoffmann, Prof. des Naturrechtes, und Waldmann, Prof. der Institutionen und des peinlichen Rechtes. Jener hat sich durch seine freie Denkungsart schon manchen Verdruß über den Hals gezogen; bleibt aber immer noch ein trefflicher Kopf, und wer bei ihm Naturrecht hört, geht nicht ohne gute Grundsätze von ihm. Dieser hat den Ruhm, daß er seine Materien gründlich aus einander legt, und durch seine Fragen in den Vorlesungen manchen zum Studieren anhält, der sonst ein fauler Taugenichts würde. [47] Im peinlichen Rechte hegt er sehr gelinde Grundsätze, besonders hat er hierinnen das Verdienst, daß er Alles mit praktischen Fällen belegt.

In dem Fache der kameralischen Wissenschaften thut sich unter andern Nau hervor, der Polizei und Finanzwissenschaft Lehrer. Er ist ein aufgeklärter Kopf, und hat sich schon durch verschiedne Schriften dem Publikum bekannt gemacht. Polizei und Finanz sind die Hauptgrundlagen des Kameralwesens, und verdienen also auch mit einem Manne, wie Nau ist, besetzt zu seyn. – Unter den übrigen sind auch noch Schleenstein und Spoor zu bemerken. Sie lehren Oekonomie und Technologie. Ich muß dir aber doch sagen, daß kein so großer Kameralist hier ist, als dein Lehrer, Beckmann in Göttingen.

Unter allen Fächern der Wissenschaften ist meiner Meinung nach die Medizin am besten besetzt. Welche Wissenschaft verdient auch mehr in Aufnahme gebracht zu werden, als jene, welche dem Staate Menschen erhält, ohne die er gar nicht bestehen kann? Hierinn hat sich nun der itzige Kurfürst einen unsterblichen Ruhm verschafft. Er rief protestantische [48] Mediziner zu sich, gab ihnen großen Gehalt, und besetzte auf diese Art die medizinische Fakultät mit Männern, die sich in ganz Deutschland den größten Ruhm erworben haben. Unter diesen ist besonders Sömmering merkwürdig. Er lehret die Anatomie. Man will behaupten, er sey einer der größten Eingeweihten in dieser Kunst. So viel kann ich dir von ihm sagen, daß er die feinsten Nerven des Menschen, die kaum mehr dem unbewaffneten Auge sichtbar sind, so zu trennen weiß, daß man nicht die geringste Beschädigung eines Theiles derselben merken kann. Man sieht an seinem Vortrag, den ich etlichemal in seinen Vorlesungen zuhörte, daß er viel Originelles an sich hat. Ich möchte wünschen, du wärest hier, daß du die Präparaturen dieses Mannes in dem besonders dazu eingerichteten Saale sehen könntest; du würdest ihn bis in den Himmel erheben.

Der zweite Mann ist Wedekind, dessen Diätetik ich im vorigen Jahre selbst hörte. Der große Saal war kaum geräumig genug, um alle Zuhörer zu fassen. Er ist so vertraut mit seinen Zuhörern, als die besten Freunde unter einander seyn können. [49] Bei den hiesigen Bürgern ist er auch sehr wohl gelitten, wozu vieles beiträgt, weil er theils große Kuren verrichtet, theils denenjenigen, die ihn um Rath fragen und von ihm bedient werden, kein Geld abnimmt, und ohne allen Eigennutz handelt.

Prof. Veidmann hat sich um die Entbindungskunst sehr verdient gemacht und ist zugleich ein sehr bescheidner Mann. Von den hiesigen Entbindungsanstalten wirst du in einem andern Briefe mehreres erfahren.

Prof. Fibig verdienet auch als Mineralog und Botaniker bemerkt zu werden. Nur Schade, daß der Mann immer kränklich ist.

Nun auch etwas von den Theologen, deinen Erzfeinden. Zwar muß ich dir überhaupt sagen, daß das theologische Fach hier nicht mit den besten Männern besetzt ist. Doch giebt es einzelne Gelehrte darunter, worunter ich vorzüglich Blau, Lehrer der Dogmatik, rechne. Dieser Mann weiß dogmatische Sätze wohl von theologischen Alfansereien zu unterscheiden. Besonders ist merkwürdig von ihm, daß er die ganze Dogmatik, so viel es nur thunlich ist, nach kantischen Grundsätzen docirt. Er soll ein [50] besonderer Freund von Dorsch gewesen seyn. Dies setze ich darum hieher, weil man daraus schon den ganzen Blau erkennen kann.

Pat. Bertulf Weyl, ein Franziskaner-Mönch, ist als Ausleger der Bibel und Lehrer der orientalischen Sprachen sehr merkwürdig. Das gelehrte Publikum hat einen Theil der Bibel von ihm übersetzt, der für Katholiken immer brauchbar seyn mag. Viele Kenntnisse der fremden Sprachen kann man ihm nicht absprechen, wir können ihm aber doch wichtigere entgegen setzen.

Hieher gehöret auch Frank, ein Bruder des obgenannten Reichs-Referendar. Er lehret das kanonische Recht. Seine ausgebreitete Gelehrsamkeit, kann niemand, der ihn kennet, läugnen. Er hat alle alte sowohl als neue ins geistliche Recht einschlagende Werke mit Nutzen gelesen. Als Lehrer ist an ihm zu tadeln, daß er jede Materie zu weit ausdehnt, und Alles mit zu vieler Litteratur belegt, wodurch der Zuhörer sehr verdrüßlich wird. Auch hat die große Weitläuftigkeit den Schaden, daß am Ende des Jahres noch viele wichtige Materien übrig bleiben, wovon keine Erörterung geschehen ist.

[51] Als Lehrer des kanonischen Rechts kommt auch noch Krikk in Anschlag, dessen Vorlesungen die meisten Juristen und Theologen frequentiren, wiewohl Frank mehr Verdienste hat. Krikk hat mehr Zulauf, weil er nicht so weitläuftig ist, und seine Zuhörer sehr gut zu unterhalten weiß.

Ich habe dir bisher die besten und vorzüglichsten Lehrer der Universität geschildert. Hieraus wirst du nun schließen können, daß Mainz hierinn sehr viele Vorzüge hat, daß ein Jüngling in jedem Fache große Fortschritte machen kann, wenn er nur will, denn man kann, wie du wohl weißt, auf Akademien keinen zum Studieren zwingen, sondern jeder, der sich dadurch Fortkommen verschaffen will, muß aus eignem Antriebe nichts versäumen, wodurch er an Wissenschaften mehr bereichert werden kann. Ohngeachtet dessen kann man es jungen Leuten nicht so sehr übel nehmen, weil sie auf einer Universität, wie die hiesige ist, oft Gelegenheit zu Ausschweifungen finden, zumal wenn sie keine feste Grundsätze haben. Diesem Allen aber wäre wohl vorzubeugen, wenn man nicht an Höfen, sondern in andern kleinen Städten, wo der Jüngling nicht [52] so vieler Verführung unterworfen, Universitäten errichtete. Dies aber wird freilich nur ein frommer Wunsch bleiben müssen.

Zum Schlusse dieses Briefes will ich dir noch von den Einrichtungen der sogenannten untern Schulen einige Nachrichten geben. Es ist mir leid, daß du von mir hören mußt, daß Augustinermönche auf diesen Kathedern sitzen, denn ein gelehrter und aufgeklärter Mönch ist und bleibt allzeit eine Ausnahme von der Regel. Die Erziehung und der Unterricht der Kinder in diesem Alter sollte besonders klugen und erfahrnen Leuten anvertrauet werden, denn das, was man sich in diesem Alter fest eingeprägt hat, verläßt man sehr schwer. Daher kömmt auch der vorwaltende Aberglaube, daß noch immer unter verschiednen Religionen Intoleranz herrscht; daher kömmt es besonders, daß bis jetzt die Vereinigung, alle Religionen in ein Ganzes zu schaffen, nur ein Gedanke redlich denkender Menschen war. Wie traurig muß es für einen aufgeklärten Katholiken seyn, wenn er keinen andern Grund des Vorzugs der Protestanten vor ihnen erforschen kann, als seine Erziehung; wie schmerzend muß es ihm seyn, wenn er unter [53] seinen Glaubensgenossen keinen Campe, Salzmann, Villaume u. a. findet? Diesem Allen ließ sich am besten dadurch abhelfen, wenn die Fürsten sich vereinigten, und gegen jesuitische Erziehung und Mönchsgrundsätze Dämme setzten. Viele haben dieses zwar schon gethan, aber es thut eher keine allgemeine Wirkung, bis alle Fürsten gleiche Gesinnungen hegen. Dies aber kann nicht statt haben, so lange Fürsten selbst noch von Mönchen erzogen und unterrichtet werden, denn auf die Erziehung und Grundsätze der Fürsten selbst gründet sich das Glück der Unterthanen. Ich wollte wünschen, daß jeder Fürst einen Wieland oder Göthe zum Erzieher gehabt hätte. Was diese gewirket haben, wissen die Herzogthümer Weimar und Gotha mit überzeugenden Beweisen zu belegen. Lebe wohl.



Siebenter Brief.

Dem Forscher bietet die hiesige Universitätsbibliothek Gelegenheit dar, sich in jedem Fache der Wissenschaften [54] zu vervollkommnen. Obschon sie nicht so reichhaltig an den besten Auflagen und Manuscripten ist, als die zu Göttingen, so kann man doch allzeit sagen, daß sie eine wohl ausgesuchte Bibliothek ist. Was sie wirklich noch nicht enthält, wird nach und nach hinzukommen, denn der Fürst ist sehr darauf bedacht, daß dem Gelehrten keine Quelle, woraus er schöpfen kann, mangle. Die Bibliothek ist sehr wohl geordnet, alle Bücher sind gut angebracht, und der Bau des Zimmers ist so beschaffen, daß dasselbe keiner Gefahr unterworfen, oder zu Grunde gehen kann. Zugleich wunderte mich, da ich hörte, die Hälfte der Bibliothek sey immer ausgeliehen, denn hievon kann man auf den häufigen Gebrauch der hiesigen Gelehrten den Schluß machen.

Besonders merkwürdig ist der erste Bibliothekär, der Hofrath Georg Forster. Sehr freute ich mich, als ich diesen Mann zum erstenmale sah. Er ist mittelmäßiger Statur, hat sehr bedeutende Gesichtszüge, und an Allem sieht man, daß er ein Gelehrter im ganzen Umfange des Wortes ist. Er machte sich in Deutschland sowohl durch eigne Werke, [55] als Uebersetzungen der Reisebeschreibungen, die er aus dem Englischen geliefert hat, besonders verdient. Jedem, der ihn kennt, ist bekannt, daß er der englischen Sprache ganz mächtig ist, und daß er die Verfassung, Sitten und Gelehrsamkeit Englands sehr fleißig studieret hat. Es wäre also zu wünschen, daß dieser große Mann uns Deutschen diese Nation, welche in unsern Tagen so vieles Aufsehen macht, völlig karakterisirte. Da und dort hat er zwar einige Beschreibungen von den Gelehrten Englands gemacht, z. B. in den brittischen Annalen von Archenholz, allein dies entspricht unserm Wunsche noch nicht völlig. Um die Universitätsbibliothek hat er große Verdienste, denn er bemühte sich, daß die besten deutschen und ausländischen Werke angeschafft wurden, wovon er als Kenner gewiß eine schöne Auswahl zu treffen wußte.

Heute kam ich in eine Gesellschaft, wo man von dem hiesigen Reichsarchive sprach. Dies enthält ohne Zweifel die größten Merkwürdigkeiten und Urkunden, die man an keinem andern Orte findet. Ich verlangte sehr, dasselbe zu sehen, um über einige Sachen nähere Aufschlüsse zu bekommen. [56] Aber keinem Fremden wird der Eingang gestattet. Pütter, der große Kenner der deutschen Reichsverfassung, reis’te vor einigen Jahren durch Mainz und begehrte auch in dasselbe eingelassen zu werden, allein aus politischen Gründen wurde es ihm unter dem Vorwande: es würde Alles an einen andern Ort transportiret, abgeschlagen. Es ist übrigens, wie ich hörte, alle Vorsicht angewandt, daß nichts in diesem Archiv beschädigt werden kann, welches gewiß auch sehr nothwendig ist.

Das Stift zu U. L. Frauen hat auch einige wichtige Urkunden. Bei dem letzten Wahlkonvent sind Pütter und Selchow hieher gereiset, um ein Original, welches hier verwahrt wird, in Augenschein zu nehmen, woraus sie auch den ganzen Streit, der von der Aechtheit dieser Urkunde abhieng, entschieden haben.

Mit diesem Briefe erhältst du ein Stück der Zeitschrift in geistlichen Sachen; nun sollst du auch eine kurze Uebersicht über die hiesigen Flugschriften haben. Die Monatschrift in geistlichen Sachen wird von einer Gesellschaft Gelehrten herausgegeben. Ich hörte aber, daß die Mitarbeiter nur mittelmäßige [57] Köpfe aus Mainz seyn sollen. Dies sieht man auch manchem Aufsatze an; aber ich muß gestehen, daß auch manche Materien sehr wohl ausgearbeitet sind. Besonders verdienet sie darum gelesen zu werden, weil sie alle neue Religionsbegebenheiten getreu berichtet. Die letzten Jahrgänge dieser Schrift sind weit schlechter als die ersten. Dies mag vielleicht daher kommen, weil der Erzbischoff den Mitarbeitern die Freiheit im Schreiben, der sie sich Anfangs bedienten, übel aufnahm.

Neben diesen erscheint auch noch hier der politische Merkur, der sich in seinen Anzeigen der neuesten Staatsbegebenheiten vorzüglich auszeichnet. Man findet oft Bemerkungen darinnen, die man in andern Werken vermißt.

Bei Beschreibung der Universität nannte ich einige Schriften von Hartleben. Hier will ich dir seine Schriften, die periodisch erschienen sind, etwas näher beschreiben. Seine Blätter enthalten nicht nur gute Kritiken über die neue juristische Litteratur, sondern auch Abhandlungen, welche sehr gut gerathen sind. Besonders lesenswürdig sind die Entscheidungen verschiedner wichtiger Prozesse, die darinnen [58] vorkommen, woraus man sieht, daß der Mann sowohl ein großer Praktiker als Theoretiker ist.

Von dem hier erscheinenden Theater-Journal werde ich dir bei Gelegenheit der Bühne nähere Nachrichten geben.

Heute kam mir auch eine Ankündigung eines rothen Blattes zu Gesicht, daß ein Schreiber und Consorte herausgeben wollen. Sie machen sich darinn anheischig, Opinionen zu berichtigen. Ach!

Nun noch einige Nachrichten von dem geheimen Staats-Rathe Müller, dessen ausgebreitete Kenntnisse jeder, der seine Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft gelesen hat, anerkennen muß. Girtane, der Verfasser der beliebten Geschichte der französischen Revolution, nennt ihn mit Recht den schweizerischen Tazit. Er ist auch in jeder Rücksicht ein bedeutender Mann. Kürzlich hatte er großen Verdruß wegen einem Privatschreiben. Die Sache verhält sich also. Müller korrespondirte mit einem sichern vornehmen Gesandten. In einem dieser Schreiben berichtete er, daß ein General Hatzfeld nach der Oberhofkriegsrathspräsidentenstelle geangelt habe. Würde nun dieser Antrag genehmiget werden, [59] so verlöre der Staat einen großen Mann, den Kommendanten von Gyümmich, denn dieser dankte dann gewiß ab. Dies kam Hatzfelden zu Ohren. Es kränkte ihn sehr, daß Müller ihn Gyümmichen nachsetzte. Er begehrte Genugthuung, und da er diese nicht bekommen konnte, wollte er sein Kommando niederlegen. Nun ist Alles still davon; und mag eine Geschichte seyn, wie sie sich nicht selten zuträgt.

Gestern sah ich auch die Naturaliensammlung des Hofrath Sömmering, Fibigs, Nau’s, des Hoforganisten Beiker, des Advokaten Brahm, und die sehenswürdige Vögelsammlung von Tosetti. Als Privat-Cabinets machen sie alle ihren Sammlern Ehre. Die Universität besitzt auch eine ansehnliche Sammlung von Conchylien. Hofrath Forster soll ebenfalls eine merkwürdige aufweisen können.

Zum Schlusse des Briefs noch etwas von der hiesigen Lesegesellschaft. Von der vorigen war Hartleben Direktor; es entstanden aber Streitigkeiten wegen einem gewissen Paket, das an die Lesegesellschaft überschicket ward, und, wie man sagt, französische Freiheit predigte. Die Uneinigkeit ward so [60] groß, daß Hartleben sein Direktorat niederlegte und die Gesellschaft größtentheils aus einander gieng. Nun hat man bei dem Buchhändler Sartorius eine neue angefangen, deren Einrichtung völlig dem Zwecke einer Lesegesellschaft entspricht.

Es giebt übrigens nur eine Lesebibliothek in Mainz, wo Jeder für sein Vergnügen ein Buch haben kann. Dies ist die schöne Sammlung von Ingelheim, einem aufgeklärten Juden. Das Fach der Romane und Schauspiele ist bei ihm am stärksten besetzt, doch findet man auch juristische, medizinische, kameralistische Bücher, und besonders eine starke Sammlung der besten Reisebeschreibungen bei ihm. Schade, daß der Mann der Censur zu sehr unterworfen ist, denn er darf manche vortrefliche protestantische, und auch katholische Bücher nicht führen. Diesem sucht er dann auch aufs pünktlichste nachzukommen. Ich wollte ihn selbst einigemal in Versuchung führen, und bot ihm eine ansehnliche Belohnung, wenn er mir etliche Artikel aus dem catalogo librorum prohibitorum verschaffte. Allein alle Versprechungen konnten ihn nicht dazu verleiten, und dies kann einen Beweis seiner Uneigennützigkeit abgeben. [61] Dies mag auch die Ursache seyn, warum Ingelheim bei seinem Institute keine Schätze sammlen kann, welches doch sonst bei Lesebibliotheken der Fall nicht ist.



Achter Brief.

Man hat in Deutschland seit 20 Jahren an vielen Orten Pflanzschulen zur Bildung junger Geistlichen angelegt. Den Nutzen dieser Anordnung erkennt jeder, der da weiß, welchen Einfluß der geistliche Stand auf das Volk hat; weiß, daß Pfaffen das größte Unheil in der Welt gestiftet haben; weiß, daß ihr starker Einfluß auf den Staat, wenn er auch itzt schon ungleich vermindert ist, doch nie ganz wieder aufgehoben werden könne. – Um nun diesem Unwesen nach Möglichkeit zu steuern, um Leute zu bilden, die wahre Religion von falschem Gemische zu unterscheiden wissen, errichtete auch der hiesige Kurfürst eine solche Pflanzschule, und suchte den Lehrlingen Leute vorzusetzen, die sie in Allem, was zu diesem Zwecke erfordert wird, unterrichten sollten.

[62] Es kann keiner den geistlichen Stand antreten, er müsse dann erst in diesem Seminarium vorbereitet worden seyn. Der Eintritt steht jedem erfahrnen und geprüften Theologen offen. Hat sich Einer vor Andern besonders hervorgethan, so tritt er ganz frei herein, und braucht keine Kost zu zahlen. Ist dies nicht, der Theolog ist aber doch erfahren und sittlich befunden worden, so wird ihm auch der Eingang gestattet. Ist er nun hernach versorgt, so muß er die Kost an das Seminarium bezahlen.

Diese Einrichtung ist zwar sehr löblich, und ganz ihren Zwecken entsprechend, doch finden sich noch viele Hindernisse, die zur Erreichung dieses Zweckes nothwendig müßten abgeschaffet werden. Erstens sollte man besonders bedacht seyn, daß die jungen Zöglinge sich nicht so oft mit Wein berauschten, überhaupt aber sollte man sie vor allen hitzigen Speisen und Getränken verwahren, denn diese reitzen den Trieb zur Wohllust, wenn die Leute beständig eingeschlossen sind und ihre Phantasie keinen freien Spielraum hat. Zweitens sollte man den Zöglingen mehrere Spatziergänge erlauben, denn dadurch, daß man sie ohne Bewegung läßt, entstehen [63] manchmal solche Uebel, daß das gesteckte Ziel ganz verfehlt wird, und die Leute in ihren besten Jahren gar nicht mehr der Welt nützlich sind. Ich wunderte mich daher sehr, daß ich diese Anstalten im Trierischen Seminarium weit besser fand, als in dem hiesigen, da doch Mainz in Allem übrigen vor Trier einen so großen Vorsprung hat.

Bei dieser Gelegenheit auch etwas von der übrigen Geistlichkeit! Hier findet man viele, mit unter auch gelehrte Domherrn, ihre Pfründen sind sehr fett. Die Einkünfte des Domkapitels belaufen sich auf 380,000 Fl., wovon der Domprobst jährlich beinahe 40,000, der Domdechant aber 25,000 Fl. zieht. So oft man schon seit Febronius darüber geschrien hat, daß Ein Geistlicher zwo, drei bis vier Pfründen habe, so findest du hier doch noch mehrere beisammen, denn die Domherrn haben 3, 4 bis 6 Pfründen, und du wirst schwerlich einen unter ihnen finden, der nicht jährlich seine 10,000 Fl. Revenüen hätte.

Nächst dem Dom hat man sehr viele Korherrnstifter hier, z. B. das Stephans- das liebe Frauen- das Peter- das Albansstift u. a. m. Die meisten [64] geistlichen Professoren an der hiesigen Universität sind in diesen Stiftern als Kanonizi angestellt, und ziehen daher noch einen ansehnlichen Zuschuß zu ihrem Gehalt, da jede Pfründe jährlich gegen 10 bis 1200 Fl. beträgt.

Obschon die Domherrn und Stiftsgeistlichen so schöne Pfründen haben, so hört man doch selten Beispiele von einer großen Ausgelassenheit oder Sittenlosigkeit unter ihnen; die meisten dieser letztern suchen sich mit ernsthaften Gegenständen zu beschäftigen. Der itzige Kurfürst ist auch besonders darauf bedacht, die Zügellosigkeit der Geistlichen, so viel nur möglich ist, zu verhindern. Sogar mußten sie in den vorigen Jahren alle in langen schwarzen Röcken einhergehen. Wäre der Satz von Rautenstrauch, Eibel u. a. wahr: Quod omnes leges obligent in conscientia, so würde durch Uebertretung dieses Gebotes manche Sünde begangen worden seyn.

Wie sehr der Pöbel von dem Reichthume der hiesigen Geistlichkeit unterrichtet ist, magst du aus folgender lächerlichen Geschichte schließen. Neulich geschah es an einem Abend, daß die frommen Einwohner in der Albanskirche ihr andächtiges Wesen [65] trieben. Unter andern war auch ein gewisser Priester da zu sehen, so bald er aus der Kirche gieng, kam ein Mädchen, nahm ihm den Hut von Kopf, und lief damit fort. Ein Haarkräußler, der eben vorüber kam, that dem Herrn die Gefälligkeit, und lief dem Mädchen nach, um den Hut wieder zu erobern, gab ihm aber unterdessen eine Schachtel zu besorgen, die er unter dem Arm trug. Es währte lange und kein Haarkräußler wollte zum Vorschein kommen. Der Herr Kanonikus gieng nach Hause, und fand zu seinem größten Erstaunen, daß ein Kind in der Schachtel lag. Doch muß der geistliche Herr das Kind nicht ernähren, wie an manchem andern Ort der Grundsatz zu herrschen pflegt, sondern es fiel dem Fiskus heim, wie es auch nach den ächten Grundsätzen des peinlichen Rechts geschehen muß.

Ueberhaupt trift man auch unter der hiesigen Geistlichkeit meist gutdenkende Männer an. Man höret nicht, daß sie dem Volke allerley Mährchen aufbürdet, um Geld für ein Paar Dutzend Messen zu erschnappen, wie in andern geistlichen Staaten zu geschehen pflegt. Ich hörte sogar neulich die Predigt eines Weltgeistlichen, der die Geistlichkeit, welche [66] sich mit dergleichen Gewinn abgiebt, mit sehr harten Ausdrücken bestrafte. Ich möchte wünschen, daß mancher katholische Messenschnapper, deren ich genug persönlich kenne, dieser Predigt zugehöret hätte, ich glaube, sie würden sich dadurch gebessert oder doch wenigstens geschämt haben.

Das Jesuitenvolk hat hier noch viele Nahrung. Bald glaube ich, daß Gott dasselbe zur Strafe des menschlichen Geschlechts auf die Erde verpflanzet hat, denn die alten scheinen täglich jünger zu werden, um desto mehr Unheil anrichten zu können. Daß die hiesigen Jesuiten allerlei Gewerbe getrieben haben, kannst du daraus schliessen, daß man ihren Reichthum bei Aufhebung des Ordens 600,000 Fl. schwer befunden hat; 120,000 Fl. lößte man allein aus ihren vorräthigen Weinen.

Unter der hiesigen Jesuitenhorde zeichnet sich vor Andern P. G. aus; dieser schreibt ein sicheres Religionsjournal, das mit scandaleuser Augsburger Kritik einen Zweck zu haben scheint, nämlich: „Laßt das Volk in der Dummheit irren, daß wir desto ungehinderter schmaussen und trinken können!“ In diesem Journale findest du natürlicher [67] Weise Alles verachtet, was lobenswürdig, und alles gepriesen, was ungereimt, oder mit einem andern Worte, jesuitisch ist. Dieser unverschämte Kritikaster wagt sich oft an Gegenstände, wovon er gar keinen Begrif hat, und behandelt Männer, vor denen das gelehrte Deutschland den größten Respekt hat, wie Troßbuben. Ein Beispiel giebt die Rezension über des helldenkenden Schneiders Gedichte. Ich kann wohl leiden, wenn sich diese Art Leute mit Beschimpfungen verdienstvoller Männer beschäftigt, denn was schadet dieses einem ehrwürdigen Gelehrten? Aber daß sich diese Raçe in die Hausangelegenheiten von Privatmännern mischt, daß sie da den Saamen des Unheils streuet, das kann ich ihr nicht verzeihen. Ich kenne einen, der viel dadurch gelitten hat. Bei seinen Aeltern hatten auch die verdammten Grundsätze der Jesuiten Wurzel geschlagen; als er vom Hause weg und studieren sollte, mußte er bei einem Jesuiten logieren, welcher dann in allen richtigen Grundsätzen völlig unwissend war, und den ganzen Tag mit seiner dicken Aspasia entweder liebäugelte oder den Rosenkranz betete. Oefters stritt er mit ihm über Aufklärung u. dergl. [68] Wenn der Ignorant dann nicht widerlegen konnte, so war allzeit gleich der Machtspruch bereit: „dies sagt P. G. und Ich; also muß er stillschweigen und glauben.“

Dem feinen P. G. ward zwar kürzlich sein calamus scriptorius ein wenig verschnitten, aber doch kann er sich nicht mäßigen. Es wäre am besten, es würde in der Wahlkapitulation festgesetzt, daß Schriften solchen Inhalts nicht verkauft werden dürften.

Hierhin gehört auch noch die Bemerkung, daß man im vorigen Jahr Willens war, einen Jesuiten zum Prorektor der Universität zu wählen, welches aber zu gutem Glück nicht geschehen.

Die übrigen hiesigen Mönche können mit der Zeit brave Leute werden, denn ihre Entwickelung bekommen die jungen Männer von der Universität, nicht von einem dummen, mit Vorurtheilen angepfropften Lektor. Sind also die Alten einmal ausgestorben, so ist auch mit ihnen der Aberglauben begraben. Doch kann man nicht sagen, daß die hiesigen Mönche sich schlecht aufführen, oder Ausschweifungen begehen, die sie unter dem Mantel der Heiligkeit [69] versteckten. Nur Bigotterie kann man ihnen vorwerfen. Auf die hiesigen Einwohner haben sie nicht sehr vielen Einfluß mehr, denn der Fürst hat ihre Brüderschaften und dergleichen Erwerbungsarten aufgehoben. In manchem Kloster wird freilich noch gut gegessen und getrunken. So z. B. versicherte mich einer meiner Freunde, daß er auf Gründonnerstag, in einem gewissen Kloster alle erdenklichen Tischspeisen und Wein in Menge auf dem Tische angetroffen habe. Dieses aber mag ich ihnen gönnen, wenn sie sich nicht in Jugenderziehung und häusliche Angelegenheiten mischen, oder durch sonst heimliche Mönchs-Ränke ihren Vortheil zu anderer Schaden zu befördern suchen.

Insbesondere muß ich dir etwas von dem sogenannten Jakobsberge sagen. Dieser ist eine Abtei auf der Zitadelle gelegen. Sie soll eine von den reichsten in Deutschland seyn. Betrachtet man sie im Aeußerlichen, so glaubt der Unwissende, es wäre ein armes Franziskaner Kloster; kommt man auch in die Abtei selbst, so kann man sich nicht viel davon versprechen; kömmt man aber in die Zimmer, so sieht man schon, daß Reichthum hier verborgen [70] liegt. Der Prälat nennt sich einen Herrn, von und zu. Er ist ein sehr ordentlicher Mann, und behandelt seine Leute nicht, wie mancher Prälat, der in seiner Jugend von Kloster-Allmosen lebte, und dennoch wohl öfters dieses zu vergessen und sich zu erheben pflegt. Er speißt mit den andern Herrn des Klosters an einem Tische und verräth nicht den geringsten Stolz. Daß in dieser Abtei gut gelebt werde, zeigt das Ansehen des Prälats. Die Herrn im Kloster sind übrigens nicht ausschweifend. Etliche, mit denen ich selbst sprach, sind mit vielen Kenntnissen ausgerüstet, besonders zeichnen sich hierinn die jungen Leute aus, die von der Universität gebildet sind. Sehr verwunderte ich mich über die Freundschaft, die die Glieder dieser Abtei unter sich hegen; man hört nichts von Zank und Hader, der in andern Abteien, wo so viel Ueberfluß in Speiß und Trank anzutreffen, gar gewöhnlich ist. Auch wird man so leicht keinen Berauschten finden, welches sich doch gewisse Eberbacher Mönche zur Ehre anrechnen. Möchten sie doch eine sichere Anmerkung Meiers zu seinem Fürst von Stromberg beherzigen! oder wäre es doch dem Fürsten gelungen, diese Abtei aufzuheben, [71] man würde das Geld viel besser zu verwenden gewußt haben.

Aus dieser kurzen Uebersicht des hiesigen Mönchthums siehst du, daß man hier ihnen schon in Vielem Einhalt gethan und der ehemaligen Ehr- und Herrschsucht Grenzen gesetzt hat, und daß man auch ferner Aufklärung in die Klöster zu verpflanzen geneigt seyn mag, um Früchte hervorzubringen, welche bisher durch falsche Vorurtheile erstickt wurden. Es wäre freilich besser, wann nie Jemand den unseeligen Gedanken gehabt, ein Mönchsstifter zu werden; aber da sie nun einmal existiren, und es unmöglich ist, sie auf einmal gänzlich zu vertilgen, so thut schon jeder Fürst genug, wenn er ihnen die Kraft zu schaden benimmt. Ich hoffe, daß, ehe Jahrhunderte weggehen, man den Namen Mönch nicht mehr kennen wird. Denn man schätzt heut zu Tage die Freiheit viel mehr, als daß man sich in ein dunkles Kloster sollte einsperren lassen. Wer in die Kapuzze schlüpft, thut es entweder aus Zwang oder Armuth. Diesem aber suchen die Fürsten durch eigene Aufklärung zuvorzukommen, also wird meine Hofnung nicht zu Schanden werden.

[72] Reiche Nonnenklöster hat der Fürst weislich aufgehoben. Das Geld wird Lehrern zum Gehalte angewiesen. Arme hob er zwar nicht auf, doch richtete er Alles so ein, und machte solche Gesetze, daß in die Zukunft jedem Mädchen, welches das klösterliche Leben wählen und Nonne werden will, der Eingang zur Klause leicht zu versperren ist. Ist auch ein Kind schon so thöricht gewesen, und hat sich einkleiden lassen, so ist ihm doch genug Bedenkzeit gestattet, in welcher dasselbe wieder zu den ehelichen Freuden, die der Zweck seines Daseyns sind, übergehen kann. Wie unüberlegt öfters die Entschlüsse sind, sich in den widernatürlichen Nonnenstand zu begeben, zeigte hier ein Beispiel, das alle Aeltern wohl beherzigen sollten: Zwo Nonnen fühlten das, wozu sie geschaffen waren. Das Kloster zu verlassen, war aus mancherlei Gründen nicht wohl möglich; um nun den Trieb, der sich bei ihnen nicht in kleinem Maaße auf einem empfindlichen Platz gesammelt hatte, zu befriedigen, liessen sie sich von einem Müller die Besuche machen, welches dann den Erfolg hatte, daß sie nach 9 Monden im Altmünster glücklich entbunden wurden.

[73] Die abergläubischen Gesinnungen sind, wie du weißt, die wesentliche Eigenschaft der Nonnen, die ihnen also nicht wohl abzugewöhnen sind. Für sich mag nun meinetwegen eine Nonne glauben, daß man in der Hölle mit glühenden Zangen gezwickt und gebrennt werde, denn ihre Epoke ist nun vorüber. Daß noch da und dort ein Wunderbildchen seine Wirkung thut, hat keine bösen Folgen mehr, denn in unsern Tagen sind auch die meisten Katholiken nicht mehr so leichtgläubig, und sie lernen nach und nach die Wunder selbst machen; niemand bewahrt sich mehr einen Tropfen des Schweises Christi auf, es müßte denn ein altes einfältiges Mütterchen seyn. Zum Beweis, daß der hiesige Erzbischof alle Alfansereien der Nonnen verbannet, mag dir folgendes Beispiel dienen: Zu Agnesen bewahrte man einen gewissen Schleier, der sich von der h. Agnes herschreiben sollte. War eine Mutter in Kindesnöthen, so lief man geschwind zu diesen Nonnen, gab so viel Geld, als man verlangte, und nahm mit Ehrfurcht den heiligen Schleier, legte ihn der kranken Mutter auf den Leib, und dann mußte sie glücklich abortiren, wenn schon der Teufel seine Künste daran wagte, [74] um der Mutter Schmerzen zu machen. Dies schändliche Gewerb trieb man eine lange Zeit, bis man endlich denselben niemal mehr vorzuzeigen geboten hatte.

Beispiele dieser Art sind sehr vielfältig lächerlich und auffallend, aber es ist besser, sie werden vergessen, damit die Nachwelt sich nicht über dergleichen Ungereimtheiten zu ärgern hat, und daher lassen wir den Vorhang über diese Szenen nieder!



Neunter Brief.

Ich eile zu dem Bilde eines Gegenstandes, von dem des Menschen Wohl größtentheils abhängt, nämlich zu dem der Religion. Wer nur obenhin die Geschichte studieret hat, sieht leicht ein, welche Greuel unter den Menschen durch Religionsbegriffe entstanden. Die Kirchen-Reformation unsers redlichen Luthers mag dir zum Beispiele dienen. Findet man wohl in den Jahrbüchern der Menschheit ähnliche Auftritte? Wäre jeder Fürst mit den [75] Folgen eines irrigen Religionsbegriffes genau bekannt, so würde er gewiß leicht einsehen, wie viel er auf diesen Gegenstand zu verwenden habe. Er würde nicht jeden, der sich dazu würdig dünkt, auf die Kanzel steigen und dem Volke predigen lassen. Den neuesten Beleg hievon geben uns die belgischen Unruhen, welche nur allein Pfaffenwuth und schiefe Religionsbegriffe zum Grunde haben. Daß dem hiesigen Regenten dieser Punkt auch sehr am Herzen liegt, kannst du schon aus der Errichtung des Seminariums eines Theils schliessen; für die Erziehung der Kinder hat er auch schon manche treffliche Anstalten gemacht.

Doch läßt sich von der Religion der Mainzer überhaupt nichts sagen. Ein Theil hat gute, der andere schiefe Grundsätze. Man findet aber mehrere der ersten Gattung. Viele aus dem Mittelstande liessen sich oft öffentlich in allzufreie Gespräche über Religion ein, weswegen der Fürst eine Verordnung ergehen ließ, daß Niemand in Weinschenken und öffentlichen Plätzen sich in Dispute über Religionssachen einlassen sollte. Dies hat aber seinen gehörigen Eindruck nicht gemacht. Neulich befand ich mich [76] noch in einer öffentlichen Gesellschaft, wo man über wichtige Religionssätze sehr hitzig stritt. Einige sagten sogar, wenn man ihnen bei uns Protestanten bessere Versorgung gäbe, als sie in ihrem katholischen Lande hätten, so würden sie kein Bedenken tragen, zu unsrer Religion überzugehen. Ob der Satz schon seine Richtigkeit hat, und von dem aufgeklärtern Theile der Katholiken auch angenommen ist, daß man in jeder Religion selig werden könne, so war mir diese Unterhaltung doch sehr zuwider, denn es bleibt allzeit ein abscheulicher Gedanke, sein Religionssystem nach dem größern oder geringern Haufen Goldes formen zu wollen. Mein erster Grundsatz ist: „in jeder Religion wird man selig, wenn man nach Tugend strebt, und wer von seinem Glauben zu einem andern übergehet, ist in meinen Augen ein Nichtswürdiger.“ Denn ich glaube nicht, daß man mir in neuern Zeiten ein Beispiel wird aufweisen können, wodurch es bewiesen würde, daß Einer aus wahrer Ueberzeugung seine Religion verändert habe; man wird allzeit andre Ursachen zum Grund liegen sehen.

[77] Riesbeck, in den Briefen eines reisenden Franzosen durch Deutschland, wirft dem itzigen Erzbischof vor, daß er die Keuschheitsanstalten der verstorbenen Kaiserinn in seinem Lande eingeführet habe. Er hätte nämlich befohlen, den Schwängerer stehenden Fußes mit dem geschwängerten Mädchen zu verehlichen, um die Hurerei und schlimmen Wirkungen derselben zu hemmen. Diese Verordnung mußte gewiß sehr nachtheilige Folgen haben, denn wie kann sich ein solches Ehepaar lieben, und Liebe ist doch das festeste Band der Ehe. Mit Freuden erfuhr ich, daß man von dieser Verordnung schon lange nichts mehr gehört, und daß der Fürst von dem Grundsatz überzeuget sey, daß aller physischer Zwang in moralischen Fällen der menschlichen Gesellschaft verderblich ist.

Der Verfasser des Faustins hat bei der Erzählung der Exkomunikation des Beckers Makomitschki viele Unrichtigkeiten, und sucht aus diesem Schritt die hiesige Regierung in Betreff der Religionsanstalten sehr herunter zu setzen. Es ward freilich hier sehr hart verfahren; fiel aber diese Geschichte in die itzigen Zeiten, so würde man gewiß nicht mit dem [78] Bannstrahle um sich werfen. Die Geschichte selbst verhält sich folgendermaßen: Der Becker war ein guter Freund von einem gewissen Vikar (nicht Domsänger) zu St. Stephan. Beide giengen in ein bekanntes Haus, wo sie sich oft bei einem guten Glas Wein lustig machten. Hier befand sich ein schönes Mädchen, das der Becker liebte. Als der Vikar auch eines Tages hier sein Wesen treiben wollte, (wenigstens schien es dem Becker so) ward dieser eifersüchtig, ergrif einen Stock, und gab dem Vikar derbe Schläge. Dieser trug sie auf seinem Rücken still nach Hause. Jener aber, nicht zufrieden mit dieser Rache, verklagte den Vikar noch obendrein. Man untersuchte die Sache und der Becker fiel in excomunicationem latae sententiae. Viele achteten zwar dieses nicht, und trösteten ihren Freund; allein es gab auch viele, die sich den Lasterhaften anzusehen scheuten. Besonders zeichnete sich ein Mönch aus, der, als er eben im Meßopfer begriffen war, und sich herumdrehen sollte, dominus vobiscum zu sagen, mit dem größten Eifer für die Religion Christi ausrief: excomunicatus adeat, und vom Altar lief. Es dauerte eine ziemliche Länge, [79] bis der Mann von seinem Bannstrahle befreit ward. Sein Vertheidiger schrieb die Sache an einen bekannten Franziskaner nach Rom, damit sie desto geschwinder zu Ende gieng. Dieser aber ließ sie liegen und entschuldigte sich damit, er dörfe sich nicht in Händel eines Exkomunizirten mischen. Der Becker lebt noch wirklich, und man höret nicht, daß ihm dieses mehr von einem seiner Mitbürger vorgeworfen würde, vielweniger, daß man seinen Umgang deswegen verabscheute.

Eben so verhält es sich mit der Geschichte von Isenbiel. Dieser legte eine Weissagung Emanuels anders aus, als man bisher bei den Katholiken zu thun gewohnt war. Die Schrift ward für ketzerisch erklärt, und man schlug an allen Kirchen einen Zettel an, worauf Isenbiel als ein Ketzer verdammt ward. Viele Gelehrten nahmen sich seiner Sache an, viele erklärten seine Meinung für heterodox. Unter jenen befand sich besonders ein verdienter Mann, Gerz, Professor der Schrift und der orientalischen Sprachen in Trier, dem die Sache auch manchen Verdruß machte. Isenbiel mußte seine aufgestellte Auslegung widerrufen, und so ward der [80] h. Vater befriediget. Ich setze diese Geschichte nicht hieher, um gegen die Sorge des Landesherrn für die Einführung der reinen Religion Christi einiges Mistrauen zu erregen; denn ihm kann dies Verfahren nicht ganz zur Last geleget werden. Er durfte die Sache nicht ungeahndet hingehen lassen, wenn er mit dem Pabste fernerhin in gutem Einverständniß leben wollte.

Wie sehr sich übrigens der Fürst die Religion angelegen seyn läßt, wirst du gleich sehen, wenn du einige seiner Verordnungen durchliesest. Er besetzt die Pfarreien größtentheils mit aufgeklärten Männern, sorgt dafür, daß der Jugend reine Religion beigebracht wird, und benahm den Mönchen den despotischen Unterricht der Kinder. Wie schwer es ihm aber fiel, alles dieses durchzusetzen, belehrt dich folgendes Beispiel: Man schickte einen Pfarrer ins Rhingau, um allda das neue Gesangbuch einzuführen. Als er dies den Bauern vortrug und ihnen auslegte, daß diese Gesänge das Herz mit mehr Inbrunst gegen Gott erfüllten, glaubten die dummen Leute, man wollte die alte Religion zerstören und eine neuerfundene einführen. Von heiligem Eifer [81] entbrannt, ergriffen sie den Pfarrer und mishandelten ihn nicht wenig; dann stürmten sie mit schrecklichem Gebrülle in’s Chor, und stimmten ein Te Deum an. Zur Strafe und zum Beispiele für andere Gemeinden verdammte man die Anführer mit Recht auf einige Jahre zur Schanze.

Man hat auch hier die Fasten-Gebote sehr gemildert. Jedem ist mit Erlaubniß des Pfarrers gegönnet, (welche sehr leicht zu erhalten ist) an Frei- und Samstagen Fleisch zu essen. Wozu aber auch diese Gebote? denn kann man sich nicht sowohl an Fleisch- als Fischspeisen abbrechen? Wäre dies auch nicht, so würde doch die Dispensation noch in der Theurung der Fische gegen das Fleisch ihren vernünftigen Grund haben.

Jeder Reisende muß sich mit mir freuen, wenn er die toleranten Gesinnungen der hiesigen Einwohner gegen anders Denkende bemerkt. Man wird keinen Bürger antreffen, der gegen einen Nichtkatholiken blos deswegen, weil er nicht seinen Religions-Grundsätzen anhängt, spottet oder schimpfet. Zu dieser Toleranz, die schon Christus lehrte, trug der Kurfürst Emmerich Joseph sehr viel bei, da er [82] den Nichtkatholiken, welche sich im Jahre 1768. zu Höchst ansässig machen wollten, die freie Religionsübung gestattete. Der itzt regierende Fürst würde nicht anstehen, ihnen in der Hauptstadt Mainz selbst solche Vortheile zuzugestehen, wenn sich ihm die Gelegenheit darböte; allein die Protestanten sind so oft in ihrer Hoffnung betrogen worden, daß sie lieber unter der Regierung eines ihrer Religion ergebnen Fürsten stehen.

Aus dem bisher Gesagten kannst du nun die Schlußfolge ziehen, daß es in diesem Lande um die Religion ziemlich gut aussehe. Es wäre freilich noch Manches zu verbessern, dies aber kann nicht auf einmal geschehen, denn dazu ist das ganze Volk nicht genug vorbereitet. Indessen will ich dir doch sagen, wo noch einige Anstalten hierinn zu treffen wären. Erstens sind noch hier unzählige Processionen an besondern Tagen, wo man die Bildnisse der Heiligen gepanzert in der Stadt herumträgt. Besonders fiel es mir auf, da ich kürzlich eine Procession herausführen sah, wo man ein schweres hölzernes Kreuz Christi mitschleppte. An das Kreuz war unten eine Stange queer gelegt, die zween wohlgeschulterte [83] Männer in den Händen hatten, um es in der Höhe zu halten. Hintenher giengen wieder 3 Männer von ähnlichem Schlag, die den obern Theil der Masse mit langen Stangen in der Richtung hielten, damit die Last nicht übersänke, und einige Umstehende zerschmetterte. Dieses Kreuztragen sollten sich die hiesigen Karcher nicht nehmen lassen. Zweitens hat man auch hier einen Anschlag verbotner Bücher, der jedem, welcher den Dom passiret, gleich auffällt. Das neueste Verbot betrifft die Kritik der Geschichte der kirchlichen Unfehlbarkeit. Jeder, der nur ein wenig Mutterwitz hat, kann eine kluge Censur bei itzigen Zeiten nicht verwerfen, denn wie viel unnützes Zeug wird in die Welt geschrieben? Wie oft erscheinen sogar Schriften, die der Religion und dem Staate sehr schädlich sind. Um diesem zuvorzukommen, müßten in einem wohleingerichteten Staate Censoren angestellet seyn; aber der Fürst sollte sehr viele Sorge tragen, daß die Censur helldenkenden und mit hinlänglichen Kenntnissen versehenen Männern übertragen würde. Was die hiesige angehet, so verfährt sie schon eines Theils zu strenge, und verfehlt die nöthige Beurtheilung. Daß man aber [84] die verbotnen Bücher im Dom den Leuten zur Schau anklebt, kann ich nicht billigen, denn hierdurch wird mehr geschadet, als genützet. Sieht ein junger Mensch, daß dieses oder jenes Buch verboten ist, so wird er desto mehr gereizt, es zu lesen. Wäre aber der Anschlag nicht geschehen, so hätte der größte Theil von dem Sittenverderbenden Buche nichts gewußt, und also wären auch keine schädlichen Folgen zu befürchten. Drittens wäre zu wünschen, daß man gewisse Bildnisse, die nur falsche Vorstellungen bei dem Menschen veranlassen, wegschaffte, z. B. jenes auf dem Ignatiuskirchhof, wo ein Kruzifix steht, und auf beiden Seiten ein Schächer. Dem einen nimmt der Teufel, dem andern ein Engel die Seele weg, um sie nach ihren verdienten Orten zu bringen. Redlich denkende Pfarrer sollten selbst darauf antragen, daß man solche Denkmäler des Aberglaubens niederriß; die Regierung würde es ihnen gewiß nicht verargen. Auch stehen deren noch manche auf verschiednen Wegen, worunter oft so schöne Reime, die das Geheimniß auslegen, angebracht sind, daß man darüber in volles Gelächter ausbrechen muß. Besonders erstaunte ich über den [85] Kontrast, den einige Figuren in der großen Allee machen. Hier stehen St. Venus und St. Peter neben einander, welches doch sehr lächerlich aussieht.

Bei dieser Gelegenheit muß ich dir auch noch etwas von den nackenden Tänzen, die eine Gesellschaft vor mehrern Jahren hier aufführte, melden. Sie bestand aus Juristen, Offizieren, Frauenzimmern, Nonnen, Mönchen und andern Pfaffen. Was man hier spielte, kannst du leicht denken. Dieser unkeusche Zirkel ward aber bald zerstöret und empfindlich gestraft. Viele Schriftsteller Deutschlands wollen zwar diese natürliche Sitte vertheidigen, und sagen, man würde solche Verbrecher nicht mehr mit dem Strange bestrafen. Dieses letzte will ich zwar gern zugeben, allein ihren Nachtheil für Sitten und Religion wird mir niemand mit vernünftigen Gründen abläugnen.

Unter die Rubrik von Religion rechne ich auch die Verwaltung des Kirchenwesens und die geistliche Justiz. Jenes wird überhaupt gut verwaltet, dieses sucht man zur Vollkommenheit zu bringen. Hieher gehört 1) das erzbischöffliche Generalvikariat, in dessen Namen die Verordnungen erlassen werden. [86] Dieses Vikariat ist auch für die erzstiftischen Staaten die Apellationsinstanz. Auch appeliren hierhin die suffraganeirten Bisthümer, als eine Metropolitaninstanz; 2) das erzbischöfliche geistliche Gericht und Siegelamt in Mainz; 3) das Komissariat zu Amöneburg, 4) das zu Frizlar, Aschaffenburg und in dem Eichsfeld; 6) das erzbischöfliche geistliche Gericht zu Erfurth.

Der Klerus sekundarius steht nicht ganz unter mainzischer Landeshoheit. Der Primas davon ist der Abt der Benediktiner Abtei auf dem Jakobsberg. Sie begreift das Ritterstift Alban in Mainz, die Kollegiatstifter zum h. Kreuz, St. Peter, St. Viktor, St. Gangolf, St. Johann, St. Moriz, und L. Frauen, das kaiserliche Wahl- und Krönungs-Stift zu St. Bartholomäus in Frankfurth, das Kollegiatstift zu St. Johann in Amöneburg, das zu St. Leonhard in Frankfurth, und das zu L. Frauen daselbst, das zu St. Martin, Donat, und Nazarius in Märzstadt, das zu St. Peter und Alexander in Aschaffenburg, und das zu St. Peter in Frizlar unter sich.


[87]
Zehnter Brief.

Ich komme auf den Fürsten, der gewiß in jeder Rücksicht ein bedeutender Mann ist. Die öffentlichen Nachrichten, die man auswärts von ihm bekömmt, sind die widersprechendsten und lächerlichsten, die man hören kann. Einige haben ihn mir als einen tiefblickenden, Andere als einen oberflächlichen, und noch Andere als einen der besten Männer Deutschlands geschildert. Diesen letzten konnte ich nicht anders antworten, als daß die Zahl von guten Männern in Deutschland mehr schätzbar als groß sey. Ich will dir nun seinen ganzen Karakter, so wie ich ihn aus Thaten und Beobachtungen zusammengesetzet habe, getreu darstellen, und dann magst du selbst daraus einen Blick über das Ganze werfen.

Der Kurfürst von Mainz ist nicht nur ein ausgebildeter, sondern auch ein auf seinen Staat äußerst aufmerksamer Mann. Er liebt die Künste und Wissenschaften; das bezeugen die vielen schönen und trefflichen Anstalten, die er nach dem erhabnen Beispiele [88] seines Vorfahrers in dieser Rücksicht gemacht hat; das bezeugen die großen Gelehrten, die seine Stadt schmücken; das bezeugen die großen Vorsprünge, die Mainz vor seinen Nachbarn in allen Fächern der Wissenschaften gemacht hat. Es ist zugleich ein Beweis, daß die Meinung verschiedner Eifersüchtigen ungegründet ist, die ihm vorwerfen, als habe er seit einigen Jahren die besten Männer von seinem Hofe entfernet, um desto ungestörter im Trüben zu fischen. Dummer und unverschämter kann der Fürst nicht gelästert werden. Ich sah ihn einmal im Theater, und ich muß gestehen, er könnte einen tiefblickenden Lavater vielen Stof zu physionomischen Betrachtungen geben. Er hat eine starke und gebogene Nase, scharfe Züge, und überhaupt ein viel bedeutendes Gesicht. Als er hereintrat, ward er von allen Seiten mit einem Getöse und Geklatsche bewillkommet, worüber er gar höflich gegen das Publikum dankte. Er scheint aber nicht vieles Vergnügen am Theaterwesen zu haben, denn ich sah ihn die ganze Zeit über mit einem Kammerherrn sprechen, und selten einen Blick auf die Akteurs werfen, aber bei einer guten Darstellung recht herzlich [89] zuklatschen. Er besucht das Schauspiel nie, und die Oper nur höchst selten. Man will die starken Ausdünstungen der vielen Lichter und zahlreichen Zuschauer als die Ursache davon angeben, die seinem hohen Alter nicht zuträglich sind. – Er stammt aus der Familie von Erthal, und hat am kaiserlichen Hofe mehrere Jahre als mainzischer Gesandte gestanden, wo er sich eine große Welt- und Menschen-Kenntniß erworben hat, die ihm hier gut zu statten kommt. Er wurde bei der letzten Erledigung des erzbischöfflichen Stuhles von dem kaiserlichen Hofe dem hiesigen Domkapitel empfohlen, das auch kein Bedenken trug, ihn zu wählen. Daß dies ganz ohne Absicht von jener Seite geschehen sey, kann ich keineswegs glauben, denn wer nur einigermaßen einen Blick in das Staatsrecht geworfen hat, wird leicht einsehen, wie vortheilhaft die Freundschaft eines hiesigen Kurfürsten jedem deutschen Hofe seyn könne, und wie leicht der Sprung auf den kaiserlichen Thron ist, wenn man den Direktor der Wahl auf seiner Seite hat. Wirklich hat auch der Kurfürst unter Theresiens Regierung mit warmer Freundschaft am Kaiser-Hofe gehangen, ja sogar einige [90] seiner Grundsätze in Erzbisthum in Ausübung gebracht. Sobald aber Joseph an’s Ruder kam, war plötzlich alles verschwunden. Dies schien sich nun unter Leopolds Regierung wieder ein wenig geändert zu haben. Was es aber ferner für eine Wendung nehmen möchte, kann allein die Zukunft entscheiden. Indessen schien der Mainzer über die Wahl des itzigen Kurfürsten sehr erfreut zu seyn, denn wie mich ein Augenzeuge versicherte, hat man ihm, als er das erstemal als Kurfürst ausfuhr, alle Wege mit Blumen bestreut; eine Ehre, die noch selten einem Großen widerfahren ist! Nun scheint sich aber Vieles verändert zu haben. Man findet in der Stadt wenige Bürger, die gut auf ihren Landesherrn zu sprechen wären, wovon dieser dann auch unterrichtet ist, und ich möchte es seine schwache Seite nennen, daß man ihn so leicht in Furcht setzen kann. Besonders ist er bei der alten Geistlichkeit gar nicht gelitten. Kennt man aber die Anstalten, die in Rücksicht dieser gemacht worden, so wird man leicht die Ursache davon finden können. Reformationen der Klöster, neue Schuleinrichtungen, Eifer gegen Aberglauben und Bigotterie sind die Sachen, wodurch [91] man sich den ganzen Groll dieser Halbmenschen auf den Hals laden kann.

Nichts als Prachtliebe und Verschwendung kann man dem Fürsten zur Last legen. Es ist wahr, dieser Fehler kann einem Lande sehr gefährlich und verderblich werden; dies sieht man deutlich, wenn man die Ausgaben berechnet, die der hiesige Hof auch bei der äußersten Simplicität und Sparsamkeit zu bestreiten hat. Man ist einig, daß der Kurfürst hierinn sehr zu entschuldigen sey; man schreibt Alles kriechenden Räthen und Damen auf die Rechnung. Dies kann derjenige, der nur von Ferne mit der Regierung des Landes vertraut ist, leicht glauben, und das um so mehr, wenn er die Einflüsse einer E*** und eines H** kennt. Unterdessen häufen sich die Schulden, und der Unzufriedenen werden immer mehr im Land. Durch diese Verschwendungen kommen dann alle Laster mehr in Gang; Untreue gegen den Fürsten, und Bestechungen sind die ersten Folgen davon; das Verdienst wird unterdrückt, weil es dem Minister nicht schmeichlen, und der Dame sich nicht kriechend unterwerfen will.

[92] Der Hofstaat des hiesigen Erzstiftes begreift alte und wichtige Familien; Erbmarschall ist der Landgraf zu Hessen, Erzbaumeister der Pfalzgraf zu Zweibrücken, Erbküchenmeister der von Greisenklau zu Vollraths, Erbschenk der Graf von Schönborn, Erzkämmerer der Graf von Stollberg, und Erbkämmerer der Graf von Metternich Winneburg. Die übrigen Personen des Hofstaates machen ohngefähr 500 Personen aus.

Die Einkünfte des Hofes sollen ohngefähr 1,700,000 Fl. betragen, wovon nach Büschings neuer Erdbeschreibung die Weinzölle allein 150,000 Fl. abwerfen und nach Schlözers Briefwechsel der Eichsfelder Staat 180,000 Fl. einträgt. Von diesem letztern hat man im vorigen Jahrhunderte folgenden Steuerfuß festgesetzt. Dem zu Folge muß die Ritterschaft von jedem 1,500 Fl. 327, die Städte Heiligenstadt und Duderstadt 273, und die Geistlichkeit 150 Fl. eintragen.

Die Finanzen werden von folgenden Dikasterien verwaltet: 1) durch die Hofkammer zu Mainz, 2) die Rechnungsrevisions-Kammer, 3) die Kammer [93] zu Erfurth und 4) durch die Kammer auf dem Eichsfeld.



Eilfter Brief.

Der hiesige Adel ist einer der zahlreichsten und mächtigsten im ganzen Deutschland. – Gemeiniglich ist es dieser Menschenklasse zur andern Natur geworden, sobald sie ihre Stärke fühlt, dieselbe zu benutzen, und mit schnöden Blicken auf die andern Kinder der Natur herabzusehen. Daß man davon hier mehr als an irgend einem andern Orte überzeugt werden kann, wollte ich mit hundert Beispielen beweisen, wenn nicht der lächerliche Ahnenstolz schon bekannt genug wär, eben so wie gemeiniglich wahre Verdienste dem leidigen Geld nachstehen müssen.

Umsonst haben einsichtsvolle und geschickte Männer aus dem Kreise dieser Halbgötter gegen eine so ärgerliche Gewohnheit geeifert; Gewohnheit, sage ich, denn daß dieses Großthun etwas mehr, und [94] nicht schon in ihrem Blute gegründet sey, wird mich niemand überreden. Manche Schriftsteller haben schon oft in ihren Werken Thränen darüber vergossen, daß die alten Ritter ihre Tugenden mit sich in’s Grab genommen, und ihre Laster den Enkeln zurückgelassen hätten. Es lohnte sich daher wohl der Mühe, einen Vergleich unter beiden anzustellen: dies wäre kein geringer Beitrag zur Geschichte der Menschheit.

Das Unpopuläre und Verzärtelte in dem Karakter des hiesigen Adels schreibe ich größtentheils der sklavischen Erziehung der Kinder zu. Ich will versuchen, ob es mir gelingt, dir einen dunkeln Begriff davon zu machen.

Sobald der junge Graf oder Baron der Brust der Amme entwöhnt ist, (daß die Großen ihre Kinder hier so wie an andern Orten nicht selbst säugen, kannst du dir leicht vorstellen;) fällt er unter die Ruthe des Hofmeisters, der gemeiniglich ein sogenannter Schöngeist seyn muß. Ich könnte dir Beispiele erzählen, wo man diese Klasse von Leuten geschickten und in der Erziehung erfahrnen Männern vorgezogen hat. Freilich muß es der gnädigen Frau [95] schmeicheln, wenn ein galantes Herrchen bei jedem Namens- oder Geburts-Tage ihr seine Geistesprodukte überreicht, und dabei so begeistert thut, als habe Apoll und die heiligen Neun Musen ihm durch ein unterirrdisches Orakel die Alexandrinen eingehaucht. Daß bei solchen Umständen diese jungen Zöglinge von zarter Kindheit an verdorben werden, ist eine ganz natürliche Folge. Der H. Hofmeister weiß ihnen nichts andres vorzuplaudern, als Romanzen und Idillen, an klassische Arbeiten wird gar nicht gedacht. Römische oder griechische Schriftsteller findet man sehr selten in den Händen der adlichen Jugend, ja sie wird nicht einmal mit der Litteratur ihres Vaterlandes bekannt gemacht. Alles ist nach französischer Art eingerichtet. Die meisten verstehen nicht einmal ihre Muttersprache; ein ärmliches französisches Wortgepräng ist Alles, womit sie sich unterhalten. Ich habe mich öfters nicht wenig geärgert, wenn ich bei Gelegenheit eines Kinder-Balles bei Hofe denen den meisten Beifall zunicken sah, die am meisten französisch sprachen. – Doch alle diese Todsünden wären noch zu verzeihen, hätte man zugleich mit den französischen Ungereimtheiten auch die [96] französische Leichtigkeit und Munterkeit eingeführt. Allein die Kinder sind so steif und plump, daß es kaum anzusehen ist. Wer am meisten den Kopf in die Höhe zu werfen und am richtigsten die Schritte abzuzählen weiß, kann sich den vorzüglichsten Beifall erwerben.

So wie die adliche Jugend in den Ritterzeiten in’s Ausland reis’te, um Abendtheuer zu bestehen, und sich Thatenruf zu erkämpfen, eben so pflegt es auch noch heut zu Tage, doch mit einem auffallenden Unterschied, zu geschehen. Jene bekamen nichts als eine Lanze, ein Schwerdt, ein Pferd und die Tugend ihrer Väter zur Aussteuer mit, da man hingegen diese reichlich mit Geld und kostbaren Kleidern ausrüstet. – Die Gemeinstraße, worauf fast alle itzigen Ritter wandern, ist der Weg nach Frankreich und seiner Hauptstadt. Wer diese nicht gesehen hat, darf, ohne verachtet zu werden, in keiner öffentlichen Gesellschaft erscheinen. Da wird dann viel von neuen Moden und dem großen Ton, als dem Endzweck der ganzen Reise, gesprochen, und man freut sich, hierinnen immer mehr Kenntnisse zu sammlen.

[97] Du sehnst dich vielleicht, die Fortschritte zu hören, die der gereiste Adel in Frankreich gemacht hat? Diese sind von der nachtheiligen Seite sehr groß, von der vortheilhaften aber desto kleiner. Vorzüglich sucht man sich daselbst Bekanntschaften zu erwerben, welche den Jüngling bald zu einem Greiß umschaffen, und dieses so überzeugend darstellen, daß man den Wanderer nach Frankreich an seinen eingefallenen Wangen, blaßer Farbe und verstellten Gesichtszügen vor Allen andern erkennen kann. Venerische Krankheiten, stumpfe Sinne und abgespannte Kräfte sind die sichersten Folgen davon; und was das betrübteste ist, so pflanzt sich diese Seuche vom Vater auf den Sohn, und von diesem auf den Enkel fort, und so wird der hiesige Adel nicht weiter auf ein gewöhnliches Menschenalter rechnen dürfen, als wozu die ersten Schritte schon gethan sind. So viel vor jetzt von der adlichen Jugend. Aber auch unter den Aeltesten des Adels findet man Leute, mit denen ich nicht unter einem Dache wohnen möchte. Stolz, Verschwendung, Ausschweifungen und Verletzung ehlicher Treue sind die Hauptzüge davon. Und doch giebt man ihn für einen der reinsten in unserm [98] Deutschland aus. – Die hiesigen Domherrn müssen nicht nur Deutsche, sondern auch in der rheinischen Provinz gebohren seyn, und 16 adliche Ahnen aufweisen und beschwören. Der Probst, der Dechant, der Kustos, der Scholaster und der Sänger sind die Prälaten dieses Stiftes, und dürfen eine Inful tragen.

In den Equipagen, Tafeln und Kleidungen herrschet hier ein feiner Geschmack. Die Equipage des Domsängers von Hoheneck ist eine der prächtigsten, und ganz nach den besten Ausgaben von Paris gearbeitet. Dies kann ich den geistlichen Herrn um so weniger verargen, da es, wie man sagt, ihr einziges Vergnügen seyn muß. Diese ist eine von den Nachrichten, denen ich in Beziehung auf Mainz dem wenigsten Glauben beimessen kann. – Im Essen und Trinken herrscht eine solche Verschwendung, daß ein hiesiger angesehener Große in einem Vierteljahre 4,500 Fl. durch Gastmäler verschwendet. Dies ist dir wahrscheinlich auffallend? ich kann dir aber für die Wahrheit dieses Satzes, den ich aus dem Munde eines sichern Freundes habe, [99] mit meiner ganzen Ehre bürgen. Alle diese herrlichen Eigenschaften finden sich nicht nur bei den eingebohrnen Rittern dieses Landes, sondern sie pflanzen sich auch auf auswärtige Ankömmlinge fort. Einen solchen habe ich die Gnade zu kennen. Als er hierher kam, war er freundlich und herablassend gegen jedermann, sprach mit dem ärmsten Bettler wie mit seines Gleichen, und half, wo er helfen konnte. Doch kaum hatte er nur ein wenig in den Zirkel der hiesigen Großen geschmeckt, als plötzlich alle diese ihn verehrungswürdig gemachte Vorzüge verschwanden und er sich dem großen Haufen gleich stellte. Unter den übrigen schönen Eigenschaften zeichnen sich dann noch besonders diese aus. Ich habe oft im Theater und auch auf der Straße bemerkt, daß man den Laien mit der größten Dreistigkeit durch eine Lorgnette in’s Gesicht schaut, gerade als ob man viel Wichtiges darinn zu sehen hätte. – Als einen Beweis des adlichen Stolzes und Großsprechens mag dir auch dieses gnug seyn, daß man sich oft mit verschiednen Kunstgriffen durch den Schwall von Bedienten, der vor den Thüren solcher Paschas Hof hält, durchdringen muß, ehe man das unaussprechliche [100] Glück hat, seiner Gnaden oder Exzellenz vorgestellt zu werden.

Ich habe dir da mit schnellen Pinselstrichen ein Gemälde aufgestellt, dem gewiß nichts Uebertriebnes aufgetragen ist. Du magst es mit den Beschreibungen des übrigen Adels von Deutschland vergleichen, doch wird, wenn meine Sinne mich nicht trügen, das Resultat nicht vortheilhaft für Mainz ausfallen. Indessen darfst du nicht glauben, daß in dem Kreise der hiesigen Großen kein gutgesinnter und wohldenkender Mann sey. Um dich vom Gegentheile zu überzeugen, darf ich dir nur einen Freiherrn von Dalberg nennen, der auch Frankreich besucht, aber sich Menschenkenntniß und Wissenschaften erworben hat. Wem ist seine Aestetik unbekannt, durch die er sich unter den vorzüglichsten Schriftstellern Deutschlandes einen Rang erwarb? Er ist gegenwärtig Statthalter in Erfurth, und sucht sich daselbst zu seiner großen Bestimmung vorzubereiten. Du weißt, er wurde vor einigen Jahren zum größten Vergnügen aller Patrioten zum hiesigen Koadjutor gewählet. Welche schöne Hofnung blühet dem Mainzer in der Zukunft, wenn dieser Eingeweihte in den Fächern [101] der Staatsverwaltung an’s Ruder kömmt. Er soll mit dem itzt regierenden Fürsten nicht in dem besten Vernehmen stehen. Die verschiednen Grundsätze beider Männer mögen dieses bewirken. Man raunt sich hier verschiedne abendtheuerliche Meinungen in die Ohren, denen der Thaten durchdringende Forscher keinen Glauben beimessen kann. Man erzählt sich nämlich: Dalberg wolle die Koadjuterie des Mainzer Erzbisthums aufgeben, weil er in keinem Lande zu regieren verlange, das mit beträchtlichen Schulden behaftet sey. Dagegen würde man ihn zum Koadjutor von Würzburg wählen. Den hiesigen Stuhl sollte dann ein Prinz aus dem kaiserlichen Hause besteigen, und die Schulden des Erzstiftes bezahlen, welches alles zwar eine Sage, aber noch nicht erwiesen ist. Indessen wird der weise Dalberg mit der Zeit die Segel ein wenig mehr einziehen, und durch eine kluge Oekonomie seinen vielen unverkennbaren Eigenschaften die Krone aufsetzen. Wirklich herrscht er itzt in dem Erfurther Staate wie ein anderer Titus. Als Statthalter ist er zugleich Präsident der kurfürstlichen Regierung daselbst, die er klug und geschickt dirigiret. Ueberhaupt [102] kann er mit der Zeit einer der besten Regenten Deutschlands werden. Er hat ungemein viele Kenntnisse in allen Fächern der cultivirten Welt, und ist ein Mäzänat des deutschen Parnasses; er führt mit den ersten Köpfen eine beständige Korrespondenz, wie er dann auch schon einige an seinen Hof gezogen hat.

Daß der ungeheure Aufwand des Adels ein großes Hinderniß der Handlung seyn müsse, habe ich schon oben gesagt. Wie kann es auch anders möglich seyn, da er seine Goldstücke meistens an Dinge verwendet, welche die Handlung unterdrücken. Die benachbarten Städte Kölln und Frankfurth sind hierinnen weit glücklicher. Der Bürger wird geschätzt und geachtet, nimmt auch wohl Antheil an der Regierung, da der Mainzer traurig an der Schwelle der Großen vorüberschleichen, und sich mancher kränkenden Behandlung unterwerfen muß. Ich selbst sah ein Beispiel, wo ein solcher Kanibal einen armen Mann, der mit einer Tracht Holz die Straße vorüber, und jenem von ohngefähr in den Weg kam, einen so derben Stoß in die Rippen gab, daß der Unschuldige zu Boden sank, und unter der Last einige [103] Glieder verenkte. Wie abschreckend dieses Verfahren für einen Bürger ist, und wie es gerade der wahren politischen Theorie entgegen läuft, scheint man nicht zu erwägen.

Eben so verhält es sich mit der adlichen Geistlichkeit. „Was such’ ich auch in einer solchen Schaale ein Herz? Es darf ja nicht unter diesem Gewande schlagen. Das hat nur Sinn für eitle hirnlose Gebräuche; erhebt sich zum Gott, und ist blutdürstig wie ein Tiger. – Der ganze Reichthum ihres Herzens ist ihr eigenes Interesse. Die Leiden Ihrer Brüder erwiedern sie mit einem Achselzucken. Freiwillig würde nie eine Thräne des Mitleids in ihr Auge steigen, sie müßte denn erzwungen oder Crocodills-artig seyn. Ihrenthalben mag die Welt untergehen, wenn sie nur leben, sich mästen und sich wohlbefinden.“ In dieser Begeisterung spricht ingendwo ein beliebter deutscher Schriftsteller von dieser Menschenraçe. Und der Mann hat völlig Recht.

Auch was den Reichthum betrifft, so zeichnet sich der hiesige Adel auch unter seinen Brüdern aus. Glaubst du’s wohl, Herzensfreund! wenn ich dir [104] sage, daß ich dir Häuser nennen kann, die gegen 100,000 rheinische Gulden Einkünfte haben. Glaubst du’s wohl, daß man diese beträchtliche Summe demohngeachtet nicht allein verschwendet, sondern am Ende des Jahres noch Schulden dazu gemacht hat? daß ich einen Schooßhund, welcher aus Südwesten gebracht, und täglich mit Zuckerbrod gefüttert wurde, mit 10 Stück Laubthalern bezahlen sah? – Namentlich sind die Grafen von Bassenheim, Elz, Ingelheim, Metternich, Winneburg, Schönborn, Stadion, Wallerdorf und Ostein die reichsten unter den hiesigen Familien. Ich besuchte vorgestern das schöne Schloß dieses letztern zu Geisenheim im Rheingau. Seine prächtige Bauart und sein Garten haben sehr viele Reize. Besonders aber gefiel mir die mit einem Geländer umfaßte Terasse auf einem schauerlichen Felsen. Die Aussicht davon ist göttlich, und gewiß die angenehmste in der ganzen Gegend, wenn du die vom Altkönige ohnweit Frankfurth ausnimmst. Die Familie von Ostein soll die reichste im Mainzer Erzstifte seyn. Sie hat einige Millionen, die sie von einem Kurfürsten geerbet hat, auf Leibrenten in Holland liegen.

[105] Ich machte auch eine Fahrt nach Rüdesheim, wo der beste Wein im ganzen Rheingaue wächst. In den Ruinen eines daselbst stehenden Schlosses haußte im sechszehnten Jahrhunderte der berühmte Heinrich Brömser von Rüdesheim, Vizedom im Rheingau, zu dessen Zeiten unter der Regierung Albrechts von Brandenburg die Rheingauer einen gefährlichen Aufstand erregten. Die Ruinen gehören itzt, so wie die Güter dieses Schlosses, dem Grafen von Metternich Winneburg, wirklichen kaiserlichen Gesandten in Brüssel, der ein Abkömmling dieses Mannes ist.



Zwölfter Brief.

Wenn man durch die hiesigen Festungswerke wandert, so muß man über ihre Weitläuftigkeit und den ungeheuren Plan derselben erstaunen. Wichtiger wüßte ich keine Schanze am ganzen Rheinstrom, als die hiesige. Doch wird jeder, der nur einen dunkeln Begriff von der Kriegstaktik hat, leicht einsehen, [106] wie schwer die Unterhaltung derselben ist. Dazu spreche ich dem Mainzer Hofe alles Vermögen ab. Freilich wäre der oberrheinische Kreis verbunden, dem Hofe einen Zuschuß deswegen zu machen, wie er auch schon vorhin gethan hat, allein er lernt nun auch einsehen, daß die ehemaligen Feinde mit Deutschland in brüderlicher Freundschaft leben, und von den Franzosen auch nicht so leicht ein Ueberfall zu befürchten ist. Dieß giebt man zur Ursache an, warum man ihren Bau nicht gehörig unterhalten will, oder doch keine so große Aufmerksamkeit mehr darauf richtet. Es ist nun jedem erlaubt, frei und ungehindert darinnen zu spatzieren, und der schönen Aussicht, welche der südöstliche Theil derselben darbietet, zu geniessen. Man hat da die ganze Gegend wie in einem kleinen Gemälde vor sich liegen, besonders thut die Uebersicht der ganzen Stadt eine unvergleichliche gute Wirkung. Die Wohnung des Kommendanten liegt nicht minder schön. Sie begreift nach dem Pallaste die schönste Aussicht unter allen Häusern der Stadt. – Schreiben oder Zeichnen darf keiner ohne Gefahr von der Wache ergriffen und fortgeschleppt zu werden. Dieß geschah noch im vorigen [107] Jahre dem Sohne eines grossen Malers, der auf der andern Seite in der Gegend von Kosthein die Natur kopiren wollte. Man hatte damals vor einem Ueberfall von Seiten der Demokraten eine panische Furcht, die überflüssig gewesen wäre, wenn man wie in der benachtbarten Pfalz die Aristokraten verbannet und verjaget hätte. Der Hof scheint aber hierüber ganz anders zu denken, denn er nimmt nicht nur die Emigranten mit Freuden auf, sondern sucht ihnen auch noch durch gute Bewirthung ihr Schicksal erträglich zu machen. Glaubst du’s wohl, mein Lieber! daß man bei der letzten Anwesenheit des Grafen von Artois 2400 Fl. in einem Tage verschwendet hat? Ueberhaupt hatte die Aufnahme dieses Mannes viel Sonderbares; der Hof schmeichelte und der Bürger fluchte ihm.

Wer sieht nicht, daß die Festungswerke bei ihrer großen Weitläuftigkeit viele tausend Mann zur Vertheidigung fodern? Das Land ist diese zu unterhalten viel zu schwach; sie müßten also bei einem allenfalsigen Ueberfall von dem Reiche ersetzt werden. Der Ort Kastel gegen Mainz über könnte dem Feinde zu einer herrlichen Schanze dienen, um von dort [108] aus die Stadt zu beschiessen. Dieses müßte daher meines Erachtens ohne Gnade geschleift werden, um sich in dem Besitz der Stadt zu halten. Ich sprach vor einigen Tagen mit einem verdienstvollen Offizier, der mit mir einerlei Meinung war, und mir überhaupt viele Aufschlüsse über die hiesige Festung gab. Er hatte auch die Güte, mich in das Zeughaus zu führen, das viele sehenswürdige Alterthümer enthält.

Die Anzahl der Soldaten des hiesigen Erzbischofs beläuft sich ohngefähr auf 3000. Sie besteht aus 4 Regimentern, wovon 3 in Mainz, und eines in Erfurth liegt; aus einer Garde von 75 Mann, einer Husarenschwadron, einem Landjäger- und einem Artilleriekorps. Auch lieget hier eine Kompagnie Oberrheinischer Kreistruppen in Garnison. – Ueberhaupt scheint der hiesige Militär Etat mehr zur Pracht als zu einem wahren Nutzen zu seyn. Man findet Leute unter den Offiziers, die nicht einmal recht schreiben und rechnen können. Und doch sind sie so dreist, Männer von Verdiensten sich nachzusetzen, denn eine Gesellschaft solcher Helden hat unter sich den Vertrag errichtet, auf der Straße stets die Mitte zu halten, und keinem, wer [109] es auch sei, aus dem Weg zu gehen. Geschieht es einmal, daß man einem von diesen zu nahe kommt, so stossen sie so unverschämt in die Rippen, als man von der niedrigsten Menschen-Classe erwarten kann; wie polizeiwidrig und unvernünftig dieses gehandelt sei, dazu sind ihre Begriffe von Sittlichkeit noch nicht entwickelt; ich möchte ihnen daher rathen, das Rudiment ihrer Pflicht besser als bisher zu studiren, damit sie nicht das Gelächter des verdienstvollen Publikums auf sich ziehen. Diese Ungezogenheit kommt aber größten Theils daher, weil man Kindern und keinen Männern den Degen an die Seite hängt. Kindern, sage ich, denn daß der größte Theil der hiesigen Offiziers noch Kinder sind, kannst du deutlich sehen, wenn du die Wachparade besuchest. Da siehst du Leute, die das Gewehr zu Boden drücken würde, und diese sind doch schon Ober- und Unter-Lieutnants. Ich mußte manchmal herzlich lachen, wenn so ein junger Alexander von 4 Schuhen vor einer Kompagnie Grenadiers hermarschierte. Welchen Respeckt der gemeine Mann vor dergleichen Offiziere hat, kannst du dir leicht vorstellen. – Den größten Theil davon machen adliche Söhne, [110] Projekteurs, Bankrutierer u. d. gl. aus. Zur Versorgung dieser Leute scheint auch überhaupt ihre Anzahl zu dienen. Und doch sind die hiesigen Truppen unter den geistlichen Soldaten die besten. Dies mag von einigen braven und in der Taktik bewanderten Männern herrühren; daß solche mit unter dem Militäre sind, dieß kann dir ein Gyümmich beweisen, der vorhin Major unter den Kaiserlichen war. Er ist ohne Vergleich der geschickteste Mann unter dem Generalstab, und verdient die ganze Achtung des Biedermannes. – – Das mainzische Kontingent hat sich nach dem pfälzischen unter dem Kommando eines gewissen Hazfeld bei den Lütticher Angelegenheiten die meisten Lorbeerkränze errungen, aber auch vor andern manches nachtheiliges körperliches Andenken zurückgebracht. Dieser Theil des Regiments spielt auch nun hier die ausgezeichnetsten Rollen, und weiß sehr viel von seinen Thaten zu sprechen, weil es einige Stunden außer den Gränzen seiner lieben Mutterstadt entfernt gewesen.

Alle militärische Anordnungen stimmen mit diesen Dingen genau überein. Man hat hier 13 Generals, darunter einer General én Chef, der auch [111] Gouverneur und Kommendant ist, 5 Generalfeldmarschalllieutnants, und 7 Generalfeldwachtmeister. Der ganze Generalstab besteht aus ohngefähr 26 Personen, das Regiment, welches zu Erfurth in Garnison liegt, nicht mitgerechnet. Die Armee besteht meistens aus Landeskindern, denn ein Bursch, der Muth und Lust zum Soldatenstande hat, geht schwerlich unter geistliche Fürsten. – Im benachbarten Trieerschen hat man jetzt das Werben eingeführt, und kein Bauersohn wird mehr zum Musqueten-Tragen gezwungen. Diese Anordnung bewirkt viel Gutes, hat aber auch ihre schlimme Seite. Man sieht nun nicht mehr dem armen Landmanne seine Kinder rauben, die dem Staate im Feldbau und der Kultivirung des Landes ungemein nützlich sind, als wenn sie vor dem Schlosse des Fürsten oder vor der Thüre des Generals paradieren. Doch trift man itzt in Betracht der vorigen Zeiten dümmere Bursche auf dem Lande an, denn daß der junge Bauer bei dem Regiment ungemein geschliffen wird, kann niemand läugnen. Es giebt auch Leute, die lieber ihre Söhne zu Soldaten hergegeben hätten, als daß sie nun schweres Geld zur Unterhaltung [112] der Miliz des Landes beitragen müssen. Uebrigens hat das Werben noch diese schlimme Seite, daß die Desertion nicht so leicht zu verhindern ist. Der Eingebohrne hat noch immer Furcht, daß ihm seine Güter eingezogen werden, und er ohne Strafe nie wieder in sein Vaterland zurückkehren darf. Aus diesen Gründen kann ich die Maxime des Werbens in solchen Staaten nicht billigen, und ich glaube schwerlich, daß sie auch je an dem hiesigen Hofe eingeführet wird. Lasse man die Fürsten der geistlichen Länder immer unter Eingebohrnen rekrutiren, das Land kommt selten oder nie in Gefahr dadurch entvölkert zu werden. Der Fürst wird in itzigen Zeiten keine Kriege mehr anfangen und so haben diese Martis-Söhne auch keine Gefahr, ihr Leben zu verlieren. Müssen sie auch zuweilen einen Reichskrieg mitmachen, so geschieht dieß vielleicht in zwei Menschenaltern einmal.

Von der Taktik der hiesigen Soldaten weiß ich dir wenig zu sagen, weil man sie itzt selten mehr zusammen paradieren sieht. Vor mehrern Jahren soll man hierinnen sehr strenge gewesen seyn. Was ihren Muth betrift, so hat Gleim Tirtäus ihn in seinen [113] preusischen Gesängen treflich geschildert, wenn er von der Schlacht bei Roßbach singt, daß damal die einbrechende Nacht der Reichs-Armee so willkommen gewesen sei:

„Und dem bezahlten Mainzer auch,
der ohne Hut und ohne Herz,
saß hinter einem Dornenstrauch,
beweinend seinen Schmerz.“

Daß diese Feigheit in dem mainzischen Blut gegründet sei, wird mich niemand überreden. Um von dem Gegentheil überzeugt zu werden, darfst du nur die Jahrbücher der Vorwelt durchblättern, da findest du hundert Beispiele, daß die Mainzer Ritter in den Zeiten des Mittelalters mit unter die tapfersten der ganzen Gilde gehörten, und nicht selten die Dänke auf den Turniren weg fischten. Das schlechte Beispiel der Offiziers mag aber die Ursache seyn, daß ihr Ruhm gesunken, als welche ohngeachtet ihrer geringen Besoldung doch selten nüchtern sind. Dies ist ein grosser Nachtheil für den Dienst, in welchem man Ordnung und Pünktlichkeit fordert. Freilich sollten die Generale hierauf ein besseres Augenmerk [114] setzen, allein was hilft auch dies, wenn die jungen Herrn angesehene Freunde unter den Grossen haben, oder wohl gar selbst Söhne von Fürstenlieblingen sind. Ueberhaupt soll der jetzt regierende Herr nicht so sehr mehr wie ehedessen auf die Reinigung seiner Armee bedacht seyn. Doch kann man ihm dieses nicht so sehr zur Last legen, wenn man bedenkt, daß er seine Regimenter nur blos zum Prunk hat, und seine Länder gegen Feinde damit nicht vertheidigen oder gar andere erobern will. Daher ist auch die strenge Zucht größten Theils abgeschaft. Von Todesstrafen unter dem Militär hört man nur höchst selten, und glaube, daß man unter dem jetzt regierenden Fürsten kein Beispiel davon aufweisen kann, daß ein Soldat zum Strang oder Arquebusiren verurtheilt worden. Ueberhaupt kann ich ein Verfahren dieser Art ausser Kriegszeiten keineswegs billigen. Denn warum soll man einen armen Kerl, der desertirt, einige Kreuzer gestohlen, oder gegen die Subordination etwas gefehlt hat, gleich zum Tode verdammen? da man ihn immer mit andern Strafen belegen, oder bei der Desertion sich an seinen Gütern erhohlen kann? Besser ist’s, man führe die gelinden Grundsätze des [115] heutigen Kriminal-Rechts bei ihnen ein, und ich glaube, die Leute werden darum nicht stärker ausschweifen.

Der Kurfürstliche Hofkriegsrath bestehet aus dem Präsidenten, dem Vicepräsidenten, 6 Hofkriegsräthen, 1 Sekretär, 2 Kanzellisten, und 1 Kanzleidiener, das Kommissariat aus dem Oberkriegs-, dem Montirungs-, dem Verpflegungs-Kommissär und aus dem Kriegszahlmeister. Der Festungsbau wird aus den Kriegssteuern und Schatzungen bestritten, so wie auch das ganze Militär davon unterhalten wird.

Die besten Soldaten des Erzbischoffes sind die Husaren, die auch nicht zum blossen Staatmachen dienen. Sie sind ein starker und schöner Schlag Leute und gut beritten. Sie dienen so wie das Landjägerkorps zur Säuberung und Sicherheit der Strassen, die vor einigen Jahren, besonders in den Gegenden des Spessart, von Räubern und Mördern wümmelten. Sie haben manchen eingebracht aus dessen Geständnissen sich ein wichtiger Beitrag zu den Kriminalgeschichten in den meisnerischen Skizzen liefern ließ. Ich will dir bei dieser Gelegenheit einige, [116] so wie ich sie aus dem Munde eines hiesigen Kriminalrichters habe, erzählen. Man findet seltne und auffallende Auftritte darunter. Eines Tages, als diese Räuber im Spessart ihr Wesen trieben, und manchen Wanderer niederwarfen, wurden sie von einer Schwadron Husaren überfallen. Sie wehrten sich verzweifelt, mußten aber zuletzt der Ueberlegenheit weichen. Der Sohn eines alten Räubers, der auch zugleich Hauptmann war, wurde bei dieser Attaque gefährlich verwundet. Gleich pakten ihn die Uebrigen auf, und trugen ihn tiefer in den Wald. Hier legte er bei seinem Vater eine Generalbeichte ab, und wurde förmlich absolviret, dann aber mit einem Beile vor den Kopf geschlagen, daß er nichts verrathen könne, mit dem Bedeuten, er müsse dies zum Wohl des allgemeinen Besten thun. – Zu anderer Zeit wollten sie auf den durchfahrenden Postwagen Jagd machen, von dem sie wußten, daß er reich und schwer beladen war. Sogleich wurden einige Spionen abgefertigt, um auszukundschaften, mit was für Personen der Wagen besetzt sei. Diese brachten nun den Rapport, daß niemand, der ihnen gefährlich werden könnte, sich darauf befände. Allein [117] eine hochschwangere Frau, die in dem Schrecken abortiren und sterben würde, sei unter der Gesellschaft. Gleich wurden die Aeltesten der Rotte zusammen gerufen und ein allgemeiner Rath gehalten, der aber dahin ausfiel, daß man diesmal trotz den vielen Reichthümern bloß aus Rücksicht der schwangern Frau den Wagen verschonen sollte. Findet man wohl ähnliche Beispiele in den Protikollen des peinlichen Gerichts?



Dreizehnter Brief.

In Mainz sieht man sehr schöne Mädchen; im Durchschnitt haben sie alle einen edlen Wuchs, reizende rothe Wangen und sehr interessante Gesichtszüge. Ich hatte die Ehre, mit einigen in Gesellschaft zu sprechen und bemerkte, daß sie einen auf eine angenehme Art zu unterhalten wußten. Man versicherte mich, daß die meisten viel Geschmack an der Lektüre, den Komödien, Romanen u. dergl. fänden. Dies ist nicht zu verachten, wenn man [118] eine gute Auswahl trift, und andere dem Frauenzimmer, das zur Mutter bestimmt ist, nöthige Kenntnisse dadurch nicht vernachlässiget werden. Der vornehmere Theil ist sehr gesittet. Eine zweideutige Rede macht Mädchen dieser Art schon erröthend. Ist dem Liebhaber etwas Anstößiges entwischt, so hat er auch allen Kredit bei seiner Geliebten verlohren. Ueberhaupt ist diese Gattung Mädchen sehr eifersüchtig, und dies lobe ich an ihnen, denn wo keine Eifersucht ist, ist auch keine wahre Liebe vorauszusetzen; diese hält sich nur an einen Gegenstand, für die übrigen bleibt nur Hochachtung übrig. Man findet hier wenig unglückliche Ehen, Mann und Frau hängen sehr fest an einander. – Die Mainzer Mädchen werden überhaupt gute Mütter, man findet sehr wenige, die nicht 5–6 Kinder haben.

Das Frauenzimmer sucht aber auch sehr zu gefallen; der Luxus übersteigt allen Glauben. Was nur im mittlern Stande ist, geht ohne einen schwarzen Mantel nicht aus. Ich war in den Faschingstagen einigemal auf dem Ball, der in einem schönen Saal des Schröderischen Kaffehauses gehalten wird. Ich glaubte in den Himmel versetzt zu seyn, da ich [119] rund umher den ganzen Saal mit den herrlichsten Gesichtern umgeben sah. Ihr Putz war prächtig und beinahe bis zur Verschwendung groß. Ich sah mit Vergnügen, wie die jungen Herrn herumliefen, und so zu sagen wetteiferten, wer die Schönste zum Tanz führen sollte. Man muß auch dem Mainzer Frauenzimmer den Ruhm zugestehen, daß es sich wohl zu kleiden weiß. Einige reizen den Jüngling in ganz einfachem aber doch geschmackvollem Putz, Andere suchen ihre Kostbarkeiten auffallender zu machen.

Ohngeachtet dieses großen Luxus und den Reichthümern mancher Frauenzimmer kann man doch nicht sagen, daß sie den geringsten Stolz im Umgange zeigen; sie sind gegen jeden herablassend und gefällig, und niemand, der sich mit ihnen auf eine anständige Art unterhält, geht mit Ueberdruß von ihnen weg.

Unter ihnen zeichnet sich besonders Demoiselle Weikard als Schriftstellerin aus. Sie hat sich durch einige Theaterstücke dem Publikum angekündigt. Für ein Frauenzimmer sind sie auch immer gut gerathen, und können ihr zur Ehre gereichen.

[120] Du mußt aber nicht glauben, daß hier alle Wohllust verbannt sey. Man findet genug Gelegenheit, auf dieser Seite auszuschweifen. Eh’ ich dich mit den heimlichen Gängen wohlfeiler Dirnen, welche ihren Körper verkaufen, bekannt mache, werde ich dir ein gewisses Haus, das gleichsam ein kleines Bordell ist, beschreiben. Es ist ein Wirthshaus, gelegen in einem Gäßchen an der sogenannten Korbengasse. Der Wirth H** ernährt sich schon lange durch seine Freudenmädchen und kann noch, wenn sein Zulauf so fortdauert, ein reicher Mann werden. Er hat allzeit 3–4 Mädchen in Bereitschaft, die sich für 15–18 Batz. Preis geben. Die Halbschied dieses Schandgeldes bekömmt, dem mit den Mädchen eingegangenen Vertrag gemäß, der saubere Herr Wirth. Die Freuden-Nymphen dieses Hauses sind manchmal schön, aber weil der Befehl des Wirthes ist, daß sie jedem, der sie nur anspricht, willfahren müssen, so sind ihre Reize bald verflogen, und in kurzer Zeit sind sie so abgeschwächt, daß sie alle Annehmlichkeiten verlieren.

Man findet auch Leute hier, welche unverschämt genug sind, Mädchen gegen geringe Preise zu verschaffen, [121] um den Trieb der Wohllust zu stillen. Wer nicht Geld genug im Beutel hat, geht den Straßen nach, wo sich die Gassenmenscher aufhalten, welche sich vor 3 Batzen jedem überlassen. Man darf nur Abends einen Spatziergang auf die große Bleiche machen, so findet man hievon Beispiele genug. Oft trift man unter diesen noch schöne und gesunde Mädchen an, die meistens Dienstmägde sind, und sich nur aus der Absicht Preis geben, um etliche Batzen zu erhaschen. Man sieht aber auch Dirnen an diesen Orten spatzieren gehen, von welchen der Fremde sich viel verspricht, die sich aber nur von ihrem Verdienste einen großen Putz anschaffen; streichet man mit dem Rock an ihren Kleidern vorbei, so glauben sie schon, es wäre auf sie gemeint gewesen. – – Im Sommer sind die Ausschweifungen dieser Art noch häufiger als im Winter, dann vor den Thoren bietet sich jedem die schönste Gelegenheit an, sich abzukühlen. Alle Straßen liegen voll Venuspriesterinnen, die nur auf einen Wink passen, um aufwarten zu können.

Diese Ausschweifungen zu verhüthen wäre das beste Mittel, wenn man ein privilegirtes Bordell [122] anlegte. Dieses einem geistlichen Fürsten zumuthen, ist zwar ein gewagter Gedanke, allein betrachtet man die Folgen auf beiden Seiten, so werden die Uebel, die aus den heimlichen Ausschweifungen entstehen, jene eines privilegirten Bordells weit überwiegen. Werden die Mädchen von einer dazu angeordneten Polizei regelmäßig visitiret, so wird dadurch den Krankheiten, die gemeiniglich bei Gassenhuren aufgefangen werden, abgeholfen. Auch leistet ein Bordell noch den Vortheil, daß die Ausschweifungen nicht so bekannt werden, da im Gegentheile auf öffentlichen Plätzen viel Aufsehen erregt, und große Aergerniß gegeben wird. Betrachtet man andere Bordelle Deutschlandes, z. B. in preußischen Landen, so wird man finden, daß durch solche Einrichtungen den allzugroßen Ausschweifungen vielmehr vorgebeugt als nachgeholfen wird; da nemlich die Sache öffentlich und unter den Augen der Polizei geschieht, so haben diese Ausschweifungen nicht das Gepräge der viehischen Wildheit und Abscheulichkeit, welches die Wohllust an den Orten, wo man sie in’s Dunkle verscheucht, auszuzeichnen pflegt. Besser wäre es freilich, wenn man die Gelegenheit, solche [123] Laster auszuüben, der Jugend ganz abschneiden könnte, allein dies kann in einer so großen Stadt, wie Mainz, nie in Ausübung gebracht werden, obschon die Hurerei hier nicht so stark getrieben wird, und ob ich gleich von einigen Gelehrten vernahm, die behaupten, daß man in diesem Punkt Mainz den größten Städten Deutschlandes an die Seite setzen könnte, so finde ich diese Meinung doch ungegründet, und läßt sich daraus schließen, daß man in hiesiger Stadt wenig von großen Krankheiten hört, welche von der Wohllust herrühren, da man im Gegentheil in andern Städten ganze Hospitäler mit venerischen Kranken angefüllt sieht. Wird hier einer von einer feilen Dirne angesteckt, so kann man die Schuld weniger einheimischen als ausländischen Huren beilegen. Ueberhaupt trägt das nahgelegene Frankfurth und Bornheim sehr Vieles zu den hiesigen Ausschweifungen bei. Ist eine an diesen Orten verschrien, daß sie keine Nahrung mehr bekommt, so erhohlt sie sich wieder etliche Wochen, geht nach Mainz und treibt da ihren Wucher. Vor einigen Wochen entdeckte noch die Polizei etliche, welche in dieser Absicht, sich ihren Beutel zu spicken, hieher [124] gekommen. Man führte sie über die Brücke und verbot ihnen die Stadt. Sie giengen aber über Kostheim nach Weissenau, wo sie eben diesen Verdienst suchten.

Dieser Ort ist eine halbe Stunde von hier entlegen, und mancher Mainzer macht sich den Sommer durch daselbst ein Vergnügen. Er ist aber das Verderben vieler jungen Leute, die hier ihre Thatkraft aufopfern. Sowohl in dem Orte selbst, als in dem angenehmen Spatziergange von Weissenau nach Mainz trift man Dirnen und Jünglinge an, welche nach Wohllust haschen. Besonders ist dieser Weg in Frühlings-Abenden sehr gefährlich. Manche Aeltern lassen ihren Kindern den freien Zug, das schöne Wetter zu geniessen; wüßten sie aber, wie sehr sie betrogen würden, und wie sehr ihre Söhne und Töchter ihre Hofnung täuschten, sie würden mehr Sorge dafür tragen, daß sie in einer honetten Gesellschaft einherwandelten, oder sie würden sich selbst die Mühe nehmen, mit ihnen einen Spatziergang zu machen, und ihnen Kenntnisse von der Natur und ihren Geschöpfen beibringen. Diesem Uebel wäre nun leicht zu steuern, wenn man den [125] Polizeidienern einen öftern Besuch dieser Gegenden anbeföhle; allein ich glaube, die Regierung ist in der Meinung, häufige Spatziergänge der Einwohner verscheuchten diese Ungeheuer, welches auch jeder denken sollte, und doch ist man sehr irrig.



Vierzehnter Brief.

Der hiesige Landesherr weiß sehr wohl, daß der Zweck seiner Regierung ist, Bürgerglück zu schaffen. Diesen sucht er auch möglichst zu erreichen. Schon der vorige Kurfürst Emmerich Joseph, von dem die Mainzer viel zu loben wissen, legte den Grund zur Ausführung des Problems, worüber man heut zu Tage so viel raisoniret, auf welche Art nämlich das Glück der Bürger befördert würde. Dieser große Mann, welcher in der Mainzer Geschichte Epoke macht, wußte sich die Frage: ob Aufklärung des Volkes dem Staate nützlich oder schädlich sey, besser als einige sogenante Gelehrten heut zu Tage zu beantworten. Er hatte seine guten Gründe dazu, [126] daß er Freiheit im Denken überall, sowohl bei dem Gelehrten, als dem Volke herrschend werden ließ, denn er war mit den Folgen einer freien Denkungsart durch Erfahrung bekannt gemacht worden. Er wußte, welchen wohlthätigen Einfluß dieselbe auf den Staat überhaupt hat. Diesem Beispiel seines erhabenen Vorgängers folgt zwar auch eines Theils der itzige Erzbischof, doch mußte er die Grundsätze aus politischen Gründen, vielleicht wider Willen und Ueberzeugung, ein wenig mildern und die allgemein herrschende freie Denkungsart in ihrem Laufe hemmen. Die Einschränkung geht so weit, daß in jedem öffentlichen Hause ein Zettel angeschlagen ist, auf welchem alle Gespräche über Regierung sehr ernsthaft verboten werden. Doch hört man da und dort noch sehr frei davon sprechen und urtheilen.

Man kann nicht sagen, daß der hiesige Bürger im eigentlichen Verstand des Worts gedrückt werde, vielmehr muß man behaupten, daß der Landesherr die Abgaben so viel möglich zu erleichtern und den Bürgerstand erträglich zu machen sucht. Freilich hat der Bürger bisweilen Recht, wenn er in Klagen ausbricht, allein Allem, was über diesen Punkt [127] spricht, darf man nicht glauben, denn solche Ausfälle rühren sehr oft von dem gemeinsten Pöbel her, der nichts dabei zu verlieren hat, wenn ein großer Theil seiner Mitbürger die Obrigkeit hasset, sondern vielmehr sich Nutzen zu verschaffen weiß, wenn er unter den Unterthanen Unruhen angezettelt hat. – Der Fürst scheint die innern Kräfte des Landes, welches er beherrscht, nicht genug zu kennen. Der Werth und die Menge der Produkte des Bodens, die Benutzung, Verarbeitung derselben, und die Hinwegräumung schädlicher Hindernisse werden mehr theoretisch untersucht, als praktisch besorget. Uebrigens wird der Bürger nicht übertrieben, wie ein unvernünftiger und hartherziger Fuhrmann sein braves Pferd im Geschirr todt fährt.

Der Bauer wird in hiesigen Landen gar nicht geachtet, ob man gleich einsehen muß, daß er die erste Stütze des Staats sey. Die Steuer- und Landtaxen wären noch erträglich, und der Landmann hätte nicht so sehr deswegen darüber zu klagen, allein unter diesen giebt es sehr viele arme Leute, und der hiesige Weinbauer muß am meisten leiden. Sein ganzer Nahrungszweig hängt zuviel von dem [128] Wein ab. Da man im Durchschnitt bei dem Weinbau viele Fehler gegen einen Treffer rechnen kann, so setzen ihn die vielen Misjahre in einen beklagungswürdigen Zustand. Dadurch, daß diese allzeit zum Nachtheil der Armen des Landes ausschlagen, wimmelt es so sehr von Bedürftigen, daß sich ihr Verhältniß gegen jene der Reichen in gar keine Betrachtung ziehen läßt. Der einzige Vortheil für die Aermern ist noch dieser, daß die vielen Begüterten auf dem Lande, theils auch reiche Klöster, und Adliche, die die besten Lagen besitzen, der arbeitenden Klasse Beschäftigung und Unterhalt geben; außerdem das Elend noch weit größer seyn würde.

Indessen ist der Bauer auf seinen Wein stolz. Man sieht auch, daß er sich große Mühe giebt, seine Berge in gutem Stand zu erhalten. Die besten Weine wachsen zu Rüdesheim, Johannsberg, Geisenheim, Erbach, Hattenheim, Nieder- und Ober-Walluf, zu Rauenthal und Winkel. Zu Lorch und Asmannshausen bekömmt man den besten rothen, welcher fast dem Burgunder gleich kommt, aber viel stärker ist. Es ist daher eine unverzeihliche Thorheit von uns Deutschen, daß, da wir selbst die besten [129] Weine bauen, unser Geld auf eine rasende Weise für ausländisches, mehrentheils verfälschtes Getränk in Gold- und Silbermünzen zu tausenden hinauswerfen.

Weil wir doch in unsern Gegenden vom Weinbau wenig oder gar nichts wissen, und man aus dieser schweren Arbeit schliessen kann, daß man den Bauer in andern Punkten mehr begünstigen sollte, so will ich Dir hier beschreiben, welche Mühe der Landmann anzuwenden hat, daß der Weinberg in seiner gehörigen Ordnung bleibe und die Früchte gedeihen können. Alle 5–6 Jahr muß jeder Weinberg gemistet werden: alter ausgelegener Dünger ist der beste dazu, weil die Trauben davon nicht so viel Geschmack annehmen. Das Düngen geschieht am vortheilhaftesten vor dem Winter. Diesen Mist muß nun der Landmann oft selbst auf die höchsten Berge tragen. Soll der Weinstock gut im Stand bleiben, so muß er auch öfters umgehackt werden, damit das Unkraut ihm die Nahrung nicht entzieht. Die Weinlese ist auch eine sehr schwere Arbeit, und sehr oft muß sie mit Verdruß geschehen, wenn nichts am Stock ist oder die Trauben nicht zu genießen [130] sind. Ist die Frucht abgeschnitten, so werden sie mit Kolben zerstossen, dann in Fässern an die Kelter geführt und gekeltert. Zuletzt wird der Most durch Röhren in die Fässer geleitet. Im Rheingau hat man zur Weinpresse entweder einen Baum oder Schraubkelter; ersterer ist ungemein vortheilhaft. Ueberhaupt hat man in allen Weinländern eine Art die Trauben zu keltern, wiewohl man an einem Ort mehr, am andern weniger Fortschritte in dieser Kunst gemacht hat. Doch alle Beschwerlichkeiten kann der Winzer leicht vergessen, wenn er seinen Wein glücklich im Keller hat, und hoffen darf, daß ihm seine Arbeit bezahlt wird. Dann kann er mit dem beliebten Hölty ausrufen:

Ein Leben wie ein Paradies
gewährt uns Vater Rhein;
ich geb’ es zu, ein Kuß ist süß,
doch süßer ist der Wein.


[131]
Funfzehnter Brief.

Die Mainzer Gegend ist herrlich, lieber Freund! Dürft’ ich wählen unter den Geschenken der Natur, ich wählte nicht eine Domherrnpfründe, noch das Amt eines Fürstenschmeichler, noch einen Stern vor die Brust. Ich wählte mir jährlich so viel Geld, um mittelmäßig zu leben, wählte mir ein schönes Mädchen und ein kleines Landhäuschen in den paradiesischen Gefilden von Mainz, dann gute Nacht Domherrnpfründe, gute Nacht Fürstenschmeichler, gute Nacht blinkender Stern! Ich kenne hier verschiedne Häuser, die auch diesen Vorschmack von Seligkeit mögen empfunden, und sich nun in ein stilles häusliches Leben zurückgezogen haben. Und wahrlich, die hiesige Gegend ersetzt vollkommen den allenfallsigen Verlust, den man bei Entbehrung grosser Gesellschaften empfindet. Dazu trägt die unvergleichliche Lage sehr viel bei. Es ist schwerlich eine Stadt in Deutschland, die hierinnen dem Menschen so viel Vergnügen darbietet, als Mainz. Je länger [132] ich hier bin, desto mehr Belustigungen lerne ich kennen. Kein vollkommenes Bild davon kann ich Dir mahlen, doch will ich versuchen, ob mir ein Skelet davon gelingt.

Sowohl den Sommer als den Winter weiß sich der Mainzer sehr gut zu Nutz zu machen, doch jenen mehr, als diesen. Der Fürst giebt ihm alle Arten von Vergnügungen an die Hand, die er dann auch gern ergreift, und baß damit wuchert. Sind Felder und Berge mit Schnee und die Flüsse mit Eis bedeckt, so sitzt der Mainzer hinterm Ofen und giebt sich mit ernstern Geschäften ab. Er sorgt für seine Haushaltung und seine Amtspflichten. Am Abend besucht er das Theater, von dem ich Dir in meinem nächsten Briefe nähere Nachrichten geben werde. Ueberhaupt findet man hier nicht die große Sparsamkeit, wie in den benachbarten Städten Trier und Kölln. Dem Mainzer ist kein Vergnügen zu theuer, und sollt’ er es mit dem letzten Heller seines Vermögens bezahlen. Er fährt Schlitten, besucht den Ball, die Gasthäuser, und das alles auf die prächtigste Art. Ich selbst sah hier einige Schlittenfahrten des Adels, und eine von den Akademikern, die [133] sehr schön waren. Der Ball wird sehr stark besucht und man sieht nicht selten geschmackvolle Masken darauf. Die Kammer, welche alle Gelegenheiten ergreift, wo etwas zu gewinnen ist, hat auch hier ihre Spekulation gemacht. Eine artige Lotterie von Porzellan aus der Höchster Fabrike macht viele nach diesem Tanzboden nicht wenig lüstern. Ist nun der Körper vom Springen erhitzt, so hat man hier Erfrischungen aller Art, auch wohl in den Nebenzimmern noch gefällige Mädchen. Was die übrigen Winterbelustigungen betrift, so hat man auch hier die Gewohnheit eingeführt, Abends in Gasthäusern zu speisen, ob aus Neugierde oder Durst nach Menschenkenntniß, weiß ich nicht. Genug, man besucht die Gasthäuser, unter denen die drei Kronen, der Mainzer Hof und der König von England die vornehmsten sind. Schade für die gute Bewirthung in dem erstern, daß es in der abscheulichsten Gegend der Stadt liegt. Da hat man nichts, als alte Einsturz drohende Gebäude vor sich, und finstere Schauer erregende Gassen. Das zweite hat durch die Bewirthung des Königs von Neapel, der bei Gelegenheit der letzten Kaiserkrönung hier durchkam, einen empfindlichen [134] Stoß bekommen. So sehr kann man es übrigens den Wirthen nicht verargen, wenn sie solche nicht alltägliche Prisen mit beiden Händen zu ergreifen und zu benutzen suchen. Doch die Rechnung so sehr zu übersetzen, wie dieser Mann gethan hat, ist nicht politisch. Man kömmt dadurch bei der ganzen Nachbarschaft in einen üblen Ruf, und die Fremden werden in andere Gasthäuser gewiesen. – Im Essen und Trinken ist man eben so verschwenderisch, wie in andern Vergnügen. Einen gut besetzten Tisch trift man in jedem bürgerlichen Hause an, indem die übrige Klasse der Einwohner, die über den Mittelstand hinaus ist, prächtig speiset.

Aus diesem kannst Du nun folgern, daß Mainz eine große Zahl Spieler und Müssiggänger ernähren müsse. Um sich davon zu überzeugen, darf man nur die Kaffeehäuser besuchen. Da trift man Leute an, die vom Morgen bis zum Abend hinterm Ofen sitzen, eine Pfeife Knaster rauchen, und jedem Fremden, der unbedachtsam genug ist, sich mit ihnen einzulassen, um einen guten Theil seine Börse leichter machen. Ueberhaupt mag aber auch das benachbarte Schlangenbad, Schwallbach und Wisbaden viel dazu beitragen.

[135] Uebrigens hat man noch unzählige öffentliche Häuser hier, die unter dem Namen Weinschenken bekannt sind. Doch wird man schwerlich in einem davon auch für vieles Geld ein gut Glas Wein bekommen. Dies muß man nur in Privathäusern und Klöstern suchen, so wie denn die hiesigen Augustiner die besten Lagen von Hochheim unter ihren Gütern haben. Nachbarliche Weine findest Du hier selten. Einen Mosler wirst Du schwerlich in der ganzen Stadt antreffen. Die schwere Akzise und vielen Zölle machen die Einfuhr dieser Produkte sehr schwer. So zählt man in der Gegend von Koblenz nach Mainz 6–7 Zölle.

Unter den öffentlichen Sommervergnügungen setze ich die schönen Spatziergänge oben an. Dahin rechne ich vorzüglich die Alleen rund um die Stadt, worunter die große längst dem Ufer des Rheins gegen Norden die schönste ist. In diesem Gange sieht man an Sonntagen ganz Mainz in seinem vollen Glanze. Da schwebt Alles in dem buntesten Gemische auf und nieder. Dort kömmt ein Ehmann mit seinem Weibchen angestiegen, da treibt ein lustiger Jurist im Zirkel einiger Dulzineen sein Wesen, dort [136] führt ein Philister sein Mädchen am Arm spatzieren, und da hinkt gar ein Bettler an der Krücke daher. Ueberhaupt ist dieser einer der Hauptplätze, wo der Mainzer sich in seinem Staat zeiget. Wenn ein junger Stutzer einen neuen Schnitt eines Kleides, oder eine Dame eine neue Koeffüre aus Paris bekommen hat, so dürfen beide nur diesen Ort besuchen, um am folgenden Tag eine vollständige Kritik darüber zu hören. Hat das Ding gefallen, geschwind sind hundert Hände in Bereitschaft zu kopiren, und am andern Sonntage sieht man schon mehrere solcher Schnitte. Und das ist dann der größte Triumph solcher Modepuppen.

Am Ende dieser Allee liegt das sogenannte Mombacher Fichtenwäldchen, das seit den letzten Jahren sehr viel an Schönheit durch die Anlagen verschiedner Großen gewonnen hat. Die Mannigfaltigkeit dieses Ortes macht ihn besonders angenehm. Er soll vorzüglich der Lieblingsaufenthalt schmachtender Liebhaber und hitziger Mädchen seyn, die sich nicht selten in seinem einsamen Gebüsche verirren, um der guten Mutter Natur Weihrauch zu streuen. Doch werden die Feldschützen hierauf besonders aufmerksam [137] gemacht. Unter die schönsten Anlagen dieses Waldes gehört ohne Vergleich die des Grafen von Walderdorf. Man sieht in Allem, daß dieser Mann sehr viel Geschmack hat. Er ist Patriot, Menschenfreund, Kenner und Verehrer der Künste und Wissenschaften im ganzen Umfange des Worts. In seiner Anlage, die er mit jedem Tage mehr und mehr zu verschönern sucht, steht jedem Menschen der Eingang offen. Der Philosoph, den er darinn aufstellen ließ, ist meisterhaft gearbeitet, nur Schade, daß man ihn im Anstriche verdorben hat. Er steht sinnig auf seinen Stock gestützt vor einem Altar, auf dem die Worte zu lesen sind: denk, was du willst, rath, wem du kannst. – Ohnweit dieser schönen Gegend liegt auch der Turnierplatz, wo der Adel nicht selten lächerliche Spiele treibt. Die Ritter schiessen, stechen und hauen da zu Pferde, und die Damen in einer Karosse nach aufgesteckten papiernen Köpfen. Die Laien versammeln sich daselbst zahlreich, und sind mancherlei Beleidigungen der Herren Ritter ausgesetzt. Mann sollte fast glauben, das Poltern ihrer Ahnen aus dem 14., 15. und 16ten Jahrhunderte habe sich in nicht geringem [138] Maaße auf sie fortgeerbt. Ich verließ diesen Ort unwillig und kam zum botanischen Garten, der einige hundert Schritte von dem Ufer des Rheins liegt. Der Kurfürst hat ihn mit beträchtlichen Kosten anlegen lassen, und ich muß gestehen, man findet darinnen eine große Mannigfaltigkeit von Pflanzen. In Sommers Zeiten wird er stark von den hiesigen jungen Aeskulapen besucht, denn hier wird ein Kollegium über die Botanik gehalten. Dank, heisser geflammter Dank dem Regenten, der durch solche wohlthätige Anstalten das Wohl seines Landes zu befördern sucht.

Noch verdienen angemerkt zu werden, die Spatziergänge nach Weissenau in Süden, und nach Zahlbach in Osten der Stadt. Beide Dörfer werden von den hiesigen Einwohnern, so wie die Schiffbrücke, sehr stark besucht.

Unter die vorzüglichen Spatziergänge innerhalb der Stadt rechne ich die große Bleiche, das Höfchen und den Thiermarkt. Einige wollen den Ursprung des Namens dieses letzten Platzes von dem Turnier herleiten, das in der Epoke Dieters von Isenburg daselbst gehalten worden. Er habe anfangs, so sagen [139] sie, Turniermarkt geheißen, daraus sey in der Folge Thiermarkt entstanden. Dieser Platz ist noch immer der luftigste in der Stadt. Man spricht, die Kammer sey gesonnen, ein neues Schauspielhaus daselbst aufzuführen; es kommt aber darauf an, ob die benachbarten Großen, denen die Aussicht dadurch benommen würde, dieses zugeben werden. Die große Bleiche wirst du aus dem 13ten Briefe kennen. Das Höfchen ist sehr eng, man vermißt daselbst die freie Luft. Ich für meinen Theil mache lieber einmal einen Gang ins weite Feld, als daß ich mich von Häusern umschließen lasse. Der sogenannte Speißmarkt ist noch einer der schönsten Plätze, und giebt der daran gelegenen Domkirche ein ungemein gutes Ansehen. Sonst giebt es hier noch verschiedene Gärten außerhalb der Stadt, die dem Spatziergänger viel Angenehmes darbieten. Gern besuchte ich Morgens das sogenannte kleine Schwallbach in der großen Allee, wo man, so wie auf berühmten Bädern und Gesundbrunnen, die Wasser-Cur trinkt.


[140]
Sechszehnter Brief.

Unter die vorzüglichsten Belustigungen des hiesigen Publikums gehört ohnstreitig das Nationaltheater. Es hat sich seit einigen Jahren zu einer solchen Höhe emporgeschwungen, daß man es itzt mit Recht unter die ersten von Deutschland zählen kann. Diesen Ruf hat es sich durch die Fürsorge und Protektion des Freiherrn von Dalberg zugezogen. Ueberhaupt hat die deutsche Muse diesem Geschlechte sehr vieles zu verdanken. Ehemals hatte, wenn ich nicht irre, Dalberg die Einnahme davon, und der Gewinn war ihm eigen. Die Gesellschaft spielte damals abwechselnd in Mainz und Frankfurth. Seit diesem Winter aber hat es der Kurfürst übernommen, und die Kammer zieht den Gewinnst, doch bleibt Dalberg Intendant davon. Nun wird es auch, da Frankfurth ein eignes Theater errichtet, blos auf Mainz beschränkt, und man kann im Winter fünfmal, im Sommer aber wöchentlich zweimal diesen Tempel Thaliens besuchen. Im Voraus etwas im Allgemeinen [141] über den Geschmack des hiesigen Publikums. Dieser ist, so wie sein Karakter, sehr verschieden. Singspiele haben noch immer den meisten Beifall und Zulauf, und ich könnte dir Beispiele erzählen, wo Leute von nicht gemeinem Schlage nicht um die Musik, sondern um das Stück selbst die Oper besucht haben. Dies verräth um so weniger Geschmack, da wir fast kein einziges Singspiel besitzen, das ordentliche Oekonomie und Sujet hat. Bei Allem dem aber fand ich doch in dem Verzeichnisse der aufgeführten Stücke, daß man mehr Lust- und Schau- als Singspiele gegeben hat. Ein Beweis also, daß man daraus nicht gerade auf den Geschmack eines Publikums schliessen kann. Am wenigsten scheint man sich für Trauerspiele zu interessiren. Ich glaube nicht, daß seit einem Jahre 10 auf die Bühne gebracht worden, und dann ist doch das Haus meistens leer. Ich weiß nicht, ob ich die Ursache davon in dem zarten Nervensysteme des hiesigen Frauenzimmers, denn dieses macht doch immer den größten Theil der Zuschauer aus, suchen soll. Noch weniger Glück machen Stücke aus den Zeiten der Turniere und Fehden, das einzige Klara von Hoheneichen [142] ausgenommen, das bei aller seiner Mittelmäßigkeit auf den meisten Bühnen Deutschlandes mit rasendem Beifall aufgenommen ward. Die Ursache jenes Satzes mag wohl darinnen liegen, daß es uns bei Vorstellung eines Ritterspieles an Täuschung mangelt, und wo diese vermißt wird, da läßt es sich schwerlich hinein denken. Die Schauspieler können uns auch nicht so leicht bei aller ihrer Kunst auf mehrere Jahrhunderte zurück setzen. Auf einige Augenblicke kann man sich wohl täuschen lassen, wenn man einen Otto mit dem wortbrüchigen Kaiser, und einen Fiesko in der Versammlung der Verschwornen reden hört, oder einen Albrecht, wenn er vom Turniere ausgeschlossen wird, die Lanze zerbrechen sieht. Doch plötzlich durchläuft man das alte Kostum, sieht dort einen Ritter ohne Armschienen zum Turnier oder in die Schlacht gehen, oder man hört gar einen Helm von Pappendeckel auf den Boden fallen, und plötzlich ist alle Täuschung dahin. Ueberhaupt verhält es sich damit, wie mit den Geistern auf dem Theater; denn ich muß allzeit lächeln, wenn solch ein Wesen mit Fleisch und Blut angestiegen kommt. Beim Lesen, sagt der Verfasser der dramaturgischen [143] Monate, können sie wohl Eindruck machen, aber beim Vorstellen selten oder niemal.

Warum herrscht so wenig Geschmack für’s Schöne im Parterr? So schwer die Beantwortung dieser Frage anfangs scheint, um so leichter ist jene: warum auf dem letzten Platz am meisten empfunden, und nur dann geklatschet wird, wann es der Künstler durch seine Darstellung verdienet hat? Da sitzen meist Akademiker, denen ich hier das Lob geben muß, daß sie die größten Kenner vom Theater sind. Alles Uebrige, zumal die Gnaden und Excellenzen in den Logen, bezeigen den lautesten Beifall, wenn einer schön in Ohnmacht fällt, oder beim Sterben recht krampfichte Zuckungen macht. Schöner Zug! Es giebt noch eine Klasse hier, die nur blos deswegen das Theater zu besuchen scheint, um Ausfälle auf den Adel zu thun. Da mag noch so eine unbedeutende Stelle gegen den Adel vorkommen, gleich sind alle Hände bereit, ein lärmendes Getöse zu erheben, und alle Hälse ein lautes Bravo Bravissimo zu schreien. Auch herrscht hier, so wie in mehrern Städten Deutschlands, die erbärmliche Gewohnheit, die Schauspieler beim Ende eines Stückes herauszurufen. [144] Sonderlich pflegt es bei neuen Erscheinungen zu geschehen. Da werden manchmal Leute herausgerufen, denen der Kenner bei ihrer ganzen Vorstellung nicht den geringsten Beifall zuwinken kann. Wie schädlich diese Gewohnheit der Kunst ist, haben mehrere Dramaturgen zur Genüge gezeiget. Um diesem Mißbrauch auf einmal abzuhelfen, könnte man von Direktions wegen den Schauspielern verbieten herauszugehen.

Man hat hier auch einen Theaterdichter, der dir aus einigen glücklichen Bearbeitungen der neuesten Singspiele der Ausländer bekannt seyn wird. Seine Wilden, sein König Axur, sein Rudolph von Kreki, seine Savoiarden sind angenehme Stücke, und wurden hier mit ungemeinem Beifall aufgenommen, den ich aber meist der schönen Musik eines d’Alayrai’s, Salieri’s u. a. zuschreibe. Er hat auch Trauer- und Lustspiele gemacht. Sein Rächer kommt, zu dem er das Sujet aus einer meisnerischen Skizze entlehnt hat, wurde hier schon mehrmalen gegeben, ob ich es gleich unter die schlechtern Trauerspiele setzen muß. Seine Seelenverkäufer sind trotz der Lobeserhebung, die ihnen der Verfasser der Rezension [145] darüber in der allgemeinen deutschen Bibliothek macht, bis zum Einschläfern matt. Uebrigens ist sein gutherziger Sohn nach dem Französischen des Ritter von Florian ein gut gerathnes Stück. – Er zieht jährlich 600 Fl. Gehalt, und darf auch seine Manuskripte an andere Theater geben. Ehedem soll er den Kontrakt gehabt haben, jährlich eine gewisse Anzahl Stücke zu liefern. Itzt beschäftigt er sich mit der Herausgabe eines allgemeinen Theaterjournals, von dem wirklich schon zwei Stücke erschienen sind. Du wirst es ohne Zweifel schon aus den Lobeserhebungen kennen, die in mehrern deutschen Zeitungen darüber erschienen sind. Allerdings liefert er uns darinn wichtige Nachrichten, wenn er nur unter seinen Mitarbeitern eine bessre Auswahl träfe.

Bei dieser Gelegenheit muß ich dir auch etwas von dramaturgischen Blättern sagen, die vor 2 Jahren über das hiesige und Frankfurther Theater erschienen sind. Der Verfasser davon ist ein gewisser Präzeptor Schreiber dahier, der dir auch schon bekannt seyn würde, wenn er es für gut befunden hätte, den Kindern seines Kopfes seinen Namen zu geben. Obgedachte Blätter sind nach den Werken eines [146] Lessing, Schick und anderer Dramaturgen die besten. Sie enthalten schönes, mit unter aber auch viele Spreu. Das hat man ihm mit Recht verdacht, daß er, damals kaum noch eingeweiht in das Heiligthum Thaliens, über Männer beißende Kritiken machte, die er vielleicht gar nicht verstand, wofür er aber auch manche Unannehmlichkeit dulden müssen. So hat ihn einst ein gewisser Schauspieler, mit dem er auch übel mochte verfahren seyn, weidlich herumgetummelt. Er hat übrigens noch verschiedne Theaterstücke geliefert, worunter auch viele schlechte Arbeit ist. Seine Büßende, die jüngst dahier im Manuskript aufgeführt wurde, ist nicht viel werth, so viel Aufhebens auch Einige davon machen. Er ist auch itzt Mitarbeiter des Neuwiedischen Drunter und Drüber. Wie denn überhaupt Mainz in seinen Mauern viele sogenannte Schöngeister nährt, die die Direktion mit ihren Manuskripten bestürmen, wovon aber noch wenige aufgenommen worden, und das mit allem Recht. Ich hatte das Glück, verschiedene dieser Stücke zu Gesichte zu bekommen, kann aber wenig rühmliches davon sagen; magere Intriguen, geschraubter Dialog und verhunzte Karaktere [147] sind die Hauptzüge dieser Geistes-Produkte. Es ist gewiß, daß eine Direktion besser daran thut, wenn sie bekannte gute Stücke als Versuche dieser Art giebt, obschon das Wort Manuskript und die Neuheit manchen, der sonst nicht in’s Theater gegangen wäre, lüstern macht. Jenes mag man hier auch beherziget haben, denn die Aufnahme eines Manuskripts, wenn sie nicht von bekannten Meistern ist, hält sehr schwer. Dafür giebt man aber bessre Stücke. Die Arbeiten eines Kotzebue sind hier so wie an andern Orten die Lieblingsspeise des Publikums. Man giebt fast jedes seiner Stücke 8–9 mal in einem Winter. Ich sah hier die Sonnenjungfrau aufführen, und ich muß gestehen, man hat zum erstenmale gar nichts gestrichen, da man doch in unserm protestantischen Vaterland manche Stelle weggelassen hat. Ich sah hier auch einige Stücke von Vulpius und Spieß, die aber, wie sie es verdienten, durchgefallen sind. Vulpius hat sich in seinen Arbeiten einen besondern Gang gewählt. Vielleicht sollen sie Original seyn?

Nun zu den Mitgliedern dieses Theaters. Der brave Direkteur, Herr Koch, verdient billig den [148] Weihrauch, den ihm das Publikum streut. Er ist ganz Meister seiner Kunst. Ein Friedrich von Oestreich, ein Otto von Vittelsbach, ein Oberpriester, ein Graf Wintersen, ein Baron Wildenhain, ein Falstaf sind Hauptrollen dieses Mannes, die er auf das genauste nachahmt. Man hat ihm in der Sonnenjungfrau den Vorwurf gemacht, er habe seinen Oberpriester von Iffland kopiret. Ein Mann, wie Koch, hätte das warlich nicht nöthig. Nicht minder lobenswürdig sind die Bemühungen des Hrn. Porsch. Graf Klingsberg ist eine seiner Hauptrollen. Ich sah ihn noch den Rolla, Rekau, Pfarrer Ehrmann, Meinau, Albrecht in der Agnes, den Fürsten in Elise von Wallberg und den Hofrath im Frauenstand spielen, und alles rechtfertigte das Urtheil, welches ich schon, ohne ihn gesehen zu haben, von ihm gehöret hatte. – Unter denen, die sich am meisten um die hiesige Bühne verdient gemacht haben, steht Hr. Krist oben an. Er ist der Lehrer aller jüngern Schauspieler, und besitzt in dieser Kunst ungemein viele praktische und theoretische Kenntnisse. – Die geschickte Direktion der Oper durch Hrn. Stegmann verdient nicht minder angemerkt zu werden, [149] so wie Hr. Wolschovsky seine Bösewichter und Chevaliers, und Hr. Beck seine komischen Bedienten treflich spielen. Unter den Frauenzimmern thun sich Mad. Porsch und Mad. Mende besonders hervor. Jene als Kora und Eulalia Meinau ist wie in allen sanften Rollen besonders sehenswürdig. Diese als Justine in den Erbschleichern und Nettchen im Sonderling steht ganz an ihrer Stelle. Ich sah sie noch die Maria Stuart spielen, und ich muß gestehen, ich hätte diese Nachahmung in ihren schalkhaften Zügen nicht erwartet. Mad. Eunike als Gurli ist ganz das unschuldige Naturkind, das der Dichter in seinen Indianern gezeichnet hat. Schröder soll ihr bei seiner letzten Reise in Frankfurth das Kompliment gemacht haben, daß sie unter allen Schauspielerinnen Deutschlands diese Indianerin am besten darstellte. Wahrlich ein nicht geringer Ruhm für diese Künstlerinn! Vor den Erscheinungen von Kotzebue’s Stücken mag sie wohl eine der schlechtern Priesterinnen des hiesigen Theaters gewesen seyn. Alle Rollen, die nicht Gurli oder Amalie Wildenhain sind, verdirbt sie. Ihre Elfriede, die man so sehr beklatscht hat, ist das Meisterstück eines verdorbenen [150] Geschmacks. Mad. Beck in alten Mütterchen und Intriguen spinnenden Hofdamen, ist eine der ersten Schauspielerinnen, die ich noch gesehen. In den Jägern, in den Hagestolzen, in Elise von Wallberg und dem Herbsttag zeichnet sie sich besonders aus. Schade nur, daß sie in andern Stücken ihre Kleidung zu sehr übertreibt. Ihre langen Schleifen und ihre Schminke sind nicht selten zur Unzeit angebracht.

Wer gesunde Augen hat, wird leicht einsehen, daß unter solcher Auswahl die hiesige Bühne leicht diese hohe Stufe erlangen konnte, zumal da die Schauspieler auf das ansehnlichste salarirt sind, und die ganze Achtung des hiesigen Publikums genießen. Was Dekorationen und Garderobe betrift, so sind erstere nicht sonderlich, doch hat man unter den neuen Arbeiten viel Schönes; diese aber entspricht ganz dem Aufwand, den man dem Theater gewidmet hat. Friedrich von Oestreich wird schwerlich irgend mit so vieler Pracht aufgeführt werden.

Noch eines Umstandes muß ich erwähnen, der auf die Direktion kein vortheilhaftes Licht wirft. Warum macht man so viele Fehler gegen das Kostume? [151] In altdeutschen Ritterstücken pflegt man am meisten dagegen anzustossen. Dies sollte um so weniger geschehen, da der Schauspieler hier die schönste Gelegenheit hat, seine Mutterlandsgeschichte zu studieren. Er gehe wöchentlich eine Stunde in den Dom; da hat er Denkmäler genug, von denen er seine Kleidung kopiren kann. Dies thut mehr, als eine Geschichte des Kostums bewirken kann. Dieses bleibt aber doch nur immer ein guter Wunsch, weil man sich mit dieser begnügen läßt.

Das Schauspielhaus selbst ist kein ansehnliches Gebäude auf der großen Bleiche, und sein innerer Raum, so viele Schuhe er auch mißt, ist nicht selten zu klein. Man hat hier verschiedne Plätze; Logen zu 4 und eine Gallerie zu 1 Fl. Dann folgen das Parterre zu 36, die mittlere Gallerie zu 24, und die obere zu 12 Kr. Ersteres wird vom schönen Geschlecht, von den Dikasterien, einigen Juristen und Soldaten besucht. Hier etwas zur Beantwortung der vorhin aufgeworfenen Frage: warum im Parterre so wenig Geschmack herrsche? Es ist meistens von Soldaten besetzt, die nach Belieben die Bühne besuchen, weil ihnen der Entrée-Preiß von der monatlichen [152] Gage abgezogen wird. Sie wollen sich hier auch so, wie an manchem andern Orte, mit einem dreusten Stolz über die Gattung bessrer Menschen hinaussetzen, und erregen mit ihren Stöcken nicht selten einen solchen Lärm, der einem gesunden Menschenkopf ganz unausstehlich ist, als worauf die Theaterpolizei wachsamer seyn sollte. Man hegt auch hier, wie in allen geistlichen Fürstenthümern, den schädlichen Grundsatz, daß keiner zur Fahne schwören dürfe, dem noch ein Fünkchen Mutterwitz übrig sey. Möchte doch der Theater-Ausschuß, um die Ehre seines Parterrs zu retten, den Entrepreis für die hiesigen Akademiker, wie auf andern Universitäten, um die Hälfte wenigstens verringern. Dann wanderte nicht mehr aller Geschmack auf die oberste Gallerie. Ich glaube genug gesagt zu haben, um dir einen kurzen Begrif vom hiesigen Theaterwesen beizubringen.


[153]
Siebenzehnter Brief.

Seit meinem letztern Schreiben, lieber Freund! hatte ich das Glück, mehrere schöne Gebäude der Stadt zu durchwandern. Heute besah ich die Residenz des Fürsten an der nördlichen Seite. Sie erregt von aussen kein günstiges Urtheil. Man sollte sie eher für ein Ritterschloß aus den vorigen Zeiten, als für den Wohnsitz des ersten Prälaten von Deutschland halten. Wirklich schreibt sich auch ihre Entstehung aus dem 15ten Jahrhundert her. Dieter von Isenburg, einer der merkwürdigsten Mainzer Kurfürsten, hat sie erbauet. Ich rede hier nur von einem Theile derselben, der sogenannten Martinsburg; die übrigen zwei wurden nachher erst aufgeführt. So wenig versprechend aber die äussere Ansicht ist, um so frappanter war es mir, da ich mich auf einmal gleichsam in einen Göttersitz versetzt sah. Die neuere Einrichtung dieses Gebäudes enthält Alles, was man von Kunst und seinem Geschmack sagen kann. Die Zimmer sind prächtig meublirt, und [154] vorzüglich merkwürdig einige Gemäldekabineter, die sehenswürdige Arbeiten von den besten Meistern in sich fassen. Auffallend muß es jedem Fremden seyn, wenn er in allen Zimmern Portraite des itztregierenden Kurfürsten gewahr wird. Mein Führer, der auch meine Verwunderung mochte bemerkt haben, sagte mir: daß der Fürst ein sehr großer Liebhaber seines eigenen Gesichtes sey. Ich konnte mir das nicht entziffern, und mehrere Aufklärung wollte ich nicht fodern.

Nicht minder sehenswürdig ist auch die Bibliothek, die aus zwei schön eingerichteten Zimmern besteht. Das Glänzende darinnen thut beim Eintritt eine unbeschreiblich gute Wirkung. Man zeigte mir verschiedene kostbare Werke, unter denen mich die ersten Bücherabdrücke von Faust besonders freuten. Heinze ist Bibliothekär. Das schöne Werk Ardinghello, was uns so manche frohe Stunde gemacht hat, ist aus seiner Feder geflossen. Er hat sich dadurch eine Stelle unter den Classischen Schriftstellern Deutschlands erworben. Als es zum erstenmale anfieng hier in Umlauf zu kommen, sollte es sogleich in den Katalog verbotner Bücher geschrieben werden. [155] Am nämlichen Tage kam Heinze zum Fürsten, der ihm über sein Buch ein artiges Kompliment machte und ihn fürstlich beschenkte. Und der Herr Katalogenschmieder mußte mit seiner unzeitigen Hitze zurückstehen.

Doch Alles das, was ich gesehen hatte, übertraf die unvergleichliche Aussicht, die ich vom Balkon vor mir hatte. Ich lege hier die Feder nieder. So was kann man nicht beschreiben; man muß es fühlen. Es war eines der schönsten Schauspiele, die mir die Mutter der Natur in meinem ganzen Leben dargeboten hat. Glücklich ist der Fürst, der, wenn er sich nach langer Arbeit von ernsten Geschäften losgemacht hat, einer solchen Aussicht geniessen kann. Ich gieng mit warmen Gefühl von dannen, und weil ich eben über den Schloßplatz kam, so erzählte mir mein Lehnlaquai manches artige Anekdötchen davon. Er war vor Zeiten ein Garten, und soll den hiesigen Einwohnern an schönen Sommer-Abenden zum angenehmen Spatziergange gedient haben. Der itzige Fürst ließ Alles niederreissen, und verwandelte diesen schönen Garten in einen Exerzierplatz. Da mußten dann jeden Morgen die Regimenter ihr [156] Geschäft halten, doch bald war auch das vorbei, und der ganze Platz liegt nun öde. Die Freudenmädchen haben am meisten um den Untergang dieses Gartens geweint.

Ich besah noch die Favorit, die Domprobstei, den Hof des Freiherrn von Dalberg und noch verschiedne andre herrschaftliche Gebäude. Die Favorit liegt am südlichen Ende der Stadt. Kurfürst Lothar Franz von Schönborn kaufte sie von einem gewissen Grafen, und machte aus ihr das, was sie wirklich ist; doch der itzige Fürst wird sie auf eine höhere Stufe bringen, da er das aufgehobene Kartäuserkloster niederreissen ließ, und mit dem Schlosse selbst verbinden will. Noch zur Zeit hat dieses Sommerretrait wenig Vorzügliches und Anziehendes. Weder der Garten noch das Gebäude haben meinen Beifall, und ich wurde sehr getäuscht, da ich hier ein irrdisches Eden zu sehen hofte, weil dies das einzige Lustschloß des Fürsten ist, das er in der Nähe hat. Die Aussicht ist noch das schönste. Der unvergeßliche Kaiser Joseph soll sie bei seiner Durchreise für eine der schönsten in Deutschland gehalten haben. [157] Auf mich machte die vom Balkon des Schlosses tiefern Eindruck.

Hier etwas von dem sogenannten schönen Busche zu Aschaffenburg. Die Mainzer halten ihn für ein Meisterstück der Gartenkunst. Doch jeder, der ihn sah, muß diese stolze Behauptung verlachen. Ich nahm den ganzen Zorn des Verwalters deswegen mit mir, als ich ihm sagte, daß er ja keinen fremden Reisenden hinein führen sollte, welcher etwa mehrere dieser Art gesehen, der schöne Busch möchte sonst in einen übeln Geruch in ganz Deutschland kommen. – Was man in unserm Vaterland Kinderspiele nennt, das findest du hier freilich auf eine prächtige Art, für Erwachsene zugerichtet. Dort siehst du einen in Lüften schwebenden Sessel, in den sich die Damen setzen, und von galanten Herren schaukeln lassen; dort ein hölzernes Pferd gesattelt und aufgezäumt, das die Damen reiten, und in völligem Galopp mit Pistolen nach einem aufgesteckten Ziele schiessen. Ich sah verschiedenemal einer solchen Hauswurstiade zu, und der schadenfrohe Wunsch stieg immer in meinem Kopfe empor, daß doch das Pferd einen Fuß zerbrechen, oder der Sessel [158] sich auf die Erde herunterlassen möchte. Dies muß einmal geschehen, eher lernt man das Kindische in diesem Spiele nicht einsehen. – Was der Kurfürst für Unkosten an diesen Garten verwendet hat, ist unbeschreiblich. Man wollte die Natur gleichsam mit Haaren hineinziehen. Da diese sich aber weder zwingen noch erkünsteln läßt, so kannst Du Dir leicht vorstellen, welches Durcheinander von Kunst und Tändelei hier vereiniget ist. Man hat ganze Seen ausgegraben, und aus dem Grunde davon Berge aufgethürmt. Man hat rieselnde Wiesenbächlein und Katarakten angebracht, und um das Ganze recht natürlich zu machen, da und dort einen Stein hineingemauert. Man hat ausländische Bäume mit Töpfen in die Erde versenkt, und mit anderm Grunde überdeckt, um den Spatziergänger in die schönen Gefilde von Asien zu setzen. Ob man aber dahin versetzt wird, mag jeder, der dahin kommt, selbst entscheiden. –

Die Domprobstei ohnweit der Domkirche ist eins der schönern Gebäude der Stadt. Es hat seine großen und seltnen Vorzüge, aber auch seine vielen Fehler; – das Dach daran ist verdorben. Mangin [159] hat diesen Pallast unter dem itzigen Domprobst, einem Grafen von der Leyen, erbaut.

Der sogenannte Saukopf, von dem die Mainzer so viel Wesens machen, ist wie alle gothische Gebäude mit zu vielen Zierathen überladen. Man zeigt hier einen lateinischen Brief, den, wie man sagt, ein Präfäkt einer römischen Legion, der Stammvater des Geschlechtes der Dalberge, an einen seiner Kollegen aus Palästina nach Rom geschrieben hat. Es geschieht darinn von einem ausserordentlichen Manne Erwähnung, der viele Wunder soll gewirkt haben, und gekreutziget wurde. Man deutet dies auf Christum.

Die übrigen Gehäude des hiesigen Adels verdienen keiner sonderbaren Erwähnung. Die Häuser der Grafen von Ostein, Schönborn und Bassenheim auf dem Thiermarkte, und jenes des Grafen von Elz auf der großen Bleiche sind noch die schönsten darunter.

Um so sehenswürdiger sind die alten und neuen Gotteshäuser, die sich hier dem Auge darbieten. Die Domkirche auf dem Speismarkt ist die bewundernswürdigste darunter. Sie ist ohne Vergleich eine [160] der schönsten im ganzen Deutschland. Ihr vortreflicher Thurm macht auf den Fremden einen ungemein seltsamen Eindruck. Er ist durchaus von Steinen aufgeführt und mag dem Domkapitel eine ansehnliche Summe gekostet haben. Hier möchte ich fragen: warum doch der Mainzer ein so großes Wohlgefallen an kleinen Zierereien findet. Fast an keinem einzigen Gebäude sieht man die edle Simplizität, die man anderswo gewahr wird. Dieser Domthurn giebt uns einen abermaligen Beweis davon. Doch dies wäre so sehr noch nicht zu verargen, wenn er seine Entstehung den vorigen dunkeln Jahrhunderten zu verdanken hätte. Allein derselbe steht noch keine 20 Jahre, und seine Verzierungen wurden wahrscheinlich in den sonderbaren Ideen eines Prachtliebenden entsponnen. Dies macht dem Mainzer um so weniger Ehre, da er doch immer den besten Geschmack vor seinen Nachbarn behaupten will. Baukenner versichern auch, daß sein Gewicht viel zu schwer sey, und das Gewölbe der Kirche mit der Zeit einstürzen könnte. Den Dom selbst wird man ausser dem Dache kaum gewahr. Er ist ringsum mit kleinen Häusern und Krämerbuden umgeben, [161] die diesem schönen Gebäude den größten Theil des Ansehens benehmen. Desto größere Ehrfurcht erregt aber sein Inneres, das freilich ein wenig dunkel ist. Man sieht hier verschiedne Monumente, die man ohne Erhöhung Meisterstücke nennen kann. Das erste, was sich dem lüstern Auge darbietet, ist eines von Melchior, welches dem Domprälaten von Dalberg errichtet wurde. Man wird es gleich bei dem Eingang von der Augustinergasse her gewahr, wo es rechter Hand an der Mauer angebracht ist. Der Prälat liegt auf einem Sarge auf der rechten Seite, in der Hand sein Brevier. Der unten angebrachte Kopf von Alabaster ist vortreflich gearbeitet. Vorher soll er sehr schön gewesen seyn; der Zahn der Zeit und die wenige Sorge dafür mag ihn aber so merklich verdorben haben. – Nicht minder sehenswürdig ist das Monument eines Grafen von Lamberg im Pfarrchor linker Hand. Der kaiserliche General hebt mit der einen Hand den Deckel des Sarges empor, streckt mit der andern den Kommandostab hervor, und schaut mit seinem gekräuselten Kopfe durch die Oefnung heraus. – Noch verdienen angemerkt zu werden das Monument des Erzbischofs [162] Albrechts, und ein anderes ohnweit dem Thore, wo man von dem Markte herkömmt, das aber keine Aufschrift hat. Der darauf knieende Ritter in betender Stellung hat mir besonders gefallen. Hier wandert hin, ihr jungen Zöglinge Thaliens, und studieret das altdeutsche Kostume.

Der hiesige Dom besitzt einen ungeheuern Schatz, mit dem man keinen in Deutschland vergleichen kann. Die Dresdner machen vielen Lerm vom grünen Gewölbe, und die Köllner lassen sogar den Magistrat Bürgschaft leisten, wenn sie bei Gelegenheit der Gottestracht ihr Heiligthum vor den Tempel tragen. Aber ich ziehe den hiesigen Schatz immer vor. Hier hat man auch so, wie zu Altmünster, ein Schweistuch vom Heiland, das man sonst auf einer Stange zum obern Gewölbe heraus den tausend Menschen, die sich da versammelten, zu zeigen pflegte. Itzt ist diese Thorheit abgeschaft. Auch mehrere 100 Pfund ungeheure Knochen kannst Du hier sehen, mit denen man den Pöbel unter dem Namen Reliquien äffet.

Ich besuchte auch die Dombibliothek, die seltne und kostbare Werke besitzt. Der Bibliothekär, ein [163] aufgeklärter und unterhaltender Mann, versicherte mich, daß sich die Anzahl der Handschriften auf 6000 belaufe. Ich glaubte Frauenlobs Gedichte hier zu finden, allein ich hatte mich umsonst gefreuet. Seine Werke sind verloren, und man wird schwerlich mehr in Deutschland Ueberbleibsel davon entdecken. Sonst hat diese Bibliothek keine neue Werke aufzuweisen, nicht einmal Hontheims Geschichte findest Du darinnen. Daß sie sehr gut katholisch seyn muß, schloß ich daraus, weil ich im Hintergrunde einige Bücher mit Ketten angeschlossen sah. Dies pflegt sonst nur in Mönchsklöstern zu geschehen, aber in einer aufgeklärten Stadt habe ich es noch nicht bemerket.

Nach dem Dom verdienen noch 5 andere Kirchen angemerkt zu werden. Die des h. Ignatius ist eine der schönsten darunter. Auch die Jesuiterkirche ist sehenswürdig. (Woher kömmt es doch, daß das Jesuitenvolk immer die schönsten Gotteshäuser hat?) Die Peters- und Augustinerkirche nicht minder. Nur vermißt man an dieser wieder das Einfache. Das Portal und die Altäre sind ganz verdorben. Unter den ältern nehmen sich die Stephanskirche am [164] südwestlichen Theile der Stadt und das Stift zu U. L. Frauen neben dem Dom besonders aus. Ich bestieg mit einem Vikar aus der ersten Kirche den Thurm derselben, der sehr hoch liegt und die Aussicht über ganz Mainz und mehrere benachbarte Oerter verbreitet. Die gothische Bauart der zweiten ist wieder merkwürdig. Auf den metallenen Thoren lies’t man ein Diplom, das dem Mainzer Bürger nicht gleichgültig seyn darf. Ich konnte die Schrift nicht kopieren, weil sie zu hoch steht, nur so viel kann man unten lesen:

Willigisus archiepiscopus ex metalli specie valvas effecerat primus.



Neunzehnter Brief.

Die Nachrichten von der hiesigen Justitz verspare ich bis zu unsrer Zusammenkunft. Dann werde ich Dir manche Anekdote davon erzählen, die ich itzt nicht einmal den Geheimnissen der Post anvertrauen darf.

[165] Ich gehe zur Polizei, die gewiß für den Reisenden einer der ersten Gegenstände seyn muß, die er zu erwägen hat. Zuerst wollen wir den Straßenbau betrachten. Fast in allen Straßen ist das Pflaster sehr schlecht; dies ist auch die Ursache, daß man, wenn man einige Stunden in den Gassen spatzieren geht, eben so müde wird, als wenn man einen Weg von 8 bis 10 Stunden gethan hätte. Die meisten Straßen sind sehr eng, welches daher kommt, daß Mainz zu sehr verbauet ist. In den engen Straßen herrscht auch oft wenig Reinlichkeit. Geht man eine durch, so hat man sich sehr in Acht zu nehmen, daß man nicht eine Menschenbrühe über den Kopf bekömmt. In diesen Gäßchen sieht man auch nicht selten krepirte Hunde, Katzen oder andere Thiere liegen, welche im Sommer einen üblen Geruch verursachen.

Die vornehmsten Straßen, z. B. die große Bleiche, sind sehr sauber, und man sieht, daß die Polizey hierauf mehr Acht hat.

Die Erleuchtung ist auch nicht zum Besten eingerichtet. Manchmal zündet man die Laternen noch bei hellem Tage an, und bei sehr dunkelm Wetter [166] wird man oft keine angezündete gewahr. Auch sollte ein größerer Theil der Stadt erleuchtet seyn; an Orten, wo doch bei Nacht viele Menschen passiren, und wo oft viele Ausschweifungen getrieben werden, sieht man keine Laternen. Woran die Ursache liegt, daß man in diesem Punkte so wenig Akkuratesse hat, kann ich nicht erfahren. Ich befragte mich nach dem Fond, woraus die Unkosten zur Erleuchtung bestritten werden, und hörte, jeder Bürger müsse von jedem Stecken Holz 10 Kr. zahlen, welche zu diesem Zweck angewendet würden. Betrachtet man nun die ungeheure Menge des Holzes, das hier verbrannt wird, so kann man nicht glauben, daß hierinnen der Fehler liegen könne. Wahrscheinlich liegt die Ursache ganz allein an denen, welche die Besorgung haben, daß die Laternen zur gehörigen Zeit angesteckt und sauber gehalten werden, welche aber leicht zu mehrerer Aufmerksamkeit anzuhalten wären.

Vor einigen Jahren wurde den Polizeidienern scharf anbefohlen, Acht zu haben, daß dem Befehl gemäß nicht zwei zusammen nach 10 Uhr über die Straßen ziehen sollten. Dieser Befehl ward gegeben, um die Raufereien der Akademiker und Handwerkspursche [167] zu verhüten, da der Aufruhr im Keimen war, nachdem man aber die Aufrührer beiderseits hergenommen, und ihnen gezeigt hatte, wie scharf solche Störungen geahndet würden, war niemand mehr so kühn, öffentliche Balgereien anzufangen, und so wurde obiges Verbot auch wieder stillschweigend aufgehoben. Jetzt ist vielmehr zu tadeln, daß man öfters ganze Nächte die Stadt durchziehen läßt, ohne sie zu beunruhigen, denn aus guten Absichten geschieht dieses doch nie.

Die Mittel, durch welche dem Müssiggange am schicklichsten vorgebauet wird, haben ihre Anwendung hier erhalten und merkliche Wirkung gethan. Man hat sowohl allgemeine als besondere Vorkehrungen gemacht; man hat jedem Bürger einzuprägen gesucht, daß jede unnütze Beschäftigung und Müßiggang entehrend ist; man hat der Geistlichkeit aufgetragen, das Volk zu lehren, Allmosen, die es zur Arbeit tauglichen Menschen gebe, weit entfernt ein verdienstvolles Werk sey, vielmehr wären sie eine Nahrung des Müssigganges und ein sich zur Unzeit äusserndes Mitleiden, Ursache und Gelegenheit der Laster, ja so zu sagen selbst ein Laster. Man hat [168] auch das Betteln zum Theil abgestellt; doch wären auf dieser Seite noch viele Verbesserungen zu machen. Die Bettler sind bisweilen so ungezogen, daß sie dem Spatziergänger lieber die Fersen verwunden, als ohne einen Kreutzer bekommen zu haben sich wegbegeben. In der Stadt selbst sieht man aber keinen einzigen Better auf der Straße, und auf die Klöster kann er sich wenig oder gar nicht verlassen. Fremden Bettlern ist der Eingang in die Stadt gänzlich versagt, und dies mit größtem Recht, denn sind diese Fremden arme Leute, so ists billig, daß ihr Fürst ihnen hinlängliche Nahrung gebe; sind es aber junge, zur Arbeit noch taugliche Menschen, so können sie ihren Unterhalt noch durch andere Mittel verdienen. Also ist das Kurfürstliche Verbot in jedem Betracht billig. Daß auch das Verbot des Bettlens der Landeskinder in jedem Lande nothwendig sei, haben heut zu Tage mehrere patriotisch gesinnte Männer bewiesen.

Dagegen hat man aber Armenhäuser errichtet, wo gesunde Leute arbeiten können, und kranke verpfleget werden. Ein Ehrenmann Rulffs ist Direktor dieses Institutes. Er ist unsrer Religion zugethan, und von seinem Beispiele lernt der Mainzer, daß auch Protestanten ein gutes Herz haben können, welches ihnen doch ein großer Theil der Intoleranten Katholiken abspricht. Dieser Mann, dessen Andenken noch die späte Nachwelt segnen wird, sorgt [169] für die Armen, wie ein wahrer Vater, nimmt die Allmosen für sie ein und theilt sie verhältnißmäßig aus. Er giebt sich alle Mühe auszuspähen, welche keine Allmosen verdienen, welchen mehrere oder geringere gereichet werden müssen u. s. w. Von der Einnahme und Ausgabe legt er im Intelligenzblatt strenge Rechnung ab, damit nicht der geringste Verdacht einer übeln Administration auf ihn kommen kann. Kurz: Rulffs ist einer der größten Wohlthäter von Mainz.

Hier zu Lande muß auch jeder Bürger Rechenschaft geben, womit er sich beschäftiget und seinen Unterhalt gewinnt. Auf diese Art werden viele krummen Erwerbungswege abgeschnitten, z. B. das Bettlen, Gold machen, Schatzgraben, Spielen u. s. w. Spieler giebt es zwar hier noch eine ziemliche Anzahl; die Spiele werden aber doch von ihnen nicht so hoch getrieben, denn die Spieler selbst sind meistens arme und schlechte Leute; da sie aber doch manchen jungen Menschen verführen, der einmal gereizt, die Sache mehr probiret, und durch allerlei Schleichwege Geld zu bekommen sucht, so sollte man auch diese wegzuschaffen bemühet seyn.

Das hiesige Zuchthaus ist für große Müssiggänger, hartnäckige Bettler, unverbesserliche Ausschweifer und Bösewichter bestimmt. Auch kann der Vater seinen Sohn hier züchtigen lassen. Erhält aber der Vater die Erlaubniß, sein Kind an diesen Ort [170] zu bringen, so muß er die Kost, Kleidung u. s. w. bezahlen. Verurtheilt aber das Gericht einen dazu, so werden die Unkosten von der Stadt bestritten. – Jeder, der hier soll gebessert werden, wird in eine Art von Kerker eingeschlossen, woraus er, wenn er die bestimmte Arbeit nicht darinn verrichten kann, entlassen wird. – Ist aber hier Jemand zum Zuchthause verdammt, so ist es um seinen guten Namen geschehen. Diese falschen Begriffe sollte man dem Volke abzubringen suchen, denn sonst ist der ganze Zweck des Zuchthauses verfehlt.

Das Arbeitshaus ist nicht für Verbrecher, sondern um den Arbeitslosen von Ausschweifungen und der Noth zu retten. An diesem Orte wird ihm zu jeden Zeiten eine Beschäftigung bereit gehalten, womit er sich seinen Unterhalt erwerben kann.

Hier verdient auch noch als eine Hemmung des Müssigganges angemerket zu werden, daß man die Feiertage, so viel es von dem großen Priester zu erbitten war, verringerte, denn du weißt, daß die Katholiken sonst beständig einen Feiertag hatten, das sie bei uns nothwendiger Weise in schlechten Ruf setzet, denn daraus kann man schliessen, daß sie keinen wahren Begriff von der Verehrung Gottes haben; indem durch die Feiertage noch der Müssiggang begünstiget und mancherlei Verschwendung veranlaßt wird. Dies aber hat man hier sehr weislich abzuändern gesucht.

[171] Lobenswürdig ist’s, daß man sehr für die Bekanntmachung und klare Darstellung der Ver- und Gebote sorget. Gleich werden neue Verordnungen durch das Intelligenzblatt in der Stadt bekannt gemacht, auf den Dörfern aber von der Kanzel abgelesen, und von dem Prediger dem unerfahrnen Landmanne der Inhalt getreu aus einander gelegt. Ueberhaupt ist die Gesetzgebung sehr gut beschaffen. Der Bürger kann Alles thun, was den bürgerlichen Gesetzen nicht entgegen läuft, und man schränket die Handlungen des Unterthanen nicht ein, wo es die Wohlfahrt des Staates nicht nothwendig macht. Was ich zu tadeln finde, ist, daß man zu viele Gesetze macht, welches auf den Staat nicht den besten Einfluß haben kann.

Der peinliche Prozeß ist hier so vollkommen, als ich ihn in keinem geistlichen Staate fand. Die Gefängnisse sind sehr ordentlich beschaffen; der Missethäter wird nicht so tyrannisch wie an manchem andern Orte behandelt. Man weiß, daß er noch allzeit Mensch bleibt, und daß man ihn also nicht in die Klasse der Unthiere setzen müsse. Die Todesstrafen scheint man von hier gänzlich verbannt zu haben. Man weiß sich fast nicht mehr zu erinnern, daß einer hier vom Leben zum Tod gebracht worden. Die Folter, wodurch schon mancher Schuldige befreit, und mancher Unschuldige zum Tode verdammt worden, hat man gänzlich abgeschaft. Es ist auch nicht [172] zu begreifen, wie man zu dieser zweckwidrigen Marter bis hieher den Menschen verurtheilen konnte, und wie es möglich ist, daß noch in unsern aufgeklärten Tagen gefoltert wird, um den Verbrecher zum Geständniß zu bringen, da doch die Unzulässigkeit und Grausamkeit dieses Mittels so klar vor Augen liegt. Die Kriminalstrafen sind sehr gelind, denn man hat sich richtige Begriffe vom Menschen und seinen Eigenschaften gemacht.

Für die öffentliche Sicherheit hat man hier auch hinlänglich gesorgt. Man höret selten etwas von Todschlägen, Vergiftungen, Räubereien, Diebstählen u. dergl. In dieser Rücksicht thun besonders die kurfürstlichen Husaren gute Dienste, wovon ich oben schon geredet habe. Kindermord ist sehr selten, weil man nicht so herabwürdigende Begriffe von dem Mädchen faßt, welches sich hintergehen läßt.

In neuesten Zeiten hat man die wichtige Entdeckung gemacht, daß das Stillstehen des Pulses, der nicht wahrzunehmende Odem, die Kälte und das Starren des Körpers keine sichere Kennzeichen des Todes sind. Hieraus fließt nun von selbst die Bemerkung, daß man Menschen nicht so gleich, als man keine vermeintliche Lebenszüge an ihnen mehr spüret, begraben soll. Diese Beobachtung hat auch schon an manchen Orten ihre heilsame Wirkung gethan, und man ließ Todte nicht eher, als nach dreimal 24 Stunden beerdigen. In Mainz hat man [173] zwar auf diese Beobachtung auch einige Rücksicht genommen, allein man hat eine zu kurze Zeit bestimmt. Oft begräbt man den Verstorbenen, ehe er zweimal 24 Stunden gelegen hat. Wie kann aber dies den wohlgemeinten Zweck erreichen, da man einen Todtscheinenden noch nach 9 Tagen am Leben fand. Wegen dem Begraben sind aber sehr schöne Verordnungen gemacht. Die Gräber müssen sehr tief seyn, damit durch den bösen Geruch keine ansteckenden Krankheiten entstehen. Alle Pracht bei Leichen ist unter schwerer Strafe verboten. Die Todten werden bei Nacht beerdiget und ganz stille auf den Kirchhof getragen. Du wirst dich aber wundern, daß man hier alle Todten in der Stadt begräbt, da man doch in andern Ländern, die minder aufgeklärt sind, Kirchhöfe vor den Thoren oder an andern Orten errichtet hat, wo der Geruch keine Krankheiten verursachen kann. Was die bösen Folgen angehet, die aus dieser Art die Menschen zu beerdigen entstehen, so ists unmöglich, daß man hier damit unbekannt seyn sollte. Die Ursache, daß man solche Einrichtungen noch nicht getroffen hat, mag wohl darinnen liegen, weil die Stadt zu groß, und ein Theil zu weit entfernt ist, als daß man einen bequemen und schicklichen Ort finden könnte. Allein diesem wäre leicht abzuhelfen, wenn man mehrere Kirchhöfe vor den Thoren errichtete, wozu sich gewiß genug taugliche Plätze finden lassen. Die Einwohner würden [174] sich auch sicher nicht dagegen setzen, denn ich sprach mit einigen Bürgern dieser Stadt, welche den Nutzen davon einsahen und wünschten, daß Anstalten dazu getroffen würden.

Außerdem ist man auch sehr bedacht, dem Menschen in Krankheiten Hülfe zu schaffen, und dadurch ihren Verheerungen ein Ziel zu setzen. Daß der Landesherr hiezu alle Mittel angewendet habe, zeigen die hiesigen Aerzte, welche in ganz Deutschland glänzen, und die Apotheken, welche ihrer Absicht entsprechen. Verkauf der Quacksalbereien von Marktschreiern und Bereitung der Winkelarzneien sind aufs schärfste verboten, doch wird dadurch auf dem Lande noch viel Unheil gestiftet.

Auch hat man hier ein Krankenhaus errichtet, worinnen Kranke jeder Art aufgenommen werden. In diesem Hause werden auch unglückliche Mädchen Mütter, und erhalten die nöthige Wartung. Jedes schwangere Mädchen muß hier entbunden werden, und man sieht nicht auf Unterschied der Stände. Dies Krankenhaus hat nicht allein den Nutzen, daß manches gesunde Kind dem Staate erhalten wird, sondern es auch Lehrlingen in der Geburtshülfe zur Schule dienet.

Hieraus kannst du auch schon eines Theils abnehmen, daß der Fürst sehr für die Bevölkerung wachet. Die Anzahl der Gebohrnen übersteigt im Durchschnitt gewöhnlich die der Verstorbenen.

[175] Hier herrscht der Begrif nicht mehr so allgemein, daß der Verlust der Ehre mit der Geburt oder mit der gewählten Lebensart und Beschäftigung verknüpft sey. Mit Recht sucht man den Leuten diese Begriffe abzugewöhnen, da sie alle Misbräuche sind, und schädliche Wirkungen auf das öffentliche und Privatwohl haben.

Man hat auch Feueranstalten eingeführt, wodurch dem verunglückten Manne von jedem Mitbürger nach dem Anschlage der Gebäude verhältnißmäßig der Schaden ersetzt wird. Wie heilsam diese Anstalten sind, fühlt jeder Patriot, und man sollte in jedem Lande den Unterthan zwingen, daß er sich in die Brandassekuranz müßte einschreiben lassen, denn das Ganze ist zum Besten der Unterthanen angeordnet.

Eine merkwürdige Polizeianstalt ist auch noch der Hafen, welcher am Norden der Stadt liegt. Am Rhein halten gegen den Winter zu viele und schwere Schiffe. Es ward also weise angeordnet, daß man den nothleidenden Schiffen einen sichern Platz anweise. Der Hafen selbst ist übrigens sehr klein, aber wohl eingerichtet, um hinlänglich seinen Zweck zu erreichen.

Die weitern Anordnungen habe ich in verschiedne andere Briefe eingeschoben, da sie sich von den Gegenständen, wovon ich schrieb, nicht trennen ließen.


[176]
Zwanzigster Brief.

In einigen Tagen, Freund, verlasse ich Mainz, und kehre in die Armen meiner Lieben zurück. So sehr ich mich auch nach diesem Zeitpunkt gesehnet habe, so ungern trenne ich mich von einer Stadt, wo ich so manche frohe Stunde durchlebt habe.

Den Nachrichten, die ich dir in meinen Briefen von Mainz gab, darfst du sicher glauben. Sie sind alle wahr und zuverlässig, und so geschrieben, wie ich sie von Biedermännern dieses Landes erfahren habe. Sollte da und dort eine Unrichtigkeit mit untergeschlichen seyn, so mußt du mir dieses zu gute halten, denn ich schrieb dir, was ich hörte und sah. Lebe wohl. In einigen Wochen drückt dich wieder an sein Herz

Dein

Mainz, im März,
     1792.

Freund
R.