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beim Wein und bei der Mahlzeit verhandelt wurde[1]. Besteht zwischen der Sprachform und der Seinsform, zwischen dem Wesen der Worte und dem der Dinge, ein natürlicher oder nur ein vermittelter und konventioneller Zusammenhang? Drückt sich in den Worten das innere Gefüge des Seins aus, oder zeigt sich in ihnen kein anderes Gesetz, als dasjenige, das die Willkür der ersten Sprachbildner ihnen aufgeprägt hat? Und wenn das letztere gilt: – muß dann nicht, sofern überhaupt noch irgendein Zusammenhang zwischen Wort und Sinn, zwischen Sprechen und Denken angenommen wird, das Moment der Willkür, das dem Wort unvermeidlich anhaftet, auch die objektive Bestimmtheit und die objektive Notwendigkeit des Denkens und seiner Inhalte fragwürdig machen? Daher scheint die Sophistik, um ihren Satz der Relativität aller Erkenntnis zu verfechten, um den Menschen als „Maß aller Dinge“ zu erweisen, der Betrachtung der Sprache ihre besten Waffen entlehnen zu können. Sie ist in der Tat von ihren ersten Anfängen an in jenem Mittelreich der Worte, das zwischen der „objektiven“ und der „subjektiven“ Wirklichkeit, zwischen dem Menschen und den Dingen steht, recht eigentlich heimisch; sie befestigt sich in ihm, um von hier aus ihren Kampf gegen die Ansprüche des „reinen“, des angeblich allgemeingültigen Denkens zu führen. Das überlegene Spiel, das sie mit der Mehrdeutigkeit der Worte treibt, liefert ihr auch die Dinge in die Hand und erlaubt ihr, deren Bestimmtheit in die freie Bewegung des Geistes aufzulösen. So führt die erste bewußte Reflexion über die Sprache und die erste bewußte Herrschaft, die der Geist über sie gewinnt, zugleich zur Herrschaft der Eristik; – aber von hier, von der Besinnung auf den Gehalt und Urgrund des Sprechens geht andererseits auch die Reaktion aus, die zu einer neuen Grundlegung und zu einer neuen Methodik des Begriffs hinführt.

Denn wie die Sophistik am Wort das Moment der Vieldeutigkeit und der Willkür erfaßt und heraushebt – so erfaßt Sokrates an ihm die Bestimmtheit und Eindeutigkeit, die freilich nicht als Tatsache in ihm gegeben ist, wohl aber als latente Forderung in ihm liegt. Die vermeinte Einheit der Wortbedeutung wird ihm zum Ausgangspunkt, an dem seine charakteristische Frage, die Frage nach dem τί ἔστι, nach dem identischen und in sich beharrenden Sinn des Begriffs einsetzt. Wenn das Wort diesen Sinn nicht unmittelbar in sich schließt, so deutet es doch beständig auf ihn hin – und die Aufgabe der Sokratischen „Induktion“ besteht


  1. [1] Memorabil. Lib. III, 14, 2; über das weitere geschichtliche Material zu dieser Frage vgl. Steinthal, Gesch. der Sprachwissenschaft bei den Griechen u. Römern ², Berlin 1890, I, 76 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/77&oldid=- (Version vom 15.9.2022)