Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sohn H.' I. Nr. 14 und der Mariamme II
Band S II (1913) S. 158161
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15) Herodes (eigentlich Iulius Herodes, s. S. 19), Sohn des Königs Herodes I. aus seiner Ehe mit Mariamme II., der Tochter des aus Alexandrien stammenden Hohenpriesters Simon, des Sohnes des Boethos (Joseph. bell. Iud. I 557. 562; ant. Iud. XVII 14. 19. XVIII 109. 136). Es ist falsch, ihm, wie es immer noch öfters geschieht, außer dem Dynastienamen auch noch den Namen Philippos beizulegen[1]. Denn wenn bei Marc. VI 17 an einer Stelle, wo man den Namen H. erwartet, ein Philippos erscheint (die Parallelstellen Matth. XIV 3 und Luk. III 19 geben in der Überlieferung keinen Namen), so ist es unmethodisch, hieraus einen Namen Herodes Philippos zu konstruieren. Doppelnamen finden sich nämlich von Haus aus bei den Herodeern nicht, und auch der Ausweg, Philippos habe später den Dynastienamen angenommen, ist ungangbar, da ein solches Verhalten bei ihm, der stets Privatmann geblieben ist, ausgeschlossen ist. Außerdem sei noch ein entscheidendes Moment gegen die ursprüngliche Führung des Namens Philippos durch H. hervorgehoben: bei Josephus, der bei den Herodeern die Individualnamen vor dem Dynastienamen bevorzugt (s. Herodes Archelaos, auch Herodes Antipas), erscheint der Name Philippos für unsern H. niemals, sondern aus ihm (a. e. a. O.) ergibt sich gerade H. als der Individualname; dagegen setzt im Gegensatz zu Josephus das Neue Testament gerade die Individualnamen gegenüber dem Dynastienamen zurück (s. vor allem Herodes Antipas; auch Agrippa I., vgl. meinen Art. Herodes Agrippa I. in Pauly-Wissowas Realencykl. Suppl.-Heft II 167f.), so daß man hier die Anwendung des Namens H. im Falle des Vorhandenseins eines Doppelnamens erwarten würde. Die Nennung des Philippos bei Marc. VI 17 ist demnach nicht als eine bedeutsame Erweiterung unserer Kenntnisse, sondern vielmehr als ein genealogisches Versehen aufzufassen; sie ist auf die falsche Auffassung zurückzuführen, daß der erste Gemahl der Herodias [200] deren Oheim, der Tetrarch Philippos, gewesen sei, was sich wiederum aus der besonderen verwandtschaftlichen Verbindung der beiden Personen – Philippos war der Gemahl der Tochter der Herodias – erklärt (dieselbe falsche Auffassung, die durch die Evangelienstelle hervorgerufen sein dürfte, hat übrigens schon den slavischen Bearbeiter von Josephus’ bellum Iudaicum bewogen, entgegen den Angaben des griechischen Josephus den Tetrarchen Philippos als ersten Gemahl der Herodias zu bezeichnen; s. den slavischen Zusatz zu bell. Iud. II 9 c. 1, publ. von A. Berendts Die Zeugnisse vom Christentum im slavischen ‚de bello Iudaico‘ d. Joseph., Text. u. Unters. z. Gesch. d. altchristl. Liter. N. F. XIV 4. Berendts geht freilich völlig in die Irre, wenn er diesen Zusatz als auf Josephus selbst zurückgehend annimmt, wodurch, wenn dies richtig wäre, die ganze hier behandelte Frage ein anderes Gesicht erhalten würde. Gegen Berendts auch bereits mit Recht Schürer Theol. Lit.-Ztg. 1906, 265ff. Auch ein koptisches apokryphes Evangelienfragment nennt als ersten Gemahl der Herodias einen Philippos, publ. von Revillout Journ. asiat. X. Sér. V 443ff.).

H. kann, da die Hochzeit der Eltern um 23 v. Chr. stattgefunden hat (s. S. 131ff.), um 22 v. Chr. geboren sein. Seine beiden Stiefbrüder Archelaos, der älteste Sohn der Malthake, und Philippos, der älteste Sohn der Kleopatra (s. S. 165 und 202), sind allerdings älter als er gewesen (Joseph. bell. Iud. I 646; ant. Iud. XVII 664), doch braucht man deswegen seine Geburt nicht weiter, als es geschehen ist, von der Hochzeit seiner Eltern abzurücken; denn es ist möglich, daß Herodes I. die beiden anderen Frauen nicht erst nach der zweiten Mariamme, sondern schon vor ihr geheiratet hat (s. S. 131).

Um 6 v. Chr. hat Herodes I. unseren H. mit einer der Töchter seines hingerichteten Sohnes Aristobulos verlobt (bell. Iud. I 557; ant. Iud. XVII 14). Mit welcher ist nicht angegeben; da jedoch später Herodias seine Gemahlin geworden ist, so wird man dazu neigen, in ihr und nicht in ihrer Schwester Mariamme seine Verlobte zu sehen. Aber sicher ist dieser Schluß nicht. Die andere der Töchter des Aristobulos wird nämlich gleichzeitig mit dem Sohne des ältesten Herodes-Sohnes, des damals allmächtigen Antipatros, verlobt, und aus allgemeinen Gründen, auch aus der Form der Erzählung des Josephus kann man geneigt sein, in dieser Tochter die ältere Schwester, d. h. eben doch wohl Herodias (s. S. 203) zu sehen. Diese Tochter ist schließlich sogar auf den Wunsch des Antipatros diesem selbst verlobt worden (Joseph. bell. Iud. I 565; ant. Iud. XVII 18), was auch auf die ältere hinweist. Mit seinem Sturz ist sie natürlich freigeworden. Es ist nun aber wahrscheinlich, [201] daß damals auch das Verlöbnis des H. gelöst worden ist, denn auch er und seine Mutter, die um Antipatros’ Umtriebe gewußt hatte, sind in dessen Sturz mithineingezogen worden; Mariamme wurde vom Hofe verbannt, und er, den sein Vater vor kurzem in seinem Testamente zum Nachfolger eingesetzt hatte, falls der eigentliche Thronfolger Antipatros vor dem Könige sterbe, ist vollständig enterbt worden (bell. Iud. I 573. 588. 600; ant. Iud. XVII 53. 78). Daß trotz dieser vollen Ungnade das Verlöbnis bestehen geblieben sei, ist kaum anzunehmen; im J. 5 v. Chr. wären also somit beide Töchter des Aristobulos wieder freigeworden. Denn Keim Schenkels Bibellexikon 46 setzt die Verheiratung des H. mit Herodias unbedingt zu Unrecht schon in das J. 5 v. Chr., und zwar noch vor den Sturz des Antipatros, da damals Herodias noch viel zu jung zur Heirat gewesen wäre (s. S. 203).

Wann die Heirat mit Herodias wirklich erfolgt ist, läßt sich auch nicht vermutungsweise irgendwie genauer angeben. Auch die Zeit, wo diese Ehe, aus der eine Tochter, Salome, entsproß (Joseph. ant. Iud. XVIII 136), wieder gelöst wurde, ist schwer ganz genau zu bestimmen und noch sehr strittig. Vor 26 n. Chr. dürfte es allerdings sicher gewesen sein und vielleicht schon um 14/5 n. Chr. (s. S. 186ff.).

Die Lösung der Ehe ist von Seiten der Herodias ausgegangen (Joseph. ant. Iud. XVIII 109ff.), um eine neue Ehe mit ihrem Onkel Herodes Antipas eingehen zu können. Dieser hatte eine leidenschaftliche Zuneigung zu ihr gefaßt; auch sie scheint sich in ihn verliebt zu haben (s. S. 204), und außerdem mag der ehrgeizigen Frau das Leben mit dem ganz anders gearteten Gatten nicht mehr zugesagt, ihr garnichts für die Zukunft versprochen zu haben.

Denn H. ist, trotzdem ihn einst sein Vater als Thronfolger ausersehen hatte, sein Leben lang Privatmann geblieben und hat sich anscheinend auch gar nicht nach der Krone gesehnt: als im J. 4 v. Chr. in Rom die verschiedensten Bewerber um die Herrschaft Herodes’ I. auftraten, hat er allein keine Ansprüche auf sie geltend gemacht (Josephus bietet uns hierüber nichts, und daß sein Schweigen den Tatsachen entspricht, scheint mir Nikol. Damasc. frg. 5 [FHG III 353f.] zu bestätigen, wo die verschiedenen Bewerber kurz nebeneinander aufgezählt werden und unser H. unter ihnen nicht erscheint). Er scheint also anders als seine Frau und seine Brüder keinen Ehrgeiz besessen zu haben. Er ist, soweit wir sehen, in der Heimat geblieben. Die sich auch sogar noch in der Encykl. bibl. II 2032 findende (ganz falsch Diction. de la bibl. III 649) Behauptung, er habe in Rom gelebt, als sich die Eheaffäre in seinem Hause abspielte, ist schon von Brann Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judent. XXII 408, 2 mit Recht zurückgewiesen worden. Sein Aufenthaltsort dürfte vielmehr damals eine jüdische Hafenstadt gewesen sein, da Herodes Antipas direkt von ihm aus seine Reise nach Rom zu Schiff angetreten zu haben scheint (Joseph. ant. Iud. XVIII 111). Grätz Gesch. d. Juden III 1⁵, 345, 2 denkt meines Erachtens mit gutem Recht an den besten Hafen Palästinas, Kaisareia, andere (s. Brann a. [202] a. O. 408) an Azotos, weil diese Stadt einst die Großmutter der Herodias (Salome) besessen und diese sie aus der Erbschaft erhalten habe, dies letztere jedoch eine sehr unwahrscheinliche Vermutung (Rom dürfte vielmehr die Stadt wohl eingezogen haben; s. aber immerhin Schürer a. a. O. II⁴ 126).

Möglicherweise gehört schließlich auch unser H. zu jenen vier Söhnen Herodes’ I., welche nach Philon leg. ad Gaium § 38ff. bei Pontius Pilatus gegen die Anbringung goldener Weiheschilde mit dem Namen des Kaisers und des Pilatus im königlichen Palast zu Jerusalem protestierten und die sich dann wohl auch dem darob an Tiberius abgehenden Bittgesuch der vornehmsten Juden angeschlossen haben[2]. H. würde dann noch in den 30er Jahren in Palästina gelebt haben.


  1. Schürer Gesch. d. jüd. Volk. I³ 435, 19 ist mit seiner gegenteiligen Auffassung unbedingt im Recht, wenn auch seine Gegengründe nicht alle zwingend sind. So z. B. der eine, daß der Name Philippos bereits unter den Söhnen Herodes’ I. vertreten sei; denn die zweimalige Anwendung desselben Namens für Geschwister begegnet uns in hellenistischer Zeit sehr häufig, und auch gerade in der Familie Herodes’ I. findet sich hierfür ein Beispiel – nicht so sehr die zweimalige Verwendung des Namens Herodes, als die Benennung zweier Söhne mit Antipatros und Antipas; denn der letztere Name ist ja nur die ionische Abkürzung des ersten Namens, und beide Namen treten uns als durchaus identisch gerade bei dem Vater des Königs entgegen; s. W. Schulze Ztschr. f. vergl. Sprachforsch. XL 409, 3.
  2. Schürer a. a. O. I³ 434. 491f. Brann a. a. O. 319ff. erhebt zwar gegen die ganze Philonerzählung Bedenken, weil Pilatus durch die Anbringung der Schilde nicht eine nach dem jüdischen Gesetz anstößige Handlung begangen habe; es ist ja nun sehr wohl möglich, daß Philon den ganzen Vorgang seinem besonderen Zweck entsprechend abgeschwächt wiedergegeben hat, aber zu beseitigen ist Philons Erzählung nicht, und die Erregung kann sehr wohl durch das jüdische Mißtrauen einer möglichen Gesetzesverletzung (s. den gleichen Vorgang bei der Aufstellung der τρόπαια durch Herodes I., Joseph. ant. Iud. XV 276) verursacht worden sein.

Anmerkungen (Wikisource)

Die Originalversion der RE-Seiten 158161 wird nicht transkribiert, siehe hierzu stattdessen den verbesserten Wiederabdruck des Artikels in Walter Otto, Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses, Sp. 199–202.

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Band R (1980) S. 124
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