Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Florus, Procurator von Judäa unter Nero
Band VII,1 (1910) S. 13251328
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5) Gessius Florus, Procurator von Judäa unter Nero. Sein Name ist bei Josephus und Tacitus überliefert, bei Eusebius-Hieronymus (ed. Schoene II p. 157 n) durch Verwechslung mit dem gleichzeitigen Statthalter von Syrien, Cestius Florus, danach bei Synkell. (ed. Dind. I 637, 2. 3) Γέστιος Φλῶρος, während Sulpic. Sever. Chron. II 29, 4 gar Festius Florus schreibt. Umgekehrt ist bei Joseph. vita 23 in einigen Hss. Γέσσιον anstatt Κέστιον überliefert.

Über seine persönlichen Verhältnisse erfahren wir nur, daß er aus Klazomenai stammte und mit Kleopatra, einer Freundin der Poppaea Sabina und an Schlechtigkeit ihr ebenbürtig, vermählt war, Joseph. ant. Iud. XX 252. So wurde er ein Günstling Neros, der ihn im J. 64 oder 65 n. Chr. als Nachfolger des (Lucceius) Albinus zum Procurator von Judäa ernannte, Joseph. bell. Iud. II 277; ant. Iud. XX 215. 252. Euseb.-Hieron. ed. Schoene ΙΙ p. 155 u (versio Armen. ebd. 154 g) = Synkell. 637, 2. Der Zeitpunkt seiner Ernennung ergibt sich aus der Angabe des Joseph. ant. Iud. XX 257 (vgl. bell. Iud. II 284), wonach der Beginn des Aufstandes (im Monat Artemisios = Mai/Juni des J. 66) in das zweite Jahr des Procurators G. fällt; somit hat G. sein Amt vor dem Juni 65 oder wenigstens, wenn wir annehmen, daß Josephus nach dem syrisch-makedonischen oder auch nach dem jüdischen bezw. tyrischen Kalender rechnet, vor dem Herbst 65 angetreten.

In den glühendsten Farben malt Josephus die Verworfenheit seines Charakters, besonders seine unersättliche wüste Habgier, die Schamlosigkeit, mit der er alle Verbrechen beging, und die sinnlose Grausamkeit, mit der er die Juden auf jede Art peinigte und verfolgte, so daß das Volk [1326] schließlich zur Verzweiflung getrieben wurde. Wenngleich Josephus in der Erzählung der Geschichte seines Volkes befangen und auch sonst nicht immer zuverlässig ist, außerdem selbst nach seiner Darstellung ein beträchtliches Maß der Schuld auch auf jüdischer Seite liegt, so bleibt immer noch genug übrig, um dem Charakterbild des G. ein häßliches, abstoßendes Gepräge zu verleihen. Schon die Erpressungen der früheren Procuratoren von Judäa hatten zu einer wachsenden Unzufriedenheit und Erbitterung der Juden geführt; unter G. kam der Krieg zum Ausbruch. Trotz der Schandtaten, die seine Vorgänger sich hatten zuschulden kommen lassen, wird G. an Verruchtheit noch in einen grellen Gegensatz zu ihnen gestellt, Joseph. bell. Iud. II 277–279; ant. Iud. XX 253–257. Der furchtbare Unwillen der Juden gegen ihren Bedrücker machte sich zuerst in heftigen Beschwerden gegen ihn Luft, als der Statthalter von Syrien, C. Cestius Gallus, im J. 66 zur Zeit des Passahfestes nach Jerusalem kam; doch hatten diese Anklagen keinen Erfolg, Joseph. bell. Iud. II 280–282. Nach Josephus (II 283; vgl. 293. 318. 333. 420. 531) hätte G. die Absicht gehabt, die Juden zur offenen Empörung zu reizen, da ihm sonst wegen seiner Übergriffe die Anklage beim Kaiser gedroht hätte. Im weiteren Verlauf der Erzählung berichtet Josephus (284–292), wie der Aufstand in Caesarea im Monat Artemisios 66 (s. o.) zum Ausbruch kam und immer weiter um sich griff. In Jerusalem entstanden Unruhen, als G. dem Tempelschatz 17 Talente zu entnehmen befahl. Die Entrüstung und der bittere Hohn, mit dem die Juden dieses Vorgehen beantworteten, riß ihn zu weiteren Gewalttätigkeiten hin. Er kam selbst nach Jerusalem und reizte trotz aller Beschwichtigungsversuche der Priester und angesehensten Männer die Bevölkerung durch sein gehässiges Auftreten. Seinen Truppen gab er den Befehl zur Plünderung und ließ unter der widerstrebenden Menge ein Blutbad anrichten. Sein schonungsloses Vorgehen traf selbst Juden, die den Rang römischer Ritter bekleideten (293–308). Ja, selbst (Iulia) Berenike, die Schwester des Königs Agrippa II. – dieser selbst war nach Alexandreia gereist, um den damals neu eingesetzten Präfekten von Ägypten (Ti. Iulius) Alexander, mit dem er verschwägert war, zu beglückwünschen – geriet, als sie sich ihrer schwer bedrängten Glaubensgenossen annahm, in persönliche Gefahr (309–314). Trotz dieser schrecklichen Vorgänge (am 16. Artemisios = 3. Juni 315) schien das Volk den Mahnungen der Priester Gehör zu schenken und wieder zur Ruhe zurückzukehren, aber bald loderte die Flamme des Aufruhrs, durch G. geschürt, von neuem empor. Denn schon verschärften sich die unter den Juden selbst entstandenen Parteigegensätze. Die Zeloten trieben ihre Mitbürger, die sich anfangs nur gegen G.s Gewalttaten auflehnten, in einen allgemeinen Krieg gegen die Römer, und bald hatten die Besonneneren und Gemäßigteren die Führung über das Volk verloren. So kam es zu neuen, heftigeren Ausbrüchen der Volkswut, als G. zur Verstärkung seiner Streitmacht zwei Kohorten nach Jerusalem kommen ließ; ein furchtbarer Straßenkampf entspann sich, in welchem [1327] nach einem gräßlichen Gemetzel die Römer zurückgeworfen wurden. G. verließ die Stadt und begab sich nach Caesarea zurück (315–332). Wieder wurde Cestius Gallus von beiden Seiten mit Klagen bestürmt, konnte sich aber noch nicht zu einer entschiedenen Maßregel aufraffen, sondern schickte zur Untersuchung des Falles nur einen seiner Offiziere nach Jerusalem, der den Juden eine nichtssagende Anerkennung für ihre Haltung zuteil werden ließ. Auch der aus Ägypten heimkehrende König Agrippa II. konnte, als ihm über G.s Grausamkeiten geklagt wurde, nichts anderes tun, als sein aufgeregtes Volk beschwichtigen. In der Tat schien es, als ob seine Mahnung zum Frieden und zur Unterwerfung unter die Herrschaft der Römer (seine lange Rede gibt Joseph. 345–401 wieder) Erfolg gehabt hätte, 333–405. Als aber Agrippa in seiner Mäßigung noch weiter gehen und die Juden zum Gehorsam auch gegen G. bewegen wollte, da entlud sich auch über ihn selbst ein Sturm der Entrüstung, und die kriegerischen Ereignisse nahmen, ohne daß er es hindern konnte, ihren unausgesetzten Verlauf (406. 407). Ein nochmals unternommener Versuch der Friedenspartei, Florus selbst zur Unterstützung gegen die Zeloten zu gewinnen, scheiterte an seinem bösen Willen, während sich Agrippa bereitwillig in den Dienst der guten Sache stellte (418–421). Der Gang der Kriegsereignisse, wie sie Josephus ausführlich schildert, braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. Über G. erfahren wir nur noch, daß er an der furchtbaren Judenverfolgung in Caesarea entsprechenden Anteil nahm (457). Noch bei der Belagerung Jerusalems durch Cestius Gallus soll G. seinen unheilvollen Einfluß auf den Feldherrn ausgeübt haben, so daß dieser vom Angriff abließ, dessen voraussichtlicher Erfolg dem Krieg ein rasches Ende gesetzt hätte (531). Erst nach so vielen Mißerfolgen war Cestius Gallus einverstanden, daß eine bei ihm anlangende Gesandtschaft der Juden bei Nero selbst, der damals eine ,Kunstreise‘ durch Griechenland machte, vorsprach, um diesem ihre Beschwerden gegen G. als den eigentlichen Urheber des Krieges vorzutragen; so hoffte er, den zu befürchtenden Zorn des Kaisers wegen seiner Niederlage auf G. abzulenken (558). Hier ist G. zum letztenmal erwähnt; diese Begebenheiten fallen in das Ende des J. 66. Sein späteres Schicksal ist uns nicht überliefert. Ganz kurz erzählt auch Tacitus hist. V 10 (Sulpic. Sever. a. a. O.), daß unter dem Procurator G. der Aufstand der Juden ausbrach. Die sonstigen Erwähnungen des G. gehen auf Josephus zurück: Euseb. hist. eccl. II 26. 1; ferner in seiner Chronik nach der armenischen Übersetzung ed. Schoene II p. 154 g. 156 h, nach Hieron. ebd. 155 u. 157 n. nach Synkell. a. a. O. Schließlich sei noch erwähnt (ein Hinweis, den ich der Freundlichkeit von Prof. D. Sam. Kraus in Wien verdanke), daß im Traktat Sopherim 13, 6 in der Liste der angeblichen Ahnen Hamans, die aus den Namen bekannter Judenfeinde zusammengestellt ist, auch Kuza oder Kiza (כּיזא‎ oder כּיזא‎) vorkommt, den man für G. hält, s. Strack Jesus, die Häretiker u. die Christen (Leipzig 1910) 46f., Textbeil. S. 20.

Literatur. Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 388–390. [1328] Mommsen R. G. V 529–532. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes I4 585. 600–610. Vgl. auch Groag o. Bd. III S. 2006f. Weynand o. Bd. VI S. 2629f. Zur Chronologie des Josephus s. Ed. Schwartz in der Eusebios-Ausgabe von Mommsen-Schwartz III p. CCXIX; ders. in Götting. Nachr. 1907, 264–266. Niese Herm. XXVIII 194–229. G. F. Unger S.-Ber. Akad. München 1893 II 453–492.

[Stein. ]