Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil/Kapitel II

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Kapitel II
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aus: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil
Seite: 122–145
von: Ernst Cassirer
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[122]
KAPITEL II
DIE SPRACHE IN DER PHASE DES SINNLICHEN AUSDRUCKS
I

Um die Eigentümlichkeit irgendeiner geistigen Form sicher zu bestimmen, ist es vor allem notwendig, daß man sie mit ihren eigenen Maßen mißt. Die Gesichtspunkte, nach denen sie beurteilt und nach welchen ihre Leistung abgeschätzt wird, dürfen nicht von außen an sie herangebracht, sondern sie müssen der eigenen Grundgesetzlichkeit der Formung selbst entnommen werden. Keine feststehende „metaphysische“ Kategorie, keine von andersher gegebene Bestimmung und Einteilung des Seins, so sicher und festgegründet sie immer erscheinen mag, kann uns der Notwendigkeit eines solchen rein immanenten Anfangs überheben. Das Recht, diese Kategorie anzuwenden, ist immer erst dann gesichert, wenn wir sie nicht als ein festes Datum dem charakteristischen Formprinzip voranstellen, sondern wenn wir sie aus diesem Prinzip selbst abzuleiten und zu verstehen vermögen. Jede neue Form stellt in diesem Sinne einen neuen „Aufbau“ der Welt dar, der sich nach spezifischen, nur für sie gültigen Richtmaßen vollzieht. Die dogmatische Betrachtung, die vom Sein der Welt als einem gegebenen und festen Einheitspunkt ausgeht, ist freilich geneigt, alle diese inneren Unterschiede der geistigen Spontaneität in irgendeinen Allgemeinbegriff vom „Wesen“ der Welt aufgehen zu lassen und sie dadurch zum Verschwinden zu bringen. Sie schafft feste Zerlegungen des Seins: sie teilt es etwa in eine „innere“ und eine „äußere“, in eine „psychische“ und eine „physische“ Wirklichkeit, in eine Welt der „Dinge“ und der „Vorstellungen“ – und auch innerhalb der einzelnen, auf diese Weise gegeneinander abgegrenzten Bezirke wiederholen sich ihr die gleichen Scheidungen. Auch das Bewußtsein, auch das Sein der „Seele“ zerfällt wieder in eine Reihe abgesonderter, gegeneinander selbständiger „Vermögen“. Erst die fortschreitende Kritik der Erkenntnis [123] lehrt uns diese Teilungen und Trennungen nicht als ein für allemal in den Dingen selbst liegende, als absolute Bestimmungen zu nehmen, sondern sie als durch die Erkenntnis selbst vermittelte zu verstehen. Sie zeigt, daß insbesondere der Gegensatz von „Subjekt“ und „Objekt“, von „Ich“ und „Welt“ für die Erkenntnis nicht einfach hinzunehmen, sondern aus ihren Voraussetzungen zu begründen und in seiner Bedeutung erst zu bestimmen ist. Und wie im Aufbau der Welt des Wissens, so gilt das gleiche in irgendeinem Sinne für alle wahrhaft selbständigen geistigen Grundfunktionen. Auch die Betrachtung des künstlerischen wie die des mythischen oder sprachlichen Ausdrucks ist in Gefahr, ihr Ziel zu verfehlen, wenn sie, statt sich unbefangen in die einzelnen Ausdrucksformen und Ausdrucksgesetze selbst zu vertiefen, von vornherein von dogmatischen Annahmen über das Verhältnis zwischen „Urbild“ und „Abbild“, zwischen „Wirklichkeit“ und „Schein“, zwischen „innerer“ und „äußerer“ Welt ihren Ausgang nimmt. Die Frage muß vielmehr lauten, ob nicht eben durch die Kunst, durch die Sprache und durch den Mythos all diese Scheidungen mitbedingt sind und ob nicht jede dieser Formen in der Setzung der Unterschiede nach verschiedenen Gesichtspunkten verfahren und demgemäß die Grenzlinien verschieden ziehen muß. Die Vorstellung einer starren substantiellen Abscheidung, eines schroffen Dualismus zwischen der „inneren“ und der „äußeren“ Welt, wird auf diese Weise mehr und mehr zurückgedrängt. Der Geist erfaßt sich selbst und seinen Gegensatz zur „objektiven“ Welt nur dadurch, daß er bestimmte, in ihm selbst gelegene Unterschiede als Unterschiede der Betrachtung an die Phänomene heranbringt und sie in diese letzteren gleichsam hineinlegt.

So verharrt auch die Sprache zunächst gegenüber der Trennung der Welt in zwei deutlich geschiedene Sphären, in ein „äußeres“ und ein „inneres“ Sein nicht nur überhaupt in einer merkwürdigen Indifferenz – sondern es scheint geradezu, als ob diese Indifferenz zu ihrem Wesen notwendig gehöre. Der seelische Inhalt und sein sinnlicher Ausdruck erscheinen hier derart in eins gesetzt, daß jener nicht schlechthin vor dem anderen als ein Selbständiges und Selbstgenügsames besteht, sondern daß er sich vielmehr erst in ihm und mit ihm vollendet. Beide, der Inhalt wie der Ausdruck, werden erst in ihrer wechselseitigen Durchdringung zu dem, was sie sind: die Bedeutung, die sie in ihrer Beziehung aufeinander empfangen, tritt zu ihrem Sein nicht bloß äußerlich hinzu, sondern sie ist es, die dies Sein erst konstituiert. Hier liegt kein vermitteltes Ergebnis vor; sondern es besteht hierin eben jene grundlegende Synthese, [124] aus der die Sprache als Ganzes entspringt und durch die alle ihre Teile, vom elementarsten sinnlichen bis zum höchsten geistigen Ausdruck, miteinander zusammengehalten werden. Und nicht nur die geformte und artikulierte Lautsprache, sondern schon der einfachste mimische Ausdruck eines inneren Geschehens zeigt diese unlösliche Verflechtung – zeigt, daß dieses Geschehen keine in sich fertige und abgeschlossene Sphäre bildet, aus der das Bewußtsein nur gleichsam zufällig, zum Zweck der konventionellen Mitteilung an andere, heraustritt, sondern daß eben diese seine scheinbare Entäußerung einen wesentlichen Faktor seiner eigenen Bildung und Gestaltung ausmacht. Insofern hat die moderne Sprachpsychologie das Problem der Sprache mit Recht dem Problem einer allgemeinen Psychologie der Ausdrucksbewegungen eingeordnet[1]. Darin liegt, rein methodisch betrachtet, der wichtige Ansatz, daß mit diesem Ausgang von der Bewegung und vom Bewegungsgefühl der Kreis der Begriffsmittel, über die die traditionelle sensualistische Psychologie verfügt, im Grunde bereits überschritten ist. Vom Standpunkt der sensualistischen Ansicht ist der fixe und starre Zustand des Bewußtseins das Erstgegebene, ja im gewissen Sinne das Alleingegebene: die Prozesse des Bewußtseins werden, sofern sie überhaupt in ihrer Eigenart anerkannt und gewürdigt werden, auf eine bloße Summe, auf eine „Verbindung“ von Zuständen zurückgeführt. Wird dagegen die Bewegung und das Bewegungsgefühl als ein Element und als ein grundlegender Faktor im Aufbau des Bewußtseins selbst betrachtet[2], so liegt darin die Anerkennung, daß auch hier die Dynamik nicht auf die Statik, sondern diese auf jene zu gründen ist – daß alle „Wirklichkeit“ des Psychischen in Prozessen und Veränderungen besteht, die Fixierung zu Zuständen aber erst ein nachträgliches Werk der Abstraktion und Analyse darstellt. So ist auch die mimische Bewegung eine unmittelbare Einheit des „Inneren“ und des „Äußeren“, des „Geistigen“ und „Leiblichen“, sofern sie gerade in dem, was sie direkt und sinnlich ist, ein anderes, aber in ihr selbst Gegenwärtiges, bedeutet und „besagt“. Hier findet kein bloßer „Übergang“, keine willkürliche Hinzufügung des mimischen Zeichens zu dem [125] durch dasselbe bezeichneten Affekt statt, sondern beides, der Affekt und seine Äußerung, die innere Spannung und ihre Entladung sind in ein und demselben zeitlich-untrennbaren Akt gegeben. Jede Erregung des Inneren drückt sich, kraft eines Zusammenhangs, der sich rein physiologisch beschreiben und deuten läßt, ursprünglich in einer leiblichen Bewegung aus – und der weitere Fortgang der Entwicklung besteht nur darin, daß eine immer schärfere Differenzierung dieses Verhältnisses eintritt, indem sich mit bestimmten Erregungen bestimmte Bewegungen in immer genauerer Zuordnung verknüpfen. Freilich scheint diese Form des Ausdrucks über den bloßen „Abdruck“ des Inneren im Äußeren zunächst nicht hinauszugehen. Ein äußerer Reiz greift vom Sensiblen ins Motorische über, aber dies letztere bleibt dabei, wie es scheint, ganz innerhalb des Gebiets der bloßen mechanischen Reflexe, ohne daß sich in ihm vorerst eine höhere geistige „Spontaneität“ ankündigte. Und doch ist schon dieser Reflex das erste Anzeichen einer Aktivität, in der eine neue Form des konkreten Ichbewußtseins und des konkreten Gegenstandsbewußtseins sich aufzubauen beginnt. Darwin hat in seinem Werk über den „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ eine biologische Theorie der Ausdrucksbewegungen zu schaffen gesucht, indem er sie als Residuum ursprünglicher Zweckhandlungen deutet. Der Ausdruck eines bestimmten Affekts wäre demnach nichts als die Abschwächung einer früheren konkreten Zweckhandlung; der Ausdruck des Zorns z. B. das abgeschwächte und verblaßte Bild einer einstmaligen Angriffsbewegung, der des Schreckens das Bild einer Abwehrbewegung u. s. f. Diese Auffassung ist einer Auslegung fähig, die über den engeren Kreis von Darwins biologischer Problemstellung hinausführt und die Frage in einen allgemeineren Zusammenhang rückt. Jede elementare Ausdrucksbewegung bildet in der Tat insofern eine erste Grenzscheide der geistigen Entwicklung, als sie noch völlig in der Unmittelbarkeit des sinnlichen Lebens steht und doch andererseits über diese bereits hinausgeht. Sie schließt in sich, daß der sinnliche Trieb, statt direkt gegen sein Objekt vorzudringen und sich in ihm zu befriedigen und zu verlieren, eine Art Hemmung und Rückwendung erfährt, in der nun eine neue Bewußtheit eben dieses Triebes erwacht. In diesem Sinne bereitet gerade die Reaktion, die in der Ausdrucksbewegung enthalten ist, eine höhere geistige Stufe der Aktion vor. Indem die Aktion sich gleichsam aus der unmittelbaren Form des Wirkens zurückzieht, gewinnt sie damit für sich selbst einen neuen Spielraum und eine neue Freiheit; steht sie damit bereits an dem Übergang vom bloß „Pragmatischen“ zum „Theoretischen“, von dem physischen zum ideellen Tun. –

[126] In der psychologischen Theorie der Gebärdensprache pflegt man zwei Hauptformen von Gebärden zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die hinweisenden, auf der anderen die nachahmenden Gebärden als Klassen, die sich inhaltlich und ihrer psychologischen Genese nach deutlich gegeneinander abgrenzen lassen. Hierbei wird die hinweisende Gebärde biologisch und entwicklungsgeschichtlich aus der Greifbewegung abgeleitet. „Die Arme und Hände“ – so führt Wundt aus – „sind von der frühesten Entwicklung des Menschen an als die Organe tätig, mit denen er die Gegenstände ergreift und bewältigt. Aus dieser offenbar ursprünglichen Verwendung der Greiforgane, in welcher der Mensch den analogen Tätigkeiten der ihm nahestehenden Tiere nur dem Grade, nicht dem Wesen nach überlegen ist, führt aber eine jener stufenweisen Veränderungen, die zunächst eigentlich regressiver Art sind, in ihren Wirkungen jedoch wichtige Bestandteile einer fortschreitenden Entwicklung bilden, zur ersten primitivsten Form pantomimischer Bewegungen. Sie ist genetisch betrachtet nichts anderes als die bis zur Andeutung abgeschwächte Greifbewegung. In allen möglichen Übergängen von der ursprünglichen bis zur späteren Form begegnet sie uns noch fortwährend beim Kinde. Dieses greift auch nach solchen Gegenständen, die es, weil sie ihm zu fern sind, nicht erreichen kann. Damit geht aber die Greifbewegung unmittelbar in die Deutebewegung über. Nach oft wiederholten Versuchen, die Gegenstände zu ergreifen, verselbständigt sich dann erst die Deutebewegung als solche[3].“ Und dieser scheinbar so einfache Schritt zur Verselbständigung bildet nun eine der wichtigsten Etappen auf dem Wege von der tierischen zur spezifisch-menschlichen Entwicklung. Denn kein Tier schreitet zu der charakteristischen Umbildung der Greifbewegung in die hinweisende Gebärde fort. Das „Greifen in die Ferne“, wie man das Deuten mit der Hand genannt hat, ist auch bei den höchstentwickelten Tieren über erste und unvollkommene Ansätze nicht hinausgelangt. Schon diese entwicklungsgeschichtliche Tatsache weist darauf hin, daß in diesem „Greifen in die Ferne“ ein Zug von typischer, allgemein-geistiger Bedeutung verborgen liegt. Es ist einer der ersten Schritte, durch den das empfindende und begehrende Ich den vorgestellten und begehrten Inhalt von sich selbst entfernt und ihn sich damit erst zum „Gegenstand“, zum „objektiven“ Inhalt gestaltet. Auf der primitiven Stufe des Affekts und des Triebes ist alles „Erfassen“ des Gegenstandes nur sein unmittelbares sinnliches Ergreifen und In-Besitz-Nehmen. Das fremde Sein soll in die Gewalt des eigenen gebracht, – soll rein materiell [127] und seiner Stofflichkeit nach in den Kreis des Ich hineingezogen werden. Selbst die ersten Anfänge der sinnlichen Erkenntnis stehen noch ganz in diesem Zeichen: sie glauben nach dem prägnanten und charakteristischen Platonischen Wort den Gegenstand geradezu mit Händen (ἀπρὶξ ταῖν χεροῖν) greifen zu können[4]. Aller Fortschritt des Begriffs und der reinen „Theorie“ aber besteht eben darin, diese erste sinnliche Unmittelbarkeit fortschreitend zu überwinden. Das Objekt, der Gegenstand der Erkenntnis, rückt mehr und mehr in die Ferne, so daß es für die kritische Besinnung des Wissens auf sich selbst zuletzt geradezu als der „unendlich-ferne Punkt“, als unendliche Aufgabe des Wissens erscheinen kann; aber zugleich nimmt es in dieser scheinbaren Entfernung erst seine wahrhafte ideale Bestimmtheit an. Im logischen Begriff, im Urteil und Schluß entwickelt sich jenes mittelbare Erfassen, das den eigentlichen Charakter der „Vernunft“ ausmacht. So scheint genetisch und sachlich in der Tat ein stetiger Übergang vom „Greifen“ zum „Begreifen“ zu führen. Das sinnlich-physische Greifen wird zum sinnlichen Deuten – aber in diesem letzteren liegt bereits der erste Ansatz zu den höheren Bedeutungsfunktionen, wie sie in der Sprache und im Denken hervortreten. Um die äußerste Spannweite dieses Gegensatzes auszumessen, könnte man sagen, daß dem sinnlichen Extrem des bloßen „Weisens“ das logische des „Beweisens“ gegenübersteht. Vom einfachen Aufweisen, durch welches ein schlechthin Einzelnes (ein τόδε τι im Aristotelischen Sinne) bezeichnet wird, führt der Weg zu immer weitergehender allgemeiner Bestimmung: die anfänglich bloß deiktische Funktion wird zur Funktion der „Apodeixis“. Die Sprache selbst scheint diesen Zusammenhang noch darin zu bewahren, daß sie die Ausdrücke für das Sprechen und Sagen mit denen für das Zeigen und Weisen verknüpft. In den indogermanischen Sprachen gehen die Verba des „Sagens“ in dieser Weise großenteils auf die des Zeigens zurück: „Dicere“ stammt von derselben Wurzel, die im griech. δείκνυμι (got. *teihan, ga-teihan, ahd. zeigôn) enthalten ist, wie griech. φημί φάσκω auf eine Wurzel φα (Sanskr. bhà) zurückgeht, die ursprünglich das Leuchten und Scheinen, wie das Erscheinen-Machen bezeichnet. (Vgl. φαέθω, φῶς, φαίνω lat. fari, fateri u. s. f.)[5].

Anders freilich scheint die Beurteilung der Gebärdensprache sich gestalten zu müssen, wenn man statt von der Betrachtung der hinweisenden [128] Gebärden von der zweiten Grund- und Hauptklasse, von der Klasse der nachahmenden Gebärden ausgeht. Denn die Nachahmung bildet als solche bereits das Widerspiel zu jeglicher freien Form der geistigen Tätigkeit. In ihr bleibt das Ich im äußeren Eindruck und seiner Beschaffenheit befangen; je genauer es ihn, unter Ausschaltung aller eigener Spontaneität, wiederholt, um so vollkommener hat die Nachahmung ihren Zweck erreicht. Gerade die inhaltlich reichsten und differenziertesten Gebärdensprachen, die Gebärdensprachen der Naturvölker, zeigen diese Bindung am stärksten. Die Gebärdensprachen der Kulturvölker pflegen neben den unmittelbar-sinnlichen, nachahmenden Zeichen noch eine Fülle sogen. „symbolischer Gebärden“ zu enthalten, die den Gegenstand oder die Tätigkeit, die ausgedrückt werden soll, nicht direkt abbilden, sondern ihn nur mittelbar bezeichnen. Aber in ihnen – wie z. B. in der Sprache der Zisterziensermönche und in der von Jorio eingehend dargestellten neapolitanischen Gebärdensprache[6] – handelt es sich offenbar nicht um primitive Formen, sondern um sehr komplexe Gebilde, auf die die Form der Lautsprache bereits nachhaltig und bestimmend eingewirkt hat. Je weiter man dagegen auf den eigentlichen und selbständigen Gehalt der Gebärdensprache zurückgeht, um so mehr scheinen alle bloßen „Begriffszeichen“ zu schwinden und durch einfache „Dingzeichen“ ersetzt zu sein. Das Ideal einer rein „natürlichen“ Sprache, in der alle konventionelle Willkür ausgeschaltet ist, scheint daher hier erreicht. So wird z. B. von der Gebärdensprache der Indianer Nordamerikas berichtet, daß nur wenige Gesten ihrem Ursprung nach „konventionell“ seien; die weitaus meisten dagegen in der einfachen Wiedergabe offenkundiger natürlicher Phänomene bestünden[7]. Hebt man nur diesen Zug der pantomimischen Nachbildung gegebener sinnlich-wahrnehmbarer Objekte heraus, so scheint ein derartiges Verfahren noch gar nicht auf dem Wege zur Sprache, als einer freien und originalen Betätigung des Geistes zu sein. Hier muß indeß beachtet werden, daß ebensowohl die „Nachahmung“, wie die „Hinweisung“ – ebensowohl die „mimische“, wie die „deiktische“ Funktion – keine schlechthin einfache und überall gleichförmige Leistung des Bewußtseins darstellt, sondern daß sich, in der einen wie in der anderen, Elemente von verschiedener geistiger Herkunft und Bedeutung miteinander durchdringen. Auch bei Aristoteles [129] werden die Worte der Sprache als „Nachahmungen“ bezeichnet, und von der menschlichen Stimme wird gesagt, daß sie das am meisten zur Nachahmung geeignete und gebildete Organ sei[8]. Aber dieser mimische Charakter des Wortes steht für ihn mit seinem reinen Symbolcharakter nicht im Gegensatz; vielmehr wird der letztere nicht minder energisch betont, indem hervorgehoben wird, daß der unartikulierte Empfindungslaut, wie er sich schon in der Tierwelt finde, nur dadurch zum Sprachlaut werde, daß er als Symbol verwendet wird[9]. Beide Bestimmungen vereinen sich miteinander dadurch, daß die „Nachahmung“ hier in jenem weiteren Sinne und in der tieferen Bedeutung gebraucht wird, nach der sie für Aristoteles nicht nur als Ursprung der Sprache, sondern auch als Ursprung der künstlerischen Tätigkeit erscheint. Die μίμησις gehört, in dieser Art verstanden, selbst bereits dem Gebiet der ποίησις, der schaffenden und gestaltenden Tätigkeit, an. Es handelt sich in ihr nicht mehr um die bloße Wiederholung eines äußerlich Gegebenen, sondern um einen freien geistigen Entwurf: das scheinbare „Nachbilden“ hat in Wahrheit ein inneres „Vorbilden“ zur Voraussetzung. Und in der Tat zeigt sich bei schärferer Betrachtung, daß dieses Moment, das in der Form der künstlerischen Gestaltung rein und selbständig hervortritt, bis in die elementaren Anfänge jeder scheinbar rein passiven Nachbildung herabreicht. Denn auch diese besteht ja niemals darin, einen bestimmten Wirklichkeitsinhalt Zug für Zug bloß nachzuzeichnen, sondern an ihm ein prägnantes Moment herauszuheben und damit einen charakteristischen „Umriß“ seiner Gestalt zu gewinnen. Damit aber befindet sich die Nachahmung selbst bereits auf dem Wege zur Darstellung, in welcher die Objekte nicht mehr einfach in ihrer fertigen Bildung hingenommen, sondern in der sie vom Bewußtsein nach ihren konstitutiven Grundzügen aufgebaut werden. Einen Gegenstand in diesem Sinne nachbilden heißt, ihn nicht bloß aus seinen einzelnen sinnlichen Merkmalen zusammensetzen, sondern ihn nach seinen Strukturverhältnissen erfassen, die sich nur dadurch wahrhaft verstehen lassen, daß das Bewußtsein sie konstruktiv erzeugt. Ansätze zu einer solchen höheren Form der Nachbildung bietet bereits die Gebärdensprache dar, sofern sie, in ihren entwickelten Bildungen, überall den [130] Übergang von der bloß nachahmenden zur darstellenden Gebärde zeigt, die nach Wundt dadurch charakterisiert ist, daß sich in ihr „das Bild eines Gegenstandes in einem ähnlichen Sinne freier gestaltet, wie es die bildende Kunst gegenüber der bloß nachahmenden Technik tut[10]“.

Aber in einer ganz neuen Freiheit und Tiefe, in einer neuen geistigen Aktualität tritt nun diese Funktion der Darstellung heraus, indem sie statt der Gebärde den Laut als Mittel und als sinnliches Substrat benutzt. In der geschichtlichen Entwicklung der Sprache vollzieht sich dieser Prozeß der Ablösung nicht unvermittelt. In den Sprachen der Naturvölker läßt sich noch heute deutlich erkennen, wie in ihnen die Gebärdensprache nicht nur neben der Lautsprache stehen bleibt, sondern wie sie diese selbst, ihrer Formung nach, noch entscheidend bestimmt. Überall findet sich hier jene charakteristische Durchdringung, dergemäß die „Wortbegriffe“ dieser Sprachen nur dann ganz erfaßt und verstanden werden können, wenn man sie zugleich als mimische und als „Handbegriffe“ (manual concepts) versteht. Die Gebärde ist mit dem Wort, die Hände sind mit dem Intellekt derart verknüpft, daß sie wahrhaft einen Teil von ihm zu bilden scheinen[11]. Auch in der Entwicklung der Kindersprache trennt sich der Laut nur ganz allmählich von der Gesamtheit der mimischen Bewegungen ab: selbst relativ hohe Stufen derselben zeigen ihn diesem mimischen Ganzen noch völlig eingebettet[12]. Aber sobald nun die Trennung vollzogen ist, hat die Sprache mit dem neuen Element, in dem sie sich nunmehr bewegt, auch ein neues Grundprinzip ihres Aufbaues gewonnen. In dem physischen Medium des Lautes erst entwickelt sich ihre eigentliche geistige Spontaneität. Beides bedingt sich jetzt wechselweise: die Gliederung der Laute wird zum Mittel für die Gliederung des Gedankens, wie diese letztere sich in der Ausbildung und Formung der Laute ein immer differenzierteres und empfindlicheres Organ erschafft. Allen sonstigen mimischen Ausdrucksmitteln gegenüber besitzt der Laut den Vorzug, daß er in weit höherem Maße als sie der „Artikulation“ fähig ist. Gerade seine Flüchtigkeit, die von der sinnlich-anschaulichen Bestimmtheit der Gebärde absticht, gibt ihm eine ganz neue Gestaltungsfähigkeit; macht ihn nicht nur dazu fähig, starre Bestimmtheiten der [131] Vorstellungsinhalte, sondern die feinsten Schwebungen und Schwankungen des Vorstellungsprozesses auszudrücken. Wenn die Gebärde in ihrer plastisch-nachbildenden Art sich dem Charakter der „Dinge“ besser als das gleichsam körperlose Element des Lautes anzupassen scheint, so gewinnt der Laut gerade dadurch, daß in ihm diese Beziehung abgebrochen ist, daß er als ein bloßes Werden das Sein der Objekte nicht mehr unmittelbar wiederzugeben vermag, seine innere Freiheit. Nach der objektiven Seite hin wird er jetzt fähig, nicht nur als Ausdruck inhaltlicher Qualitäten, sondern vor allem als Ausdruck von Beziehungen und formalen Verhältnisbestimmungen zu dienen; nach der subjektiven Seite hin prägt sich in ihm die Dynamik des Gefühls und die Dynamik des Denkens aus. Für diese Dynamik besitzt die Gebärdensprache, die sich rein im Medium des Raumes hält, und die daher auch die Bewegung nur dadurch zu bezeichnen vermag, daß sie sie in einzelne diskrete Raumgestalten abteilt, noch kein zureichendes Organ. In der Lautsprache indes tritt nun das einzelne diskrete Element zu dem Ganzen der Lauterzeugung in ein ganz neues Verhältnis. Hier besteht das Element nur dadurch, daß es stets aufs neue entsteht: sein Inhalt geht im Akt seiner Hervorbringung auf. Aber dieser Akt der Lauterzeugung selbst gliedert sich nun immer schärfer in besondere unterschiedliche Bestimmungen. Zu der qualitativen Sonderung und Abstufung der Laute tritt insbesondere die dynamische Abstufung durch den Akzent, sowie die rhythmische Abstufung hinzu. Man hat versucht, in dieser rhythmischen Gliederung, wie sie sich insbesondere in den primitiven Arbeitsgesängen darstellt, ein wesentliches Moment der künstlerischen wie der sprachlichen Entwicklung nachzuweisen[13]. Hier wurzelt der Laut noch unmittelbar in der rein sinnlichen Sphäre; aber da das, woraus er entspringt und dem er zum Ausdruck dient, keine bloß leidende Empfindung, sondern ein einfaches sinnliches Tun ist, so steht er andererseits bereits im Begriff, diese Sphäre zu überschreiten. Die bloße Interjektion, der einzelne, von einem übermächtigen momentanen Eindruck abgedrungene Affekt- und Erregungslaut, geht jetzt in eine in sich zusammenhängende geordnete Lautfolge über, in der der Zusammenhang und die Ordnung des Tuns sich spiegelt. „Das geordnete Entfalten der Laute“ – so heißt es in Jakob Grimms Aufsatz über den Ursprung der Sprache – „heißt uns gliedern, artikulieren und die Menschensprache erscheint eine gegliederte, womit das homerische [132] Beiwort der Menschen οἱ μέροπες, μέροπες ἄνθρωποι oder βροτοὶ zusammentrifft – von μείρομαι oder μερίζω die ihre Stimme teilenden, gliedernden[14].“

Jetzt erst ist das Material der Sprache so beschaffen, daß sich an ihm eine neue Form ausprägen kann. Der sinnlich affektive Zustand, geht, indem er sich geradezu in den mimischen Ausdruck umsetzt, in diesem letzteren auch gleichsam unter; er entlädt sich in ihm und findet darin sein Ende. Indem bei der fortschreitenden Entwicklung diese Unmittelbarkeit hintangehalten wird, wird damit zugleich der Inhalt erst in sich selbst festgehalten und in sich gestaltet. Es bedarf nun einer höheren Stufe der Bewußtheit, einer schärferen Auffassung seiner inneren Unterschiede, wenn er sich nach außen hin offenbaren, wenn er sich im Medium der gegliederten Laute zu bestimmter und deutlicher Erscheinung bringen soll. Durch die Hemmung des direkten Ausbruchs in die Gebärde und den unartikulierten Erregungslaut wird ein inneres Maß, eine Bewegung innerhalb des sinnlichen Begehrens und Vorstellens selbst erreicht. Vom bloßen Reflex führt der Weg immer bestimmter zu den verschiedenen Stufen der „Reflexion“ hinauf. In der Entstehung des gegliederten Lautes, in der Tatsache, daß – mit Goethe zu sprechen – der „Schall sich zum Tone rundet“, stellt sich uns so ein allgemeinstes Phänomen dar, das uns in den verschiedensten Gebieten des Geistes in immer neuer Form begegnet. Hier scheint durch die Besonderheit der sprachlichen Funktion wieder die universelle symbolische Funktion hindurch, wie sie sich in immanenter Gesetzlichkeit in der Kunst und im mythisch-religiösen Bewußtsein, in der Sprache und in der Erkenntnis entfaltet.

II

Gleich der Theorie der Kunst und gleich der Theorie der Erkenntnis löst sich freilich auch die Sprachtheorie nur allmählich von dem Zwang des Nachahmungsbegriffs und der Abbildtheorie los. Die Frage nach der κυριότης τῶν ὀνομάτων steht im Mittelpunkt der antiken Sprachphilosophie. Auch das Problem, ob die Sprache als ein φύσει oder als ein νόμῳ ὄν zu gelten habe, betrifft nicht in erster Linie die Sprachentstehung, sondern ihren Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt[15]. Bleibt die Sprache und das [133] Wort ganz im Kreise des subjektiven Vorstellens und Meinens eingeschlossen oder besteht zwischen dem Reich der Benennungen und dem des wirklichen Seins ein tieferer Zusammenhang; gibt es eine innere „objektive“ Wahrheit und Richtigkeit der Benennungen selbst? Die Sophistik verneint, die Stoa behauptet eine derartige objektive Gültigkeit des Wortes; aber in der negativen, wie in der positiven Entscheidung bleibt die Form der Fragestellung selbst die gleiche. Daß die Erkenntnis die Aufgabe habe, die Wesenheit der Dinge, – daß die Sprache die Aufgabe habe, die Wesenheit der Erkenntnis widerzuspiegeln und nachzubilden: das ist die Grundannahme, von der in der Verteidigung wie in der Bestreitung ihres Wertes überall ausgegangen wird. Die Sophistik sucht zu zeigen, daß beide Aufgaben unlösbar sind: wenn es ein Sein gibt – so heißt es bei Gorgias –, so ist es dem Menschen unfaßbar und unerkennbar, wenn erkennbar, so ist es nicht aussprechbar und mitteilbar. Wie die Sinne des Gesichts und der des Gehörs ihrer Natur nach je in einem bestimmten Qualitätenkreise eingeschlossen bleiben, – wie der eine nur Helligkeiten und Farben, der andere nur Töne wahrzunehmen vermag, so kann auch die Rede niemals sich selbst transzendieren, um das ihr gegenüberstehende „Andere“, um das „Sein“ und die Wahrheit zu ergreifen[16]. Vergeblich versucht die Stoa dieser Konsequenz dadurch zu entgehen, daß sie, wie eine natürliche Verwandtschaft zwischen dem Sein und der Erkenntnis, so auch einen natürlichen Zusammenhang, eine Übereinstimmung κατὰ μίμησιν, zwischen Wort und Sinn behauptet. Die Ansicht, daß das Wort das Sein ganz oder zum Teil wiedergebe, daß es das echte ἔτυμον zu ihm bilde, führt sich selbst dadurch ad absurdum, daß sie in ihrer Fortentwicklung in ihr eigenes Gegenteil umschlägt. Neben dem Verhältnis der „Ähnlichkeit“ wird jetzt auch seine Umkehrung als etymologischer Erklärungsgrund zugelassen: nicht nur die ἀναλογία und ὁμοιότης, sondern auch die ἐναντίωσις und ἀντίφρασις gilt als sprachbildendes Prinzip. Die „similitudo“ wird zum contrarium; die „Analogie“ wird zur „Anomalie“. Welche verheerende Wirkung diese berüchtigte „Erklärung durch den Gegensatz“ im Fortgang der Etymologie gehabt hat, ist bekannt[17]: im Ganzen aber drückt sich in ihr nur aufs bestimmteste [134] aus, daß jede Erklärung der Sprache, die auf dem Postulat der Ähnlichkeit gegründet ist, notwendig zuletzt bei ihrem eigenen Gegenpol anlangen und damit sich selbst aufheben muß.

Auch dort, wo die Worte nicht als Nachahmungen der Dinge, sondern der subjektiven Gefühlszustände gefaßt werden, wo sie, wie bei Epikur, nicht sowohl die Beschaffenheit der Gegenstände, als vielmehr die ἴδια πάθη des Sprechenden wiedergeben sollen[18], steht die Sprachbetrachtung, wenngleich ihre Norm gewechselt hat, im wesentlichen noch unter dem gleichen Prinzip. Wird die Forderung der Abbildung als solche aufrecht erhalten, so gilt es zuletzt gleichviel, ob das Abgebildete selbst ein „Inneres“ oder ein „Äußeres“, ob es ein Komplex von Dingen oder von Gefühlen und Vorstellungen ist. Ja gerade unter dieser letzteren Voraussetzung muß die Skepsis gegen die Sprache nicht nur wiederkehren, sondern sie muß jetzt erst ihre schärfste Fassung annehmen. Denn noch weit weniger als die Unmittelbarkeit der Dinge kann die Sprache beanspruchen, die Unmittelbarkeit des Lebens zu ergreifen. Jeder bloße Versuch, diese Unmittelbarkeit auszudrücken, hat sie vielmehr bereits aufgehoben: „spricht die Seele, so spricht, ach, schon die Seele nicht mehr“. So bildet die Sprache wiederum schon ihrer reinen Form nach das Widerspiel zu der Fülle und Konkretion der sinnlichen Empfindungs- und Gefühlswelt. Der Einwand des Gorgias: „es redet der Redende, aber nicht Farbe oder Ding[19]“, gilt in verschärftem Maße, wenn wir die „objektive“ Wirklichkeit durch die „subjektive“ ersetzen. In dieser letzteren herrscht durchgängige Individualität und höchste Bestimmtheit; in der Welt der Worte dagegen die Allgemeinheit, d. h. aber die Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit bloß schematischer Zeichen. Indem die „generelle“ Wortbedeutung alle Differenzen, die das wirkliche psychische Geschehen charakterisieren, verwischt, scheint uns daher der Weg der Sprache, statt uns ins geistig-Allgemeine hinaufzuheben, vielmehr ins Gemeine hinabzuführen: denn nur dieses, nur das, was einer individuellen Anschauung oder Empfindung nicht schlechthin eigentümlich, sondern ihr mit anderen gemeinsam ist, ist der Sprache faßbar. So bleibt diese nur ein Scheinwert – nur eine Spielregel, die um so zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber, sobald sie sich selbst kritisch [135] versteht, jeden Anspruch aufgeben muß, irgendein Wirkliches, es mag der „inneren“ oder der „äußeren“ Welt angehören, darzustellen oder gar zu erkennen und zu begreifen[20].

Im Grunde aber schließt freilich, in der Erkenntniskritik wie in der Sprachkritik, eben diese radikalste Fassung der Skepsis bereits die Überwindung der Skepsis in sich. Die Skepsis sucht die Nichtigkeit der Erkenntnis und der Sprache darzutun – aber was sie zuletzt beweist, ist vielmehr die Nichtigkeit des Maßstabes, an dem beide hier gemessen werden. Es ist die innere Auflösung, die Selbstzersetzung der Grundvoraussetzungen der „Abbildtheorie“, die sich in der Entwicklung der Skepsis methodisch und folgerecht vollzieht. Je weiter daher die Negation in diesem Punkte getrieben wird, um so deutlicher und bestimmter ergibt sich aus ihr eine neue positive Einsicht. Der letzte Schein irgendeiner mittelbaren oder unmittelbaren Identität zwischen Wirklichkeit und Symbol muß getilgt, – die Spannung zwischen beiden muß aufs äußerste gesteigert werden, damit eben in dieser Spannung die eigentümliche Leistung des symbolischen Ausdrucks und der Gehalt jeder einzelnen symbolischen Form sichtbar werden kann. Denn dieser ist in der Tat nicht aufweisbar, solange man an dem Glauben festhält, daß wir die „Wirklichkeit“ als ein gegebenes und selbstgenügsames Sein, als ein Ganzes, sei es von Dingen, sei es von einfachen Empfindungen, vor aller geistigen Formung besitzen. Träfe diese Voraussetzung zu – dann bliebe freilich der Form als solcher keine andere Aufgabe, als die einer bloßen Reproduktion, die aber hinter ihrem Original notwendig zurückbleiben müßte. In Wahrheit aber kann der Sinn jeder Form nicht in dem gesucht werden, was sie ausdrückt, sondern nur in der Art und Weise, in dem Modus und der inneren Gesetzlichkeit des Ausdrucks selbst. In dieser Gesetzlichkeit der Bildung, also nicht in der Nähe zum unmittelbar-Gegebenen, sondern in der fortschreitenden Entfernung von ihm, liegt der Wert und die Eigenart der sprachlichen Gestaltung, wie der Wert und die Eigenart der künstlerischen Gestaltung, beschlossen. Diese Distanz vom unmittelbaren Dasein und vom unmittelbaren Erleben ist die Bedingung seiner Sichtbarkeit, seiner geistigen Bewußtheit. Auch die Sprache beginnt daher erst dort, wo das unmittelbare Verhältnis zum sinnlichen Eindruck und zum sinnlichen Affekt aufhört. Der Laut ist noch nicht Sprachlaut, solange er sich rein als Wiederholung gibt; solange ihm mit dem Willen zur „Bedeutung“ auch das spezifische Bedeutungsmoment [136] fehlt. Das Ziel der Wiederholung liegt in der Identität, – das Ziel der sprachlichen Bezeichnung liegt in der Differenz. Die Synthese, die sich in ihr vollzieht, kann sich nur als Synthesis des Verschiedenen, nicht des in irgendeiner Hinsicht Gleichen oder Ähnlichen, vollziehen. Je mehr der Laut dem, was er ausdrücken will, gleicht; je mehr er dieses Andere noch selbst „ist“, um so weniger vermag er es zu „bedeuten“. Nicht nur nach der Seite des geistigen Inhalts, sondern auch biologisch und genetisch ist hier die Grenze scharf gezogen. Schon bei den niederen Tieren begegnet uns eine Fülle ursprünglicher Gefühls- und Empfindungslaute, die sich sodann im Fortgang zu den höheren Arten mehr und mehr differenzieren, die zu bestimmt artikulierten und gegeneinander abgegrenzten „Sprachäußerungen“, zu Angst- oder Warnrufen, Lock- oder Paarungsrufen, sich entfalten. Aber zwischen diesen Ruflauten und den Bezeichnungs- und Bedeutungslauten der menschlichen Sprache bleibt nach wie vor die Trennung, bleibt ein „Hiatus“ bestehen, der gerade durch die schärferen Beobachtungsmethoden der modernen Tierpsychologie aufs neue bestätigt worden ist[21]. Der Schritt zur menschlichen Sprache ist – wie zuerst Aristoteles betont hat – erst getan, wenn der reine Bedeutungslaut vor den Affekt- und Erregungslauten den entscheidenden Primat gewonnen hat: ein Vorrang, der sich sprachgeschichtlich auch darin ausdrückt, daß viele Worte der entwickelten Sprachen, die auf den ersten Blick als bloße Interjektionen erscheinen, sich bei genauer Analyse als Rückbildungen aus komplexeren sprachlichen Gebilden, aus Worten oder Sätzen mit einer bestimmten begrifflichen Bedeutung, erweisen[22].

Allgemein läßt sich eine dreifache Stufenfolge aufweisen, in welcher sich dieses Heranreifen der Sprache zu ihrer eigenen Form, diese ihre [137] innere Selbstbefreiung vollzieht. Wenn wir diese Stufen als die des mimischen, des analogischen und des eigentlich symbolischen Ausdrucks bezeichnen, so enthält diese Dreiteilung zunächst nicht mehr als ein abstraktes Schema – aber dieses Schema wird sich in dem Maße mit konkretem Gehalt erfüllen, als sich zeigen wird, daß es nicht nur als Prinzip der Klassifikation gegebener Spracherscheinungen dienen kann, sondern daß sich in ihm eine funktionale Gesetzlichkeit des Aufbaus der Sprache darstellt, die in anderen Gebieten, wie in dem der Kunst oder der Erkenntnis, ihr ganz bestimmtes und charakteristisches Gegenbild hat. Je mehr wir uns den eigentlichen Anfängen der Lautsprache nähern können, um so mehr scheinen wir noch ganz in jenem Kreis der mimischen Darstellung und Bezeichnung festgehalten zu werden, in welchem auch die Gebärdensprache wurzelt. Was der Laut sucht, ist die unmittelbare Nähe zum sinnlichen Eindruck und die möglichst getreue Wiedergabe der Vielfältigkeit dieses Eindrucks. Dieses Streben beherrscht nicht nur die Entwicklung der Kindersprache auf weite Strecken hin, sondern tritt auch in der Sprache der „Primitiven“ überall aufs stärkste hervor. Die Sprache lehnt sich hier noch so eng an den konkreten Einzelvorgang und sein sinnliches Bild an, daß sie ihn mit dem Laut gleichsam auszuschöpfen versucht, daß sie sich nicht an einer allgemeinen Bezeichnung genügen läßt, sondern jede besondere Nuance des Vorgangs auch mit einer besonderen, eigens für diesen Fall bestimmten Lautnuance begleitet. So gibt es z. B. im Ewe und in einigen verwandten Sprachen Adverbien, die nur eine Tätigkeit, einen Zustand oder eine Eigenschaft beschreiben und die demgemäß nur mit einem Verbum verbunden werden können. Viele Verba besitzen eine Fülle derartiger, ihnen allein zugehöriger qualifizierender Adverbia, von denen die meisten Lautbilder, lautliche Nachbildungen sinnlicher Eindrücke sind. Westermann zählt in seiner Ewe-Grammatik für das einzige Verbum des Gehens nicht weniger als 33 derartiger Lautbilder auf, deren jedes je eine besondere Weise und Eigentümlichkeit des Gehens, wie schlotternd oder schlendernd gehen, hinkend oder schleppend gehen, watschelnd oder wackelnd gehen, kräftig und energisch oder lässig und wiegend gehen, beschreibt. Aber hiermit ist, wie er hinzufügt, die Reihe der Adverbien, die das Gehen beschreiben, nicht erschöpft; denn die meisten derselben können doppelt, in der gewöhnlichen und in der Diminutivform vorkommen, je nachdem das Subjekt groß oder klein ist[23]. Wenn im weiteren Fortgang der Sprachentwicklung [138] diese Art der unmittelbaren Lautmalerei zurücktritt, so gibt es doch keine noch so hoch entwickelte Kultursprache, die nicht mannigfache Beispiele von ihr bewahrt hätte. In auffallender Gleichförmigkeit finden sich bestimmte onomatopoetische Ausdrücke über alle Sprachen des Erdkreises verbreitet. Sie beweisen ihre Kraft nicht nur darin, daß sie, einmal gebildet, der Veränderung durch den Lautwandel und durch sonst allgemeingültige Lautgesetze widerstehen, sondern sie treten auch als Neuschöpfungen hervor, die sich unmittelbar im hellen Licht der Sprachgeschichte vollziehen[24]. Angesichts dieser Tatsachen ist es begreiflich, daß gerade die empirischen Sprachforscher vielfach geneigt gewesen sind, sich des in der Sprachphilosophie oft so hart gescholtenen Prinzips der Onomatopöie anzunehmen und eine, wenigstens bedingte, Ehrenrettung desselben zu versuchen[25]. Die Sprachphilosophie des 16. und 17. Jahrhunderts glaubte noch vielfach in den onomatopoetischen Bildungen den Schlüssel zu der Grund- und Ursprache der Menschheit, zu der „lingua adamica“, unmittelbar in der Hand zu haben. Heute ist freilich durch die kritischen Fortschritte sprachwissenschaftlicher Betrachtung der Traum dieser Ursprache mehr und mehr zerronnen; aber noch immer finden sich gelegentlich Versuche, den Nachweis zu führen, wie in den frühesten Perioden der Sprachbildung die Bedeutungsklassen und Lautklassen einander entsprachen, – wie das Ganze der Urworte in bestimmte Gruppen abgeteilt war, deren jede an bestimmte lautliche Materialien geknüpft und aus ihnen aufgebaut war[26]. Und auch dort, wo man nicht mehr die Hoffnung hegt, auf diesem Wege zu einer wirklichen Rekonstruktion der Ursprache zu gelangen, pflegt das Prinzip der Onomatopöie als ein Mittel anerkannt zu werden, vermöge dessen sich am ehesten von den relativ [139] ältesten Schichten der Sprachbildung eine mittelbare Vorstellung gewinnen läßt. „Trotz alles Wandels“ – so bemerkt z. B. G. Curtius für das Gebiet der indogermanischen Sprachen – „ist in den Sprachen auch ein Trieb des Beharrens erkennbar. Mit derselben Lautgruppe sta bezeichnen alle Völker unseres Stammes vom Ganges bis zum Atlantischen Ozean die Vorstellung des Stehens; an die nur unwesentlich veränderte Lautgruppe plu knüpft sich bei allen die Vorstellung des Fließens. Dies kann nicht zufällig sein. Gewiß blieb dieselbe Vorstellung mit denselben Lauten deshalb durch alle Jahrtausende verbunden, weil für das Gefühl der Völker zwischen beiden ein inneres Band bestand, d. h. weil für sie ein Trieb vorhanden war, diese Vorstellung gerade mit diesen Lauten auszudrücken. Man hat die Behauptung, daß die ältesten Wörter irgendeine Beziehung der Laute zu der bezeichneten Vorstellung voraussetzen, oft verlacht und verspottet. Dennoch ist es schwer, ohne diese Annahme die Entstehung der Sprache zu erklären. Auf jeden Fall wohnt auch in den Wörtern weit vorgeschrittener Perioden die Vorstellung wie eine Seele[27]“. Der Versuch, diese „Seele“ der einzelnen Laute und Lautklassen zu erfassen, hat Sprachphilosophen und Sprachforscher immer wieder gereizt. Nicht nur die Stoa ist diesen Weg gegangen: auch Leibniz hat noch versucht, diesem Ursinn der einzelnen Laute und Lautgruppen im Einzelnen nachzuspüren[28]. Und nach ihm haben gerade die feinsten und tiefsten Sprachkenner den Symbolwert bestimmter Laute nicht nur in dem materialen Ausdruck einzelner Begriffe, sondern auch in der formalen Darstellung gewisser grammatischer Beziehungen deutlich aufweisen zu können geglaubt. So findet Humboldt diesen Zusammenhang nicht nur in der Wahl bestimmter Laute zum Ausdruck bestimmter Gefühlswerte bestätigt – wie z. B. die Lautgruppe st regelmäßig den Eindruck des Beständigen und Festen, der Laut l den des Schmelzenden und Fließenden, der Laut w den einer schwankenden und unstäten Bewegung bezeichne –, sondern er glaubte ihm auch überall in den Mitteln der sprachlichen Formbildung zu begegnen und wandte diesem „Symbolischen in den grammatischen Lauten“ seine besondere Aufmerksamkeit zu[29]. Auch Jakob Grimm suchte zu zeigen, daß z. B. die Laute, die im Indogermanischen für die Bildung der Antwort- und Frageworte gebraucht werden, mit der geistigen Bedeutung der Frage und der Antwort in genauestem [140] Zusammenhang stünden[30]. Daß bestimmte Vokaldifferenzen und Vokalabstufungen als Ausdruck bestimmter objektiver Gradabstufungen, insbesondere zur Bezeichnung der größeren oder geringeren Entfernung eines Gegenstandes vom Sprechenden verwendet werden, ist eine Erscheinung, die sich in den verschiedensten Sprachen und Sprachgebieten gleichartig wiederfindet. Fast durchweg bezeichnen hierbei a, o, u die weitere, e und i die geringere Entfernung[31]. Auch die Verschiedenheit des zeitlichen Abstands wird in dieser Weise durch die Verschiedenheit der Vokale oder Vokalhöhen angedeutet[32]. In derselben Weise werden gewisse Konsonanten und Konsonantengruppen als „natürliche Lautmetaphern“ verwendet, denen in fast allen Sprachgebieten eine gleichartige oder ähnliche Bedeutungsfunktion zukommt: – wie z. B. die labialen Resonanzlaute mit auffallender Regelmäßigkeit die Richtung zum Sprechenden hin, die explosiven Zungenlaute die Richtung vom Sprechenden fort bezeichnen, so daß die ersteren als „natürlicher“ Ausdruck des „Ich“, die letzteren als natürlicher Ausdruck des „Du“ erscheinen[33].

Aber in diesen letzteren Erscheinungen ist nun, so sehr sie gleichsam noch die Farbe des unmittelbar-sinnlichen Ausdrucks an sich tragen, der Kreis der bloß mimischen und imitativen Sprachmittel im Grunde bereits überschritten. Denn jetzt handelt es sich nicht mehr darum, einen einzelnen sinnlichen Gegenstand oder einen einzelnen sinnlichen [141] Eindruck in einem nachahmenden Laute festzuhalten, sondern die qualitative Abstufung in einer Gesamtreihe von Lauten dient dem Ausdruck einer reinen Beziehung. Zwischen der Form und Eigenart dieser Beziehung und den Lauten, in denen sie sich darstellt, besteht kein Verhältnis der direkten materialen Ähnlichkeit mehr – wie denn überhaupt die bloße Materie des Lautes als solche nicht fähig ist, reine Verhältnisbestimmungen wiederzugeben. Der Zusammenhang ist vielmehr dadurch vermittelt, daß im Verhältnis der Laute einerseits und in dem der bezeichneten Inhalte andererseits eine Analogie der Form erfaßt wird, kraft deren nun eine bestimmte Zuordnung der inhaltlich ganz verschiedenen Reihen sich vollzieht. Damit ist jene zweite Stufe erreicht, die wir, gegenüber dem bloß mimischen Ausdruck, als die Stufe des analogischen Ausdrucks bezeichnen können. Der Übergang von der einen zur anderen stellt sich vielleicht am deutlichsten in denjenigen Sprachen dar, die den musikalischen Silbenton zur Unterscheidung von Wortbedeutungen oder zum Ausdruck formal-grammatischer Bestimmungen verwenden. Der mimischen Sphäre scheinen wir hier insofern noch ganz nahe zu stehen, als die reine Bedeutungsfunktion noch ganz am sinnlichen Klang selbst haftet und von ihm nicht ablösbar ist. Von den indochinesischen Sprachen sagt Humboldt, daß in ihnen durch die Differenzierung der Tonhöhen der einzelnen Silben und durch die Verschiedenheit der Akzente die Rede zu einer Art Gesang oder Rezitativ werde und daß z. B. die Tonstufen des Siamesischen völlig mit einer musikalischen Tonleiter verglichen werden könnten[34]. Daneben sind es insbesondere die Sudansprachen, die durch den verschiedenen Ton der Silben, durch Hochton, Mittel- oder Tiefton oder durch zusammengesetzte Tonschattierungen, wie den tiefhohen-steigenden oder hochtiefen-fallenden Ton, die mannigfachsten Bedeutungsnuancen zum Ausdruck bringen können. Teils sind es etymologische Unterschiede, die auf diese Weise bezeichnet werden, d. h. die gleiche Silbe dient, je nach ihrem Ton, zur Bezeichnung ganz verschiedener Dinge oder Vorgänge; teils drücken sich bestimmte räumliche und quantitative Unterscheidungen in der Verschiedenheit des Silbentons aus, indem z. B. hochtonige Wörter zum Ausdruck großer Entfernungen, tieftonige zum Ausdruck der Nähe, jene zum Ausdruck der Schnelligkeit, diese zum Ausdruck der Langsamkeit u. s. f. gebraucht werden[35]. Daneben aber sind es rein formale Bestimmungen und Gegensätze, [142] die auf diesem Wege ihre sprachliche Darstellung finden können. So kann z. B., lediglich durch die Tonveränderung, die bejahende Form des Verbums in die verneinende übergehen[36] – oder aber die Bestimmung der grammatischen Kategorie eines Wortes mittels dieses Prinzips erfolgen, indem übrigens gleichlautende Silben durch die Art der Aussprache als Nomina oder als Verba gekennzeichnet werden[37]. Wieder einen Schritt weiter werden wir in die Erscheinung der Vokalharmonie geführt, die, wie bekannt, den gesamten Aufbau bestimmter Sprachen und Sprachgruppen – vor allem den Aufbau der ural-altaischen Sprachen – beherrscht. Hier zerfällt die Gesamtheit der Vokale in zwei scharf geschiedene Klassen, in die Klasse der harten und in die der weichen Vokale, wobei durchgängig die Regel gilt, daß bei der Vermehrung eines Stammes durch Suffixe dem Vokal der Stammsilbe stets ein der gleichen Klasse angehöriger Vokal in den Suffixen entsprechen muß[38]. Hier dient die klangliche Angleichung der einzelnen Bestandteile eines Wortes, also ein rein sinnliches Mittel, dazu, diese Teile auch formal zusammenzuschließen und von ihrer relativ lockeren „Agglutination“ zu einem sprachlichen Ganzen, zu einem in sich geschlossenen Wort- oder Satzgebilde fortzuschreiten. Indem das Wort oder Satzwort sich kraft des Prinzips der Vokalharmonie als Lauteinheit konstituiert, gewinnt es darin auch erst seine wahrhafte Sinneinheit: ein Zusammenhang, der zunächst rein die Qualität der einzelnen Laute und ihre physiologische Erzeugung betrifft, wird zum Vehikel, um sie zur Einheit eines geistigen Ganzen, zur Einheit einer „Bedeutung“ zu verknüpfen.

[143] Noch deutlicher und ausgeprägter zeigt sich diese „analogische“ Entsprechung zwischen Laut und Bedeutung in der Funktion gewisser weitverbreiteter und typischer Grundmittel der Sprachbildung, wie z. B. in dem Gebrauch, der von dem lautlichen Mittel der Reduplikation für die Wort- und Formenbildung, sowie für die Syntax, gemacht wird. Die Reduplikation scheint auf den ersten Blick noch ganz durch das Prinzip der Nachahmung beherrscht zu werden: die Verdoppelung des Lautes oder der Silbe scheint lediglich dazu bestimmt, gewisse objektive Beschaffenheiten an dem bezeichneten Ding oder Vorgang in möglichster Treue wiederzugeben. Die Wiederholung des Lautes schmiegt sich derjenigen, die im sinnlichen Dasein oder Eindruck gegeben ist, unmittelbar an. Wo ein Ding sich mehrfach in gleichartiger Beschaffenheit den Sinnen darbietet, wo ein zeitlicher Vorgang sich in einer Folge gleichartiger oder ähnlicher Phasen vollzieht, da hat die Lautwiederholung ihre eigentliche Stelle. Aber auf dieser ganz elementaren Grundlage baut sich nun ein System von erstaunlicher Mannigfaltigkeit und von den feinsten Bedeutungsschattierungen auf. Der sinnliche Eindruck der „Mehrheit schlechthin“ zerlegt sich zunächst begrifflich in den Ausdruck der „kollektiven“ und der „distributiven“ Mehrheit. Gewisse Sprachen, denen die Pluralbezeichnung in unserem Sinne fehlt, haben statt ihrer die Idee der distributiven Mehrheit zur höchsten Schärfe und Bestimmtheit entwickelt, indem sie aufs sorgfältigste unterscheiden, ob ein bestimmter Akt sich als ein unteilbares Ganze darstellt oder ob er in mehrere getrennte Einzelhandlungen zerfällt. Gilt das letztere, sind also an dem Akt gleichzeitig verschiedene Subjekte beteiligt, oder wird er von demselben Subjekt in verschiedenen zeitlichen Ansätzen, in einzelnen „Stadien“ ausgeführt, so tritt als Ausdruck dieser distributiven Sonderung die Lautverdoppelung ein. Gatschet hat in seiner Darstellung der Klamath-Sprache gezeigt, wie diese Grundunterscheidung hier geradezu zu der beherrschenden Kategorie der Sprache geworden ist, die alle ihre Teile durchdringt und die gesamte „Form“ der Sprache bestimmt[39]. Auch in anderen Sprachkreisen läßt sich verfolgen, wie die Doppelung eines Wortes, die in den Anfängen der Sprachgeschichte als einfaches Mittel zur Bezeichnung der Menge diente, allmählich als anschaulicher Ausdruck für solche Mengen eintritt, die nicht als geschlossene Ganze gegeben sind, sondern [144] sich in einzelne Gruppen oder Individuen abteilen[40]. Aber die gedankliche Leistung dieses sprachlichen Mittels ist damit bei weitem nicht erschöpft. Wie für die Darstellung der Mehrheit und Wiederholung, so kann die Reduplikation auch für die Darstellung mannigfacher anderer Verhältnisse, insbesondere für Raum- und Größenverhältnisse, eintreten. Scherer bezeichnet sie als eine grammatische Urform, die im wesentlichen dem Ausdruck dreier Grundanschauungen: der Anschauung der Kraft, des Raumes und der Zeit diene[41]. Aus der iterativen Bedeutung entwickelt sich in einem naheliegenden Übergang die rein intensive, wie sie sich beim Adjektivum in der Bildung der Steigerungsform, beim Verbum in der Bildung von Intensivformen darstellt, die dann wieder häufig in Kausativform übergehen[42]. Auch sehr feine modale Unterschiede einer Handlung oder eines Vorgangs können durch das einfache Mittel der Lautwiederholung angedeutet werden: wie z. B. in verschiedenen amerikanischen Eingeborenensprachen die reduplizierte Form des Verbums zur Verwendung kommt, um eine Art „Unwirklichkeit“ der Handlung zu bezeichnen, um auszudrücken, daß sie nur in der Absicht oder „Vorstellung“ besteht, aber nicht zur realen Vollendung gelangt ist[43]. In alledem hat offenbar die Reduplikation die Phase der bloß sinnlichen Schilderung oder Andeutung eines gegenständlichen Seins längst hinter sich gelassen. Dies tritt unter anderem auch an einer eigentümlichen Polarität ihres Gebrauchs hervor, kraft deren sie nicht nur zum Ausdruck und Träger verschiedener, sondern geradezu entgegengesetzter Bedeutungsmodalitäten werden kann. Neben der verstärkenden Bedeutung kommt ihr gelegentlich auch die genau umgekehrte, die abschwächende Bedeutung zu, so daß sie beim Adjektivum zur Bildung der Diminutivformen, beim Verbum zur Bildung von Limitativformen gebraucht wird[44]. [145] Auch in der Bestimmung der Zeitstufe einer Handlung kann sie ebensowohl als Ausdruck der Gegenwart oder Zukunft, wie als Ausdruck der Vergangenheit dienen[45]. Darin zeigt sich am deutlichsten, daß sie nicht sowohl die Wiedergabe eines fixen und eingeschränkten Vorstellungsinhalts ist, als sich vielmehr in ihr eine bestimmte Richtung der Auffassung und Betrachtung und gleichsam eine gewisse Vorstellungsbewegung ausprägt. Noch schärfer tritt die rein formale Leistung der Reduplikation dort heraus, wo sie aus der Sphäre des quantifizierenden Ausdrucks in den Kreis der reinen Relationsbestimmung übertritt. Sie bestimmt alsdann nicht sowohl die inhaltliche Bedeutung des Wortes, als seine allgemeine grammatische Kategorie. In Sprachen, die in der bloßen Wortform diese Kategorie nicht kenntlich machen, wird häufig durch die Laut- oder Silbenverdoppelung ein Wort aus der einen grammatischen Klasse in eine andere versetzt, also z. B. aus einem Nomen in ein Verbum verwandelt[46]. In allen diesen Erscheinungen, denen sich andere gleichartige an die Seite stellen ließen, tritt klar hervor, wie die Sprache auch dort, wo sie vom rein imitativen oder „analogischen“ Ausdruck ausgeht, den Kreis desselben ständig zu erweitern und schließlich zu durchbrechen strebt. Sie macht aus der Not der Vieldeutigkeit des Lautzeichens seine eigentliche Tugend. Denn gerade diese Vieldeutigkeit duldet nicht, daß das Zeichen bloßes Individualzeichen bleibt; gerade sie ist es, die den Geist zwingt, den entscheidenden Schritt von der konkreten Funktion des „Bezeichnens“ zur allgemeinen und allgemeingültigen Funktion der „Bedeutung“ zu tun. In ihr tritt die Sprache gleichsam aus den sinnlichen Hüllen, in denen sie sich bisher darstellte, heraus: der mimische oder analogische Ausdruck weicht dem rein symbolischen, der gerade in seiner Andersheit und kraft derselben zum Träger eines neuen und tieferen geistigen Gehalts wird.




  1. [1] Ein vollständiges System der Ausdrucksbewegungen hat auf Grund der psychologischen und ästhetischen Untersuchungen des 18. Jahrhunderts schon J. J. Engel in seinen „Ideen zur Mimik“ (Schriften, Berlin 1801, T. 7 und 8) aufzustellen versucht; zur Fassung der Sprache als Ausdrucksbewegung s. im übr. bes. Wundt, Die Sprache ², I, 37 ff.
  2. [2] Dieser Gedanke vom „Primat der Bewegung“ ist mit besonderer Schärfe und Energie in der Psychologie Hermann Cohens vertreten worden; vgl. bes. Cohens Ästhetik des reinen Gefühls, Bd. I, S. 143 ff.
  3. [1] Wundt, Völkerpsychologie ² I, 129 f.
  4. [1] Cf. Platon, Theatet, 155 E.
  5. [2] S. hierüber Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache 5, Straßb. 1894, S. 415 (s. v. zeigen); Curtius, Grundzüge der griech. Etymologie 5, Lpz. 1878, S. 115, 134, 296.
  6. [1] Andrea de Jorio, La Mimica degli antichi investigata nel Gestire Napolitano, Napoli 1832; zur Sprache der Zisterziensermönche s. Wundt, a. a. O., I, 151 ff.
  7. [2] Vgl. Mallery, Sign languages among North American Indians, Reports of the Bureau of Ethnology in Washington, I, 334.
  8. [1] Cf. Aristoteles, Rhetor III, 1, 1404 a 20: τὰ γὰρ ὀνόματα μιμήματά ἐστιν, ὑπῆρξε δὲ καὶ ἡ φωνὴ πάντων μιμητικώτατον τῶν μορίων ἡμῖν.
  9. [2] Vgl. περὶ ἑρμηνείας cap. 2, 16 a 27: φύσει τῶν ὀνομάτων οὐδέν ἐστιν ἀλλ᾽ ὅταν γένηται σύμβολον ἐπεὶ δηλοῦσί γέ τι καὶ οἱ ἀγράμματοι ψόφοι, οἷον δηρίων, ὧν οὐδέν ἐστιν ὄνομα. Die bestimmte Unterscheidung zwischen „Nachahmung“ und „Symbol“ (ὁμοίωμα und σύμβολον) findet sich z. B. auch bei Ammonius im Commentar zu Aristotel. De interpretat f. 15 b (Scholia in Aristot. ed. Ac. reg. Boruss. p. 100).
  10. [1] Wundt, a. a. O., I, 156.
  11. [2] Über die „manual concepts“ der Zuñi-Indianer s. Cushing, Manual concepts (The American Anthropologist[WS 1] V, 291 f.) zum Zusammenhang von Gebärden- und Wortsprache bei den Naturvölkern s. bes. das reichhaltige Material bei Levy-Bruhl, Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures, Paris 1910 (deutsche Ausg., Wien 1921, S. 133 ff.).
  12. [3] Vgl. Clara und William Stern, Die Kindersprache ², Lpz. 1920, S. 144 ff.
  13. [1] Vgl. Karl Bücher, Arbeit und Rhythmus; zum Einfluß der Arbeit und der „Arbeitsrhythmen“ auf das Werden der Sprache vgl. die Schriften L. Noirés, Der Ursprung der Sprache, Mainz 1877; Logos-Ursprung und Wesen der Begriffe; Lpz. 1885.
  14. [1] Über den Ursprung der Sprache (1851) s. Jakob Grimms Kleine Schriften, S. 255 ff. Der etymologische Zusammenhang, den Grimm hier annimmt, ist übrigens fraglich und bestritten: näheres hierüber bei Georg Curtius, Grundz. der griech. Etymologie 5, S. 110 u. 330.
  15. [2] Nähere Nachweisungen über diesen ursprünglichen Sinn des Gegensatzes von φύσει und νόμῳ, der erst später in alexandrinischer Zeit, durch den Gegensatz von φύσει und θέσει ersetzt wird s. bei Steinthal, Gesch. der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern I, 76 ff., 114 ff., 319 ff.
  16. [1] Vgl. Sextus adv. Mathematicos VII, 83 ff. (Diels, Fragm. der Vorsokr., 76 B, 554): ὧι γὰρ μηνύομεν, ἔστι λόγος, λόγος δὲ οὐκ ἔστι τὰ ὑποκείμενα καὶ ὄντα · οὐκ ἄρα τὰ ὄντα μηνύομεν τοῖς πέλας ἀλλὰ λόγον, ὃς ἕτερός ἐστι τῶν ὑποκειμένων.
  17. [2] Einzelne charakteristische Beispiele s. bei Georg Curtius, Grundz. der griech. Etymologie 5, S. 5 f.; Steinthal, a. a. O. I, 353 ff.; Lersch, Sprachphilosophie der Alten, III, 47 ff.
  18. [1] Vgl. ob. S. 90.
  19. [2] De Melisso, Xenophane et Gorgia, Cap. 6, 980 a 20: ὃ γαρ εἷδε, πῶς ἄν τις, φησί, τοῦτο εἴποι λόγῳ; ἢ πῶς ἂν ἐκείνῳ δῆλον ἀκούσαντι γίγνοιτο, μὴ ἰδόντι; ὥσπερ γὰρ οὐδὲ ἡ ὄψις τοὺς φθόγγους γιγνώσκει, οὕτως οὐδὲ ἡ ἀκοὴ τὰ χρώματα ἀκούει, ἀλλὰ φθόγγους · καὶ λέγει ὁ λέγων ἀλλ᾽ οὐ χρῶμα οὐδὲ πρᾶγμα.
  20. [1] Vgl. Fr. Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, bes. I, 25 ff., 70, 175, 193 u. ö.
  21. [1] Für die „Sprache“ der höchstentwickelten Affen vgl. z. B. W. Köhler, Zur Psychologie des Schimpansen; Psychologische Forschung, Bd. I (1921) S. 27: „Auf welche Art sich die Tiere verständigen, ist im einzelnen nicht leicht zu beschreiben. Daß ihre phonetischen Äußerungen ohne jede Ausnahme „subjektive“ Zustände und Strebungen ausdrücken, also sogenannte Affektlaute sind und niemals Zeichnung oder Bezeichnung von Gegenständlichem anstreben, ist schlechthin gesichert. Dabei kommen in der Schimpansenphonetik so viel „phonetische Elemente“ der Menschensprache vor, daß sie gewiß nicht aus peripheren Gründen ohne Sprache in unserem Sinn geblieben sind. Mit Mienenspiel und Gesten der Tiere steht es ähnlich: nichts davon bezeichnet Objektives oder hat „Darstellungsfunktion“.“
  22. [2] Beispiele hierfür s. bei Sayce, Introduction to the science of language, London 1880, I, 109 f.; für den Kreis der indogermanischen Sprachen s. bes. K. Brugmann, Verschiedenheit der Satzgestaltung nach Maßgabe der seelischen Grundfunktionen in den idg. Sprachen, Lpz. 1918, S. 24 ff.
  23. [1] Westermann, Grammatik der Ewe-Sprache, Berlin 1907, S. 83 f., 130; ganz analoge Erscheinungen, wie die hier berichteten, finden sich in den amerikanischen Eingeborenensprachen; [138] vgl. z. B. den Übergang von rein onomatopoetischen Lauten zu allgemeinen verbalen oder adverbialen Ausdrücken, den Boas aus dem Chinook anführt (Handbook of American Indian Languages, P. I, Washington 1911 (Smithson Inst. Bullet. 40), S. 575, 655 f.)
  24. [1] Eine Liste solcher relativ später onomatopoetischer Bildungen gibt für das Deutsche z. B. Hermann Paul, Prinz. der Sprachgeschichte ³, S. 160 f.; Beispiele aus dem Kreise der romanischen Sprachen s. z. B. bei Meyer-Lübke, Einf. in das Stud. der romanischen Sprachwissenschaft ², S. 91 ff.
  25. [2] S. z. B. Scherer, Zur Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 1868, S. 38.
  26. [3] So unterscheidet Täuber, Die Ursprache u. ihre Entwicklung (Globus, Bd. 97 (1910), S. 277 ff.), die sechs Hauptgruppen: flüssige Nahrung, feste Nahrung, atmosphärische Flüssigkeiten, Holz und Wald, Futter- und Tränkeplatz, Tierwelt und sucht nachzuweisen, daß sie in den verschiedensten Sprachen der Erde, z. B. im Sanskrit und im Hebräischen ursprünglich durch gleichartige Laute (m + Vocal; p-Laut + Vocal, n + Vocal, t-Laut + Vocal, l oder r, k-Laut + Vocal) bezeichnet wurden.
  27. [1] G. Curtius, Grundz. der griech. Etymologie 5, S. 96.
  28. [2] S. Nouveaux Essais sur l’entendement humain III, 3.
  29. [3] Vgl. die Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, 76 ff.), sowie dieses Werk selbst: Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java, Berlin 1838, II, 111, 153 u. ö.
  30. [1] S. Deutsche Grammatik III, 1: „Unter allen Lauten der Menschenstimme ist keiner so fähig, das Wesen der Frage, die gleich im Beginn des Wortes gefühlt sein will, auszudrücken, wie das K, der vollste Konsonant, den die Kehle vermag. Ein bloßer Vokal würde zu unbestimmt erhallen und das Labialorgan kommt dem gutturalen an Stärke nicht bei. Zwar das T kann mit gleicher Kraft hervorgebracht werden wie das K, allein es wird weniger ausgestoßen als ausgesprochen und hat etwas Festeres; es eignet sich daher zum Ausdruck der ruhigen, ständigen und vor sich hinweisenden Antwort. K forscht, erkundigt, ruft; T zeigt, bedeutet und erwidert.“
  31. [2] Belege hierfür aus verschiedenen Sprachkreisen s. z. B. in Fr. Müllers Grundriß der Sprachwissenschaft, Wien 1870 ff., I, 2, S. 94 f., III, 1, 194 u. ö.; Humboldt, Kawi-Werk II, 153; s. übr. weiter unten Cap. 3.
  32. [3] S. z. B. Fr. Müller, a. a. O., I, 2, 94. Steinthal, Die Mande Neger Sprachen, Berlin 1867, S. 117.
  33. [4] In auffallender Übereinstimmung mit dem Indogermanischen dienen z. B. in den ural-altaischen Sprachen die Lautelemente ma, mi, mo bzw. ta, to, ti, si als Grundelemente für die beiden persönlichen Fürwörter: vgl. H. Winkler, Das Ural-altaische und seine Gruppen, Berlin 1885, S. 26; für die anderen Sprachkreise s. die Zusammenstellung, die Wundt (a. a. O. I, 345) auf Grund des Materials in Fr. Müllers Grundr. der Sprachwiss. gegeben hat.
  34. [1] Humboldt, Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, S. 300).
  35. [2] Näheres hierüber bei Westermann, Die Sudansprachen, Hamb. 1911, S. 76 ff.; Die Gola-Sprache in Liberia, Hamb. 1921, S. 19 ff.
  36. [1] Vgl. Westermann, Gola-Sprache, S. 66 f.
  37. [2] So haftet z. B. im Äthiopischen (nach Dillmann, Grammat. der äthiop. Sprache, Lpz. 1857, S. 115 f.) die gesamte Unterscheidung der Tat- und Nennwörter zunächst lediglich an der Vokalaussprache. Auch die Unterscheidung der intransitiven Verba, die statt eines reinen Tuns eine zuständliche und leidende Handlung bezeichnen, von den im engeren Sinne, „aktiven“ Verbalausdrücken erfolgt hier durch das gleiche Mittel.
  38. [3] Näheres zum Prinzip der Vokalharmonie in den ural-altaischen Sprachen s. z. B. bei Boethlingk, Die Sprache der Jakuten, Petersb. 1851, S. XXVI, 103, und bei H. Winkler, Das Uralaltaische u. seine Gruppen, S. 77 ff. Grunzel betont, daß die Anlage zur Vokalharmonie als solche allen Sprachen gemeinsam sei, wenngleich sie nur in den ural-altaischen Sprachen zu so regelmäßiger Entfaltung gelangt sei. In der letzteren hat übrigens die Vokalharmonie im gewissen Sinne auch eine „Konsonantenharmonie“ zur Folge gehabt. (Näheres bei Grunzel, Entw. ein. vergl. Gramm. der altaischen Sprachen, Lpz. 1895, S. 20 f., 28 f.) Beispiele für die Vokalharmonie aus anderen Sprachkreisen finden sich für die amerikanischen Sprachen bei Boas, Handbook of Americ. Indian Languages I, 569 (Chinook); für die afrikan. Sprachen vgl. z. B. Meinhof, Lehrbuch der Nama-Sprache, Berl. 1909, S. 114 f.
  39. [1] Gatschet, Grammar of the klamath language (Contributions to North American Ethnology, Vol. II, P. 1, Washington 1890, S. 259 ff.). Zur Bedeutung der „idea of severally or distibutrition“, wie Gatschet sie nennt, s. auch weit. unten, Cap. III.
  40. [1] Vgl. hierzu bes. die Beispiele aus dem semitischen Sprachkreis bei Brockelmann, Grundr. der vergl. Gramm. der semitischen Sprachen, Berlin 1908/13, II, 457 ff.
  41. [2] Scherer, Zur Gesch. der deutschen Sprache, S. 354 f.
  42. [3] Belege finden sich vor allem in der Schrift von F. A. Pott, Doppelung (Reduplikation, Gemination) als eines der wichtigsten Bildungsmittel der Sprache (1862); s. auch das reichhaltige Material bei Brandstetter, Die Reduplikation in den indianischen, indonesischen und indogermanischen Sprachen, Luzern 1917.
  43. [4] „Reduplication is also used to express the diminutive of nouns, the idea of a playful performance of an activity, and the endeavor to perform an action. It would seem that in all these forms we have the fundamental idea of an approach to a certain concept without its realization.“ (Fr. Boas, Kwakiutl, Handb. of Amer. Ind. Lang. I, 444 f.; vgl. bes. 526 f.)
  44. [5] Belege hierfür aus dem Kreise der Südseesprachen bei Codrington, The Melanesian languages, Oxford 1885, S. 147; Ray, a. a. O., S. 356, 446; für die amerikanischen Eingeborenensprachen s. z. B. Boas, Handbook I, 526 u. ö.
  45. [1] So z. B. in der Tempusbildung des Verbums im Tagalischen (Humboldt, Kawi-Werk, II, 125 ff.).
  46. [2] Beispiele aus dem Javanischen in Humboldts Kawi-Werk II, 86 f.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Anthopologist