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ältesten Schichten der Sprachbildung eine mittelbare Vorstellung gewinnen läßt. „Trotz alles Wandels“ – so bemerkt z. B. G. Curtius für das Gebiet der indogermanischen Sprachen – „ist in den Sprachen auch ein Trieb des Beharrens erkennbar. Mit derselben Lautgruppe sta bezeichnen alle Völker unseres Stammes vom Ganges bis zum Atlantischen Ozean die Vorstellung des Stehens; an die nur unwesentlich veränderte Lautgruppe plu knüpft sich bei allen die Vorstellung des Fließens. Dies kann nicht zufällig sein. Gewiß blieb dieselbe Vorstellung mit denselben Lauten deshalb durch alle Jahrtausende verbunden, weil für das Gefühl der Völker zwischen beiden ein inneres Band bestand, d. h. weil für sie ein Trieb vorhanden war, diese Vorstellung gerade mit diesen Lauten auszudrücken. Man hat die Behauptung, daß die ältesten Wörter irgendeine Beziehung der Laute zu der bezeichneten Vorstellung voraussetzen, oft verlacht und verspottet. Dennoch ist es schwer, ohne diese Annahme die Entstehung der Sprache zu erklären. Auf jeden Fall wohnt auch in den Wörtern weit vorgeschrittener Perioden die Vorstellung wie eine Seele[1]“. Der Versuch, diese „Seele“ der einzelnen Laute und Lautklassen zu erfassen, hat Sprachphilosophen und Sprachforscher immer wieder gereizt. Nicht nur die Stoa ist diesen Weg gegangen: auch Leibniz hat noch versucht, diesem Ursinn der einzelnen Laute und Lautgruppen im Einzelnen nachzuspüren[2]. Und nach ihm haben gerade die feinsten und tiefsten Sprachkenner den Symbolwert bestimmter Laute nicht nur in dem materialen Ausdruck einzelner Begriffe, sondern auch in der formalen Darstellung gewisser grammatischer Beziehungen deutlich aufweisen zu können geglaubt. So findet Humboldt diesen Zusammenhang nicht nur in der Wahl bestimmter Laute zum Ausdruck bestimmter Gefühlswerte bestätigt – wie z. B. die Lautgruppe st regelmäßig den Eindruck des Beständigen und Festen, der Laut l den des Schmelzenden und Fließenden, der Laut w den einer schwankenden und unstäten Bewegung bezeichne –, sondern er glaubte ihm auch überall in den Mitteln der sprachlichen Formbildung zu begegnen und wandte diesem „Symbolischen in den grammatischen Lauten“ seine besondere Aufmerksamkeit zu[3]. Auch Jakob Grimm suchte zu zeigen, daß z. B. die Laute, die im Indogermanischen für die Bildung der Antwort- und Frageworte gebraucht werden, mit der geistigen Bedeutung der Frage und der Antwort in genauestem


  1. [1] G. Curtius, Grundz. der griech. Etymologie 5, S. 96.
  2. [2] S. Nouveaux Essais sur l’entendement humain III, 3.
  3. [3] Vgl. die Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, 76 ff.), sowie dieses Werk selbst: Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java, Berlin 1838, II, 111, 153 u. ö.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/155&oldid=- (Version vom 4.10.2022)