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übertragen worden. Überall wird hier ein „Allgemeines“ gesucht: aber dieses wird nicht als ein an sich Seiendes, als die abstrakte Einheit einer Gattung gefaßt, die den Einzelfällen gegenübersteht, sondern als eine Einheit, die sich nur in der Allheit der Besonderungen darstellt. Diese Allheit und das Gesetz, der innere Zusammenhang, der sich in ihr ausdrückt: das erscheint jetzt als das echte Allgemeine. Für die Sprachphilosophie bedeutet dies, daß sie auf das Bestreben, hinter der individuellen Mannigfaltigkeit und der historischen Zufälligkeit der Einzelsprachen die allgemeine Struktur einer Grund- und Ursprache zu entdecken, ein für allemal verzichten lernt, daß auch sie die wahre Allgemeinheit des „Wesens“ der Sprache nicht in der Abstraktion von den Besonderungen, sondern in der Totalität dieser Besonderungen sucht. In dieser Verbindung der Idee der organischen Form und der Idee der Totalität ist der Weg bezeichnet, auf welchem Wilhelm von Humboldt seine philosophische Weltansicht gewinnt, die zugleich eine neue Grundlegung der Sprachphilosophie in sich schließt[1].

V

Schon von früh an ist die Betrachtung und das Studium der Sprache für Wilh. v. Humboldt zum Zentrum aller seiner geistigen Interessen und Bestrebungen geworden. „Im Grunde“ – so schrieb er schon im Jahre 1805 an Wolf – „ist alles, was ich treibe, Sprachstudium. Ich glaube die Kunst entdeckt zu haben, die Sprache als ein Vehikel zu gebrauchen, um das Höchste und Tiefste und die Mannigfaltigkeit der ganzen Welt zu durchfahren.“ In einer Fülle von Einzelabhandlungen zur Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte hat Humboldt diese Kunst geübt, bis er in der großen zusammenfassenden Einleitung zum Kawi-Werk von ihr die letzte und glänzendste Probe abgelegt hat. Nicht in allen Teilen seines sprachphilosophischen und sprachwissenschaftlichen Werkes entspricht freilich bei Humboldt der genialen Ausübung dieser Kunst die Bewußtheit, in der sie sich ihm darstellt. Sein Werk geht als geistige Schöpfung nicht selten über das hinaus, was er selbst in klaren und scharfen Begriffen von ihm aussagt. Aber immer birgt auch die Dunkelheit mancher Humboldt’scher Begriffe, über die man so oft geklagt hat, einen produktiven Gehalt in sich – einen Gehalt, der sich freilich zumeist nicht in eine einfache Formel, in eine abstrakte Definition einfangen läßt, sondern


  1. [1] Die folgende Darstellung der Sprachphilosophie W. v. Humboldts stützt sich z. T. auf eine frühere Abhandlung, die u. d. T. „Die Kantischen Elemente in Wilh. v. Humboldts Sprachphilosophie“ in der Festschrift zu Paul Hensels 60. Geburtstag erschienen ist.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/114&oldid=- (Version vom 28.9.2022)