Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil/Kapitel I

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Kapitel I
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aus: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil
Seite: 55–121
von: Ernst Cassirer
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[53]
ERSTER TEIL
ZUR PHÄNOMENOLOGIE DER SPRACHLICHEN FORM

[54]

[55]
KAPITEL I
DAS SPRACHPROBLEM IN DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE[1]
I

Die philosophische Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Sprache ist im Grunde so alt, wie die Frage nach dem Wesen und Ursprung des Seins. Denn eben dies charakterisiert die erste bewußte Reflexion über das Ganze der Welt, daß für sie Sprache und Sein, Wort und Sinn sich noch nicht voneinander abgesondert haben, sondern daß sie ihr als eine untrennbare Einheit erscheinen. Weil die Sprache selbst eine Voraussetzung und Bedingung der Reflexion ist, weil erst in ihr und durch sie die philosophische „Besonnenheit“ erwacht, – darum findet auch die erste Besinnung des Geistes sie immer schon als eine gegebene Realität, als eine „Wirklichkeit“, die der physischen vergleichbar und ebenbürtig ist, vor. Die Welt der Sprache umfängt den Menschen, in dem Augenblick, in dem er zuerst seinen Blick auf sie richtet, in derselben Bestimmtheit und Notwendigkeit und in der gleichen „Objektivität“, mit der ihm die Welt der Dinge gegenübertritt. Hier wie dort steht vor ihm ein Ganzes, das in sich selbst sein eigenes Wesen und seine eigenen, aller individuellen Willkür entrückten Bindungen besitzt. So wenig wie die Beschaffenheit [56] der Dinge oder die unmittelbare Beschaffenheit seiner sinnlichen Eindrücke – so wenig geht, für diese erste Stufe der Betrachtung, auch das Sein und die Bedeutung der Worte auf eine freie Tätigkeit des Geistes zurück. Das Wort ist nicht eine Bezeichnung und Benennung, nicht ein geistiges Symbol des Seins, sondern es ist selbst ein realer Teil von ihm. Die mythische Anschauung der Sprache, die der philosophischen überall vorausgeht, ist durchgehend durch diese Indifferenz von Wort und Sache gekennzeichnet. Für sie ist im Namen jedes Dinges sein Wesen beschlossen. An das Wort und seinen Besitz knüpfen sich unmittelbar magische Wirkungen. Wer sich des Namens bemächtigt und ihn zu gebrauchen weiß, der hat damit die Herrschaft über den Gegenstand selbst gewonnen, – der hat sich ihn mit all seinen Kräften zu eigen gemacht. Aller Wort- und Namenzauber beruht auf dieser Voraussetzung, daß die Welt der Dinge und die der Namen eine einzige Wirklichkeit, weil ein einziger in sich ungeschiedener Wirkenszusammenhang ist. Es ist die gleiche Form der Substantialität und die gleiche Form der Kausalität, die in jeder von ihnen gilt und die sie mit einander zu einem in sich geschlossenen Ganzen verknüpft.

Diese eigentümliche „Ganzheit“ des mythischen Weltbildes, diese Aufhebung aller Besonderungen der Dinge in einen mythisch-magischen Kreis des Wirkens schließt nun auch für die Auffasssung der Sprache eine bedeutsame Konsequenz in sich. Sobald der Mythos sich über die Stufe der primitivsten magischen „Praxis“ erhebt, die je eine besondere Wirkung durch die Anwendung eines besonderen Mittels zu erreichen strebt, die also im unmittelbaren Tun ein Einzelnes an ein anderes Einzelne knüpft, – sobald er in noch so roher und unvollkommener Form sein eigenes Tun zu verstehen sucht, ist er damit bereits zu einer neuen Sphäre der Allgemeinheit durchgedrungen. Als Erkenntnisform ist ihm, wie jeder anderen Erkenntnis, der Zug zur Einheit wesentlich. Sollen die geistigen Wesenheiten und Kräfte, in denen der Mythos lebt, für das Tun des Menschen beherrschbar sein, so müssen sie in sich selbst bereits irgendwelche bleibende Bestimmungen aufweisen. So schließt schon der erste unmittelbar sinnliche und praktische Zwang, den der Mensch auf die ihn umgebenden Dinge der Natur ausübt, den ersten Keim für den Gedanken einer in ihnen waltenden theoretischen Notwendigkeit in sich. Je weiter das mythische Denken fortschreitet, um so mehr hören die dämonischen Einzelkräfte auf, bloße Einzelkräfte, bloße „Augenblicksgötter“ oder „Sondergötter“ zu sein; – um so mehr zeigt sich auch zwischen ihnen eine Art Über- und Unterordnung, eine Art der hierarchischen [57] Gliederung. Die mythische Ansicht der Sprache geht in der gleichen Richtung fort, indem sie sich von der Anschauung der besonderen Kraft, die im einzelnen Wort und in der einzelnen magischen Formel enthalten ist, mehr und mehr zum Gedanken einer allgemeinen Potenz erhebt, die das Wort als solches, die die „Rede“ als Ganzes besitzt. In dieser mythischen Form wird der Begriff der Sprache als Einheit zuerst konzipiert. Schon in der frühesten religiösen Spekulation kehrt mit charakteristischer Gleichförmigkeit in weit auseinanderliegenden Gebieten dieser Gedanke wieder. Für die vedische Religion bildet die geistige Kraft des Wortes eines der Grundmotive, aus dem sie erwächst: das heilige Wort ist es, das in dem Gebrauch, den der Wissende, der Priester, von ihm macht, zum Herrn über alles Sein, über Götter und Menschen wird. Schon im Rigveda wird der Gebieter des Wortes mit der allnährenden Kraft, dem Soma, gleichgesetzt und als der bezeichnet, welcher über alles mit Macht gebietet. Denn der menschlichen Rede, die entsteht und vergeht, liegt die ewige und unvergängliche Rede, die himmlische Vâc zugrunde. „Ich wandle – so spricht diese himmlische Rede in einem Hymnus von sich selbst – mit den Vasu’s, mit den Rudra’s, mit den Aditya’s und mit allen Göttern … Ich bin die Königin, die Spenderin der Güter, die wissende, bin der ehrwürdigen erste; vielfach verteilt, an vielen Orten weilend, vieles durchdringend, machten mich die Götter. Wer Einsicht hat, der speiset durch mich Speise; wer atmet, wenn er höret, was ich sage … Dem Winde gleichend wahrlich stürm’ ich vorwärts, mit Macht erfassend sämtliche Geschöpfe. Weit ob dem Himmel, weit hier ob der Erde bin ich so groß an Majestät geworden[2].“

Noch eng verschwistert mit dieser mythischen Ansicht von der Würde und Allmacht des himmlischen Wortes scheint auf den ersten Blick der Begriff des „Logos“ zu sein, wie er sich zuerst in der griechischen Spekulation gestaltet. Denn auch hier ist das Wort ein Ewiges und Unvergängliches; auch hier geht auf seine Einheit und Unzerstörbarkeit die Einheit und der Bestand des Seienden überhaupt zurück. So wird für Heraklit der Logos zum „Lenker des All“. Gleich dem Kosmos, den es beherrscht, hat es keiner von den Göttern und keiner der Menschen geschaffen, sondern es war immerdar und ist und wird sein. Aber mitten in der Sprache des Mythos, die Heraklit noch spricht, wird jetzt ein ganz neuer Ton vernehmlich. [58] Der mythischen Ansicht des Weltgeschehens tritt zum ersten Mal in voller Bewußtheit und Klarheit der philosophisch-spekulative Grundgedanke von der einheitlichen und unverbrüchlichen Gesetzlichkeit des All gegenüber. Die Welt ist kein Spielball dämonischer Mächte mehr, die sie nach Laune und Willkür regieren, sondern sie untersteht einer schlechthin allgemeinen Regel, die alles einzelne Sein und alles einzelne Geschehen bindet und die ihm seine festen Maße anweist. „Die Sonne wird ihre Maße nicht überschreiten, sonst werden die Erinnyen, die Schergen der Dike, sie ausfindig zu machen wissen.“ (fr. 94, Diels.) Und dieses eine in sich unveränderliche Gesetz des Kosmos ist es nun, was sich, in verschiedener Form und doch innerlich sich selbst gleich, in der Welt der Natur, wie in der der Sprache ausdrückt. Denn eines ist Weisheit: den Sinn zu erkennen, der durch alles hindurchwirkt – ἕν τὸ σοφόν, ἐπίστασθαι γνώμην, ὁτέη ἐκυβέρνησε πάντα διὰ πάντων. (fr. 41.) Der magisch-mythische Kraftzusammenhang hat sich somit jetzt in einen Sinnzusammenhang gewandelt. Dieser aber erschließt sich uns freilich nicht, solange wir noch dabei stehen bleiben, das Eine Sein nur getrennt und bruchstückweise, nur zerschlagen in eine Vielheit besonderer „Dinge“, zu erfassen, sondern erst, wenn wir es als ein lebendiges Ganze anschauen und erfassen. Auch die Sprache vereinigt in sich beide Ansichten: auch in ihr findet sich, je nachdem wir sie betrachten, nur eine zufällige und partikuläre Auffassung des Seins oder eine echt spekulative und allgemeine ausgedrückt. Betrachten wir den Logos der Sprache nur in der Form, in der er sich im einzelnen Wort darstellt und niederschlägt – so zeigt sich, daß jedes Wort den Gegenstand, den es bezeichnen will, vielmehr begrenzt und in dieser Begrenzung verfälscht. Durch die Fixierung im Wort wird der Inhalt aus dem kontinuierlichen Strom des Werdens, in dem er steht, herausgehoben, wird er also nicht nach seiner Totalität erfaßt, sondern nur nach einer einseitigen Bestimmung dargestellt. Hier bleibt, wenn wir wieder zur tieferen Erkenntnis des echten Wesens des Dinges vordringen wollen, kein anderer Weg, als diese einseitige Bestimmung in einer anderen wiederum aufzuheben, also jedem Wort, das einen bestimmten Einzelbegriff in sich faßt, den Gegensatz eben dieses Begriffs gegenüberzustellen. Und so zeigt sich in der Tat, im Ganzen der Sprache, jede Bedeutung an ihr Gegenteil, jeder Sinn an seinen Gegensinn gebunden und wird erst mit ihm vereint zum adäquaten Ausdruck des Seins. Die geistige Synthese, die Vereinigung, die sich im Wort vollzieht, gleicht darin der Harmonie des Kosmos und drückt sie in sich aus, daß sie eine in sich „gegenstrebige“ ist: [59] παλίντροπος ἁρμονίη ὅκωςπερ τόξου καὶ λύρης (fr. 51). Und hier tritt uns das Grundgesetz des All zugleich in gesteigerter, in potenzierter Form entgegen. Denn was im Seienden als Gegensatz erscheint, das wird im Ausdruck der Sprache zum Widerspruch: – und nur in einem solchen Wechselspiel von Setzung und Aufhebung, von Spruch und Widerspruch gelingt es, das wahrhafte Gesetz und die innere Struktur des Seienden in der Sprache wiederzugeben. So begreift man, von Heraklits Gesamtanschauung der Welt aus, die Grundform seines Stils, dessen vielberufene „Dunkelheit“ nicht zufällig und willkürlich, sondern der adäquate und notwendige Ausdruck des Gedankens selbst ist. Heraklits Sprachstil und sein Denkstil bedingen sich wechselseitig: beide stellen, nach verschiedenen Seiten hin, das gleiche Grundprinzip seiner Philosophie, das Prinzip des ἑν διαφερόμενον ἑαυτῷ dar. Sie weisen auf jene „unsichtbare Harmonie“ hin, die, nach Heraklits Wort, besser ist als die sichtbare, und wollen an ihr gemessen sein. Wie Heraklit das einzelne Objekt in den stetigen Strom des Werdens stellt und es in ihm zugleich vernichtet und aufbewahrt sein läßt, so soll auch das einzelne Wort sich zum Ganzen der „Rede“ verhalten. Selbst die innere Vieldeutigkeit, die dem Wort anhaftet, ist daher kein bloßer Mangel der Sprache, sondern ein wesentliches und positives Moment der in ihr gelegenen Ausdruckskraft. Denn in ihr erweist sich eben, daß seine Grenzen, wie die des Seienden selbst, nicht starre, sondern fließende sind. Nur in dem beweglichen und vielgestaltigen Sprachwort, das gleichsam seine eigenen Grenzen immer wieder durchbricht, findet die Fülle des weltgestaltenden Logos ihr Gegenbild. Alle Trennungen, die die Sprache vollzieht und vollziehen muß, müssen von ihr selbst als vorläufige und relative erkannt werden, die sie selbst wieder zurücknimmt, sofern sie den Gegenstand unter einen neuen Gesichtspunkt der Betrachtung rückt. „Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Überfluß und Hunger: er wandelt sich aber wie Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermengt wird, nach eines jeglichen Belieben bald so, bald anders benannt wird.“ (fr. 62, 67.) So sind Unsterbliche sterblich, Sterbliche unsterblich: sie leben gegenseitig ihren Tod und sterben ihr Leben, (fr. 62.) Wer daher mit Verstand reden will, der darf sich durch die Besonderung der Worte nicht täuschen lassen, sondern muß hinter sie zurückdringen zu dem allem Gemeinsamen, zum ξυνόν καὶ δεῖον[3]. Dann erst, [60] wenn Sinn und Gegensinn der Worte in dieser Weise verstanden und miteinander verknüpft werden, kann das Wort zum Führer und zur Richtschnur der Erkenntnis werden. So begreift man, daß auch die meisten der „Etymologien“, mit denen Heraklit spielt, diese zwiefache Wendung in sich schließen: daß sie Wort und Sache, statt durch irgendeine Ähnlichkeit, mit Vorliebe per antiphrasin miteinander verbunden und aneinander gebunden sein lassen. „Des Bogens Name ist Leben, sein Werk aber ist Tod“ (τῶι οὖν τόξωι ὄνομα βίος, ἔργον δὲ θάνατος. fr. 48). Jeder einzelne sprachliche Inhalt ist immer zugleich Enthüllung und Verhüllung der Wahrheit des Seins; ist immer zugleich rein bedeutend und bloß andeutend[4]. So gleicht in dieser Weltansicht die Sprache der Sibylle, die, nach Heraklits Wort, mit rasendem Mund Ungeschminktes und Ungesalbtes redet, die aber nichtsdestoweniger mit ihrer Stimme durch die Jahrtausende reicht: denn der Gott treibt sie. (fr. 92.) Sie faßt in sich einen Sinn, der ihr selbst doch verschlossen bleibt, den sie sich nur ahnend im Bild und Gleichnis zu enträtseln vermag.

Aber wenn sich in dieser Auffassung der Sprache eine zwar unbestimmte und ungeklärte, aber doch in sich selbst völlig geschlossene Gesamtkonzeption des Seins und des Geistes ausdrückt – so wird bei den nächsten Nachfolgern Heraklits, die sich seine Lehre zu eigen machen, diese ihre originale Bedeutung immer weiter zurückgedrängt. Was bei ihm, in einer letzten Tiefe der metaphysischen Intuition, noch als unmittelbar eins gefühlt wurde, – das fällt jetzt, in der diskursiven Betrachtung und Behandlung des Sprachproblems in heterogene Bestandteile, in einander widerstreitende logische Einzelthesen auseinander. Beide Motive, die Heraklits Metaphysik zu einer Einheit zusammengeschaut und zusammengezwungen hatte: die Lehre von der Identität von Wort und Sein und von dem Gegensatz zwischen Wort und Sein, erfahren jetzt ihre selbständige Entwicklung. Damit erst wird das Problem der Sprache in wirklicher begrifflicher Schärfe gestellt – aber zugleich wird damit der Grundgedanke Heraklits, indem man versucht, ihn aus der Form der symbolischen Andeutung in die des abstrakten Begriffs umzubilden, gleichsam zerschlagen und in kleine gangbare Münze umgeprägt. Was bei ihm ein sorgsam behütetes Geheimnis war, auf das er nur von fern her hinzudeuten wagte – das wird jetzt mehr und mehr zum eigentlichen Gegenstand des philosophischen Tages- und Streitgesprächs. Xenophons Memorabilien entwerfen ein anschauliches Bild davon, wie im Athen des fünften Jahrhunderts dieses Lieblingsthema der ὀρθότης τῶν ὀνομάτων [61] beim Wein und bei der Mahlzeit verhandelt wurde[5]. Besteht zwischen der Sprachform und der Seinsform, zwischen dem Wesen der Worte und dem der Dinge, ein natürlicher oder nur ein vermittelter und konventioneller Zusammenhang? Drückt sich in den Worten das innere Gefüge des Seins aus, oder zeigt sich in ihnen kein anderes Gesetz, als dasjenige, das die Willkür der ersten Sprachbildner ihnen aufgeprägt hat? Und wenn das letztere gilt: – muß dann nicht, sofern überhaupt noch irgendein Zusammenhang zwischen Wort und Sinn, zwischen Sprechen und Denken angenommen wird, das Moment der Willkür, das dem Wort unvermeidlich anhaftet, auch die objektive Bestimmtheit und die objektive Notwendigkeit des Denkens und seiner Inhalte fragwürdig machen? Daher scheint die Sophistik, um ihren Satz der Relativität aller Erkenntnis zu verfechten, um den Menschen als „Maß aller Dinge“ zu erweisen, der Betrachtung der Sprache ihre besten Waffen entlehnen zu können. Sie ist in der Tat von ihren ersten Anfängen an in jenem Mittelreich der Worte, das zwischen der „objektiven“ und der „subjektiven“ Wirklichkeit, zwischen dem Menschen und den Dingen steht, recht eigentlich heimisch; sie befestigt sich in ihm, um von hier aus ihren Kampf gegen die Ansprüche des „reinen“, des angeblich allgemeingültigen Denkens zu führen. Das überlegene Spiel, das sie mit der Mehrdeutigkeit der Worte treibt, liefert ihr auch die Dinge in die Hand und erlaubt ihr, deren Bestimmtheit in die freie Bewegung des Geistes aufzulösen. So führt die erste bewußte Reflexion über die Sprache und die erste bewußte Herrschaft, die der Geist über sie gewinnt, zugleich zur Herrschaft der Eristik; – aber von hier, von der Besinnung auf den Gehalt und Urgrund des Sprechens geht andererseits auch die Reaktion aus, die zu einer neuen Grundlegung und zu einer neuen Methodik des Begriffs hinführt.

Denn wie die Sophistik am Wort das Moment der Vieldeutigkeit und der Willkür erfaßt und heraushebt – so erfaßt Sokrates an ihm die Bestimmtheit und Eindeutigkeit, die freilich nicht als Tatsache in ihm gegeben ist, wohl aber als latente Forderung in ihm liegt. Die vermeinte Einheit der Wortbedeutung wird ihm zum Ausgangspunkt, an dem seine charakteristische Frage, die Frage nach dem τί ἔστι, nach dem identischen und in sich beharrenden Sinn des Begriffs einsetzt. Wenn das Wort diesen Sinn nicht unmittelbar in sich schließt, so deutet es doch beständig auf ihn hin – und die Aufgabe der Sokratischen „Induktion“ besteht [62] darin, diese Hindeutung zu verstehen, sie aufzunehmen und sie fortschreitend zur Wahrheit zu machen. Hinter der fließenden und unbestimmten Wortgestalt soll die dauernde identische Begriffsgestalt, als das eigentliche, die Möglichkeit des Sprechens wie des Denkens erst begründende Eidos aufgewiesen werden. Platon wurzelt in diesen Grundvoraussetzungen der Sokratik, und durch sie wird seine Stellung zum Wort und zur Sprache bestimmt. Er ist in seiner Jugend der Schüler des Kratylos, der, der Sophistik gegenüber, die andere, die positive Kehrseite des Heraklitischen Gedankens vertritt, indem er in den Worten die eigentlichen und echten, das Wesen der Dinge ausdrückenden und befassenden Erkenntnismittel sieht. Die Identität, die Heraklit zwischen dem Ganzen der Sprache und dem Ganzen der Vernunft behauptet hatte, wird hier auf das Verhältnis des einzelnen Wortes zu seinem gedanklichen Inhalt übertragen. Aber mit dieser Übertragung, mit dieser Umsetzung des metaphysischen Gehalts des Heraklitischen Logos-Begriffs in eine pedantisch-abstruse Etymologie und Philologie, war freilich bereits jene reductio ad absurdum gegeben, die Platons Dialog „Kratylos“ nun in voller dialektischer und stilistischer Meisterschaft vollzieht. Die These, daß es für jegliches Sein eine „natürliche“ Richtigkeit der Bezeichnung gebe (ὀνόματος ὀρθότητα εἶναι ἑκάστῳ τῶν ὄντων φύσει πεφυκῦιαν) wird jetzt in der überlegenen Ironie dieses Dialogs in sich selbst zerstört und in dieser naiven Form für immer beseitigt. Aber mit dieser Einsicht ist für Platon nicht jegliche Beziehung zwischen Wort und Erkenntnis abgebrochen, sondern es ist an Stelle des unmittelbaren und unhaltbaren Ähnlichkeitsverhältnisses zwischen beiden vielmehr ein tieferes mittelbares Verhältnis getreten. Im Aufbau und im Stufengang des dialektischen Wissens behält das Wort einen ihm eigentümlichen Platz und Wert. Die fließenden Grenzen, die jederzeit bloß relative Festigkeit des Wortgehalts wird für den Dialektiker zum Ansporn, um sich, im Gegensatz und im Kampf mit ihm, zur Forderung der absoluten Festigkeit des Bedeutungsgehalts der reinen Begriffe, zur βεβαιότης des Ideenreichs, zu erheben[6]. Aber erst Platons Altersphilosophie hat diese Grundanschauung, im positiven wie im negativen Sinne, zur vollständigen Entfaltung gebracht. Die Echtheit des siebenten Platonischen Briefes wird vielleicht durch nichts deutlicher erwiesen, als daß er in dieser Hinsicht unmittelbar an das Ergebnis des Kratylos anknüpft und es erst zu voller methodischer Klarheit und zu durchgreifender systematischer Begründung bringt.

Vier Stufen der Erkenntnis sind es, die der siebente Brief unterscheidet [63] und die erst in ihrer Gesamtheit zur Anschauung des wahren Seins, des Erkenntnisgegenstandes, als des γνωστὸν καὶ ἀληθῶς ὄν hinführen. Die untersten Stufen sind durch den Namen, durch die sprachliche Definition des Gegenstandes und durch sein sinnliches Abbild, durch ὄνομα, λόγος und εἴδωλον gegeben. So kann z. B. das Wesen des Kreises in dieser dreifachen Weise erfaßt werden: das eine Mal, indem wir einfach den Namen des Kreises aussprechen, das andere Mal, indem wir diesen Namen durch eine Erklärung des in ihm Gemeinten näher bestimmen und umgrenzen, indem wir also etwa den Kreis als dasjenige Gebilde „definieren“, was von den Endpunkten bis zum Mittelpunkt allseitig die gleiche Entfernung hat, und schließlich, indem wir irgendeine sinnliche Gestalt, sei sie im Sande hingezeichnet oder vom Drechsler verfertigt, als Bild, als Modell des Kreises vor uns hinstellen. Keine dieser Darstellungen im Wort, in der Definition und im Modell erreicht und faßt die wahre Wesenheit des Kreises – denn sie alle gehören nicht dem Reich des Seins, sondern dem des Werdens an. Wie der Laut wandelbar und flüchtig ist, wie er entsteht und vergeht, so kann auch das gezeichnete Bild des Kreises wieder weggewischt, das vom Drechsler gebildete Modell wieder vernichtet werden – alles Bestimmungen, von denen der Kreis als solcher (αὐτὸς ὁ κύκλος) in keiner Weise betroffen wird. Und doch wird andererseits erst durch diese für sich unzureichenden Vorstufen die vierte und fünfte Stufe, die wissenschaftliche Erkenntnis und ihr Gegenstand, erreicht. In diesem Sinne bleiben Name und Bild, ὄνομα und εἴδωλον, von der vernünftigen Einsicht, der ἐπιστήμη, aufs schärfste geschieden – und gehören doch andererseits zu ihren Voraussetzungen, zu den Vehikeln und Mittlern, vermöge deren wir uns erst, im stetigen Fortschritt und Stufengang, zur Erkenntnis erheben können (δι᾿ ὧν τὴν ἐπιστήμην ἀνάγκη παραγίγνεσθαι). Das Wissen vom Gegenstand und dieser selbst erscheint demnach ebensowohl als etwas, was diese drei Stufen überschreitet, wie als etwas, was sie in sich befaßt – als deren Transzendenz und deren Synthese[7].

In diesen Entwicklungen des siebenten Platonischen Briefes ist – zum erstenmal in der Geschichte des Denkens – der Versuch gemacht, den Erkenntniswert der Sprache in rein methodischem Sinne zu bestimmen und zu umgrenzen. Die Sprache wird als ein erster Anfangspunkt [64] der Erkenntnis anerkannt, aber sie ist auch nicht mehr als ein solcher Anfangspunkt. Ihr Bestand ist noch flüchtiger und wandelbarer als der der sinnlichen Vorstellung; die Lautgestalt des Wortes oder des aus ὀνοματα und ῥήματα sich aufbauenden sprachlichen Satzes faßt den eigentlichen Gehalt der Idee noch weniger, als es das sinnliche Modell oder Abbild tut. Und doch bleibt andererseits ein bestimmter Zusammenhang zwischen Wort und Idee gewahrt: wie von den sinnlichen Inhalten gesagt wird, daß sie nach den Ideen „streben“, so ist ein solcher Hinweis und gleichsam eine geistige Tendenz auf sie auch in den Gebilden der Sprache anzuerkennen. Zu dieser relativen Anerkennung war Platons System vor allem deshalb bereit und fähig, weil in ihm ein Grundmoment, das aller Sprache wesentlich ist, zum erstenmal in seiner prinzipiellen Bestimmtheit und in seiner ganzen Bedeutsamkeit erkannt war. Alle Sprache ist als solche „Repräsentation“; ist Darstellung einer bestimmten „Bedeutung“ durch ein sinnliches „Zeichen“. Solange die philosophische Betrachtung im Kreise des bloßen Daseins verharrt, vermag sie für dieses eigenartige Verhältnis im Grunde keine Analogie und keinen zutreffenden Ausdruck zu finden. Denn in den Dingen selbst, sei es, daß man sie nach ihrem Bestande als Inbegriffe von „Elementen“ betrachtet, sei es, daß man die Wirkungszusammenhänge zwischen ihnen verfolgt, findet sich nichts, was der Beziehung des „Wortes“ auf den „Sinn“, dem Verhältnis des „Zeichens“ zu der in ihm gemeinten „Bedeutung“ entspricht. Für Platon erst, für den sich die charakteristische Umkehr der Fragestellung vollzogen hat, die er im Phädon beschreibt, – für den es feststeht, daß der Weg des philosophischen Denkens nicht von den πράγματα zu den λόγοι, sondern von den λόγοι zu den πράγματα geht, da nur in der Wahrheit der Begriffe die Wirklichkeit der Dinge erfaßt und erschaut werden könne[8] – für ihn erst gewinnt der Begriff der Repräsentation eine wahrhaft zentrale systematische Bedeutung. Denn er ist es, in den sich das Grundproblem der Ideenlehre zuletzt zusammenfaßt, durch den sich das Verhältnis von „Idee“ und „Erscheinung“ ausdrückt. Die „Dinge“ der gemeinen Weltansicht, die sinnlich konkreten Erfahrungsgegenstände – sie werden, vom Standpunkt des Idealismus aus gesehen, selbst zu „Bildern“, deren Wahrheitsgehalt nicht in dem liegt, was sie unmittelbar sind, sondern in dem, was sie mittelbar ausdrücken. Und dieser Begriff des Bildes, des εἴδωλον schafft nun eine neue geistige Vermittlung zwischen Sprachform und Erkenntnisform. Um das Verhältnis zwischen beiden klar und scharf zu bezeichnen, um die [65] „Sphäre“ des Worts von der der reinen Begriffe abzugrenzen und sie zugleich mit ihr in Verbindung zu halten, braucht Platon jetzt nur auf den Zentralgedanken der Ideenlehre, auf den Gedanken der „Teilhabe“ zurückzugreifen. Das Dunkel, das Heraklits metaphysische Lehre von der Einheit von Wort und Sinn und von dem Gegensatz zwischen beiden umgab, erscheint jetzt, in diesem neuen Methodenbegriff der μέθεξις[9] mit einem Schlage geklärt. Denn in der „Teilhabe“ ist in der Tat ebensowohl ein Moment der Identität, wie ein Moment der Nicht-Identität enthalten; in ihr ist ebensowohl ein notwendiger Zusammenhang und eine Einheit der Elemente, wie eine scharfe prinzipielle Auseinanderhaltung und Unterscheidung derselben gesetzt. Die reine Idee des „Gleichen selbst“ bleibt, gegenüber den gleichen Steinen oder Hölzern, durch die sie repräsentiert wird, ein anderes, ein ἕτερον – und doch läßt sich eben dieses Andere, vom Standpunkt der bedingten sinnlichen Weltansicht, nur in dieser Darstellung erfassen. Im gleichen Sinne wird der physisch-sinnliche Gehalt des Wortes für Platon zum Träger einer ideellen Bedeutung, die als solche doch in die Grenzen der Sprache nicht einzuspannen ist, sondern jenseits ihrer stehen bleibt. Sprache und Wort streben nach dem Ausdruck des reinen Seins; aber sie erreichen ihn niemals, weil sich in ihnen der Bezeichnung dieses reinen Seins immer die Bezeichnung eines anderen, einer zufälligen „Beschaffenheit“ des Gegenstandes beimischt. Daher bezeichnet das, was die eigentliche Kraft der Sprache ausmacht, immer auch ihre eigentliche Schwäche, die sie zur Darstellung des höchsten, des wahrhaft philosophischen Erkenntnisgehalts unfähig macht[10].

Die Geschichte der Logik, wie die des Erkenntnisproblems überhaupt, zeigt freilich, daß die scharfe Grenze, die Platon hier zwischen den beiden Bedeutungen des λόγος, zwischen dem Begriff „an sich“ und seinem sprachlichen Repräsentanten gezogen hatte, sich allmählich wieder zu verwischen droht. Dies gilt schon für die erste systematische Grundlegung der Logik, – obgleich es zweifellos zu viel behauptet ist, wenn man gesagt hat, daß Aristoteles die wesentlichen Grundunterscheidungen, auf denen sich seine logischen Lehren aufbauen, der Sprache entnommen habe. Aber allerdings weist schon die Bezeichnung der „Kategorien“ darauf hin, wie eng sich bei ihm die Analyse der logischen und die der sprachlichen [66] Formen miteinander berühren. Die Kategorien stellen die allgemeinsten Seinsverhältnisse dar, die als solche zugleich die obersten Gattungen der Aussage (γένη oder σχήματα τῆς κατηγορίας) bedeuten. Sie sind, ontologisch gefaßt, die Grundbestimmungen des Wirklichen, die letzten „Prädikate“ des Seienden; aber diese Prädikate können, wie von den Dingen her, so auch von der allgemeinen Form des Prädizierens her betrachtet und aus ihr entwickelt werden. So scheint in der Tat die Gestaltung des Satzes und seine Zerlegung in Worteinheiten und Wortklassen für Aristoteles in der Aufstellung seines Systems der Kategorien vielfach vorbildlich gewesen zu sein. In der Kategorie der Substanz blickt die grammatische Bedeutung des „Substantivum“, in Quantität und Qualität, im „Wann“ und „Wo“ blickt die Bedeutung des Adjektivs und der Ort- und Zeitadverbien noch überall deutlich hindurch – und insbesondere die vier letzten Kategorien, das ποιεῖν und πάσχειν, das ἔχειν und κεῖσθαι, scheinen erst dann völlig durchsichtig zu werden, wenn man sie auf gewisse Grundunterschiede bezieht, die die griechische Sprache in der Bezeichnung des Verbums und der verbalen Aktion festhält[11]. Die logische und die grammatische Spekulation schienen daher hier einander durchgängig zu entsprechen und sich wechselseitig zu bedingen – wie denn das Mittelalter im Anschluß an Aristoteles an dieser Entsprechung festgehalten hat[12][WS 1]. Als dann in der neueren Zeit der Kampf gegen die Aristotelische Logik einsetzte, als man ihr das Recht, „die“ Systematik des Geistes zu heißen, bestritt, da bildete freilich umgekehrt gerade das enge Bündnis, das sie mit der Sprache und der allgemeinen Grammatik eingegangen war, einen der wichtigsten und gefährlichsten Angriffspunkte. Von hier aus hat in Italien Lorenzo Valla, in Spanien Lodovico Vives, in Frankreich Petrus Ramus die scholastisch-aristotelische Philosophie aus den Angeln zu heben versucht. Im Anfang hält sich dieser Kampf noch innerhalb der Sprachforschung und Sprachbetrachtung selbst: gerade die „Philologie“ der Renaissance ist es, die von ihrer vertieften Ansicht der Sprache aus auch eine neue „Denklehre“ fordert. Was die Scholastik an der Sprache erfaßt hat, das sind, wie jetzt eingewandt wird, nur ihre äußerlich grammatischen Verhältnisse, während ihr eigentlicher Kern, der statt in der Grammatik vielmehr in der Stilistik zu suchen ist, ihr verborgen geblieben ist. Unter diesem Gesichtspunkt [67] greifen die großen Stilkünstler der Renaissance die Syllogistik und ihre „barbarischen“ Formen nicht sowohl von der logischen, als von der ästhetischen Seite an. Aber allmählich nimmt auch dieser Kampf der Rhetoren und Stilisten gegen die bloßen „Dialektiker“, wie er z. B. in Vallas „dialektischen Disputationen“ geführt wird, eine andere Form an; denn je weiter die Renaissance zu den eigentlichen klassischen Quellen zurückdringt, um so mehr wird ihr, statt der scholastischen Auffassung der Dialektik, wieder ihr ursprünglicher Platonischer Begriff lebendig. Im Namen dieses Begriffs wird jetzt der Rückgang von den Worten zu den „Sachen“ gefordert – unter den Sachwissenschaften aber steht gemäß der Grundansicht der Renaissance, die sich allmählich immer entschiedener durchsetzt, die Mathematik und die mathematische Naturtheorie an erster Stelle. Damit tritt, auch innerhalb der reinen Sprachphilosophie, der Orientierung an der Grammatik immer bewußter und entschiedener die Forderung einer anderen Orientierung gegenüber:[13] die echt systematische Auffassung und Gestaltung der Sprache scheint nur erreicht werden zu können, wenn sie sich auf die Systematik der Mathematik bezieht und von ihr den Maßstab entlehnt.

In der Lehre Descartes’, die dem neuen Wissensideal der Renaissance die universelle philosophische Begründung gibt, rückt daher auch die Theorie der Sprache in ein neues Licht. Descartes selbst hat in seinen systematischen Hauptschriften die Sprache nicht zum Gegenstand selbständiger philosophischer Reflexionen gemacht – aber in der einzigen Stelle eines Briefes an Mersenne, in der er das Problem berührt, gibt er ihm sogleich eine sehr charakteristische und für die Folgezeit höchst bedeutsame Wendung. Das Ideal der Einheit des Wissens, der „sapientia humana“, die stets ein und dieselbe bleibt, auf wie viele verschiedene Gegenstände sie sich auch erstrecken mag, wird jetzt auch auf die Sprache übertragen. Der Forderung der „Mathesis universalis“ tritt die Forderung einer „Lingua universalis“ zur Seite. Wie in allen Erkenntnissen, die auf diesen Namen wirklich Anspruch haben, immer nur die Eine identische Grundform der Erkenntnis, der menschlichen Vernunft, wiederkehrt, so muß auch allem Sprechen die eine, allgemeine Vernunftform der Sprache überhaupt zugrunde liegen, die von der Fülle und Verschiedenheit der Wortformen zwar verhüllt wird, aber durch sie nicht völlig unkenntlich gemacht werden kann. Denn wie zwischen den Ideen der Mathematik, z. B. zwischen den Zahlen, eine ganz bestimmte Ordnung besteht, so bildet [68] überhaupt das Ganze des menschlichen Bewußtseins samt allen Inhalten, die in dasselbe jemals eingehen können, einen streng geordneten Inbegriff. Wie daher aus relativ wenigen Zahlzeichen das ganze System der Arithmetik sich aufbauen läßt, so müßte sich auch durch eine begrenzte Zahl sprachlicher Zeichen, wenn diese nur nach bestimmten allgemeingültigen Regeln verknüpft werden, die Gesamtheit der Denkinhalte und ihre Struktur erschöpfend bezeichnen lassen. Von der Ausführung dieses Planes nimmt freilich Descartes Abstand: denn da die Schöpfung der Universalsprache die Analyse aller Bewußtseinsinhalte in ihre letzten Elemente, in die einfachen konstitutiven „Ideen“ voraussetzen würde, so kann sie mit Erfolg erst dann unternommen werden, wenn diese Analyse selbst an ihr Ende gelangt und damit das Ziel der „wahren Philosophie“ erreicht ist[14]. Von der kritischen Vorsicht, die sich in diesen Worten des Begründers der neueren Philosophie ausspricht, läßt sich indes die unmittelbar folgende Epoche wenig beirren. In rascher Folge treten jetzt die mannigfachsten Systeme künstlicher Universalsprachen hervor, die, in der Ausführung höchst verschieden, doch in ihrem Grundgedanken und im Prinzip ihres Aufbaus nahe miteinander übereinstimmen. Immer wird davon ausgegangen, daß es eine begrenzte Zahl von Begriffen gibt, daß jeder von ihnen zu den anderen in einem ganz bestimmten sachlichen Verhältnis, in einer Beziehung der Zuordnung, der Über- oder Unterordnung stehe, und daß das Ziel einer wahrhaft vollkommenen Sprache darin bestehen müsse, diese natürliche Hierarchie der Begriffe in einem System von Zeichen zum adäquaten Ausdruck zu bringen. Von dieser Voraussetzung aus ordnet z. B. Delgarno in seiner „Ars Signorum“ alle Begriffe unter 17 höchste Gattungsbegriffe, deren jeder durch einen bestimmten Buchstaben bezeichnet wird, welcher als Anfangsbuchstabe für jedes unter die betreffende Kategorie fallende Wort dient: und ebenso werden die Unterklassen, die innerhalb der gemeinsamen Gattung unterschieden werden können, je durch einen besonderen Buchstaben oder Laut, der an den Anfangsbuchstaben herantritt, dargestellt. Wilkins, der dieses System zu ergänzen und zu vervollkommnen sucht, stellt statt der ursprünglichen 17 Hauptbegriffe deren 40 auf, die lautlich durch je eine besondere, aus einem Konsonanten und einem Vokal bestehende Silbe ausgedrückt werden[15]. Über die Schwierigkeit, die „natürliche“ Ordnung der Grundbegriffe [69] aufzufinden und ihr wechselseitiges Verhältnis in erschöpfender und eindeutiger Weise zu bestimmen, gleiten all diese Systeme verhältnismäßig rasch hinweg. Das methodische Problem der Begriffsbezeichnung wandelt sich ihnen mehr und mehr in ein rein technisches; es genügt ihnen, irgendeine, rein konventionelle, Einteilung der Begriffe zugrunde zu legen und sie durch fortschreitende Differenzierung für den Ausdruck der konkreten Denk- und Vorstellungsinhalte tauglich zu machen.

Erst Leibniz, der das Sprachproblem wieder in den Zusammenhang der allgemeinen Logik stellt und der die letztere als Voraussetzung aller Philosophie, aller theoretischen Erkenntnis überhaupt, begreift, faßt auch das Problem der Universalsprache in einer neuen Tiefe. Der Schwierigkeit, auf die schon Descartes hingewiesen hatte, ist er sich in vollem Maße bewußt; aber er glaubt in den Fortschritten, die die philosophische und wissenschaftliche Erkenntnis inzwischen gemacht hat, auch völlig neue Mittel zu ihrer Überwindung zu besitzen. Jede „Charakteristik“, die sich nicht auf eine willkürliche Zeichensprache beschränken, sondern als Characteristica realis die wahren Grundverhältnisse der Dinge zur Darstellung bringen will, fordert eine logische Analyse der Inhalte des Denkens. Aber die Aufstellung eines derartigen „Gedankenalphabets“ erscheint als keine unbegrenzte und unlösbare Aufgabe mehr, sofern man, statt von beliebigen, mehr oder weniger zufälligen Gliederungen des gesamten Begriffsstoffes auszugehen, den Weg, den die neu begründete Kombinatorik und die neu begründete mathematische Analysis gewiesen haben, folgerichtig bis zu Ende geht. Wie die algebraische Analysis uns lehrt, daß jede Zahl sich aus bestimmten ursprünglichen Elementen aufbaut, daß sie sich in eindeutiger Weise in „Primfaktoren“ zerlegen und als deren Produkt darstellen läßt, so gilt das gleiche auch für jeden Erkenntnisinhalt überhaupt. Der Zerlegung in Primzahlen entspricht die Zerlegung in primitive Ideen – und es ist einer der Grundgedanken der Leibnizschen Philosophie, daß beide im wesentlichen nach dem gleichen Prinzip und kraft ein und derselben allumfassenden Methodik zustande gebracht werden können und müssen [16]. Der Zirkel, daß die Form einer wahrhaft allgemeinen Charakteristik das [70] Wissen, nach seinem Inhalt und seinem Aufbau, schon als gegeben vorauszusetzen scheint, und daß andererseits eben diese Charakteristik es sein soll, kraft deren uns dieser Aufbau erst wahrhaft faßbar und verständlich wird – dieser Zirkel löst sich für Leibniz dadurch, daß für ihn hier überhaupt nicht zwei getrennte Aufgaben vorliegen, deren eine nach der anderen in Angriff genommen werden könnte, sondern daß beide von ihm in reiner sachlicher Korrelation gedacht werden. Der Fortschritt der Analyse und der Fortschritt der Charakteristik fordern und bedingen sich wechselweise: denn jede logische Einheitssetzung und jede logische Unterscheidung, die das Denken vollzieht, besteht für dasselbe in wirklicher Klarheit und Schärfe erst dann, wenn sie sich in einem bestimmten Zeichen fixiert haben. So gesteht Leibniz Descartes zu, daß die echte Universalsprache der Erkenntnis von dieser selbst, also von der „wahren Philosophie“ abhängig sei, aber er fügt hinzu, daß sie nichtsdestoweniger deren Vollendung nicht abzuwarten brauche, daß sich vielmehr beide Leistungen, die Analysis der Ideen und die Zeichengebung, an und miteinander entwickeln würden.[17] Es spricht sich hierin nur jene allgemeinste methodische Grundüberzeugung und gleichsam jene methodische Grunderfahrung aus, die er in der Entdeckung der Analysis des Unendlichen bewährt gefunden hatte: wie dort der Algorithmus der Differentialrechnung sich nicht bloß als ein bequemes Mittel der Darstellung des Gefundenen, sondern als ein echtes Organon der mathematischen Forschung erwiesen hatte, so soll allgemein die Sprache dem Denken diesen Dienst leisten; – sie soll nicht nur seiner Bahn folgen, sondern diese Bahn erst zubereiten und sie fortschreitend ebnen.

So erhält Leibniz’ Rationalismus in der Betrachtung der Sprache, die rein als Erkenntnismittel, als Instrument der logischen Analyse, aufgefaßt wird, erst seine letzte Bestätigung und Vollendung; – aber zugleich gewinnt dieser Rationalismus jetzt, im Vergleich zu Descartes, gewissermaßen eine konkrete Form. Denn die Korrelation, die hier zwischen Denken und Sprechen behauptet wird, rückt auch das Verhältnis zwischen Denken und Sinnlichkeit in ein neues Licht. Mag immerhin die Sinnlichkeit der fortschreitenden Auflösung in die distinkten Ideen des Verstandes bedürfen, – so gilt doch andererseits, für den Standpunkt, in dem der endliche Geist sich befindet, immer auch die umgekehrte Bindung. Auch unsere „abstraktesten“ Gedanken enthalten immer noch einen Zusatz der Einbildungskraft, der für uns zwar weiter zerlegbar ist, bei dem aber die [71] Analyse niemals an eine letzte Grenze gelangt, sondern vielmehr ins Unendliche fortschreiten kann und muß[18]. Hier stehen wir an dem Punkte, an dem der Grundgedanke der Leibnizschen Logik sich mit dem Grundgedanken seiner Metaphysik berührt und an dem er unmittelbar in denselben übergeht. Für diese Metaphysik ist der Stufenbau des Seins durch den Stufengang der Erkenntnis bestimmt. Die Monaden, als die einzig wahrhaften substantiellen Wesenheiten, weisen untereinander keinen anderen Unterschied auf, als denjenigen, der in dem verschiedenen Grade der Klarheit und Deutlichkeit ihrer Vorstellungsinhalte besteht. Nur dem höchsten, dem göttlichen Sein eignet die vollkommene Erkenntnis, die in keinem Sinne mehr repräsentativ, sondern rein intuitiv ist, d. h. die ihre Gegenstände nicht mehr mittelbar durch Zeichen betrachtet, sondern sie unmittelbar in ihrer reinen und ursprünglichen Wesenheit anschaut. Hiermit verglichen erscheint selbst die höchste Stufe, zu der sich das Wissen des endlichen Geistes erhebt, erscheint auch die distinkte Erkenntnis der Figuren und Zahlen, nur als inadäquates Wissen: denn sie muß sich, statt die geistigen Inhalte selbst zu erfassen, großenteils mit ihren Zeichen genügen lassen. Bei jedem längeren mathematischen Beweis sind wir zu dieser Stellvertretung gezwungen. Wer z. B. ein reguläres Tausendeck denkt, der ist sich nicht immer der Natur der Seite, der Gleichheit und der Zahl tausend, bewußt, sondern er gebraucht diese Worte, deren Sinn ihm nur dunkel und unvollkommen gegenwärtig ist, statt der Ideen selber, da er sich erinnert, daß er ihre Bedeutung kenne, eine nähere Erklärung aber im gegenwärtigen Augenblick nicht für notwendig erachtet. Hier haben wir es also, statt mit einer rein intuitiven, mit einer „blinden“ oder symbolischen Erkenntnis zu tun, die, wie die Algebra und Arithmetik, so auch fast unser gesamtes sonstiges Wissen beherrscht[19]. So sieht man, wie die Sprache, indem sie im Entwurf der allgemeinen Charakteristik das Ganze der Erkenntnis mehr und mehr zu umspannen sucht, eben dieses Ganze zugleich beschränkt und es in ihre eigene Bedingtheit hineinzieht. Aber diese Bedingtheit hat keineswegs einen bloß negativen Charakter, sondern schließt ein durchaus positives Moment in sich. Wie jede noch so dunkle und verworrene sinnliche Vorstellung einen echten rationalen Erkenntnisgehalt in sich schließt, der [72] nur der Entfaltung und „Auswicklung“ bedarf, so ist auch jedes sinnliche Symbol der Träger einer rein geistigen Bedeutung, die freilich in ihm nur „virtuell“ und implizit gegeben ist. Das echte Ideal der „Aufklärung“ besteht darin, diese sinnlichen Hüllen nicht mit einem Schlage abzustreifen, diese Symbole nicht wegzuwerfen, sondern sie mehr und mehr als das, was sie sind, zu verstehen und sie damit geistig zu beherrschen und zu durchdringen.

So weit und universell indes die logische und metaphysische Gesamtansicht ist, der Leibniz hier die Sprache einfügt, so droht doch gerade in dieser Universalität ihr besonderer Gehalt unterzugehen. Der Plan der allgemeinen Charakteristik beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Gebiet, sondern er will alle Arten und Gruppen von Zeichen, von den einfachen Laut- und Wortzeichen bis hinauf zu den Zahlzeichen der Algebra, wie den Symbolen der mathematischen und logischen Analysis, in sich fassen. Er geht ebensowohl auf diejenigen Äußerungsformen, die lediglich einem natürlichen, unwillkürlich hervorbrechenden „Instinkt“ zu entstammen scheinen, wie auf diejenigen, die in einer freien und selbstbewußten Schöpfung des Geistes ihren Ursprung haben. Damit ist jedoch die spezifische Eigentümlichkeit der Sprache, als Laut- und Wortsprache, nicht sowohl gewürdigt und erklärt, als sie vielmehr letzten Endes ausgeschaltet erscheint. Wäre das Ziel der allgemeinen Charakteristik erreicht, wäre jede einfache Idee durch ein einfaches sinnliches Zeichen und jede komplexe Vorstellung durch eine entsprechende Kombination solcher Zeichen ausgedrückt, so wäre alle Besonderheit und Zufälligkeit der Einzelsprachen wieder in eine einzige allgemeine Grundsprache aufgelöst. Leibniz verlegt diese Grundsprache, diese lingua Adamica, wie er sie mit einem alten Ausdruck der Mystiker und Jacob Boehmes benennt[20], nicht in eine paradiesische Vergangenheit der Menschheit zurück, sondern er faßt sie als einen reinen Idealbegriff, dem sich unsere Erkenntnis fortschreitend annähern muß, um das Ziel der Objektivität und Allgemeingültigkeit zu erreichen. In dieser ihrer letzten und höchsten, in ihrer endgültigen Gestalt wird nach ihm die Sprache erst als dasjenige heraustreten, was sie wesentlich ist: – hier wird das Wort keine bloße Hülle des Sinnes mehr sein, sondern als ein echter Zeuge der Einheit der Vernunft erscheinen, die, als notwendiges Postulat, aller philosophischen Erfassung eines besonderen geistigen Seins zugrunde liegt.

[73]
II

Einen anderen Weg der Betrachtung der Sprache scheint der philosophische Empirismus einzuschlagen, indem er, seiner Grundtendenz gemäß, bestrebt ist, das Faktum der Sprache, statt es auf ein logisches Ideal zu beziehen, in seiner einfachen und nüchternen Tatsächlichkeit, in seinem empirischen Ursprung und seinem empirischen Zweck zu begreifen. Statt die Sprache in irgendeine, sei es logische, sei es metaphysische Utopie aufgehen zu lassen, soll sie lediglich in ihrem psychologischen Bestand erkannt und in ihrer psychologischen Leistung gewürdigt werden. Auch in dieser Fassung der Aufgabe übernimmt freilich der Empirismus von den gegnerischen rationalistischen Systemen eine wesentliche Voraussetzung, indem er zunächst die Sprache ausschließlich als ein Mittel der Erkenntnis betrachtet. Locke hebt ausdrücklich hervor, daß sein Plan einer Verstandeskritik ursprünglich den Gedanken einer eigenen Sprachkritik nicht in sich gefaßt habe: erst allmählich habe sich ihm gezeigt, daß die Frage nach der Bedeutung und dem Ursprung der Begriffe sich von der nach dem Ursprung der Benennungen nicht abtrennen lasse[21]. Nachdem aber dieser Zusammenhang einmal erkannt ist, wird jetzt für ihn die Sprache zu einem der wichtigsten Zeugen für die Wahrheit der empiristischen Grundansicht. Leibniz sagt einmal, daß die Natur es liebe, an irgendeinem Punkte ihre letzten Geheimnisse offen darzulegen und sie uns gleichsam in sichtbaren Proben unmittelbar vor Augen zu stellen. Als eine solche Probe auf seine Gesamtanschauung der geistigen Wirklichkeit sieht Locke die Sprache an. „Es kann uns etwas tiefer in den Ursprung all unserer Begriffe hineinführen“ – so beginnt er seine Analyse der Worte – „wenn wir beachten, in welchem Maße unsere Worte von sinnlichen Ideen abhängig sind, und wie auch diejenigen, die dazu bestimmt sind, ganz unsinnliche Vorgänge und Begriffe auszudrücken, dennoch hier ihren Ursprung nehmen und von offenbar sinnlichen Ideen erst auf verwickeltere Begriffe übertragen werden. So sind ‚erfassen‘, ‚begreifen‘, ‚vorstellen‘ u. s. w. alles Worte, die von der Wirksamkeit sinnlicher Dinge hergenommen sind, um dann auf bestimmte Operationen unseres Geistes angewandt zu werden. Geist (spirit) ist seiner Grundbedeutung nach dasselbe wie Atem (breath); Engel bedeutet Bote, und ich zweifle nicht, daß wir, wenn wir alle Ausdrücke auf ihre Wurzeln zurückverfolgen könnten, den gleichen Gebrauch sinnlicher Bezeichnungen für unsinnliche Dinge in allen Sprachen finden würden. Daraus können wir einen Schluß darauf ziehen, von welcher Art und Herkunft [74] die Begriffe waren, die den Geist der ersten Sprachbildner erfüllten und wie die Natur sogar in der Benennung der Dinge dem Menschen unmerklich die Ursprünge und die Prinzipien all seiner Erkenntnis andeutete. Denn alle Ideen, die wir haben, stammen entweder von sinnlichen Gegenständen außer uns oder aus der inneren Tätigkeit unseres Geistes, deren wir uns unmittelbar bewußt werden[22].“

Damit ist die systematische Grundthese bezeichnet, auf die sich alle Erörterung des Sprachproblems innerhalb des Empirismus mittelbar oder unmittelbar bezieht. Die Analyse der Sprache ist auch hier nicht Selbstzweck, sondern sie soll nur dem eigentlichen Hauptproblem, der Analyse der Ideen, als Mittel und als Vorbereitung dienen. Denn alle sprachlichen Benennungen dienen niemals unmittelbar dem Ausdruck der Dinge selbst, sondern sie beziehen sich einzig auf die Ideen des Geistes, auf die eigenen Vorstellungen des Sprechenden. Dies wird, als allgemeinster Grundsatz aller Sprachbetrachtung, schon von Hobbes formuliert, der damit die Sprachphilosophie dem Kreis und der Herrschaft der Metaphysik endgültig entzogen zu haben glaubt. Da die Namen Zeichen der Begriffe, nicht Zeichen der Gegenstände selbst sind, so fällt aller Streit, ob sie die Materie oder die Form der Dinge oder etwas aus beiden Zusammengesetztes bezeichnen, als eine leere metaphysische Frage hinweg[23]. Locke fußt auf dieser Entscheidung, zu der er immer wieder zurückkehrt und die er nach allen Seiten hin ausspinnt. In der Einheit des Wortes – so betont auch er – drückt sich niemals die Natur der Gegenstände selbst, sondern immer nur die subjektive Art aus, in der der menschliche Geist bei der Zusammenfassung seiner einfachen sinnlichen Ideen verfährt. Durch irgendein substantielles Vorbild, durch irgendeine reale Wesenheit der Dinge ist der Geist bei dieser Zusammenfassung nicht gebunden. Er kann nach freier Willkür bald den einen, bald den anderen Vorstellungsinhalt stärker betonen, bald diese, bald jene Gruppen einfacher Elemente zu Gesamtverbänden vereinen. Je nachdem hierbei die Verbindungslinien verschieden gezogen und die Trennungspunkte verschieden gesetzt werden, sondern sich die verschiedenen Klassen der sprachlichen Begriffe und Bedeutungen, die somit immer nur ein Spiegelbild eben dieses subjektiven Verfahrens der Verbindung und Trennung selbst, nicht aber der objektiven Beschaffenheit des Seins und seines Aufbaus nach realen Arten und Gattungen, nach logisch-metaphysischen Genera und Species, sein können[24]. [75] Die Lehre von der Definition nimmt damit dem Rationalismus gegenüber eine neue Wendung. Der Gegensatz von Nominaldefinition und Realdefinition, von Worterklärung und Sacherklärung fällt weg: denn jede Definition kann nur beanspruchen, eine Umschreibung des Namens des Dinges, nicht eine Darstellung seines ontologischen Bestandes und seiner ontologischen Konstitution zu sein. Denn nicht nur ist uns die Natur jedes Wesens im besonderen unbekannt, sondern wir können auch mit dem allgemeinen Begriff dessen, was ein Ding an sich selbst sein soll, keine bestimmte Vorstellung verbinden. Der einzige Begriff der „Natur“ eines Dinges, mit dem wir einen klaren Sinn verknüpfen können, hat keine absolute, sondern eine nur relative Bedeutung; er schließt eine Beziehung auf uns selbst, auf unsere seelische Organisation und unsere Erkenntniskräfte in sich. Die Natur eines Dinges bestimmen heißt für uns nichts anderes, als die einfachen Ideen zu entwickeln, die in ihm enthalten sind und die in seine Gesamtvorstellung als Elemente eingehen[25].

So scheint diese Grundansicht, ihrem Ausdruck nach, freilich wieder zu der Leibnizischen Form der Analyse und zu der Leibnizischen Forderung eines allgemeinen „Gedankenalphabets“ zurückzulenken – aber hinter dieser Einheit des Ausdrucks verbirgt sich ein scharfer systematischer Gegensatz. Denn zwischen beiden Auffassungen der Sprache und der Erkenntnis steht nun der entscheidende geistige Bedeutungswandel, der sich im Terminus der „Idee“ selbst vollzogen hat. Auf der einen Seite wird die Idee in ihrem objektiv-logischen, auf der anderen in ihrem subjektiv-psychologischen Sinne gefaßt; auf der einen Seite steht ihr ursprünglicher Platonischer, auf der anderen Seite ihr modern-empiristischer und sensualistischer Begriff. Dort bedeutet die Auflösung aller Inhalte der Erkenntnis in ihre einfachen Ideen und deren Bezeichnung den Rückgang auf letzte und allgemeingültige Prinzipien des Wissens; hier steht sie für die Ableitung aller komplexen geistigen Gebilde aus den unmittelbaren Gegebenheiten des inneren oder äußeren Sinnes, aus den Elementen der „Sensation“ und „Reflexion“. Damit aber ist auch die Objektivität der Sprache, wie die der Erkenntnis überhaupt, in einem ganz neuen Sinne zum Problem geworden. Für Leibniz und für den gesamten Rationalismus ist das ideelle Sein der Begriffe und das reale der Dinge durch eine unlösliche Korrelation verknüpft: denn „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“ sind in ihrem Grund und in ihrer letzten Wurzel [76] eins[26]. Alles empirische Dasein und alles empirische Geschehen ist in sich derart verknüpft und geordnet, wie die intelligiblen Wahrheiten es fordern: – und eben hierin besteht seine Wirklichkeit, besteht das, was Schein und Sein, Realität und Traum voneinander unterscheidet[27]. Diese Wechselbeziehung, diese „prästabilierte Harmonie“ zwischen dem Ideellen und dem Reellen, zwischen dem Bereich der allgemeingültigen und notwendigen Wahrheiten und dem des besonderen und faktischen Seins ist für den Empirismus aufgehoben. Je schärfer er die Sprache nicht als Ausdruck der Dinge, sondern als Ausdruck der Begriffe nimmt, um so bestimmter und gebieterischer muß sich daher für ihn die Frage erheben, ob nicht das neue geistige Medium, das hier anerkannt ist, die letzten „wirklichen“ Elemente des Seins, statt sie zu bezeichnen, vielmehr verfälscht. Von Bacon bis zu Hobbes und Locke kann man fortschreitend die Entwicklung und die immer schärfere Zuspitzung dieser Frage verfolgen, bis sie zuletzt bei Berkeley in voller Klarheit vor uns steht. Für Locke ist der Erkenntnis, so sehr er sie in den besonderen Daten der Sinnes- und Selbstwahrnehmung gegründet sein läßt, doch eine Tendenz zur „Allgemeinheit“ eigen: und dieser Tendenz auf das Allgemeine der Erkenntnis kommt die Allgemeinheit des Wortes entgegen. Das abstrakte Wort wird zum Ausdruck der „abstrakten allgemeinen Idee“, die hier noch, neben den Einzelempfindungen, als eine psychische Wirklichkeit von eigener Art und von selbständiger Bedeutung anerkannt wird[28]. Der Fortschritt und die Konsequenz der sensualistischen Ansicht aber führt notwendig auch über diese relative Anerkennung und diese wenigstens mittelbare Duldung des „Allgemeinen“ hinaus. Das Allgemeine hat so wenig im Bereich der Ideen, wie in dem der Dinge irgendeinen wahrhaften und gegründeten Bestand. Damit aber steht nun das Wort und die Sprache überhaupt gleichsam völlig im Leeren. Für das, was in ihnen ausgesprochen ist, findet sich weder im physischen, noch im psychischen [77] Sein, weder in den Dingen, noch in den Ideen irgendein Vorbild oder „Archetyp“. Alle Wirklichkeit – die seelische so gut wie die physische – ist ihrem Wesen nach konkrete, individuell bestimmte Wirklichkeit: um zu ihrer Anschauung vorzudringen, müssen wir uns daher vor allem der falschen und trügerischen, der „abstrakten“ Allgemeinheit des Wortes entledigen. Mit aller Entschiedenheit wird diese Folgerung von Berkeley gezogen. Jede Reform der Philosophie muß sich in erster Linie auf einer Kritik der Sprache aufbauen, muß vor allen Dingen die Illusion wegräumen, in der sie den menschlichen Geist seit jeher gefangen hält. „Es kann nicht geleugnet werden, daß Worte trefflich dazu dienen, den ganzen Vorrat von Kenntnissen, der durch die vereinten Bemühungen von Forschern aller Zeiten und Völker gewonnen worden ist, in den Gesichtskreis eines jedes Einzelnen zu ziehen und ihn in seinen Besitz zu bringen. Zugleich aber muß anerkannt werden, daß die meisten Teile des Wissens durch den Mißbrauch von Worten und allgemeinen Redeweisen erstaunlich verwirrt und verdunkelt worden sind. Es wäre daher zu wünschen, daß ein jeder so sehr als möglich sich bemühte, eine klare Einsicht in die Ideen zu gewinnen, die er betrachten will, indem er von denselben alle die Bekleidung und all den beschwerlichen Anhang von Worten abtrennt, der so sehr dazu beiträgt, das Urteil zu trüben und die Aufmerksamkeit zu teilen. Vergeblich erweitern wir unseren Blick in die himmlischen Räume und erspähen das Innere der Erde; vergeblich ziehen wir die Schriften gelehrter Männer zu Rate und verfolgen die dunklen Spuren des Altertums; wir brauchten nur den Vorhang von Worten wegzuziehen, um klar und rein den Baum der Erkenntnis zu erblicken, dessen Frucht vortrefflich und unserer Hand erreichbar ist[29].“

Aber diese radikale Kritik der Sprache enthält freilich, näher betrachtet, mittelbar zugleich eine Kritik des sensualistischen Erkenntnisideals, auf das sie sich stützt. Von Locke zu Berkeley hat sich in der Stellung des Empirismus zum Sprachproblem eine eigentümliche Umkehr vollzogen. Wenn Locke in der Sprache seine Grundansicht der Erkenntnis bestätigt und beglaubigt fand, – wenn er sie zum Zeugen für seine allgemeine These aufrief, daß nichts im Verstande sein könne, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen sei: so zeigt sich jetzt vielmehr, daß die eigentliche und wesentliche Funktion des Wortes innerhalb des sensualistischen Systems keinen Raum hat. Soll dieses System aufrecht erhalten werden, so bleibt kein anderes Mittel, als diese Funktion zu bestreiten und auszuschalten. Die Struktur der Sprache wird jetzt nicht als [78] Erläuterung der Struktur der Erkenntnis gebraucht, sondern sie bildet zu ihr das genaue Widerspiel. Weit entfernt, einen auch nur bedingten und relativen Wahrheitsgehalt in sich zu schließen, ist die Sprache vielmehr der Zauberspiegel, der uns die wahren Formen des Seins nur in eigentümlicher Verfälschung und Verzerrung erkennen läßt. Hier hat sich innerhalb des Empirismus selbst eine dialektische Entwicklung und eine dialektische Umkehr vollzogen, die am deutlichsten und schlagendsten heraustritt, wenn man die beiden geschichtlichen Extreme der empiristischen Sprachphilosophie einander gegenüberstellt. Wenn Berkeley den Wahrheits- und Erkenntnisgehalt der Sprache aufzuheben strebt, wenn er in ihr den Grund alles Irrtums und aller Selbsttäuschung des menschlichen Geistes sieht, so war bei Hobbes der Sprache nicht nur Wahrheit, sondern – alle Wahrheit zugesprochen worden. Hobbes’ Wahrheitsbegriff gipfelt in der These, daß Wahrheit nicht in den Dingen, sondern einzig und allein in den Worten und im Gebrauch der Worte liege: veritas in dicto, non in re consistit[30]. Die Dinge sind und bestehen als reale Einzelheiten, von denen uns in den konkreten sinnlich-einzelnen Empfindungen Kunde wird. Aber weder das einzelne Ding, noch die einzelne Empfindung kann jemals den wahrhaften Gegenstand des Wissens ausmachen: denn jedes Wissen, das diesen Namen verdient, will statt bloß historischer Kenntnis des Besonderen, vielmehr philosophische, d. h. notwendige Erkenntnis des Allgemeinen sein. Wenn daher die Sinnlichkeit und das Gedächtnis sich im Faktischen beschränken, so geht alle Wissenschaft auf allgemeine Beziehungen und Schlußfolgerungen, auf deduktive Verknüpfungen[31]. Das Organ und das Instrument aber, dessen sie sich hierbei bedient, kann kein anderes als das Wort sein. Denn deduktive Einsicht kann unser Geist nur von denjenigen Inhalten erwerben, die ihm nicht, gleich den Dingen oder den sinnlichen Empfindungen, von außen her gegeben sind, sondern die er selbst erschafft und von sich aus frei hervorbringt. Solche Freiheit aber eignet ihm nicht gegenüber den wirklichen Gegenständen der Natur, sondern nur gegenüber ihren ideellen Stellvertretern, gegenüber den Bezeichnungen und Benennungen. Die Schaffung eines Systems von Namen ist daher nicht nur eine Vorbedingung für jedes System des Wissens – sondern alles wahrhafte Wissen geht in einer solchen Schöpfung von Namen und in ihrer Verknüpfung zu Sätzen und Urteilen auf. Wahrheit und Falschheit sind demgemäß nicht Attribute der Dinge, sondern Attribute der Rede – und ein Geist, der der Rede entbehrte, [79] wäre daher auch dieser Attribute, wäre der gesamten Unterscheidung und Entgegensetzung des „Wahren“ und „Falschen“ nicht mächtig[32]. Für Hobbes ist daher die Sprache nur insofern eine Quelle des Irrtums, als sie zugleich, gemäß seiner nominalistischen Grundansicht, die Bedingung der begrifflichen Erkenntnis überhaupt, somit die Quelle aller Allgemeingültigkeit und aller Wahrheit ist.

In Berkeleys Kritik der Sprache und der Erkenntnis scheint dagegen jetzt dem Allgemeinen auch diese letzte Stütze entzogen zu werden und damit die Methodik des Rationalismus, die bei Hobbes überall noch unverkennbar fortwirkt, erst endgültig widerlegt und entwurzelt zu sein. Aber indem jetzt das System Berkeleys von diesen seinen ersten Anfängen fortschreitet und sich weiter und weiter auszubauen strebt – vollzieht sich in ihm selbst noch einmal eine eigenartige Rückkehr und Umwendung. Es ist, als ob jetzt die anfänglich bestrittene, die gewaltsam zurückgehaltene Kraft des „Logos“, der in der Sprache lebendig ist, sich allmählich befreite und dem Zwange des sensualistischen Schemas, in das Berkeley alles Sprechen und Denken einzuspannen versuchte, entgegenwirkte. Unvermerkt und schrittweise wird Berkeley von der Betrachtung und Analyse der Funktion des Zeichens und von der neuen positiven Wertung aus, die das Zeichen für ihn gewinnt, zu einer veränderten Grundauffassung der Erkenntnis hingedrängt. Er selbst vollzieht jetzt, insbesondere in seiner letzten Schrift, der Siris, die entscheidende Wendung: er löst die „Idee“ aus all ihren sensualistisch-psychologischen Verflechtungen und führt sie zu ihrer Platonischen Grundbedeutung zurück. Und in dieser letzten Phase seines Systems gewinnt nun auch die Sprache wieder eine beherrschende, eine wahrhaft zentrale Stellung. Wenn zuvor der Wert der Sprache aus allgemeinen Gründen der Berkeleyschen Psychologie und Metaphysik bestritten wurde – so stehen wir, in der endgültigen Gestalt eben dieser Metaphysik, vor dem merkwürdigen Schauspiel, daß sich hier alle Wirklichkeit, die geistige wie die sinnliche, vielmehr in Sprache verwandelt. Denn jetzt hat sich die sinnliche Weltansicht selbst mehr und mehr in eine rein symbolische umgestaltet. Was wir als die Wirklichkeit der Wahrnehmungen und als die der Körper bezeichnen – das ist, tiefer erfaßt und verstanden, nichts anderes als die sinnliche Zeichensprache, in der sich ein allumfassender unendlicher Geist unserem endlichen Geiste mitteilt[33]. In dem Ringen zwischen Metaphysik und Sprache ist daher [80] schließlich die letztere Siegerin geblieben, – die Sprache, die anfangs von der Schwelle der Metaphysik zurückgewiesen wurde, dringt zuletzt nicht nur in ihre Sphäre ein, sondern sie ist es auch, die die Form eben dieser Metaphysik entscheidend und wesentlich bestimmt.

III

In der Geschichte des Empirismus bleibt jedoch die letzte Phase des Berkeleyschen Systems nur eine vereinzelte Episode. Die allgemeine Entwicklung geht in einer anderen Richtung; sie strebt immer deutlicher dahin, die logischen und metaphysischen Gesichtspunkte, unter denen bisher das Verhältnis von Sprechen und Denken vornehmlich betrachtet worden war, durch rein psychologische Gesichtspunkte zu ersetzen. Für die konkrete Sprachbetrachtung ergibt sich hieraus zunächst ein unmittelbarer und unzweifelhafter Gewinn: denn jetzt tritt neben die Betrachtung dessen, was die Sprache als geistige Gesamtform ist, immer entschiedener das Interesse an der Individualität, an der geistigen Eigentümlichkeit der einzelnen Sprachen. Wenn die logische Grundansicht immer wieder wie unter einem methodischen Zwange in das Problem der Universalsprache einmündet, so weist die psychologische Analyse vielmehr den entgegengesetzten Weg. Auch Bacon fordert, in der Schrift „de dignitate et augmentis scientiarum“, neben der gewöhnlichen empirischen Sprachkunde, neben der „Grammatica litteraria“ eine allgemeine Form der „philosophischen Grammatik“. Aber diese letztere soll nicht darauf ausgehen, irgendeinen notwendigen Zusammenhang zwischen den Worten und den durch sie benannten Gegenstanden aufzuweisen: denn, so reizvoll ein derartiges Unternehmen erscheinen mag, so gefährlich und schlüpfrig würde es sich auch, bei der Dehnbarkeit der Worte und der Unsicherheit jeder rein etymologischen Untersuchung, erweisen. Die edelste Form der Grammatik wäre es vielmehr, wenn jemand, der in einer großen Zahl von Sprachen, sowohl in Volkssprachen wie in gelehrten Sprachen, bewandert wäre, von ihren verschiedenen Eigentümlichkeiten handelte und von jeder einzelnen zeigte, worin ihr Vorzug und ihr Mangel besteht. Auf diese Weise ließe sich nicht nur, durch Vergleichung der Einzelsprachen, das Idealbild einer vollkommenen Sprache entwerfen, sondern zugleich würden sich aus einer derartigen Betrachtungsweise die bedeutsamsten Aufschlüsse über den Geist und die Sitten der einzelnen Nationen ergeben. In der Ausführung, die Bacon diesem Gedanken gibt und in der knappen Charakteristik der griechischen, lateinischen und hebräischen Sprache, die er unter diesem Gesichtspunkt versucht, hat er eine Forderung vorweggenommen, [81] die ihre eigentliche Erfüllung erst bei Wilhelm v. Humboldt gefunden hat[34]. Innerhalb des philosophischen Empirismus aber wird seine Anregung nur insofern weitergeführt, als man sich der spezifischen Prägung und Besonderung der Begriffe in jeder Einzelsprache immer schärfer und deutlicher bewußt wird. Stehen die Sprachbegriffe nicht einfach als Zeichen für objektive Gegenstände und Vorgänge, sondern als Zeichen für die Vorstellung, die wir uns von ihnen bilden, so muß sich in ihnen notwendig nicht sowohl die Beschaffenheit der Dinge, als die individuelle Art und Richtung der Auffassung der Dinge widerspiegeln. Diese wird sich mit besonderem Nachdruck dort geltend machen, wo es sich nicht darum handelt, einfache sinnliche Eindrücke im Laut festzuhalten, sondern wo das Wort als Ausdruck einer komplexen Gesamtvorstellung dient. Denn jede derartige Vorstellung und demgemäß jeder Name, den wir solchen „gemischten Modi“ (mixed modes, wie Locke sie nennt), beilegen, geht letztlich auf die freie Aktivität des Geistes zurück. Während der Geist hinsichtlich seiner einfachen Eindrücke schlechthin passiv ist und sie in der Gestalt, in der sie ihm von außen gegeben werden, lediglich hinzunehmen hat, stellt sich in der Verbindung dieser einfachen Ideen weit mehr seine eigene Natur, als die der Objekte außer ihm dar. Nach einem realen Vorbild dieser Verknüpfungen braucht nicht gefragt zu werden; vielmehr sind die Arten und Spezies der „gemischten Modi“ und die Namen, die wir ihnen beilegen, vom Verstande ohne Modelle, ohne jede unmittelbare Anknüpfung an wirklich existierende Dinge geschaffen. Dieselbe Freiheit, die Adam besaß, als er die ersten Benennungen komplexer Vorstellungen nach keinem anderen Musterbild, als dem seiner eigenen Gedanken erschuf, – dieselbe Freiheit bestand und besteht weiterhin für alle Menschen[35].

Hier stehen wir, wie man sieht, an der Stelle, an der im System des Empirismus die Spontaneität des Geistes ihre, wenngleich vorläufig nur bedingte und mittelbare, Anerkennung findet. Und diese wesentliche Einschränkung der Abbildtheorie der Erkenntnis muß nun sofort auf die Gesamtanschauung der Sprache zurückwirken. Wenn die Sprache in ihren komplexen Begriffsworten nicht sowohl ein Spiegelbild des sinnlichen Daseins, als vielmehr ein Spiegelbild geistiger Operationen ist, so wird diese Spiegelung sich auf unendlich vielfältige und verschiedenartige [82] Weise vollziehen können und müssen. Ist der Gehalt und Ausdruck des Begriffs nicht von der Materie der einzelnen sinnlichen Vorstellungen, sondern von der Form ihrer Verknüpfung abhängig, so stellt im Grunde jeder neue sprachliche Begriff eine neue geistige Schöpfung dar. Kein Begriff der einen Sprache ist daher schlechthin in den einer anderen „übertragbar“. Schon Locke besteht auf dieser Schlußfolgerung; schon er betont, daß, bei genauer Vergleichung verschiedener Sprachen, sich in ihnen fast niemals Worte finden werden, die einander völlig entsprechen und sich in der ganzen Sphäre ihres Sinnes miteinander vollkommen decken werden[36]. Damit aber ist von einer neuen Seite her das Problem einer schlechthin „allgemeinen“ Grammatik als Trugbild erwiesen. Immer schärfer erhebt sich die Forderung, statt einer solchen allgemeinen Grammatik vielmehr die besondere Stilistik jeder Einzelsprache zu suchen und sie in ihrer Eigentümlichkeit zu begreifen. Das Zentrum der Sprachbetrachtung wird damit von der Logik nicht nur nach der Seite der Psychologie, sondern nach der Ästhetik hin verschoben. Dies tritt besonders deutlich bei demjenigen Denker hervor, der wie kein anderer innerhalb des empiristischen Kreises, mit der Schärfe und Klarheit der logischen Analyse das lebendigste Gefühl für Individualität, für die feinsten Schattierungen und Nuancierungen des ästhetischen Ausdrucks verbindet. Diderot greift in seinem „Brief über die Taubstummen“ die Bemerkung Lockes auf; – aber was bei diesem ein vereinzeltes Aperçu gewesen war, das wird jetzt durch eine Fülle konkreter Beispiele aus dem Gebiet des sprachlichen und insbesondere des sprachkünstlerischen Ausdruckes belegt und in einem Stil dargestellt, der selbst der unmittelbare Beweis dafür ist, wie jede wahrhaft originale geistige Form sich die ihr gemäße Sprachform erschafft. Von einer ganz bestimmten stilistischen Einzelfrage, vom Problem der sprachlichen „Inversion“ ausgehend, dringt Diderot methodisch und doch in freiester Gedankenbewegung zum Problem der Individualität der Sprachform vor. Wie Lessing, um die unvergleichliche Eigenheit des poetischen Genies zu bezeichnen, an das Wort erinnert, daß sich eher dem Herkules seine Keule nehmen lasse, als dem Homer oder Shakespeare ein einziger Vers – so geht auch Diderot von diesem Worte aus. Das Werk eines wahrhaften Dichters ist und bleibt unübersetzbar – man mag den Gedanken wiedergeben, man wird vielleicht das Glück haben, hie und da einen gleichwertigen Ausdruck zu finden; aber die Gesamtdarstellung, der Ton und Klang des Ganzen, bleibt immer eine einzige subtile und unübertragbare [83] „Hieroglyphe“[37]. Und eine solche Hieroglyphe, ein solches Form- und Stilgesetz ist nicht nur in jeder besonderen Kunst, in der Musik, in der Malerei, in der Plastik verwirklicht, sondern sie beherrscht auch jede besondere Sprache und drückt ihr das geistige Siegel, das Gedankengepräge wie das Gefühlsgepräge auf. –

So wird hier die Betrachtung der Sprache in unmittelbare Berührung mit dem Zentralproblem gesetzt, das die gesamte Geistesgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts beherrscht. Im Begriff der Subjektivität selbst vollzieht sich jetzt dieselbe charakteristische Wandlung, die uns gleichzeitig in der Theorie der Kunst und des künstlerischen Schaffens entgegentritt. Aus der engen empiristisch-psychologischen Fassung der Subjektivität ringt sich immer deutlicher die tiefere und umfassendere Ansicht hervor, durch die sie aus der Sphäre des bloß zufälligen Daseins und des willkürlichen Tuns herausgehoben und in ihrer spezifisch geistigen „Form“, d. h. in ihrer spezifischen Notwendigkeit anerkannt wird. In der ästhetischen Theorie des 17. und 18. Jahrhunderts faßt sich diese gesamte Bewegung allmählich immer bestimmter und bewußter in einem einzigen Mittelpunkt zusammen. Der Begriff des Genies wird zum sprachlichen und gedanklichen Träger für die neue Ansicht des Geistigen, die die Grenzen der empirisch-psychologischen, der bloß reflektierenden Betrachtung sprengt. In Diderots „Lettre sur les sourds et muets“ bildet der Geniebegriff, so wenig er hier explizit hervortritt, das belebende Prinzip aller sprachtheoretischen und kunsttheoretischen Einzelerörterungen und den ideellen Einheitspunkt, auf den sie hinzielen. Aber weit über dieses Einzelbeispiel hinaus läßt sich verfolgen, wie dieser Begriff von den verschiedensten Seiten her in die Sprachbetrachtung eindringt. Schon im England des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts ist die empirisch-psychologische Beschreibung und Erklärung geistiger Vorgänge, die sie in ihre einzelnen sinnlichen und materialen Faktoren aufzulösen sucht, keineswegs alleinherrschend, sondern es steht ihr eine andere Anschauung gegenüber, die auf die „Form“ dieser Vorgänge gerichtet ist und die diese Form in ihrer ursprünglichen und unzerlegbaren Ganzheit zu erfassen strebt. Ihren systematisch-philosophischen Mittelpunkt hat diese Anschauung im englischen Platonismus, bei Cudworth und den Denkern der Schule von Cambridge, gefunden; ihre vollendete literarische Darstellung hat sie bei Shaftesbury erreicht. Aller äußeren Bildung des sinnlichen Daseins – das ist die gemeinsame Grundüberzeugung Shaftesburys und des englischen Platonismus [84] – müssen bestimmte innere Maße (interior numbers) zugrunde liegen – denn die Form kann niemals aus dem Stoff erzeugt werden, sondern sie ist und besteht als ungewordene und unvergängliche, als rein ideelle Einheit, die der Vielheit, indem sie sich ihr aufprägt, erst ihre bestimmte Gestalt verleiht. Diese inneren und geistigen Maße, nicht die zufällige Existenz und die zufällige Beschaffenheit der empirischen Dinge, ist es, die der echte Künstler in seinem Werk darstellt. Ein solcher Künstler ist in der Tat ein zweiter Schöpfer, ein wahrer Prometheus unter Jupiter. „Gleich jenem höchsten Künstler oder der allgemeinen bildenden Natur formt er ein Ganzes, das in sich selbst zusammenhängend und wohlgegliedert ist, mit richtiger Unterordnung aller Teile, die es konstituieren Der geistige Künstler, der so den Schöpfer nachzuahmen vermag und der so die innere Form und den Bau seiner Mitgeschöpfe kennt, wird auch sich selbst und jene Zahlen und Maße, die die Harmonie eines Geistes ausmachen, nicht verkennen.“ Was schon die Betrachtung jedes natürlichen organischen Körpers uns offenbart, das wird zur unwiderleglichen Gewißheit, sobald wir auf unser eigenes Ich, auf die Einheit unseres Bewußtseins hinblicken: daß jedes wahrhafte, in sich beständige Sein seine Gestalt nicht von den Teilen empfängt, sondern daß es als geformtes Ganze vor aller Teilung ist und wirkt. In seinem Ich vermag jeder von uns unmittelbar ein individuelles Formprinzip, vermag er seinen eigentümlichen „Genius“ zu erfassen, den er sodann, im Besonderen wie im Ganzen, als die stets verschiedene und doch mit sich identische formgebende Macht, als den „Genius des Universum“ wiederfindet. Beide Gedanken entsprechen und bedingen einander – die empirische Subjektivität drängt, wahrhaft verstanden und gedeutet, notwendig über sich selbst hinaus und mündet in den Begriff des „allgemeinen Geistes“ ein[38].

Was dieser ästhetisch-metaphysische Begriff der „inneren Form“ für die Anschauung der Sprache geleiset hat – das läßt sich an einem Werke deutlich machen, das unmittelbar aus dem Kreise des englischen Neuplatonismus hervorgegangen ist und seine allgemeine Weltansicht deutlich widerspiegelt. Harris’ „Hermes or a philosophical inquiry concerning universal grammar“ (1751) scheint sich, wenn man den Gesamtplan des Werkes betrachtet, zunächst noch ganz in den Bahnen der rationalistischen Sprachlehren zu bewegen, scheint noch das gleiche Ideal wie etwa die „Grammaire générale et raisonnée“ von Port Royal zu verfolgen. Auch [85] hier soll eine Grammatik geschaffen werden, die, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Idiome der besonderen Sprachen, nur die universellen, für alle Sprachen identischen Prinzipien ins Auge faßt. Eine allgemeine Logik und eine allgemeine Psychologie sollen der Gliederung des Sprachstoffs als Grundlage dienen und diese Gliederung als notwendig erscheinen lassen. Wie z. B. die Vermögen der Seele eine ursprüngliche Zweiteilung aufweisen – wie dem Vorstellungsvermögen das Begehrungsvermögen gegenübersteht, so muß auch jeder sprachlich geformte Satz entweder Aussagesatz oder Willensäußerung (a sentence of assertion or a sentence of volition) sein – und allgemein ergibt sich auf dieser Grundlage, daß die Frage, warum die Sprache gerade diese und keine anderen Redeteile, in dieser und keiner anderen Gestalt und Zahl in sich schließt, sich eindeutig und prinzipiell beantworten lassen müsse. Merkwürdig und interessant ist insbesondere Harris’ Versuch, aus einer logischen und psychologischen Analyse der Zeitvorstellung ein allgemeines Schema für eine Darstellung der Tempusbildung des Verbums zu gewinnen[39]. Aber je weiter er fortschreitet, um so deutlicher wird es, daß die Psychologie, auf die er sich für die Betrachtung und Klassifikation der Sprachformen stützt, eine reine „Strukturpsychologie“ ist, die der Elementenpsychologie des Sensualismus aufs schärfste entgegengesetzt ist. In seiner Verteidigung der „allgemeinen Ideen“ gegen ihre empiristischen Kritiker knüpft Harris unmittelbar an die Schule von Cambridge an[40]. „Was mich betrifft – so bemerkt er – so ist es mir immer, wenn ich die Einzelheiten über Sensation und Reflexion lese und wenn man mich im ganzen über den Vorgang der Entstehung meiner Ideen belehrt, als wenn ich die menschliche Seele gleich einem Schmelztiegel betrachten sollte, in dem durch eine Art logischer Chemie Wahrheiten hervorgebracht werden – Wahrheiten, die also ebenso wie irgend eine Pille oder ein Elixier, als unsere eigenen Geschöpfe angesehen werden[41].“ Dieser Anschauung der Erzeugung der „Form“ aus der „Materie“ stellt er seine eigene gegenüber, die, gestützt auf Platon und Aristoteles, den durchgängigen Primat der Form vertritt. Allen sinnlichen Formen müssen reine intelligible Formen zugrunde liegen, die „früher“ als die sinnlichen sind[42]. Und in diesem Zusammenhang greift Harris, der als Neffe Shaftesburys seinem Gedankenkreis [86] wohl auch persönlich von früh an nahe stand, auf den Zentralbegriff Shaftesburys, auf den Begriff des „Genius“ zurück. Jede nationale Sprache hat ihren eigenen Sprachgeist; jede schließt ein eigentümliches formgebendes Prinzip in sich. „Wir müssen darauf achten, wie die Nationen, gleich den Einzelnen, ihre besonderen Ideen haben, wie diese besonderen Ideen der Genius ihrer Sprache werden, da das Symbol seinem Urbild entsprechen muß, wie daher die weisesten Nationen, da sie die meisten und besten Ideen besitzen, auch die vollkommensten und reichsten Sprachen haben.“ Wie es daher eine Natur, einen Genius des römischen, des griechischen, des englischen Volkes gibt, so gibt es auch einen Genius der lateinischen, der griechischen und der englischen Sprache[43]. Hier tritt – in dieser Bestimmtheit vielleicht zum erstenmal – die neue Fassung des Begriffs des „Sprachgeistes“ hervor, die fortan die gesamte philosophische Betrachtung beherrscht. Wie dieser Begriff in die deutsche Geistesgeschichte eindringt und wie er hier allmählich sein geistiges und sprachliches Bürgerrecht gewinnt, das läßt sich an der meisterhaften Darstellung, die Rudolf Hildebrand in den beiden Artikeln ‚Geist‘ und ‚Genie‘ des Grimm’schen Wörterbuchs gegeben hat, Schritt für Schritt verfolgen[44]. Von Shaftesbury und Harris zu Hamann und Herder führt hier ein direkter Weg. Hamann schreibt schon im Jahre 1768 an Herder nach Riga, daß er für ihn bei seinem Verleger den „Hermes“ bestellt habe: „ein Werk, das mir zu Ihrem Plane (der Behandlung der Sprache in den Fragmenten über die neuere deutsche Literatur) unentbehrlich zu sein schien“[45]. Und Herder selbst, der sich in seinem „Kritischen Wäldchen“ über den Laokoon gegen Lessing auf Harris’ ästhetische Theorie beruft, weist auch auf dessen Sprachtheorie beständig zurück. In seiner Vorrede zu der deutschen Übersetzung von Monboddos Werk über den Ursprung und den Fortgang der Sprache spricht er es ausdrücklich aus, daß durch diesen wie durch Harris ein neuer sicherer Weg der Sprachbetrachtung gewiesen sei: „Genug der Pfad ist gebahnt: die Grundsätze unseres Autors und seines Freundes Harris dünken mich nicht nur die einzig wahren und festen, sondern auch seine ersten Versuche, mehrere Sprachen verschiedener Völker auf verschiedenen Stufen der Kultur miteinander zu vergleichen, werden immer Vorarbeiten eines Meisters bleiben. Und so wäre einmal (gewiß noch nicht so bald) eine Philosophie des menschlichen Verstandes [87] aus seinem eigentümlichsten Werk, den verschiedenen Sprachen der Erde, möglich[46].“

Was Herder an Harris’ Sprachbetrachtung besonders anzog, war vielleicht der gleiche Zug, auf den er auch in seiner Beurteilung von Harris’ ästhetischer Theorie vor allem Gewicht legt. Der Aristotelische Unterschied von ἔργον und ἐνέργεια war durch Harris’ „Dialog über die Kunst“, auf den sich Herder schon in seiner frühesten Erörterung ästhetischer Probleme in den „kritischen Wäldern“ ausdrücklich beruft[47], wieder in den Mittelpunkt der Kunsttheorie gerückt worden. Von hier wirkt er auch auf die Sprachtheorie hinüber, in der er schließlich durch Wilhelm v. Humboldt seine bestimmteste Formulierung und seine streng systematische Fassung erhält. Die Sprache kann so wenig wie die Kunst als ein bloßes Werk des Geistes, sondern sie muß als eine ihm eigentümliche Form und „Energie“ gedacht werden. Beide Motive: die „energetische“ Sprachtheorie und die energetische Kunsttheorie fanden ihre ideelle Einigung wiederum im Begriff des Genies und in der charakteristischen Entwicklung, die er im 17. und 18. Jahrhundert erfuhr. Denn das Entscheidende für diese Entwicklung ist die durchgehende Tendenz, alles geistige Sein auf den ursprünglichen schöpferischen Prozeß, in dem es wurzelt, alle „Gebilde“ auf Grundformen und Grundrichtungen des „Bildens“ zurückzuführen[48]. Was die Sprache betrifft, so scheint auf den ersten Blick diese Tendenz schon in jenen empiristischen und rationalistischen Theorien des Sprachursprungs wirksam zu sein, die sie, statt sie als ein göttliches, mit einem Schlage fertiges Werk zu betrachten, vielmehr als eine freie Schöpfung der menschlichen Vernunft begreifen wollen. Aber da die Vernunft selbst hier durchweg den Charakter der subjektiv-willkürlichen Reflexion behält, so löst sich das Problem der „Bildung“ der Sprache alsbald wieder in das Problem ihrer „Erfindung“ auf. Es ist ein bewußt-zweckhaftes Verfahren, das der Mensch in der Erfindung der ersten Sprachzeichen und in ihrer Ausgestaltung zu Worten und Sätzen ausübt. Die Sprachtheorie der französischen [88] Aufklärung liebt es, diesen allmählichen Fortschritt der Sprache mit dem methodischen Aufbau, den der Geist in der Wissenschaft, insbesondere in der Mathematik vollzieht, unmittelbar zu vergleichen und in Parallele zu stellen. Für Condillac sind alle Einzelwissenschaften, zu denen der menschliche Geist gelangt, nur die Fortsetzung desselben Prozesses der Analyse der Ideen, der mit der menschlichen Sprachbildung beginnt. Neben die anfängliche Sprache der Lautzeichen tritt eine Sprache, die sich allgemeiner, insbesondere arithmetischer und algebraischer Symbole bedient; neben die Sprache der Worte tritt die „Sprache des Calculs“: aber in beiden waltet dasselbe Prinzip der Zergliederung, der Verknüpfung und Ordnung der Vorstellungen. Wie die Wissenschaften in ihrer Gesamtheit nichts anderes als wohlgeordnete Sprachen (Langues bien faites) sind – so ist andererseits unsere Wort- und Lautsprache nichts anderes als die erste Wissenschaft des Seienden, als die erste Äußerung jenes Urtriebs der Erkenntnis, der vom Zusammengesetzten zum Einfachen, vom Besonderen zum Allgemeinen strebt[49]. Maupertuis hat in seinen „philosophischen Reflexionen über den Ursprung der Sprachen“ versucht, den Weg, den die Sprache hierbei einschlägt, im einzelnen zu verfolgen; zu zeigen, wie sie von ihren ersten primitiven Anfängen an, in denen sie nur über wenige Bezeichnungen komplexer sinnlicher Vorstellungen verfügte, durch immer weitergehende bewußte Vergleichung und bewußte Unterscheidung der Teile dieser Vorstellungen zu einem allmählich immer reicheren Schatz von Benennungen, von Wortformen und Redeteilen, gelangt ist[50]. Dieser Ansicht der Sprache, die sie in die Sphäre einer abstrakten Verständigkeit bannt, stellt Herder eine neue Anschauung der „Sprachvernunft“ gegenüber. Abermals tritt hier in überraschender Schärfe der tiefe Zusammenhang der geistigen Grundprobleme zutage: denn der Kampf, der jetzt einsetzt, entspricht Zug für Zug dem Kampf, den auf dem Gebiet der Kunst Lessing gegen Gottsched und gegen den französischen Klassizismus geführt hatte. Auch die Gebilde der Sprache sind im höchsten Sinn „regelmäßig“, ohne daß sie doch aus einer objektiven begrifflichen Regel abgeleitet und an ihr gemessen werden könnten. Auch sie sind, vermöge der Übereinstimmung aller Teile zu Einem Ganzen, durch und durch zweckmäßig gebildet – aber es waltet in ihnen jene „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, die alle bloße Willkür und alle bloß subjektive „Absicht“ ausschließt. In der Sprache wie in [89] der Schöpfung des Kunstwerkes durchdringen sich daher die Momente, die in der bloß verstandesmäßigen Reflexion einander fliehen, zu einer neuen Einheit – zu einer Einheit, die zunächst freilich nur ein Problem, nur eine neue Aufgabe vor uns hinstellt. Die Gegensätze von Freiheit und Notwendigkeit, von Individualität und Allgemeinheit, von „Subjektivität“ und „Objektivität“, von Spontaneität und Bindung mußten selbst erst eine tiefere Bestimmung und eine neue prinzipielle Klärung erfahren, ehe sie als philosophische Kategorien für die Erklärung des „Ursprungs des Kunstwerks“ und des „Ursprungs der Sprache“ gebraucht werden konnten.

IV

Die empiristischen und die rationalistischen, die psychologischen und die logischen Theorien der Sprache stimmen in der Fassung, in der sie uns bisher entgegengetreten sind, trotz aller inneren Gegensätzlichkeit, doch in einem Grundzuge überein. Sie betrachten die Sprache wesentlich nach ihrem theoretischen Gehalt: nach ihrer Stellung im Ganzen der Erkenntnis und nach dem, was sie für den Aufbau der Erkenntnis leistet. Mag sie als unmittelbares Werk der Vernunft und als ihr unentbehrliches Organ aufgefaßt werden oder mag das Wort als eine bloße Hülle gelten, das uns die Grundinhalte der Erkenntnis, die eigentlichen „Urperzeptionen“ des Geistes verdeckt: immer wird als das Ziel der Sprache, an dem sich ihr positiver oder negativer Wert bestimmt, das theoretische Wissen und der Ausdruck dieses Wissens angesehen. Die Worte sind Zeichen der Ideen – wobei die letzteren entweder als objektive und notwendige Erkenntnisinhalte oder als subjektive „Vorstellungen“ gefaßt werden. Je mehr indessen der Begriff der „Subjektivität“, den die neuere Philosophie fortschreitend erarbeitet, sich weitet und vertieft – je deutlicher aus ihm eine neue wahrhaft universelle Auffassung der Spontaneität des Geistes erwächst, die sich gleich sehr als Spontaneität des Gefühls und des Willens, wie als solche der Erkenntnis erweist, um so entschiedener muß jetzt auch in der Leistung der Sprache ein anderes Moment hervorgehoben werden. Die Sprache scheint gerade, wenn wir sie zu ihren frühesten Anfängen zurückzuverfolgen suchen, nicht lediglich repräsentatives Zeichen der Vorstellung, sondern emotionales Zeichen des Affekts und des sinnlichen Triebes zu sein. Schon die antike Theorie kennt diese Ableitung der Sprache aus dem Affekt, aus dem πάθος der Empfindung und der Lust und Unlust. In diesen dem Menschen und den Tieren gemeinsamen und somit wahrhaft „natürlichen“ Urgrund müssen [90] wir nach Epikur zurückgehen, um den Ursprung der Sprache zu begreifen. Diese ist nicht das Werk einer bloßen Konvention, einer willkürlichen Satzung und Vereinbarung, sondern gleich notwendig und gleich natürlich, wie die unmittelbare Empfindung selbst. Wie das Sehen und Hören, das Lust- und Schmerzgefühl dem Menschen von Anfang an eigen ist, so ist es auch die Äußerung, die sich an unsere sinnlichen Empfindungen und Gefühle anknüpft. So mußten in demselben Maße, wie die Empfindungen der Menschen verschieden waren, wie sie je nach der Verschiedenheit ihrer physischen Organisation und nach geistigen und ethnischen Differenzen wechselten, wechselnde Laute entstehen, die erst allmählich, zum Zwecke der Vereinfachung und der wechselseitigen Verständigung, auf allgemeinere Wort- und Sprachtypen zusammengezogen wurden[51]. In der gleichen Weise wird von Lukrez das angebliche Wunder der Spracherzeugung auf die allgemeinen und besonderen Gesetze der menschlichen Natur zurückgeführt. Die Sprache entwickelt sich als ein besonderes Gebiet aus dem allgemeinen Trieb zum sinnlich-mimischen Ausdruck, der dem Menschen an- und eingeboren ist, der ihm nicht als Werk der Überlegung, sondern unbewußt und ungewollt innewohnt[52].

Die Philosophie der neueren Zeit greift, wie in der Naturphilosophie und in der Erkenntnistheorie, so auch in der Sprachtheorie wieder auf Epikur zurück. Im siebzehnten Jahrhundert erfährt die alte „Naturlauttheorie“ insbesondere bei demjenigen Denker, der zuerst einen umfassenden systematischen Entwurf der Geisteswissenschaften gewagt hat, eine höchst merkwürdige, nach Form und Begründung gleich originelle Erneuerung. Giambattista Vico stellt in seinen „Principi di scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni“ das Sprachproblem in den Umkreis einer allgemeinen Metaphysik des Geistes. Von der „poetischen Metaphysik“, die den Ursprung der Dichtkunst, sowie den des mythischen Denkens enthüllen soll, dringt er durch das Mittelglied der „poetischen Logik“, in der die Genesis der dichterischen Tropen und Gleichnisse erkannt werden soll, zur Frage nach dem Ursprung der Sprache vor, die ihm gleichbedeutend mit der Frage nach dem Ursprung der „Literatur“, der Wissenschaften überhaupt ist. Auch er verwirft die [91] Lehre, daß die Urworte der Sprache lediglich auf konventionelle Setzungen zurückgingen; auch er fordert zwischen ihnen und ihren Bedeutungen einen „natürlichen“ Zusammenhang. Wenn die gegenwärtige Phase der Sprachentwicklung, wenn unsere „Lingua volgare“ diesen Zusammenhang nicht mehr erkennen läßt, so hat dies keinen anderen Grund, als daß sie sich von ihrem eigentlichen Urquell, von der Sprache der Götter und Heroen, mehr und mehr entfernt hat. Aber selbst in der heutigen Verdunklung und Zersplitterung enthüllt sich dem wahrhaft philosophischen Blick noch die ursprüngliche Verknüpfung und Verwandtschaft der Worte mit dem, was sie bedeuten. Da fast alle Worte von natürlichen Eigenschaften der Dinge oder von sinnlichen Eindrücken und Gefühlen hergenommen sind, so ist die Idee eines geistigen „Universalwörterbuches“, das die Bedeutungen der Worte in allen verschiedenen artikulierten Sprachen aufweist und sie sämtlich auf eine ursprüngliche Einheit der Ideen zurückführt, nicht vermessen. Die eigenen Versuche, die Vico in dieser Richtung unternimmt, zeigen freilich noch die ganze naive Willkür einer rein spekulativen „Etymologie“, die durch kritische oder historische Rücksichten in keiner Weise eingeschränkt wird[53]. Alle Urworte waren einsilbige Wurzeln, die entweder einen objektiven Naturlaut onomatopoetisch wiedergaben, oder die als reine Empfindungslaute der unmittelbare Ausdruck eines Affekts, eine Interjektion des Schmerzes oder der Lust, der Freude oder der Trauer, der Verwunderung oder des Schrecks, waren[54]. Einen Beleg für diese seine Theorie der Urworte, als einfacher und einsilbiger Interjektionslaute, findet Vico z. B. in der deutschen Sprache, die er – wie später Fichte – als eine eigentliche Ursprache, als eine Lingua madre ansieht, weil die Deutschen, die niemals von fremden Eroberern beherrscht worden seien, den Charakter ihrer Nation und ihrer Sprache von alters her rein bewahrt hätten. An die Bildung der Interjektionen schließt sich ihm sodann die der Pronomina [92] und Partikeln an, die gleichfalls in ihrer Grundgestalt auf lauter einsilbige Wurzeln zurückführen – dann hätten sich die Nomina und erst aus diesen, als die letzte Schöpfung der Sprache, die Verba entwickelt, wie sich denn noch heute in der Kindersprache und in Fällen pathologischer Sprachstörungen der Vorrang der Nomina vor den Verba und die Zugehörigkeit der ersteren zu einer früheren Sprachschicht deutlich erkennen lasse[55].

So barock und seltsam diese Theorie erscheinen mag, wenn man sie lediglich in ihren Einzelausführungen betrachtet, so enthielt sie doch für die Gesamtauffassung der Sprache einen wichtigen und fruchtbaren Keim. An die Stelle der gleichsam statischen Beziehung zwischen Laut und Bedeutung war hier eine dynamische getreten: die Sprache wurde auf die Dynamik des Sprechens, diese letztere selbst aber wieder auf die Dynamik des Gefühls und des Affekts zurückgeführt. Je entschiedener das achtzehnte Jahrhundert die Sonderstellung des Gefühls betonte, je mehr es darauf hindrängte, in ihm die eigentliche Grundlage und die schöpferische Urpotenz des Geistigen anzunehmen, um so mehr sah es sich daher, in der Theorie des Sprachursprungs, auf Vicos Lehre zurückgewiesen. Es ist daher kein Zufall, daß Rousseau es war, der diese Lehre zunächst aufnahm und der sie im einzelnen auszubauen versuchte[56]. In einem anderen und tieferen Sinne aber wirkten die Anschauungen Vicos bei dem Manne weiter, der von allen Denkern des achtzehnten Jahrhunderts seiner symbolischen Metaphysik und seiner symbolischen Geschichtsauffassung am nächsten steht und der gleich ihm die Poesie als die Muttersprache des menschlichen Geschlechts betrachtet. So sehr dieser Denker, so sehr Joh. Georg Hamann für den Ausdruck seiner Grundanschauung jede rationale Form der Begründung verschmäht und so sehr seine Lehre aller verstandesmäßigen Systematik zu spotten scheint: so sehr formt sie sich ihm andererseits, indem er alle ihre Teile immer wieder auf das eine Grundproblem der Sprache bezieht, zu einem gleichsam ungewollten immanenten System. Hier findet Hamanns Denken, das beständig in Gefahr steht, sich dem Zuge des unmittelbaren Gefühls und des augenblicklichen Eindrucks zu überlassen und sich damit ins Partikulare, ins Zufällige und Peripherische zu verlieren, von Anfang an einen bestimmten Mittelpunkt, den es nicht sowohl fixiert, als beständig umkreist. „Bei mir“, – so betont er selbst – „ist weder von Physik, noch Theologie die Rede, sondern [93] Sprache die Mutter der Vernunft und der Offenbarung, ihr Α und Ω.“ „Wenn ich auch so beredt wäre, wie Demosthenes, so würde ich doch nicht mehr als ein einziges Wort dreimal wiederholen müssen: Vernunft ist Sprache, λόγος. An diesem Markknochen nage ich und werde mich zu Tode darüber nagen. Noch bleibt es immer finster über dieser Tiefe für mich; ich warte noch immer auf einen apokalyptischen Engel mit einem Schlüssel für diesen Abgrund[57].“ Hier erschließt sich für Hamann das eigentliche Wesen der Vernunft in seiner Einheit und in seiner inneren Gegensätzlichkeit. „Was Demosthenes actio, Engel Mimik, Batteux Nachahmung der schönen Natur nennt, ist für mich Sprache, das Organon und Criterion der Vernunft, wie Young sagt. Hier liegt reine Vernunft und zugleich ihre Kritik[58].“ Aber eben dieses Sein, an dem sich für uns der göttliche Logos unmittelbar zu offenbaren scheint, verschließt sich andererseits all dem, was wir in unserer Sphäre mit dem Namen der „Vernunft“ bezeichnen. Für die Sprache gilt, wie für die Geschichte, daß sie, „gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis, ein Rätsel ist, das sich nicht auflösen läßt, ohne mit einem anderen Kalbe, als unserer Vernunft, zu pflügen[59].“ Denn die Sprache ist keine Sammlung diskursiver konventioneller Zeichen für diskursive Begriffe, sondern sie ist das Symbol und Widerspiel des gleichen göttlichen Lebens, das uns überall sichtbar-unsichtbar, geheimnisvoll und offenbar umgibt. Wie für Heraklit, so ist daher für Hamann in ihr alles zugleich Äußerung und Entäußerung, Enthüllung und Verhüllung. Die gesamte Schöpfung, die Natur wie die Geschichte, ist nichts anderes als eine Rede des Schöpfers an die Kreatur durch die Kreatur. „Es gehört zur Einheit der göttlichen Offenbarung, daß der Geist Gottes sich durch den Menschengriffel der heiligen Männer, die von ihm getrieben worden, eben so erniedrigt und seiner Majestät entäußert, als der Sohn Gottes durch die Knechtsgestalt, und wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Demut ist. Den allein weisen Gott in der Natur bloß bewundern, ist vielleicht eine ähnliche Beleidigung mit dem Schimpf, den man einem vernünftigen Mann erweist, dessen Wert nach seinem Rock der Pöbel schätzt.“ „Die Meinungen der Weltweisen sind Lesarten der Natur und die Setzungen der Gottesgelehrten Lesarten der Schrift. Der Autor ist der beste Ausleger seiner Worte; er mag durch Geschöpfe – durch Begebenheiten – oder [94] durch Blut und Feuer und Rauchdampf reden, worin die Sprache des Heiligtums besteht … Die Einheit des Urhebers spiegelt sich bis in dem Dialekte seiner Werke; – in allen Ein Ton von unermeßlicher Höhe und Tiefe[60].“

Aber in diese Tiefe, in der es für Hamann nach seinem eigenen Bekenntnis immer dunkel blieb, fällt nun für Herder ein neues Licht. Für die allgemeine Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist Herders Preisschrift über den Ursprung der Sprache vor allem auch dadurch entscheidend geworden, weil hier die schärfsten Gegensätze, die sich bisher in der Auffassung und Auslegung des geistigen Seins und Wirkens gegenüberstanden, eine ganz neue methodische Vermittlung fanden. Wie Herder auf Hamann fußt, so war er in der Epoche, die der Preisschrift vorangeht, der Schüler Kants und durch diesen mittelbar der Schüler von Leibniz geworden. Von der Abhandlung „vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele“, deren Konzeption und Ausarbeitung der Preisschrift unmittelbar nahe liegt, sagt Haym, daß sie der Geist der Leibnizischen Philosophie von einem Ende bis zum anderen durchwehe, ja daß sie nichts als eine Summe dieser Philosophie im Widerschein des Herderschen Geistes sei[61]. Wie aber waren in der Auffassung der Sprache die beiden äußersten Gegenpole, wie waren Hamann und Leibniz miteinander zu vereinen? Wie ließ sich die Anschauung, die in der Sprache die höchste Leistung analytischer Denkkraft, das eigentliche Organ zur Bildung „distinkter“ Begriffe sah, mit jener anderen verknüpfen, nach der ihr Ursprung aller Reflexion des Verstandes entrückt und in das Dunkel des Gefühls und seiner unbewußten poetischen Schöpferkraft zurückverlegt wurde? Hier setzt Herders Frage und mit ihr seine neue Lösung des Sprachproblems ein. Wenn alle Sprache im Gefühl und in seinen unmittelbar-triebhaften Äußerungen wurzelt, wenn sie nicht vom Bedürfnis der Mitteilung, sondern vom Geschrei, von Tönen, von wilden artikulierten Lauten ihren Ausgang nimmt – so macht doch ein solcher Inbegriff von Lauten niemals das Wesen, niemals die eigentliche geistige „Form“ der Sprache aus. Diese Form entsteht erst, indem eine neue „Grundkraft der Seele“, die den Menschen von Anfang an vom Tier scheidet, sich wirksam erweist. In der Darstellung, die er von dieser spezifisch menschlichen [95] Grundkraft der „Besonnenheit“ gibt, und in der Rolle, die er ihr zuweist, knüpft Herder ersichtlich überall an jenen Grundbegriff an, der Leibniz’ Logik mit seiner Psychologie verbindet. Die Einheit des Bewußtseins ist nach Leibniz nur durch die des geistigen Tuns, nur durch die Einheit der Verknüpfung möglich, in der der Geist sich selbst als beharrliche und identische Monas erfaßt und in der er ferner ein und denselben Inhalt, wenn er ihm zu verschiedenen Zeiten entgegentritt, als ein und dasselbe Wesen wiedererkennt. Diese Form des „Wiedererkennens“ ist es, die bei Leibniz als Apperzeption, bei Herder als „Reflexion“, bei Kant als „Synthesis der Rekognition“ gefaßt wird. „Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner Seele so frei würket, daß sie in dem ganzen Ocean von Empfindungen, der sie durch alle Sinnen durchrauschet, Eine Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten, und sich bewußt sein kann, daß sie aufmerke. Er beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne vorbeistreichen, sich in ein Moment des Wachens sammlen, auf Einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle, ruhigere Obacht nehmen und sich Merkmale absondern kann, daß dies der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften lebhaft oder klar erkennen, sondern Eine oder mehrere als unterscheidende Eigenschaften bei sich anerkennen kann: der erste Actus dieser Anerkenntnis gibt deutlichen Begriff; es ist das Erste Urtheil der Seele – und wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er absondern mußte, und was, als Merkmal der Besinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan! lasset uns ihm das εὕρηκα zurufen! Dies Erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm ist die menschliche Sprache erfunden[62]!“ In diesem Sinne kann für Herder die Sprache ganz als ein Erzeugnis der unmittelbaren Empfindung und zugleich ganz als ein Werk der Reflexion, der Besinnung gefaßt werden: weil eben diese letztere nichts äußeres ist, was nachträglich zum Inhalte der Empfindung hinzutritt, sondern weil sie in ihn als konstitutives Moment eingeht. Erst die „Besinnung“ ist es, die die flüchtige sinnliche Regung zu einem in sich Bestimmten und Unterschiedenen und damit erst zu einem eigentlich geistigen „Inhalt“ macht. Hier ist also nicht, wie bei Maupertuis und Condillac, die Perzeption ein in sich fertiges und in sich beschlossenes psychisches Sein, an das sich der Ausdruck im Begriff und im Begriffswort nur anschließt, sondern hier ist es ein und derselbe Akt, in dem die Bestimmung der bloßen Eindrücke zu [96] „Vorstellungen“ und deren Benennung sich vollzieht. Der Naturgegebenheit der Perzeptionen steht nicht mehr ein künstliches System von Zeichen gegenüber, sondern die Perzeption schließt selbst, kraft ihrer geistigen Eigenart, schon ein eigentümliches Formmoment in sich, das, vollständig entwickelt, in der Form des Wortes und der Sprache sich darstellt. Daher ist die Sprache – wenngleich Herder fortfährt, von ihrer „Erfindung“ zu sprechen – für ihn niemals ein bloß Gemachtes, sondern ein von innen her und notwendig Gewordenes. Sie ist ein Faktor im synthetischen Aufbau des Bewußtseins selbst, kraft dessen sich die Welt der sinnlichen Empfindungen erst zu einer Welt der Anschauung gestaltet: sie ist somit keine Sache, die hervorgebracht wird, sondern eine Art und eine Bestimmtheit des geistigen Zeugens und Bildens.

Der allgemeine Formbegriff, unter den die Sprache gefaßt wird, hat damit eine entscheidende Wandlung erfahren. Herders Preisschrift bezeichnet scharf und genau die Grenze, an der der ältere rationalistische Begriff der „Reflexionsform“, der die Philosophie der Aufklärung beherrscht, in den romantischen Begriff der „organischen Form“ übergeht. Durch Friedrich Schlegels Schrift „über die Sprache und Weisheit der Inder“ wird dieser neue Begriff zum erstenmal in voller Bestimmtheit in die Sprachbetrachtung eingeführt. Man wird indes den tieferen Motiven dieser Auffassung nicht gerecht, wenn man in der Bezeichnung der Sprache als Organismus nur ein Bild, nur eine poetische Metapher sieht. So abgeblaßt und vag uns diese Bezeichnung heute erscheinen mag: so inhaltsvoll und konkret drückte sich in ihr für Friedrich Schlegel und seine Epoche die neue Stellung aus, die jetzt der Sprache im Ganzen des geistigen Seins zugewiesen wurde. Denn der Begriff des Organismus, wie ihn die Romantik nimmt, dient nicht der Bezeichnung eines einzelnen Faktums der Natur, eines besonderen und abgegrenzten Gebiets gegenständlicher Phänomene, mit denen die sprachlichen Phänomene freilich immer nur sehr mittelbar und ungenau verglichen werden könnten. Nicht als Ausdruck für eine besondere Klasse von Erscheinungen, sondern als Ausdruck eines allgemeinen spekulativen Prinzips wird hier dieser Begriff genommen – eines Prinzips, das geradezu das letzte Ziel und den systematischen Einheitspunkt der romantischen Spekulation bezeichnet. Das Problem des Organismus bildete die geistige Mitte, auf die sich die Romantik von den verschiedensten Problemgebieten her immer wieder hingewiesen und zurückgeführt sah. Goethes Metamorphosenlehre, Kants kritische Philosophie und Schellings erste Entwürfe der Naturphilosophie und des „Systems des transzendentalen Idealismus“ [97] schienen hier in einem Punkt zusammenzustreben. Schon in der „Kritik der Urteilskraft“ erschien dieses Problem als der eigentliche „medius terminus“, durch den sich der dualistische Gegensatz zwischen den beiden Gliedern des Kantischen Systems versöhnte. Natur und Freiheit, Sein und Sollen, die zuvor nicht nur als getrennte, sondern als einander antinomisch gegenüberstehende Welten erscheinen konnten, waren jetzt durch dieses Mittelglied aufeinander bezogen – und in dieser Beziehung schloß sich für beide ein neuer Gehalt auf. Wenn Kant diesen Gehalt vor allem methodisch faßt, wenn er die beiden Extreme, im kritisch-transzendentalen Sinne, wesentlich als „Gesichtspunkte“ für die Betrachtung und Deutung des Ganzen der Erscheinungswelt bestimmt – so wird für Schelling der Grundbegriff des Organischen zum Vehikel einer allumfassenden spekulativen Welterklärung. Wie Natur und Freiheit, so wird Natur und Kunst in der Idee des Organischen geeint. Hier schließt sich die Kluft, die das unbewußte Werden der Natur vom bewußten Schaffen des Geistes zu trennen scheint – hier zuerst überfällt daher den Menschen eine Ahnung von der wahren Einheit seiner eigenen Natur, in welcher Anschauung und Begriff, Form und Gegenstand, Ideales und Reales ursprünglich ein und dasselbe ist. „Daher der eigentümliche Schein, der um diese Probleme ist, – ein Schein, den die bloße Reflexionsphilosophie, die nur auf Trennung ausgeht, nie zu entwickeln vermag, während die reine Anschauung oder vielmehr die schöpferische Einbildungskraft längst die symbolische Sprache erfand, die man nur auslegen darf, um zu finden, daß die Natur um so verständlicher zu uns spricht, je weniger wir über sie bloß reflektierend denken[63].“

Erst aus dieser systematischen Gesamtbedeutung, die die Idee des Organismus für die Philosophie der Romantik besaß, läßt sich ermessen, in welchem Sinne sie sich für die Betrachtung der Sprache fruchtbar erweisen mußte. Abermals traten hier die großen Gegensätze, um die sich diese Betrachtung bisher bewegt hatte, in aller Schärfe einander gegenüber: aber zwischen ihnen, zwischen dem „Bewußten“ und „Unbewußten“, zwischen „Subjektivität“ und „Objektivität“, zwischen „Individualität“ und „Allgemeinheit“ schien nun eine neue Vermittlung aufgewiesen. Für die Erklärung des organischen Lebens war der Begriff der „individuellen Form“ schon von Leibniz geprägt worden – und durch Herder war er sodann über die ganze Weite des geistigen Daseins ausgebreitet, war er von der Natur auf die Geschichte, von dieser auf die Kunst und auf die konkrete Betrachtung der Kunstarten und Kunststile [98] übertragen worden. Überall wird hier ein „Allgemeines“ gesucht: aber dieses wird nicht als ein an sich Seiendes, als die abstrakte Einheit einer Gattung gefaßt, die den Einzelfällen gegenübersteht, sondern als eine Einheit, die sich nur in der Allheit der Besonderungen darstellt. Diese Allheit und das Gesetz, der innere Zusammenhang, der sich in ihr ausdrückt: das erscheint jetzt als das echte Allgemeine. Für die Sprachphilosophie bedeutet dies, daß sie auf das Bestreben, hinter der individuellen Mannigfaltigkeit und der historischen Zufälligkeit der Einzelsprachen die allgemeine Struktur einer Grund- und Ursprache zu entdecken, ein für allemal verzichten lernt, daß auch sie die wahre Allgemeinheit des „Wesens“ der Sprache nicht in der Abstraktion von den Besonderungen, sondern in der Totalität dieser Besonderungen sucht. In dieser Verbindung der Idee der organischen Form und der Idee der Totalität ist der Weg bezeichnet, auf welchem Wilhelm von Humboldt seine philosophische Weltansicht gewinnt, die zugleich eine neue Grundlegung der Sprachphilosophie in sich schließt[64].

V

Schon von früh an ist die Betrachtung und das Studium der Sprache für Wilh. v. Humboldt zum Zentrum aller seiner geistigen Interessen und Bestrebungen geworden. „Im Grunde“ – so schrieb er schon im Jahre 1805 an Wolf – „ist alles, was ich treibe, Sprachstudium. Ich glaube die Kunst entdeckt zu haben, die Sprache als ein Vehikel zu gebrauchen, um das Höchste und Tiefste und die Mannigfaltigkeit der ganzen Welt zu durchfahren.“ In einer Fülle von Einzelabhandlungen zur Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte hat Humboldt diese Kunst geübt, bis er in der großen zusammenfassenden Einleitung zum Kawi-Werk von ihr die letzte und glänzendste Probe abgelegt hat. Nicht in allen Teilen seines sprachphilosophischen und sprachwissenschaftlichen Werkes entspricht freilich bei Humboldt der genialen Ausübung dieser Kunst die Bewußtheit, in der sie sich ihm darstellt. Sein Werk geht als geistige Schöpfung nicht selten über das hinaus, was er selbst in klaren und scharfen Begriffen von ihm aussagt. Aber immer birgt auch die Dunkelheit mancher Humboldt’scher Begriffe, über die man so oft geklagt hat, einen produktiven Gehalt in sich – einen Gehalt, der sich freilich zumeist nicht in eine einfache Formel, in eine abstrakte Definition einfangen läßt, sondern [99] der erst im ganzen der konkreten Sprachanschauung Humboldts sich wirksam und fruchtbar erweist.

Für jede Darstellung der Humboldtschen Grundgedanken entspringt hieraus das Recht und die Notwendigkeit, die Gesamtheit dieser Gedanken um bestimmte systematische Mittelpunkte zu gruppieren – auch wo er diese Zentren nicht selbst als solche bezeichnet und herausgehoben hat. Humboldt ist zwar im Grunde ein durchaus systematischer Geist; aber er ist jeder bloß äußeren Technik der Systematisierung feind. So geschieht es, daß er im Bestreben, in jedem einzelnen Punkte seiner Untersuchung immer zugleich das Ganze seiner Sprachansicht vor uns hinzustellen, der scharfen und klaren Sonderung dieses Ganzen widerstrebt. Seine Begriffe sind niemals die losgelösten und reinen Produkte der logischen Analyse, sondern es schwingt in ihnen stets ein ästhetischer Gefühlston, eine künstlerische Stimmung mit, die die Darstellung belebt, aber die zugleich die Artikulation und den Gliederbau der Gedanken verhüllt. Sucht man diesen Gliederbau bloßzulegen, so sieht man sich vor allem auf drei große prinzipielle Gegensätze zurückgeführt, die das Denken Humboldts bestimmen, und für die er in der Betrachtung der Sprache einen kritischen Ausgleich und eine spekulative Versöhnung zu finden hofft.

Vor allem ist es die Trennung des individuellen und des „objektiven“ Geistes und die Wiederaufhebung dieser Trennung, die sich für Humboldt im Bilde der Sprache unmittelbar darstellt. Jedes Individuum spricht seine eigene Sprache – und doch wird es sich gerade in der Freiheit, mit der es sich ihrer bedient, einer inneren geistigen Bindung bewußt. So ist die Sprache überall Vermittlerin, erst zwischen der unendlichen und endlichen Natur, dann zwischen einem und dem anderen Individuum – zugleich und durch denselben Akt macht sie die Vereinigung möglich und entsteht aus derselben. „Man muß sich nur durchaus von der Idee losmachen, daß sie sich so von demjenigen, was sie bezeichnet, absondern lasse, wie z. B. der Name eines Menschen von seiner Person, und daß sie, gleich einer verabredeten Chiffre, ein Erzeugnis der Reflexion und der Übereinkunft oder überhaupt das Werk des Menschen (wie man den Begriff in der Erfahrung nimmt) oder gar des Einzelnen sei. Als ein wahres, unerklärliches Wunder bricht sie aus dem Munde einer Nation, und als ein nicht minder staunenswertes, wenngleich täglich unter uns wiederholtes und mit Gleichmütigkeit übersehenes, aus dem Lallen jedes Kindes hervor und ist die leuchtendste Spur und der sicherste Beweis, daß der Mensch nicht eine an sich abgesonderte Individualität besitzt, daß Ich und Du nicht bloß sich wechselseitig fordernde, sondern, wenn man bis [100] zu dem Punkte der Trennung zurückgehen könnte, wahrhaft identische Begriffe sind, und daß es in diesem Sinne Kreise der Individualität gibt, von dem schwachen, hilfsbedürftigen und hinfälligen Einzelnen hin bis zum uralten Stamme der Menschheit, weil sonst alles Verstehen bis in alle Ewigkeit hin unmöglich sein würde.“ So ist auch eine Nation in diesem Sinne eine durch eine bestimmte Sprache charakterisierte geistige Form der Menschheit, in bezug auf idealische Totalität individualisiert. „Die Individualität zerschlägt, aber auf eine so wunderbare Weise, daß sie gerade durch die Trennung das Gefühl der Einheit weckt, ja als ein Mittel erscheint, diese wenigstens in der Idee herzustellen … Denn tief innerlich nach jener Einheit und Allheit ringend, möchte der Mensch über die trennenden Schranken seiner Individualität hinaus, muß aber gerade, da er, gleich dem Riesen, der nur von der Berührung der mütterlichen Erde seine Kraft empfängt, nur in ihr Stärke besitzt, seine Individualität in diesem höheren Ringen erhöhen. Er macht also immer zunehmende Fortschritte in einem in sich unmöglichen Streben. Hier kommt ihm nun auf eine wahrhaft wunderbare Weise die Sprache zu Hilfe, die auch verbindet, indem sie vereinzelt, und in die Hülle des individuellsten Ausdrucks die Möglichkeit allgemeinen Verständnisses einschließt. Der Einzelne, wo, wann und wie er lebt, ist ein abgerissenes Bruchstück seines ganzen Geschlechts und die Sprache beweist und unterhält diesen ewigen, die Schicksale des Einzelnen und die Geschichte der Welt leitenden Zusammenhang[65].“

Kantische und Schellingsche Elemente durchdringen sich merkwürdig in diesem ersten metaphysischen Ansatz von Humboldts Sprachphilosophie. Auf dem Boden der kritischen Analyse der Erkenntnisvermögen stehend, sucht Humboldt zu dem Punkte vorzudringen, an dem der Gegensatz von Subjektivität und Objektivität, von Individualität und Allgemeinheit zu reiner Indifferenz sich aufhebt. Aber der Weg, den er in der Aufweisung dieser letzten Einheit nimmt, ist nicht der Weg der intellektuellen Anschauung, die uns unmittelbar über alle Schranken des „endlichen“ analytisch-diskursiven Begriffs hinwegheben soll. Wie Kant als Kritiker der Erkenntnis, so steht Humboldt als Kritiker der Sprache in dem „furchtbaren Bathos der Erfahrung“. Fort und fort betont er, daß ihre Betrachtung, wenngleich sie in die letzten Tiefen der Menschheit zu führen bestimmt sei, um nicht chimärisch zu werden, von der ganz trockenen, sogar mechanischen Zergliederung des Körperlichen in ihr anfangen müsse. Denn jene ursprüngliche Übereinstimmung zwischen der [101] Welt und dem Menschen, auf welcher die Möglichkeit aller Erkenntnis der Wahrheit beruht und die wir daher allerdings in aller Erforschung besonderer Gegenstände als allgemeines Postulat voraussetzen müssen, kann doch für uns nur auf dem Wege der Erscheinung stückweise und fortschreitend wiedergewonnen werden. In diesem Sinne ist das Objektive nicht das Gegebene, sondern es bleibt stets das eigentlich zu Erringende[66]. Mit dieser Bestimmung zieht Humboldt die sprachphilosophische Konsequenz aus Kants kritischer Lehre. An die Stelle des metaphysischen Gegensatzes der Subjektivität und Objektivität tritt ihre reine transzendentale Korrelation. Wie bei Kant der Gegenstand, als „Gegenstand in der Erscheinung“, der Erkenntnis nicht als ein Äußeres und Jenseitiges gegenübersteht, sondern durch deren eigene Kategorien erst „ermöglicht“, erst bedingt und konstituiert wird – so erscheint jetzt auch die Subjektivität der Sprache als keine bloße Schranke mehr, die uns von der Erfassung des gegenständlichen Seins trennt, sondern als ein Mittel der Formung, der „Objektivierung“ der sinnlichen Eindrücke. Die Sprache kommt so wenig wie die Erkenntnis von dem Objekt als einem Gegebenen her, um es lediglich in sich „abzudrücken“, sondern sie birgt in sich eine geistige Auffassungsweise, die als entscheidendes Moment in all unsere Vorstellung des Objektiven eingeht. Die naiv-realistische Anschauung bringt freilich, da sie selbst beständig in Objekten lebt, webt und handelt, diese Subjektivität zu wenig in Anschlag; sie gelangt nur schwer zu dem Begriff einer Subjektivität, die das Objektive nicht zufällig, launisch oder willkürlich, sondern nach inneren Gesetzen so umgestaltet, daß das scheinbare Objekt selbst nur zu subjektiver und doch mit vollem Recht auf Allgemeingültigkeit Anspruch machender Auffassung wird. Ihr ist daher die Verschiedenheit der Sprachen nur eine Verschiedenheit von Schällen, die sie, immer auf Sachen gerichtet, bloß als Mittel ansieht, zu diesen zu gelangen. Aber eben diese dinglich-realistische Ansicht ist es, die die Ausdehnung der Sprachkenntnis verhindert und die wirklich vorhandene tot und unfruchtbar macht[67]. Die eigentliche Idealität der Sprache ist in ihrer Subjektivität gegründet. Daher war es ein vergeblicher Versuch und wird stets ein solcher bleiben, wenn man die Wörter der verschiedenen Sprachen mit allgemein-gültigen Zeichen vertauschen wollte, wie dieselben die Mathematik in den Linien, Zahlen und in der Buchstabenrechnung besitzt. Denn hiermit läßt sich immer [102] nur ein kleiner Teil der Masse des Denkbaren erschöpfen, lassen sich nur solche Begriffe bezeichnen, die durch rein rationale Konstruktion gebildet werden können. Wo aber der Stoff innerer Wahrnehmung und Empfindung zu Begriffen gestempelt werden soll, da kommt es auf das individuelle Vorstellungsvermögen des Menschen an, das von seiner Sprache unzertrennlich ist. „Das Wort, welches den Begriff erst zu einem Individuum der Gedankenwelt macht, fügt zu ihm bedeutend von dem Seinigen hinzu, und indem die Idee durch dasselbe Bestimmtheit empfängt, wird sie zugleich in gewissen Schranken gefangen gehalten … Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes voneinander leuchtet es klar ein, daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst.“ Hierin ist der Grund und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung für Humboldt enthalten. Geschichtlich prägt sich darin ein merkwürdiger Prozeß aus, der von neuem lehrt, wie die eigentlich fruchtbaren philosophischen Grundgedanken auch über die unmittelbare Fassung hinaus, die sie durch ihre ersten Urheber erhalten, sich fortdauernd wirksam erweisen. Denn hier ist Humboldt, durch Kants und Herders Vermittlung, von Leibniz’ eng-logischer Ansicht der Sprache zu der tieferen und umfassenderen, universell-idealistischen Auffassung zurückgedrungen, die in den allgemeinen Prinzipien der Leibniz’schen Lehre gegründet ist. Wie für Leibniz das Universum nur in der Spiegelung durch die Monaden gegeben ist, wie jede derselben die Gesamtheit der Phänomene unter einem individuellen „Gesichtspunkt“ darstellt – und wie doch andererseits eben die Gesamtheit dieser perspektivischen Ansichten und die Harmonie unter ihnen dasjenige ausmacht, was wir die Objektivität der Erscheinungen, die Wirklichkeit der phänomenalen Welt nennen: – so wird hier auch jede einzelne Sprache zu einer solchen individuellen Weltansicht, und erst die Totalität dieser Weltansichten macht den für uns erreichbaren Begriff der Objektivität aus. So begreift es sich, daß die Sprache, indem sie dem Erkennbaren als subjektiv entgegensteht, auf der anderen Seite dem Menschen, als empirisch-psychologischen Subjekt, als objektiv gegenübertritt. Denn jede ist ein Anklang der allgemeinen Natur des Menschen: „die Subjektivität der ganzen Menschheit wird aber wieder in sich zu etwas Objektivem[68]“.

[103] Mit dieser Auffassung der Objektivität als etwas, das nicht einfach gegeben und abzuschildern, sondern durch einen Prozeß der geistigen Formung zu erringen ist, ist nun auch das zweite Grundmoment der Humboldt’schen Sprachbetrachtung gefordert und gesetzt. Jede Betrachtung der Sprache muß „genetisch“ verfahren: nicht in dem Sinne, daß sie sie in ihrer zeitlichen Entstehung verfolgt und daß sie ihr Werden aus bestimmten empirisch-psychologischen „Ursachen“ zu erklären versucht, sondern in dem Sinne, daß sie das fertige Gefüge der Sprachbildung als ein Abgeleitetes und Vermitteltes erkennt, das erst verstanden wird, wenn es uns gelingt, es aus seinen Faktoren aufzubauen und die Art und Richtung dieser Faktoren zu bestimmen. Das Zerschlagen der Sprache in Wörter und in Regeln bleibt immer nur ein totes Machwerk wissenschaftlicher Zergliederung – denn das Wesen der Sprache beruht niemals auf diesen Elementen, die die Abstraktion und Analyse an ihr herausstellen, sondern ausschließlich auf der sich ewig wiederholenden Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Diese Arbeit setzt in jeder Einzelsprache je an besonderen Mittelpunkten an und breitet sich, von ihnen fortschreitend, nach verschiedenen Richtungen aus – und doch schließt sich zuletzt eben diese Mannigfaltigkeit der Erzeugungen zwar nicht zur sachlichen Einheit eines Erzeugnisses, wohl aber zur ideellen Einheit eines in sich gesetzlichen Tuns zusammen. Wie sich das Dasein des Geistes überhaupt nur in Tätigkeit und als solche denken läßt – so gilt dies auch von jedem besonderen Dasein, das nur durch ihn faßbar und möglich ist. Was wir das Wesen und die Form einer Sprache nennen, das ist daher nichts anderes, als das Beständige und Gleichförmige, das wir, nicht in einem Dinge, wohl aber in der Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Gedankenausdruck zu erheben, nachweisen können[69]. Selbst das, was an der Sprache als ihr eigentlich substantieller Bestand erscheinen könnte, selbst das einfache aus dem Satzzusammenhang gelöste Wort teilt daher nicht, wie eine Substanz, etwas schon Hervorgebrachtes mit, enthält auch nicht einen schon geschlossenen Begriff, sondern regt bloß an, diesen mit selbständiger Kraft und auf bestimmte Weise zu bilden. „Die Menschen verstehen einander nicht dadurch, daß sie sich Zeichen der Dinge wirklich hingeben, auch nicht dadurch, daß sie sich gegenseitig bestimmen, genau und vollständig denselben Begriff hervorzubringen, sondern dadurch, daß sie gegenseitig ineinander dasselbe Glied der Kette ihrer sinnlichen Vorstellungen und inneren Begriffserzeugungen berühren, dieselbe Taste ihres geistigen Instruments [104] anschlagen, worauf alsdann in jedem entsprechende, nicht aber dieselben Begriffe hervorspringen … Wird … auf diese Weise das Glied der Kette, die Taste des Instrumentes berührt, so erzittert das Ganze, und was als Begriff aus der Seele hervorspringt, steht im Einklang mit allem, was das einzelne Glied bis auf die weiteste Entfernung umgibt[70].“ Der Einklang in der unendlich vielfältigen Erzeugung des Sprach- und Begriffswortes, nicht die Einfachheit eines in ihm abgebildeten Daseins gibt also auch hier den festen Halt und die Bürgschaft der Objektivität. Daher ist im Grunde auch niemals das einzelne Wort, sondern erst der Satz der wahrhafte Träger des sprachlichen Sinnes: denn in ihm erst enthüllt sich die ursprüngliche Kraft der Synthesis, auf der alles Sprechen, wie alles Verstehen zuletzt beruht. Ihren knappsten und schärfsten Ausdruck erhält diese Gesamtansicht in der bekannten Humboldtschen Formulierung, daß die Sprache kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia) sei und daß daher ihre wahre Definition immer nur eine genetische sein könne. Unmittelbar und streng genommen ist dies freilich die Definition des jedesmaligen Sprechens: aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als „die“ Sprache, kann man nur die Funktion und deren allseitige, von bestimmten Gesetzen beherrschte Ausübung als dasjenige ansehen, was ihre Substantialität, ihren ideellen Bestand ausmacht[71].

Im Begriff der Synthesis ist zugleich das dritte der großen Gegensatzpaare erreicht, unter denen Humboldt die Sprache betrachtet. Auch dieser Gegensatz, auch die Unterscheidung von Stoff und Form, die Humboldts Gesamtansicht beherrscht, wurzelt im Kantischen Gedankenkreise. Für Kant ist die Form ein bloßer Verhältnisausdruck, aber sie macht eben darum, da all unser Wissen von Erscheinungen sich zuletzt in ein Wissen von zeitlich-räumlichen Verhältnissen auflöst, das eigentlich objektivierende Prinzip der Erkenntnis aus. Die Einheit der Form begründet als Einheit der Verknüpfung die Einheit des Gegenstandes. Die Verbindung eines Mannigfaltigen kann niemals durch Sinne in uns kommen, sondern sie ist jederzeit ein „Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft“. So können wir uns nichts als im Objekt verbunden vorstellen, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen ist sie, die Verbindung, die einzige, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann[72]. Um [105] diese im transzendentalen Subjekt und seiner Spontaneität gegründete und doch streng „objektive“, weil notwendige und allgemeingültige, Form der Verbindung zu kennzeichnen, hatte sich Kant selbst auf die Einheit des Urteils und damit mittelbar auf die Einheit des Satzes gestützt. Das Urteil ist ihm nichts anderes, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen; sprachlich aber drückt sich diese Einheit in der Kopula des Urteils, in dem Verhältniswörtchen „ist“ aus, das Subjekt und Prädikat verbindet. Durch dieses „Ist“ erst wird ein fester und unaufheblicher Bestand des Urteils gesetzt, wird ausgedrückt, daß es sich hier um ein Zusammengehören von Vorstellungen, nicht um ihr bloßes Zusammensein nach zufälligen psychologischen Assoziationen handelt[73]. Humboldts Formbegriff dehnt das, was hier für eine einzelne sprachliche Bestimmung ausgesprochen war, über das Ganze der Sprache aus. In jeder vollkommenen und durchgebildeten Sprache muß zu dem Akte der Bezeichnung eines Begriffs durch bestimmte materiale Merkmale noch eine eigene Arbeit und eine eigene formale Bestimmung hinzutreten, durch die der Begriff in eine gewisse Kategorie des Denkens versetzt, also z. B. als Substanz, als Eigenschaft oder Tätigkeit bezeichnet wird. Diese Versetzung des Begriffs in eine bestimmte Kategorie des Denkens ist „ein neuer Akt des sprachlichen Selbstbewußtseins, durch welchen der einzelne Fall, das individuelle Wort, auf die Gesamtheit der möglichen Fälle in der Sprache oder Rede bezogen wird. Erst durch diese, in möglichster Reinheit und Tiefe vollendete und der Sprache selbst fest einverleibte Operation verbindet sich in derselben, in der gehörigen Verschmelzung und Unterordnung, ihre selbständige, aus dem Denken entspringende und ihre mehr den äußeren Eindrücken in reiner Empfänglichkeit folgende Tätigkeit[74]“. Auch hier sind indes Stoff und Form, Rezeptivität und Spontaneität – wie zuvor die Gegensätze des „Individuellen“ und „Allgemeinen“, des „Subjektiven“ und „Objektiven“ – nicht auseinanderfallende Stücke, aus denen sich der Prozeß der Sprache zusammensetzt, sondern notwendig zueinander gehörige Momente eben dieses genetischen Prozesses selbst, die sich nur in unserer Analyse voneinander scheiden lassen. Die Priorität der Form vor dem Stoff, die Humboldt mit Kant behauptet und die er am reinsten und schärfsten in den flektierenden Sprachen ausgedrückt findet, wird daher auch von ihm als ein Prius der Geltung, nicht als ein solches des empirisch-zeitlichen Daseins gefaßt, da im Dasein jeder Sprache, auch in den sogenannten „isolierenden“ [106] Sprachen, beide Bestimmungen, die formale wie die stoffliche, notwendig miteinander, nicht die eine ohne die andere, oder die eine vor der anderen, gesetzt sind[75]. Mit alledem ist freilich nur der äußere Umriß der Humboldtschen Sprachansicht und gleichsam ihr intellektueller Rahmen bezeichnet. Was aber dieser Ansicht erst ihr Gewicht und ihre Fruchtbarkeit gab, war die Art, in der nun durch Humboldts sprachliche Forschungen dieser Rahmen ausgefüllt wurde, war die doppelte Richtung, in welcher er beständig von der Erscheinung zur Idee, und von dieser wieder zu jener überging. Der Grundgedanke der transzendentalen Methode: die durchgängige Beziehung der Philosophie auf die Wissenschaft, die Kant im Hinblick auf die Mathematik und die mathematische Physik durchgeführt hatte, erschien jetzt in einem ganz neuen Gebiet bewährt. Die neue philosophische Grundauffassung der Sprache forderte und ermöglichte eine neue Gestaltung der Sprachwissenschaft. Bopp greift in seiner Gesamtansicht der Sprache überall auf Humboldt zurück – schon die ersten Sätze seiner „Vergleichenden Grammatik“ vom Jahre 1833 gehen von dem Humboldtschen Begriff des „Sprachorganismus“ aus, um durch ihn die Aufgabe der neuen Wissenschaft der Sprachvergleichung allgemein zu bestimmen[76].

VI

Indem indes der Begriff des „Organismus“ aus dem Gebiet der spekulativen Sprachbetrachtung in den Bereich der empirischen Forschung rückt, wird damit von neuem fühlbar, daß ihm eben wegen seiner Weite eine Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit anhaftet, die ihn für die Behandlung konkreter Einzelaufgaben unbrauchbar zu machen droht. Wenn die philosophische Spekulation in diesem Begriff wesentlich eine Vermittlung zwischen einander entgegenstehenden Extremen gesehen hatte, so schien er doch eben damit an der Natur jedes dieser Extreme irgendwelchen Anteil zu gewinnen. Kann aber ein solcher Begriff, der gleichsam in allen Farben schillert, noch länger gebraucht werden, wenn es sich darum [107] handelt, statt einer allgemeinen Metaphysik der Sprache ihre spezielle Methodik zu begründen? Wenn darüber entschieden werden soll, ob die Gesetze der Sprache ihrem methodologischen Grundcharakter nach als naturwissenschaftliche oder als historische Gesetze zu bezeichnen sind; wenn der Anteil der physischen und der geistigen Faktoren an der Sprachbildung und deren gegenseitiges Verhältnis festgestellt werden, wenn schließlich bestimmt werden soll, wie weit bewußte und bewußtlose Prozesse in der Bildung der Sprache zusammenwirken, so scheint der bloße Begriff des „Sprachorganismus“ auf alle diese Fragen die Antwort schuldig bleiben zu müssen. Denn gerade die mittlere, sozusagen schwebende Stellung, die er zwischen „Natur“ und „Geist“, zwischen dem bewußtlosen Wirken und dem bewußten Schaffen einnimmt, scheint zu gestatten, ihn bald nach der einen, bald nach der andern Seite der Betrachtung hinüberzuziehen. Es bedarf nur einer leichten Verschiebung, um ihn aus dem labilen Gleichgewicht, in dem er sich hält, zu entfernen und ihm je nach der Richtung, in der diese Verschiebung erfolgt, einen veränderten Gehalt und eine veränderte, ja entgegengesetzte methodische Bedeutung zu geben.

Die Geschichte der Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert stellt uns in der Tat den Prozeß, den wir hier allgemein und schematisch anzudeuten versucht haben, in konkreter Bestimmtheit vor Augen. Die Sprachwissenschaft vollzieht hier denselben Übergang, der sich gleichzeitig in der Geschichtswissenschaft und in der Systematik der Geisteswissenschaften überhaupt vollzieht. Der Begriff des „Organischen“ behält seine zentrale Stellung; aber sein Sinn und seine Tendenz erfährt eine durchgreifende Wandlung, seitdem dem Entwicklungsbegriff der romantischen Philosophie der biologische Entwicklungsbegriff der modernen Naturwissenschaft gegenübertritt. Indem in der Betrachtung der Lebensphänomene selbst der spekulative Begriff der organischen Form mehr und mehr durch ihren rein naturwissenschaftlichen Begriff zurückgedrängt wird, wirkt dies unmittelbar auf die Betrachtung der sprachlichen Phänomene zurück. Es ist insbesondere die wissenschaftliche Entwicklung August Schleichers, in welcher dieser geistige Wandlungsprozeß sich in typischer Deutlichkeit ausprägt. Denn Schleicher hat in seiner Auffassung der Sprache und der Sprachgeschichte nicht nur überhaupt den Schritt von Hegel zu Darwin vollzogen, sondern er hat auch all die Mittelstufen, die zwischen den beiden Anschauungen stehen, durchlaufen. In ihm können wir daher nicht nur Anfang und Ende, sondern auch die einzelnen Phasen jener Bewegung übersehen, kraft deren die spekulative [108] Sprachbetrachtung in die rein empirische überging, und in der auch der Begriff des Sprachgesetzes allmählich erst seinen ganz scharfen Inhalt erhalten hat.

Schleicher geht in seinem ersten größeren Werk, den „Sprachvergleichenden Untersuchungen“ (1848) davon aus, daß das eigentliche Wesen der Sprache, als des lautlich-artikulierten Ausdrucks des geistigen Lebens in dem Verhältnis zu suchen sei, in welchem der Ausdruck der Bedeutung und der Beziehung zu einander stehen. Durch die Art und Weise, wie jede Sprache Bedeutung und Beziehung ausdrücke, werde sie charakterisiert: – außer diesen beiden Momenten lasse sich schlechthin kein drittes, das Wesen der Sprache bildendes Element denken. Auf Grund dieser Voraussetzung werden die Sprachen in die drei großen Haupttypen der isolierenden (einsilbigen), der agglutinierenden und der flektierenden Sprachen eingeordnet. Die Bedeutung ist das Materielle, die Wurzel; die Beziehung das Formelle, die an der Wurzel vorgenommene Veränderung. Beide Momente müssen als notwendige Konstituentien in der Sprache enthalten sein; aber wenngleich keines von ihnen an sich völlig fehlen kann, so kann doch das Verhältnis, das sie zu einander eingehen, ein sehr verschiedenes, so kann es ein bloß implizites oder ein mehr oder weniger explizites sein. Die isolierenden Sprachen drücken lautlich bloß die Bedeutung aus, während der Ausdruck der Beziehung der Stellung der Lautworte und dem Akzent überlassen bleibt: die agglutinierenden Sprachen besitzen neben den Bedeutungslauten zwar eigene Beziehungslaute, aber beide sind nur äußerlich mit einander verbunden, indem die Bezeichnung der Beziehung der Wurzel, ohne daß diese eine innere Veränderung erfährt, rein stofflich und sinnfällig angehängt wird. In den Flexionssprachen erst erscheinen beide Grundelemente nicht nur aneinandergereiht, sondern wahrhaft verknüpft und mit einander durchdrungen. War das Erste die differenzlose Identität von Beziehung und Bedeutung, das reine Ansich der Beziehung – das Zweite die Differenzierung in Beziehungs- und Bedeutungslaute, also das Heraustreten der Beziehung in ein gesondertes lautliches Dasein für sich, so ist das Dritte das Aufheben jener Differenz, das sich Zusammenschließen derselben: die Rückkehr zur Einheit, aber zu einer unendlich höheren Einheit, weil sie, aus der Differenz erwachsen, diese zu ihrer Voraussetzung hat und als aufgehoben in sich befaßt. Wenn bis hierher die Betrachtung Schleichers streng dem dialektischen Schema Hegels folgt, das ebensowohl die Wesensbestimmung der Sprache als Ganzes, wie die Auffassung ihrer inneren Gliederung beherrscht, so steht doch andererseits, schon in den [109] „Sprachvergleichenden Untersuchungen“ selbst, diesem Versuch einer dialektischen Klassifikation der Versuch einer naturwissenschaftlichen Klassifikation unmittelbar zur Seite. Der systematische Teil der Sprachforschung – so wird ausdrücklich betont – hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den Naturwissenschaften. Der ganze Habitus einer Sprachenfamilie läßt sich unter gewisse Gesichtspunkte bringen, wie der einer Pflanzen- oder Tierfamilie. „Wie in der Botanik gewisse Merkmale – Keimblätter, Beschaffenheit der Blüte – vor andern sich als Einteilungsgrund tauglich erweisen, eben weil diese Merkmale gewöhnlich mit anderen coincidieren, so scheinen in der Einteilung der Sprachen innerhalb eines Sprachstammes, wie z. B. des Semitischen, Indogermanischen, die Lautgesetze diese Rolle zu übernehmen.“ Aber auch hier schlägt freilich die Betrachtung zunächst nicht diesen empirischen Weg, sondern eine rein spekulative Richtung ein. Die monosyllabischen Sprachen gleichen, da sie keinerlei Gliederung des Wortes kennen, dem einfachen Krystall, der im Gegensatze zu den gegliederten höheren Organismen als strenge Einheit erscheint; den agglutinierenden Sprachen, die die Gliederung in Teile erreicht, diese Teile aber noch nicht zu einem wahrhaften Ganzen verschmolzen haben, entspricht im organischen Reich die Pflanze, während die flektierenden Sprachen, bei denen das Wort die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Glieder ist, dem animalischen Organismus entsprechen[77]. Und hier handelt es sich für Schleicher nicht um eine bloße Analogie, sondern um eine höchst bedeutsame objektive Bestimmung, die, wie sie aus dem Wesen der Sprache selbst quillt, so auch über die Methodik der Sprachwissenschaft entscheidet. Sind die Sprachen Naturwesen, so müssen auch die Gesetze, nach denen sie sich entwickeln, nicht geschichtliche, sondern naturwissenschaftliche Gesetze sein. In der Tat fallen der geschichtliche und der sprachbildende Prozeß sowohl inhaltlich als zeitlich völlig auseinander. Geschichte und Sprachbildung sind nicht neben einander hergehende, sondern sich ablösende Fähigkeiten des menschlichen Geistes. Denn die Geschichte ist das Werk des selbstbewußten Willens, die Sprache das Werk einer bewußtlosen Notwendigkeit. Wenn in jener sich die Freiheit darstellt, die sich eigentliche Wirklichkeit gibt, so gehört diese der unfreien, natürlichen Seite des Menschen an. „Allerdings zeigt auch die Sprache ein Werden, das im weiteren Sinne des Wortes Geschichte genannt werden mag: ein sukzessives Hervortreten der Momente, aber dieses Werden ist so wenig ein charakteristisches Merkmal [110] der freien geistigen Sphäre, daß es gerade in der Natur am ungetrübtesten hervortritt.“ Sowie die Geschichte eintritt, der Geist den Laut nicht mehr erzeugt, sondern ihm gegenüber tritt und sich seiner als Mittel bedient, kann sich die Sprache nicht weiter entwickeln, im Gegenteil schleift sie sich jetzt mehr und mehr ab. Die Bildung der Sprachen fällt also vor die Geschichte, der Verfall der Sprachen dagegen in die historische Zeit[78].

Die Sprache ist daher das für den Menschengeist, was die Natur für den Weltgeist ist: der Zustand seines Andersseins. „Ihre Übereinstimmung mit der Geschichte beginnt mit ihrer Vergeistigung, von dem Zeitpunkte an, seitdem sie ihr Körperliches, ihre Form mehr und mehr verliert. Der naturwissenschaftliche Teil der Sprachenkunde ist daher, im Gegensatz zum historischen, der systematische.“ Wenn der Philologe, der die Sprache nur als ein Mittel braucht, um durch sie in das geistige Wesen und Leben der Völker einzudringen, es mit der Geschichte zu tun hat, so ist dagegen das Objekt der Linguistik die Sprache, deren Beschaffenheit ebensosehr außerhalb der Willensbestimmung des Einzelnen liegt, als es z. B. der Nachtigall unmöglich ist, ihr Lied mit dem der Lerche zu vertauschen. „Das aber woran der freie Wille des Menschen so wenig in organischer Weise etwas zu ändern vermag, als an seiner leiblichen Beschaffenheit, gehört nicht in das Gebiet des freien Geistes, sondern in jenes der Natur. Demzufolge ist auch die Methode der Linguistik von der aller Geschichtswissenschaften total verschieden und schließt sich wesentlich der Methode der übrigen Naturwissenschaften an … Wie die Naturwissenschaften, so hat auch sie die Erforschung eines Gebietes zur Aufgabe, in welchem das Walten unabänderlicher natürlicher Gesetze erkennbar ist, an denen der Wille und die Willkür des Menschen nichts zu ändern vermögen[79]“.

Man sieht: von hier aus bedurfte es nur noch eines Schrittes, um die Sprachbetrachtung völlig in die Naturbetrachtung, um die Sprachgesetze in reine Naturgesetze aufzulösen; – und diesen Schritt hat Schleicher, 25 Jahre später, in seiner Schrift „Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft“ getan. In dieser Schrift, die die Form eines „offenen Sendschreibens an Ernst Haeckel“ hat, wird der Gegensatz von „Natur“ und „Geist“, der bisher Schleichers Auffassung der Sprache und ihrer Stellung im System der Wissenschaften beherrschte, als unzeitgemäß fallen gelassen. Schleicher stellt fest, daß die Richtung des Denkens der Neuzeit [111] „unverkennbar auf Monismus hinauslaufe“. Der Dualismus, fasse man ihn nun als Gegensatz von Geist und Natur, Inhalt und Form, Wesen und Erscheinung, sei für die naturwissenschaftliche Anschauung ein vollkommen überwundener Standpunkt. Für diese gebe es keine Materie ohne Geist, aber ebensowenig einen Geist ohne Materie: oder vielmehr es gebe weder Geist noch Materie in gewöhnlichem Sinne, sondern nur eines, das beides zugleich ist. Die Sprachwissenschaft hat hieraus die einfache Folgerung zu ziehen, daß auch sie auf jegliche Sonderstellung ihrer Gesetze zu verzichten hat. Die Theorie der Evolution, die Darwin für die Arten der Tiere und Pflanzen geltend gemacht hat, muß nicht minder für die Organismen der Sprachen gelten. Den Arten einer Gattung entsprechen die Sprachen eines Stammes, den Unterarten die Dialekte oder Mundarten einer Sprache, den Varietäten und Spielarten entsprechen die Untermundarten oder Nebenmundarten und endlich den einzelnen Individuen die Sprechweise der einzelnen die Sprache redenden Menschen. Und auch hier auf sprachlichem Gebiet gilt die Entstehung der Arten durch allmähliche Differenzierung und die Erhaltung der höher entwickelten Organismen im Kampf ums Dasein, womit der Darwinsche Gedanke weit über sein ursprüngliches Gebiet hinaus bewährt und als einheitliche Grundlage der Natur- und Geisteswissenschaften erwiesen scheint[80].

Methodisch befinden wir uns damit an dem äußersten Gegenpol von Schleichers ursprünglichem Ausgangspunkt. Alles a priori Konstruierte – so wird nun ausdrücklich erklärt – ist im besten Falle ein geistreiches Spiel, für die Wissenschaft aber wertloser Plunder. Ist einmal erkannt, daß „die Beobachtung die Grundlage des heutigen Wissens“ ist, ist die Empirie unbeschränkt in ihre Rechte eingesetzt, so folgt daraus, wie die Auflösung jeglicher dialektischen Naturphilosophie, so auch die Auflösung der bisherigen Sprachphilosophie: sie gehört einer vergangenen Phase des Denkens an, deren Lösungen nicht nur, sondern selbst deren Fragestellung endgültig hinter uns liegt.

Schleicher selbst ist freilich, auch in seiner letzten Fassung des Sprachproblems, der Forderung, die er hier aufstellt, nur zum kleinen Teil gerecht geworden: – es ist leicht zu sehen, daß er in seiner Wendung von Hegel zu Haeckel nur eine Form der Metaphysik gegen eine andere vertauscht hat. Das gelobte Land des Positivismus auch wirklich zu betreten, war erst einer neuen Generation von Forschern vorbehalten, die, statt auf eine monistische oder evolutionistische Gesamterklärung des [112] Wirklichen auszugehen, die Methodenprobleme der Sprachwissenschaft in ihrer Besonderheit, in ihrer scharfen und klaren Isolierung, zu erfassen und sie in dieser Isolierung zu lösen versuchten.

VII

Eine solche Beschränkung war freilich nicht in dem Sinne möglich, daß dadurch das Sprachproblem mit einem Schlage aus all den Verflechtungen und Verwicklungen gelöst erschien, in denen es einerseits mit den Methodenfragen der Geschichtswissenschaft, andererseits mit denen der Naturwissenschaft steht. Denn auch der Positivismus, dem nunmehr die Lösung dieses Problems ein für allemal anvertraut scheint, ist, wenn er die Möglichkeit der Metaphysik verneint, eben in dieser Verneinung selbst noch Philosophie. Als solche aber kann er niemals bei einer bloßen Mannigfaltigkeit besonderer Tatsachen oder besonderer Gesetze für Tatsächliches stehen bleiben, sondern muß für diese Mannigfaltigkeit eine Einheit suchen, die nirgend anders als im Begriff des Gesetzes selbst gefunden werden kann. Daß diesem Begriff eine einheitliche, in den verschiedenen Gebieten des Wissens sich gleichbleibende Bedeutung zukommt, wird zunächst einfach vorausgesetzt: aber je weiter die methodische Selbstbestimmung fortschreitet, um so mehr muß gerade diese Voraussetzung zum Problem werden. Wir reden von sprachlichen, von historischen und von naturwissenschaftlichen „Gesetzen“, zwischen denen allen also irgend eine logische Gemeinsamkeit der Struktur angenommen wird – aber wichtiger als diese Gemeinsamkeit erscheint vom Standpunkt der Methodenlehre die spezifische Prägung und Nuancierung, die der Gesetzesbegriff in jedem Einzelgebiet erfährt. Soll das Ganze der Wissenschaften als wahrhaft systematisches Ganze erfaßt werden, so muß auf der einen Seite in ihnen allen eine allgemeine Aufgabe der Erkenntnis herausgehoben, auf der anderen Seite aber gezeigt werden, wie diese Aufgabe in jeder von ihnen unter bestimmten besonderen Bedingungen je eine besondere Lösung erfährt. Durch beide Rücksichten wird die Entwicklung des Gesetzesbegriffs in der modernen Sprachwissenschaft bestimmt. Wenn man vom Standpunkt der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte und der allgemeinen Erkenntniskritik die Wandlungen dieses Begriffs verfolgt, so tritt hier in sehr merkwürdiger und charakteristischer Weise hervor, wie die einzelnen Gebiete des Wissens auch dort, wo von einem unmittelbaren Einfluß des einen auf das andere nicht gesprochen werden kann, einander ideell bedingen. Den verschiedenen Phasen, die der Begriff des Naturgesetzes durchläuft, entsprechen, mit [113] fast lückenloser Vollständigkeit, ebensoviel verschiedene Auffassungen der sprachlichen Gesetze. Und hier handelt es sich nicht um eine äußerliche Übertragung, sondern um eine tiefere Gemeinsamkeit: um die Auswirkung bestimmter intellektueller Grundtendenzen der Zeit in ganz verschiedenen Problemkreisen.

Die Prinzipienlehre der exakten Naturwissenschaft, wie sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte, hat ihren prägnantesten Ausdruck in jenen berühmten Sätzen erhalten, mit denen Helmholtz seine Schrift „Über die Erhaltung der Kraft“ einleitet. Indem Helmholtz als Aufgabe dieser Schrift den Nachweis bezeichnet, daß alle Wirkungen in der Natur auf anziehende und abstoßende Kräfte zurückzuführen seien, deren Intensität nur von der Entfernung der auf einander wirkenden Punkte abhänge, will er diesen Satz nicht als ein bloßes Faktum aufstellen, sondern seine Geltung und Notwendigkeit aus der Form des Naturbegreifens selbst herleiten. Der Grundsatz, daß jede Veränderung in der Natur eine zureichende Ursache haben müsse, ist nach ihm nur dann wahrhaft erfüllt, wenn es gelingt, alles Geschehen auf letzte Ursachen zurückzuführen, welche nach einem schlechthin unveränderlichen Gesetz wirken, welche folglich zu jeder Zeit unter denselben äußeren Verhältnissen dieselbe Wirkung hervorbringen. Die Aufdeckung dieser letzten unveränderlichen Ursachen sei in jedem Fall das eigentliche Ziel der theoretischen Naturwissenschaften. „Ob nun wirklich alle Vorgänge auf solche zurückzuführen seien, ob also die Natur vollständig begreiflich sein müsse, oder ob es Veränderungen in ihr gebe, die sich dem Gesetze einer notwendigen Kausalität entziehen, die also in das Gebiet einer Spontaneität, Freiheit, fallen, ist hier nicht der Ort zu entscheiden; jedenfalls ist es klar, daß die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen müsse, und dieser Voraussetzung gemäß schließen und untersuchen, bis sie vielleicht durch unwiderlegliche Facta zur Anerkenntnis ihrer Schranken genötigt sein sollte[81].“ Wie diese Voraussetzung, daß die Begreiflichkeit der Natur mit ihrer durchgängigen Erklärbarkeit nach mechanischen Prinzipien zusammenfalle, vom Gebiet des „anorganischen“ Seins in das des organischen Geschehens übergriff, wie auch die beschreibende Naturwissenschaft von ihr ergriffen und vollständig beherrscht wurde, ist bekannt. Die „Grenzen des Naturerkennens“ fielen jetzt mit den Grenzen des mechanischen Weltbildes zusammen. Einen Vorgang der anorganischen oder organischen Natur erkennen hieß nichts anderes, als ihn in Elementarvorgänge, [114] und zuletzt in die Mechanik der Atome aufzulösen: was sich dieser Auflösung nicht fügt, das scheint für den menschlichen Geist und für alle menschliche Wissenschaft ein schlechthin transzendentes Problem bleiben zu müssen.

Denkt man sich diese Grundanschauung, die innerhalb der Naturwissenschaft am schärfsten in du Bois-Reymonds bekannter Rede „Über die Grenzen des Naturerkennens“ (1872) vertreten wurde, auf die Betrachtung der Sprache angewandt – so wird auch von einem Begreifen der Sprache nur dann die Rede sein können, wenn es gelingt, ihre komplexen Erscheinungen auf einfache Veränderungen letzter Elemente zu reduzieren und für diese Veränderungen allgemeingültige Regeln aufzustellen. Der älteren spekulativen Fassung des Gedankens des Sprachorganismus lag eine derartige Folgerung fern, denn gerade weil das organische Geschehen für sie zwischen Natur und Freiheit stand, schien es keiner absoluten Notwendigkeit unterworfen werden zu können, schien es zwischen verschiedenen Möglichkeiten stets einen gewissen Spielraum offen zu lassen. Bopp hatte gelegentlich ausdrücklich betont, daß man in der Sprache keine Gesetze suchen dürfe, die festeren Widerstand leisteten als die Ufer der Flüsse und Meere[82]. Hier herrscht der Goethesche Begriff des Organismus: die Sprache wird einer Regel unterworfen, die, nach dem Goetheschen Ausdruck, fest und ewig, aber zugleich lebendig ist. Jetzt aber, nachdem in der Naturwissenschaft selbst die Idee des Organismus völlig in den Begriff des Mechanismus aufgelöst schien, blieb für eine derartige Auffassung kein Raum mehr. Die ausnahmslose Gesetzlichkeit, die alles Werden der Sprache beherrscht, mag in den komplexen Erscheinungen noch so sehr verdunkelt erscheinen; aber in den eigentlichen Elementarvorgängen der Sprache, in den Erscheinungen des Lautwandels, muß sie unverhüllt hervortreten. „Läßt man beliebige zufällige, untereinander in keinen Zusammenhang zu bringende Abweichungen zu“ – so wird jetzt betont – „so erklärt man im Grunde damit, daß das Objekt der Untersuchung, die Sprache, der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zugänglich ist[83]“. Wie man sieht, ist es auch hier eine allgemeine Voraussetzung über das Begreifen und die Begreiflichkeit überhaupt, ist es ein ganz bestimmtes Erkenntnisideal, von dem aus eine bestimmte Fassung der sprachlichen Gesetze gefordert wird. Seine schärfste Fassung hat dieses Postulat der Ausnahmslosigkeit der Elementargesetze in Brugmanns und Osthoffs „Morphologischen Untersuchungen“ [115] erhalten. „Aller Lautwandel, so weit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen Gesetzen, d. h. die Richtung der Lautbewegung ist bei allen Angehörigen einer Sprachgenossenschaft … stets dieselbe und alle Wörter, in denen der der Lautbewegung unterworfene Laut unter gleichen Verhältnissen erscheint, werden ohne Ausnahme von der Änderung ergriffen[84].“

Aber wenn diese Anschauung der „junggrammatischen[WS 4] Richtung“ sich jetzt immer fester begründete und wenn sie der gesamten wissenschaftlichen Sprachbetrachtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihr eigentliches Gepräge gab, so unterlag hierbei doch der Begriff des Lautgesetzes allmählich denselben Wandlungen, wie sie gleichzeitig in der Auffassung des allgemeinen Begriffs des Naturgesetzes zu erkennen sind. Die Forderung, das Naturgeschehen aus den allgemeinen Gesetzen des Mechanismus zu erklären, wird, je strengere Geltung das rein positivistische Ideal in der Wissenschaft erhält, mehr und mehr zurückgedrängt: an ihre Stelle tritt die bescheidenere Aufgabe, es in solchen Gesetzen zu beschreiben. Die Mechanik selbst ist jetzt – nach der bekannten Kirchhoffschen Definition – nichts anderes als die vollständige und eindeutige Beschreibung der in der Natur vor sich gehenden Bewegungsvorgänge[85]. Was sie gibt, sind nicht die letzten absoluten Gründe des Geschehens, sondern nur die Formen, in denen dies Geschehen verläuft. Mehr als einen solchen zusammenfassenden Ausdruck empirisch beobachteter Regelmäßigkeiten wird man demnach, wenn die Analogie zwischen Sprachwissenschaft und Naturwissenschaft sich behauptet, auch von den Gesetzen der Sprache nicht zu erwarten und nicht zu fordern haben. Auch hier wird es sich, wenn wir streng innerhalb des Kreises des tatsächlich Gegebenen stehen bleiben, nicht darum handeln können, die letzten Kräfte der Sprachbildung aufzuweisen, sondern lediglich bestimmte Gleichförmigkeiten an ihr durch Beobachtung und Vergleichung festzustellen. Damit aber gewinnt nun auch die angebliche „Naturnotwendigkeit“ der Lautgesetze einen anderen Charakter. „Nach allem, was erst die methodisch strenger gewordene Forschung unserer Tage ermittelt hat – so formuliert noch Osthoff im Jahre 1878 das Prinzip der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze – stellt sich das immer deutlicher heraus, daß die Lautgesetze der Sprachen geradezu blind, mit blinder Naturnotwendigkeit wirken, daß es Ausnahmen von [116] ihnen oder Verschonungen durch dieselben schlechterdings nicht gibt[86].“ Wesentlich nüchterner und kritischer wird indes die Art der Geltung, die den Lautgesetzen eignet, von einem Forscher, wie Hermann Paul bestimmt. „Das Lautgesetz – so betont er ausdrücklich – sagt nicht aus, was unter gewissen allgemeinen Bedingungen immer wieder eintreten muß, sondern es konstatiert nur die Gleichmäßigkeit innerhalb einer Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen[87].“ Einer derartigen Auffassung, die im Begriff des Gesetzes nur den Ausdruck bestimmter Fakta der Sprachgeschichte, nicht den Ausdruck der letzten Faktoren aller Sprachbildung sieht, steht es frei, die beobachteten Gleichförmigkeiten auf ganz verschiedene Kräfte zu verteilen. Neben den physischen Elementarprozessen der Lauterzeugung müssen nun auch die komplexen psychischen Bedingungen des Sprechens wieder bestimmter in ihre Rechte treten. Auf jene werden jetzt im allgemeinen die konstanten Gleichförmigkeiten des Lautwandels, auf diese wird die scheinbare Durchbrechung dieser konstanten Regeln zurückgeführt. Der strengen und ausnahmslosen Durchführung der physiologischen Gesetze, die den Lautwandel regeln, steht der Trieb der sprachlichen Analogiebildung gegenüber, der darauf gerichtet ist, die formal zusammengehörigen Worte der Sprache auch lautlich zusammenzuhalten und sie einander anzugleichen. Indes hält sich freilich auch diese Anerkennung der psychischen, der „geistigen“ Faktoren der Sprachbildung zunächst noch in relativ engen Grenzen. Denn der Begriff des Geistes bedeutet hier nicht mehr dasselbe, was er für Humboldt und für die idealistische Philosophie bedeutet hatte. Er trägt selbst eine unverkennbar naturalistische Prägung: er ist durch den Begriff des Mechanismus hindurchgegangen und durch ihn bestimmt. Als Grundgesetze des Geistes erscheinen demnach jetzt die psychologischen Gesetze, die den „Mechanismus der Vorstellungen“ beherrschen. Ob man hierbei diese Gesetze im Sinne der Wundtschen, oder wie H. Paul es tut, im Sinne der Herbartschen Psychologie formuliert, gilt vom rein prinzipiellen Standpunkt aus gleichviel. Immer ist es zuletzt der Typus der „Assoziationsgesetze“, auf den man die Sprachgesetze zurückzuführen [117] und von dem aus man sie zu begreifen sucht[88]. Damit aber stehen die inhaltlich verschiedenen Faktoren der Sprachbildung doch methodisch auf der gleichen Linie und gehören gleichsam derselben Dimension der Betrachtung an. Durch das Ineinandergreifen der verschiedenen physiologischen Mechanismen der Lauterzeugung und des psychologischen Mechanismus der Assoziationen baut sich in der Seele des Individuums die Sprache auf; – wird sie zu einem Ganzen, das doch für uns nicht anders zu verstehen ist, als dadurch, daß wir es fortschreitend in physische und psychische Elementarprozesse zerlegen[89].

Somit bleibt die Sprache hier dem Kreise des Naturgeschehens eingeordnet: aber an die Stelle des Naturbegriffs der Mechanik ist ein weiterer Begriff, ist die „psycho-physische“ Natur des Menschen getreten. In der umfassendsten und konsequentesten Darstellung, die die Spracherscheinungen vom Standpunkt der modernen Psychologie gefunden haben, wird diese Wendung ausdrücklich hervorgehoben. Die Art, wie Lautgesetze und Analogiebildungen fortwährend ineinandergreifen – so betont Wundt –, wird offenbar viel verständlicher, wenn man sie nicht als disparate, einander entgegenwirkende Kräfte, sondern als Bedingungen auffaßt, die schließlich beide irgendwie in der einheitlichen psychisch-physischen Organisation des Menschen begründet sind. „Damit stimmt überein, daß wir einerseits wegen der gedächtnismäßigen Reproduktion lautgesetzlicher Formen notwendig bei diesen eine Mitwirkung der nämlichen Assoziationen voraussetzen müssen, die man zur Erklärung der Analogiebildungen heranzieht, und daß andererseits die Assoziationen, wie alle psychischen Vorgänge, durch Einübung in automatische Verbindungen übergehen, so daß diejenigen Erscheinungen, die von vornherein auf die Seite der psychischen Momente verlegt werden, mit der Zeit auf die der physischen zu stehen kommen. Nicht bloß sukzessiv wandelt sich aber auf solche Weise das, was wir auf Grund gewisser in die Augen fallender Merkmale ein Physisches nennen, in ein Psychisches, und umgekehrt dieses in jenes um, sondern vielfach durchkreuzen sich beide von Anfang an so innig, daß sie gar nicht voneinander gesondert werden können, weil mit jedem Moment der einen Art auch eines der anderen hinwegfallen müßte[90].“ Hier scheint die idealistische Forderung der „Totalität“ [118] – die Forderung, die Sprache nicht aus disparaten Elementen zusammenzusetzen, sondern in ihr stets den Ausdruck des „ganzen“ Menschen und seines geistig-natürlichen Seins zu sehen – in einer neuen Form wiederzukehren: aber es zeigt sich freilich zugleich, daß diese Forderung in dem, was hier die Einheit der „psychophysischen Natur“ des Menschen genannt wird, einstweilen nur eine vage Bezeichnung und eine unzureichende Erfüllung gefunden hat. Blickt man jetzt auf das Ganze der Entwicklung zurück, die die Sprachphilosophie von Humboldt bis zu den „Junggrammatikern“, von Schleicher bis Wundt durchlaufen hat, so sieht man, daß sie sich, bei aller Ausdehnung der besonderen Kenntnisse und Erkenntnisse, rein methodisch betrachtet, im Kreise bewegt hat. Die Sprachwissenschaft sollte auf die Naturwissenschaft bezogen, sollte an ihrem Aufbau orientiert werden, um in sich die gleiche Sicherheit wie diese zu finden, um den gleichen Gehalt exakter, unverbrüchlicher Gesetze zu erwerben. Aber der Begriff der Natur, auf den man sie zu stützen versuchte, erwies sich mehr und mehr als eine bloß scheinbare Einheit. Je schärfer er analysiert wurde, um so deutlicher wurde es, daß er selbst noch Momente von ganz verschiedener Bedeutung und Herkunft in sich barg. Solange das Verhältnis dieser Momente nicht durchschaut und nicht eindeutig bestimmt ist, solange sind die verschiedenen naturalistisch gefärbten Sprachbegriffe beständig in Gefahr, dialektisch in ihr Gegenteil umzuschlagen. Am Begriff des Lautgesetzes läßt sich diese Wandlung verfolgen: – denn wenn er anfangs dazu bestimmt war, die strenge und ausnahmslose Notwendigkeit zu bezeichnen, die in allen sprachlichen Veränderungen waltet, so wird er zuletzt dieser Bestimmung mehr und mehr entfremdet. Der Lautwechsel und Lautwandel erscheint so wenig als Ausdruck einer „blinden“ Notwendigkeit, daß er vielmehr auf bloß „statistische Zufallsregeln“ zurückgedeutet wird. Die angeblichen Gesetze der Natur werden in dieser Auffassung zu bloßen Gesetzen der Mode, die durch irgendeinen individuellen Willkürakt erschaffen, sich durch Gewohnheit festsetzen und durch Nachahmung weiter ausbreiten[91]. So birgt gerade jener Begriff, der der Sprachwissenschaft die feste und einheitliche Grundlage schaffen sollte, noch überall unvermittelte Gegensätze in sich, durch die die philosophische Betrachtung der Sprache vor neue Aufgaben gestellt wird.

[119] Wie hierdurch das positivistische Schema der Betrachtung nicht nur allmählich gelockert, sondern schließlich völlig gesprengt wird: das tritt besonders deutlich in den Schriften Karl Vosslers zu Tage. Vossler knüpft in seinen beiden Schriften „Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft“ (1904) und „Sprache als Schöpfung und Entwicklung“ (1905) an Hegel an; aber nicht minder deutlich als dieser Zusammenhang ist die Linie, die ihn mit Wilh. v. Humboldt verbindet. Humboldts Gedanke, daß die Sprache niemals als bloßes Werk (Ergon), sondern als Tätigkeit (Energeia) zu begreifen ist, daß alles, was an ihr „Tatsache“ ist, erst völlig verständlich wird, wenn man es bis zu den geistigen „Tathandlungen“ zurückverfolgt, aus denen es entspringt, erfährt hier unter veränderten geschichtlichen Bedingungen seine Erneuerung. Schon bei Humboldt soll durch dieses Prinzip nicht sowohl der psychologische „Ursprung“ der Sprache, als vielmehr ihre bleibende, durch alle Phasen ihres geistigen Aufbaus hindurchwirkende Form bezeichnet werden. Dieser Aufbau gleicht nicht der bloßen Entfaltung eines gegebenen natürlichen Keimes, sondern er trägt den durchgängigen Charakter geistiger Spontaneität, die sich auf jeder neuen Stufe in neuer Weise äußert. In gleichem Sinne wird auch von Vossler dem an sich vieldeutigen Begriff der „Entwicklung“ der Sprache der Begriff der Sprache als Schöpfung gegenüber- und entgegengestellt. Was sich an ihr, als gegebene Gesetzlichkeit eines bestimmten Zustandes, in der Form von Regeln festhalten läßt, ist ein bloßes Petrefakt; aber hinter diesem bloß Gewordenen stehen nun erst die eigentlichen konstitutiven Akte des Werdens, die ständig sich erneuernden geistigen Zeugungsakte. Und in ihnen, auf denen das Ganze der Sprache wesentlich beruht, soll nun auch die wahrhafte Erklärung des Einzelnen der Spracherscheinungen gefunden werden. Die positivistische Richtung der Betrachtung, die von den Elementen zum Ganzen, von den Lauten zu den Worten und Sätzen und von hier zu dem eigentümlichen „Sinn“ der Sprache fortzuschreiten sucht, verkehrt sich daher jetzt in ihr Gegenteil. Vom Primat des „Sinnes“ und von der Allgemeinheit der Sinnfügung aus gilt es, die Einzelphänomene der Sprachentwicklung und der Sprachgeschichte zu begreifen. Der Geist, der in der menschlichen Rede lebt, konstituiert den Satz, das Satzglied, das Wort und den Laut. Wird mit diesem „idealistischen Kausalitätsprinzip“ voller Ernst gemacht, so müssen sämtliche Erscheinungen, die von den unteren Disziplinen, wie Lautlehre, Flexionslehre, Wortbildung und Syntax, beschrieben werden, ihre letzte und wahrhafte Erklärung in der obersten Disziplin, d. h. in der Stilistik finden. Aus dem „Stil“, der im Aufbau jeder Sprache waltet, [120] sind ihre grammatischen Regeln, sind die „Gesetze“, wie die „Ausnahmen“ in der Formenbildung und in der Syntax zu erklären. Den Sprachgebrauch, insofern er Konvention, d. h. schon erstarrte Regel ist, stellt die Syntax dar, den Sprachgebrauch, sofern er lebendige Schöpfung und Bildung ist, betrachtet die Stilistik; der Weg muß also von dieser zu jener, nicht von jener zu dieser gehen, so wahr in allem Geistigen die Form des Werdens es ist, die uns das Verständnis der Form des Gewordenen erst erschließt[92].

Soweit es sich um die bloße Ermittlung der Tatsachen der Sprachgeschichte, um die Kenntnis des Gegebenen handelt, kann freilich der Positivismus als Forschungsprinzip, als „methodologischer Positivismus“ durchaus anerkannt bleiben. Was abgewehrt wird, ist nur jene positivistische Metaphysik, die mit der Ermittlung der Tatsachen auch die Aufgabe ihrer geistigen Deutung erfüllt zu haben glaubt. An ihre Stelle tritt eine Metaphysik des Idealismus, in der als zentrales Glied die Ästhetik erscheint. „Ist die idealistische Definition: Sprache = geistiger Ausdruck zu Recht bestehend“ – so schließt Vossler – „so kann die Geschichte der sprachlichen Entwicklung nichts anderes sein, als die Geschichte der geistigen Ausdrucksformen, also Kunstgeschichte im weitesten Verstand des Wortes[93].“ Aber in dieser Folgerung, in der sich Vossler an Benedetto Croce anschließt, liegt freilich für die Sprachbetrachtung ein neues Problem und eine neue Gefahr. Wieder ist sie jetzt in das Ganze eines philosophischen Systems aufgenommen – aber diese Aufnahme scheint zugleich die Bedingung in sich zu schließen, daß die Sprache sich mit einem der Glieder dieses Systems identifiziert. Wie im Gedanken der allgemeinen, der rationalen Grammatik die Eigenart der Sprache zuletzt in der universellen Logik aufging, so droht sie jetzt in der Ästhetik, als allgemeine Wissenschaft des Ausdrucks, aufzugehen. Aber ist wirklich die Ästhetik, wie Vossler mit Croce annimmt, die Wissenschaft des Ausdrucks schlechthin, oder bedeutet sie nur eine Wissenschaft des Ausdrucks – eine „symbolische Form“, die andere gleichberechtigt neben sich hat? Bestehen nicht analoge Beziehungen, wie zwischen der Sprachform und Kunstform, auch zwischen ihr und jenen anderen Formen, die, wie der Mythos, durch das Medium einer eigenen Bildwelt, eine eigene geistige Bedeutungswelt aufbauen? Mit dieser Frage stehen wir wieder vor dem systematischen Grundproblem, von dem wir ausgegangen waren. Die [121] Sprache steht in einem Brennpunkt des geistigen Seins, in dem sich Strahlen ganz verschiedenartiger Herkunft vereinen und von dem Richtlinien nach allen Gebieten des Geistes ausgehen. Daraus aber ergibt sich, daß die Sprachphilosophie nur dann als ein Sonderfall der Ästhetik bezeichnet werden kann, wenn man diese letztere zuvor aus allen spezifischen Beziehungen zum künstlerischen Ausdruck gelöst hat, – wenn man, mit anderen Worten, die Aufgabe der Ästhetik derart allgemein faßt, daß sie sich zu dem erweitert, was wir hier als die Aufgabe einer universellen „Philosophie der symbolischen Formen“ zu bestimmen versucht haben. Soll die Sprache als eine wahrhaft selbständige und ursprüngliche Energie des Geistes erwiesen werden, so muß sie in das Ganze dieser Formen eingehen, ohne mit irgend einem anderen schon bestehenden Einzelglied desselben zusammenzufallen – so muß ihr bei aller systematischen Verknüpfung, die sie mit der Logik und Ästhetik eingeht, eine ihr eigentümliche Stelle in diesem Ganzen zugewiesen und damit ihre „Autonomie“ gesichert werden.




  1. [1] Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Sprachphilosophie ist noch ein Desiderat: der Überweg’sche Grundriß der Geschichte der Philosophie verzeichnet in seiner neuesten (elften) Auflage (1920) neben den allgemeinen Darstellungen der Philosophiegeschichte eine Fülle von Monographien zur Geschichte der Logik und Erkenntnistheorie, der Metaphysik und Naturphilosophie, der Ethik, der Religionsphilosophie, der Ästhetik, nennt aber kein einziges Werk zur Geschichte der Sprachphilosophie. Nur die antike Sprachphilosophie hat in den bekannten Werken von Lersch u. Steinthal, sowie in der Literatur über die antike Grammatik und Rhetorik eine eingehendere Darstellung erfahren. Die folgende knappe geschichtliche Einleitung erhebt natürlich nicht den Anspruch, diese Lücke auszufüllen; sie will nur die Hauptmomente in der philosophischen Entwicklung der „Sprachidee“ herausgreifen und einige vorläufige Richtlinien für eine künftige ausführliche Bearbeitung des Themas aufstellen.
  2. [1] Rigveda X, 125 – die Übersetz. nach Benfey, Gesch. der Sprachwissenschaft u. oriental. Philologie in Deutschland, München 1869, S. 41; zur mythisch-religiösen Bedeutung der Vâc vgl. bes. Brihadâranyaka Upanishad 1, 5, 3 ff. (bei Deussen, Sechzig Upanishad’s des Veda ³, Lpz., 1921, S. 401 ff.).
  3. [1] ξύν νόωι λέγοντας ἰσχυρίζεσθαι χρὴ τῶι ξυνῶι πάντων, ὅκωςπερ νόμωι πόλις, καὶ πολὺ ἰσχυροτέρως . τρέφονται γὰρ πάντες οἱ ἀνθρώπειοι νόμοι ὑπὸ ἑνὸς τοῦ θείου · κρατεῖ γὰρ τοσοῦτον ὁκόσον ἐθέλει καὶ ἐξαρκεῖ πᾶσι καὶ περιγίνεται. (fr. 114.).
  4. [1] Vgl. bes. fr. 32: ἓν το σοφὸν μοῦνον λέγεσθαι οὐκ ἐθέλει καὶ ἐθέλει Ζηνὸς ὄνομα.
  5. [1] Memorabil. Lib. III, 14, 2; über das weitere geschichtliche Material zu dieser Frage vgl. Steinthal, Gesch. der Sprachwissenschaft bei den Griechen u. Römern ², Berlin 1890, I, 76 ff.
  6. [1] Vgl. bes. Kratylos 386 A, 438 D ff.
  7. [1] S. den siebenten Brief 342 A ff.; zur Echtheit des siebenten Briefes vgl. bes. Wilamowitz, Platon, I, 641 ff., II, 282 ff., sowie die eingehende Analyse der philosophischen Stelle bei Jul. Stenzel, Über den Aufbau der Erkenntnis im VII. Platonischen Brief, Sokrates, Jahrg. 47, S. 63 ff. und E. Howald, Die Briefe Platons, S. 34 (Zürich 1923).
  8. [1] Vgl. Phädon 99 D ff.
  9. [1] Für die methodische Stellung des Begriffs der μέθεξις im Ganzen der Platonischen Philosophie verweise ich auf Ernst Hoffmanns vortreffliche Darstellung Methexis und Metaxy bei Platon im Sokrates, Jahrg. 1919, S. 48 ff.
  10. [2] Vgl. bes. Brief VII, 342: πρὸς γὰρ τούτοις ταῦτα (scil. ὄνομα, λόγος, εἴδωλον) οὐχ ἧττον ἐπιχειρεῖ τὸ ποιόν τι περὶ ἕκαστον δηλοῦν ἢ τὸ ὄν ἑκάστου διὰ τὸ τῶν λόγων ἀσθενες · ὧν ἕνεκα νοῦν ἔχων οὐδεὶς τολμήσει ποτὲ εἰς αὐτὸ τιθέναι τὰ νενοημένα ὑπ᾿ αὐτοῦ.
  11. [1] Näheres über diesen Zusammenhang bes. bei Trendelenburg, De Aristotelis Categoriis (Berlin 1833) und Geschichte der Kategorienlehre (Histor. Beiträge zur Philosophie, Bd. I, 1846, S. 23 ff.).
  12. [2] Vgl. z. B. Duns Scotus, Tractatus de modis significandi seu grammatica speculativa.
  13. [1] Die geschichtlichen Belege hierfür s. in meiner Schrift über das Erkenntnisproblem, 3. Aufl., I, 120–135.
  14. [1] S. Descartes’ Brief an Mersenne vom 20. November 1629[WS 2]; Correspond. (ed. Adam-Tannery), I, 80 ff.
  15. [2] Bezeichnet etwa der Buchstabe P die allgemeine Kategorie der „Quantität“, so werden die Begriffe der Größe überhaupt, des Raumes und des Maßes durch Pe, Pi, Po ausgedrückt [69] u. s. f. Vgl. George Delgarno, Ars Signorum vulgo Character universalis et lingua philosophica, London 1661, und Wilkins, An Essay towards a Real character and a Philosophical Language. London 1668. Einen kurzen Abriß der Systeme von Delgarno und Wilkins hat Couturat, La Logique de Leibniz, Paris 1901, Note III u. IV, S. 544 ff., gegeben.
  16. [1] Näheres hierüber in m. Schrift: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, S. 105 ff., 487 ff., sowie bei Couturat, a. a. O., bes. Cap. 3–5.
  17. [1] S. Leibniz’ Bemerkungen zum Brief Descartes’ an Mersenne: Opuscules et fragments inédits, ed. Couturat, Paris 1903, S. 27 f.
  18. [1] Les plus abstraites pensées ont besoin de quelque imagination: et quand on considère ce que c’est que les pensées confuses (qui ne manquent jamais d’accompagner les plus distinctes que nous puissions avoir) comme sont celles des couleurs, odeurs, saveurs, de la chaleur, du froid etc. on reconnoist qu’elles enveloppent toujours l’infini. Réponse aux reflexions de Bayle, Philos. Schriften (Gerhardt), IV., 563.
  19. [2] S. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684). Philos. Schr. IV, 422 ff.
  20. [1] Zur Idee der „Lingua Adamica“ vgl. Philos. Schriften VII, 198, 204; Nouveaux Essais III, 2 (Gerh. V, 260) u. ö.
  21. [1] Locke, Essay III, 9, sect. 21.
  22. [1] Locke, Essay, III, 1, sect. 5.
  23. [2] Hobbes, Elementorum philosophiae sectio prima. De corpore Pars I, Cap. 2, sect. 5.
  24. [3] Locke, Essay, bes. Book III, Cap. 2 u. 6.
  25. [1] Vgl. hierzu bes. d’Alembert, Essai sur les éléments de philosophie ou sur les principes des connoissances humaines, sect. IV.
  26. [1] „la vérité étant une même chose avec l’être (Descartes, Meditat. V).
  27. [2] Vgl. z. B. Leibniz, Hauptschriften (Ausg. Cassirer-Buchenau), I, 100, 287, 349, II, 402 f u. s.
  28. [3] „A distinct name for every particular thing would not be of any great use for the improvement of the knowledge, which, though founded in particular things, enlarges itself by general views; to which things reduced into general names are properly sub servient … Words become general by being made the signs of general ideas: and ideas become general by separating from them the circumstances of time and place, and any other ideas that may determine them to this or that particular existence. By this way of abstraction they are made capable of representing more individuals than one; each of which, having in it a conformity to that abstract idea, is (as we call it) of that sort.“ Locke, Essay, B. III, Cap. III, sect. 4–6.
  29. [1] Berkeley, A treatise concerning the principles of human knowledge, Introd., § 21–24.
  30. [1] Hobbes, De Corpore, P. I: Computatio sive Logica, Cap. III, § 7.
  31. [2] Hobbes, Leviathan, P. I: De homine, Cap. V, § 6.
  32. [1] A. a. O. De homine, Cap. IV: Verum et Falsum attributa sunt non rerum, sed Orationis; ubi autem Oratio non est, ibi neque Verum est neque Falsum.
  33. [2] Nähere Ausführungen und Belege s. in m. Schrift über das Erkenntnisproblem, II, 315 ff.
  34. [1] S. Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum[WS 3], Lib. VI, Cap. 1: Innumera sunt ejusmodi, quae justum volumen complere possint. Non abs re igitur fuerit grammatica philosophantem a simplici et litteraria distinguere, et desideratam ponere.
  35. [2] S. Locke, Essay, B. II, ch. 22, sect. 1 ff.; B. III, ch. 5, sect. 1–3; ch. 6, sect. 51 u. s.
  36. [1] Locke, Essay, B. II, ch. 22, sect. 6; B. III, ch. 5, sect. 8.
  37. [1] Diderot, Lettre sur les sourds et muets (Oeuvres, ed. Naigeon, Paris 1798, II, 322 f.).
  38. [1] S. Shaftesbury, Soliloquy or Advice to an Author (Charakteristiks, ed. Robertson, 1900, I, 135 f.); vgl. bes. The Moralists, sect. V.
  39. [1] Harris, Hermes 3d edition, London, 1771, B. I, chap. 6. (S. 97 ff.); zum Früheren s. bes. B. I, Ch. 2, S. 17 ff.; Ch. 3, S. 24 ff.
  40. [2] A. a. O. B. III, ch. 4, S. 350 ff. – zu vergleichen mit Cudworth, The true Intellectual System of the Universe, London 1678, B. I., ch. 4.
  41. [3] A. a. O. B. III, ch. 5, S. 404 f.
  42. [4] ibid. B. III, ch. 4, S. 380 ff.
  43. [1] A. a. O. B. III, ch. 5, S. 409 ff.
  44. [2] Vgl. bes. Grimm, Deutsch. Wörterbuch IV, I, 2, Sp. 2727 f. u. 3401 f.
  45. [3] Hamann an Herder 7. Sept. 1768, Schriften (Roth) III, 386.
  46. [1] Vorr. zur Übers. des Monboddo (1784), Suphan XV, 183; in ähnlicher Weise wird auch in Herders „Metakritik“ (1799), Suphan XXI, 57, über Harris geurteilt. Den Wunsch eines deutschen Auszugs aus dem „Hermes“ hatte Herder schon 1772 in der Allg. Deutsch. Bibliothek ausgesprochen, Suphan V, 315.
  47. [2] S. Kritische Wälder III, 19 (Suphan Bd. III, S. 159 ff.) im Anschluß an Harris’ Three treatises the first concerning art, the second concern. music, painting and poetry etc. London 1744.
  48. [3] Vgl. hrz. m. Schrift Freiheit und Form, Studien zur deutschen Geistesgeschichte, bes. Cap. 2 u. 4.
  49. [1] Condillac, La langue des calculs, Oeuvr., Paris 1798, Vol. 23.
  50. [2] Réflexions philosophiques sur l’origine des langues et la signification des mots, Oeuvres, Lyon 1756, I, 259 ff.
  51. [1] Vgl. Diogenes Laertius, Lib. X, sect. 24 § 75: ὅθεν καὶ τὰ ὀνόματα ἐξ ἀρχῆς μὴ θέσει γενέσθαι, άλλ᾽ αὐτὰς τὰς φύσεις τῶν ἀνθρώπων, καθ᾽ ἕκαστα ἔθνη ἴδια πασχούσας πάθη καὶ ἴδια λαμβανούσας φαντάσματα, ἰδίως τὸν ἀέρα ἐκπέμπειν, στελλόμενον ὐφ᾽ ἑκάστων τῶν παθῶν καὶ τῶν φαντασμάτων, ὡς ἄν ποτε καὶ ἡ παρὰ τοὺς τόπους τῶν ἐθνῶν διαφορὰ εἴη · ὕστερον δὲ κοινῶς καθ᾽ ἕκαστα ἔθνη τὰ ἴδια τιθῆναι, πρὸς τὸ τὰς δηλώσεις ἧττον ἀμφιβόλους γενέσθαι ἀλλήλοις καὶ συντομωτέρως δηλουμένας.
  52. [2] S. Lucret. De rerum natura, lib. V, 1026 ff.
  53. [1] Wie sehr diese naive Auffassung des Sinnes und der Aufgabe der „Etymologie“ noch im 18. Jahrhundert in der Sprachwissenschaft selbst verbreitet war, zeigt z. B. die Rekonstruktion der Ursprache, die in der berühmten holländischen Philologenschule, bei Hemsterhuis und Ruhnken versucht wurde. Näheres hierüber bei Benfey, Gesch. der Sprachwissenschaft, S. 255 ff .
  54. [2] Vgl. hrz. das charakteristische Beispiel in Vicos Scienza nuova Lib. II: Della Sapienza poetica (edit. Napoli 1811, Vol. II, 70 f.): „Seguitarono a formarsi le voci umane con l’Interjezione, che sono voci articolate all empito di passoni violente, che ’n tutte le lingue sono monosillabe. Onde non è fuori del verisimile, che da primi fulmini incominiciata a destarsi negli uomini la maraviglia, nascesse la prima Interjezione da quella di Giove, formata con la voce pa, e che poi restò raddoppiata pape, Interjezione di maraviglia; onde poi nacque a Giove il titolo di Padre degli uomini e degli Dei“ etc.
  55. [1] a. a. O., Vol. II, S. 73 f.
  56. [2] S. Rousseaus Essai sur l’origine des langues (zuerst als posthume Schrift 1782 erschienen).
  57. [1] Hamann an Jacobi, Briefwechsel mit Jacobi, hg. von Gildemeister, Gotha 1868, S. 122; an Herder (6. August 1784), Schriften (Roth) VII, 151 f.
  58. [2] An Scheffner, 11. Febr. 1785, Schriften (Roth) VII, 216.
  59. [3] Sokrat. Denkwürdigkeiten, Schriften II, 19.
  60. [1] Kleeblatt hellenistischer Briefe, Schriften II, 207. Aesthetica in nuce (Schr. II, 274 f.): zur Sprachtheorie Hamanns und ihrer Stellung im Ganzen seiner „symbolischen Weltansicht“; vgl. bes. die ausgezeichnete Darstellung R. Ungers, Hamanns Sprachtheorie im Zusammenhange seines Denkens, München 1905.
  61. [2] Haym, Herder, I, 665.
  62. [1] Über den Ursprung der Sprache (1772); (Suphan, V, 34 f.).
  63. [1] Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797); S. W. II, 47.
  64. [1] Die folgende Darstellung der Sprachphilosophie W. v. Humboldts stützt sich z. T. auf eine frühere Abhandlung, die u. d. T. „Die Kantischen Elemente in Wilh. v. Humboldts Sprachphilosophie“ in der Festschrift zu Paul Hensels 60. Geburtstag erschienen ist.
  65. [1] Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues (Vorstudie zur Einleitung zum Kawiwerk); Gesamm. Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. VI, 1, S. 125 f.
  66. [1] Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820); Werke IV, 27 f.
  67. [2] Über die Versch. des menschl. Sprachbaues, W. VI, 1, 119.
  68. [1] Über das vergleichende Sprachstudium, W. IV, 21 ff.; vgl. bes. Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus, W. V, 386 ff. und die Einleit. zum Kawiwerk W. VII, 1, S. 59 ff.
  69. [1] Einleitung zum Kawiwerk, W. VII, 1, S. 46 f.
  70. [1] ibid. W. VII, 1, 169 f.
  71. [2] ibid. W. VII, 1, 46.
  72. [3] Krit. d. rein. Vernunft; Transz. Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, § 15, 2. Aufl. S. 129 ff.
  73. [1] a. a. O. § 19, S. 141 f.
  74. [2] Vorw. zum Kawiwerk W. VII, 1, 109.
  75. [1] Vgl. hrz. bes. Humboldts Bemerkungen über die chinesische Sprache: Lettre à M. Abel Rémusat sur la nature des formes grammaticales en général et sur le génie de la langue Chinoise en particulier, W. V, 254 ff.; über den grammat. Bau der chines. Sprache, W. V., 309 ff .
  76. [2] „Ich beabsichtige in diesem Buche eine vergleichende, alles Verwandte zusammenfassende Beschreibung des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen, eine Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze und des Ursprungs der die grammatischen Verhältnisse bezeichnenden Formen.“ Bopp, Vergl. Gramm. des Sanskrit, Zend, Griechischen usw., Berlin 1833, S. 1.
  77. [1] S. bes. Sprachvergleichende Untersuchungen I (Bonn 1848), S. 7 ff.; II (Bonn 1850), S. 5 ff.
  78. [1] Sprachvergl. Untersuchungen II, 10 ff.; vgl. bes. I, 16 ff.
  79. [2] Sprachvergl. Untersuch. II, 2 f.; vgl. II, 21 ff. und I, 24 ff.
  80. [1] S. Schleicher, Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar 1873.
  81. [1] Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft (1847); S. 2 f.
  82. [1] Vgl. Delbrück, Einleit. in das Sprachstudium, S. 21.
  83. [2] Leskien, Die Deklination im Slawisch-Litauischen und Germanischen (1876).
  84. [1] Osthoff und Brugmann, Morphologische Untersuchungen, I, Lpz. 1878, S. XIII; Leskien, a. a. O., Lpz. 1876, S. XXVIII.
  85. [2] Kirchhoff, Vorles. über mathematische Physik; Bd. I, Mechanik, S. 1, Berlin 1876.
  86. [1] Osthoff, Das Verbum in der Nominalkomposition im Deutschen, Griechischen, Slavischen und Romanischen, Jena 1878, S. 326.
  87. [2] H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte (zuerst 1886); 3. Aufl., Halle 1898, S. 61. Bei B. Delbrück erhält der gleiche Gedanke gelegentlich die paradoxe Formulierung, daß zwar die „Lautgesetze an sich“, nicht aber die „empirischen Lautgesetze“ ausnahmslos seien. (Das Wesen der Lautgesetze in Ostwalds „Annalen der Naturphilosophie“ I, 1902, S. 294.)
  88. [1] Zu dieser beherrschenden Stellung des Assoziationsbegriffs und der Assoziationsgesetze vgl. neben dem Werk Wundts z. B. H. Paul, a. a. O., S. 23 f.; 96 ff. u. ö.
  89. [2] Vgl. z. B. Osthoff, Das physiologische und psychologische Moment in der sprachlichen Formenbildung, Berlin 1879.
  90. [3] Wundt, Völkerpsychologie ² I, 369.
  91. [1] Dies ist im wesentlichen die Auffassung der Lautgesetze, die B. Delbrück a. a. O. vertritt, s. Annalen der Naturphilosophie I, 277 ff.; bes. S. 297 ff. Zur Fassung der Lautgesetze als „Gesetze der Mode“ s. auch Fr. Müller: Sind die Lautgesetze Naturgesetze? in Techmers Zeitschrift I (1884), S. 211 ff.
  92. [1] Vgl. bes. Vossler, Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft, Heidelberg 1904, S. 8 ff.
  93. [2] A. a. O. S. 10 f.; vgl. bes. S. 24 ff. u. ö.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Fußnotenziffer ¹ an dieser Stelle wurde die Fußnote Nr. 2 zugeordnet.
  2. Vorlage: 1829
  3. Vorlage: De dignitale et augmentis scintarum
  4. Vorlage: junggramatischen