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wir nach Epikur zurückgehen, um den Ursprung der Sprache zu begreifen. Diese ist nicht das Werk einer bloßen Konvention, einer willkürlichen Satzung und Vereinbarung, sondern gleich notwendig und gleich natürlich, wie die unmittelbare Empfindung selbst. Wie das Sehen und Hören, das Lust- und Schmerzgefühl dem Menschen von Anfang an eigen ist, so ist es auch die Äußerung, die sich an unsere sinnlichen Empfindungen und Gefühle anknüpft. So mußten in demselben Maße, wie die Empfindungen der Menschen verschieden waren, wie sie je nach der Verschiedenheit ihrer physischen Organisation und nach geistigen und ethnischen Differenzen wechselten, wechselnde Laute entstehen, die erst allmählich, zum Zwecke der Vereinfachung und der wechselseitigen Verständigung, auf allgemeinere Wort- und Sprachtypen zusammengezogen wurden[1]. In der gleichen Weise wird von Lukrez das angebliche Wunder der Spracherzeugung auf die allgemeinen und besonderen Gesetze der menschlichen Natur zurückgeführt. Die Sprache entwickelt sich als ein besonderes Gebiet aus dem allgemeinen Trieb zum sinnlich-mimischen Ausdruck, der dem Menschen an- und eingeboren ist, der ihm nicht als Werk der Überlegung, sondern unbewußt und ungewollt innewohnt[2].

Die Philosophie der neueren Zeit greift, wie in der Naturphilosophie und in der Erkenntnistheorie, so auch in der Sprachtheorie wieder auf Epikur zurück. Im siebzehnten Jahrhundert erfährt die alte „Naturlauttheorie“ insbesondere bei demjenigen Denker, der zuerst einen umfassenden systematischen Entwurf der Geisteswissenschaften gewagt hat, eine höchst merkwürdige, nach Form und Begründung gleich originelle Erneuerung. Giambattista Vico stellt in seinen „Principi di scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni“ das Sprachproblem in den Umkreis einer allgemeinen Metaphysik des Geistes. Von der „poetischen Metaphysik“, die den Ursprung der Dichtkunst, sowie den des mythischen Denkens enthüllen soll, dringt er durch das Mittelglied der „poetischen Logik“, in der die Genesis der dichterischen Tropen und Gleichnisse erkannt werden soll, zur Frage nach dem Ursprung der Sprache vor, die ihm gleichbedeutend mit der Frage nach dem Ursprung der „Literatur“, der Wissenschaften überhaupt ist. Auch er verwirft die


  1. [1] Vgl. Diogenes Laertius, Lib. X, sect. 24 § 75: ὅθεν καὶ τὰ ὀνόματα ἐξ ἀρχῆς μὴ θέσει γενέσθαι, άλλ᾽ αὐτὰς τὰς φύσεις τῶν ἀνθρώπων, καθ᾽ ἕκαστα ἔθνη ἴδια πασχούσας πάθη καὶ ἴδια λαμβανούσας φαντάσματα, ἰδίως τὸν ἀέρα ἐκπέμπειν, στελλόμενον ὐφ᾽ ἑκάστων τῶν παθῶν καὶ τῶν φαντασμάτων, ὡς ἄν ποτε καὶ ἡ παρὰ τοὺς τόπους τῶν ἐθνῶν διαφορὰ εἴη · ὕστερον δὲ κοινῶς καθ᾽ ἕκαστα ἔθνη τὰ ἴδια τιθῆναι, πρὸς τὸ τὰς δηλώσεις ἧττον ἀμφιβόλους γενέσθαι ἀλλήλοις καὶ συντομωτέρως δηλουμένας.
  2. [2] S. Lucret. De rerum natura, lib. V, 1026 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/106&oldid=- (Version vom 12.9.2022)