Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gebäude, in dem der Zuschauerraum rundum läuft
Band I,2 (1894) S. 1959 (IA)–1962 (IA)
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Amphitheatrum. Der Name ἀμφιθέατρον (sc. οἰκοδόμηνα, s. Friedländer S.-G.⁶ II 558) bezeichnet nicht ein Doppeltheater (Isidor. or. XV 2. XVIII 52, wohl nach Sueton; Mommsen Mon. Anc.² 94), sondern ein Gebäude, in welchem der Zuschauerraum (θέατρον) ringsherum läuft, und er ist dementsprechend anfangs nicht, wie [1960] zuerst bei Vitruv I 7, 1. Mon. Anc. IV 41 und dann später regelmässig auf das für Fechterspiele und Tierhetzen bestimmte Gebäude ausschliesslich beschränkt gewesen, sondern wurde auch vom Circus angewendet (Dionys. ant. III 68. IV 44), während das ,Amphitheater‘ früher, gleich Circus und Theater, spectacula (Schausitze) genannt wurde; vgl. CIL I 1246. X 1074. Nissen Pomp. Stud. 109.

Die geschichtliche Entwicklung des A. lässt sich nur in den wesentlichsten Punkten und vermutungsweise bestimmen. Das Bedürfnis, für Gladiatorenkämpfe und Jagden besondere Gebäude zu benutzen, hat sich erst verhältnismässig spät eingestellt. Die Tierhetzen, welche man zur Zeit der Republik mit den Staatsspielen und erst in der nachaugusteischen Zeit fast regelmässig mit den Fechterkämpfen zu einem munus zu verbinden pflegte, fanden vordem im Circus statt (s. unter Venationes), die Gladiatoren dagegen traten ursprünglich – in Rom bis in die augusteische Zeit hinein sogar fast ausnahmslos – entweder bei kleineren Spielen zu Ehren eines Verstorbenen als sog. bustuarii (s. d.) am Scheiterhaufen selbst auf oder auf dem Forum, wo man für diesen Zweck hölzerne Sitzbänke errichtete, die aus naheliegenden Gründen in den vier Ecken des Platzes sicherlich abgerundet waren und somit bei der länglichen Gestalt des italischen Marktes von Anfang an einen elliptischen Raum als arena umschlossen. Auch in Campanien, wo die Römer das ausgebildete Fechterwesen kennen lernten, wird in der ersten Zeit das Forum der Ort für die Gladiatorenspiele gewesen sein; Vitruv giebt V 1, 1 sogar ganz allgemein an, dass man in Italien im Gegensatz zu Griechenland die Märkte der Gladiatorenspiele wegen länglich angelegt habe, eine Äusserung, die, obwohl sie an sich falsch ist, die regelmässige Benutzung des Forums für diesen Zweck beweist. In den Gerüsten des Forums, nicht im Circus und noch weniger im Theater, haben wir daher auch die besondere Form des A. zu erkennen (vgl. auch Hirt Gesch. d. Baukunst b. d. Alten III 159), wenngleich bei der Anordnung und Einteilung der Sitzreihen auch diese Gebäude von Einfluss gewesen sind. In Rom soll zuerst C. Curio, der allerdings seinem verstorbenen Vater zu Ehren Gladiatoren kämpfen liess (vgl. Cic. ad fam. II 3, 1. Plin. n. h. XXXVI 116), ein hölzernes Amphitheater gebaut haben; aber Plinius Bericht kann nur als Versuch gelten, die falsche Etymologie des Wortes ἀμφιθέατρον = Doppeltheater aetiologisch zu begründen. Auch wissen wir nicht, was es für eine Bewandtnis mit dem θέατρον κυνηγητικόν hat, welches Caesar 46 v. Chr. für Gladiatorenspiele und Tierhetzen erbaut haben soll (Dio XLIII 22, 3), da Sueton Caes. 39 ausdrücklich vom Forum als dem Ort für erstere spricht, und Dio selbst dies a. a. O. 23, 3 bestätigt. Somit ist das von Statilius Taurus 29 v. Chr. grösstenteils aus Steinen erbaute, also ständige Amphitheater überhaupt auch das erste sicher für Rom bezeugte (Suet. Aug. 29. Dio LI 23. LXII 18). Aber in Campanien hatte sich bereits beträchtlich früher die Entwicklung des A. von gelegentlich aufgeschlagenen Gerüsten zu festen, stehenden Gebäuden vollzogen. Denn das A. zu Pompei [1961] ist, gleich dem kleinen Theater, schon bald nach Gründung der sullanischen Veteranencolonie (Cic. pro Sulla 60ff.) von den Quinquennalen C. Quinctius Valgus und M. Porcius errichtet worden, vermutlich nach dem Vorbild eines noch älteren Gebäudes, das wir in Capua vorauszusetzen haben, dem Mittelpunkt des Gladiatorenwesens, wo dann später ein A. nach dem Typus der römischen Kaiserzeit erbaut wurde. Aber im Gegensatz zu denen der letzteren trägt auch noch das A. zu Pompei die deutlichen Spuren früher Entstehung. Vgl. Mazois Ruines d. Pompei IV Taf. 43ff. Overbeck-Mau Pompei⁴ 176ff. Nissen Pompej. Stud. 97ff. Ein Vergleich desselben mit dem A. der Kaiserzeit wird die zweite Periode in der Geschichte dieser Gebäudeart kennzeichnen, welche mit dem stehenden, aber lediglich dem praktischen Zweck gehorchenden Gebäude beginnt und mit dem künstlerisch durchgebildeten und constructiv hoch bedeutsamen Monumentalbau eines Colosseums schliesst. Nur muss man dabei bedenken, dass unter beschränkten Verhältnissen auch noch in späterer Zeit A. von einfacher, rein praktischer Anlage erbaut wurden, wie z. B. die von Fréjus, Tusculum, Nysa in Karien u. s. w. an einem Hügel, beziehungsweise in einer sich senkenden Schlucht lagen. In ähnlicher Weise lehnt sich das A. zu Pompei mit einer Längs- und einer Schmalseite an die hier einen Winkel bildende Stadtmauer und nur mit den beiden anderen Seiten an eigens erbaute Stützmauern an, denen ganz schlichte, oben durch Rundbögen mit einander verbundene Strebepfeiler vorgelegt sind. Vollkommen aufgemauert scheint ausserdem nur die infima cavea zu sein, während zwischen dieser und der Aussenmauer ein mächtiger, nur von verschiedenen Gängen unten durchzogener Erdwall aufgetragen ist. Einfach, aber dem Zweck völlig entsprechend ist auch die Anlage der Zugänge und Aufgänge zu den Sitzplätzen. In die Arena führen, abgesehen von einem schmalen westlichen Eingang, an den Schmalseiten zwei breite Gänge, von denen jedoch der im Süden mündende der nahen Stadtmauer wegen gleichfalls von Westen kommt und in einem rechten Winkel bricht. Sowohl diese Hauptzugänge, wie zwei andere, von Westen her senkrecht auf die Hauptachse des A. zustossende, stellen sodann die Verbindung mit einem Rundgang her, der um die Untermauerung der infima cavea fast ununterbrochen herumläuft, und von diesem steigen schliesslich kleine Treppen empor, die teils innerhalb der zwischen infima und media cavea laufenden Brüstung an der obersten Bank der infima, teils ausserhalb der Brüstung an der untersten Bank der media cavea münden. Dagegen erfolgte die Besetzung der summa cavea nicht aus dem Innern des Gebäudes, sondern vermittels grosser Freitreppen, die gleich der Brüstung der Aussenmauer auf Bögen ruhen und der letzteren vorgelegt sind. Von dem breiten Umgang aus, der das Gebäude oben umgiebt, steigt man sodann zur summa cavea hinab, muss aber zuvor unter einem Aufbau hindurchgehen, der geschlossene Logen für die Frauen enthält. So zweckmässig diese ganze Anlage behufs schneller Füllung und Entleerung des für etwa 20 000 Menschen berechneten A. erscheint, und so grossartig [1962] der Blick von der Arena aus ist, so erhebt sich doch kein Teil des Gebäudes über den Grad der Zweckmässigkeit, am wenigsten das völlig schmucklose Äussere mit seinen Strebepfeilern, Bögen und Treppen, zumal die Höhe desselben 3–4 m. unter der des Innern bleibt; denn der Boden der Arena ist künstlich vertieft, so dass sich die Zugänge zum Rundgang und zur Arena nach innen zu senken. Von diesem einfachen Bau unterscheidet sich das A. der Kaiserzeit, für welches das Colosseum (das Nähere s. d.) das glänzendste Beispiel ist, im Innern so gut wie im Äussern. Denn hier ist der ganze schräge Raum unter den ansteigenden Sitzreihen in ein weit verzweigtes System von Zugängen, Rundgängen und Treppen aufgelöst, welche die Bewegung einer auch gewaltigen Zuschauermenge sehr viel leichter und freier gestalten, und auf deren starken Gewölben die Sitzreihen aufliegen. Einer gleichen Auflösung ist aber auch das Äussere anheimgefallen. Statt der von nur wenigen Eingängen durchbrochenen, sonst geschlossenen Mauer des A. zu Pompei besteht hier die Mauer unten aus lauter Arkaden, die zunächst in offene Hallen führen, oben, vom höchsten Stockwerk abgesehen, aus lauter Emporen. Gesimse schliessen die einzelnen Stockwerke und das ganze Gebäude oben ab und werden ihrerseits von Halbsäulen getragen, die in der Regel den verschiedenen Stockwerken nach auch einer verschiedenen Ordnung angehören. So baut sich ein Äusseres von mächtiger Wirkung auf, in seiner grossen Masse senkrecht wie wagrecht klar und durchsichtig gegliedert, aber ohne decorative Einzelheiten, die nur kleinlich ausgefallen wären, das Ganze ein Bau, der die Eigenschaften der Zweckmässigkeit und der künstlerischen Durchdringung in gleichem Masse besitzt.

Die untersten Sitzplätze des A. liegen hoch über dem Boden der Arena und sind noch durch eine Brüstung gegen dieselben abgeschlossen. Doch musste diese noch durch Gitter oder Netzwerk besonders geschützt werden, sobald Jagden auf reissende Tiere im A. abgehalten wurden, wie im Circus Maximus dem gleichen Zweck ein von Caesar angelegter, 10 Fuss breiter und tiefer Graben diente (Suet. Caes. 39. Plin. n. h. VIII 21. Dionys. III 68). Über die Sitzplätze und ihre Verteilung an die Zuschauer s. unter Cavea; vgl. auch unter Maenianum, Praecinctiones, Cunei, Gradus. Eine Zusammenstellung aller nachweisbaren Amphitheater des ganzen Reiches bei Friedländer 551–620; s. auch 362. 428–435. Von der älteren Litteratur zu erwähnen: Lipsius De amphitheatro liber (Antwerpen 1575); de amphitheatris quae extra Romam libellus (ebd.). Maffei Degli anfiteatri (Verona illustrata 1826 vol. V). Promis Memorie della città di Luni (1837) 225; Storia dell’ antica Torino (1869) 190.