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Welt und dem Menschen, auf welcher die Möglichkeit aller Erkenntnis der Wahrheit beruht und die wir daher allerdings in aller Erforschung besonderer Gegenstände als allgemeines Postulat voraussetzen müssen, kann doch für uns nur auf dem Wege der Erscheinung stückweise und fortschreitend wiedergewonnen werden. In diesem Sinne ist das Objektive nicht das Gegebene, sondern es bleibt stets das eigentlich zu Erringende[1]. Mit dieser Bestimmung zieht Humboldt die sprachphilosophische Konsequenz aus Kants kritischer Lehre. An die Stelle des metaphysischen Gegensatzes der Subjektivität und Objektivität tritt ihre reine transzendentale Korrelation. Wie bei Kant der Gegenstand, als „Gegenstand in der Erscheinung“, der Erkenntnis nicht als ein Äußeres und Jenseitiges gegenübersteht, sondern durch deren eigene Kategorien erst „ermöglicht“, erst bedingt und konstituiert wird – so erscheint jetzt auch die Subjektivität der Sprache als keine bloße Schranke mehr, die uns von der Erfassung des gegenständlichen Seins trennt, sondern als ein Mittel der Formung, der „Objektivierung“ der sinnlichen Eindrücke. Die Sprache kommt so wenig wie die Erkenntnis von dem Objekt als einem Gegebenen her, um es lediglich in sich „abzudrücken“, sondern sie birgt in sich eine geistige Auffassungsweise, die als entscheidendes Moment in all unsere Vorstellung des Objektiven eingeht. Die naiv-realistische Anschauung bringt freilich, da sie selbst beständig in Objekten lebt, webt und handelt, diese Subjektivität zu wenig in Anschlag; sie gelangt nur schwer zu dem Begriff einer Subjektivität, die das Objektive nicht zufällig, launisch oder willkürlich, sondern nach inneren Gesetzen so umgestaltet, daß das scheinbare Objekt selbst nur zu subjektiver und doch mit vollem Recht auf Allgemeingültigkeit Anspruch machender Auffassung wird. Ihr ist daher die Verschiedenheit der Sprachen nur eine Verschiedenheit von Schällen, die sie, immer auf Sachen gerichtet, bloß als Mittel ansieht, zu diesen zu gelangen. Aber eben diese dinglich-realistische Ansicht ist es, die die Ausdehnung der Sprachkenntnis verhindert und die wirklich vorhandene tot und unfruchtbar macht[2]. Die eigentliche Idealität der Sprache ist in ihrer Subjektivität gegründet. Daher war es ein vergeblicher Versuch und wird stets ein solcher bleiben, wenn man die Wörter der verschiedenen Sprachen mit allgemein-gültigen Zeichen vertauschen wollte, wie dieselben die Mathematik in den Linien, Zahlen und in der Buchstabenrechnung besitzt. Denn hiermit läßt sich immer


  1. [1] Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820); Werke IV, 27 f.
  2. [2] Über die Versch. des menschl. Sprachbaues, W. VI, 1, 119.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/117&oldid=- (Version vom 28.9.2022)