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„Sphäre“ des Worts von der der reinen Begriffe abzugrenzen und sie zugleich mit ihr in Verbindung zu halten, braucht Platon jetzt nur auf den Zentralgedanken der Ideenlehre, auf den Gedanken der „Teilhabe“ zurückzugreifen. Das Dunkel, das Heraklits metaphysische Lehre von der Einheit von Wort und Sinn und von dem Gegensatz zwischen beiden umgab, erscheint jetzt, in diesem neuen Methodenbegriff der μέθεξις[1] mit einem Schlage geklärt. Denn in der „Teilhabe“ ist in der Tat ebensowohl ein Moment der Identität, wie ein Moment der Nicht-Identität enthalten; in ihr ist ebensowohl ein notwendiger Zusammenhang und eine Einheit der Elemente, wie eine scharfe prinzipielle Auseinanderhaltung und Unterscheidung derselben gesetzt. Die reine Idee des „Gleichen selbst“ bleibt, gegenüber den gleichen Steinen oder Hölzern, durch die sie repräsentiert wird, ein anderes, ein ἕτερον – und doch läßt sich eben dieses Andere, vom Standpunkt der bedingten sinnlichen Weltansicht, nur in dieser Darstellung erfassen. Im gleichen Sinne wird der physisch-sinnliche Gehalt des Wortes für Platon zum Träger einer ideellen Bedeutung, die als solche doch in die Grenzen der Sprache nicht einzuspannen ist, sondern jenseits ihrer stehen bleibt. Sprache und Wort streben nach dem Ausdruck des reinen Seins; aber sie erreichen ihn niemals, weil sich in ihnen der Bezeichnung dieses reinen Seins immer die Bezeichnung eines anderen, einer zufälligen „Beschaffenheit“ des Gegenstandes beimischt. Daher bezeichnet das, was die eigentliche Kraft der Sprache ausmacht, immer auch ihre eigentliche Schwäche, die sie zur Darstellung des höchsten, des wahrhaft philosophischen Erkenntnisgehalts unfähig macht[2].

Die Geschichte der Logik, wie die des Erkenntnisproblems überhaupt, zeigt freilich, daß die scharfe Grenze, die Platon hier zwischen den beiden Bedeutungen des λόγος, zwischen dem Begriff „an sich“ und seinem sprachlichen Repräsentanten gezogen hatte, sich allmählich wieder zu verwischen droht. Dies gilt schon für die erste systematische Grundlegung der Logik, – obgleich es zweifellos zu viel behauptet ist, wenn man gesagt hat, daß Aristoteles die wesentlichen Grundunterscheidungen, auf denen sich seine logischen Lehren aufbauen, der Sprache entnommen habe. Aber allerdings weist schon die Bezeichnung der „Kategorien“ darauf hin, wie eng sich bei ihm die Analyse der logischen und die der sprachlichen


  1. [1] Für die methodische Stellung des Begriffs der μέθεξις im Ganzen der Platonischen Philosophie verweise ich auf Ernst Hoffmanns vortreffliche Darstellung Methexis und Metaxy bei Platon im Sokrates, Jahrg. 1919, S. 48 ff.
  2. [2] Vgl. bes. Brief VII, 342: πρὸς γὰρ τούτοις ταῦτα (scil. ὄνομα, λόγος, εἴδωλον) οὐχ ἧττον ἐπιχειρεῖ τὸ ποιόν τι περὶ ἕκαστον δηλοῦν ἢ τὸ ὄν ἑκάστου διὰ τὸ τῶν λόγων ἀσθενες · ὧν ἕνεκα νοῦν ἔχων οὐδεὶς τολμήσει ποτὲ εἰς αὐτὸ τιθέναι τὰ νενοημένα ὑπ᾿ αὐτοῦ.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/81&oldid=- (Version vom 15.9.2022)