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Aufklärung liebt es, diesen allmählichen Fortschritt der Sprache mit dem methodischen Aufbau, den der Geist in der Wissenschaft, insbesondere in der Mathematik vollzieht, unmittelbar zu vergleichen und in Parallele zu stellen. Für Condillac sind alle Einzelwissenschaften, zu denen der menschliche Geist gelangt, nur die Fortsetzung desselben Prozesses der Analyse der Ideen, der mit der menschlichen Sprachbildung beginnt. Neben die anfängliche Sprache der Lautzeichen tritt eine Sprache, die sich allgemeiner, insbesondere arithmetischer und algebraischer Symbole bedient; neben die Sprache der Worte tritt die „Sprache des Calculs“: aber in beiden waltet dasselbe Prinzip der Zergliederung, der Verknüpfung und Ordnung der Vorstellungen. Wie die Wissenschaften in ihrer Gesamtheit nichts anderes als wohlgeordnete Sprachen (Langues bien faites) sind – so ist andererseits unsere Wort- und Lautsprache nichts anderes als die erste Wissenschaft des Seienden, als die erste Äußerung jenes Urtriebs der Erkenntnis, der vom Zusammengesetzten zum Einfachen, vom Besonderen zum Allgemeinen strebt[1]. Maupertuis hat in seinen „philosophischen Reflexionen über den Ursprung der Sprachen“ versucht, den Weg, den die Sprache hierbei einschlägt, im einzelnen zu verfolgen; zu zeigen, wie sie von ihren ersten primitiven Anfängen an, in denen sie nur über wenige Bezeichnungen komplexer sinnlicher Vorstellungen verfügte, durch immer weitergehende bewußte Vergleichung und bewußte Unterscheidung der Teile dieser Vorstellungen zu einem allmählich immer reicheren Schatz von Benennungen, von Wortformen und Redeteilen, gelangt ist[2]. Dieser Ansicht der Sprache, die sie in die Sphäre einer abstrakten Verständigkeit bannt, stellt Herder eine neue Anschauung der „Sprachvernunft“ gegenüber. Abermals tritt hier in überraschender Schärfe der tiefe Zusammenhang der geistigen Grundprobleme zutage: denn der Kampf, der jetzt einsetzt, entspricht Zug für Zug dem Kampf, den auf dem Gebiet der Kunst Lessing gegen Gottsched und gegen den französischen Klassizismus geführt hatte. Auch die Gebilde der Sprache sind im höchsten Sinn „regelmäßig“, ohne daß sie doch aus einer objektiven begrifflichen Regel abgeleitet und an ihr gemessen werden könnten. Auch sie sind, vermöge der Übereinstimmung aller Teile zu Einem Ganzen, durch und durch zweckmäßig gebildet – aber es waltet in ihnen jene „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, die alle bloße Willkür und alle bloß subjektive „Absicht“ ausschließt. In der Sprache wie in


  1. [1] Condillac, La langue des calculs, Oeuvr., Paris 1798, Vol. 23.
  2. [2] Réflexions philosophiques sur l’origine des langues et la signification des mots, Oeuvres, Lyon 1756, I, 259 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/104&oldid=- (Version vom 12.9.2022)