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lehrt uns diese Teilungen und Trennungen nicht als ein für allemal in den Dingen selbst liegende, als absolute Bestimmungen zu nehmen, sondern sie als durch die Erkenntnis selbst vermittelte zu verstehen. Sie zeigt, daß insbesondere der Gegensatz von „Subjekt“ und „Objekt“, von „Ich“ und „Welt“ für die Erkenntnis nicht einfach hinzunehmen, sondern aus ihren Voraussetzungen zu begründen und in seiner Bedeutung erst zu bestimmen ist. Und wie im Aufbau der Welt des Wissens, so gilt das gleiche in irgendeinem Sinne für alle wahrhaft selbständigen geistigen Grundfunktionen. Auch die Betrachtung des künstlerischen wie die des mythischen oder sprachlichen Ausdrucks ist in Gefahr, ihr Ziel zu verfehlen, wenn sie, statt sich unbefangen in die einzelnen Ausdrucksformen und Ausdrucksgesetze selbst zu vertiefen, von vornherein von dogmatischen Annahmen über das Verhältnis zwischen „Urbild“ und „Abbild“, zwischen „Wirklichkeit“ und „Schein“, zwischen „innerer“ und „äußerer“ Welt ihren Ausgang nimmt. Die Frage muß vielmehr lauten, ob nicht eben durch die Kunst, durch die Sprache und durch den Mythos all diese Scheidungen mitbedingt sind und ob nicht jede dieser Formen in der Setzung der Unterschiede nach verschiedenen Gesichtspunkten verfahren und demgemäß die Grenzlinien verschieden ziehen muß. Die Vorstellung einer starren substantiellen Abscheidung, eines schroffen Dualismus zwischen der „inneren“ und der „äußeren“ Welt, wird auf diese Weise mehr und mehr zurückgedrängt. Der Geist erfaßt sich selbst und seinen Gegensatz zur „objektiven“ Welt nur dadurch, daß er bestimmte, in ihm selbst gelegene Unterschiede als Unterschiede der Betrachtung an die Phänomene heranbringt und sie in diese letzteren gleichsam hineinlegt.

So verharrt auch die Sprache zunächst gegenüber der Trennung der Welt in zwei deutlich geschiedene Sphären, in ein „äußeres“ und ein „inneres“ Sein nicht nur überhaupt in einer merkwürdigen Indifferenz – sondern es scheint geradezu, als ob diese Indifferenz zu ihrem Wesen notwendig gehöre. Der seelische Inhalt und sein sinnlicher Ausdruck erscheinen hier derart in eins gesetzt, daß jener nicht schlechthin vor dem anderen als ein Selbständiges und Selbstgenügsames besteht, sondern daß er sich vielmehr erst in ihm und mit ihm vollendet. Beide, der Inhalt wie der Ausdruck, werden erst in ihrer wechselseitigen Durchdringung zu dem, was sie sind: die Bedeutung, die sie in ihrer Beziehung aufeinander empfangen, tritt zu ihrem Sein nicht bloß äußerlich hinzu, sondern sie ist es, die dies Sein erst konstituiert. Hier liegt kein vermitteltes Ergebnis vor; sondern es besteht hierin eben jene grundlegende Synthese,

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/139&oldid=- (Version vom 21.8.2021)