Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Titel männlicher Götter bei den Semiten
Band II,2 (1896) S. 26472651
Baal (Gott) in der Wikipedia
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B.

Baal. Βάαλ, Βήλ (Paus. I 16, 3), Βῆλος, Belus. 1) B. ist der gewöhnlichste Titel der männlichen Götter bei den semitischen Völkern. Das Wort bedeutet ‚Herr‘ dominus (August. in lib. Iud. 16 = III 797 Migne) ,Besitzer‘ (ἔχων id est habens Hieron. Comm. in Osee I 2 = VI 858 Migne) und muss also durch einen zweiten Begriff ergänzt werden. Dieser Zusatz ist am häufigsten ein Ortsname, sei es einer irdischen Kultstätte (Berg s. Beelphegor, Stadt z. B. בעלצדןBaal Sidonis CISem. I 3), sei es des Himmels, wo er waltet (s. Balsamem). Er kann aber auch eine besondere Eigenschaft des Gottes (s. Beelzebub, vgl. Baʿal mrp, B. sanator? CISem. I 41) oder eine menschliche Handlung, welche er beschützt (s. Balmarcodes), oder sogar ein Abstractum (בעלבריתBaal foederis, Iud. VIII 33. IX 46) ausdrücken. Das Wort B. bestimmt also nicht viel mehr den Charakter der Gottheit, dem er gegeben wird, als das griechische θεός, und im Grunde hat Servius (Aen. I 621 ganz recht, wenn er behauptet lingua Punica Baal deus dicitur. B. ,der Herr‘ ist zwar absolut in zahlreichen zusammengesetzten Personennamen gebraucht (Hannibal ,Gnade Baals‘, Azdrubal ,Hülfe Baals‘ u. s. w., vgl. Scholz Götzendienst bei den Hebraeern 168ff.), aber ein Kultus des B. im allgemeinen existiert ebenso wenig wie ein Kultus des deus im römischen Heidentum. Selbst im Abendlande haben die verschiedenen Baʿalim neben einander bestanden, ohne sich zu verschmelzen. Man wusste immer genau, welchem von ihnen ihre Tempel gewidmet waren. Der orientalische Name wurde entweder vollständig behalten (z. B. Balmarcodes) oder vollständig übersetzt (z. B. Iuppiter Heliopolitanus, Gott von Baalbek, vgl. Chron. Pasch. I 561 ἱερὸν Βαλανίου). Wenn auf Inschriften einfach von einem Βῆλος oder Belus gesprochen wird, ist entweder von dem Gott von Palmyra die Rede (CIL VI 50ff. = IGI 969ff. CIG 4485, vgl. unten) oder die Heimat desselben ist durch den Fundort oder durch eine besondere Angabe klar (Apamea CIL XII 1277, vgl. Renan Mission de Phénicie 104). In der Litteratur erscheint aber Belus als ein grosser semitischer Gott, der in Africa und im ganzen Vorderasien bis Persien (Strab. XVI 744. Excerpta Barbari bei Frick Chron. min. 281, 27, vgl. Curtius III 3, 16) verehrt wurde. Wie die Schriftsteller zu dieser Vorstellung gelangt sind, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Vielleicht hatte sich schon frühzeitig bei den Semiten derselbe Abstractionsprocess, der später bei den Hellenen stattfand, vollzogen, und hatten die syrischen Priester von ihren Baʿalim gelehrt, so wie es danach die griechischen Philosophen von ihren θεοί thaten, dass sie nur verschiedene Formen desselben Wesens waren. Der Syncretismus ist ja aus dem Orient nach Rom importiert worden. [2648] Vielleicht haben die Griechen selbst, so wie früher die Ägypter (vgl. Ed. Meyer in Roschers Lex. I 2873), alle diese fremden Götter, welche manche ähnliche Züge hatten, als identisch betrachtet. Die Sprache war einer solchen Verschmelzung günstig, denn die Einwohner der syrisch-phoinikischen Städte sprachen von dem Gotte ihrer Gemeinde als ,ihrem Baʿal‘ oder ,dem Baʿal‘ schlechthin. Der Name Βαλάνιος, welchen der Iuppiter Heliopolitanus im Chron. Pasch. (I 561) führt, giebt die einheimische Bezeichnung Baʿalan ,unser Herr‘ genau wieder (vgl. Baltis). Auch im alten Testament wird immer entweder הבעל‎ ,der Baal‘, d. h. derjenige, der im Lande verehrt wird, oder es werden im Plural die Baʿalim, die fremden Götter, genannt. Man kann sich also leicht erklären, dass die Griechen den Titel für den Namen genommen haben. Was sie von diesem semitischen Gotte zu berichten wissen, ist übrigens so unbestimmt, dass es für jeden beliebigen B. passen konnte. Da dieselben überall als der höchste Gott angesehen wurden, begnügt man sich gewöhnlich, sie dem Zeus oder Iuppiter gleichzustellen (Herod. I 181. Beros. FHG II 498, 2. Phil. Bybl. frg. 2, FHG III 568. Diod. II 8. Plin. n. h. VI 121. Cass. Dio LXXVIII 8. Solin. 51, 3; vgl. CIG 4485. Le Bas III 1969. 2413 b. j. 2412 g? Ζεὺς κύριος und Χωκὲβ Βάαλ = Stella Iovis bei Epiph. Haeres. I 16, 2). Zuweilen wurde er aber auch mit Kronos-Saturnus identificiert (Alex. Polyh. frg. 3, FHG III 212. Serv. Aen. I 642. 729. Damasc. Vit. Isid. § 115. Ioh. Chrysost. in Ps. 105 § 3. Theodoret. in Ps. 105, 28 = Migne Gr. 80, 1730, vielleicht auch Le Bas III 2375. 2544, vgl. Balcaranensis), welcher gewöhnlich dem El entspricht (s. El), vereinzelt wurde er als Sol (Serv. a. a. O. Nonn. Dionys XL 392ff., vgl. Aumos, Balsamem, Heliopolitanus), oder als Uranus erklärt (Hesych s. Βῆλος. Etym. M. s. Βήλ. Parmen. in Bekker Anecd. 225; mit Anspielung auf den βηλὸς οὐρανῦ Homers Il. I 591). Als Herakles wurde fast ausschliesslich der Melkart (s. u.) gedeutet (vgl. jedoch Herod. II 44). Wenn wir in späteren Schriftstellern auch finden, dass B. in persischer Sprache Ares bedeute (Malal. p. 19; vgl. Ioh. Antioch. frg. 5, FHG IV 542. Chron. Pasch. I 18. Etym. Gud. s. Βαάλ. Cedr. I 29), so muss irgend eine Verwechslung vorliegen. Mit diesen dürftigen und schwankenden Angaben müssen wir uns für den grossen allgemeinen B. begnügen; sobald etwas Genaueres berichtet wird, ist auch von einer bestimmten besonderen Gottheit die Rede.

Die einzige Gegend, wo ein Gott ,Herr‘ ohne nähere Bezeichnung genannt worden zu sein scheint, ist Babylonien. Von diesem babylonischen Bel wissen auch die Griechen etwas mehr zu erzählen (Scholz a. a. O. 365ff.). Die Form Βῆλος, [2649] welche allein üblich ist, beweist ja, dass der Bel ihnen zuerst bekannt worden ist, und sie seinen Namen auf die anderen Baʿalim ausgedehnt haben. Dieser Βῆλος, ὃν μάλιστα θεῶν τιμῶσι Βαβυλώνιοι (Arr. anab. III 16, 4; vgl. Min. Fel. 6, 1), ist nach Eudemos (bei Damasc. de princ. 125, I 322, 7 Ruelle) Sohn des Aos (= Ea) und der Dauke (= Dawkina), was die einheimischen Quellen bis jetzt nicht bestätigen. Bel entspricht dort vielmehr dem Ἴλλινος des eudemischen Excerptes (vgl. Schrader Die Keilinschriften und das alte Testament 1883, 5–13 und Ed. Meyer in Roschers Lex. I 2877). Dagegen ist B. bei den griechischen Schriftstellern wie in den Keilinschriften der Schöpfer, δημιουργός (Thallus FHG III 517. Damasc. a. a. O.). In dem berühmten kosmogonischen Fragment des Berosos (FHG II 497, 4ff., vgl. Castor bei Euseb. chron. 53 Schöne) wird ausführlich erzählt, wie Bel die Ungeheuer vernichtet, das weibliche Urwesen Omorka Thalath zerschnitten und aus ihr Erde und Himmel gebildet habe. Diese Schöpfungssage hat in Bezug auf das Abendland ein besonderes Interesse, weil man sie mindestens zum Teil in den Mithrasmysterien wiederfindet (s. Mithras).

Von diesem höchsten Bel unterscheiden die Keilinschriften den Stadtgott von Babylon, den Bel Marduk. Die zwei Götter sind im Abendlande zu einem verschmolzen (s. jedoch Serv. Aen. I 612). Der Tempel dieses B., dessen Erbauung man der Semiramis zuschrieb (Diod. II 9. Dion. Perieg. 1007), der von Nabuchodonosor geschmückt (Beros. bei Euseb. chron. 48 Schöne. Joseph. ant. X 224), später von Xerxes zerstört und von Alexander hergestellt wurde (Arr. anab. III 16, 4), wird oft von den Schriftstellern beschrieben oder erwähnt (Herod. I 181. Paus. I 16, 3. VIII 33, 3. Plin. VI 121. Mart. Capell. VI 701. Solin. 56, 3). Ob dieses Gebäude mit dem τάφος Βήλου, von dem Aelian (v. h. XIII 3; vgl. Strab. XVI 738. Diod. XVII 102) Wunderbares erzählt, identisch ist, muss unsicher bleiben. Diese Geschichte geht auf Ktesias zurück (frg. 29. 216. Phot. bibl. 39 a Bekker), der von dem Grab eines Βελιτανᾶς (Baʿal-jaton) spricht.

Der Kultus des Bel wie der anderer babylonischer Götter hat sich weit und breit ausgedehnt. Bel wird z. B. neben Nebo als Hauptgott der Edessener genannt (Duval Histoire d’Edesse 1892, 75ff.). Vielleicht ist der Bel, den man in Palmyra als θεὸς πατρῷος verehrte, doch aus Babylonien importiert (Bäthgen Beiträge zur sem. Religionsgesch. 1888, 86; neue Inschriften Euting S.-Ber. Akad. Berl. 1888, 145 nr. 108. 111. 112; vgl. o.). Aber auf die griechisch-römische Welt hat dieser babylonische B. nur indirect gewirkt. Zahlreiche syrisch-phoinikische Baʿalim dagegen sind im Abendlande verehrt worden, und diese Kulte haben auf die religiöse Entwicklung des römischen Reiches einen tiefen Einfluss geübt, sowohl auf das Heidentum wie auf die gnostischen Secten (Βήλ bei Iustin, Hippolyt. Philosoph. V 4. X 7 p. 228. 245 Cruice, vgl. Hyg. fab. 36, 5). Wir versuchen hier zum Schluss eine kurze Liste derjenigen B., welche in den griechischen Quellen erwähnt sind (vgl. sonst Bäthgen a. a. O. 19ff. Scholz a. a. O. 148ff.), zu geben. Was über dieselben an späterer Stelle gesagt werden wird, wird [2650] gewissermassen als Illustration dieses kurzen Artikels dienen, und wir begnügen uns, hier einige Eigenschaften, welche die Baʿalim im allgemeinen charakterisieren, hervorzuheben (vgl. Robertson Smith Lectures 34ff.). Jeder B. ist wohl ursprünglich der Gott eines einzelnen Stammes gewesen, welcher ihn als seinen Urvater (ἀρχηγέτης) betrachtete. Dieser Stamm wurde von ihm beschützt und hatte allein das Recht, ihn anzubeten. In diesem primitiven Zustand existierte keine himmlische Hierarchie, jede Gemeinde hat nur einen Gott und eine Göttin (s. Baltis), welche von denjenigen ihrer Nachbarn verschieden und denselben sogar feindlich sind. Der Charakter dieses Stammgottes drückt sich in seinem Namen vortrefflich aus. Erstens bedeutet Baʿal ,Herr‘, und der Gott ist wirklich als der König (vgl. Malach-bel, Melkart) seines Volkes aufgefasst. Seine Verehrer sind seine Knechte (vgl. Abd-baal Abd-eschmun u. s. w.), und sein Verhältnis zu ihnen gleicht dem eines orientalischen Fürsten seinen Unterthanen gegenüber. Die Souveränetät des B. hat sich allmählich erweitert. Fremde Anbeter, welche zu seinem Altar zugelassen, wurden als seine Clienten angesehen (vgl. die Namen Ger-melkart, Ger-aštart u. s. w.). Der Stammgott ist zu einem Weltgott geworden, aber zahlreiche Spuren der ursprünglichen Auffassung haben sich im Kultus erhalten. Zweitens bedeutet B. ,Besitzer‘, und in der That wurde er als der Besitzer des Ortes, wo er verehrt wurde, betrachtet, nicht nur weil er dort wohnte, sondern auch weil das Land von ihm befruchtet wurde und ihm also gehören musste. Dem B. hatte man alle Erzeugnisse des Bodens und folglich der Tiere und Menschen zu verdanken; ebenso wie der B. irgend eines irdischen Gefildes, indem er dasselbe bewässerte, alles hervorbrachte, so wohnte auch im Himmel ein B., der den erquickenden Regen und die wohlthätige Wärme auf die Erde schickte (s. Balsamem). B. wurde zu einem Gott der Fruchtbarkeit überhaupt. Nun hat B. bei den Syrern auch den speciellen Sinn von ,Gatte‘. Der göttliche B. wird also in der Natur das männliche Princip sein, während die ihm beigegebene Baʿalath das weibliche repräsentiert. Diese geschlechtliche Auffassung dieses überall wiederkehrenden Paares erklärt die Unzucht des Kultus und die heiligen Prostitutionen, welche einen Hauptzug der semitischen Religionen bilden. Näheres über diese Unsitte und die anderen Punkte, welche hier berührt werden, wird man unter den einzelnen Stichworten finden. Kultorte: Syrien (im allgemeinen s. Balsamem); Doliche (s. Dolichenus); Hierapolis ([Luc. de dea Syra 31] s. Deasura); Kasiosgebirge (s. Kasios [Zeus]); Apamea (s. Βαιτοκαικεύς); Palmyra (s. o. und Hierobolos, Malachbel); Heliopolis (s. Heliopolitanus); Damascus (s. Damascenus); Hermon (s. Hermon). Palaestina (s. Beelphegor, Beelzebub). Phoinikien: Sidon (CISem. I 3, s. o.); Karmel (s. Karmelos); Liban (CISem. I 5, vgl. Renan Mission de Phénicie 397, Zeus ὄρειος); Tyros (s. Melkart, Beelmaris); Deir-el-Kala (s. Balmarcodes). Kilikien: Tarsos s. Tarsios. Kappadokien: s. Baal Gazur. Africa: s. Balcaranensis, Baladdiris, Hammon.

Litteratur: Movers Die Phönizier I 169 ist [2651] noch immer als Materialsammlung nützlich. In neuester Zeit sind besonders nennenswert Scholz Götzendienst bei den Hebräern 1877, 137ff. Baudissin Studien zur semit. Relig.-Gesch. II 1878, 212ff. u. s. w. Ed. Meyer in Roschers Lexikon I 2867ff. Bäthgen Beiträge zur semitischen Religionsgesch. 17ff. 260ff. Robertson Smith Lectures on the religion of the Semites 1889, 93ff. pass. (die zweite Ausgabe 1894 ist mir unzugänglich).

[Cumont. ]