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In der psychologischen Theorie der Gebärdensprache pflegt man zwei Hauptformen von Gebärden zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die hinweisenden, auf der anderen die nachahmenden Gebärden als Klassen, die sich inhaltlich und ihrer psychologischen Genese nach deutlich gegeneinander abgrenzen lassen. Hierbei wird die hinweisende Gebärde biologisch und entwicklungsgeschichtlich aus der Greifbewegung abgeleitet. „Die Arme und Hände“ – so führt Wundt aus – „sind von der frühesten Entwicklung des Menschen an als die Organe tätig, mit denen er die Gegenstände ergreift und bewältigt. Aus dieser offenbar ursprünglichen Verwendung der Greiforgane, in welcher der Mensch den analogen Tätigkeiten der ihm nahestehenden Tiere nur dem Grade, nicht dem Wesen nach überlegen ist, führt aber eine jener stufenweisen Veränderungen, die zunächst eigentlich regressiver Art sind, in ihren Wirkungen jedoch wichtige Bestandteile einer fortschreitenden Entwicklung bilden, zur ersten primitivsten Form pantomimischer Bewegungen. Sie ist genetisch betrachtet nichts anderes als die bis zur Andeutung abgeschwächte Greifbewegung. In allen möglichen Übergängen von der ursprünglichen bis zur späteren Form begegnet sie uns noch fortwährend beim Kinde. Dieses greift auch nach solchen Gegenständen, die es, weil sie ihm zu fern sind, nicht erreichen kann. Damit geht aber die Greifbewegung unmittelbar in die Deutebewegung über. Nach oft wiederholten Versuchen, die Gegenstände zu ergreifen, verselbständigt sich dann erst die Deutebewegung als solche[1].“ Und dieser scheinbar so einfache Schritt zur Verselbständigung bildet nun eine der wichtigsten Etappen auf dem Wege von der tierischen zur spezifisch-menschlichen Entwicklung. Denn kein Tier schreitet zu der charakteristischen Umbildung der Greifbewegung in die hinweisende Gebärde fort. Das „Greifen in die Ferne“, wie man das Deuten mit der Hand genannt hat, ist auch bei den höchstentwickelten Tieren über erste und unvollkommene Ansätze nicht hinausgelangt. Schon diese entwicklungsgeschichtliche Tatsache weist darauf hin, daß in diesem „Greifen in die Ferne“ ein Zug von typischer, allgemein-geistiger Bedeutung verborgen liegt. Es ist einer der ersten Schritte, durch den das empfindende und begehrende Ich den vorgestellten und begehrten Inhalt von sich selbst entfernt und ihn sich damit erst zum „Gegenstand“, zum „objektiven“ Inhalt gestaltet. Auf der primitiven Stufe des Affekts und des Triebes ist alles „Erfassen“ des Gegenstandes nur sein unmittelbares sinnliches Ergreifen und In-Besitz-Nehmen. Das fremde Sein soll in die Gewalt des eigenen gebracht, – soll rein materiell


  1. [1] Wundt, Völkerpsychologie ² I, 129 f.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/142&oldid=- (Version vom 20.8.2021)