Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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[Volk u. Gebiet Orient]
Band IX,2 (1916) S. 23992458
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Juda und Israel

Literatur Bearbeiten

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1. Israels Einwanderung in Kanaan 1500–1200. Bearbeiten

Das historische Volk Israel ist die Schöpfung der drei Volkskönige Saul, David und Salomo. Die Grundlagen gehen auf Mose zurück. [2400] Die Israeliten sind keine autochthonen Bewohner Kansans‚ sondern Eindringlinge von der Wüste her. Älter als das Volk Israel sind die beiden Stammgruppen Lea und Rahel, aus denen das Volk Israel zusammengewachsen ist. Zu Lea gehören Ruben, Simeon, Levi, Juda, Sebulon und Issachar; zu Rahel Joseph und Benjamin. Nebenstämme von Lea sind die auf Silpa zurückgeführten Gad und Asser; Rahel angegliedert sind die von Bilha sich ableitenden Dan und Naftali.

Allem Anschein nach ist der Rahelstamm, von dem sich überhaupt erst auf palästinischem Boden Benjamin abgespalten hat, erst nach den Leastämmen und auf anderem Wege als dieser in Kanaan eingedrungen. Am Ende der Richterzeit gehörte Sichem zu Joseph, Richt. 9. Der verunglückte Angriff auf diese Stadt durch die zu Lea gehörenden Jakobsöhne Simeon und Levi kann nur in frühere Zeit fallen. Beim Auftreten Sauls wohnt Juda nördlich bis Bethlehem und ist durch die zwischen Bethlehem und Bethel gelegenen Kananiterstädte wie durch eine Isolierschiebt von Joseph getrennt. Dann hat aber Juda von Süden aus in Kanaan sich festgesetzt und ist nicht wie die unter Josuas Führung stehenden Stämme, darunter vor allem Joseph, über den Jordan gekommen. Die Einwanderung israelitischer Stämme unter Josua ist mit der Geschichte Mosis aufs engste verknüpft. Israels Auswanderung aus Ägypten war durch die Verwendung zu Fronarbeiten beim Bau der Städte Pithom und Ramses (Exod. 1, 11) veranlaßt. Da diese Städte von Ramses II. (1292–1225) angelegt wurden, so ist die Besiedlung Kanaans durch Israel, repräsentiert besonders durch Joseph, bis ca. 1200 beendet. Dazu könnte stimmen, daß Menaephta (1225–1215) auf einer Prunkinschrift in Theben sich rühmt – bis jetzt die älteste Erwähnung Israels auf einem außerbiblischen Denkmal – Israel in Kanaan besiegt zu haben, falls mit Israel die aus Ägypten geflohenen Israeliten und nicht die in Kennen zurückgebliebenen Brüder gemeint sind.

Nun werden die Israeliten bekanntlich im Alten Testament von Fremden ‚Hebräer‘ genannt, ein Name, mit dem sich die Israeliten auch selbst bezeichnen. Er bedeutet den Herübergekommenen, oder richtiger den Umherziehenden, d. h. den Nomaden. Dann werden aber die Israeliten = Hebräer mit den in dem Tontafelnfund von Amarna 1887 genannten Chabiru gleichzusetzen sein. Diese Chabiru bedrängen im Bund mit Hethitern und Amoritern das nominell unter der Herrschaft der Pharaonen Amenophis III. (1410–1375) und Amenophis IV. (1375–1350) stehende Palästina. Von den Kleinfürsten für ihre Privatkämpfe zu Hilfe gerufen, kämpfen die Chabiru als Landsknechte zugleich für ihre eigene Tasche und suchen sich im Kulturland einzuschieben. Da früher als Rahel die Leastämme in Kanaan eingewandert sind, so werden die Chabiru näher mit den Leakindern zusammenzubringen sein.

Die Abwanderung Israels nach Ägypten mag eine Folge der Chabirubewegung sein. Dieselbe Völkerwelle, die unter Amenophis III./IV. Beduinen das nördliche und südliche Palästina umbrausen läßt, hat nachher im südlichen Palästina sich stauende hebräische Stämme nach Ägypten [2401] gewälzt und sie in Gosen für eine Zeitlang zur Ruhe kommen lassen, bis eine neue Erregung einsetzt und die gleichen Scharen nach Palästina zurückflutend macht. Erst durch diesen Zustrom kommt frisches Leben in die im südlichen Palästina gebliebenen israelitischen Stämme, das sind die Leakinder. Diese haben einst ‚Israel‘ gebildet. Wie Jakob mit Rahel, so ist Israel mit Lea ursprünglich am festesten verknüpft. Die Leakinder haben im südlichen Palästina einmal eine geschlossene Einheit gebildet und sind erst durch ein besonderes Ereignis teils nach dem Norden, – so Issachar und Sebulon –, teils nach dem Ostjordanland – so Ruben – teils weiter nach Süden – so Simeon, Levi, Juda – gedrängt worden. Die Auseinanderreißung ist entweder durch Mernephtas Sieg über ‚Israel‘, oder durch ein Verrücken der Amoriter nach dem Süden geschehen. In das Gebiet ,Israel-Lea‘ ist ‚Jakob-Rahel‘ eingerückt, und so ist der an diesen Gegenden haftende Name ‚Israel‘ auf die neuen, verwandten Ankömmlinge übergegangen. ,Israel‘ wurde nun umgekehrt auch das Subjekt der ägyptischen Einwanderungs- und Auszugsgeschichte. Die Einwanderung Israels in Kanaan ist demnach in zwei Hauptetappen innerhalb der Zeit 1500–1200 erfolgt. Einzelne Gebilde wie ‚Jakob‘, ,Israel‘, ,Asser‘, ,Gad‘ mögen schon vor 1500 in Kanaan sich eingenistet haben. Als Heimat der nach Kanaan ziehenden Israeliten ist das Gebiet der ,Ostländischen‘, d. i. Genes. 29, 1 die syrisch-arabische Steppe im Osten und Süden Palästinas anzusehen. Durch Abraham steht Israel mit Ismael, dem Stammvater der beduinischen Araber, und mit Lot, dem Ahnherrn Ammons und Moabs, in Verbindung, während Isaak, der Vater Esaus und Jakobs, das Mittelglied zwischen Edom und Israel bildet.

2. Das vorisraelitische Kanaan 2500–1400. Bearbeiten

Die Einwanderung Israels in Kanaan ist eine Episode in der Besiedlungsgeschichte dieses Landes. Die natürliche Verkehrsbrücke zwischen Asien und Afrika, ist Palästina das Kreuzungsgebiet der Rassen und Kulturen in der weiteren und näheren Umgebung. In ältester vorgeschichtlicher Zeit stoßen hier nichtsemitische, arisch-indogermanische, von Norden und Westen kommende Völker mit Semiten aus Süd und Ost zusammen und mischen sich. Aber ca. 2500 ist Palästina vorzugsweise semitisches Siedlungsland. Man nennt jetzt jene Semiten gewöhnlich Kananiter. Bis zu der angegebenen Zeit haben die Ägypter verschiedentlich Expeditionen zu Wasser und zu Land nach Palästina unternommen, um seine reichen Schätze auszubeuten. Seit etwa Mitte des 3. Jahrtausends konkurriert mit dem ägyptischen Einfluß der babylonisch-sumerische. Gleichzeitig setzt eine neue Einwanderung semitischer Beduinen, der auch dem Alten Testament bekannten Amoriter, ein, gegen die sich wenig erfolgreich die Herrscher am Nil und im Zweistromland wenden. Im Zusammenhang mit einer etwa 2000 anhebenden arischen Wanderung, an der sich auch die kleinasiatischen Hethiter beteiligen, mag die Eroberung Ägyptens durch die Hyksos ca. 1700 stehen, deren Herrschaft – das erste orientalische Weltreich – schließlich von Ägypten bis Babylonien reichte. 1580 wurden die [2402] Hyksos von den Ämtern vertrieben und bis nach Palästina verfolgt. Sind die Hyksos auch keine Semiten, so mögen doch semitische Scharen darunter gewesen sein, die zu den Urahnen Israels in mittel- oder unmittelbarer Beziehung stehen können. Durch mehrere Züge unterwirft Tutmosis III. (1500–1445) ganz Syrien bis zum Taurus. Aber schon unter den Pharaonen Amenophes III. (1410–1375) und Amenophes IV. (1375–1350) ist der Verfall der ägyptischen Macht in Palästina erfolgt, die nur zum Schein noch aufrecht erhalten bleibt. Der beste Spiegel für Palästina und seine Umgebung ca. 1400 sind die bereits erwähnten Amarnabriefe, jene in babylonischer Keilschrift und Sprache verfaßten diplomatischen Schriftstücke, die zwischen den vorderasiatischen Herrschern, besonders aber den palästinischen Kleinfürsten und den beiden genannten Pharaonen gewechselt wurden. In jener Korrespondenz meldet sich das Auftreten der Chabiru, d. i. der ersten Hebräer in Kanaan an, deren Geschichte schließlich das Bindeglied zwischen Orient und Okzident und den Übergang von der Antike zu Mittelalter und Neuzeit bilden sollte.

3. Mose und seine Zeit 1250–1200. Bearbeiten

Daß die Geschichte Israels einen andern Verlauf nahm als die seiner Nachbar- und Brudervölker, beruht auf dem Anteil starker religiöser Persönlichkeiten an der Entwicklung Israels. An der Spitze steht Mose. Wie hinter Nebeln der Umriß eines Bergriesen, so ist die Geschichte Mosis nur durch Sage und Mythus noch ersichtlich. Gute Überlieferung wird der unerfindliche ägyptische Name ,Mose‘ sein, der ,Kind‘ bedeutet und im Ägyptischen teils allein vorkommt, teils mit einem Gottesnamen verbunden. Geschichtlich mag auch die Herkunft Mosis von Levi (Exod. 2, 1) und seine Beziehung zu dem Priester von Midian sein. Von Midian kommt Mose im Namen des Sinaigottes Jahwe, von dem er sich beauftragt fühlt, nach Ägypten, um den im Frondienst schmachtenden Stammgenossen zu helfen. Unter Mosis Beistand entweichen die Israeliten heimlich aus dem Lande der Knechtschaft. Die gelungene Rettung schlingt ein Band um Israel und Jahwe. Um es noch fester zu gestalten, schließt Mose zwischen Jahwe und Israel einen Bund, wobei Israel gegen seinen starken Helfer sich zum Gehorsam auf dem Kriegspfad, beim Gericht und bei dem eigentlichen Kult verpflichtet. Das Zustandekommen des Bundes wird nicht ohne Mitwirken der Midianiter erfolgt sein, in deren Gebiet der Sinai (Exod. 3, 1) lag. Für die weitere Gewöhnung Israels an die Pflichten und Gebote Jahwes, als dessen Zauberpriester Mose in der Überlieferung erscheint, wird das Heiligtum Kadesch, wo die Israeliten lange verweilten (Num. 20, 1ff.), eine Rolle gespielt haben. Mit Recht gilt Mose als der Begründer des Volkstums und der Religion Israels. Unter Mose ging Israel zu einer neuen Religion über. Durch die Konzentrierung der Interessen Israels auf Jahwe, der schon vor Mose für einzelne israelitische Stämme ein Stammgott neben andern Stammgöttern und Göttern gewesen sein mag, ist zwar von Mose in Israel noch kein Monotheismus, wohl aber eine monolatristische Religion eingeführt worden, durch die dem bisherigen Polydämonismus [2403] und Polytheismus ein starker Damm entgegentrat. Jahwe wurde fortan Israels Gott und Israel Jahwes Volk. Trotz mannigfachem Widerstreben hielt dieses Bekenntnis die Israeliten auf ihren Wanderungen zusammen und bildete hernach auch die Grundlage für die politische Einigung der Stämme durch das Königtum. Durch die Gründung auf ein geschichtliches Ereignis trat die neue Religion heraus aus der Reihe der Naturreligionen und wurde zu einer geschichtlichen Religion, die zu einer Weiterentwicklung in der Geschichte befähigt war. Die Überzeugung, daß Jahwe sich stärker als die mächtigen Götter Ägyptens bewiesen habe, gab dem neugewählten Gott eine Überlegenheit über alle Konkurrenten. Als dann im Kulturlande der Gottesbegriff Israels sich veredelte und vertiefte und durch die führenden Geister zum Monotheismus sich abklärte, mußte auch die in der Treue gegen Jahwe wurzelnde Sittlichkeit sich veredeln. An den bisherigen Heiligtümern Israels (heiligen Steinen, Bergen, Quellen, Heinen, den Festen, Sabbat und Passah, Beschneidung u. dgl.) wird Mose, abgesehen von der allgemeinen Umprägung auf Jahwe, nichts wesentlich geändert haben. Ist Mose auch nicht der Urheber der in den Büchern Exodus bis Deuteronomium enthaltenen Gesetzgebung und auch nicht des vermeintlichen Grundkernes derselben, nämlich des Dekaloges, Ex. 20 = Deut. 5, der vielmehr die Ansässigkeit Israels im Kulturland und die Predigt der Propheten voraussetzt, so kommt doch die grundlegende Bedeutung Mosis für die Tora Israels darin zum Ausdruck, daß kein Gesetz, das in Israel Autorität besaß, von einem anderen Namen hergeleitet wurde, als von Mose, dem Begründer der Jahwetora in Israel. Mose hat den Samen gestreut, der nachher aufging und Früchte trug. In die Zeit Mosis fällt noch der Kampf mit Amalek, Exod. 17. Ob Mose die um ihn gesammelten Stämme zur Eroberung Kanaans aufforderte, oder ob die schließliche Besetzung des Landes erst nachträglich dem Mose als Absicht untergelegt werden ist, bleibt unsicher. Vielleicht hat Mose selbst noch die Seinen bis ins Ostjordanland geleitet und sind unter ihm die Siege über die Amoriterkönige Sichon bei Jahza und Og bei Edrëi errungen worden, Num. 21, falls sie nicht einer früheren Epoche der Einwanderung israelitischer Stämme im Ostjordanland angehören. Auf Kämpfe mit Moab führt Num. 22ff.

An der Spitze der nach Mosis Tode ins eigentliche Westjordanland rückenden Israeliten, d. i. wesentlich der Rahelstamm, steht Josua. Um das Panier, die heilige Lade, geschaut, überschreiten die Israeliten den Jordan bei Gilgal und erobern Jericho, Ai und Bethel. Durch die Schlacht bei Bet-Horon warf Josua die Macht der Kananiter im Süden nieder, Jos. 10. Die Lade war zuletzt in Silo aufgestellt und stand unter der Hut der mit Mose verwandten Elidenpriester. Den Erfolgen Israel-Josephs wird es zuzuschreiben sein, daß dieser Stamm über die bereits vor ihm in Kanaan eingedrungenen, aber zu wenig Macht gelangten Stämme eine Art Vormacht ausübte. Dabei wird die unter Mose von Israel übernommene Pflicht des Gehorsams gegen Jahwe im Krieg und im Frieden auch den älteren Stämmen nun mehr auferlegt worden sein, Jos. 24. [2404]

4. Die Richter (1400) 1200–1030. Bearbeiten

Die Folge der Einwanderung Israels war nicht, wie gewisse biblische Nachrichten es darstellen, eine Ausrottung der Kananiter, sondern eine Verschmelzung der Einheimischen und der Zugewanderten. Die kulturarmen Israeliten wurden zunächst die Schüler der kulturell hochstehenden Kananiter. Sie lernten von ihnen den Feldbau, das Wohnen in festen Siedlungen, die Berufe und Handwerke in Land und Stadt, Handel, Kunst und Kriegführung, In letzterer sind, wie es scheint, insbesondere die Hethiter und Philister die Lehrmeister wie der übrigen Semiten, so auch der Israeliten geworden. Auch von dem kananäischen Kult färbte vieles auf den der Art nach verwandten israelitischen ab. Auf sozialem Gebiet war das Wichtigste die Ersetzung der alten Stammverbände durch lokale Gebilde.

Daß trotz der kulturellen und zahlenmäßigen Überlegenheit der Kananiter die Israeliten bei der eingetretenen Völkerheirat obenaufkamen, war dem Kampfe mit den Einheimischen und mit neuen Nachschüben aus der Wüste zu danken. In diesen Kämpfen war Israel auf sich angewiesen und fühlte sich trotz aller Abhängigkeit von den bisherigen Landeskindern und trotz aller Verwandtschaft mit den aus der Wüste nach dem Beispiel Israels ins Kulturland vordringenden Nomaden im Gegensatz zu beiden. Der Sinaigott Jahwe überwand die Kultur und schützte sie gleichzeitig gegen die Steppe. Die Helden, denen Israel in den Kämpfen folgte, nennt man gewöhnlich ‚Richter‘.

Von solchen Kämpfen mit den Einheimischen ist Richt. 4f. das hervorragendste Beispiel. Noch immer beherrschen die Kananiter die wichtige Ebene Jesreel und hindern den Verkehr der nördlich und südlich davon sitzenden israelitischen Stämme. Schon fügen sich diese ins Unvermeidliche, da ermannen sie sich, von Debora und Barak begeistert, zu einem großen Schlag gegen die Kananiter unter Sisera und zwingen sie in der Schlacht bei Taanak nieder. Durch diese Schlacht, an der sich die Stämme Sebulon, Issachar, Ephraim, Machir (= Manasse) und Benjamin beteiligen, haben sich die Israeliten die Herrschaft über das nördliche Kanaan gesichert, dessen Städte freilich erst später in israelitischen Besitz kamen. Der aus der Not geborene Enthusiasmus band die politisch noch ungeeinten Stämme zusammen.

Die Angriffe der auswärtigen Volker gingen zumeist vom Ostjordanland aus. Der Benjaminit Ehud wirft die Moabiter zurück, die über den Jordan auf israelitisches Gebiet übergegriffen und sich Jerichos bemächtigt hatten. Gegen die Ammoniter kämpft Jephta, Richt. 10f. Gideon aus Manasse schlägt entscheidend die in Israel eingefallenen Midianiter und richtet in der kananäischen Stadt Sichem eine Art Tyrannis auf, die das Vorspiel fiir das kommende Königtum in Israel wurde, Richt. 6–8. Gideons Sohn Abimelech (Richt. 9) folgt seinem Vater in der Herrschaft über Sichem, die er sich noch einmal erst mit dem Schwert sichern muß.

5. Die drei Volkskönige 1030–930. Bearbeiten

a) Saul. Bearbeiten

Ein weit gefährlicherer Gegner erstand den israelitischen Stämmen im Westen in [2405] den Philistern. Nach den ägyptischen Denkmälern sind die Philister unter Ramses III. (1200–1180) an der Südküste Palästinas angesiedelt. Von hier aus streben sie, wie das Alte Testament lehrt, nach dem Hinterland. In dem Kampf um die Oberherrschaft in Palästina stoßen sie mit den Israeliten zusammen, die dem ersten Anprall erliegen. Das Gebiet südlich von der Jesreelebene kommt in die Gewalt der Fremden, schon ist auch die Lade, das Palladium Israels, an sie verloren. In den erneuten Kämpfen mit den Philistern wird das israelitische Volkskönigtum begründet. Sein erster Träger ist der tapfere Benjaminit Saul. Von dem Priester und Seher Samuel begeistert, wagt er den Kampf und besiegt die Philister bei Michmas (1. Sam. 14). Der Krieg mit den Philistern füllte die ganze Regierungszeit Sauls aus und dieser ist dabei zuletzt erlegen. Außer mit den Philistern hatte Saul mit den Amalekitern, Moabitern, Ammonitern und Aramäern zu kämpfen. Sauls Herrschaft, etwa 1030–1010 während, beschränkte sich anfangs auf das Gebiet Israels d. i. wesentlich das Gebiet der Rahelstämme, erstreckte sich aber schließlich von der Jesreelebene bis nach Juda hinein; auch Teile des Ostjordanlandes gehörten dazu. Das Reich Sauls umfaßte zuletzt also ,Israel‘ und ,Juda‘. Mittelpunkt des Reichs war Gibea, die Vaterstadt Sauls. Den Speer in der Faust unter der Tamariske auf der Höhe von Gibea sitzend, hält der König Volksthing ab. Das Heer führt er persönlich in den Krieg. Die vornehmsten Beamten sind des Königsnächste Verwandte. Saul zur Seite steht sein Heldensohn Jonathan. Oberster Heerführer ist des Königs Vetter Abner. Einer der angesehensten Krieger ist Sauls Eidam David. Auch Fremde dienen im Heer, so der Edomiter Doëg. Oberster Priester ist der Elide Ahia. Königsschloß und Harem sind noch unbekannt. Anfangs glücklich im Gebirgskrieg‚ unterlag Saul den Philistern schließlich in der offenen Feldschlacht am Gilboa (1. Sam. 28).

b) David. Bearbeiten

Wie es scheint, haben die Philister das israelitische Gebiet nicht besetzt, sondern sich mit Tributzahlungen begnügt. Mit Saul waren am Gilboa seine Söhne gefallen. Der einzige überlebende Esbaʿal wurde von Abner zu Machanajim im Ostjordanland als König von Israel ausgerufen. Die Herrschaft Sauls ging aber bald auf den Judäer David über. Dieser hatte sich zuletzt mit Saul entzweit und suchte in seinem Stammland eine Art Gegenkönigtum zu errichten (1. Sam. 19ff.), anfangs mit Erfolg. Von Saul aber verfolgt, mußte der Rebell schließlich bei dem Philisterkönig Achis von Gat Zuflucht suchen, behielt in dessen sein Ziel weiter im Auge. Nach dem Tode Sauls ließ sich David, wohl zunächst als Vasall der Philister, von seinen Stammgenossen, die er durch Geschenke auf seine Seite gebracht hatte, in Hebron zum König von Juda wählen (2. Sam. 2). Alsdann unternahm David die Herrschaft Sauls zu der seinen hinzuzuerobern, was ihm keine besonderen Schwierigkeiten bereiten konnte, da Esbaʿal im Vergleich zu David nur ein Schattenkönig war. In dem zwischen Benjamin und Juda nun ausbrechenden Bürgerkrieg neigte sich die Wagschale bald zugunsten Davids. Die Brücke zur Verbindung der Süd- und Nordstämme bildete [2406] die Eroberung der starkbefestigten Jebusiterstadt Jerusalem. Als Esbaʿal inzwischen durch Meuchelmörder, nicht ganz ohne Zutun Davids, beseitigt war, wurde David von den Edlen des Reiches in Hebron zum König von Gesamtisrael ernannt (2. Sam. 5). David warf jetzt gegenüber den Philistern, die anfangs das Doppelkönigtum Esbaʿals und Davids geduldet, nachher aber das Alleinkönigtum Davids mißtrauisch angesehen haben werden, die Maske ab. Es kam mit den Philistern zum Krieg, in dem David die Oberhand gewann. Es gelang ihm sogar die philistäische Königsstadt Gat zu gewinnen. Mit der Oberhoheit der Fremden über Israel war es nun vorbei, und in David mag sich jetzt der Plan der Gründung eines israelitischen Großreiches befestigt haben, der ihm auch durch Kraft und Klugheit gelang. Nach der Niederwerfung der Philister war die militärische Haupttat Davids die Bezwingung des gefährlichen Bruderreiches Edom, das dem israelitischen Reich einverleibt wurde. Damit war Israel der Zugang zu dem wichtigen Handel auf dem Roten Meer geöffnet. Den Moabitern nahm David das nördliche Gebiet bis zum Arnon ab, das südliche machte er tributpflichtig, ließ ihm aber einen eigenen König. Auch die Ammoniter unterjochte David und eroberte die Hauptstadt Rabbat Ammon. Endlich wurden die drei kleinen, südlich von Damaskus gelegenen Aramäerstaaten Aram Bet Rechob, Aram Zoba und Bet Maacha von David besiegt und steuerpflichtig gemacht. Daß David auch Damaskus niederzwang und israelitische Vögte dareinsetzte (2. Sam. 8, 6), unterliegt starken Bedenken. Aber die Siege Davids werden Eindruck bei den Nachbarn hinterlassen haben. So erklärt sich die Huldigung des Königs Ton von Hamath Zoba (2. Sam. 8, 9ff.). Mit den Phöniziern hielt David Freundschaft, die dem Krämervolk wertvoll erst geworden sein wird, als ein israelitisches Großreich erblühte. Ein Beweis für die Vergrößerung des Reiches ist die Kreierung zweier wichtiger Beamtenstellen: des Maskir, d. h. des Großveziers und des Sofer, d. h. des Schreibers. In einer jüngeren Beamtenliste (2. Sam. 20, 24) wird als dritter neuer Posten ein Minister für die Steuern der Tributärstaaten erwähnt. Nach wie vor bekleidet das höchste Amt der Heeresoberst. Die Führung der Truppen lag in den bewährten Händen von Davids Neffen Joab. Für das von ihm geschaffene Reich Israel wählte David das bisher in neutraler Zone gelegene Jerusalem als Residenz, damit bekundend, daß er ein über den Parteien stehender Herrscher sein wollte. Das neue politische Zentrum machte er zugleich zum kultischen, indem er die heilige Lade nach der von ihm ausgebauten Akropolis, dem Zion, überführte und so den Grund zu der religiösen Bedeutung Jerusalems in der Weltgeschichte legte. Der von David um seine Führerstellung gebrachte Stamm Benjamin fügte sich nicht gutwillig in die neue Lage. Zeugen dafür sind die Aufstandversuche der benjaminitischen Edlen Simêi und Seba. Schwieriger und überraschender war für David die Empörung des eignen Sohnes Absalom, der sich, die Abneigung gewisser Volksteile gegen David zunutze machend, die Thronfolge unter den Rivalen sichern wollte, aber seine Ansprüche in der Schlacht bei Machanajim im Ostjordanlande, [2407] wohin David geflohen war, mit dem Leben büßte. Um weiteren Thronstreitigkeiten vorzubeugen, setzte im Bunde mit dem Propheten Nathan, dem Oberpriester Zadok und dem Führer der Leibwache Benaja die kluge Batseba durch einen Palaststreich bei dem altgewordenen König durch, daß er ihren Sohn Salomo zum Mitregenten annahm. Bald hernach scheint David gestorben zu sein, ca. 970.

c) Salomo. Bearbeiten

Sein Sohn Salomo war zwar kein Mehrer, jedoch im allgemeinen ein Bewahrer der von David geschaffenen äußeren Machtfülle Israels. Salomos Haupttat besteht darin, daß er Israel, das unter David das stärkste Volk im vorderen Orient geworden war, zugleich zum gebildetsten machen wollte. Da Salomo darüber zum Despoten wurde, hat er wider Willen und Wissen die Axt an Israels Großmacht und Volkskönigtum gelegt.

Um sich als König gegen seinen Halbbruder und Nebenbuhler Adonia zu behaupten, schaffte er ihn samt seinem Anhang bei erster Gelegenheit beiseite, 1. Kön. 1f. Unter Salomos Regierung machte der Pharao einen neuen Vorstoß nach dem südlichen Syrien und eroberte die Kananiterstadt Geser. Da Salomo die Tochter des Pharao heiratete und Geser als Mitgift erhielt (1. Kön. 9, 16), so wird der Pharao die Herrschaft Salomos anerkannt haben gegen die Zusicherung Salomos den ägyptischen Einfluß‚ insbesondere den ägyptischen Handel zu fördern. Ohendrein scheint Salomo den Ägypter mit israelitischen Söldnern unterstützt zu haben (Deut. 17, 16). Der zu Beginn der Regierung Salomos von dem aus Ägypten zurückgekehrten jungen edomitischen Prinz Hadad erregte Aufstand wurde von Salomo unterdrückt, so daß die Benützung der Häfen am Roten Meer für Israel nicht gefährdet war. Im Nordosten konnte Salomo die Bildung eines Aramäerreiches mit der Hauptstadt Damaskus nicht hindern, 1. Kön. 11.

Salomo ist der Großkaufmann, der Bauherr, der Weltweise und der Organisator auf dem Thron der Davididen. In seinem Bestreben, Israel zur Großkultur zu erheben, trat Salomo in Handelsverbindung mit den Phöniziern. Er ließ israelitische Schiffe zusammen mit den phönizischen große Seereisen, z. B. nach Ophir, unternehmen. Im Hintergrund des Besuches der fabelhaften Königin von Saba bei Salomo stehen die Handelsbeziehungen Israels zu Südarabien. Zur Förderung und Sicherung des Handels im eigenen Lande wurden Straßen, Vorratsstädte und Festungen angelegt. Wie es scheint, war der Handel königliches Monopol. Insbesondere pflegte Salomo einen schwunghaften Zwischenhandel mit Rossen und Streitwagen, 1. Kön. 10, 28f. Mit Hilfe der Phönizier führte Salomo auch seine zahlreichen Bauten aus. Abgesehen von den schon erwähnten Grenzfestungen, den Garnison- und Vorratsstädten, kam die Bautätigkeit Salomos vornehmlich der Hauptstadt zu gut. Er stellte als nördliche Fortsetzung der Davidstadt eine neue Residenz her. Diese umfaßte ein Zeughaus, die Säulenhalle, d. i. eine Art Repräsentationshaus, die Thron- oder Gerichtshalle, das Wohnhaus des Königs und das Haus für die Tochter Pharaos und als Juwel des Ganzen den Tempel, d. i. die [2408] Hofkapelle, einen nach Weise der ägyptischen Sonnentempel von Ost nach West orientierten Bau, bestehend aus niedrigeren Seitenbauten und einem höheren Mittelbau. Letzterer war in Vorhalle, Vorder- und Hinterraum (mit der heiligen Lade) gegliedert. Die alte Davidsburg wurde durch den Bau des Millo vollendet. Wie die neue Residenz umschloß Salomo auch die Stadt Jerusalem auf dem Südwesthügel mit einer Ringmauer. Durch den Handel mit dem Ausland kam neues Wissen nach Israel und erweiterte und vertiefte seinen Horizont. Damals mögen auch östliche Mythen und Sagen festere Wurzeln in Israel geschlagen haben. Der König ging selbst in der Aneignung und Förderung der fremden Weisheit mit bestem Beispiel voran. Ein Beweis für seine Weitherzigkeit ist die Errichtung von Tempeln für die Götter der Nachbarvölker in Jerusalem. Eine Erinnerung an des Königs eigne Betätigung auf dem Gebiet der internationalen Weltweisheit ist die 1. Kön. 5, 12f. erhaltene Nachricht, daß er 3000 Sprüche und 1005 Lieder dichtete und darin über die Wunder der Natur fabelte. Außerdem rühmt die Überlieferung Salomos richterliche Weisheit. Der von seinen Zeitgenossen angestaunte Weltweise Salomo lebt in der Legende als der Zauberer Salomo fort, wie aus dem heidnischen König Edoms Bileam der Zauberer Bileam geworden ist. Vor allem zeigte sich aber Salomos Weltklugheit in der Verwaltung. Er schuf eine neue Reichseinteilung. Unter Salomo wurden die Reste der Kananiter mit den Israeliten verschmolzen und so das Reich auf eine einheitliche Basis gestellt. Das Fußheer ergänzte er durch die von ihm geschaffene Reiterei.

Um Hiram von Tyrus für seine Hilfe bei den Bauten abzulolmen, trat Salomo ihm 20 Städte in Galiläa ab, 1. Kön. 9, 11f. Zur Bestreitung der Ausgaben für den erweiterten Hofhalt‚ den zahlreichen Harem und Beamtentroß, zog Salomo die Steuerschraube kräftig an. Für die Bauten wurden nicht bloß Sklaven und Fremde, sondern auch die Landeskinder zu Fronarbeiten herangezogen. Das erregte viel böses Blut, besonders weil bei der Verteilung der Steuerlasten das Stammland Juda begünstigt wurde. Ein Aufstand des Ephraimiten Jerobeam gegen das herrische Regiment Salomos wurde zwar von der Regierung gedämpft, ließ aber ahnen, was kommen mußte. Jerobeam floh nach Ägypten, dem Dorado palästinischer Geächteter. Mit Salomos Tode sank auch die Reichsherrlichkeit Israels, dessen Aufblühen überhaupt nur durch eine vorübergehende Schwächung der benachbarten Großreiche möglich gewesen war, zu Grabe. Salomos Versuch, Israel der Weltkultur zu erschließen, scheiterte an dem Nomadensinn Israels und führte zum Rückgang des Volkskönigtums zum Stammkönigtum.

6. Die geteilten Reiche bis zum Untergang des Nordreiches 930–722. Bearbeiten

Als Salomo gestorben war, wurde auf dem Landtag von Sichem das Reich unter Salomos Sohn Rehabeam und dem eben zur rechten Zeit aus Ägypten zurückgekehrten Empörer Jerobeam geteilt. Außer dem Stammland Juda und Städten im südlichen Benjamin hielt zu Rehabeam nur noch Edom, [2409] während zum Reich Jerobeams, auf das der Name Israel überging, das übrige westjordanische israelitische Gebiet nebst dem Ostjordanland‚ Ammon und Moab gehörte. Rehabeam wollte die verlorenen Provinzen zurückgewinnen. In dem ausbrechenden Bürgerkrieg war Juda, im Besitz der von Salomo gesammelten Machtmittel, zunächst im Vorteil, so daß Jerobeam Sichem, wo er sich zuerst niedergelassen hatte, mit Pnuel im Ostjordanland vertauschen mußte. Luft schaffte ihm erst das Erscheinen des Pharao Sisak, der bereits bei der Schilderhebung Jerobeams seine Hand im Spiel gehabt haben wird. Nach 1. Kön. 14, 25ff. hätte Sisak nur die Tempel- und Palastschätze Rehabeams geplündert. Nach der eignen Inschrift am Tempel von Karnak hat aber Sisak auch das israelitische Gebiet bis zur Jesreelebene unterworfen, das von Rehabeam dem Jerobeam abgenommen und nun von Sisak für Jerobeam als seinen Vasallen‚ zurückerobert wurde. Der Bruderkrieg zwischen Israel und Juda dauerte etwa zwei Generationen hindurch, bis unter Ahab von Israel und Josaphat von Juda die beiden Reiche sich vertragen lernten. Vorab verschärfte sich zunächst der Gegensatz. Jerobeam machte Israel nicht bloß politisch, sondern auch kultisch gegenüber Juda selbständig. Um dem Jerusalemer Tempel Abbruch zu schaffen, schmückte er die von ihm zu Reichstempeln ausgebauten Heiligtümer von Dan und Bethel mit goldnen Stierbildern als Symbolen Jahwes aus. Juda, das sich dem stärkeren Bruder auf die Dauer nicht gewachsen fühlte, rief unpatriotisch die Aramäer zu Hilfe. Zerrieben durch die über 1½ Jahrhunderte währenden, zeitweise recht erbittert geführten Kämpfe wurde Israel um so leichter eine Beute der Assyrer (722) und Juda etwas über 100 J. später der Chaldäer (596/586). Das von Rehabeam oder erst seinem Sohn Abia mit Tab-Rimmon von Damaskus geschlossene Bündnis scheint schon unter Abia Früchte getragen zu haben. So ließen sich die 2. Chron. 13, 19 dem Abia gegenüber Jerobeam zugesprochenen Erfolge verstehen. Gelegentlich hielt Aram zwei Eisen im Feuer. Als Judas Freund unterstützte es zugleich Baʿsa, als dieser während der Belagerung der Philisterstadt Gibbeton den Nadab, Sohn Jerobeams, beseitigte und sich selbst zum König von Israel machte. Durch den treulosen Aramäer schwächte Baʿsa Juda und blockierte von Rama aus Jerusalem. Erst von Asa, dem Nachfolger Abias bestochen, stellte sich Benhadad I., der Nachfolger Tab-Rimmons, wieder auf Seite Judas und zwang Baʿsa von Juda abzulassen. Freie Hand gegen Israel vermochte Asa den Einfall des Kuschiten Serach abzuwehren, 2. Chron. 14, 8ff. Israels Aramäernot bildete den Nährboden für neue äußere und innere Kämpfe. Ela, Baʿsas Sohn, wurde in Tirza, der Residenz der israelitischen Könige bis Omri, von Simri, während das Heer in Gibbeton kämpfte, erschlagen, worauf der Mörder sich selbst zum König aufschwang. Das Heer aber übertrug die Krone dem Feldhauptmann Omri, der den Simri in Tina bald erledigte, jedoch erst nach dem Tode Tibnis, eines andern Gegners, Alleinherrscher von Israel wurde. Omri war einer der bedeutendsten Regenten Israels, sowohl als Herrscher wie als Krieger. Er verlegte [2410] die Residenz von Tirzs nach dem von ihm neugegründeten, strategisch wichtigen Samaria, eine Wahl, durch die er, wie David durch die Erhebung Jerusalems zur Reichshauptstadt, anzeigen wollte, daß er die Regierung frei von den Stammeifersüchteleien zu führen gedachte. Wie Salomo hat Omri‚ bezw. sein Sohn Ahab, seinem Reich eine neue Kreiseinteilung gegeben, die die alten Stammgrenzen durchbrechend, die Regierung vereinheitlichen half. Um sich der Aramäer zu erwehren, erfolgte unter Omri eine Annäherung an die Phönizier. Der Völkerbund wurde durch die Heirat Ahabs mit Isebel, der Tochter des Königs Etbaʿal von Tyrus befestigt. Gegen die Aramäer hatte Omri freilich Mißerfolge, so daß er dem Benhaded die Anlage aramäischer Bazare in Samaria gestatten mußte, 1. Kön. 20, 34. Hingegen gelang es Omri und Ahab, die Herrschaft über Moab‚ die sich in den Aramäerkriegen gelockert hatte, im nördlichen Gebiet wieder zu sichern. Daß Israel das Ostjordanland nicht ganz aus der Hand lassen wollte, zeigt die Wiederbefestigung Jerichos unter Ahab, 1. Kön. 16, 34.

Die Erstarkung des Nordreiches unter den Omriden ließ das schwächere Juda den Frieden mit dem Bruderreich schon unter Omri suchen. Die Annäherung wurde dadurch besiegelt, daß Joram, der Sohn Josaphats, des Nachfolgers Asas, mit Athalja‚ der Tochter Ahabs und Isebels, verheiratet wurde. Eine Folge der verwandtschaftlichen Beziehungen zu Phönizien war die freilich wenig glückliche Wiederbelebung der Ophirfahrten Salomos durch Josaphat. Israels Anschluß an Phönizien, der den Aramäern den Zugang zu den Handelshäfen am Mittelmeer erschwerte, veranlaßte einen neuen Ausbruch der Aramäerkriege. Diese stehen jetzt im Zeichen der Einmischung Assurs. Aus Jahrhunderte währendem Schlaf erwacht, wird der Riese unter den semitischen Völkern der gefährlichste Mitbewerber um die syrisch-palästinische Handelsherrschaft, die er schließlich 732 nach dem Falle von Damaskus, dem Bollwerk der Weststaaten, in seine Hände bekommt. Schon 878 war Assurnasirpal III. (885–860), den Weg zum Mittelmeer freilegend, bis zur phönizischen Küste vorgerückt und hatte die Huldigungen phönizischer Städte entgegengenommen. Den von Assurnasirpal noch vermiedenen Zusammenstoß mit Damaskus und Hamat, den beiden bedeutendsten Aramäerstaaten, machte Salmanassar II. (860–825) sich gerade zur Hauptaufgabe. Es kam also zum Kampf zwischen Aram und Assur. Zu den Bundesgenossen Benhadads gehörte auch Ahah von Israel. Schlachtort war Karkar, wohl bei Hamat. Das Jahr der Schlacht, 854, ist bis jetzt das älteste, durch die assyrischen Quellen gesicherte Datum der israelitischen Geschichte. Ahab focht bei Karkar nicht freiwillig, sondern gezwungen auf Seite der Aramäer gegen die Assyrer. Zuvor war Ahab in heftige Kämpfe mit Benbadad verwickelt, in die mitten hinein 1. Kön. 20 führt. Angesichts der heraufziehenden assyrischen Gefahr mag Benhadad den Ahab aufgefordert haben, mit ihm gemeinsame Sache gegen Assur zu machen, und als Ahab nicht mittun wollte, ihn durch erneute Kämpfe zur Waffenbrüderschaft gezwungen haben. Wenn nach den Keilinschriften Ahab mit 2000 [2411] Wagen und 10 000 Fußtruppen im Heere der Aramäer mitkämpft, so wird in diese Summe ein Hilfskontingent Judas einzurechnen sein. Wie nämlich nachher bei Ramot in Gilead wird Josaphat von Juda auch bei Karkar dem Ahab als seinem Lehnsherrn Heeresfolge geleistet haben. Salmanassar schreibt sich zwar selbst den Erfolg der Schlacht bei Karkar zu, da er ihn aber nicht ausnützt, scheint er nicht groß gewesen zu sein. In die Zeit, da der Kampf zwischen Ahab und Benhadad noch tobte, werden die Siege gehören, die Mesa auf seiner Inschrift gegen die Omriden errungen haben will. Schließlich fällt Ahab bei einem Grenzstreit über Ramot in Gilead siegreich im Kampf gegen Aram. Nach der kurzen Regierung des Ahasja folgte im Nordreich sein Bruder Joram. Ein von ihm zusammen mit Josaphat von Juda gegen die abgefallenen Moabiter glücklich begonnener Zug mußte plötzlich, wohl wegen eines Angriffes der Aramäer auf israelitisches Gebiet, abgebrochen werden. Benhadad belagert den Joram in seiner Hauptstadt, 2. Kön. 6, 24ff., zieht aber unerwartet ab, vielleicht wegen Anrückens der Assyrer unter Salmanassar gegen Aram. So konnte Joram zusammen mit seinem Vasallen Ahasja von Juda, dem Nachfolger Josaphats, nun selbst zur Offensive gegen die Aramäer unter Hasaël, dem Nachfolger Benhadads, wieder vorgehen. Der Kampf dreht sich abermals um Ramot. Joram wird verwundet, und als er sich in Jesreel heilen ließ, benützte der wilde israelitische Reiteroberst Jehu, von dem Propheten Elisa angestachelt, die Gelegenheit sich in Ramot von seinen Truppen zum König ausrufen zu lassen. Er eilte dann nach Jesreel und ermordete Joram samt seiner Mutter Isebel und dem gerade zu Besuch bei Joas weilenden Ahasja, um vielleicht auch das Südreich an sich zu reißen. Darauf beseitigte Jehu das ganze Geschlecht Ahabs. Diese Bluttat, von der noch 100 Jahre später der Prophet Hosea 1, 4 mit Abscheu spricht, war die Frucht der von Elia und Elisa gegen die von den Omriden begünstigte phönizische Kultur eingeleiteten national-religiösen Bewegung, die Jehu schlau für seine ehrgeizigen Absichten ausnützte. Herr von Israel geworden, rettete Jehu alsdann in Samaria, im Einvernehmen mit der strengen Jahwesekte der Rechabiter, alle Anhänger des Baal aus. Um sich den syrischen Erbfeind vom Hals zu schaffen, suchte Jehu durch einen reichen Tribut im J. 842 Rückhalt bei Salmanassar‚ der den Emporkömmling schon bei seiner Thronerhebung als Werkzeug gegen die Aramäer unterstützt haben wird. Trotz der Abschwenkung zu Assur vermochte aber Jehu die Aramäer nicht zu ducken, sondern verlor an Hasaël das Ostjordanland. Auch auf Juda sprang die Bewegung über, die in Israel die Omriden vom Thron fegte. Nach Ahasjas und seiner Brüder Ermordung durch Jehu, rottete die fanatische Baalverehrerin Athalja, um den ihrer phönizischen Verwandtschaft angetanen Schimpf zu rächen und sich selbst die Herrschaft zu sichern, die ganze Davidfamilie aus und machte sich selbst zur Königin. Schließlich wurde sie das Opfer einer Verschwörung, die der Jahwepriester Jojada, in die Spuren des Propheten Elisa tretend, mit Hilfe der königlichen Leibwache angezettelt hatte. [2412] Athalja wurde getötet. Ihr Enkel Joas, der einzige aus dem von Athalja veranstalteten Blutbad entronnene davidische Prinz wurde zum König eingesetzt.

Seine Regierung fällt in die Zeit, da die Aramäer Israel auf das ärgste heimsuchten und auch Juda ihre Macht fühlen ließen. Als Hasaël auch das Westjordanland angriff und siegreich bis nach dem zu Juda gehörenden Gat im Süden vordrang, schützte Joas das bedrohte Jerusalem, indem er an Hasaël seine Tempel- und Palastschätze auslieferte. Joas wurde schließlich, vielleicht wegen seiner Mißerfolge gegen die Aramäer, von zwei Hofbeamten ermordet. Da die Kämpfe der Assyrer mit den Aramäern zuerst wenig ergebnisreich waren, konnte Joahas‚ der Nachfolger Jehus, trotzdem er Schützling und Lehnsmann Assurs war, sich der Aramäer unter Hasaël und Benhadad III. nicht erwehren und mußte sich eine starke Verringerung seines Heeres durch die Aramäer gefallen lassen. Als jedoch Adadnirari IV. von Assur im J. 805/4 Damaskus eroberte, gelang es dem Sohn Joahas, namens Joas, mehrere von Elisa ihm vorhergesagte Siege über die Aramäer davonzutragen. Der Aufschwung des Nordreiches kam auch dem Südreich zu statten. Hier konnte Amazja, da die Aramäer im Schach gehalten waren, die schon unter Joram abtrünnig gewordenen Edomiter im Salztal züchtigen und sich den Zugang zu dem wichtigen Seehafen Elat von neuem sichern. Kühn gemacht durch diesen Erfolg, forderte Amazja, um sich von Israel loszureißen oder sich die Vorherrschaft in Palästina zu erringen, den König Joas zum Kampf heraus. Joas besiegte ihn aber bei Bet-Schemesch und brachte ihn gefangen nach Jerusalem, schleifte teilweise die Mauern der Stadt und plünderte den Tempel- und Palastschatz. So war Juda von neuem Vasall Israels geworden. Der weiteren Schwächung der Aramäer durch Assur verdankte es Jerobeam II., der Sohn Joas und glänzendster Vertreter der Dynastie Jehu, daß er das unter seinen Vorgängern verlorene Gebiet von den Aramäern zurückeroberte. Auch Moab unterwarf er. Parteigänger Jerobeams war der Prophet Jona ben Amittai, während der Prophet Amos (7, 11) dem Reich Israel, das eben durch Assurs Gnaden zu neuem Glanz sich erhoben hatte, den Untergang durch Assur vorhersagte. Das Gedrohte trat erst unter den Nachfolgern Jerobeams ein.

Nach Jerobeams Tode wurde das Nordreich der Schauplatz ununterbrochener Thronwirren. Jerobeams Sohn Sacharja wurde nach ½jähriger Regierung von Sallum gestürzt. Mit Sacharja erlosch die Dynastie Jehus. Sallum hatte erst einen Monat regiert, als ihn Menahem beseitigte. Nur mit blutigster Energie vermochte Menahem einen gegen ihn losgebrochenen Aufstand in Tappuach zu ersticken und förderte durch solche Grausamkeit die Unzufriedenheit im Lande. Daher knüpfte eine angesehene Partei an Ägypten an. Um ein Gegengewicht zu haben, machte sich Menahem den assyrischen König Tiglat-Pileser III. (745–727) zum bezahlten Freund, als dieser 738 in Syrien eingefallen war. Menahems Sohn Pekachja wurde von Pekach getötet. Unter Aufhebung der assyrischen Vasallenschaft schloß Pekach mit Rezon von Damaskus ein antiassyrisches [2413] Bündnis, dem auch die Fürsten von Arwad, AskalonGaza, Edom‚ Moab und Ammon und die Araberkönigin Scharnsîje angehörten. Eingedenk der Abhängigkeit Judas von Israel sollte auch Juda zum Beitritt bewegen werden. Da es gutwillig nicht mitmachen wollte, kam es darüber zum Ausbruch des syrisch-israelitischen Krieges gegen Juda 735/4. Nach Amazja von Juda, der durch Mörderhand fiel, war sein Sohn Asarja = Usia König geworden, unter dem Juda, gleichzeitig wie Israel unter Jerobeam II., eine Blütezeit erlebte. Um den Handel mit Arabien zu sichern, befestigte Usia Elat. Nach dem Chronisten soll Usia glückliche Kriege gegen die Philister, Araber, Mëuniter und Ammoniter geführt, Festungen gebaut und Zisternen angelegt haben. Aussätzig geworden, nahm er gegen Ende seiner Regierung seinen Sohn Jotham zum Mitregenten an. Die Politik Menahems von Israel befolgend, schloß Jotham sich an das mächtig aufstrebende Assur an und widersetzte sich dem Ansinnen Israels und Arams, dem antiassyrischen Bündnis beizutreten. Jotham starb noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten. Sein Sohn Ahas setzte die assyrienfreundliche Politik fort und erreichte so, daß das Südreich die assyrische Gefahr, die seit der Mitte des 8. Jhdts. für den gesamten Westen heraufgezogen war, glücklich bestand, während das Nordreich ihr binnen kurzem erlag. Zunächst gelang es den verbündeten Syrern und Israeliten, Ahas hart zu bedrängen und Elat zum Abfall von Juda zu bringen, so daß Ahas in solcher Not seinen Sohn (2. Kön. 16, 3) geopfert haben mag. Als dann aber Tiglat-Pileser zu Hilfe erschien, eroberte er schon 732 Damaskus und machte es zu einer assyrischen Provinz. Dem Pekach nahm er die Hälfte seines Reiches im Norden und Osten weg und schlug es zum assyrischen Großreich. Ahas huldigte dem Sieger in Damaskus. Im Einvernehmen mit Tiglat-Pileser wurde Pekach von Hosea beseitigt, der als Schützling Assurs den Rest des Reiches Israel beherrschte. Als aber Hosea im Vertrauen auf ägyptische Hilfe bei der Thronbesteigung Salmanassars (727–722) mit anderen palästinischen Staaten von Assur abfiel, rückte Salmanassar nach dem Westen und belagerte den Hosea in der Hauptstadt Samaria drei Jahre lang. Die Stadt fiel 722, als bereits Sargon (722–705) König von Assur geworden war. Die Bewohner des Reiches wurden nach Mesopotamien verpflanzt. Die politische Rolle Israels war zu Ende.

7. Die prophetische Bewegung. Bearbeiten

Wie in Griechenland während des Nachlassens des politischens Lebens die Philosophie ihre höchste Vollendung erreichte, so nahm in Israel beim Niedergang der Nation die Religion ihren Aufstieg zum Monotheismus. Das geschah durch die Prophetie, die seit der Regierung der Omriden die führende Geistesmacht in Israel wurde und auch die Tagespolitik zeitweise stark beeinflußt hat. In nordsyrischen und kleinasiatischen Aufregungskulten, wie es scheint, seit uralters beheimatet, wurzelte infolge der Völkerberürung die Prophetie schließlich auch in Israel ein, um hier, nachdem sie ihre anfänglichen absonderlichen, freilich auch später sporadisch wieder hervorbrechenden Erscheinungsformen abgelegt hatte. wenigstens in [2414] ihren charaktervollsten Vertretern, zu einer Bedeutung zu gelangen wie nirgend anders in der antiken Welt. Während ein Teil der Propheten (ne bhiʾim) im Sold der Könige stehend, durchaus mit dem nationalen Leben, Denken und Wünschen im Einklang blieb, wagten einige wenige, über dem Durchschnittsmaße stehende Geister dem Zeitstrom zu widerstehen und Welt und Geschichte von höheren als bloß einseitigen nationalen Gesichtspunkten aus zu betrachten. So wurden jene besten der israelitischen Propheten zu Förderern der Humanität und ersten sittlichen Persönlichkeiten der Antike. Die Brücke bildete der von vorprophetischen Kreisen z. B. den strengen Jahweorden der Nasiräer, ferner von Priestern und Geschichtschreibern, wie dem Hersteller des ältesten in Genesis bis 2. Könige enthaltenen Sagen- und Geschichtswerkes gehegte Reformgedanke, der von der Prophetie angeeignet und kräftig weiter geführt wurde. Durch den Eintritt Israels in das Kulturland war eine starke Änderung in der ursprünglichen, vergleichsweise großen Einfachheit in Glaube, Sitte und Brauch Israels eingetreten. Um sich in Kanaan zu behaupten, übernahm Israel die bisherige Landeskultur. Schließlich ahmte es das kananitische Stadtkönigtum nach und ging nach dem Beispiel der Weltreiche in der weiteren Nachbarschaft zum Großkönigtum über. Mit der materiellen Kultur sog Israel zugleich auch die geistige Kultur in Nähe und Ferne auf. Insonderheit lernte es durch Übernahme der altorientalischen Urmythen, in denen eine primitive Naturphilosophie niedergelegt war, eine Art Weltanschauung kennen. Durch David war Israel zum angesehensten Volk im westlichen Vorderasien erhoben werden und dadurch der Machtbereich Jahwes sehr gestiegen. Seit Salomo in das internationale Völkerleben hineingezogen, mußte Israel sich an gewisse allgemein geltende Rechtsnormen für den Verkehr gewöhnen. Durch die Kultur war das Wesen Jahwes geweitet, vertieft und veredelt worden. Die Intoleranz der alten Stammreligion schätzte ihn vor Selbstzersplitterung und vor Gleichstellung mit anderen Göttern oder gar Unterordnung unter sie. Durch die rasche Aufnahme des vielen Neuen trat eine starke Spannung in der bisherigen Kultur Israels ein und zeitigte das Verlangen nach einer Verarbeitung der Gegensätze. Wie überall in dem Kampf zwischen Neuem und Altem kleidete sich auch in Israel der als notwendig empfundene Ausgleich in den Ruf nach einer Rückkehr zu dem Anfänglichen als dem Idealen, das wiederhergestellt werden soll. In Wirklichkeit war diese wie jede andere Restauration nicht bloß eine Erhaltung und Pflege des Alten, sondern zugleich eine Neuschöpfung und Weiterbildung des Ursprünglichen. Für Israel bedeutete die Wiederbesinnung auf das Alte ein Abstreifen der Kultur zugunsten der vermeintlichen Einhalt der Steppe. Am rücksichtslosesten machten damit Ernst altväterische nomadische Sekten wie u. a. die Nasiräer und Rechabiter. Zum Glück gewannen diese rückständigen Geister nicht die Oberhand in Israel. In edelster Weise kam jedoch der Reformgedanke zum Durchbruch in dem schon erwähnten Werk des Jahwisten, jenem herrlichen Sagen- und Geschichtsbuch, das mit seinem [2415] Idealismus nur mit den besten Abschnitten von Herodot und Thukydides verglichen werden kann. Es ist charakteristisch, daß jene beiden Kulturen, die berufen waren, die Träger der vornehmsten Geistesschätze der Antike zu werden, Hellas und Israel, bereits in ihren Anfängen eine innere Verwandtschaft aufweisen. Als sich später Hellenismus und Judentum, Wissen und Glaube, unmittelbar berührten, traten zwei ebenbürtige Gegner in die Schranken. Wie die Humanisten den Reformatoren, so haben Idealisten wie der Jahwist den Propheten vorgearbeitet. Den stillen Gelehrten folgten die Männer der öffentlichen Wirksamkeit. Was die Prophetie geleistet hat, erreichte sie durch die Übernahme des Reformgedankens, den sie unter dem Einfluß der Zeit- und Weltbegebenheiten durch Tat und Zeichen, Wert und Schrift auf die Gebiete der Religion, Ethik und Politik anwendete. Die prophetische Bewegung setzte seit der Mitte des 9. Jhdts. im Nordreich mit dem Auftreten Elias und Elisas ein. Sie bringen durch eine blutige Revolution den Jahwegedanken zum Siege über die von den Omriden aus Politik begünstigte phönizische Kultur. Der Kampf war ein Kampf gegen eine von der Entwicklung Israels innerlich überholte Fremdkultur. Schützte den Propheten einerseits das Ansehen des Ekstatikers, so schaffte anderseits ihm das mutige Eintreten für die Sache der Unterdrückten einen starken Rückhalt im Volk. Als Jehu, das Werkzeug des Elia und Elisa, die Omriden beseitigte, wollte er vor allem der Rächer des von Ahab an Nabot begangenen Rechtsfrevels sein. Ihren geistigen Höhepunkt erreichte die Prophetie schon 100 Jahre nach Elia in Amos (ca. 750). Seine und seines jüngeren Zeitgenossen Hosea Wirksamkeit steht im Zeichen der erneuten Hineinziehung der palästinischen Kleinstaaten in die durch Waffengewalt erfolgende Auseinandersetzung der östlichen und westlichen Großkultur, vertreten durch Assur und Ägypten. Wie die Natur, so ist auch die Geschichte dem Amos und seinen Nachfolgern Schöpfung und Betätigungsfeld eines höheren Willens, nämlich Jahwes. Verleitet durch seinen sinnenfälligen Kult, in dem es das bequeme Mittel zu haben meint, Jahwe zu zwingen, alle Zeit als sein starker Helfer ihm zur Seite zu stehen, wird Israel sich verleiten lassen, sich in den Entscheidungskampf zwischen Ost und West zu mischen, und wird dann die Folgen seiner falschen Religion durch den Verlust von Freiheit und Vaterland zu tragen haben. Nur Recht und Gerechtigkeit sichern, wie anderer Völker, so auch allein Israels Wohlfahrt. Denn Israel steht dem Herrn Jahwe genau so nahe, wie das verachtete Mohrenvolk, Kusch Am. 9, 7. Mit diesem Gedanken hat Amos die antike Nationalreligion überwunden und die Universalreligion entdeckt. Das gleiche trübe Prognostikon wie Amos stellt auch Hosea dem Nordreich. Durch eigene Schuld treibt Israel seinem Untergang zu. Denn Israel ist von seinem Herrn Jahwe abgefallen. Die Treulosigkeit des jetzigen Israel und das Kennzeichen seiner ganzen Entwicklung hat ihr bedeutsames Vorspiel in der Geschichte des hinterlistigen Urahnen Israels, Jakob. Damit wird Hosea der Anfänger jener nach rückwärts gewandten pessimistischen Geschichtsbetrachtung, die viel Unheil für die Betrachtung der Vergangenheit Israels angerichtet hat. Wie Amos, sieht auch [2416] Hosea in dem Kult Israels eine Hauptgefahr. Insbesondere eifert er gegen die Verehrung der Kultbilder als eine Herabwürdigung des Heiligen. Die ältere Polemik gegen das Heidentum in der Religion Israels findet so in Hosea einen kräftigen Anwalt. Denn das Bilderwesen ist neben den Opfern tatsächlich eines der Hauptmerkmale der antiken Naturreligionen. Das revolutionäre Königtum, das Verderben Israels seit den Tagen Jerobeams I., macht Hosea zu einem Verächter des Königtums als solchen. Auch hierin hat Hosea die Folgezeit sehr beeinflußt. Die Töne der isrealitischen Unheilsprophetie wurden in Juda von Jesaja und Micha übernommen und fortgesetzt. Auch diese beiden Propheten halten den Ruin ihres Vaterlandes für sicher. Aber Jesaja sieht aus dem Untergang des alten Zion ein neues, gebessertes, geistiges Zion erstehen. Jesaja selbst legt Hand an die Herbeiführung des Zukunftstaates, eines Seitenstückes zu Platons Idealstaat. Er schließt sich, wie Pythagoras oder Sokrates mit ihren Anhängern, mit seinen Kindern und Jüngern zu einer religiösen Bruderschaft, einer Art Prophetenverein höherer Ordnung, zusammen. Das Statut dieser Ecclesiola in Ecclesia wird der von Jesaja von seinen Landsleuten vergeblich geforderte Glaube, das Vertrauen auf den heiligen Willen Jahwes, des allmächtigen Weltherrn. Damit führt Jesaja in die Religionsgeschichte Israels jenes Wort ein, das, an und für sich eine zeitgemäße Umprägung des von Mose von Israel einst geforderten Treueides zu Jahwe, inhaltlich vertieft später die ganze antike Welt aus den Angeln heben und der Grundstein zu der neuzeitlichen Geisteskultur werden sollte. Die Geschichte gab den dunklen Ahnungen des Amos und Hosea im wesentlichen recht. Israel ging im Kampf zwischen Assur und Ägypten unter. Ein neues Israel ist aus dem Untergang des Nordreiches nicht hervorgegangen. Die nach Mesopotamien 722 verbannten Israeliten haben sich aber später den 596/586 nach Babylonien weggeführten Judäern angeschlossen und das babylonische Judentum, den Mutterschoß der Apokalyptik und des Talmud verstärken geholfen. Juda kam 701 noch einmal mit einem blauen Auge davon. Aber die Ereignisse von 596/586 holten für Juda das nach, was Jesaja und Micha noch selbst zu erleben gehofft hatten. Die alte Theokratie ging 586 unter, und der gerettete Rest wurde die Keimzelle des neuen Zion, freilich eines Zion niederer Art, als Jesaja erwartet und herauszuarbeiten gestrebt hatte – das traurige Los aller hoher Ideale bei ihrer Verwirklichung. Aber durch den Gang der Ereignisse war die seit den Tagen des Amos auftretende und von ihren Gegnern, den chauvinistischen Heilspropheten oft bekämpfte Unheilsprophetie glänzend gerechtfertigt. Unter diesem Eindruck steht das große Geschichtswerk des sog. Elohisten‚ für den der Prophet der eigentliche Geistesträger Israels ist. Darum macht er bereits Abraham zu einem Propheten und zum Vater des Glaubens, Gen. 15, 6. Damit ist der Wert der prophetischen Bewegung für die Geschichte Israels erfaßt. Sie bedeutet, was für Griechenland die Philosophie, die Höhe seiner Kultur.

8. Der Untergang des Südreiches. Bearbeiten

Auf den assyrienfreundlichen Ahas folgte 727 (2. Kön. 18, 10) bzw. 714 (2. Kön. 18, 13) sein [2417] assyrienfeindlicher Sohn Hiskia. Zwar gelang es den Gegnern der antiassyrischen Politik, Juda von den Aufständen zurückzuhalten, die 720 von Hamat am Orontes und den Städten Arpad, Simirra, Damaskus und Samaria im Bunde mit Hanno von Gaza unter dem Schutz Ägyptens und 711 von der Philisterstadt Asdod gegen die Assyrer unternommen wurden. Jedoch schloß Hiskia, als Sargon 705 durch Mörderhand gefallen war, im Vertrauen auf die von, dem Propheten Jesaja verspottete Intervention Ägyptens (Jes. 30, 6f.) mit Luli von Tyrus und Ṣidḳra von Askalon ein gegen die Assyrer gerichtetes Bündnis, dem damals vielleicht auch der Chaldäerfürst Merodach Baladan von Babel (2. Kön. 20, 12ff.) beitrat. Juda, das bei dem voraussichtlichen Kampf mit Assur eine Führerrolle spielte, kam damals zum ersten Male in die Gefahr, von dem mesopotamischen Großreiche verschlungen zu werden. Denn, nachdem Sargons Nachfolger, Sanherib, zuerst Babylon erobert hatte, rückte er 701 in Syrien ein, unterwarf die phönizischen Städte, ausgenommen Tyrus, und belagerte Ekron, dessen assyrisch gesinnter König Padi von seinen Gegnern nach Jerusalem ausgeliefert werden war. Schon blockierte alsdann Sanherib von Lachis aus, südlich von Jerusalem, die judäische Hauptstadt. Als aber schließlich das ägyptische Heer, das zum Ersatz herbeigeeilt war, von Sanherib bei Eltheke, zwischen Jerusalem und Ekron, geschlagen war, entschied sich Hiskia, ‚wie ein Vogel im Käfig‘ von den Assyrern eingeschlossen, zu erneuter Unterwerfung unter das assyrische Joch und büßte seinen Abfall durch Zahlung einer schweren Kriegsentschädigung (2. Kön. 18, 14–16) und Auslieferung fast des ganzen Westens Judas an die dem Assyrer treugebliebenen philistäischen Städte. Daß Sanherib sich mit dieser Demütigung Jerusalems begnügte, scheint durch Ausbruch einer Pest in seinem Heere und durch Unruhen in der Heimat veranlaßt gewesen zu sein. Mit knapper Not war Jerusalem so dem Schicksal Samarias im J. 722 entgangen und wagte vorab keinen ernsteren Abfall von dem östlichen Zwingherrn. Die wunderbare Verschonung Jerusalems erzeugte jedoch bei den Nationalisten den Wahn von der Uneinnehmbarkeit der heiligen Stadt. Für den Kriegsfall mit Assur werden die Ausbesserung der alten Ringmauern Jerusalems und die Erbauung der sog. zweiten Mauer, zum Schutz der nördlichen Vorstadt (2. Chron. 32, 5), sowie die Anlage des für die Wasserversorgung der Stadt wichtigen Siloahtunnels (2. Kön. 20, 20. 2. Chron. 32, 30. Jes. Sir. 48, 7) von Hiskia berechnet gewesen sein. In welchem Zusammenhang mit den Zeitereignissen die 2. Kön. 18, 4 gemeldete Kirchenreform Hiskias steht, die sich im wesentlichen auf die Beseitigung des Schlangenidols von Jerusalem beschränkt haben wird, bleibt zweifelhaft. Nach dem Wegzug der Assyrer hatte Hiskia Ruhe, so daß er (2. Kön. 18, 8) an die Rückeroberung der an die Philister abgetretenen Städte gehen konnte, wodurch die Einbuße an Land vom J. 701 einigermaßen wettgemacht wurde.

In den folgenden Jahrzehnten stieg Assur durch die Eroberung Ägyptens auf den Gipfel seiner Macht. Es wurde ein wirkliches Weltreich. Auf Sanherib, der 681 von seinen Söhnen ermordet wurde, folgte Assarhaddon (681–668). Nachdem er 677 Sidon eingenommen hatte, unterwarf er 670 [2418] Ägypten und zwang den Pharao Tirhaka zur Flucht nach seinem Stammland Kusch (Nubien). Das siegreiche Vorgehen Tanut-Ammons, des Neffen Tirhakas, gegen das Nildelta veranlaßte einen neuen Einmarsch der Assyrer nach Ägypten, der mit der Eroberung Thebens, 663, durch Assurbanipal (668–626) endete. 668 hatte sich Tyrus, das schon von Assarhaddon zu belagern begonnen war, freiwillig den Assyrern unterworfen. Durch die Ereignisse im Westen wurde die Politik des Sohnes und Nachfolgers Hiskias, Manasse, bestimmt, dessen Regierungsantritt ungefähr dem Todesjahr Sanheribs gleichzeitig sein wird. Nach dem Beispiel seines Großvaters Ahas, schloß sich Manasse an Assur an. Er unterstützte durch Truppen die assyrischen Könige bei ihren Feldzügen nach dem Westen und förderte in jeder Weise ihre Politik. Da mit den Assyrern auch ihre Religion über die Religionen des Westens gesiegt zu haben schien, richtete Manasse den nationalen Jahwekult nach assyrischem Vorbild ein. Unter Manasse erfolgte so eine auf den mesopotamischen Gestirndienst gegründete Reaktion gegen die unter Hiskia im Sinn des Jahwismus eingeleitete religiöse Reform und bereitete den Gegenreformversuch Josias vor. Neben dem Kulte des Herrenvolkes lebten alte kananitische religiöse Bräuche wieder auf. Auch das altisraelitische Menschenopfer kam von neuem in Schwang. Die Regierung des Manasse bedeutet also eine Zeit großartiger Religionsmengerei. Die Anhänger der prophetischen Politik, die die natürlichen Gegner der starken Hinneigung des Königs zu Assur waren, hat Manasse blutig verfolgt. Gegen Ende seiner Regierung scheint Manasse sich an dem Aufstand des babylonischen Königs Schamasch-schum-ukin im J. 652 gegen seinen Bruder Assurbanipal beteiligt zu haben und in Ungnade bei seinem Oberherrn gefallen zu sein, sich aber persönlich von dem Verdacht des Abfalls von Assur haben reinigen können. Dies könnte der Kern der 2. Chron 33, 10ff. berichteten Erzählung von der Wegführung Manasses nach Babel sein. Manasses Sohn, Amon, setzte die Richtung seines Vaters fort, und fiel nach zweijähriger Regierung durch vielleicht von den Anhängern der nationalen Partei gedungene Mörder.

Das Landvolk hielt treu zur Davidischen Dynastie, erschlug die Mörder und setzte den achtjährigen Josia, den Sohn Amons, zum König ein. Das wichtigste Ereignis seiner Regierung war der Wechsel in der Politik Judas und die damit zusammenhängende nationalreligiöse deuteronomische Reform, ca. 620. Die assyrischen Parteigänger hatten ausgespielt und räumten den Männern einer nationalen Richtung das Feld. Das war die Folge des Zusammenbruchs der assyrischen Weltmacht. Dieser war durch eine große indogermanische Völkerbewegung veranlaßt, die den Orient vom Orient befreite, wie später der Siegeszug des Cyrus und Alexander. Unter Assarhaddon bereits waren die Kimmerier in Kleinasien eingefallen. Verwandte Stämme schwenkten nach dem Osten ab und verstärkten die indogermanische Bevölkerung der den Assyrern verfeindeten Reiche, Medien und Persien. Das Resultat war die Neuorganisierung des medischen Reiches, das besonders, seit Kyaxares die Königswürde bekleidete, ein am Mark Assurs zehrender Nachbar wurde. Die Ohnmacht Assurs [2419] gegenüber den nomadischen Eindringlingen machte sich Ägypten zunutze. Mit Hilfe griechischer Söldner, die ihm der Lyderkönig Gyges stellte, gelang es Psammetich I. (664–610), bis ca. 645 das assyrische Joch abzuschütteln und, zum Angriff auf die assyrischen Besitzungen in Syrien übergehend, die Philisterstadt Asdod zu erobern und damit den südsyrischen Handel zu beherrschen (Herodot. II 157). Ähnlich wie Ägypten fiel von dem assyrischen Imperium Babylonien ab. Hier wurde der Chaldäerfürst Nabopalassar (625–605) der Begründer des neubabylonischen Reiches (625–536). In Palästina versetzte dem Assyrertum den Todesstoß die Invasion der Skythen. Seit ca. 700 die Nordgrenze des assyrischen Reiches beunruhigend, wurden die Skythen schließlich von Assarhaddon in Dienst gegen die Kimmerier und Meder genommen und hatten den Kyaxares, als er sich zur ersten Belagerung Ninives anschickte, in deren Zeitnähe die Prophetie des jüdischen Patrioten Nahum gehören mag, vertrieben. Hernach übten aber die Skythen nach Herodot. I 103 eine 28jährige Herrschaft über ,Asien‘ aus und sollen sich über Palästina bis an die Tore Ägyptens gewälzt haben, hier aber, durch Bitten und Geschenke Psammetichs bewegen, umgekehrt sein und die Philisterstadt Askalon erobert haben. Die allgemeine Glaubwürdigkeit der griechischen Überlieferung wird durch Nachrichten des Alten Testaments bestätigt. Denn mit dem geheimnisvollen barbarischen Feind aus dem Norden, der über Palästina, Ägypten und Assur nach Zephan. 2, 4ff. herfallen soll, ist niemand anders als eben der Skythe gemeint, den auch der Prophet Jeremia in seinen ältesten Gedichten (seit 628) im Geiste Palästina überrennen sieht. Endlich ist der Name Skythopolis, den die Stadt Bet-Schean später führt, eine Erinnerung an den Durchmarsch der Skythen durch Palästina. Daß nun aber die Skytben damals die assyrische Macht in Palästina über den Haufen geworfen haben, bezeugt die Nachricht, daß der König Josia von Juda ca. 620 nach Bethel und in die Städte von Samaria (2. Kön. 23, 5. 19), ja sogar bis in die Gebiete von Naphtali (2. Chron. 34, 6) vorgedrungen ist, was ihm nur möglich war, wenn an allen diesen Orten die assyrische Herrschaft inzwischen gestürzt war, und das haben eben die Skythen besorgt.

Wie in Ägypten, Babylonien und Medien regte sich angesichts des untergehenden Unterdrückervolkes auch die Nationalseele des bis dahin botmäßigen Jude, des einzigen Staates mit Heimatsbewußtsein, der dank der von den Assyrern vollzogenen Vernichtung der Völkerindividualitäten durch Wegführung der unterworfenen einheimischen Bewohnerschaft und durch Besiedlung des zu pazifizierenden Landes mit fremden Kolonisten, in Syrien übrig geblieben war. Josia scheint nichts Geringeres geplant zu haben, als die Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids, d. h. die Wiederherstellung eines israelitischen Großreiches. Dazu mag Josia durch Glück verheißende Orakel der Nationalpropheten ermuntert worden sein. Vor allem aber war er bestärkt in seinem Vorhaben durch die unter seinem königlichen Schutz erfolgte große Kirchenreform, durch welche die nationale Wiedergeburt Judas gewährt zu sein schien. Das Programm der Reformtat Josias ist in dem Kern des Deuteronomiums enthalten. In dieser Gesetzgebung [2420] schlossen Welt- und Volksreligion einen Ausgleich.

Je mehr unter Manesse das siegreiche Assyrertum auf allen Lebensgebieten Judas, insbesondere auch im Kult sich breit machte, um so kräftiger war, als die Faust des Herrenvolkes erlahmte, der nationale Gegenschlag unter Josia. Um das Schicksal des Volkes besorgte Geister versuchten die echten Grundlagen der Eigenkultur Israels, die vor allem in seiner Religion, der festesten Kapsel des antiken Volkstums, verankert war, wiederherzustellen. Zur Höhe des prophetischen Religionsideales, das auf eine in Herzenseinfalt und sittlichem Lebenswandel bestehende kultlose Religion hinauslief (Am. 5, 21. Hos. 6, 6. Jes. 1, 10ff. Jer. 7, 21. Mi. 6, 6ff.), konnte man sich allerdings nicht aufschwingen, schon mit Rücksicht auf die Masse, die das Heilige nur in sinnlichen Unterpfändern erfassen kann. So gab man den Kult nicht preis, säuberte ihn aber von allen fremden Bestandteilen, die besonders seit Manasse sich eingeschlichen hatten, und entfernte auch vieles, was Amos und seine Gesinnungsgenossen als grobes Heidentum gebrandmarkt hatten. So bezeichnete man jeden, nicht Jahwe geltenden Dienst, vor allem den assyrischen Gestirnkult, als Götzendienst und stellte ihn unter Todesstrafe (Deut. 17). Auch verbot man alles Bilderwesen, Masseben und Ascheren, lauter Dinge, gegen die die Propheten geeifert hatten. Um den Kult vor erneuter Entartung zu schützen und ihn beständig unter scharfer Kontrolle zu haben, konzentrierte man ihn auf Jerusalem (Deut. 12), das einzige Heiligtum, das in den Kriegsnöten bisher verschont geblieben war und darum eine besondere Weihe zu besitzen schien. Die übrigen Heiligtümer im Lande wurden als illegitim verboten. Alle Opfer waren fortan in Jerusalem darzubringen. War Opfern und Schlachten früher eins gewesen, so gab man für die Bedürfnisse des Fleischgenusses das Schlachten künftighin als profane Handlung für alle Orte frei, reservierte aber das Opfern als Kultakt für Jerusalem. Dort sollten fortan auch die Feste gefeiert werden (Deut. 16). Den mit der Aufhebung der Heiligtümer außerhalb Jerusalem um ihr Amt gebrachten Priestern sollte erlaubt sein, nach Jerusalem überzusiedeln und neben den Residenzpriestern, den Söhnen Zadoks, beim Kult mitzuwirken. Für die Rechtsprechung ließ man die einzelnen Lokalgerichte bestehen, kreierte aber in Jerusalem eine Art Obergericht. Als Jahwes Volk muß Israel seine Zugehörigkeit zu Jahwe nicht bloß im Kult, durch Beobachtung gewisser Keuschheits-, Reinheits- und Speisevorschriften bezeugen, sondern auch durch strenge Rechtspflege und durch ehrliches Benehmen gegen den Volksbruder und durch Unterstützung der wirtschaftlich Schwachen. Durch die treue Erfüllung aller Gebote bekundet der Israelit seine Gegenliebe zu Jahwe, der, wie die Geschichte Israels lehrt, es bisher nie an Liebe und Wohltaten gegen Israel hat fehlen lassen und auch jetzt und zukünftig treu zu Israel halten wird. Die letzteren Gedanken zeigen den Hauptzweck des ganzen Gesetzes. Es will durch eine Reform des Kultus, des Rechtes und der Sitte die Zukunft Israels sichern. Der treue Gehorsam gegen Jahwes Gebote soll das Gericht hinausschieben und aufheben (Deut. 8, 1), mit dem beständig die Unheilsprophetie seit [2421] den Tagen des Amos und Jesaja das Volk erschreckt hatte, und gleichzeitig soll er auch die Wünsche der Heilsropheten erfüllen und Israel zum Herrenvolk auf Erden machen (28, 13). Die Religion wird so in den Dienst des Volkswohles gestellt. Aber es ist kein Zweifel: die Gesetze des Deuteronomiums sind die Quintessenz der gesamten religiösen Entwicklung Israels seit Anbeginn, und lassen sich mit ihren Urhebern, die vielfach ältere Verordnungen, z. B. das Bundesbuch, Ex. 21ff., sich zum Vorbild nahmen, als ein zeitgemäß umgeprägtes Vermächtnis Moses, des Begründers der Jahwetora, an sein Volk auffassen. Die Volksreligion wurde darin mit der prophetischen Universalreligion ausgeglichen, indem die prophetischen Forderungen der Liebe und des Vertrauens zu Jahwe und der Ehrlichkeit gegen den Nächsten in den Entwurf mit aufgenommen wurden. Aber das prophetische Religionsideal kam dabei zu kurz. Denn von neuem wurde der von den Propheten bekämpfte Kult, wenn auch auf Jerusalem kaserniert und um viele Auswüchse beschnitten, sanktioniert, und sodann wurde die von den Heilspropheten geförderte, aber von den Unheilspropheten verworfene, oder nur bedingt zugelassene Hoffnung auf eine glänzende Zukunft Israels als Zweck der ganzen Religion erklärt. Durch das neue Gesetz wurde Jerusalem zur einzigen heiligen Stätte gemacht und so das übrige Land zur profanen Welt umgestempelt und so ein Stück täglicher Religion aus dem Leben der Israeliten gerissen und der Sonntagsfrömmigkeit Bahn geschaffen. Aber der Gewinn ist auch nicht zu übersehen. Durch das Deuteronomium war der Monotheismus zum ersten Male sichergestellt, wenn auch in gesetzlicher Form und verquickt mit einem Nationalkult. Die Bilderfeindlichkeit des Gesetzes hat den Juden die Kraft gegeben, die heidnischen Kulte zu überwinden. Wie der freien Entwicklung der prophetischen Predigt, so wurde auch der Verwilderung der Volksreligion ein Riegel vorgeschoben.

Für bessere Zeiten im Tempel von den Verfassern niedergelegt, wurde das ‚Gesetz Mosis‘ bei einer baulichen Veränderung des Heiligtums von dem Oberpriester Hilkia ,gefunden‘ und dem reformfreundlichen König in die Hände gespielt und tat nun seine gewünschte Wirkung. Nachdem Josia von der Prophetin Hulda den Inhalt und Verfasser des Gesetzes sich hatte beglaubigen lassen, wurde es in feierlicher Volksversammlung beim Tempel vorgelesen, und König und Volk verpflichteten sich zur Übemahme des Gesetzes, 2. Kön. 22f. Mit großem Eifer ging dann der König an die Durchführung des Gesetzes. Die Greuel im Tempel wurden beseitigt und die Sonderheiligtümer zerstört. Die Verpflichtung auf das Gesetz erfolgte etwa 620. Der Staat nahm die Religion unter seinen Schutz – es wurde so der Grund zu einer Staatskirche gelegt. In den Mittelpunkt der Kultur Israels tritt nun der Tempel, die Geschichtschreibung wird Kirchengeschichte. Durch den Akt von 620 wurde die Entstehung der Synagoge und damit der Kirche und der Moschee eingeleitet. Das Gesetz Josias wurde die Keimzelle des alttestamentlichen Kanons und damit des heiligen Buches der Juden, Christen und Moslemen. So ist, nach den Folgen beurteilt, das J. 620 das wichtigste in der vorchristlichen Weltgeschichte. Die Wirkungen der an und für sich [2422] romantischen, von dem Propheten Jeremia als ein Säen in die Dornen hinein beurteilten Reform Josias reichen bis in unsere Gegenwart hinein.

Die Auflösung des assyrischen Reiches machte in den zwei letzten Jahrzehnten des 6. Jhdts. rasche Fortschritte. Als der kampflustige und raubgierige Pharao Necho (609–593), um sich einen Anteil an der, bald fälligen assyrischen Erbschaft zu sichern, 609 einen Eroberungszug nach Syrien unternahm, trat ihm Josia zur Verteidigung der eben gewonnenen Selbständigkeit, im Vertrauen auf Jahwe, dessen Schutz er durch die Übernahme seines Gesetzes für sich zu haben schien, bei Megiddo in der Ebene Jesreel (nach Herodot. II 159 bei Migdol in der Nähe von Pelusium) entgegen, wurde aber geschlagen und fiel. Mit Josia schwindet der letzte Ritter aus der Reihe der Davididen. Juda war nun, wie ganz Syrien, ägyptischer Besitz geworden.

Die Landbevölkerung machte einen jüngern, der Fremdpolitik abgeneigten Sohn Josias, Sallum, der sich fortan Joahas nannte, zum König. Als er sich dem in Ribla am Orontes weilenden Necho vorstellte, wurde er von ihm verhaftet und nach Ägypten verschickt, wo er als Gefangener starb. Zum Nachfolger des Josia setzte Necho den älteren Sohn desselben und Halbbruder des Joahas, Eljakim, dessen Namen er in Jojakim umänderte, als König ein. Juda mußte dem Pharao eine schwere Kriegssteuer zahlen. 607/6 erlag Ninive dem vereinten Angriff der Meder unter Kyaxares und der Chaldäer unter Nabopalassar. Bei der Aufteilung der Beute fiel das eigentliche Assyrien nebst den Nord- und Westgebieten bis zum Halys an die Meder, Mesopotamien und Syrien an die Chaldäer. Necho, der den letzteren den Besitz streitig machen wollte, wurde von dem chaldäischen Kronprinzen Nebukadnezar bei Kerkemisch am Euphrat 606/5 aus Syrien hinausgeschlagen. Ob Nebukadnezar (605–561) nach seines Vaters Tode sofort seine Rechte auf den Westen geltend machte, ist zweifelhaft. Vielleicht war Jojakim von 605–600 sein eigener Herr. Die Unterwerfung des Westens scheint Nebukadnezar erst allmählich bewerkstelligt zu haben. Wenn etwas an der Nachricht 2. Chron. 36, 6 von der Wegführung Jojakims nach Babel ist, so ist Jojakim etwa 600 von Nebukadnezar gewaltsam zu seinem Vasallen gemacht worden und ihm bis 598 (2. Kön. 24, 1) treu geblieben, dann aber abgefallen. Zunächst hetzte Nebukadnezar die Meute der Nachbarvölker gegen Juda und in diesen Wirren möchte Jojakim, ein prunkliebender Despot, gestorben sein. Mit einem Heere erschien Nebukadnezar erst, als bereits Jojakims Sohn, Jojachin (Jechonja), den Thron bestiegen hatte. Schon nach kurzer Belagerung ergab sich Jojachin und wurde 597/6 mit den angesehensten Männern Judas, darunter der Prophet und Residenzpriester Hesekiel, und unter Mitnahme reicher Beute, z. B. der wertvollen Tempel- und Palastschätze, nach Babel deportiert. Das war die erste Eroberung Jerusalems durch die Chaldäer. Über die Zurückgebliebenen machte Nebukadnezar den Sohn des Josia und Vollbruder des Joahas, Mattanja‚ dem er als seinem Vasallen den Namen Zedekia gab, zum König. Da das Volk samt seinen Führern durch die Ereignisse von 597 tief verletzt war und durch chauvinistische Propheten mit Freiheitsträumen [2423] berauscht wurde, die der Prophet Jeremia vergeblich zerstörte, war es für Zedekia äußerst schwer, der Situation Herr zu bleiben. Anfangs widerstand Zedekia den Verlockungen zum Abfall, die im J. 593 von den Nachbarstaaten mit Unterstützung des Pharao Psammetich II. (593–588) ausgingen, der 590 im südlichen Syrien weilte, Jer. 27/8. Um seine Ergebenheit zu beteuern, schickte Zedekia sogar Gesandte nach Babel, denen er schließlich persönlich folgte. Als aber der Pharao Hofra (= Apries 588–569) Sidon und Tyrus bekämpfte, gelang es ihm, Zedekia zum Abfall von Nebukadnezar zu bewegen. Sofort erschien dieser in Syrien, um den in seinem Gebiet eingefallenen Ägypter und den meineidigen Judäer zu bestrafen. Nebukadnezar leitete von seinem Hauptquartier aus, das er in Ribla aufgeschlagen hatte, die Belagerung Jerusalems, die von Januar 588/7 an 1½ Jahre währte. Zwischenhinein erschien ein ägyptisches Ersatzheer, das aber von den Chaldäern geschlagen wurde. Als die Not der durch einen Wall eingeschlossenen Stadt infolge Hunger, Gewaltakten der Soldaten und wohl auch Pest, aufs Höchste gestiegen war und die Belagerer (Juli 586) bereits eine Bresche in die Stadt geschlagen hatten, machte Zedekia einen verzweifelten Ausfall mit seinen Soldaten, wurde aber bei Jericho ergriffen und vor Nebukadnezar nach Ribla geführt, dort geblendet und in Ketten nach Babel geführt, nachdem er zuvor die Hinschlachtung seiner Söhne hatte mit ansehen müssen. Darauf (August 586) wurde Stadt und Tempel von Nebusaradan, dem Feldherrn Nebukadnezars, erobert und von Grund aus zerstört. An der Plünderung der Stadt beteiligten sich die Nachbarvölker, besonders die Edomiter. Der Rest der Bevölkerung wurde samt den noch vorhandenen Schätzen nach Babel gebracht, während eine erhebliche Zahl Notabler, darunter der Oberpriester Seraja und sein Stellvertreter in Ribla hingerichtet wurde. Das war das Ende des Südreiches.

Äußerlich angesehen, haben Israel und Juda das Schicksal der zwischen Großstaaten gelegenen Kleinstaaten geteilt. Israel und Juda sind in dem Kampf zwischen Assur-Babylon und Ägypten erdrückt worden. Der Versuch des Amos, Jesaja und ihrer Gesinnungsgenossen, die das Kommende voraussahen und ihrem Vaterland durch die Religion die friedliche Einstellung in den Völkerverkehr ermöglichen wollten, mißlang, dank dem dazwischen hineingekommenen Deuteronomium, das den Wünschen der Propheten Rechnung trug, aber gleichzeitig das Herrnspielwollen Israels unterstützte. Die Ereignisse von 722, 597 und 586 haben sich dann wiederholt bei der Auseinandersetzung des Judentums mit dem Griechen und Römertum, die eine erneute Auflage des innerjüdischen Kampfes zwischen Volks— und Weltreligion bedeutet. Die Kirchenpolitik der Perserkönige ermöglichte die Neubildung des Judentums, in die aber sofort die Hoffnung auf ein jüdisches Weltreich Eingang fand. Immerhin aber reifte in der Zeit seit dem Exil, besonders durch den Zusammenstoß mit dem Hellenismus, der prophetische Humanitätsgedanke seiner Vollendung entgegen.

9. Das babylonische Exil. Bearbeiten

Wie 722 aus Israel, so sind auch 597 und 586 aus Juda nur die Stützen der Gesellschaft, die Vornehmen, die [2424] Regierenden, die Besitzenden, die Soldaten und Kriegshandwerker entfernt werden. Über die im J. 586 in Juda gebliebenen Geringen wurde der Freund Jeremias, Gedalja, ein vornehmer Judäer und Förderer der chaldäischen Politik von Nebukadnezar zum Statthalter eingesetzt. Er residierte in Mizpa, nördlich von Jerusalem. Um ihn sammelte sich ein Kreis frommer Landsleute, in dem die Gedanken der Propheten verwirklicht waren. Anhänger der früheren Kriegspartei und der Eigennutz der Nachbarvölker ließen aber die von Nebukadnezars Gnade erstandene, Friedensgemeinde nicht zur Ruhe kommen. Schon nach zwei Monaten wurde Gedalja von dem durch den Ammoniterkönig Baʿalis angestifteten davidischen Prinzen Ismael, einem Genossen der Chaldäerfeinde, ermordet. Zwar erhob sich als Bücher Gedaljas ein gewisser Jochanan und entriß dem nach Ammon entkommenden Ismael die aus Mizpa verschleppten Judäer. Er entschloß sich aber, trotz der Abmahnungen Jeremias, aus Angst vor den Chaldäern mit den Geretteten zur Flucht nach Ägypten, wohin er auch Jeremia und seinen Schüler Baruch mitzugehen zwang. Damit war die hoffnungsvolle Stiftung in Mizpa gänzlich zerstört. Die Geflüchteten ließen sich in Tachpanches, südwestlich von Pelusium, nieder. Nach glaubwürdiger Sage ist hier Jeremia, da er seine Drohungen mit Nebukadnezar fortsetzte, der sich seit 585 mit der Belagerung von Tyrus beschäftigte und so eine nahe Gefahr für die Ägypter war, von seinen Landsleuten gesteinigt worden. Außer in Tachpanches gab es noch andere jüdische Siedlungen in Ägypten, z. B. im Süden in Jeb, d. i. Elefantine bei Syene, Jes. 49, 1, eine Gemeinde, die sich aus jüdischen Söldnern rekrutierte, die unter Manasse an die Pharaonen verkauft sein werden (Aristeas Brief § 13). Seit dem J. 586 war die aus der Zerreißung des israelitischen Volkstums erwachsene jüdische Diaspora, die für den Fortschritt der alttestamentlichen Religion und das aufkommende Christentum von großer Bedeutung werden sollte, erheblich erweitert. Von den in Jeb wohnenden Juden ist durch die Papyrusfunde daselbst bekannt, daß sie zur Zeit der Eroberung Ägyptens durch Kambyses, 525, ein eigenes Heiligtum besaßen, sich also nicht den Vorschriften des Deuteronomiums unterworfen hatten, wonach es ja außerhalb Jerusalems keinen Jahwealtar geben sollte. Für die in Palästina gebliebenen Juden behielt der Tempel von Jerusalem trotz der Ereignisse von 586 seine Anziehungskraft, Jer. 41, 5. Auf dem notdürftig wieder hergerichteten Altar wird man weiter dem Herrn Jahwe Opfer dargebracht haben. Daneben machte sich der von Josia beseitigte Höhenkult breit, der bereits unter den Nachfolgern Josias wieder aufgelebt war. Im übrigen war die Lage der palästinischen Juden äußerst gedrückt. In dem J. 582/1 fand eine dritte Wegführung von Landesbewohnern, wohl wegen erneuter Revolten gegen Nebukadnezar, statt. Obwohl der babylonische Oberherr seine südlichste Provinz gegen ägyptische Rückeroberungsgelüste schätzte, wie der Zug gegen Ägypten 568 beweist, konnte er nicht verhindern, daß die Edomiter, durch vordrängende Araber geschoben, sich in der Umgegend von Hebron festsetzten und die dortigen Juden vertrieben. Der bisherigen Führer beraubt, kehrte die palästinische Judenschaft zu der früheren [2425] Leitung durch die Ältesten zurück. Unter dem über die Nation hereingebrochenen Elend bitter leidend, in kümmerlichen Verhältnissen unter fremdem Joch lebend und von den Nachbarn verspottet, begann man über die Mahnungen der Propheten nachzudenken und in Sack und Asche die frühere Schuld abzubüßen und wagte so auf bessere Zeiten zu hoffen.

Die Wiederbelebung der Nation wäre schwerlich von dem palästinischen Judentum ausgegangen. Sie kam von der babylonischen Diaspora, als sie in den Strudel neuer Weltereignisse hineingerissen wurde. Zum zweiten Male sollten Arier den Orient vom Orient erlösen. Der Retter würde Cyrus, von dem Verfasser von Jes. 40ff. als das Werkzeug Jahwes, des Weltregenten begrüßt. Solange der Jerusalemer Tempel, das Fanal der Nation noch stand, gaben die nach Babel Deportierten die Hoffnung auf eine baldige Wendung zum Besseren nicht auf. Als die ehemaligen Patrizier schauten sie voll Verachtung auf die im Lande Zurückgebliebenen, die misera plebs, herab. Der Fall des Tempels brachte den Verbannten eine heilsame Ernüchterung. Sie richteten sich jetzt, durch die Nachschübe verstärkt, auf einen längeren Aufenthalt in der Fremde ein. Als Kolonisten unter königlichem Schutz lebend und im übrigen zu dem System der Ältestenverfassung zurückkehrend, gingen sie in der neuen Heimat nicht bloß ihren früheren Berufen nach, sondern wurden bald ein lebendiges Glied des babylonischen Großkulturvolkes. Im Exil haben die Juden u. a. das babylonische Maß-, Gewichts-, Geld- und Kalenderwesen übernommen. In der Metropole des antiken Welthandels sind die Juden eigentlich erst ein Geld- und Handelsvolk geworden. Hineingerissen in den Großhandel, nahmen sie auch die schon seit längerem den internationalen Verkehr vermittelnde aramäische Sprache und Schrift an. Mochte die Beteiligung an dem Großkulturleben auch viele Israeliten dem eigenen Volkstum ganz oder halb abwendig machen, es kamen doch auch eine gewisse Großzügigkeit und Welterfahrenheit in das jüdische Leben und Denken hinein, ein Gewinn, der schließlich auch der Seele des Volkes, seiner Religion, wenigstens in einzelnen Gruppen, Nährkraft bot. Die Zerstörung des Volkstums wird auch einen großen Teil der profanen Nationalliteratur haben untergehen lassen. Gleichzeitig hat aber auch gerade das Exil aus Israel ein Literaturvolk geschaffen. Ein reger Sammeleifer erwacht, wie er nach großen nationalen Katastrophen einzutreten pflegt. Er richtet sich auf das, was die Ereignisse von 597/586 zu erklären geeignet waren und eine Stütze für Gegenwart und Zukunft zu gewähren schien. So begann man u. a. die literarische Hinterlassenschaft der großen Volksführer, der Propheten, deren einst verspotteten Worten der Lauf der Geschichte den Wahrheitsstempel aufgedrückt hatte, zu sammeln und daraus Trost- und Erbauungsbücher herzustellen. An den Gedanken des Deuteronomiums suchte man das nationale Unglück aus der grauen Vergangenheit zu begreifen und bearbeitete die Überlieferung von der Zeit Josuas an, da man im Deuteronomium selbst die Kopie des Werkes Moses zu besitzen meinte. So ist im Exil die große, die Bücher Josua bis 2. Samuel umfassende deuteronomistische Geschichtsklitterung entstanden. Das Unternehmen [2426] ist gewiß von ehemaligen, ins Exil geführten Residenzpriestern ausgegangen, in deren Kreisen das Deuteronomium seinen Ursprung hatte und weiter die Richtschnur blieb. Ins Exil fällt auch die Tätigkeit des Propheten Hesekiel und Deuterojesajas, d. i. des Verfassers von Jes. 40–55. Babylonien ist aber vor allem die Heimat des Priesterkodex und später des schier uferlosen Talmud geworden. Die eben erwähnten Literaturwerke sind die Schrittmacher und Ausläufer der Hauptrichtungen, in welche die Kultur des Judentums im Exil gedrängt wurde und durch deren Zusammenwirken die Neugründung der jüdischen Gemeinde auf dem Heimatboden erfolgen sollte. Ihren Quellort haben die verschiedenen Geistesströmungen in der Religion des Judentums. Durch das Exil ist Israel vor allem das Religionsvolk geworden, das durch Esra organisiert wurde. In der Fremde, im unreinen Lande, der Möglichkeit beraubt, rechte Opfer darzubringen, obwohl vielleicht auch in Babylonien unter den Deportierten der Wunsch sich sporadisch geregt hat, ein Heiligtum, ähnlich den Diasporagenossen in Jeb in Ägypten, als Opferstätte zu bauen, das zugleich auch als Sammelpunkt der Verbannten dienen sollte, wurden die nicht an den Tempel in Jerusalem gebundenen Riten: Gebet, Fasten, Sabbat und Beschneidung um so eifriger als Surrogat für den suspendierten Opferkult innegehalten und stiegen allmählich zu äußeren Erkennungsmitteln des echten Juden empor. Wie man nach der zweiten Zerstörung des Tempels, 70 und 135 n. Chr., die unmöglich gewordene Opferpraxis als heilige Tradition, in der Hoffnung auf spätere Wiedereinführung mündlich und dann auch literarisch emsig weiterpflegte, so konservierte man auch im Exil das bisherige kultische Rituale und baute es für die Zukunft weiter aus. Dank den aus Jerusalem herübergewanderten Priestern wurde im allgemeinen der durch das Deuteronomium sanktionierte Jerusalemer Brauch maßgebend. Mit dem Interesse des Residenzpriesters zeichnet der Prophet Hesekiel den Grundriß des wiedererstehenden Tempels, als des Mittelpunktes für den künftigen Kultus. Der Untergang der Nation galt als durch den Zorn Jahwes über sein sündiges Volk veranlaßt. Da durch die Zerstörung von Stadt und Tempel dem Zorn Jahwes noch keine Genüge geschaffen zu sein schien – schmachtete Israel doch noch im Exil – so kamen nicht bloß gewisse Sühntage zur Abtragung des Zornes Jahwes auf, sondern alle gegenwärtigen und künftigen religiösen Bräuche traten unter den Gesichtspunkt einer Sühne. So nimmt der Kult einen ausgesprochen expiatorisch-kathartischen Charakter an, er wird Sühneinstitut, wodurch die frühere Heiterkeit des Kultus zugunsten des Bußernstes zurücktritt. Das letzte Ziel des antiken Kultes, auch in Israel, ist die Sicherung des Volkstums. In diesem Sinn war schon die deuteronomische Reform unternommen worden: sie sollte das Wohl Israels fördern. Durch den Verlust des Vaterlandes tritt nun im Judentum die Religion unter den Leitgedanken eines nationalen Wiederherstellungsmittels. Die religiösen Bräuche werden nun zu einer Art Nationalsport. Während der täglichen und persönlichen Berührung mit den ‚Heiden‘ lernte der Jude das Eigentümliche und insbesondere die großen, durch die Propheten entdeckten universalistischen Gedanken schätzen und [2427] er wurde sich so durch Religionsvergleichung der Überlegenheit der Jahwereligion über alle Konkurrenten bewußt. Gleichzeitig wurde so in der Diaspora die Frage nach der Stellung Israels zu den Heiden brennend. Als das Volk der besten Religion verlangt Israel nicht bloß die nationale Wiederherstellung im eigenen Lande, sondern die Führerrolle unter den Nationen in religiöser und politischer Hinsicht. Erreicht wird dieses Ziel teils durch den Zusammenbruch, teils durch die freiwillige Unterordnung der von der Ohnmacht ihrer Nationalkulte überzeugten Heidenreiche. Ja Israels Nationaltod, nach Deutero-Jesaja als ein Strafübermaß verhängt, und von den Besten im Volke mit Würde ertragen, wird der Durchgangspunkt für die denkbar größte Verherrlichung Israels, die nach Hesekiel zugleich eine glänzende Ehrenrettung Jahwes gegenüber den Heiden ist. Über dem Heile Israels gehen den Heiden die Augen für Jahwe auf und sie erkennen in Israel den für die Völker leidenden, sie zu Jahwe führenden und so aller Welt das Heil vermittelnden Knecht. So ist das Ergebnis des Exils eine Apotheose Israels und Jahwes. Volks- und Weltreligion schließen einen neuen, vom Deuteronormium angebahnten Kompromiß. In dem Gedanken des Panisraelitentums finden sich Israel und Jahwe wieder zusammen. In einem naturphilosophisch gerichteten Zeitalter, dessen Wirkungen im Westen in der die Buntheit des Alls auf ein einheitliches Prinzip zurückführenden ionischen Naturphilosophie zu spüren sind, krönt Deutero-Jesaja den alttestamentlichen Monotheismus durch die Unterordnung der Gesamtnatur unter Jahwe, Israels Volksgott, der zugleich Halt und Ziel der geistigen und sittlichen Welt ist. Mit dem höchsten Universalismus verbindet aber Deutero-Jesaja den krassesten Nationalismus – Israels Wohl und Ruhm ist das eigentliche Weltziel –, jedoch wird der Widerspruch dadurch gemildert‚ daß Israel eine Mission an der Völkerwelt zufällt. Der Fortschritt der Massen ist das Leiden der Besten wert. Das ist ein Gewinn gegenüber Hesekiel, der den Heiden den Zutritt zum Glück Israels nicht gestattet. Trotz allen Abschlusses gegen das Heidentum eröffnet das Exil eine Periode des stärksten Synkretismus. Durch den Verkehr färben aus Kult- und Volksfrömmigkeit allerlei heidnische Stoffe, z. B. kosmogonische und angelologische, auf das Judentum ab und dienen nachher als Staffage für die jüdische Apokalyptik. Unter dem Einfluß des umgebenden Heidentums und gleichzeitig im Gegensatz zu ihm ist im Exil die zwischen Nomismus, Nationalismus, Universalismus, Synkretismus und Apokalyptik, geschäftiger Assimilation an die Weltkultur und religiösem Konservatismus, starrem Formelwesen und ungehemmter Phantasie schillernde Eigenart des Judentums ausgeprägt worden, und diese Licht- und Schattenseiten haften ihm bis heute an.

Als Verbote der neuen Heilsära wurde von den Verbannten die Enthaftung Jojachins durch Ewil-Merodach 561 und die Auszeichnung mit königlichen Ehren begrüßt. Das schien zugleich eine Anerkennung der nationalen Aspirationen des Judentums. Die Erlösung brachte aber erst der Fall Babels, das bereits von den Medern bedroht (Jes. 13?), schließlich dem Weltstürmer Cyrus (560–529) erlag. Dieser hatte zunächst Elams sich [2428] bemächtigt und war, nach der Unterjochung des großen medischen Reiches bis ca. 550, der mächtigste König in Vorderasien geworden, auf den aller Welt Augen sich richteten. In Erkenntnis der mit dem Perser für die gesamte Weltlage heraufbeschworenen Gefahr vereinigten sich Croesus von Lydien (561–546), Naboned von Babylonien (555–539) und Amasis von Ägypten (569–529) zu einem Bündnis. Cyrus ging sofort zur Offensive gegen den gegen ihn gerichteten Dreibund vor. Durch die Schlacht bei Sardes, 546, machte sich Cyrus zum Herren von Lydien. Die entscheidenden Schläge gegen Babylonien führte er aber erst aus, nachdem er arische Stämme im Osten seines Reiches unterworfen hatte. 539 besiegte Cyrus die babylonischen Truppen unter Naboned und dem Kronprinzen Belsazar. Naboned floh nach Borsippa, wo er gefangen wurde, während Belsazar nach Babel eilte und hier bei der Eroberung der Königsburg (Dan. 5) seinen Tod fand. Herbst 539 zog Cyrus in Babel ein, das er, anders als Deut.-Jesaja c. 47 hoffte, nicht zerstörte, sondern zur zweiten Residenz seines Reiches machte. Im übrigen erfüllte Cyrus, durch seinen Sieg über Babylon unbeschränkter Herr von ganz Vorderasien, die von Deutero-Jesaja auf ihn gesetzten Hoffnungen. Zwar trat Cyrus nicht zum Judentum über, er huldigte aber dem jüdischen Gott und erteilte den Befehl, auf Kosten des königlichen Schatzes, Esr. 6, 1ff., den Tempel in Jerusalem wiederherzustellen, gleichwie Cyrus in Babel aus Politik und aus persönlicher Überzeugung die religiösen Empfindungen des Volkes schonte – ein erstes Beispiel von Toleranz in der Religionsgeschichte!

10. Die Entstehung des Judentums. Bearbeiten

Eine allgemeine Erlaubnis zur Heimkehr aus dem Exil ist den Juden weder von Cyrus noch von seinen Nachfolgern erteilt worden. Es handelt sich bei der Rückwanderung immer nur um, in einzelnen Abständen erfolgende und für die Zeit 539–400 etwa kontrollierbare, kleinere oder größere Karawanenzüge, denen für bestimmte Zwecke die Heimreise gestattet war.

Der Gesandte, der den Neubau des Tempels in die Wege leiten sollte, war der von Cyrus zum Statthalter ernannte Sesbazar, wohl mit Senazar, 1. Chron. 3, 18, identisch, ein Davidide. Er legte bald nach 539 den Grundstein und begann die Wiederherstellung des Tempels, Esr. 5, 13ff. Rasch aber stockte der Bau, wie es scheint, wegen innerer, von den Einheimischen ausgehender Widerstände und vielleicht auch schon infolge Einmischung der Samaritaner, deren Beteiligung am Bau den Vollblutjuden in Jerusalem unerwünscht war. Der Bau ging erst wieder voran unter der Regierung Darius I. (521–485). Im J. 520 ließen sich die schon mit Sesbazar, oder eben erst zurückgekehrten beiden Führer der Judenschaft, Serubabel, der Davidide und Nachfolger Sesbazars im Statthalterposten, und der vielleicht noch von Cyrus zum ‚Hohepriester‘ ernannte Zadokide Josua, der Nachkomme des letzten Oberpriesters von Jerusalem, von den Propheten Haggai und Sacharja bewegen, sich der Angelegenheit des Tempelbaus anzunehmen, und wirklich wurde September 520 der Bau von neuem begonnen und bis März 515 vollendet, trotz (erneuter) Schwierigkeiten seitens der Samaritaner und des Dazwischentretens Tatnais, des persischen [2429] Statthalters von Syrien. Während der letzten Bauzeit liegt aber die Leitung nicht mehr in Händen Serubabels, sondern der ‚ältesten der Juden‘, Esr. 5, 8ff. Zwischen die erste (539) und zweite Grundsteinlegung (519) fällt nämlich die schwere Krisis, die das persische Riesenreich bis in seine letzten Fugen durchzitterte und auch in Juda die Gemüter stark erregte. Cyrus war 529 im Kampf gegen die Nomaden gefallen und Kambyses (529–522) hatte, die Absichten seines Vaters verwirklichend, Ägypten, den letzten der Dreibundsgenossen bekriegt, und dem Pharao Psammetich III. durch die Schlacht bei Pelusium, 525, sein Reich abgenommen, dann aber bei der Rückkehr, als er den Aufstand des Magiers Gaumâta unterdrücken wollte, in Syrien sein Leben eingebüßt. Der zugunsten einer medischen Restauration gewagte Aufstand des Magiers nahm größte Dimensionen an und wurde erst nach schwersten Kämpfen von Darius beigelegt, so daß erst 519 das persische Reich in seinem alten Umfang hergestellt war, worüber die berühmte Behistâninschrift Kunde gibt.

Das Toben der Heiden wider einander erweckte in jüdischen Köpfen die Hoffnung, daß nun der von Deutero-Jesaja geweissagte große Weltuntergang beginne, durch den das Judentum obenauf kommen solle In dieser Erwartung hatten die Propheten Haggai und Sacharja den Serubabel und den Josua, die beiden Vertreter von Thron und Altar, für den Tempelbau begeistert, um mit dem fertiggestellten Heiligtum die neue Zeit für Israel zu inaugurieren. Schon hatte Sacharja eine Krone aus Spenden der babylonischen Diasporajuden verfertigen lassen, um Serubabel, Sach. 6, 9ff., zum Herrscher des jüdischen Weltreiches zu proklamieren. Der Sieg des Darius über alle Unruhestifter im Reich kühlte die von romantischen Weltherrscherträumen erhitzten jüdischen Gruppen merklich ab. Serubabel, der anfängliche Bauherr des Tempels, ist entweder bei einer wirklich ausgebrochenen messianischen Revolte von den Persern beseitigt worden, oder bei der noch vor 515 von Darius vorgenommenen Neuteilung des Reiches in 20 Satrapien, wobei die Satrapie Juda kassiert und zu einer andern zugeschlagen wurde, von seinem Statthalterposten abgetreten und ist dann mit schlichtem Abschied nach Babylonien zurückgekehrt. So erklärt sich, weshalb die Bauleitung beim zweiten Jerusalemer Tempel zuletzt nicht mehr dem Serubabel unterstand. Die Initiative zum Bau ging von Cyrus aus und den von ihm beauftragten aus Babel heimgekehrten vornehmen Judäern, die Ausführung erfolgte durch die Einheimischen mit Unterstützung durch Baugelder der babylonischen Diasporajuden.

Das nächste halbe Jahrhundert jüdischer Geschichte ist durch eine in der Jerusalemer Bewohnerschaft eingetretene äußere und innere Zersetzung gekennzeichnet, der erst die beiden aus Babylonien herüberkommenden leidenschaftlichen Patrioten Nehemia und Esra Herr werden. Beide Männer wurden zugleich die eigentlichen Organisatoren des Judentums, Wegen der seit 586 immer noch darniederliegenden Mauern war Jerusalem bei militärischen Verwicklungen, an denen es in dieser Zeit nicht fehlte, ohne Schutz. Nachdem der Statthalter nicht mehr in der Hauptstadt residierte, mangelte es für die Abgaben an den Tempel an der staatlichen Autorität. Wie in vorexilischer Zeit wurde bald [2430] auch jetzt wieder das Recht zugunsten der Besitzenden gebeugt. Ein großer Teil der Bevölkerung war sehr arm. Wohl war der Tempel gebaut, löste aber die auf ihn gesetzten Hoffnungen auf bauliche Zeiten nicht ein. Frömmigkeit schien darum nutzlos zu sein. Durch die geschäftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen vieler Juden zu den Bewohnern in der Landschaft und namentlich auch in Samaria, drang zum Leidwesen der streng denkenden Glaubensgenossen ein heidnischer Geist bis in die obersten Priesterkreise ein.

Die äußeren Mißstände mit festem Griff beseitigt zu haben, war das Verdienst Nehemias. Am Hofe Artaxerxes I. (465–425) in der Winterresidenz Susa als Mundschenk waltend, erhielt Nehemia (446) durch seinen aus Juda herübergekommenen Bruder Hanani Kunde von den traurigen Zuständen in Jerusalem. Sofort faßt Nehemia den Plan der Wiederherstellung der Mauern und des Tempelschlosses. Er weiß den Großkönig, seine Günstlingsstellung bei ihm ausnutzend, für die Not seines Volkes zu interessieren und bekommt von ihm Reiseurlaub. Unter militärischer Bedeckung und mit Empfehlungsbriefen an die persischen Beamten versehen und zum Statthalter des Bezirkes Juda ernannt, kommt 445 Nehemia nach Jerusalem, um mit königlicher Erlaubnis die Trümmer wieder aufzurichten. Er dringt mit seinen Absichten durch, der Mauerbau wird beschlossen und in 52 Tagen, trotz des Widerspruches innerer und äußerer Gegner, vollendet. Eine feierliche Einweihung krönt das Werk, das für Nehemias auf die eigene Kraft selbstbewußt sich verlassende, zugleich aber auch in der Aussicht auf einen Gotteslohn für das Volkswohl sich restlos aufopfernde Frömmigkeit, ein bleibendes Ehrendenkmal ist. Zu obersten Befehlshabern der Stadt wurden Hanani und Hananja ernannt. Erst bei einem zweiten Aufenthalt in Jerusalem, um 433, wurden von Nehemia allerlei kultliche Verwaltungsmaßregeln getroffen.

Die innere Organisation der Jerusalemer Bewohnerschait war das Werk Esras. Sie erfolgte auf Grund eines aus Babylon mitgebrachten kirchlichen Gesetzbuches, an dessen Herstellung Esra als ,Schreiber‘ den Löwenanteil hat. Nach Esr. 7, 8 wäre Esra bereits 458, also vor Nehemia, nach Jerusalem gekommen. Da aber bei Nehemias Mauerbau die Mitarbeit Esras und seiner etwa 5000 jüdischen Wandergenossen unerwähnt bleibt, so ist Esra entweder erst zwischen dem ersten und zweiten Aufenthalt Nehemias, oder während des letzteren in Jerusalem eingetroffen. Esras große Reformleistung ist die strikte Scheidung des streng Jüdischen vom Halbjüdischen oder Heidnischen in der Gemeinde. Das erstrebte und auch erreichte Ziel ist die äußere und innere Reinkultur des echten Vollblutjudentums. Dahin drängte die mit dem Deuteronomium kräftig einsetzende nationaljüdische Verkapselung. Das mitgebrachte Gesetz, für dessen Durchführung sich Esra der Vollmachten des persischen Großkönigs vergewissert hatte, ist der sog. Priesterkodex (P), genauer die Grundschrift desselben. Eine Gesetzgebung im historischen Rahmen, will P wie seine Vorläufer I, E und D aus dem geschichtlichen Verlauf, wie Zweige und Blüten aus einem Stamm, die Gebote hervortreten lassen, die für Israel und seine Leiter maßgebend sein sollen. Aber das Geschichtliche ist zum bloßen [2431] Gerippe geworden und die Zahl der Gebote ist ins Ungeheure, ihre Richtung ins Geistliche gestiegen. Sabbat, Blutverbot, Beschneidung, die übrigen heiligen Feste, Opfer, Speise und Reinheitsgesetze werden nicht bloß zu Gehorsamsregeln gemacht, sondern sind zugleich die Scheidewände zwischen Juden und Nichtjuden. Das Moralische ist die selbstverständliche Voraussetzung für den Frommen. Aber die Gebote gegen den Nächsten sind den religiös-kultischen Vorschriften nicht neben- oder gleich-, sondern untergeordnet. Die Religion gipfelt im Opferdienst, der in dem Sünden und Schuldbewußtsein wurzelnd, durchaus Sühnemittel ist, das als solches wirkt, ganz abgesehen von der persönlichen Betätigung. Durch die große Bedeutung des Religiösen wird einerseits das Bewußtsein rege, in der Frömmigkeit vor anderen Leuten etwas voraus zu haben, und anderseits wird, da der ganze Kult. Sache eines gestaffelten Priestertums, im Hohepriester sich zuspitzend ist, nun der Kleriker die wichtigste Person im Volk. Der Kult, selbstverständlich auf Jerusalem konzentriert, wohin auch die mündigen männlichen Glieder der Gemeinde ihre Kirchensteuer zahlen, gilt dem über Zeit und Raum erhabenen Himmelsherrn, dem Erwähler Israels seit Weltbeginn. So läßt sich das Gesetz Esras als eine, durch die Erfahrungen des Exils bereicherte Umprägung und Ergänzung des deuteronomischen Mosegesetzes verstehen. Verzichtet ist darin nur auf die schon im Deuteronomium erhoffte, durch Deutero-Jesaja weiter genährte, dann aber seit Anfang der Regierung des Darius stark erschütterte Hoffnung auf die Machtstellung Israels unter den Völkern. Aber nur unter dieser Voraussetzung war gewiß die persische Regierung bereit, ihre schützende Hand über die Durchführung des Gesetzes zu halten. Der durch Esra sanktionierte politische Zustand, durch den die Judenschaft zu einer im persischen Reich staatlich gestatteten selbständigen Religionsgesellschaft mit hierarchischer Spitze wurde, wurde nur als ein Provisorium empfunden. Das jüdische Nationalreich und in weiterer Ferne das jüdische Weltreich blieben das Hoffnungsziel, das auch wirklich in der Makkabäerzeit erreicht wurde. Das Gesetz Esras wurde in feierlicher Versammlung verlesen und angenommen. Die Anwesenden verpflichteten sich, es zu halten, die Vornehmen durch Unterschrift, die übrigen durch Schwur. Der Akt Neh. 8–10 hat viele Ähnlichkeit mit dem 2. Kön. 22f. Die Restauration des Judentums war ein Werk von Persers Gnaden. Sie erfolgte im Interesse der Elite des Volkes, die in dem gesetzlich geregelten Tempelkult das Unterpfand ihrer Herrschaftsansprüche erhielt. Die Nachkommen der 586 in der Heimat gebliebenen Juden, insbesondere die unteren Volksschichten fügten sich dem Willen der namentlich durch den Zuzug unter Esra verstärkten Aristokraten. Hervorgegangen ist das Gesetz aus den gleichen Kreisen, wie einst das Deuteronomium. Denn Esra, der ‚Schreiber‘ des Gesetzes, war ein Abkömmling jenes Hilkia, unter dem das Deuteronomium ,gefunden‘ wurde. Die Einführung des neuen Gesetzes hatte mehr Erfolg als die des alten. Denn das Gesetz Esras, das seine Vorgänger verdrängen sollte, schließlich aber die Grundlage zu der im Pentateuch vorliegenden Gesetzesharmonie hergegeben hat, ist das Joch geworden, das das [2432] Judentum bis zur Gegenwart zusammenhält. Daß die Einführer des Gesetzes sich nicht mit bloßen papierenen Deklamationen begnügten, sondern gewillt waren, ihre Gebote anzuwenden, beweist das an Fanatismus grenzende rigorose Auftreten Esras bei der Auflösung der Mischehen und Nehemias energisches Vorgehen gegen den Ammoniter Tobia, dem er den weiteren Zutritt zum Tempel verwehrte, sowie gegen den Sohn des Hohepriesters Jojada, den er, weil er eine Tochter seines Todfeindes, des Halbjuden Sanballats, geheiratet hatte, aus Jerusalem verjagte. Das heilige Land sollte nur der heiligen Gemeinde zustehen.

11. Das Frühjudentum (430–200). Bearbeiten

Der Umfang der von Nehemia und Esra begründeten Jerusalemer Judengemeinde, an die sich Geschlechter und Ortsverbände der Nachbarschaft anschlossen, deckte sich etwa mit der Nordhälfte des ehemaligen Königreiches Juda (Neh. 3. 7. Esr. 2), die Südhälfte um Hebron war seit dem Exil edomitisch. Die persische Regierung war durch einen eigenen Beamten vertreten. Derselbe residierte in Jerusalem bzw. war die Gemeinde dem Statthalter in Samaria unterstellt. Der persische Regierungsbeamte war über das Steuer- und Militärwesen gesetzt und sorgte für Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande. Im übrigen verwaltete die Gemeinde ihre Angelegenheiten durch eigene Älteste und Geschlechtshäupter, an ihrer Spitze die Davididen. Dieser Gemeindevertretung lag auch die Rechtspflege ob, an der sich aber auch die Priester beteiligt haben werden. Oberster Kirchenbeamter und zugleich Verwalter der Tempelsteuer war der Hohepriester. Ähnlich wie in der Hauptstadt übten in den übrigen Städten Älteste und Geschlechtshäupter die Verwaltung aus. Bei besonderen Fällen versammelte sich das ganze Volk in Jerusalem.

Die Jerusalemer Tempelgemeinde beanspruchte nicht bloß von allen ihren Gliedern strikten Gehorsam gegen ihre Ordnungen, sondern sie fühlte sich auch gegenüber den anderen Juden, besonders im Ausland, als maßgebend. Das Gesetz Esras sollte für alle Juden im persischen Großreich gelten; ja die persische Regierung sorgte selbst für die Durchführung des jüdischen Gesetzes. Die Ansprüche der Jerusalemer Gemeinde wurden auch von der übrigen Judenschaft anerkannt. Das kam u. a. zum Ausdruck bei den in Jerusalem gefeierten großen Wallfahrtsfesten, an denen sich die Juden aller Länder beteiligten. Jerusalem war die Mutter, das Nervenzentrum aller Juden. So wird den Juden in Elefantine im J. 410 durch die persische Regierung ein ganz im Sinn der jüngsten Gesetzgebung im Pentateuch gehaltener, die Feier des Mazzenfestes betreffender Erlaß übermittelt, hinter dem gewiß die Jerusalemer Kirchenbehörde steht. Auch das samaritanische Schisma, das äußerlich angesehen, eine Einbuße für das palästinische Judentum bedeutete, zeigt, welchen Wert das Gesetz Esras für das Gesamtjudentum besaß. Denn als die Samaritaner durch die Jerusalemer Juden vom Tempelbau und von der Gemeindegründung ausgeschlossen worden waren – wohl weil man in ihnen wegen der Vermischung mit den Heiden, die unter Sargon, Assarhaddon und Assurbanipal, Esr. 4,2. 9f., in Samaria angesiedelt worden waren, keine Vollblutjuden sehen mochte – versuchten sie es ohne die Jerusalemer Brüder fertig zu werden, [2433] organisierten sich aber nach deren Vorbild auf Grund des erweiterten Gesetzes Esra, d. i. des Pentateuch, der fortan bis zur Gegenwart ihr heiliges Gesetzbuch geworden ist. Auch bauten sie sich einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim, der bis zum J. 128 v. Chr. bestanden hat. Josephus verlegt die Restauration der Samaritaner und den Tempelbau in die Zeit Alexanders d. Gr., antiq. XI 7, 2. 8, 2ff. XIII 9, 1. Für den Tempelbau mag er das Richtige haben – aber die Anfänge der Gemeindebildung werden früher anzusetzen sein, falls sie auf den von Nehemia aus Jerusalem vertriebenen Sohn des Hohepriesters Jojada zurückgehen.

Die zweite Hälfte der persischen Herrschaft, 430–330, war für das Judentum, abgesehen von einigen ernsteren Zwischenfällen, eine Zeit der Ruhe und der inneren Erstarkung.

Anlaß zu einem ersten Zusammenstoß mit der persischen Regierung gab ein Brudermord an heiliger Stätte. Durch Bagoas, den persischen Statthalter von Juda, in seinen ehrgeizigen Absichten auf den Hohepriesterposten bestärkt, war Jesus seinem Bruder, dem Hohepriester Johanan, Neh. 12, 22, im Tempel frech gegenübergetreten und von jenem im Zorn erschlagen worden. Das war dem habgierigen Statthalter eine willkommene Handhabe, von den Juden sieben Jahre lang für jedes geopferte Lamm eine Buße von 50 Drachmen zu erpressen, Joseph. ant. XI 7, 1. Die andere Gelegenheit, die die Juden in Konflikt mit der persischen Regierung brachte, war der Freiheitskampf der Ägypter gegen die Perser (408–343). Da Syrien dabei nicht bloß das Land war für die Zusammenziehuug der persischen Heere, sondern öfter auch die Operationsbasis für die Kämpfenden bildete, wird die Judenschaft durch die Leiden eines Krieges in der Nähe, in den sie wohl auch selbst, durch Stellung von Hilfstruppen für den persischen Oberherrn‚ verwickelt wurde, nicht verschont geblieben sein. Zu offener Feindschaft kam es erst, als nach der Niederlage, die das persische Heer bei dem Zug gegen Ägypten 353 erlitt, die Juden dem Beispiel der phönizischen Städte folgten und dem Artaxerxes Ochus (358–337) den Gehorsam verweigerten. Herd des Aufstandes war Jericho, das von Ochus erobert und zerstört wurde, worauf eine Wegführung zahlreicher Juden nach Hyrkanien und Babylonien erfolgte. Mit dem beginnenden Wiedererstarken des ägyptischen Nationalgefühls wird es zusammenzubringen sein, daß die Landespriester eine Art Judenhetze in Elefantine erregten und als Werkzeug den persischen General Hydarnes gewannen, so daß er den Judentempel von Elefantine 410 zerstörte.

Die gelegentlichen Konflikte, in welche die Judenschaft während der Zeit zwischen Nehemia bis Alexander geriet, waren nicht derart, daß sie die äußere und innere Erstarkung der Gründung Esras gehindert hätten.

In jene Zeiten mögen die Anfänge einer jüdischen Diaspora im Ostjordanland und in Galilaea fallen. Auch fehlte es nicht an Proselyten, die sich der Gemeinde anschlossen. Der äußere Zuwachs war eine Entschädigung für den Verlust, der durch die Separierung der Samaritaner entstanden war. Wichtiger war der Ausbau der Gemeinde nach innen. Dadurch wurde jenes Bollwerk geschaffen, das dem Hellenismus widerstand. Der ganzen Richtung [2434] des von Esra und Nehemia begründeten Judentums entsprach eine Verstärkung des geistlichen Elements.

Mittel unkt des Kultus blieb das vom Priester besorgte Opfer. War der erste Tempel die Privatkapelle des Königs, so war der zweite Tempel ein richtiges Gemeindeheiligtum. Für die Gemeinde hat sich jetzt das tägliche Morgen- und Abendbrandopfer eingebürgert. Sodann mußte der Hohepriester morgens und abends ein Speiseopfer darbringen, und ebenso im ,Heiligen‘ ein Räucheropfer. Die für wichtigere Anlässe üblichen Sühn- und Schuldopfer wollen, wie auch die täglichen Opfer, alle Verletzungen der Heiligkeit des Tempels, seines Inhabers und seiner Diener reparieren und zugleich verbürgen sie das göttliche Wohlgefallen. Zu den bisherigen Festen, die seit dem Deuteronomium immer mehr von ihrer Naturbasis losgerissen werden, sind zwei neue hinzugekommen, der Versöhnungstag und das Neujahrfest. Während diese Erweiterungen des Kultus noch in dem eigentlichen Gesetz gebucht sind, gibt von anderen Neuerungen erst die Chronik Kunde, so z. B. von der Gliederung der Priester und Leviten in je 24 Klassen. Durch den gesteigerten Opferdienst erlebte das alte Kultlied einen neuen Aufschwung, wie der kanonische Psalter beweist, der zur Voraussetzung die Frömmigkeit der zweiten Tempelgemeinde hat. Der Vortrag der frommen Lieder war das Vorrecht besonderer Tempelsänger, die Gemeinde war auf das Anstimmen von Amen und Halleluja beschränkt: das sind die Anfänge eines Gemeindegottesdienstes. Auch die Tempelsänger sind in 24 Klassen jetzt gegliedert und – was den Wert des Psalmliedes für die Zeit beweist – zu Leviten gemacht. Diese Rangerhöhung ist auch den nicht wenigen Torhütern zugebilligt. Als geistiger Vater des Tempels und als Installator der kultischen Musik gilt nun David, der aus einem tapferen und klugen Volkskönig immer mehr zu einem braven Kantor und levitischen Heiligen umgestempelt ist. Da der Statthalterposten in Jerusalem von den Persern nicht immer besetzt war, stieg das Ansehen des Hohepriesters desto höher. Er war nicht bloß Kirchenfürst, sondern vereinigte in seiner Person auch den Rest dem Judentum gebliebener politischer Selbständigkeit. Neben den Priestern sind Vertreter der geistlichen Elite im Volk die Schriftgelehrten. Ihre Studien betrafen hauptsächlich das religiöse Gesetz. Daneben haben sie aber auch die Reste sonstiger heiliger Nationalliteratur, u. a. die Schriften der Propheten gesammelt und für die Zwecke der Erbauung der Gemeinde bearbeitet. Solche neu verauflagten Schriften bilden den zweiten Teil des alttestamentlichen Kanons. Schließlich haben die Schriftgelehrten aber auch eigene Werke produziert, von denen Proben im dritten Teil des Kanons vorliegen. Der Schlüssel der Gedankenwelt der Schriftgelehrten ist das Gesetz. So ist vom streng nomistischen Standpunkt, unter kleinlichster Anwendung des Vergeltungsgedankens die Geschichte Israels ab ovo bis zur Gegenwart des Verfassers in der sog. Chronik behandelt und in dieses Werk sind die Tagebücher Esras und Nehemias miteingearbeitet. Zu den homines religiosi jener Zeit gehören endlich auch die ‚Weisen‘, eine Art israelitischer Religionsphilosophen. Auf der Basis der Religion, des väterlichen Gesetzes und der allgemeinen [2435] Gottesfurcht, suchen sie alle möglichen Probleme des menschlichen und natürlichen Lebens zu ergründen, selbst die Grundlagen des Glaubens versuchten sie zu kritisieren. Gar manche flache und alltägliche Gedanken laufen dabei unter, aber auch das tiefste und unvergänglichste‚ was das Alte Testament von individueller Religiosität besitzt, z. B. Ps. 73, ist von jenen Kreisen erdacht worden. Bücher, wie die Proverbien, Hiob und manche Psalmen sind von den ,Weisen‘ verfaßt. In der pessimistischen Aphorismensammlung Kohelet zeigt sich bereits der Einfluß griechischer Philosophie. Mit dem Stagnieren des politischen Lebens mag es zusamenhängen, daß der Mund der Propheten verstummt ist.

Alexanders Zug nach dem Osten – von der Nähe betrachtet: der Gegenschlag gegen die Perserzüge nach dem Westen, in weiteren Sehkreis gestellt: die Fortsetzung arischer Wanderungen nach dem Morgenlande – rüttelte, wie andere Völker, so auch die Juden zu neuem Leben auf. Unter Schonung der Eigenarten der eroberten Länder besonders auch in religiöser Hinsicht, trug Alexander, der Zögling des Aristoteles, doch überall, wohin er kam, die Keime griechischer Kultur und pflanzte sie namentlich in die von ihm gegründeten zahlreichen Städte. Mit der von dem genialen Mazedonier angebahnten Verschmelzung abend- und morgenländischen Wesens beginnt für die antike Weltgeschichte eine neue Epoche, die unter dem Namen Hellenismus bekannt ist. Auch das Judentum wurde in die neue Weltkultur hineingezogen. Die dadurch entstandene Sonderform ist der jüdische Hellenismus. Der Versuch des Antiochus (175–164), die Juden gewaltsam zu Griechen zu machen, erzeugte eine nationale Reaktion. Es entsteht das neujüdische Reich. Schließlich erliegt es dem Imperium Romanum, der Nachfolgerin der von Alexander begründeten griechischen Weltmonarchie, die nach seinem Tode in eine Reihe, im Hellenismus die höhere Einheit bewahrender Territorialherrschaften sich aufgelöst hatte.

Nachdem Alexander (336–323) am Granikos 334 gesiegt und damit die Herrschaft über Kleinasien gewonnen hatte, brachte die Schlacht bei Issus (333) Syrien in seine Gewalt und die Eroberung des festen Tyrus (332) auch Palästina. Da Alexander nur noch in Gaza Widerstand fand, und es ihn trieb, nach Ägypten zu kommen, um sich in der Oase des Amon von den Priestern zum Weltherrscher und Göttersohn erklären zu lassen, ist kaum die von Joseph. ant. XI 8, 3ff. gebotene Nachricht glaubhaft, daß Alexander in Jerusalem dem Judengott gehuldigt habe. Der Übergang der Juden unter die griechische Herrschaft wird sich vielmehr so vollzogen haben, daß sie sich dem von Alexander zur Pazifizierung Palästinas bestellten Feldberrn Parmenio freiwillig unterwarfen. Die nach Alexanders Tode unter den Erben ausbrechenden Kämpfe werfen ihre Schatten in die Geschichten des Judentums. Palästina gehörte zunächst mit zu der Satrapie Syrien unter Laomedon. 320 entriß es ihm Ptolemaios (323–285), der Statthalter von Ägypten. Er mußte aber schon 314 seine Beute dem nach Besiegung des Eumenes, des Statthalters von Kappadokien, die Übermacht behauptenden Antigonos von Asien überlassen. Die definitive Regelung der Erbschaft Alexanders wurde durch den [2436] Sieg vorbereitet, den 312 Ptolemaios bei Gaza über Demetrius Poliorketes, den Sohn des Antigonos errang. Dadurch konnte Seleucus, der von Antigonus verdrängte Satrap von Babylonien, sich seines Besitzes wieder bemächtigen. Er wurde der Begründer des Seleuzidenreiches, dessen Ära mit dem J. 312 beginnt. 306 nahmen die Kämpfenden die Königswürde an. Die Entscheidung fiel endlich 301 in der Schlacht bei Ipsus in Phrygien, in der Antigonus Leben und Reich verlor. Die Universalmonarchie Alexanders wich den Einzelreichen. Syrien wurde dem siegreichen Seleucus zugeteilt. Auf das südliche Syrien, das eigentliche Palästina, hielt aber Ptolemaios‚ trotz des Einspruches des Seleucus, seine Hand. Sidon und Tyrus blieben dem Demetrius, der 283 als Gefangener seines Schwiegersohnes Seleucus starb. Die Juden standen also seit 301 wieder unter ägyptischer Herrschaft und sind es auch die nächsten 100 Jahre im allgemeinen geblieben. Zwischenhinein fällt aber ein Kampf um die Herrschaft über Syrien zwischen Ptolemäern und Seleuziden, in dem der uralte Antagonismus zwischen Nil- und Zweistromland wieder einmal aufloderte. Die Kämpfe begannen bereits unter Ptolemaios II. Philadelphos (285–246) und führten zu dem Frieden von 249/8, der den Ägyptern den Besitz von Palästina und Phoinikien bestätigte. Während der von neuem ausbrechenden Streitigkeiten gelang es Ptolemaios III. Euergetes (246–222) das Seleuzidenreich vorübergehend zu erobern. Unter der Mißwirtschait, die unter den Nachfolgern Ptolemaios III. eintrat, nahm Antiochus d. Gr. von Syrien (223–187) den Kampf mit den Ägyptern von neuem auf. Zwar wurde Antiochus, als er gegen die ägyptische Grenze rückte, 217 bei Raphia geschlagen. Er hatte aber Erfolg, als der fünfjährige Ptolemaios V. Epiphanes (205–181) den ägyptischen Thron bestieg. Das ägyptische Heer unter Scopas wurde 198 am Pansheiligtum bei den Jordanquellen geschlagen, und damit kam das südliche Syrien in den Besitz der Seleuziden.

Schon 320 waren von Ptolemaios I. viele Juden nach Alexandria verpflanzt werden, andere folgten freiwillig. Das Jahrhundert, das unter den drei ersten Ptolemäern noch einmal eine ägyptische Machtentfaltung im größten Stil brachte, war auch für die Juden eine Aetas aurea. Im Mutterland konnten sie, der ägyptischen Regierung ihre Steuern zahlend, ruhig unter hohepriesterlichem Regiment ihrem väterlichen Gesetz nachleben. Ägypten selbst wurde fast zu einem zweiten Judenland, in dem gar mancher Sohn Israels als Handwerker oder Kaufmann, als Beamter oder Soldat, sein Glück machte. In der Diaspora lernten die Juden griechisch denken und sprechen. Den literarischen Interessen Ptolemaios II., wohl mehr aber noch dem praktischen Bedürfnis der alexandrinischen Juden wird die Übertragung der jüdischen heiligen Nationalliteratur in das damalige Allerweltsgriechisch zuzuschreiben sein. Damit war der Anfang zur Entstehung der griechischen Volksbibel gemacht, dem ersten heiligen Buch der Christen. In der Diaspora hat unter dem Einfluß des Griechentums das Judentum in seiner Entwicklung zum Monotheismus den letzten Schritt getan und den Namen seines Nationalgottes Jahwe mit dem, den reinen Universalismus bekundenden Namen ὁ κύριος = [2437] Adonaj vertauscht. In diesem Nαmenswechsel kommt der Höchstertrag der alttestamentlichen Religion auf den bündigsten Ausdruck.

Bald nach dem glänzenden Sieg bei Raphia, 217, soll Ptolemaios IV. Philopator die Juden im Stammland und in Ägypten unterdrückt haben, 3. Mak. 1, 9ff. 2, 25ff. Was wahr daran ist, läßt sich schwer entscheiden. Jedenfalls wandten die Juden nach der Schlacht an den Jordansquellen, 198, ihre Gunst dem Antiochus, dem neuen Landesherrn zu, den sie auch bei der Vertreibung der ägyptischen Besatzung auf der Davidsburg unterstützt haben werden.

12. Das Spätjudentum (200–63). Bearbeiten

War unter dem milden Regiment der Ptolemäer der Hellenismus auf friedlichem Wege in das Judentum eingezogen, so trat unter den Seleuziden der Konflikt zwischen östlicher und westlicher Bildung ein. Das war ein großes Glück! Denn bei der bisherigen Entwicklung wären schließlich die Juden ebenso wie die anderen Völker des Morgenlandes von der griechischen Kultur ganz aufgesogen werden und das Abendland hätte nur griechischen Geist empfangen – so aber wurde es griechisch und christlich zugleich! Erst als Gewalt angewendet wurde, besann sich das Judentum auf die in seiner Religion wurzelnde Eigenart, und durch die eingetretene Spannung entsprang aus dem absterbenden Judentum das rabbinisch-talmudische Judentum, oder die Verschalung der durch das ‚Gesetz‘ zusammengehaltenen jüdischen Internationale und das Christentum, oder die auf das Evangelium sich gründende Völkerkirche.

Durch die Schlacht bei Magnesia am Sipylus 190 hatte der syrische König Antiochus III. oder (d. Gr. 223–187 an die Römer ganz Asien diesseits des Taurus verloren und eine ungeheure Kriegslast übernommen, deren Abtragung ihn und seine Nachfolger zu allerhand Gewalttätigkeiten veranlaßte. Gegen die Juden benahm sich Antiochus, der Verbündete Hannibals, so wohlwollend, daß Antiochia‚ die Hauptstadt des Seleuzidenreiches, ein Mittelpunkt jüdischen Lebens wer und sich im eigentlichen jüdischen Gebiet eine syrische Partei bildete, die sich vom Könige bevollmächtigen ließ, griechische Sitten einzuführen. Man begann, die Beschneidung zu unterlassen oder unkenntlich zu machen; in Jerusalem wurde ein Gymnasium gebaut, 1. Makk. 1, 12ff. Im Gegensatz zu der judenfreundlichen Politik seines, bei einer Tempelplünderung in Elam umgekommenen Vaters, ging Seleukos IV. Philopator (187–175) zur rücksichtslosen Behandlung der Juden über. So sandte er den Reichsbeamten Heliodor nach Jerusalem, um die Tempelschätze auszubeuten. Noch schlimmer trieb es des Antiochos III. anderer Sohn und Nachfolger Antiochos IV. Epiphanes (175–164). In dem erneuten Kampf mit Ägypten um den Besitz Syriens, erzwang sich Antiochos IV. auf seinem ersten ägyptischen Feldzug, durch den Sieg bei Pelusium (171) über Ptolemaios VI. (181–146), den Eingang in das Nilland, und er würde sich auf seinem zweiten Feldzug (168) ganz Ägyptens bemächtigt haben, wenn nicht, wie einst seinem Vater im Norden und Westen, so nun ihm im Süden die Römer, die eigennützigen Tutoren der ägyptischen Herrscher, entgegengetreten wären. Den Ärger über die durch C. Popilius Laenas erzwungene plötzliche Rückkehr aus Ägypten [2438] ließ Antiochos an den Juden aus, deren Hellenisierung durch die jüdischen Griechenfreunde ihm viel zu langsam vorzurücken schien. Das gab den Anlaß zum Ausbruch des jüdischen Religionskrieges, des ältesten bekannten Beispieles eines Religionskrieges überhaupt. Willkommene Handhabe zur Einmischung in die jüdischen Verhältnisse hat dem syrischen Könige die Spaltung der jüdischen Hohepriesterfamilie in die Partei der Altgläubigen und der Griechenfreunde und der damit im Zusammenhang stehende Kampf zwischen Oniaden und Tobiaden um das Pontifikat. 174 war der Hohepriester Onias III., ein Vertreter der Altgläubigkeit, von seinem griechisch gesinnten Bruder Jason = Jesu verdrängt worden, der sich von Antiochos die Hohepriesterwürde erkauft hatte. Jason betrieb erfolgreich die weitere Gräzisierung seiner Landsleute. Schließlich (171) erlag er aber einem anderen Verräter der jüdischen Sache, dem Tobiaden Menelaos, einem Mitgliede der jerusalemischen Geldaristokratie und Bruder jenes Simon, der den Heliodor auf die jerusalemischen Tempelschätze aufmerksam gemacht hatte. Unter Menelaos‚ der den Jason bei Antiochos durch größere Geldsummen ausgestochen hatte, nahm die Hereinziehung der Juden in das griechische Wesen ein noch schnelleres und kräftigeres Tempo an. Den Tücken des Menelaos fiel Onias III. zum Opfer, Dan. 9, 26. Als während des ersten ägyptischen Feldzuges das Gerücht sich verbreitete, daß Antiochos gestorben sei, versuchte Jason sich in Jerusalem wieder ans Ruder zu bringen. Er wurde aber von Antiochos, der es vor allem auf die Plünderung des Tempels abgesehen hatte, verjagt und Menelaos wurde von neuem als Hohepriester bestätigt. Jason floh schließlich nach Ägypten. Dorthin begab sich auch Onias IV., der Sohn Onias III., und gründete mit Erlaubnis des Ptolemaios VI., nach dem Vorbild des Jerusalemer Heiligtums, einen Judentempel in Leontopolis ca. 170, der bis 73 n. Chr. bestanden hat. Durch die erste Tempelschändung des Antiochos waren bereits die Jerusalemer Juden aufs tiefste verletzt. Die schlimmsten Leiden begannen aber für sie, nachdem der zweite ägyptische Feldzug des Königs verunglückt war. Antiochos mochte bei den Juden Parteinahme für die Ptolemäer wittern und haßte sie obendrein, weil sie seiner Idee eines durch die griechische Kultur geeinten Weltreiches widerstrebten. Zur Knebelung der Juden schickte Antiochos einen Beamten, der die Akra, d. i. die Davidsburg von Jerusalem in eine Zwingburg verwandelte. Alsdann verfügte der hellenomane König die Schändung des Tempels und des Sabbats, die Vernichtung der heiligen Bücher und das Verbot der Beschneidung. Auch sollten die Juden an den heidnischen Opfern teilnehmen und Schweinefleisch essen. Der König hatte also nichts geringeres vor, als das Judentum mit Stumpf und Stiel auszurotten. Da Antiochos mit dem Adel leichtes Spiel gehabt hatte, hoffte er durch seine Gewaltmaßregeln nun auch das jüdische Volk zum Abfall von der väterlichen Religion zu bringen. Aber gerade hier stieß er auf den härtesten Widerstand. Wohl folgten viele aus dem Volk dem Beispiel des unrechtmäßigen Hohepriesters und beugten sich dem Willen des Antiochos, andere flohen in die Schlupfwinkel des Landes, oder waren zum Martyrium entschlossen. Plötzlich brach aber der [2439] aktive Widerstand los, dessen Seele der Landpriester Mattathias aus Modeïn (= el midje nordwestlich von Jerusalem) samt seinen fünf heldenhaften Söhnen wurde. Mattathias erschlug einen Juden, der gerade das verlangte Götzenopfer vollzog und dazu den dabeistehenden syrischen Beamten. Das gab das Signal zum Aufstand, 167. Mattathias flüchtete mit seinen Söhnen in die Wüste und eröffnete von hier aus mit gleichgesinnten Volksgenossen den Kleinkrieg gegen die Heiden und die Apostaten im Lande. Nach dem Tode des bejahrten Mattathias (166) übernahm sein drittältester Sohn Judas, der den später auf die ganze Familie und alle Mitstreiter übertragenen Beinamen Maḳḳabi im Laufe des Kampfes erhielt, die Führung der Aufständischen. Die Gefahr für das Reich unterschätzend, beteiligte sich Antiochos nicht persönlich an dem Kampf, sondern zog, um Geld einzutreiben, nach Oberasien und ließ als Reichsverweser den Lysias zurück. Es gelang dem Judas 165 zuerst die syrischen Feldhauptleute Apollonius und Seron, letzteren bei Bet-Horon, hernach den Nikanor bei Adasar und Gorgias bei Emmaus und schließlich den Lysias bei Bet-Zur zu schlagen. Trotz der syrischen Besatzung der Burg konnte bereits Ende 165, angeblich am 25. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende und bei den Juden noch jetzt gefeierten Tag der Tempelweihe, der Tempel von den heidnischen Greueln gereinigt und der Kult wiederhergestellt werden. Zur Einschüchterung der Heiden und zur Stärkung der Juden in die Nachbarschaft unternommene Züge sicherten die bisherigen Errungenschaften. Da es um die Sache der Syrer schlecht stand, eilte Antiochos jetzt persönlich herbei, starb aber unterwegs (164). Obwohl Lysias energischer den Aufständischen nunmehr zu Leibe rückte und zusammen mit dem jungen König Antiochos V. Eupator‚ dessen er sich bemächtigt hatte, sie in Jerusalem einschloß, gewährte er ihnen doch, um sich gegen seinen Nebenbuhler, den von Antiochos IV. zum Reichsverweser für seinen Sohn eingesetzten Philippus Luft zu schaffen, 162 einen Frieden, bei dem er den Glaubensstreitern freie Religionsübung gestattete, die Besatzung aber in der Burg nicht aufhob. Damit war der eigentliche Religionskrieg zu Ende und die Makkabäer hätten jetzt denn auch das Schwert wieder in die Scheide stecken können. Sie meinten aber der Sache Israels und der eignen am besten zu dienen, wenn sie zu der religiösen Freiheit die politische hinzuerkämpften und die letztere verstanden sie im Sinne Deutero-Jesajas als die Aufrichtung eines jüdischen Weltreiches. In diesem Ziel waren sie mit den Altfrommen eins. Aber während der Verfasser der in der Zeit der syrischen Religionsnot entstandenen Danielapokalypse, einer der Vertreter des gesetzlichen Judentums, die Weltherrschaft an Israel nicht durch Menschenhand, sondern direkt vom Himmel her gelangen läßt, wollten die Makkabäer mit eigener Faust das jüdische Weltreich erkämpfen und hielten sich selbst für die berechtigten Herrscher darin. So geht das Streben der Makkabäer nun nach dem Besitz der politischen Macht. Sie erreichen ihr Ziel, kommen darüber aber in Konflikt mit den früheren Gesinnungsgenossen und fördern den Zusammenstoß des entstehenden neujüdischen Staates mit dem Weltreich, vertreten durch Rom.

Im J. 162 bemächtigte sich Demetrius I., der [2440] Sohn des Seleukos IV., des syrischen Thrones und beseitigte den Lysias und sein königliches Mündel. Auch setzte er den Krieg gegen Judas fort. Er übergab den durch den Tod des Menelaos erledigten Hohepriesterposten dem Ahroniden Alcimus und ließ ihn durch seinen Feldherrn Bakchides in Jerusalem einführen. Obwohl Griechenfreund, wurde Alcimus wegen der Legitimität von den verschiedenen jüdischen Parteien, ausgenommen von Judas und seinem Anhang, anerkannt, konnte sich aber, sobald Bakchides ihn verlassen, nicht halten. Der von Demetrius gesandte Feldherr Nikanor wurde von Judas zwischen Bet-Heron und Adasa 161 geschlagen, Judas selbst aber verlor, trotz seines Bündnisses mit den Römern, noch in demselben Jahre gegen Bakchides Schlacht und Leben bei Elasa. Durch den Fall des tapferen Judas schien die Herrschaft der Syrer fester denn je wieder aufgerichtet zu sein. Aber die inneren Zwistigkeiten, die das Seleuzidenhaus erschütterten, ließen die Nachfolger des Judas Vorteile für sich gewinnen und so ihrem Ziele näherkommen. Führer der nationalen oder der Kriegspartei wurde des Judas jüngster Bruder Jonathan (161–143). 160 starb Alcimus, der Posten blieb aber unbesetzt. Jonathan konnte zunächst sich nur als Bandenführer mühsam durchschlagen und kam erst durch den Thronstreit zwischen Demetrius I. (162–150) und einem angeblichen Sohn des Antiochos IV., Namens Alexander I. Balas (153–145), in die Höhe. Die Gegner bewerben sich gleichzeitig um die Gunst Jonathans, und der schlaue Hasmonäer wußte von beiden Vorteile für sich zu erringen. Bei Demetrius setzte er durch den Abzug der syrischen Besatzungen außer in Jerusalem und Bet-Zur; auch verlegte Jonathan seinen Sitz nach Jerusalem und befestigte den Tempelberg. Von Alexander Balas ließ sich Jonathan 153 den noch unerledigten Hohepriesterposten übertragen. Unter oberherrlicher Zustimmung hatte so Jonathan die weltliche und geistliche Herrschaft in Israel unter seiner Hand. Als 150 Demetrius unterlag und Alexander sich mit Kleopatra, der Tochter des ägyptischen Königs Ptolemaios VI., verheiratete, durfte Jonathan in Ptolemais, mit dem Purpurmantel angetan, neben dem ägyptischen und syrischen König sitzen. Auch wurde er zum στρατηγὸς καὶ μεριδάρχης des syrischen Reiches ernannt, 1. Makk. 10, 65, wodurch Jonathan einer der mächtigsten Vasallen des Seleuzidenreiches geworden war. Als sich dann Demetrius II. (145–138) gegen Alexander erhob, schlug Jonathan den zu Demetrius abgefallenen Apollonius und erhielt zum Lohn philistäisches Gebiet. Trotz der Freundschaft mit Alexander war Jonathan, als jener durch die Tücke seines Schwiegervaters zugrunde ging, doch so angesehen, daß Demetrius II. die frühere Gegnerschaft vergaß und dem Jonathan seine bisherigen Würden bestätigte und ihm die Vereinigung der drei Bezirke Aphärema, Lydda und Ramathem mit dem jüdischen Gebiet gestattete. Da aber Demetrius schließlich gegen weitere Wünsche Jonathans taub blieb, schlug sich dieser auf die Seite des von dem syrischen Minister Trypho gegen Demetrius aufgestellten Gegenkönigs, eines Sohnes Alexanders, Antiochos VI. Von Trypho mit der Eroberung des mittleren und südlichen Syriens beauftragt, unterwarf Jonathan Askalon [2441] und Gaza, schlug den Demetrius bei Hazor in Galiläa und zog in Damaskus ein. Die der Freundschaft der Römer, der Feinde der Syrer, sich erfreuende zunehmende Macht der Hasmonäer war aber dem Trypho, der selbst nach der Krone von Syrien trachtete, ein Dorn im Auge. Er lockte daher den Jonathan nach Ptolemaïs und beseitigte ihn (145). Seinen Gegnern an Treulosigkeit und Eigennutz gewachsen, verdient doch der Diplomat Jonathan den Ruhm, neben seinem Bruder, dem heldenhaften Judas, den Grund zu der hasmonäischen Herrschaft und der Freiheit des Volkes gelegt zu haben. Die Juden machten nun den Simon, den Staatsmann unter den Söhnen des Mattathias, zu ihrem Führer. Er schloß mit Demetrius II. Frieden und erlangte von ihm gänzliche Steuerfreiheit des jüdischen Gebietes. Das J. 142, in das dieses Ereignis fällt, zählen die Juden als erstes Jahr der Freiheit. Noch im gleichen Jahr nötigte Simon die Besatzung auf der Akra in Jerusalem zum Abzug. Das dankbare jüdische Volk beschloß nun, daß Simon erblicher ἡγούμενος καὶ ἀρχιερεύς, 1. Makk. 14, 41, sei. Die Anerkennung der neuen Dynastie durch Rom krönte das kühne Werk der Erhebung Israels zur politischen Selbständigkeit, die ihm seit 734 verloren war, aber nur bis 63. v. Chr. währte. Simons Regierung war kurz, aber glücklich. Es gelang ihm ein Sieg über Ceudebaeus, den Feldherrn des Bruders des zweiten Demetrius, Antiochos VII. Sidetes, der nach der Beseitigung Tryphos (138) die Einheit des syrischen Reiches herstellte und die im Süden gefährlichen Juden bekriegte‚ Simon selbst endete durch Meuchelmord. Er wurde samt seinen zwei ältesten Söhnen durch seinen nach der Herrschaft strebenden Schwiegersohn Ptolemaios auf der Burg Dok bei Jericho ermordet (135). Der dritte Sohn, Johann Hyrkan, der dem Vater (135–105) folgte, konnte sich anfangs nicht gegen die Syrer halten und mußte sich zu einem drückenden Frieden bequemen. Als aber nach dem Tode Antiochos VII. im Kampf gegen die Parther das Syrerreich wieder durch Thronkämpfe ohnmächtig wurde, gelang es dem Johann Hyrkan durch Eroberungen das jüdische Reich nach dem Umfang des alten davidischen herzustellen. Er unterwarf 126 die Edomiter und zwang ihnen die Beschneidung auf. 107 zerstörte er das verhaßte Samaria, dem Tempel auf dem Garizim hatte er schon 128 den Garaus gemacht. Das religiöse Schisma blieb aber bestehen. Während Hyrkans Regierung begann bereits der verhängnisvolle innere Kampf zwischen den Pharisäern und Sadduzäern um den Einfluß auf den Volksfürsten. Unter den Altgläubigen, die bei Beginn des makkabäischen Religionskampfes als die Gruppe der Chasidim auftreten und in den nächsten Jahrzehnten treu zur Sache des gesetzlichen Judentums hielten, bildeten die Pharisäer das gelehrte und strengere Element. Sie sind die Überfrommen, die Separatisten (= Peruschim), die den von Esra und Nehemia geförderten Exklusivismus gegen alles Nicht- und Halbjüdische anwenden und die jüdische Reinkultur durch immer weitere Ausspinnung des Gesetzes Mosis pflegen. Ihr letztes Ziel und der Lohn für die selbstquälerische Erfüllung der tausenderlei levitischen Reinheitsvorschriften ist das ganz wie im Danielbuch, durch göttliche Intervention herbeikommende messianische Reich, oder die Aufrichtung [2442] des jüdischen Weltregimentes, an dem die verstorbenen kommen Juden durch Totenauferstehung teilnehmen. Im Gegensatz zu den Pharisäern, den Beherrschern der Schulen und der im Exil aufgekommenen und sich dann immer mehr verbreitenden Synagogen, sind die Sadduzäer (die bene Sadok) der im Hohen Rat sitzende alte Jerusalemer Priesteradel. Sie paktieren mit dem die Berührung mit den Heiden nicht vermeiden könnenden praktischen Leben und halten sich, da sie Juden sein wollen, sich aber durch die auf Abschluß gegen die Heiden zielenden vielen und umständlichen äußeren Reinheitsregeln der Pharisäer beengt fühlen, wie die Samaritaner an die Bräuche des Pentateuchs, der ihnen zugleich Amt und Würde sichert. Auch in der Politik sind sie Realisten. Zufrieden mit der Gegenwart, die ihrer Klique die Herrschaft über das Volk sichert, lehnen sie kühl die glühenden Zukunftsträume der Pharisäer ab. Ihr Parteistandpunkt machte sie zu Freunden der immer mehr verweltlichenden Hasmonäer, während die Pharisäer bereits von Hyrkan die Niederlegung der Hohepriesterwürde verlangten, weil diese an und für sich den Hasmonäern nicht zustand und durch die Verbindung mit dem Volksfürstentum in einer Person verunreinigt schien, Antiq. X 10, 5. Nach Hyrkans Tode entartete das Hasmonäertum immer mehr und glich ganz den durch alle Greuel der Schande und des Verbrechens heruntergekommenen Seleuziden und Ptolemäerdynastien. Da Hyrkan selbst seinen fünf Söhnen nichts Gutes zutraute‚ hatte er seiner Witwe die Herrschaft übertragen. Aber Aristobul I. (Judas) riß die Regierung an sich, ließ die Mutter Hungers sterben, setzte drei seiner Brüder gefangen und tötete den vierten. Er selbst nahm den Königstitel an und begann die Judaisierung des Ituräergebietes im Norden, starb aber schon nach einem Jahre (104). Auf Aristobul folgte sein Bruder Alexander Iannai (Jonathan), 104–76, dem die Witwe des Verstorbenen Alexandra-Salma Krone und Hand reichte. Alexander, der am meisten entmenschte unter den Hasmonäern, wollte die Politik seines Vaters fortsetzen und die Grenzen des Reiches erweitern. Ein Feldzug gegen Ptolemais bekam ihm aber anfangs schlecht, indem er durch Ptolemaios Lathyrus von Cypern zurückgetrieben wurde, bis diesen die auf die Erfolge ihres Sohnes eifersüchtige Mutter Kleopatra von Ägypten verdrängte. Hernach unternahm Alexander Züge in das Ostjordanland und unterwarf im Westen die Küste südlich von Ptolemais. Das wechselnde Glück der meist mit fremdem Gesindel geführten Kriege benützten die von dem Könige zurückgesetzten Pharisäer um das Volk gegen den allerlei Lastern ergebenen Hohepriester aufzuhetzen. Bei der Rückkehr des Königs von einem verunglückten Zuge gegen den Araberfürsten Obedas brach ein sechsjähriger Bürgerkrieg aus, in den sogar zeitweise der von den Gegnern des Königs herbeigerufene Seleukide Demetrios III. Eukärus eingriff. Von letzterem bei Sichern geschlagen und ins Gebirge flüchtend, verdankte Alexander seine Rettung einigen Tausend treu zu ihm haltender Juden. Wieder oben aufgekommen, nahm nun Alexander grausamste Rache an seinen von ihm abgefallenen Landsleuten. Die letzten Jahre seiner Regierung verwickelten ihn wieder in Kämpfe mit den Arabern, vermutlich den nach Norden vorstoßenden [2443] Nabatäern. Er starb während der Belagerung der Festung Ragaba im Ostjordanland. Sterbend soll Alexander seine Gemahlin zur Nachfolgerin (76–67) eingesetzt und ihr den Rat gegeben haben, mit den Pharisäern, den Vertretern der öffentlichen Meinung, Frieden zu schließen. Alexandra übergab das Hohepriestertum ihrem Sohn, dem schwerfälligen und schwachköpfigen Hyrkan II., der auch König werden sollte, während der verwegene und glänzende Aristobul II. von den Regierungsgeschäften ferngehalten wurde. Durch die Trennung des obersten geistlichen und weltlichen Amtes gewann der von Alexander in Hintergrund geschobene Hohe Rat nun wieder mehr Geltung. Wichtiger ist, daß unter Alexandra die Pharisäer Sitz und Stimme im Synedrium erhielten, wodurch die bisherigen beati possidentes, die Sadduzäer, sich zurückgesetzt fühlten. Der nach dem Tode Alexandras zwischen den ungleichen Söhnen ausbrechende Streit um die Herrschaft gab den Römern die erwünschte Gelegenheit, zum eigenen Vorteil zu intervenieren und das noch fehlende Stück in dem um das Mittelmeer reichenden Ring der römischen Weltherrschaft zu ergänzen. Hyrkan wurde von Aristobul bei Jericho besiegt und schloß, nur geringen Widerstand in Jerusalem noch leistend, Friede, unter Verzicht auf alle weltlichen und geistlichen Würden. Aufgereizt von dem schlauen Statthalter Idumaeas, Antipater, dem der schlaffe Hyrkan als König lieber war, als der tatkräftige Aristobul, entfloh Hyrkan nach Petra zu dem Araberfürsten Aretas III., der ihn mit Waffengewalt nach Jerusalem als König zurückführte und den sich tapfer verteidigenden Aristobul auf dem Tempelberge belagerte. Das war zur Zeit, als Pompeius zur Ordnung des Ostens in Kleinasien erschien (65) und die Reste des seleukidischen Reiches als römische Beute einheimste. Zuerst wurde der von Pompeius nach Syrien gesandte Legat Scaurus von den Streitenden angegangen und entschied sich für Aristobul; hernach Pompeius, als er 63 nach Damaskus kam. Auch eine gegen beide Brüder agitierende Gesandtschaft erschien und verlangte Wiedereinsetzung der alten Priesteraristokratie. Pompeius hatte es nicht eilig mit seinem Entscheid. Als aber Aristobul darüber aufgebracht, es an dem nötigen Respekt vor der Großmacht fehlen zu lassen schien und sich zum Kampfe vorbereitete, ließ Pompeins sofort die Legionen hinter ihm drein bis vor Jerusalem marschieren, wo er ihn gefangen setzte. Hyrkans Anhang öffnete freiwillig die Tore der Hauptstadt, während die Partei Aristobuls sich auf dem Tempelberg drei Monate lang verteidigte. Schließlich wurde der heilige Platz mit dem Tempel von Pompeius erobert. Das Königtum wurde abgeschafft, Hyrkan blieb Hohepriester, wurde aber zinspflichtiger, dem Statthalter von Syrien untergeordneter Volksfürst, während Aristobul mit seinen Kindern nach Rom zum Triumph geführt wurde. Die von den Hasmonäern eroberten nichtjüdischen Städte im Osten und an der Küste wurden von dem jüdischen Gebiet abgetrennt und zu der von Pompeius aus den westlichen Teilen des seleuzidischen Reiches gebildeten Provinz Syria zugefügt. Die ostjordanischen Städte schlossen sich zu der sog. Dodekapolis zusammen. Das war das vorläufige Ende der jüdischen Freiheit! [2444]

13. Der Untergang des jüdischen Gemeinwesens (63 v. bis 185 n. Chr.). Bearbeiten

Die beiden nächsten Jahrzehnte sind ausgefüllt mit dem Bestreben des verbannten Aristobul samt seiner Söhne, die ihnen entrissene Herrschaft über die Juden wiederzugewinnen. Diese Absichten werden durchkreuzt und schließlich vereitelt durch die Vorkehrungen des klugen Edomiters Antipater und seines tatkräftigen und herrschsüchtigen Sohnes Herodes, die sinkende Macht der Makkabäer auf die eigene Familie überzuleiten. Hasmonäer und Herodianer stützten sich auf das wechselnde Kriegsglück der die Oberleitung der römischen Verhältnisse führenden Partei des Caesar und des Pompeius.

Im J. 57 versuchte der dem Pompeius entflohene Sohn Aristobuls, Alexander, sich der Herrschaft in Palästina zu bemächtigen. Er riß die Festungen Alexandreion, Hyrkania und Machärus an sich, wurde aber schließlich von dem Proconsul Gabinius bei Jerusalem besiegt und ergab sich in der Festung Alexandreion, erhielt aber die Freiheit wieder. Um das Land zu beruhigen, beschränkte Gabinius den Hyrkan auf die geistliche Würde und teilte sein Gebiet in die fünf selbständigen Verwaltungsbezirke Jerusalem, Gazara, Amathus, Jericho und Sepphoris. Als dann Aristobul, der mit seinem Sohn Antigonus aus Rom entkommen war, in Palästina (56) erschien, wurde ler von Gabinius in Machärus gefangen und nach Rom zurückbefördert. Während Gabinius in Ägypten zu tun hatte, versuchte Alexander zum zweiten Male in Palästina einzudringen. Als Gabinius aber zurückkehrte, wurde Alexanders Heer am Tabor (55) besiegt. Im J. 54 fielen die Schätze des Jerusalemer Tempels der bekannten Habgier des Crassus zum Raube. Nach dem Tode des Crassus im Kampf gegen die Parther bei Carrhae (53), wurde ein von Pitholaus erregter Judenaufstand durch den Quaestor C. Caius Longinus durch den Sieg am Gennesarsee niedergeschlagen. 49 floh Pompeius von Italien und bemächtigte sich Caesar Roms. Um die Pompeianer in Syrien zu bekämpfen, gab Caesar dem Aristobul die Freiheit und verlieh ihm zwei Legionen. Doch bevor Aristobul Rom verließ, wurde er von Anhängern des Pompeius vergiftet, während sein Sohn Alexander auf den Befehl des Pompeius in Antiochia ermordet wurde. Hyrkans und Antipaters Glückstern begann nun von Neuem zu steigen. Sie schwenkten zu Caesar ab und erhielten von ihm für treue Dienste während des Alexandrinischen Krieges (47) reichen Lohn. Hyrkan wurde erblicher Fürst (Ethnarch) der Juden. Auch durfte er Jerusalem befestigen und wurde befreit von Steuern und Kriegslasten. Das jüdische Gebiet wurde durch die Ebene Jesreel und die Hafenstadt Joppe erweitert. Antipater wurde in seiner Würde als Major domus bestätigt. Die Ansprüche des Antigonus auf den jüdischen Thron blieben unbeachtet. Bei der Untätigkeit Hyrkans war es dem Antipater jetzt ein Leichtes, das Regiment über die Juden ganz in seine Gewalt zu bekommen. Er ernannte sogar seine beiden Söhne zu Statthaltern, Phasael in Jerusalem und im Süden, Herodes in Galiläa. Nun endlich gingen den jüdischen Aristokraten die Augen über des ehrgeizigen Antipaters eigentliche Ziele auf. Sie erreichten bei Hyrkan, daß er den [2445] Herodes, der eigenmächtig den Räuberhauptmann Ezechias in Galiläa nebst seinem Anhang beseitigt hatte, zur Verantwortung vor den Hohen Rat in Jerusalem zitieren ließ. Herodes ließ sich dadurch so wenig einschüchtern‚ daß er vielmehr, gestützt auf den Statthalter von Syrien, Sextus Caesar, durch sein brüskes Benehmen die Ratsherrn in Jerusalem erschreckte und bald darauf sogar mit einem Heere vor Jerusalem erschien. Nur durch Antipaters Dazwischentreten wurde damals ein Blutbad unter den Juden verhütet (47/46). Nach Caesars Ermordung (44) wechselten Antipater und Herodes die Farbe und bemühten sich mit Erfolg um die Gunst von Caesars Mörder Cassius, der Ende 44 nach Syrien gekommen war und sich zum Herrn der Lage gemacht hatte. Wie schon von Sextus Caesar, wurde Herodes von Cassius für geleistete Dienste zum Statthalter von Coelesyrien ernannt. Bald hernach (48) fiel Antipater als Opfer des Hasses der jüdischen Aristokraten. Sie gewannen einen vornehmen Araber, Malichus, der im Dienste Antipaters stand und wie dieser nach einer einflußreichen Stellung trachtete. Im Einvernehmen mit Hyrkan ließ Malichus den Antipater, während er bei Hyrkan speiste, vergiften. Malichus selbst kam aber dann bei Tyrus durch Meuchelmörder ums Leben, die Herodes, um den Tod seines Vaters zu rächen, im Einverständnis mit Cassius, gegen ihn gesandt hatte. So war ein erster Ansturm gegen die steigende Macht der Idumäer gebrochen. Auch ein abermaliger Versuch des Antigonus, sich in Palästina Geltung zu verschaffen, wurde von Herodes vereitelt, dessen Ansprüche auf die Herrschaft (42), durch seine Verlobung mit Mariamme, der Enkelin Hyrkans und Tochter des von Pompeius ermordeten Alexander, vor der Öffentlichkeit eine gewisse Anerkennung fanden. Als dann nach der Schlacht bei Philippi (42) ganz Asien dem Antonius in die Hände fiel, wußte Herodes, auf wen er seine weiteren Hoffnungen zu setzen hatte. Er schwenkte also zu Antonius über und der ehemalige Gastfreund seines Vaters Antipater (57–55) machte Phasael und Herodes zu Tetrarchen des jüdischen Gebietes (41). Hyrkan, dem das Regieren keine Freude machte, war nun von seiner politischen Stellung ganz befreit.

Noch einmal wurde die Zähigkeit des Herodes in der Erreichung seines Zieles durch den Einfall der Parther unter Pacorus und Barzaphranes in Palästina (40) auf die Probe gestellt. Von Feinden der caesarischen Partei herbeigerufen, verhalfen sie dem Antigonus auf den väterlichen Thron (40–37). Der alte Hyrkan wurde von Antigonus durch Verstümmelung unfähig für das Hohepriestertum gemacht. Phasael endete als Gefangener der Parther durch Selbstmord. Herodes flüchtete nach dem Süden und begab sich über Alexandria nach Rom und suchte hier die Entscheidung seiner Sache. Von Antonius und Octavianus empfohlen‚ wurde er durch den Senat, zum König der Juden (Ende 40) ernannt. Sofort machte sich nun Herodes auf, dem Antigonus die Herrschaft zu entreißen. Während der Statthalter Ventidius (39) die Parther aus dem Lande trieb, eroberte Herodes Joppe, entsetzte seinen in Masada eingeschlossenen Bruder Josef und erschien noch 39 vor Jerusalem, konnte aber wegen der Unverläßlichkeit der römischen [2446] Truppen unter Silo zunächst nichts erreichen und mußte sich nach Galiläa zurückziehen. Eine ehemalige Verzögerung, hart am Ziel, trat durch den erneuten Einfall der Parther in Palästina 38 ein. Erst als sie wiederum von Ventidius geschlagen und Herodes von Antonius, als dieser persönlich zur Belagerung von Samosata in Kommagene erschienen war, römische Unterstützung zugesichert erhielt, konnte er von neuem (38) den Kampf gegen Antigonus aufnehmen. Er schlug den Feldherrn desselben, Pappus, bei Isana und eroberte mit Hilfe des römischen Feldherrn Sosius 37 Jerusalem. Mitten hinein in die Kämpfe um Jerusalem fällt die Hochzeit des Herodes mit Mariamme in Samaria. Antigonus wurde auf Wunsch des Herodes, der an ihm den Tod seines Bruders Josef rächen wollte, auf Befehl des Antonius in Antiochia hingerichtet. So ging der letzte Schimmer des hasmonäischen Königshauses, infolge des ehrgeizigen Zwistes der einzelnen Glieder, im blutigen Bürgerkrieg zu Grabe, und – welche Ironie des Schicksals! – ein Emporkömmling aus Edom, dessen Niederwerfung die Haupttat Davids, des eigentlichen Begründers des Reiches Israel, gewesen war, wurde der Anfänger der letzten Königsdynastie der Juden und zugleich der Heraufführer einer augusteischen Ära des Glanzes, die manchem Juden das Gekommensein des messianischen Reiches, den Strenggläubigen aber der satanische Widerschein desselben bedeutete.

Die Regierung des Herodes (37–4) stand unter einem doppelten Unstern, 1. der Verschwägerung mit dem Hasmonäerhause, 2. der Herrschaft über ein Volk, dessen Religion ein irdisches Königtum, zumal eines halbjüdischen Römlings nicht mehr vertrug.

Eine 1. Periode, 37–27, ist mit der Befestigung der Macht des Herodes nach Außen und Innen erfüllt. Die mit Widerstreben aufgenommene Herrschaft des Herodes konnte, wie durch römische Söldlinge, so besonders nur durch zahlreiche Hinrichtungen aufrechterhalten werden. Die Anhänger des Antigonus wurden durch Tötung von ca. 45 Vornehmen eingeschüchtert. Den größten Haß gegen seine Herrschaft vermutete Herodes, und zum Teil mit Recht, bei den Hasmonäer, mit denen Herodes sich durch Heirat verbunden hatte. An Stelle des zum Pontificat untauglichen Hyrkan, der 36 aus parthischer Gefangenschaft zurückkam‚ hatte Herodes einen gewissen Ananel zum Hohepriester gemacht und dadurch seine Schwiegermutter Alexandra, die Tochter Hyrkans, gereizt, die ihren eigenen jugendlichen Sohn Aristobul, den Bruder Mariammes, gern als Hohepriester gesehen hätte. Alexandra steckte sich hinter Kleopatra, die durch Antonius den Herodes bearbeiten sollte. Dieser gab scheinbar nach, ernannte Aristobul zum Hohepriester, ließ ihn aber (35) im Bade in Jericho ersticken. Deshalb von Antonius 34 nach Laodicea zur Verantwortung geladen, wußte er sich dessen Gunst durch Geschenke zu erhalten. Aus Freundschaft für Antonius mußte Herodes es sich gefallen lassen, als dieser, seiner Liebe zu der habgierigen Kleopatra unter den ihr geschenkten Gebieten, von dem eigenen Königreiche die herrliche Landschaft Jericho opferte (34). Ein Glück für Herodes war es, daß ihn ein im Auftrag Kleopatras unternommener Feldzug gegen die unbotmäßigen [2447] Araber beschäftigte, während die Feindseligkeiten zwischen Antonius und Octavian ausbrachen. Dadurch wurde dem gewandten Idumäer der Übertritt zu Octavian‚ dem Sieger bei Actium (31), bedeutend erleichtert. Bevor er aber mit Octavian in Verhandlung trat, räumte Herodes seinen alten Wohltäter Hyrkan, der für ihn als etwaiger Konkurrent für den Thron in Betracht kam, (30) beiseite. Alsdann reiste Herodes zu Octavian nach Rhodus und wurde von ihm als König bestätigt, auch erhielt er von ihm, nach dem Tode des Antonius und der Kleopatra, nicht nur das Gebiet vonJericho zurück, sondern dazu noch Gadara, Hippos, Samaria, Gaza, AnthedonJoppe und Stratonsthurm. Während so die äußeren Verhältnisse sich für Herodes sehr günstig gestalteten, forderte die blutige Tragödie im Hause des Herodes neue Opfer, zuerst die leidenschaftlich von dem König geliebte Mariamme. Herodes gab den Verleumdungen seiner Mutter Kypros und seiner Schwester Salome Gehör und ließ Mariamme wegen Untreue und Giftmischerei hinrichten (29). Bald hernach folgte ihr die intrigante Alexandra.

Eine 2. Periode (27–14) kennzeichnet sich durch großartige Bauten und überhaupt durch Entfaltung höchsten Glanzes. Als getreuer Anhänger des römischen Kaisers suchte Herodes im Sinn der damaligen Zeit durch Bauten und Benennung derselben mit dem Namen des Kaisers, den Caesarenkult zu fördern. So baute Herodes Samaria neu und nannte es zu Ehren des Augustus Sebaste (27). Oder so führte er bei Stratons Turm die prächtige Hafenstadt Caesarea auf, die bald der wichtigste Platz Palästinas war und Residenz der Procuratoren wurde. In Jerusalem erhob sich ein, die Taten des Caesar durch Bilder und Trophäen verherrlichendes Theater, und außerhalb der Stadt ein Amphitheater, für das Herodes nach damaligem Zeitgeschmack zu Ehren des Augustus vierjährige Kampfspiele einrichten ließ. Für sich selbst baute Herodes in Jerusalem einen von Gold und Marmor strotzenden Palast (d. i. das Propraetorium in der Weststadt). Bereits zur Zeit des Antonius hatte Herodes die im Nordwesten des Tempelplatzes gelegene Burg neu befestigt und zu Ehren seines damaligen Gönners Antonia benannt. Zum Eigenruhm baute Herodes zwei Festungen, die er Herodeion nannte. Gleiche Huldigungen ließ er u. a. seinem Vater Antipater‚ seiner Mutter Kypros und seinem Bruder Phasael zu teil werden. Besondere Liebe verwendete er auf den Neubau und die Ausschmückung der Stadt Jericho, die er zu einer griechisch-römischen Weltstadt und zugleich zu einer amüsanten Winterresidenz erhob, wo er auch im J. 4 v. Chr. gestorben ist. Die Bautätigkeit des Königs erstreckte sich auch auf nichtjüdische Städte in seinem Reiche und die Städte der Provinz Syrien. Namentlich suchte Herodes durch zahlreiche Prachttempel, z. B. in Caesarea und Samaria, zum Ruhm des Kaisers gebaut, von sich reden zu machen. Auch unterstützte er öffentliche und gemeinnützige Bauten im Ausland durch namhafte Geldspenden. Bis nach Athen und Lakedaimon drang der Ruhm des einen Salomo in Schatten stehenden eitlen jüdischen Bauherrn. Wie einst Salomo in jeder Weise die fremde Weltweisheit begünstigte, so förderte auch Herodes [2448] die damalige Herrenkultur. Er zog griechische Gelehrte aller Art an seinen Hof, u. a. den bekannten Geschichtsschreiber Nikolaos Damaskenos. Herodes war innerlich viel mehr Grieche denn Jude. Wie einst Salomo über seinem Kulturstreben mit der Eigenart seines Volke in Konflikt geriet, so noch weit mehr Herodes. Hatte doch inzwischen, dank insbesondere der Vorherrschaft der Pharisäer die Entwicklung des Judentums eine so bestimmte Richtung angenommen, daß durch die bloße Duldung, geschweige gar Gleichgültigkeit dagegen oder Nichtberücksichtigung, der Gegensatz nur verschärft wurde. Verfiel auch Herodes nicht auf die tolle Idee des Antiochus Epiphanes, die Juden zwangsweise zu hellenisieren oder romanisieren, so glaubte er doch durch die geflissentliche Schaustellung der griechisch-römischen Kultur im Lande Jahwes die Juden zum Bewundern und Aneignen derselben erziehen und sie so allmählich zu Römern machen zu können. Aber darin täuschte er sich, er reizte vielmehr durch seine stillen Absichten die Juden zum Widerspruch. Mehr als einmal bekam er ihre tiefe Abneigung gegen seine römerfreundliche Regierung zu erfahren. Schon im J. 25 hatten sich zehn Bürger verschworen, den König im Theater zu ermorden. Der Plan wurde verraten und die Verschwörer büßten es mit dem Leben, das Volk selbst aber zerriß den Verräter in Stücke. Durch Polizisten, Söldnertruppen, Festungen und Hinrichtungen glaubte Herodes die steigende Volksmißgunst niederhalten zu können. Doch die Juden ließen sich dadurch nicht einschüchtern. Sie verweigerten 2mal den verlangten Untertaneneid. Trotz allen Mißgriffen und Grausamkeiten, die nur dazu dienten, die Herrschaft des Herodes so unpopulär wie möglich zu machen, soll doch nicht verschwiegen sein, daß dieser brutale und schauspielernde Gewaltmensch auch viel Gutes und Nützliches für sein Volk getan hat – auch hierin ganz das Nachbild der Caesaren! Durch Herodes kam vielfach römische Ordnung in den Orient. Wie Herodes bereits einst dem Räuber Ezechias in Galiläa das Handwerk legte, so suchte er auch später allem Frevel und aller Gewalt im Lande zu steuern. Auch kolonisierte er unwirtliche Gebiete im Osten des Gennezarsees. Zur Zeit einer Hungersnot und Pest im J. 25 nahm er sich der Betroffenen rege an. Oder so erließ er im J. 20 1/3 und im J. 14 ¼ der Steuern. Mit der Anlage von Wasserleitungen und Bädern machte er sich um die Volkswohlfart sehr verdient. Die wichtigste politische Rolle, die im Rahmen der römischen Weltherrschaft Juda zufallen konnte, hatte Herodes für sein Land erreicht. Er war rex socius, an und für sich eine höchste Auszeichnung. Die Herrschaft des Rex socius war keine erbliche Monarchie, sie bedurfte für den jedesmaligen Inhaber der Bestätigung durch den Kaiser. Durfte der Rex socius auch keine Bündnisse mit andern Völkern eingehen und keine selbständigen Kriege führen und hatte er auch nur beschränktes Münzrecht, so besaß er doch weitgehende Freiheiten in der inneren Verwaltung und in der Rechtspflege. Freilich mußte er auch jede Gelegenheit benützen, dem Kaiser seine Ergebenheit zu beteuern und sich seiner Gunst zu versichern. Für solche Zwecke waren Reisen zum [2449] Kaiser und Zusammenkünfte sehr beliebt, besonders auch um neue Hulderweise und Zugeständnisse zu erlangen. So hat auch Herodes mehrmals Huldigungsvisiten dem Kaiser abgestattet und ihm auf Märschen das Ehrengeleite gegeben. Die Freundschaft mit dem Kaiser ließ auch auf Herodes von dessen Ansehen etwas übergehen. Auch trug sie die gewünschten Früchte. Zu den Gebietsschenkungen im J. 30 fügte Augustus im J. 28 zum Dank für geleistete Dienste beim Feldzuge des Aelius Gallus gegen Arabien die Landschaften Trachonitis, Batanaea und Auranitis hinzu, und einige Jahre später die Tetrarchie des Zenodorus, die Landschaften Ulatha und Panias nördlich vom Gennezarsee. Außerdem wurde Pheroras, der Bruder des Herodes, zum Tetrarchen von Peraea ernannt. Den Juden in der Diaspora sicherte Herodes ihre Rechte gegenüber den Nichtjuden. So hätten die Juden mit den Erfolgen es Herodes recht zufrieden sein können. Aber Herodes tat noch mehr! Er baute seit dem J. 20 den Tempel des Serubabel auf das Prächtigste um. Genügte er einerseits damit seiner Eitelkeit und Prunksucht, so wollte er gleichzeitig dadurch die Volksgunst gewinnen. Als dann gar im J. 15 Agrippa, des Augustus Freund und Schwiegersohn, mit dem Herodes gleichfalls in freundschaftlichem Verkehr stand, in Erwiderung eines Besuches, den ihm Herodes in Mytilene (23–21) abstattete, nach Juda kam und im Tempel eine Hekatombe opferte, da war ganz Israel durch das Erscheinen des vornehmen judenfreundlichen Römers berauscht und begleitete ihn auf der Heimreise, Blumen streuend und Segenswünsche zurufend, zum Schiff. Damals stand Herodes auf dem höchsten Gipfel seiner Macht und seiner Volksbeliebtheit. Aber es waren rasch vorübergehende Augenblicke! Auf die Dauer merkte das Volk, daß es um eitlen, fremden Prunkes willen an Rom verkauft werden solle. Vollständige Freiheit von den Heiden, statt eines irdischen Herrschers unmittelbares göttliches Regiment, als Surrogat oder als Stellvertreter ein Davidide, im Innern das Gesetz Mosis – das waren die Ideale des pharisäisch gerichteten Judentums! Je mehr das Volk in die Weltkultur hineingeriet, desto mehr fürchtete es seine bevorrechtete Sonderstellung bei dem lieben Herrgott zu verlieren – denn trotz allen auf ihn gehäuften Universalismns, sollte der Gott der ganzen Welt und aller Menschen und Völker schließlich doch immer Israels Separatgott bleiben – der in Israel durch die Propheten aufgekommenen Weltreligion opponierte immer wieder die alte Volks- und Stammreligion, sie blieb auch die Siegerin im nachbiblischen Judentum, d. h. im Talmudismus!

Der dritte Abschnitt, 13–4 v. Chr., bringt die früh sich anbahnende blutige Tragödie im Hause des von Eifersucht beständig gequälten, überall Nachstellungen nach Thron und Leben witternden und Zuträgereien und Verleumdungen nur allzu leicht zugänglichen Königs zu ihrem erschüttemden Abschluß. Im J. 18/7 hatte Herodes die beiden Söhne der Mariamme, Alexander und Aristobul, die er, um sie dem Kaiser als Thronkandidaten zu empfehlen, nach Rom in das Haus des Asinius Pollio zur Erziehung gebracht [2450] hatte, wieder zurückgeholt. Bald hernach begann das Zerwürfnis mit dem Vater. Herodes argwöhnte in ihnen die Rächer ihrer hingerichteten Mutter; das hochfahrende Wesen der beiden Prinzen reizte die durch die Blutsverwandten des Herodes gebildete Gegenpartei. Von Augustus und Archelaos, dem König von Kappadokien und Schwiegervater des Alexander, herbeigeführte Versöhnungen waren nur vorübergehend. Als Herodes zur Einschüchterung der Mariammesöhne den von ihm verstoßenen Sohn Antipater, den er von seiner ersten Gattin Doris hatte, nach Jerusalem zurückkommen ließ, schürte dieser, um sich selbst den Weg zum Thron freizumachen, die Feindschaft zwischen dem Vater und den Halbbrüdern auf jede Weise. Schließlich wußte sich der durch die fortwährenden Klatschereien und Liebeshändel am Hofe und das ewige Intriguenspiel seiner Geschwister ganz nervös gemachte König nicht anders zu helfen, als daß er den Aristobul und Alexander in Samaria hinrichten ließ (7), nachdem er sich zuvor die Vollmacht dazu von Augustus erwirkt hatte. Es stand damals schlimm für Herodes bei dem Kaiser, dessen Gunst er sich durch eigenmächtiges Vorgehen gegen die Araber verscherzt hatte, und es bedurfte erst der ganzen Beredsamkeit des Nikolaos Damaskenos, um den Angustus mit Herodes auszusöhnen und letzterem freie Hand gegen die Söhne Mariammes zu verschaffen. Eine Zeitlang war nun Antipater die allmächtige Person am Hofe, bis ihn selbst das verdiente Schicksal erreichte. Herodes hatte den Antipater, den er in einem ersten Testament zu seinem Nachfolger ausersehen hatte, zur Vorstellung nach Rom geschickt. Als dann aber der König von den verbrecherischen Plänen des Antipater gegen ihn erfuhr, ließ er ihn nach seiner Rückkehr von Rom sofort gefangensetzen und ernannte in einem zweiten Testament seinen jüngsten Sohn Antipas, den er von der Samaritanerin Malthake hatte, zu seinem Nachfolger. Herodes war damals selbst schon schwer erkrankt. Fünf Tage vor dem eigenen Tode ließ Herodes den Antipater hinrichten. In einem dritten Testament hatte Herodes den Archelaos, seinen älteren Sohn von der Malthake, zum König, seinen Bruder Antipas und Philippus, den Sohn der Jerusalemerin Kleopatra, hingegen zu Tetrarchen eingesetzt. Herodes war wütend, als er merkte, daß seine Krankheit zum Tode führte; noch wütender aber machte ihn der Gedanke an die Schadenfreude des Volkes darüber. Als dieselbe sich in dem Herunterreißen des von dem König am Tempeltor angebrachten Adlers äußerte, ließ Herodes die Haupträdelsführer lebendig verbrennen. Kurz vor seinem Tode soll Herodes Befehl gegeben haben, die von ihm in der Rennbahn eingeschlossenen Vornehmsten der Juden hinzurichten, damit er eine anständige Totenklage habe. Ob der Befehl wirklich gegeben wurde, ist fraglich; ausgeführt wurde er nicht. Aber auf Herodes Wunsch wurde seine Leiche mit großem Pomp von Jericho nach Herodion (auf dem heutigen Frankenberge) geleitet und dort bestattet.

Herodes war nicht schlechthin ‚nur ein gemeiner Mensch‘. Man mag ihn maßlos sinnlich, [2451] eitel und grausam nennen – das waren aber ebenso die großen und kleinen Potentaten der damaligen Zeit, von denen mancher die Weltgeschichte bestimmend beeinflußt hat. Ein Mörder aus purer Mordlust wie Caligula, war Herodes nicht. Seine zahlreichen Morde im Volk und in der eigenen Familie sind, wenn auch nicht zu entschuldigen, zu erklären aus dynastischen Rücksichten und aus Selbsterhaltungstrieb. Persönlich tapfer und klug, eine robuste Herren- und Herrschernatur, war sein Unglück, daß er in seinem wilden Egoismus bei dem beginnenden und auf palästinischem Boden sich abspielenden Entscheidungskampf zwischen Imperium und Theokratie, Okzident und Orient auf die Seite der im Caesarenkult gipfelnden griechisch-römischen Kultur trat und so die Gegensätze zur höchsten Spannung brachte. Er ist mitverantwortlich an der Verblutung des Judentums in dem Kampf mit Rom – er hat aber auch wider sein Ahnen mit beigetragen zur Überwindung des Heidentums durch das Christentum, das die Versöhnung zwischen Orient und Okzident‚ Imperium und Theokratie brachte, Röm. 1, 16.

Das letzte Testament des Herodes wurde von Augustus gebilligt, mit der Abänderung, daß Archelaus die ihm zufallenden Gebiete Idumaea, Judaea und Samaria nur als Ethnarch, nicht als König erhielt. Antipas wurde Tetrarch von Galilaea und Peraea‚ und Philippus Tetrarch von Batanaea, Trachonitis, Auranitis und dem Bezirk des Zenodoros. Während die Verhandlungen in Rom über die Erbfolge des Herodes geführt wurden,brach unter den unzufriedenen Juden, über die Augustus während des Zwischenregiments einen Procurator namens Sabinus eingesetzt hatte, ein Tumult aus, der durch Räubereien und sonstige Übergriffe des Sabinus verschärft wurde und erst durch wiederholtes bewaffnetes Einschreiten des Legaten aus Syrien, Varus, seine Erledigung fand. Nach diesem vielsagenden Vorspiel begannen die Erben des Herodes ihre Herrschaft. Von kürzester Dauer war die Herrschaft des Archelaos (4 v.–6 n. Chr.). Da er willkürlich und grausam sein Amt verwaltete, gab Augustus den Beschwerden der Juden statt, setzte den Archelaos ab und verbannte ihn 6 n. Chr. nach Vienna in Gallien. Sein Gebiet wurde zur Provinz Syrien geschlagen, jedoch einem besonderen Procurator unterstellt (6–41). Der Procurator (ἐπίτροπος) leitete das Steuer-, Militär- und Gerichtswesen. Das letztere überließ er aber mehr und mehr dem Synedrium, das damals, nachdem es unter Herodes an Bedeutung sehr eingebüßt hatte, wieder obenauf kam. Der Kult stand unter römischem Schutz. Für den Kaiser wurde aber täglich zweimal geopfert. Auch mußten die Juden dem Kaiser den Treueid leisten. Als der Legat Quirinius 6 (oder 7?) in Judaea den römischen Census einführte, kam es unter den erregten Juden unter Führung des Pharisäers Sadduk und des Judas aus Gamala zur Bildung einer chauvinistischen Nationalpartei, d. i. der Zeloten, die die römische Steuer als Knechtschaftszeichen verwarfen und die Gottesherrschaft mit Gewalt herbeiführen wollten. Unter Tiberius (14–37) fungierte als 5. Procurator von Judaea Pontius Pilatus (26–36), der den Befehl zur Kreuzigung Jesu (ca. 30) gab. Dasselbe Schicksal wie die [2452] Herrschaft des Archelaos hatte auch die Tetrachie des Philippus (4 v.–34 n. Chr.), des tüchtigsten unter den Herodessöhnen. Er verwandelte das Fischerdorf Bethsaida in die Stadt Julias, zu Ehren der Tochter des Augustus, und baute sich in der Landschaft Panias als Residenz die Stadt Caesarea Philippi (d. i. das heutige Bânijas bei der östlichen Jordanquelle). Da seine Ehe mit Salome kinderlos blieb, wurde nach seinem Tode 34 seine Tetrarchie gleichfalls zur Provinz Syrien gezogen, kam aber im J. 37 durch die Gunst des Caligula (37–41) nebst der abilenisehen Tetrarchie an Agrippa I., einen Enkel des Herodes und der Hasmonäerin Mariamme. Zugleich erhielt Agrippa von seinem Jugendfreund Caligula den Königstitel. Antipas (4 v.–39 n. Chr.), der Landesherr Jesu, erbaute sich Tiberias am See zu seiner Residenz. Sodann befestigte er Sepphoris. Mit einer Tochter des Araberkönigs Aretas vermählt, verstieß er diese, um die ehrgeizige Herodias, die Frau seines Halbbruders Herodes und Schwester Agrippas I. zu heiraten. Wegen der Verstoßuug der ersten Frau kam es zwischen Aretas und Antipas zu einem Kriege, in dessen Verlauf (36) Antipas geschlagen wurde. Der Einfluß der Herodias stürzte Antipas ins Verderben. Im J. 29 setzte Antipas den Täufer Johannes in der Bergfeste Machaerus gefangen und ließ ihn auf Betreiben der Herodias hinrichten. Der Neid über das Glück ihres Bruders Agrippa ließ der Herodias keine Ruhe, sodaß sie ihren Gatten zu einer Romreise veranlaßte, um für sich auch den Königstitel zu erwirken. Jedoch Caligula verbannte den ihm durch Agrippa verdächtigten Antipater samt seinem Weib nach Lugdunum (= Lyon?). Die Tetrarchie des Antipas fiel nun auch an Agrippa. Unter dem Caesarenwahnsinn Caligulas hatten auch die Juden böse Zeiten. Über die Aufstellung der Kaiserstatue kam es zunächst in Alexandria zu einer Judenhetze (38), bei deren Beschwichtigung der nach Rom gesandte Philo eine wenig rühmliche Rolle spielte. Um ihrem Judenhaß einmal freien Lauf zu lassen, interessierten sich plötzlich auch die Bewohner von Samaria für den Kaiserkult (39). Eine jüdische Gegendemonstration veranlaßte den Befehl Caligulas, daß nun auch im Jerusalemer Tempel die Kaiserstatue aufgestellt würde. Nur durch die diplomatischen Künste des von den Juden mit Bitten bestürmten syrischen Statthalters Petronius wurde die Schändung des Tempels verhindert. Aber erst Caligulas plötzlicher Tod schob weiteren Schikanen einen Riegel vor. Zum Dank für die Unterstützung bei der Thronbesteigung übergab der Kaiser Claudius (41–54) dem König Agrippa 41 die Herrschaft über Judäa und Samaria. So vereinte Agrippa I. (41–44) noch einmal fast alle die Länder, die einst sein Großvater Herodes besessen hatte. Wie dieser war auch Agrippa nur äußerlich Jude, im Innern aber griechisch-gebildeter Römer. Trotzdem waren die wenigen Jahre seiner Regierung Zeiten der Ruhe und des Friedens für die Juden. Dem Streben des Volkes nach politischer Freiheit vermochte Agrippa keinen Vorschub zu leisten. Als er einmal zu größerer Selbständigkeit sich aufschwang und die nördliche Vorstadt mit einer Mauer versehen [2453] und nach Tiberias einen orientalischen Fürstentag einberufen wollte, wies ihn der syrische Statthalter Marsus in seine Schranken als König von Römers Gnade zurück. Um den Juden einen Gefallen zu tun, verfolgte Agrippa die junge Christengemeinde und ließ den Jakobus, den Bruder es Johannes hinrichten und den Petrus eine Zeitlang einkerkern. Als Agrippa I. 44 in Caesarea eines plötzlichen Todes starb, wurde sein Land wieder römische Provinz und war unter Procuratoren gestellt. Um sich nicht in die religiösen Angelegenheiten zu mischen, übertragen die Römer dem Herodes von Chalkis, einem Bruder Agrippas I., die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem und das Recht, den Hohepriester zu ernennen. Nach Herodes‘ Tode (48) folgte ihm sein Neffe Agrippa II., der Sohn Agrippas I., sowohl in seinem geistlichen Oberamt, als auch in seiner weltlichen Herrschaft, für die ihm 50 Claudius den Königstitel zubilligte. Wenige Jahre darauf (53) vertauschte aber Agrippa II. Chalkis mit der ehemaligen Tetrarchie des Philippus, wozu Nero (54–68) noch einige Städte in Galiläa und Peräa fügte. Trotz der Scheidung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment wollte sich aber kein Modus vivendi zwischen Römern und Juden herstellen lassen. Da die Procuratoren durch ihre sprichwörtliche Aussaugerpolitik das Volk aufs gröblichste reizten und es in seinen religiösen Empfindungen aufs geflissentlichste verletzten und die Juden ihrerseits in ihrem Römerhaß unnachgiebig waren und nach wie vor das direkte Eingreifen des Himmels zu ihren Gunsten erzwingen zu können meinten, so konnte eben das Ende der Dinge nur die Revolution sein. Angebliche Messiasse, wie Theudas, taten das ihre, die gereizte Stimmung zu vermehren. Theudas wurde von dem ersten Procurator Cuspius Fadus beseitigt, während der zweite Procurator Tiberius Alexander, selbst ein Jude und Neffe Philos, die Söhne Judas von Gama1a‚ Jakob und Simon kreuzigen ließ. Schon 51/2 drohte der Ausbruch der Feindseligkeiten, als galiläische Festpilger von Samaritern überfallen wurden und die Juden, wegen Versagens des Procurators, die Bestrafung der Schuldigen selbst in die Hand nahmen. Unter der Mißverwaltung des Antonius Felix (52–60), der den Paulus in Caesarea in Haft hielt, begannen bereits die Nachfolger der Zeloten, die Sicarier d. i. die Messermänner oder politischen Meuchelmörder ihr Unwesen im Lande zu treiben. Den unmittelbaren Anstoß zum Ausbruch des eigentlichen Kriegs gab ein blutiger Streit zwischen Juden und Griechen in Caesarea um die bürgerliche Gleichberechtigung. Da Nero, vor den schließlich die Angelegenheit gebracht wurde, zu Ungunsten der Juden entschied, stieg die jüdische Erregung zur Siedehitze. Als dann auf die gerechte Verwaltung des Porcius Festus (60–62), der den Paulus nach Rom sandte, das schamlose Räuberregiment des Albinus (62–64) und des Gessius Florus (64–66) folgte, war die katastrophale Entladung nicht mehr aufzuhalten. Florus stahl dem Jerusalemer Tempel 17 Talente und wurde von den Juden öffentlich beschimpft. Darauf erschien er mit Soldaten in Jerusalem und es kam zu ersten Straßenkämpfen. Schließlich mußte aber Florus das Feld räumen (66). [2454] Das Dazwischentreten Agrippas II. war erfolglos. Die öffentliche Kriegserklärung war der auf Rat Eleasars, des Sohnes des Hohepriesters Ananias, gefaßte Beschluß, das tägliche Tempelopfer für den Kaiser einzustellen. Eine Partei der Gemäßigten, gebildet aus den Hohepriestern und den vornehmsten Pharisäern, protestierte gegen den Beschluß und rief den Agrippa zu Hilfe, während die extremen Nationalisten durch den Zustrom Menahems, des Sohnes des Judas von Gamala, und seiner Banden verstärkt wurden. In den nun folgenden Kämpfen in der Stadt gewannen die Fanatiker die Oberhand. Den Scharen Agrippas wurde freier Abzug gestattet; die römischen Truppen mußten kapitulieren und wurden hinterlistigerweise niedergemetzelt. Schließlich kam es noch zwischen den Siegern selbst zum Handgemenge, wobei Menahem sein Leben verlor. Das heilige Land und noch darüber hinaus war in gewaltige Aufregung versetzt. Allenthalben kann es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Juden und Heiden. Während die Jerusalemer Terroristen immer weitere Fortschritte machten, die den Procurator Florus unbekümmert ließen, durchzog der Legat von Syrien, Cestius Gallus, Galilaea, eroberte Joppe und rückte gegen Jerusalem (Ende 66) heran. Wohl besetzte er die nördliche Vorstadt, mußte sich aber zurückziehen und holte sich bei Bet-Heron eine empfindliche Schlappe, die den Aufständischen den Kamm noch mehr schwellen ließ. Der Aufruhr wurde nun organisiert und über das ganze Land verbreitet. Auch die besonnenen Elemente mußten sich den Kriegshetzern fügen. In Jerusalem befehligte neben dem Hohepriester Ananus, Joseph ben Gorion. Galilaea wurde dem Pharisäer Joseph, dem bekannten Historiker des Bellum Judaicum, unterstellt. Der Kaiser Nero übertrug jetzt einem besonderen Statthalter, dem erprobten Vespasian, die Führung des Kriegs (Anfang 67). Bevor Vespasian zu dem entscheidenden Schlag gegen Jerusalem ausholte, säuberte er das übrige aufständische Gebiet. Mit Leichtigkeit unterwarf er Galilaea, nur die Kastelle trotzten längere Zeit. So fiel z. B. Jotapata, das von Joseph verteidigt wurde, erst nach reichlich sechs Wochen. Als Gefangener der Römer rettete Joseph sein Leben, indem er dem Vespasian die Kaiserwürde prophezeite. Da sich die Prophezeiung bald erfüllte, wurde Joseph ein treuer Parteigänger des flavischen Kaiserhauses. Hernach eroberte Vespasian Samaria, das mit den Aufständischen gemeinsame Sache gemacht hatte, und zerstörte Sichem, das nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde und nun dem Kaiser zu Ehren (Flavia) Neapolis (heute Nabulus) genannt wurde. Die Niederlagen in Galilaea veranlaßten in Jerusalem zunächst größten Schrecken, hernach lieferten sie der extremen Partei ganz das Messer in die Hand: nur noch entschiedenere Betätigung des Römerhasses schien dem Ziel nahe zu bringen! Es kam daher zum innem Kampf in Jerusalem, wobei die Aristokraten unter Ananus von den Terroristen unter Beihilfe der auf Geheiß des Johann von Gischala herbeigerufenen und heimlich in die Stadt gelassenen idumäischen Scharen überwunden wurden. Alsdann schaffte man das bisherige Regierungssystem ab und wählte einen Hohepriester durchs [2455] Los. Die Zeloten führten nun eine Schreckenherrschaft ein. Um den Teufel durch Belzebub auszutreiben, holten die Jerusalemer in die Stadt einen andern Fanatiker, Simon Bargiora, der bisher im Süden sich einen gefürchteten Namen erworben hatte. Aber der herbeigerufene Helfer wetteiferte bald mit dem bisherigen Gewalthaber in Greueln gegen die Bewohner, die noch durch eine dritte Partei unter Eleazar viel zu leiden hatte. Während so die Revolution die Kräfte der Hauptstadt bereits aufrieb, begann Vespasian, nachdem er im Frühjahr 68 Peraea bis auf die Festung Machaerus und Idumaea außer der Feste Masada unterworfen hatte, Sommer 68 den Anmarsch gegen Jerusalem. Vermutlich hat damals die älteste Christengemeinde Jerusalem verlassen und sich nach Pelle im Ostjordanland in Sicherheit gebracht. Als den Vespasian die Kunde von dem Tode Neros traf, brach er die Operationen gegen Jerusalem ab und blieb in zuwartender Stellung. Während nun Galba zum Kaiser ernannt wurde, um bald darauf von Otho ermordet zu werden, und Otho schließlich dem Vitellius in der Herrschaft weichen mußte, nahm Vespasian die Einschließung von Jerusalem wieder auf. Sobald er aber von den orientalischen Legionen zum Gegenkaiser (Juli 69) ausgerufen worden war, verließ er den palästinischen Kriegsschauplatz und eilte nach Rom, die Weiterführung des jüdischen Krieges seinem Sohn Titus überlassend. Frühjahr 70, zur Passahzeit, begann Titus die Bestürmung Jerusalems. Schon nach wenigen Wochen hatte sich Titus der nördlichen Vorstadt bemächtigt und war im Begriff, die Antonia zu belagern. Eine Aufforderung zur Übergabe wurde abgewiesen. Darauf ließ Titus die ganze Stadt rings mit einem Wall umgeben. Juli 70 fiel die Antonia und Ende August wurde des Herodes Prachttempel, der erst kurz vor Ausbruch des Kriegs fertiggestellt war, wohl auf Befehl des Titus selbst in Brand gesteckt. Überall stieß Titus auf verzweifelten Widerstand. Der Kampf setzte sich sodann in der Oberstadt fort, zuletzt wurde der Herodespalast erobert. Wer von den Bürgern dem Morden der aufs höchste erbitterten römischen Soldaten, oder der Pest, die in der Stadt wütete, und dem Blutbad der Zeloten entronnen war, wurde gefangen und hingerichtet, oder in die ägyptischen Bergwerke verschickt, oder für die Schauspiele aufbewahrt. Andere Gefangene wurden nach Rom für den Triumph mitgeführt, darunter Simon Bargiora. Auch der siebenarmige heilige Leuchter wurde damals unter den Beutestücken nach Rom verschleppt und schmückt noch heute im Bilde den Triumphbogen des Titus in Rom. In den bei der Zerstörung der Stadt unversehrt gebliebenen drei Türmen des Herodespalastes schlug die 10. Legion ihr Quartier als Besatzung auf. Der Krieg fand reinen Abschluß erst 73 durch die Eroberung der drei Festungen Herodium, Machärus und Masada. Das ganze palästinische Aufstandsgebiet wurde von Vespasian in eine eigene kaiserliche Provinz verwandelt; Mittelpunkt war Caesarea. Statt an den Jerusalemer Tempel entrichteten die Juden ihre Kirchensteuer nun an den Tempel des Iuppiter Capitolinus. Daß 73 der Oniastempel in Leontopolis geschlossen wurde, [2456] hing mit lokalen Unruhen in Alexandria zusammen. Trotz der Schläge von 66–70 war politisch das Judentum noch nicht völlig erdrückt. An Stelle des Tempels und des Kultus trat nun als der eigentliche Zusammenhalt der Nation der bisher nur nebenbei in den Synagogen und Schulen betriebene Unterricht im Gesetz Mosis und zwar in pharisäischer Deutung und Weiterbildung. Der eingetretene politische Zustand wurde nur als ein Provisorium angesehen und die Rückkehr zu der früheren Kultpraxis mit Jerusalem als Zentrum wurde nun das unverrückbare Hoffnungsziel und ist es auch für die Juden – wenn auch zum Teil nur in allegorischer Umdeutung – bis zur jüngsten Gegenwart geblieben. Der Retter des Judentums wurde Jochanan ben Sakkai. Mittelpunkte des Gesetzesstudiums und Sammelplätze des Judentums waren zuerst Jamnia und Lydda, später Tiberias.

Soviel bekannt, flammte die national-religiöse Hoffnung der durch die Entrichtung der Tempelsteuer für den heidnischen Gott dauernd in Aufregung gehaltenen Juden zum erstenmal kräftig empor, als Traian im fernen Osten seines Reichs gegen die Parther 116/17 zu kämpfen hatte. Es kam zu blutigen Judenaufständen in Ägypten, Cyrene, Cypern und Mesopotamien. Obwohl aufs grausamste unterdrückt, wiederholten sich die Revolten unter Hadrian (117–138). Hauptherd des Aufruhrs wurde diesmal Palästina, obwohl auch die Diaspora sekundierte. Unmittelbaren Anlaß gaben zwei kaiserliche Verordnungen: Hadrian verbot die Beschneidung, die er mit der von ihm gleichfalls verbotenen Kastration auf eine Stufe stellte. Ein Angriff auf die jüdische Religion war nicht beabsichtigt, das Verbot wurde aber von den ihr nationales Selbstbewußtsein wiedergewinnenden Juden so aufgefaßt. Noch verletzender wirkte die andere Maßregel Hadrians, Jerusalem als römische Kolonie unter dem Namen Aelia Capitolina wieder aufzubauen. Auch damit beabsichtigte Hadrian keine Kränkung der Juden. Wie andere Garnisonsplätze, wollte er auch Jerusalem zu einer römischen Stadtgemeinde erheben. Aber darin lag eben das Kränkende für die Juden: Jerusalem lieber ein Trümmerhaufe als eine Stadt, wo die unreinen Heiden wohnen! Es kam zu einem äußerst erbitterten Krieg, der von 132–135 währte. Führer der Aufständischen war ein gewisser Simon, mit Beinamen Bar Koziba und Bar Kocheba. Er hielt sich für den Messias und wurde von dem Rabbi Akiba, dem bekannten Mischnalehrer, in seinen Ansprüchen unterstützt. Erst als Hadrian einen seiner besten Feldherren, den Iulius Severus, herbeirief, wurde der Aufstand unterdrückt. Bar Kocheba verteidigte sich zuletzt in der Bergfeste Bether, südwestlich von Jerusalem, und kam bei der Erstürmung des Kastells ums Leben.

Die römische Absicht mit Jerusalem wurde mach dem J. 135 ausgeführt. Die Stadt wurde als römische Kolonie Aelia Capitolina aufgebaut. Die Grundlage der alten Stadtmauer wurde auch für die neue Stadtmauer beibehalten, nur das südliche Gebiet wurde eingeschränkt. Die Stadt selbst wurde in sieben Bezirke geteilt. Das Jerusalem Hadrians ist im großen und ganzen noch im heutigen Stadtbild Jerusalems erkennbar. Innerhalb der Stadt erhoben sich neue Prachtbauten, [2457] der Hauptkultort wurde der von Hadrian errichtete Tempel des kapitalinischen Iuppiter. Heidnische Kolonisten wurden angesiedelt, den Juden aber war unter Androhung der Todesstrafe verboten, die Stadt zu betreten. Das war das Ende des jüdischen Gemeinwesens!

Der Kampf zwischen Juden und Römern bedeutete einen Kampf zwischen den maßlosesten nationalen Ansprüchen und der größten weltlichen Macht. Der Sieg konnte daher nur der letzteren zufallen. Noch bevor Titus den Jerusalemer Tempel, seit den Tagen des Persertums (Haggai–Sacharia) das sichtbare Symbol der Weltherrschaft Israels, zerstörte, war von Jesus der unsichtbare Tempel der neuen Menschheit begründet werden: als Eckstein der hilfreiche Brudersinn und als mächtiges Gewölbe das Reich Gottes, oder die in edlem Wetteifer nach den höchsten Gütern der Gesittung und Bildung ringende Gesamtheit der Völker und Menschen! Gedanken und Lehren Jesu sind wie einst bei den Propheten Israels nach den das Volk bewegenden Tages- und Zeitfragen geformt. Nicht nach Pharisäerart mittelst Askese und äußerer Frömmigkeit läßt sich die Welt bezwingen, sondern nur durch treue Erfüllung der täglichen kleinen und großen Aufgaben im Dienst des Allgemeinwohls wird dem Leben Inhalt und Ziel gegeben und das Reich Gottes auf Erden gefördert, das nicht in der Aufrichtung der Weltherrschaft Israels, sondern in der Ausbreitung der Humanität unter den Menschen besteht. Die Predigt Jesus untergrub das Ansehen der Machthaber in Israel und brachte ihm bittre Feindschaft ein. Die von den Juden verlangte und von den Römern gebilligte Kreuzigung Jesu gab seiner Lehre statt des Todesstoßes die größte Lebenskraft. Sie verlieh dem Evangelium Jesu, das mit dem Besten übereinstimmt, was von den Propheten Israels und den Weisen des Altertums überhaupt, zumal den Philosophen Griechenlands als höchstes Lebensideal geahnt und erdacht werden ist, aber nie so zuvor in den Mittelpunkt einer Weltanschauung gestellt werden war, durch das im Dienst für das Wohl der Brüder gebrachte Opfer des eigenen Lebens die Weihe des edelsten Martyriums und damit eine ungeheure Werbekraft! Es mag richtig sein, in dem von Jesu geforderten Brudersinn eine Erweiterung der uralten Stammsitte und in seiner Geringschätzung der äußeren Kultur eine Nachwirkung des Nomadensinnes seines Volkes zu erblicken, oder den Universalismus seiner Lehre nicht ohne Einwirkung der griechisch-römischen Universalmonarchie entstanden zu denken – in der Hauptsache bedeutet sein Evangelium die Einsetzung der Seele des Menschen in ihre höchsten Pflichten und Rechte. Damit sind der Kultur ungeahnte Kräfte erschlossen und ist ihr ein erstes und letztes Ziel gesteckt werden und das alles ist fest verankert in der schlichten, aber starken Persönlichkeit Jesu selbst, des Verklärers der antiken und des Trägers der modernen Menschheit – ecce homo! Das Judentum ist dem Christentum überallhin als sein Schatten gefolgt. Gewiß hat das Judentum auf kaufmännischem und geldwirtschaftlichem Gebiet sich große Verdienste um das Abendland erworben und zusammen mit dem Islam eine heilsame Mittlerrolle zwischen der Barbarei [2458] des Mittelalters und der klassischen Welt einst gespielt. Endlich mag es in Zeiten zunehmenden Bilderdienstes und haarspaltender trinitarischer Streitigkeiten in der Kirche, für letztere mit seinem bildlosen Kult und seiner strengen Gotteinheitslehre ein Warner vor Rückfall ins Heidentum gewesen sein und kann es gelegentlich noch sein – im übrigen aber hat das Judentum, soweit es aus dem in seinen Anfängen noch unter der Römerherrschaft entstehenden Talmud seine Geisteskräfte schöpft, eine neue Scheidewand zwischen sich und den Völkern aufgerichtet, die durch die Gegenwirkung der christlichen Kultur schon viel an zusammenhaltender Kraft eingebüßt hat und den Siegeslauf des aus dem Zusammenstoß von Judentum und Hellenismus geborenen Christentums auf die Dauer nicht aufhalten kann.

[Beer.]