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Über die Trunkenheit
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[8] [357 M.] [1] 1 Die Ansichten, welche die anderen Philosophen[1] über die Trunkenheit ausgesprochen haben, verzeichneten wir, so gut als es möglich war, in dem vorhergehenden Buche;[2] jetzt wollen wir betrachten, was der allergrößte und allerweiseste Gesetzgeber über sie meint. 2 An vielen Stellen des Gesetzeswerkes[3] nämlich tut er des Weines und des Gewächses, das den Wein hervorbringt‚ des Weinstockes,[4] Erwähnung; und während er den einen erlaubt, sich vollzutrinken, gestattet er es den anderen nicht, und manchmal trägt er sogar den gleichen Personen das Entgegengesetzte auf: Wein zu genießen und auch wieder nicht. Die Letztgenannten sind diejenigen, welche das große Gelübde gelobt haben[5] (4 Mos. 6, 2ff.). Die anderen aber, welchen der Genuß des ungemischten Weines untersagt ist, (sind) die Priester während der gottesdienstlichen Verrichtungen[6] (3 Mos. 10, 9), [9] diejenigen aber, welche den Wein zu sich nehmen, sind Unzählige, welche wegen ihrer Tugend auch bei ihm (dem Gesetzgeber) in höchster Bewunderung stehen. 3 Bevor wir aber davon zu sprechen beginnen, müssen wir erst all das, was auf den Aufbau der Erörterung hinzielt, genau klarstellen.[7] 4 Das ist, wie ich glaube, folgendes: [2] Für ein Sinnbild[8] nicht eines Dinges, sondern mehrerer, hält Moses den Wein: albernen Schwatzens und verrückten Handelns, vollständiger Stumpfsinnigkeit, unstillbarer und schwer zu befriedigender Unersättlichkeit, Frohsinns[9] und Heiterkeit, und einer Entblößung, die die anderen aufgezählten Zustände in sich schließt und sich in allen zeigt, wie sie nach dem Worte (der Schrift) Noah [358 M.] in seinem Rausche aufwies.[10] Dies alles also, wird behauptet, bewirke der Wein.

5 Tausende aber rühren keinen Wein an, glauben, sie seien nüchtern, und machen sich doch der gleichen Verfehlungen schuldig;[11] und man kann sehen, wie die einen von ihnen töricht handeln und schwatzen,[12] andere in vollständige Stumpfsinnigkeit gebannt sind, andere niemals befriedigt werden, sondern immer nach dem Unerreichbaren dürsten, weil sie des Wissens entbehren, andere hinwiederum sich erheitern und freuen, andere sich tatsächlich entblößen. 6 Am albernen Schwatzen nun ist die strafbare Zuchtlosigkeit Schuld – ich verstehe darunter nicht die Unkenntnis der Bildung, sondern die Abneigung gegen sie[13] –‚ [10] am Stumpfsinne aber die absichtliche und blinde Unwissenheit, an der Unersättlichkeit die schwerste der Leidenschaften der Seele, die Begehrlichkeit, an der Heiterkeit die Erwerbung und zugleich Betätigung der Tugend,[14] an der Entblößung[15] jedoch vieles: mangelnde Erkenntnis der Gegensätze,[16] Unschuld und Schlichtheit der Sitten,[17] Wahrheit, das ist die Kraft, welche die Enthüllung der verschleierten Dinge herbeiführt, indem sie abwechselnd bald die Tugend ablegt, bald die Schlechtigkeit;[18] 7 denn gleichzeitig kann man diese beiden unmöglich abstreifen, aber auch nicht anlegen; wenn man die eine von sich wirft, muß man notgedrungen die andere aufnehmen und sich mit ihr umkleiden.[19] 8 So wie nämlich die Lust und den Schmerz, welche ihrer [11] Natur nach miteinander im Widerstreit liegen, Gott, wie ein altes Wort besagt,[20] an einem Ende festgebunden hat, aber die Empfindung der beiden nicht im selben Augenblicke, sondern in unterschiedlichen Zeiten im Inneren der Menschenbrust hervorruft, indem er mit dem Entweichen des einen Gefühls dem entgegengesetzten den Einzug bestimmt, so schießen auch aus einer Wurzel, dem leitenden Seelenteile,[21] die beiden Reiser[22] der Tugend und der Schlechtigkeit auf, die gleichzeitig weder keimen, noch Früchte tragen; 9 denn wann das eine das Laub verliert und verdorrt, beginnt das entgegengesetzte aufzusprossen und zu grünen, so daß man annehmen muß, jedes werde verdrießlich über das Wohlergehen des anderen und schrumpfe darum zusammen. Aus diesem Grunde entspricht es ganz der Natur der Dinge, wenn (die hl. Schrift) den Ausgang Jakobs als Eingang Esaus[23] darstellt; sie sagt nämlich: „Und es geschah, kaum daß Jakob hinausgegangen war, war auch schon sein Bruder Esau da“ [24] (1 Mos. 27, 30); 10 denn solange in der Seele die Einsicht verweilt und umgeht, ist jeder Gefährte der Unvernunft[25] über die Grenze verjagt; wann sie sich aber von hinnen gehoben hat, kehrt jener froh zurück, weil die erbitterte Feindin, durch die er vertrieben und aus dem Lande gejagt wurde, nicht mehr denselben Platz bewohnt.

[12] [3] 11 Als Vorwort gewissermaßen zu unserer Schrift haben wir damit genug gesagt; nun wollen wir die Beweise für jeden einzelnen Punkt hinzufügen und wollen zum Beginn mit der Erklärung des ersten anfangen. Wie gesagt,[26] ist also Zuchtlosigkeit [359 M.] am albernen Schwatzen und an Verfehlungen schuld, wie für Tausende Unvernünftiger der reichliche Weingenuß. 12 Zuchtlosigkeit ist nämlich, soll man die Wahrheit sagen, die unheilvolle Ursache der Verfehlungen der Seele; aus ihr fließen wie aus einer Quelle die Handlungen des Menschenlebens, welche[27] ganz und gar kein trinkbares und für irgendwen heilsames Naß liefern, sondern nur ein salzigbitteres[28], das den Benützern Krankheit und Verderben verursacht. 13 Daher wütet der Gesetzgeber gegen Unerzogene und Zuchtlose so, wie vielleicht gegen niemand anderen. Ein Beweis hiefür: Wer ist es, der nicht sowohl durch besonderen Entschluß als von Natur,[29] Bundesgenosse im Kampfe ist sowohl bei den Menschen als auch bei den anderen Arten der Lebewesen? Auch ein Toller müßte wohl sagen: „Niemand anderer ist es als die Eltern“; denn der Natur gemäß, die nicht erst belehrt werden muß,[30] sorgt sich das Erzeugende um sein Geschöpf und ist auf dessen Heil und dauernde Existenz bedacht. 14 Die natürlichen Mitstreiter nun läßt er (der Gesetzgeber) ernstlich in die Reihe der Feinde übergehen und bestellt zu Anklägern diejenigen, welche eigentlich die Fürsprecher sein müßten, Vater und Mutter, damit jene[31] durch die Mitwirkung derer ihren Untergang finden, von denen allein sie gerettet werden sollten; denn es heißt: „So jemand einen ungehorsamen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht hört auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter, und sie züchtigen ihn und er hört doch nicht auf sie: so sollen ihn sein [13] Vater und seine Mutter ergreifen und ihn hinausführen zu den Ältesten seiner Stadt und zu dem Tore seines Ortes und sollen sprechen zu den Männern ihrer Stadt: ‚Dieser unser Sohn ist ungehorsam und widerspenstig, hört nicht auf unsere Stimme, ein Schmausliebhaber und Trunkenbold‘. Und da sollen ihn steinigen die Männer der Stadt und du sollst hinwegschaffen den Bösen aus euerer Mitte.[32]“ (5 Mos. 21, 18–21). 15 Vier Beschuldigungen zählt also die Anklage auf: Ungehorsam, Widerspenstigkeit, Beisteuer zum Schmaus und Trunkenheit. Die schwerste ist die letzte; denn mit dem Ungehorsam beginnt es und jede folgende Beschuldigung ist eine Steigerung ; denn wenn einmal die Seele anfängt, sich dem Zügel zu entziehen[33] und durch Streit und Zanksucht weiterschreitet, dann kommt sie schließlich zur äußersten Grenze, zur Trunkenheit, der Ursache von Geistesstörung[34] und Verrücktheit. Man muß nun sehen, was jede dieser Anklagen bedeutet, und bei der ersten beginnen.

[5] 16 Ganz offenbar ist es also allgemein anerkannt, daß Nachgiebigkeit und Gehorsam gegen die Tugend schön und nützlich ist und deshalb umgekehrt der Ungehorsam häßlich und über alle Maßen schädlich; und nun gar erst die Widerspenstigkeit! die faßt das ganze Übermaß des Schrecklichen in sich. Der Ungehorsame nämlich ist weniger schlecht als der Zanksüchtige[35], indem jener bloß auf das ihm Aufgetragene keine Rücksicht nimmt, dieser aber sogar bemüht ist, das Gegenteil zu unternehmen. 17 Wohlan, wir wollen einmal sehen, wie das ist. Befiehlt z. B. das Gesetz, die [360 M.] Eltern zu ehren, so ist der, welcher sie nicht ehrt, nur ungehorsam, der sie beschimpft, hingegen zanksüchtig. Ein anderer Fall: Ist es gerecht, das Vaterland zu retten, dann werden wir einen, der ebendabei zögert, ungehorsam nennen, den aber, der überdies noch entschlossen ist, Verrat zu üben, einen händelsüchtigen Aufrührer. 18 Und wenn sich jemand der Aufforderung, [14] einem Menschen zu helfen, widersetzt und die Wohltat verweigert, dann ist er einfach ungehorsam, wer jenem aber außer der Verweigerung der Wohltat auch noch allen möglichen Schaden zufügt, erhebt sich zum Streite und begeht eine heillose Sünde. Und sicherlich ist derjenige, welcher den Gottesdienst und alle Pflichten der Frömmigkeit verabsäumt, gegen die Gebote ungehorsam, welche das Gesetz gewöhnlich darüber gibt; widerspenstig jedoch ist, wer sich zum Gegenteil, zur Unfrömmigkeit, hinneigt und die Gottlosigkeit einführt.[36] [6] 19 Ein solcher[37] war, der da sprach: „Wer ist es denn, auf den ich hören soll?“ und wiederum: „Ich kenne den Herrn nicht“ (2 Mos. 5, 2). Durch den ersten Ausspruch stellt er die Behauptung auf, das Göttliche existiere nicht, durch den folgenden, daß man es, selbst wenn es existiert, doch nicht kennt,[38] was aus dem Fehlen der Vorsehung erschlossen wird; denn gäbe es eine Vorsehung (des Göttlichen), würde es auch erkannt werden. 20 Beiträge und Liebesgaben beisteuern zu dem Zwecke, um Anteil zu haben an dem besten Besitze, der Einsicht, ist löblich und nützlich, wegen des Anteils aber am allerschlimmsten Übel, dem Unverstande, ist ebenso schädlich wie tadelnswert.[39] 21 Die Beiträge nun zum Besten sind: Sehnsucht nach der Tugend, Streben nach dem Schönen, ununterbrochene Studien, andauernde Übungen, unablässige und unermüdliche Entsagungen; die zum Gegenteile: Nachlässigkeit, Leichtsinn, Schwelgerei, Weichlichkeit, vollständige Unregelmäßigkeit der Lebensweise. 22 Man kann freilich sehen, wie Leute sich zum Weinsaufen rüsten, sich Tag für Tag darin üben und zu Ehren der Unersättlichkeit ihres Bauches Wettkämpfe aufführen und hiezu Beiträge beisteuern, als wäre dies etwas Nützliches, [15] während sie doch dabei an allem Schaden nehmen, an Geld, Körper und Seele;[40] denn indem sie Geld beisteuern, mindern sie ihre Habe, in ihrem Körper zerbrechen und zerbröckeln sie die Kräfte infolge ihrer üppigen Lebensweise,[41] ihre Seele überschwemmen sie nach Art eines Gießbachs durch die Unmäßigkeit ihrer Mahlzeiten und zwingen sie, in die Tiefe zu sinken. 23 Auf die gleiche Weise schädigen daher auch alle, welche zur Entthronung der Zucht Beiträge leisten, das Eigentlichste ihres inneren Wesens, ihre denkende Seele,[42] indem sie ihr die Mittel zu ihrem Heile abschneiden,[43] nämlich Einsicht und Besonnenheit, ferner Tapferkeit und Gerechtigkeit.[44] Deswegen hat auch – scheint mir – (Moses) selber zur klareren Verdeutlichung des Gedankens das zusammengesetzte Wort: „Beiträge zusammenschießend“ gebraucht;[45] denn indem sie ihre Anschläge gegen die Tugend wie Beiträge zu einem Picknick beisteuern, verwunden und zerstückeln sie die hör- und lernfreudigen Seelen und schießen sie bis zur völligen Vernichtung zusammen. [7] 24 So heißt es daher vom weisen Abraham, er kehre zurück „von dem Niederhauen des Kedorlaomer und der mit ihm verbündeten Könige“ (1 Mos. 14, 17), und von Amalek an anderer Stelle, er habe „den Nachtrab“ des Ringenden[46] „zusammengehauen“ (5 Mos. 25, 18), und zwar in natürlicher Folgerichtigkeit; denn feind sind [361 M.] einander die Gegensätze[47] und trachten immer einer [16] nach dem Untergange des andern. 25 Wer aber die Beiträge bringt, den kann man auch hauptsächlich dessen zeihen, daß er nicht nur gesonnen ist, Unrecht zu begehen, sondern auch es in Gesellschaft mit anderen zu begehen; erdreistet er sich doch, es teils selbst einzuführen, teils zuzuhören, wenn es andere einführen, um sich, da er gegen Natur und Belehrung sündigt, keine brauchbare Hoffnung auf seine Rettung mehr übrig zu lassen, noch dazu, wo doch das Gesetz ausdrücklich sagt: „nicht mit der Menge im Bunde zu sein zum Bösen“[48] (2 Mos. 23, 2); 26 denn tatsächlich ist das Böse häufig und sehr fruchtbar in den Seelen der Menschen, das Gute spärlich und selten. Deshalb ist es eine sehr nützliche Lehre, nicht mit den Vielen zu verkehren, mit denen das Unrecht im Bunde ist, sondern mit den Wenigen, mit denen die gerechten Taten sind.[49] [8] 27 Die vierte und schwerste Anklage also war die Trunkenheit, nicht die lockere, milde, sondern die hochgespannt heftige; denn besoffen sein bedeutet, daß man das am Unverstande mitschuldige Gift,[50] die Zuchtlosigkeit, aufglimmen läßt, jedesmal von neuem entzündet und entflammt; diese kann dann nimmer gelöscht werden, sondern steckt die Seele in Brand und verbrennt sie für immer durch und durch.[51] 28 Mit Recht wird daher die Strafe folgen, die jede schlechte Sinnesart aus der Seele wegfegt; denn es heißt: „Du sollst hinwegschaffen den Bösen“[52], nicht aus der Stadt oder dem Lande oder dem Volke, sondern „aus eurer Mitte“ (5 Mos. 21, 21); denn in uns selbst stecken offen und geheim die angeschuldigten und tadelnswerten Gedanken, die man, wenn sie unheilbar sind, abhauen [17] und ausrotten muß. 29 Es war demnach ganz gerecht, daß der Ungehorsame, Zanksüchtige, der unbewiesene Reden wie eine Art von Picknickbeitrag zur Herabsetzung des Schönen hergibt, der vor Wein glüht, in seiner Trunkenheit gegen die Tugend losgeht und in seinem Rausche absonderliche Vergehen gegen sie begeht, diejenigen als Ankläger erhält, die sonst für andere die Bundesgenossen sind, Vater und Mutter, und daß er dafür völligen Untergang erlangt zur Warnung und Besserung aller noch nicht rettungslos Verlorenen.[53] 30 Die Nennung des Vaters und der Mutter ist zwar gemeinsam,[54] verschieden aber ihre Bedeutung. So werden wir zum Beispiel den Meister,[55] welcher unser Weltall geschaffen hat, mit Recht zugleich auch als Vater[56] des Erschaffenen [18] bezeichnen, als Mutter aber das Wissen des Erzeugers;[57] ihm hat Gott beigewohnt und die Schöpfung erzeugt, allerdings nicht nach Menschenart.[58] Sie aber hat Gottes Samen empfangen und den einzigen und geliebten wahrnehmbaren Sohn,[59] diese unsere Welt, als reife Frucht [362 M.] in Wehen geboren.[60] Demgemäß wird bei einem aus dem göttlichen Reigen die Weisheit mit folgendem Ausspruch über sich selbst eingeführt: „Gott hat mich als erstes seiner Werke erworben und vor aller Zeit hat er mich begründet“ (Sprüche 8, 22);[61] denn notwendigerweise muß alles, was zur Erschaffung kam, jünger sein, als die Mutter und Amme des Alls.[62] [9] 32 Das sind also unsere Eltern; wer wäre imstande, ihre Anklage auszuhalten? Ja, nicht einmal eine mäßige Drohung oder den leichtesten Vorwurf. Ist ja doch nicht einmal jemand imstande, die unzählige Fülle ihrer Geschenke zu fassen, vielleicht nicht einmal die Welt,[63] sondern wie ein kurzes Rinnsal wird sie, wenn mächtig die Quelle der Gnaden Gottes hinzuströmt, sehr bald so voll sein, daß das Wasser in die Höhe sprudelt und sich über die Ränder ergießt. Vermögen wir aber nicht die Wohltaten aufzunehmen, wie werden wir dann erst das Herannahen der strafenden Kräfte ertragen?[64] 33 Diese Eltern des Alls muß man freilich von [19] der vorliegenden Abhandlung ausnehmen, ihre Lehrlinge und Schüler aber, welche die Fürsorge und Leitung aller erziehungs- und bildungsfähigen Seelen erhalten haben, wollen wir in den Kreis unserer Betrachtung ziehen.[65] Der Vater ist also nach unserer Meinung die männliche, vollkommene und rechte Vernunft, die Mutter aber der ganze Reigen der Gegenstände der mittleren und allgemeinen Bildung; ihnen, wie ein Kind den Eltern, zu gehorchen, ist schön und nützlich. 34 Der Vater nun, die rechte Vernunft, gebietet, der Natur zu folgen und sich nach ihr zu richten, und der nackten und unverhüllten Wahrheit nachzugehen, die Mutter dagegen, die Erziehung, sich an das positive, konventionelle Recht[66] zu halten, das in den einzelnen Staaten, Völkern und Ländern von den Altvorderen festgesetzt wurde, die zwar noch nicht der Wahrheit, aber ihrem Scheine zugetan waren.[67]

35 Diese Eltern haben vier Scharen von Kindern; die eine ist beiden Eltern gehorsam; die andere, Gegnerin[68] der ersten, hält sich weder an den Vater noch an die Mutter; von den beiden anderen ist jede [20] halbvollkommen; die eine von ihnen nämlich hat den Vater sehr lieb und hängt an ihm, die Mutter aber und ihre Anordnungen beachtet sie nicht, die andere hinwiederum liebt allem Anschein nach die Mutter und ist ihr gegenüber in jeder Hinsicht dienstbeflissen, aber um die Anordnungen des Vaters kümmert sie sich blutwenig. Die erste Schar nun wird über alle den Siegespreis davontragen, ihr Widerpart dagegen wird nur Niederlage und zugleich Untergang erdulden; von den beiden übrigen wird sich die eine den zweiten, die andere den dritten Preis erwerben, und zwar den zweiten Preis (die Schar), die dem Vater, den dritten die, welche der Mutter gehorcht. [10] 36 Das am klarsten ausgeprägte Vorbild der mutterliebenden Schar, die den Meinungen der Menge nachgibt und in den vielgestaltigen Bestrebungen des Lebens sich in mannigfache Formen wandelt nach der Art des [363 M.] ägyptischen Proteus, der durch die natürliche Fähigkeit, alle im Weltall möglichen Formen anzunehmen, sich davor schützte, seine wahre Gestalt zu offenbaren, ist Jithro;[69] er, ein Gebilde hochmütigen Dünkels,[70] paßt zu einem Staate und zum politischen Treiben[71] zusammengelaufener und durcheinander gemischter Menschen, die infolge ihrer hohlen Wahnideen haltlos hin und her schwanken.[72] 37 Denn [21] als Moses, der Weise, das gesamte Volk der Seele[73] zu Frömmigkeit und zur Ehrung Gottes aufruft und es über die Gebote und hochheiligen Gesetze belehrt – er sagt nämlich: „Wann es zu einem Streite zwischen ihnen kommt und sie kommen vor mich, dann richte ich zwischen dem einen und dem andern und lehre die Gebote Gottes und sein Gesetz“ (2 Mos. 18, 16) –, da kommt der Scheinweise, Jithro, der ausgeschlossen ist von der Weihe der göttlichen Güter, aber mit Menschlichem und Vergänglichem reichlichen Umgang hat, und will das Volk führen und Gesetze vorschreiben im Widerspruch zu denen der Natur; denn er berücksichtigt nur den Schein, diese aber beziehen sich auf das Sein.[74] 38 Und trotzdem fühlt Moses auch mit ihm Mitleid und Erbarmen wegen seiner großen Verirrung und glaubt, er müsse ihn eines Besseren belehren und ihm zureden, er solle von den eitlen Wahnvorstellungen abstehen und mit Festigkeit der Wahrheit folgen; 39 denn die heilige Schrift sagt: „Nachdem wir aufgebrochen sind“[75] und den eitlen Dünkel der Seele abgehauen haben, übersiedeln wir an den Ort des Wissens, den wir nach den Aussprüchen und Zusagen Gottes einnehmen:[76] „Komm mit uns und wir werden dir wohltun“ (4 Mos. 10, 29); abwerfen wirst du nämlich die so schädliche Einbildung und gewinnen die so nützliche Wahrheit. 40 Aber mag ihm auch mit noch so verlockenden Worten zugesprochen werden, er wird sie doch gering achten und wird auf keinen Fall je dem Wissen folgen, [22] sondern wird zurückkehren, ja zurücklaufen zu seinem eigenen hohlen Dünkel; denn es heißt, er sagte zu ihm: „Ich will nicht mitgehen, sondern nach meinem Lande und zu meiner Sippe“[77] (4 Mos. 10, 30), das heißt zu dem Unglauben, der den irrwähnenden Männern verwandt ist, da er den Glauben nicht gelernt hat, der den wahrhaftigen befreundet ist.[78] [11] 41 Denn auch mit den Worten, die er in der Absicht, einen Beweis seiner Frömmigkeit zu geben, ausspricht: „Jetzt habe ich erkannt, daß der Herr groß ist neben[79] allen Göttern“ (2 Mos. 18, 11), klagt er sich bei (allen) urteilsfähigen Männern der Unfrömmigkeit an. 42 Sie werden ihm nämlich entgegnen: Unfrommer Frevler, jetzt erst bist du zu dieser Erkenntnis gelangt, früher hast du nichts gewußt von der Majestät des Lenkers des Alls? Gab es denn etwas Ehrwürdigeres als Gott, auf das du vorher gestoßen bist? Oder sind etwa nicht den Kindern die Vorzüge der Eltern überhaupt und ein für allemal vor allen andern bekannt? Ist also vielleicht gar der Gründer und Vater des Alls nicht sein lenkender Herrscher?[80] Wenn du daher, wie du behauptest, jetzt erst diese Kenntnis besitzest, so besitzest du sie auch jetzt nicht, weil du sie nicht vom Anbeginn deiner Erschaffung hattest. 43 Nicht minder aber dadurch wirst du als Heuchler entlarvt, daß du Unvergleichbares miteinander vergleichst, indem du sagst, neben allen Göttern groß sei die Majestät des Seienden, die du erkannt haben willst. Würdest du nämlich in Wahrheit das Seiende kennen, du würdest nie auf die Vermutung verfallen, einer der anderen sei ein selbstherrlicher Gott. 44 Wie nämlich die Sonne bei ihrem Aufgange [364 M.] die Sterne unseren Augen verbirgt, indem sie die Fülle ihres Lichtes auf sie herabgießt, so kann das Auge der Seele, wenn in ihm die unvermischten, reinen und weithin glänzenden geistigen Strahlen des lichtbringenden Gottes aufblitzen, nichts anderes mehr erblicken; denn sobald ihm einmal das Wissen des Seienden aufleuchtet‚ überstrahlt es alles so, daß es auch die Dinge verdunkelt, die an sich [23] die hellsten schienen.[81] 45 Mit den fälschlich genannten Göttern den wahren Gott zu vergleichen würde sich wohl niemand unterfangen, würde er ihn wirklich und wahrhaftig kennen; nur die Unkenntnis des Einzigen hat den Wahn erzeugt, als gäbe es viele Götter, die doch in Wahrheit nicht existieren. [12] 46 Derselben Gesinnung[82] ist jeder, der den Wert der seelischen Güter nicht anerkennt, dagegen die körperlichen und äußerlichen Güter bewundert, die zur Täuschung der leicht verführbaren Sinne mit bunten Farben und Formen geziert sind. 47 Einen solchen Menschen nennt der Gesetzgeber Laban, der die wahren Gesetze der Natur nicht sieht, die falschen aber, die bei den Menschen im Brauche stehen, verzeichnet, indem er sagt: „Es wird nicht so an unserem Orte gehalten, die Jüngere wegzugeben vor der Älteren“ (1 Mos. 29, 26). 48 Dieser meint nämlich, man müsse die zeitliche Reihenfolge einhalten, indem er es für recht erachtet, daß man zuerst die älteren und dann erst die jüngeren Kinder in die (eheliche) Gemeinschaft führe. Der Ringer um die Weisheit[83] aber weiß, daß es auch zeitlose Wesen gibt und erstrebt das Geringere zuerst und darnach erst das Ehrwürdigere.[84] Dabei kann er sich auf die Übereinstimmung [24] mit der Lehre von der sittlichen Bildung[85] berufen; denn die nach Weisheit Strebenden[86] müssen zuerst mit der geringeren Bildung[87] zusammenkommen, um dann von der vollkommeneren sicheren Vorteil und Genuß haben zu können. 49 Darum gelangen auch bis jetzt die Liebhaber der sittlichen Vollkommenheit nicht früher zur Türe[88] der ehrwürdigeren (Bildung), der Philosophie,[89] bevor sie mit den geringeren Arten vertraut geworden sind, mit der Grammatik, der Geometrie und allen Fächern der höheren allgemeinen Bildung;[90] diese nämlich sind die freundlichen Vermittlerinnen der Weisheit für diejenigen, die allezeit ehrlich und in Reinheit um sie werben.[91] 50 Jener aber klügelt das Gegenteil aus, weil er will, daß wir die ältere zuerst heimführen, nicht damit wir sie fest besitzen, sondern damit wir uns vom Zauber der jüngeren berücken und nachher unsere Sehnsucht nach jener erschlaffen lassen. [13] 51 Und fast so erging es schon vielen, die nicht den rechten Weg zur Bildung eingeschlagen haben. Denn sozusagen noch in den Windeln gingen sie schon an das vollkommenste [25] Studium, die Philosophie; da sie aber doch nicht für immer ohne Ahnung der allgemeinen Bildung zu bleiben wünschten, entschlossen sie sich spät erst und mit Überwindung, mit ihr in Berührung zu kommen. Wenn sie dann aber von der größeren und ehrwürdigeren Wissenschaft zur Betrachtung der niedrigeren und geringeren Lehrgegenstände herabstiegen, wurden sie über ihnen alt, so daß sie nicht mehr die Kraft aufbrachten, sich zu ihrem Ausgangspunkte wieder aufzuschwingen.[92] 52 Deshalb wohl sagt (Laban): „Halte die Woche bis zu Ende mit ihr“ (1 Mos. 29, 27), das heißt so viel als: [365 M.] Nicht endlos[93] soll dir das Gut der Seele bleiben, sondern Grenze und Ende soll es haben, damit du auch mit dem geringeren Range der Güter zusammenkommest, den körperliche Schönheit, Ruhm, Reichtum und dergleichen einnimmt.[94] 53 Er aber verspricht nicht ihre „Vollendung“, sondern gesteht ihre „Vervollständigung“ zu,[95] d. h. er werde niemals unterlassen, alles zu ihrer Vermehrung und Ausfüllung zu betreiben, sondern werde immer und überall sich ihrer annehmen, auch wenn die Hemmungen und Widerstände tausendfach wären.[96] 54 Besonders klar aber scheint mir (die heilige Schrift) die Tatsache, daß die Frauen die Gewohnheit mehr befolgen als die Männer, durch die Worte der Rahel anzudeuten, die bloß das sinnlich Wahrnehmbare bewundert;[97] denn sie spricht zu ihrem Vater: „Nimm es nicht übel, o Herr; ich kann nicht aufstehen vor dir, weil es mir nach der Weiber Gewohnheit geht“ (1 Mos. 31, 35). 55 Also ist es den Frauen eigentümlich, den Gewohnheiten zu folgen; und tatsächlich ist ja die Gewohnheit das Zeichen einer schwächeren und weibischeren Seele; denn das Merkmal der Männer [26] ist doch die schaffende Naturkraft, und der Natur zu folgen ist das Merkmal des erstarkten und wahrhaft männlichen Verstandes.[98] [14] 56 Großartig mutet mich das ehrliche Geständnis der Seele in ihrer Zwiesprache mit sich selber an, ihr fehle die Kraft, sich gegen die scheinbaren Güter zu erheben,[99] und sie bewundere und schätze jedes von ihnen und ziehe es fast sich selbst vor. 57 Denn wer von uns widersteht dem Reichtum? Und wer ringt gegen den Ruhm? Wer von denen, die sich noch durch leere Wahngedanken besudeln, verachtet geradezu Ehre oder Ämter? Überhaupt gar niemand. 58 Solange freilich keines dieser Güter vorhanden ist, reden wir hochtrabend daher, wir seien Freunde der Genügsamkeit, die uns das selbstgenügsame, gerechteste und für Freie und Edelgesinnte einzig passende Leben verschaffe.[100] Wann uns aber die Hoffnung auf eines der genannten Güter oder auch nur ein schwacher Hauch von Hoffnung anzuwehen beginnt, werden wir völlig widerlegt; denn sofort geben wir nach und werden schwach und haben nicht die Kraft, entgegenzutreten und standzuhalten, sondern von der uns vertrauten Sinnlichkeit verraten, lassen wir das ganze Kampfbündnis mit der Seele im Stiche, und laufen, nicht mehr geheim, sondern bereits offen zum Feinde über. 59 Und wohl begreiflich; denn noch haben in uns die weibischen Gewohnheiten [27] die Oberhand und wir konnten uns noch nicht von ihnen reinigen und in den männlichen Wohnsitz hinüberlaufen, wie es von der tugendliebenden Seele, namens Sarah, erzählt wird.[101] 60 Sie wird nämlich in der heiligen Schrift so eingeführt, „als hätte sie alles Weibliche[102] verlassen“ (1 Mos. 18, 11), als sie den selbstlernenden Sprößling unter Schmerzen zur Welt bringen sollte, mit Namen Isaak. 61 Sie soll ja auch mutterlos gewesen sein,[103] da sie bloß von väterlicher, nicht aber von mütterlicher Seite Verwandtschaft besessen habe, unteilhaftig der Abstammung von einem Weibe. Denn an einer Stelle sagt jemand:[104] „Und auch in Wahrheit ist sie meine Schwester, [366 M.] vom Vater her, doch nicht von der Mutter her“ (1 Mos. 20, 12);[105] denn nicht (stammt sie) von der wahrnehmbaren Materie, die immer wieder entsteht und sich auflöst, welche diejenigen, denen zuerst das Reis der Weisheit aufsproß,[106] Mutter, Nährerin und Amme des Erschaffenen genannt [28] haben,[107] sondern von dem Urheber und Vater des Alls.[108] 62 Sie dringt deshalb mit ihrem Blicke über die ganze körperhafte Welt hinüber und wird, von der Freude in Gott erheitert, den großen Ernst, den die Menschen auf ihre Angelegenheiten im Kriege oder Frieden verwenden, zum Gelächter machen.[109]

[15] 63 Wir hingegen[110] sind noch von der unmännlichen und weiberhaften Gewöhnung an die Sinnesempfindungen, die Leidenschaften und die Sinnenwelt bezwungen und haben deswegen nicht die Kraft, uns auch nur gegen eine der Erscheinungen aufzulehnen,[111] sondern werden von allen, auch den zufälligsten, teils gegen unseren Willen, teils sogar mit unserem Willen,[112] mitgerissen. 64 Und mag auch der große Haufe von uns, seines Unvermögens überführt werden, den Geboten des Vaters dienstwillig Folge zu leisten, trotzdem wird er einen Verbündeten an der Mutter finden, an der mittleren Bildung, welche das, was als Brauch geübt wird und Rechtens zu sein scheint, in den einzelnen Staaten vorschreibt und den einen diese, den anderen jene Gesetze gibt. 65 Es gibt aber auch einige, welche über die Befehle [29] der Mutter hinwegsehen und sich mit aller Kraft an die des Vaters halten; diese hat denn auch die rechte Vernunft der höchsten Ehre, des Priesteramtes, für würdig erachtet. Gehen wir aber ihre Taten durch, auf Grund deren sie dieses Ehrenamt erlangt haben, dann werden wir uns vielleicht von vielen Spott zuziehen, die sich durch die nächstliegenden Vorstellungen täuschen lassen, die unsichtbaren und verschleierten Bedeutungen dagegen nicht verstehen. 66 Denn äußerst sonderbarer Weise sind diejenigen, denen die Gebete, die Opfer und jede heilige Handlung im Tempel anvertraut ist, Menschenmörder, Brüdertöter, die an den Leib ihrer nächsten Verwandten und besten Freunde selbst die Hand zum Morde angelegt haben, obwohl man doch (zu jenem Amte) Reine und Abkömmlinge von Reinen hätte wählen sollen, die zu keinem unfreiwilligen, geschweige denn zu einem absichtlichen[113] Blutfrevel die Hand hätten hergeben dürfen. 67 Denn es heißt: „Tötet ein jeder seinen Bruder und ein jeder seinen Nächsten und ein jeder seinen nächsten Verwandten. Da taten so die Söhne Levis, wie Moses gesprochen hatte, und es fielen vom Volke an jenem Tage gegen 3000 Mann.“ (2 Mos. 32, 27. 28). Und diese Leute, die eine so große Menge dahingerafft haben, lobt (Moses) mit den Worten: „Erfüllt habet ihr eure Hände heute dem Herrn, ein jeder an seinem Sohne oder an seinem Bruder, auf daß auf euch Segen gebracht werde“ (2 Mos. 32, 29).[114] [16] 68 Wie wäre das anders zu erklären, als daß die eben Erwähnten bloß nach dem allgemeinen Gewohnheitsrechte der Menschen schuldig sind und bloß die Gewohnheit, die Mutter, die im Staatsleben herrscht und das Volk führt, zur Anklägerin haben, dagegen nach dem Rechte der Natur freigesprochen werden, weil sie den Vater, die rechte Vernunft, zum Verbündeten haben. 69 In Wirklichkeit nämlich töten ja die Priester gar nicht, wie manche vielleicht glauben, Menschen, vernunftbegabte, aus Seele und Leib bestehende Wesen, sondern sie hauen nur aus ihrer Seele alles ab,[115] was dem Fleische verwandt und befreundet ist, [367 M.] in der Ansicht, es zieme sich für die künftigen Diener des allein Weisen, sich von allem Gewordenen abzukehren und sich gegen all dieses als ihren erbitterten Todfeind zu wenden. 70 Dies ist der Grund, warum wir „den Bruder“, nicht etwa [30] einen Menschen, sondern den mit der Seele verbrüderten[116] Leib abtöten werden, d. h. das Leidenschaftliebende und Sterbliche von dem Tugendliebenden und Göttlichen trennen werden. Wir werden auch „den Nächsten“ töten, wiederum nicht einen Menschen, sondern den Reigen und Schwarm der Sinnlichkeit; dieser ist nämlich zugleich zugehörig zur Seele und ihr feind,[117] da er ihr Köder und Fangnetze legt, damit sie, von dem Zuflusse der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände überflutet, niemals mehr zum Himmel emportauche und die geistigen gotthaften Wesen liebevoll begrüße. Wir werden auch „den nächsten Anverwandten“ töten; am nächsten verwandt aber mit der Denkseele ist die in der Sprache sich äußernde Vernunft, die mit wahrscheinlichen Bildern und Scheingründen ihr falsche Meinungen beibringt, um ihren wertvollsten Besitz, die Wahrheit, zu vernichten.[118] [31] [17] 71 Warum sollten wir also nicht auch sie (die Sprache), diesen verruchten Redekünstler, von uns abwehren und sie zum verdienten Tode verurteilen, zur Stille? – denn Stille ist der Tod der Sprache[119] – damit sie ihr sophistisches Unwesen nicht weiter treibe und der Geist von ihr nicht ins Schlepptau genommen werde, sondern völlig losgelöst von den Lüsten des „Bruders“ Körper, von dem Gaukelspiel der „nächsten“ und benachbarten Empfindungen, von den Kniffen der „nächstverwandten“ Sprache, frei und entfesselt sich in Reinheit allen geistigen Wesen nähern könne?[120] 72 Ein solcher[121] ist, „der da spricht zu seinem Vater und zu seiner Mutter“, seinen sterblichen Eltern, „ich habe euch nicht gesehen“, seitdem ich das Göttliche erblickte, „der da die Söhne nicht kennt“, seit er ein Bekannter der Weisheit geworden, „der da seine Brüder nicht erkennt“ (5 Mos. 33, 9), seit er bei Gott anerkannt und der vollkommenen Rettung für würdig befunden wurde. 73 Ein solcher[122] ist, „der die Lanze nahm“, das heißt: der das Wesen der vergänglichen Geschöpfe untersucht und erforscht,[123] deren Glückseligkeit in Speisen und Getränken aufgespeichert ist; [32] „der da“, wie Moses sagt, „in die Backstube eintritt“, das heißt: in das Menschenleben, in dem ein Übermaß von ungerechten Taten für immer unauslöschlich brennt und flammt;[124] der da ferner die Kraft aufbringt, „dem Weibe die Gebärmutter“ aufzuschneiden,[125] weil es (das Weib) die Ursache der Zeugung zu sein glaubte,[126] obwohl es doch in Wahrheit dabei mehr leidet als tut, und ebenso jedem „Menschen“ und Verstande, der dieser irrigen Ansicht folgt, die das Wirken Gottes, der alleinigen Ursache alles Werdens, den dem Leiden unterworfenen Wesen zuschreibt[127] (4 Mos. 25, 7. 8). [18] 74 Würde nicht auch dieser bei vielen Leuten für einen Menschenmörder gelten und nach der [368 M.] Gewohnheit der Weiber schuldig gesprochen werden?[128] Aber freilich, bei Gott, dem Allherrscher und Vater, wird er tausendfachen Beifalls und Lobes und unentwindbarer Kampfpreise gewürdigt werden; diese Kampfpreise sind prächtig und brüderlich vereint: Friede und Priesterwürde[129] (4 Mos. 25, 12. 13). 75 Denn es ist eine ebenso große und glänzende Leistung, den Feldzug, der in dem von den meisten Menschen geschäftig betriebenen Leben so schwer zu bewältigen ist, und den Bürgerkrieg der Begierden in der Seele beendigen zu können und dann den Frieden zu sichern, als es bewundernswert und ein würdiges [33] Ziel des Kampfes ist, nichts, nicht Reichtum, nicht Ruhm, nicht Ehre, nicht Herrschaft, nicht Schönheit, nicht Stärke, nicht alle körperlichen Vorzüge insgesamt, aber auch nicht Erde oder Himmel oder die ganze weite Welt, sondern allein die wahrhaft ehrwürdigste Ursache, der Verehrung und der höchsten Ehre für würdig zu halten und seinen Platz unter der Priesterschaft einzunehmen.[130] 76 Nicht ohne Absicht nannte ich die Kampfpreise brüderlich vereint, sondern in Kenntnis dessen, daß niemand ein wahrer Priester werden kann, der noch den Feldzug des menschlich Vergänglichen mitmacht, in dem die leeren Wahngedanken die Heerscharen führen, und niemand ein Friedensmann, der nicht ohne Falsch und in Einfalt das Wesen verehrt, das allein am Kriege nicht teilnimmt, sondern den ewigen Frieden hält.[131] [19] 77 So sind diejenigen, welche den Vater und seinen Willen ehren, um die Mutter aber und ihren Willen sich blutwenig kümmern. Den mit beiden Eltern Verfeindeten jedoch stellt (die heilige Schrift) in klarem Unterschied ihnen gegenüber, indem sie ihn[132] mit den Worten einführt: „Ich kenne den Herrn nicht und Israel entlasse ich nicht“ (2 Mos. 5, 2); denn dieser widersetzt sich offenkundig den Bestimmungen, welche die rechte Vernunft über das Verhältnis zu Gott getroffen hat, sowie den Festsetzungen der Bildung über das Verhältnis zu den Geschöpfen, und bringt alles in Verwirrung durcheinander. 78 Und auch jetzt noch – denn noch hat sich das Menschengeschlecht nicht von seiner starken Schlechtigkeit geläutert – gibt es Leute, die durchaus nicht gesonnen sind, die Pflichten der Frömmigkeit oder die gegen die Gemeinschaft zu erfüllen; ganz im Gegenteil, sie sind die Gefährten der Unfrömmigkeit und Gottlosigkeit und gegen Ihresgleichen treulos. 79 Und solche Menschen gehen um als die ärgsten Würgengel der Staaten, besorgen in ihrer Vielgeschäftigkeit eigene Geschäfte und Gemeindeangelegenheiten, vielmehr, um die Wahrheit zu sagen, sie stellen sie auf den Kopf. Diese müßte man wie eine schwere [34] Seuche, Hungersnot oder Pest oder sonst ein schlimmes Verhängnis Gottes durch Gebete und Opfer sich vom Hals zu halten suchen;[133] denn ein großes Unglück sind sie für jeden, der mit ihnen zu tun hat. Deshalb besingt auch Moses ihren Untergang; denn sie werden von ihrer eigenen Bundesgenossenschaft gefangen genommen und von ihren eigenen Wahngedanken wie von einer Brandung verschlungen (2 Mos. 14, 27. 28). [20] 80 Anschließend daran wollen wir nun über ihre Feinde sprechen, d. i. über diejenigen, welche Zucht und rechte Vernunft hochschätzen, deren in der Tugend freilich bloß halbvollkommene Gefolgsmannen [369 M.] die Anhänger nur eines Elternteiles waren.[134] Sie nun sind vortreffliche Hüter der Gesetze, die der Vater, die rechte Vernunft, gegeben, und verläßliche Bewahrer der Sitten, die ihre Mutter, die Zucht, eingeführt hat.[135] 81 Vom Vater, der rechten Vernunft, empfingen sie die Lehre, den Vater des Alls zu ehren, von der Mutter, der Zucht, das positive und bei allen konventionell geltende Recht nicht gering zu achten. 82 Als daher Jakob, der Strebende und Kämpfer in den Kämpfen um die Tugend, seine Ohren gegen Augen, Reden gegen Taten, den Fortschritt gegen die Vollkommenheit eintauschen sollte, da ihm der gebefreudige Gott ein Auge in seine Seele einsetzen wollte, damit er das klar erschaue, was er vorher bloß mit dem Gehöre aufgenommen hatte,[136] – ist doch der Gesichtssinn [35] höherem Grade zuverlässig als das Gehör –‚[137] da ertönte ihm der Ausspruch (Gottes): „Nicht Jakob soll ferner dein Name genannt werden, sondern Israel soll dein Name sein; denn kraftvoll hast du dich erwiesen mit Gott und mächtig mit den Menschen“ (1 Mos. 32, 28).[138] Jakob ist also die Bezeichnung für das Lernen und den strebenden Fortschritt, Fähigkeiten, die vom Gehör abhängen; Israel aber für die Vollkommenheit; denn Schau Gottes bedeutet dieser Name.[139] 83 Was gäbe es aber auch im Bereiche der Tugenden Vollkommeneres als das wahrhaft Seiende zu erschauen? Demgemäß hat derjenige, der dieses Gute erblickt, ohne Zweifel den Beifall beider Eltern; denn er erlangte die Stärke in Gott und die Kraft bei den Menschen. 84 Schön scheint mir auch in den Sprüchen gesagt zu sein: „Edel denken sollen sie im Angesichte des Herrn und der Menschen“ (Sprüche 3, 4), weil nur durch beide die Erwerbung des Guten vollständig gelingt; denn nur wenn du gelehrt wurdest, die Gesetze des Vaters zu beobachten und die Satzungen der Mutter nicht von dir zu weisen,[140] wirst du getrost [36] dich rühmen können mit den Worten: „Auch ich war ja ein Sohn, dem Vater gehorsam und geliebt im Angesichte der Mutter“ (Sprüche 4, 3). [21] Wie solltest du auch nicht geliebt werden, würde ich ihm da sagen, da du doch aus Sehnsucht nach der Gemeinschaft die beiden geschaffenen (Menschen) bestehenden Bräuche beobachtest, aber auch die Satzungen des Ungewordenen beobachtest aus Liebe und Eifer für die Frömmigkeit? 85 Darum wird auch der Prophet Moses durch die Verfertigung der heiligen Gegenstände im Tempel die beiderseitige Vollkommenheit zeigen; denn es muß uns zu denken geben, daß er die Lade innen und außen mit Gold umkleidet (2 Mos. 25‚ 10),[141] dem Oberpriester ein doppeltes Gewand gibt (2 Mos. 28, 4), und zwei Altäre, den einen außen für die Schlachtopfer, den anderen innen für die Räucheropfer, erbauen läßt (2 Mos. 27, 1. 30, 1); sicherlich will er doch durch diese Symbole uns die Tugenden beiderlei Art vor Augen führen. 86 Denn der Weise muß sowohl unter den in der Seele innen bleibenden, unsichtbaren (Tugenden), als unter den außen sichtbar werdenden die Zier der Einsicht besitzen, die wertvoller ist als alles Gold.[142] Und wenn er[143] sich von allen menschlichen Bestrebungen zurückgezogen hat und das allein Seiende verehrt, muß er das schmucklose Gewand der Wahrheit anziehen, an das [370 M.] nichts Sterbliches rühren soll; – ist es ja doch aus Linnenstoff, der nicht aus dem Tode geweihten Wesen erzeugt wird –;[144] wann er aber im öffentlichen Leben auftritt, muß er das innere (Gewand) ablegen und jenes andere, buntfarbige [37] und den Blick entzückende, anlegen; denn da das Leben vielfältig verschlungen ist, verlangt es einen vielseitig klugen Steuermann, der das Steuer führen soll. 87 Dieser wird nun an dem ringsum sichtbaren Altare,[145] d. h. im Leben, auch der Haut, dem Fleische, dem Blute und allem Körperlichen offensichtlich viel Sorgfalt angedeihen lassen, um sich nicht mit den vielen Tausenden zu verfeinden,[146] welche die körperlichen Vorzüge als Güter beurteilen, die sie nächst den seelischen mit dem zweiten Preise auszeichnen; am inneren Altare jedoch wird er sich lediglich mit Blutlosem‚ Fleischlosem und Körperlosem, bloß mit den Gedanken der Vernunft befassen, die mit dem Weihrauch und dem Räucherwerk verglichen werden; denn wie dieses die Nase, so erfüllen jene den ganzen Raum der Seele mit Wohlgeruch.[147] [22] 88 Man wird ferner dabei gut tun, auch das nicht zu vergessen, daß die Weisheit, die die Kunst der Künste ist,[148] sich scheinbar mit den verschiedenen Stoffgebieten ändert,[149] während sie ihre wahre Gestalt in ihrer Unwandelbarkeit den Scharfsichtigen zeigt, die sich nicht von der das Wesen umgebenden körperlichen Hülle ablenken lassen, sondern das von der Kunst selbst eingedrückte Gepräge (durch das Äußere hindurch) erschauen. 89 Vom berühmten Bildhauer Phidias[150] [38] erzählt man, er habe Kupfer und Elfenbein und Gold und andere verschiedene Stoffe zur Verfertigung seiner Statuen genommen, in ihnen allen jedoch nur eine und dieselbe Kunst zum Ausdruck gebracht, so daß nicht nur Sachverständige, sondern auch arge Laien den Künstler nach den Kunstwerken erkannten. 90 Wie nämlich die Natur oft bei Zwillingen denselben Stempel verwendet, um beinahe völlige Ähnlichkeit zu prägen, ebenso prägt auch die vollkommene Kunst – Nachahmung und Abbild der Natur,[151] – wann sie verschiedene Stoffe vornimmt, ihnen allen beim Gestalten dieselbe Idee ein, so daß hauptsächlich dadurch die Kunstwerke zu Verwandten, Brüdern und Zwillingen werden. 91 Dasselbe wird auch die dem Weisen innewohnende geistige Fähigkeit[152] zur Erscheinung bringen: denn sofern sie sich mit den Fragen des (wahrhaft) Seienden beschäftigt, wird sie Gottesfurcht und Frömmigkeit genannt, sofern mit dem Himmel und den Vorgängen auf ihm, Naturphilosophie; Meteorologie, sofern mit der Luft und all dem, was durch ihre Wandlungen und Veränderungen in der Zeit eines ganzen Jahres und seiner Teile, im Verlaufe von Monaten und Tagen, zu entstehen pflegt; Ethik, sofern mit den Fragen zur Verbesserung der menschlichen Sitten; die Arten der letztgenannten sind die Staatswissenschaft, die es mit dem Staate, die Verwaltungslehre‚ die es mit der Besorgung der Hauswirtschaft zu tun hat, die Kneipwissenschaft, [371 M.] die es mit Kneipen und Gelagen, ferner aber auch die Regierungswissenschaft, die es mit der Leitung der Menschen, und schließlich die Gesetzgebungswissenschaft, die es mit Geboten und Verboten zu tun hat. 92 All das nämlich faßt der wahrhaft vielgerühmte und vielnamige[153] Weise in [39] sich: Gottesfurcht, Frömmigkeit, Naturphilosophie, Meteorologie, Sittenbildung, Staatskunst, Verwaltungs- und Regierungskunst, Gesetzgebungswissenschaft und tausend andere Fähigkeiten, und dennoch wird man sehen können, daß er in ihnen allen nur ein einziges und das gleiche Wesen hat. [23] 93 Nachdem wir nun über die vier Gruppen der Kinder genug gesprochen haben, dürfen wir auch das nicht übersehen, was unsere Unterscheidung und Einteilung der Hauptpunkte aufs klarste rechtfertigen kann; ihren aus Unverstand überheblichen und aufgeblasenen Sohn klagten nämlich die Eltern in der Art an, daß sie sagten: „dieser unser Sohn“ (5 Mos. 21, 20); damit wiesen sie auf den ungehorsamen und widerspenstigen hin. 94 Denn durch das hinweisende Fürwort „dieser“ machen sie offenbar, daß sie auch andere Kinder haben,[154] welche teils einem Elternteile, teils beiden gehorchen;[155] wohlgeratene Gedanken, für die Ruben[156] ein Beispiel ist; andere, hör- und lernfreudige, zu denen Simeon gehört; sein Name bedeutet nämlich Gehör;[157] (andere), die sich zu Gott um Hilfe geflüchtet haben, die Schar der Leviten;[158] (andere), die das Danklied singen, aber nicht so sehr mit vernehmbarer Stimme als in Gedanken, deren Stimmführer Juda ist;[159] (andere), die wegen der [40] freiwilligen mühevollen Aneignung der Tugend mancher Belohnungen und Geschenke gewürdigt wurden, wie Issachar;[160] solche, die sich von chaldäischer Spekulation über Himmelserscheinungen zur Betrachtung des Ungewordenen bekehrt haben, wie Abraham;[161] solche, die auf Grund eigenen Hörens und Lernens die Tugend erwerben, wie Isaak;[162] solche, die von Entschlossenheit und Kraft (des Willens) erfüllt und Gott lieb sind, wie den Vollkommenen, Moses. [24] 95 Mit Fug und Recht verurteilt darum (die heilige Schrift) zum Tode durch die Steinigung den Unfolgsamen, Widerspenstigen und sich an Sammlungen Beteiligenden,[163] das heißt denjenigen, der Fehler zu Fehlern sammelt und aneinander knüpft, große an kleine, neue an alte, freiwillige an unfreiwillige,[164] und der vor Weingenuß gleichsam brennt[165] und in einem unaufhörlichen und unaufhaltsamen Rausche sein ganzes Leben versäuft und in der Trunkenheit deshalb Fehler begeht, weil er den starken und reichlichen Trunk der Unvernunft in langen Zügen geschlürft hat; denn er hat die Gebote der rechten Vernunft, des Vaters, und die herkömmlichen Anweisungen der Zucht, der Mutter, aufgehoben und obwohl er an seinen von den Eltern belobten Geschwistern ein Vorbild edler und guter Gesinnung hatte, nahm er sich deren Tugend nicht zum Muster, nein, im Gegenteil, er glaubte, er müsse sie wie zum Hohne noch mit Füßen treten; und so machte er denn aus seinem Leib einen Gott, machte einen Gott aus dem hauptsächlich bei den Ägyptern verehrten Dünkel, dessen Sinnbild die Errichtung des goldenen Stieres [372 M.] ist‚[166] um welchen die Wahnwitzigen Reigentänze [41] aufführen, singen und ein Lied anstimmen, kein liebliches Trink- und Umzugslied wie bei Festen und fröhlichen Gelagen, sondern eigentlich ihren eigenen Grabgesang, als wären sie selbst schon tot, da sie ja volltrunken wie in einem Weinrausche sind und die Spannung ihrer Seele gelöst und vernichtet haben. 96 Denn es heißt: „Als Josua hörte das Geschrei des Volkes in seinem Lärm, sprach er zu Moses: ‚Ein Kriegsgeschrei ist im Lager‘. Er aber sprach: ‚Das ist kein Geschrei von Leuten, die den Siegesruf anheben, kein Geschrei von Leuten, die ihre Niederlage ausrufen, sondern Geschrei von Leuten, die beim Weine singen, höre ich‘. Und als er dem Lager nahete, sieht er das Kalb und die Reigentänze“ (2 Mos. 32, 17–19). Was er damit dunkel andeutet, das wollen wir, so gut wir es vermögen, darlegen. [25] 97 Unser Inneres ist zeitweilig ruhig, zeitweilig ist es aber bewegt und schreit förmlich im Übermaß auf. Die Ruhe bedeutet tiefen Frieden, das Gegenteil unversöhnlichen Krieg. 98 Untrüglicher Zeuge hiefür ist, wer (solches) an sich erlebt hat; sowie er nämlich die Stimme des Volkes schreien hört, sagt er zu dem bedächtigen Aufseher seiner Handlungen: „Ein Kriegsgeschrei ist im Lager“. Solange nämlich in uns die unvernünftigen Triebe nicht erregt wurden und nicht „schrieen“,[167] ruhte der Geist ziemlich unbewegt; als sie aber die leidenschaftlichen Gefühle zusammenriefen und aufweckten und begannen, die Veste der Seele von lautem Rufen und Geschrei widerhallen zu lassen, erzeugten sie den Bürgerkrieg. 99 Krieg gibt es im „Heerlager“, sehr natürlich;[168] wo denn anders gibt es Zwist, Kampf, Streitsucht und alle möglichen Wirkungen unvernichtbaren Krieges, als in dem leiblichen Leben, das (die heilige Schrift) hier allegorisch Heerlager nennt?[169] Dieses verläßt gewöhnlich der Geist, wann er, von Gott ergriffen, zu dem Seienden selber kommt[170] und die unkörperlichen Ideen schaut. 100 Denn es heißt: „Moses nahm sein Zelt und schlug es außerhalb des Lagers auf“, und zwar nicht in der Nähe, sondern sehr ferne und „weitab von dem Lager“. (2 Mos. 33, 7). Durch diese Worte deutet (die heilige Schrift) an, daß der Weise vom Krieg zum [42] Frieden auswandert und übersiedelt, und vom sterblichen und verworrenen Heerlager zum kampflosen und friedlichen göttlichen Leben der vernünftigen und glücklichen Seelen.[171] [26] 101 Es heißt ja auch an einer anderen Stelle: „Sobald ich aus der Stadt gegangen, werde ich meine Hände ausbreiten zum Herrn, und die Stimmen[172] werden aufhören“ (2 Mos. 9, 29). Man glaube nur ja nicht, der hier Sprechende sei ein Mensch, dieses Gewebe oder dieses Flechtwerk oder diese Mischung aus Leib und Seele, oder wie man sonst dies zusammengegesetzte Lebewesen bezeichnen soll,[173] sondern der sonnenklarste, reinste Geist; ist er in der „Stadt“ des Körpers und des sterblichen Lebens eingeschlossen, dann ist er eingeschränkt, ist gefangen und wie in einem Gefängnis eingesperrt und kann, wie er unumwunden zugibt, nicht einen einzigen Atemzug in freier Luft tun; verläßt er aber diese Stadt, dann fallen die Fesseln, wie bei den Gefangenen von Füßen und Händen, bei ihm von seinen Vorstellungen [373 M.] und Gedanken, und er wird seine losgebundenen und freigelassenen Kräfte betätigen, so daß die Zurufe der Leidenschaften sofort verstummen. 102 Oder schreit etwa die Lust nicht mit angespannter Kehle ihre Rufe hinaus, durch die sie das, was ihr lieb ist, zu befehlen pflegt? Ist nicht die Stimme der Begierde unverwüstlich, wenn sie schwere Drohungen gegen die ihr nicht Willfährigen ausstößt, und ist der Lärm jeder einzelnen der übrigen (Leidenschaften) nicht vieltönig und laut? 103 Aber freilich selbst wenn jede der Leidenschaften tausend Münder und Zungen[174] in dem von den Dichtern so genannten „Kampfgetümmel“ gebrauchte,[175] wäre sie nicht imstande, die Ohren des Vollkommenen zu verwirren, wenn er seine Übersiedlung bereits vollzogen hat und entschlossen ist, nicht mehr die gleiche Stadt zu [43] bewohnen wie sie. [27] 104 Wenn daher der von diesem Erlebnis Betroffene sagt, in dem Heerlager des Körpers seien die Stimmen des Krieges insgesamt, während die dem Frieden liebe Ruhe weitab verbannt sei, so stimmt ihm die heilige Schrift zu; denn sie behauptet nicht, es sei kein Geschrei des Krieges, sondern nur kein solches, wie es nach der Meinung einiger (Leute) Sieger oder Besiegte haben, wohl aber ein solches, wie es ganz gut von Menschen kommen könne, die vom Weine beschwert und bedrückt seien. 105 Denn die Worte: „Das ist nicht die Stimme von Menschen, die ob ihrer Stärke einen Gesang anstimmen“, sind gleichbedeutend mit: „von Menschen, die im Kriege ihrer Feinde Herren geworden sind”; Stärke ist ja doch die Ursache des Siegens. Auf solche Art stimmt, wie ihn (die heilige Schrift) einführt, der weise Abraham nach der Niederwerfung der neun Könige: der vier Leidenschaften und der fünf Sinnesfunktionen,[176] die der Natur zuwider erregt wurden, ein Danklied an und sagt folgende Worte: „Ausstrecken will ich meine Hand zum höchsten Gotte, der den Himmel und die Erde gegründet, daß ich vom Faden bis zum Schuhriemen[177] nichts nehmen werde von allem, was dein ist“ (1 Mos. 14, 22. 23). 106 Er zeigt dabei, wie ich meine, auf die ganze Schöpfung, Himmel, Erde, Wasser, Luft, auf die Lebewesen zugleich und die Pflanzen; denn zu jedem von ihnen müßte derjenige, der alle Tätigkeit seiner Seele auf Gott richtet[178] und von ihm allein alle Förderung erhofft, sagen: Nichts von dem Deinen werde ich empfangen, nicht von der Sonne das Tageslicht, nicht vom Monde und den anderen Gestirnen das Licht zur Nachtzeit, nicht von der Luft und den Wolken den Regen, nicht vom Wasser und der Erde Trank und Speise, nicht von den Augen das Sehen, nicht das Hören von den Ohren, nicht von der Nase den Geruch, nicht vom Speichel im Munde das Schmecken, nicht von der Zunge das Sprechen, nicht von den Händen das Geben und Nehmen, nicht das Nahen [44] und Sichentfernen von den Füßen, nicht den Atem von der Lunge, nicht die Verdauung von der Leber, auch von keinem der anderen inneren Organe die einem jeden eigentümliche Tätigkeit, nicht von den Bäumen und Samengewächsen die jährlichen Früchte, sondern alles von dem allein Weisen, der seine wohltätigen Kräfte überall hin dehnt und durch sie nützt. [28] 107 Wer nun den Seienden sieht,[179] [374 M.] kennt den wahren Urheber,[180] stellt die Dinge, die er verursacht, bei der Schätzung in die zweite Reihe hinter ihn und gesteht ihnen so ohne Schmeichelei ihren wahren Wert zu. Und das Zugeständnis ist ganz gerecht: „Von euch werde ich nichts bekommen, sondern nur von Gott, dessen Besitz alles ist, durch euch vielleicht; denn ihr seid die Werkzeuge, die dazu da sind, seinen unsterblichen Gnadenbezeigungen zu Diensten zu stehen“.[181] 108 Der Unüberlegte jedoch, in der Denkkraft seiner Seele geblendet, mit der allein das Seiende zu erfassen ist, hat dieses nie und nimmer erblickt, wohl aber mit seinen Sinnesorganen die in der Welt befindlichen Körper, und diese hält er darum für die Ursachen alles Werdenden.[182] 109 Das ist auch der Grund, warum er Götterbilder zu gestalten begann und die ganze bewohnte Erde mit Statuen, Holzbildern und tausend anderen, in den mannigfaltigsten Stoffen verfertigten Nachbildungen angefüllt [45] hat[183] und Malern und Bildhauern, die (unser) Gesetzgeber aus dem nach seiner Verfassung eingerichteten Staate davongejagt hat,[184] große Preise und überschwengliche Ehren im privaten und öffentlichen Leben zuerkannt hat und so das Gegenteil seiner Erwartungen erreichte, nämlich anstatt Frömmigkeit Gottlosigkeit. 110 Denn die Vielgötterei bereitet in den Seelen der Toren die Gottlosigkeit vor, und an eine Ehrung Gottes denken die nicht, die das Sterbliche vergöttlicht haben; ihnen genügte es nicht, Bilder der Sonne und des Mondes und, nach Wunsch, auch der ganzen Erde und alles Gewässers zu gestalten, sondern sogar schon vernunftlosen Tieren und Pflanzen gaben sie Anteil an der Ehre der unvergänglichen Wesen.[185] Der diese (Verblendeten) tadelt, hebt auch, wie gezeigt, das Siegeslied zu singen an. [29] 111 Und Moses ganz genau so; als er sieht, wie der König Ägyptens, der überstolze Geist, mit seinen 600 Streitwagen (2 Mos. 14, 7), d. h. den sechs Bewegungsarten des organischen Körpers,[186] die den auf dem Wagen stehenden Reichsfürsten[187] angepaßt sind (2 Mos. 15, 4), welche, obwohl nichts Geschaffenes fest stehen kann, dennoch meinen, sie müßten alles als festgegründet und jedem Wandel entzogen beurteilen, die gerechte Strafe für seine Unfrömmigkeit [46] erleidet und der Tugendbeflissene hinwiederum dem Überfall der Feinde entkommt und unerwartet mit Macht errettet wird, da lobpreist er Gott, den gerechten und wahren Kampfrichter, indem er den geziemendsten und dem glücklichen Ereignisse angemessensten Gesang anhebt: „Roß und Reiter schleuderte er ins Meer“ (2 Mos. 15, 1), das heißt den Geist, der auf den vernunftlosen Regungen der vierfüßigen und zügellosen Leidenschaft einherreitet,[188] vernichtete er und ward zum Helfer und Beschirmer der sehenden Seele, so daß er sie mit der völligen Rettung begnadete.[189] 112 Derselbe[190] hebt auch beim Brunnen ein Lied an, aber nicht mehr bloß ob der Niederringung der Leidenschaften, sondern auch, weil er die Kraft aufbrachte, das herrlichste aller Besitztümer unentwindbar zu gewinnen, die Weisheit, die er mit einem Brunnen vergleicht; denn tief ist sie und nicht oberflächlich und läßt den Seelen, die (nach ihr) dürsten, das süße Naß des Edlen und Guten [375 M.] hervorquellen, den nötigsten und zugleich angenehmsten Trunk. 113 Keinem Laien in der Bildung ist es aber verstattet, diesen Brunnen zu graben, sondern bloß Königen;[191] denn es steht geschrieben: „die Steine aus ihm brachen Könige aus“ (4 Mos. 21, 16–18); die Aufgabe nämlich, die Weisheit auszuforschen und zu bewältigen,[192] haben große Führer, freilich nicht [47] (Führer), welche mit Waffen sich Länder und Meere unterjocht, sondern die mit den Kräften ihrer Seele deren verschlagenen, durcheinandergemischten und zusammengelaufenen Pöbel niedergekämpft haben. [30] 114 Ihre Lehrlinge und Schüler sind die, welche da sagen: „Deine Diener haben die Summe der Kriegsmänner, die mit uns waren, aufgenommen, und nicht ein Mann von ihnen wird vermißt; wir bringen als Opfergabe dem Herrn jeder, was er gefunden“ (4 Mos. 31, 49. 50). 115 Denn auch diese scheinen ja wiederum ein Siegeslied anzustimmen, da sie nach vollkommenen und führerhaften Kräften streben[193] – behaupten sie ja doch, sie hätten die summenbildende und höchste Zahl der tapferkeitsgemäßen Vernunftgründe aufgenommen –;[194] sie selbst haben von der Natur die Bestimmung, gegen zwei Ziele als Kämpfer auf dem Posten zu stehen, gegen das eine, zu dem die schwer heilbare Feigheit, gegen das andere, zu dem kampfwütige Tollkühnheit führt; beide aber sind der guten Einsicht unteilhaftig.[195] 116 Wunderschön ist der Ausdruck, (die Zahl) „stimme“ und niemand fehle zur Teilnahme an der vollständigen und vollkommenen Tapferkeit; denn so wie die Leier und jedes Musikinstrument schlecht gestimmt ist, wenn auch nur ein einziger Ton mißtönt, gut gestimmt dagegen, wann mit einem Anschlag alle (Töne) zusammenklingen und die gleiche Harmonie ergeben, in derselben Weise ist auch das Seeleninstrument unstimmig, wenn es durch Kühnheit mit heftiger Gewalt zum höchsten Ton gespannt wird oder durch Feigheit über die Maßen lose zum tiefsten (Ton) gelockert wird, und nur dann im Einklang, wann die Saiten der Tapferkeit und jeglicher Tugend alle wohltemperiert ein einziges harmonisches Lied erzeugen. 117 Für den Zusammenklang und die Harmonie liegt ein gewichtiger Beweis darin, daß sie Gott das Geschenk darbringen, d. h. das Seiende durch das klare Bekenntnis [48] geziemend ehren, dies ganze Weltall sei ein Geschenk von ihm;[196] 118 denn ganz der Natur entsprechend heißt es: „jedermann brachte das, was er fand, als Geschenk dar“. Jeder von uns findet aber sofort nach der Geburt das große Geschenk Gottes vor, die vollkommene Welt; denn ihr selbst und ihren besten Teilen hat er sie gnädig geschenkt.[197] [31] 119 Es gibt aber auch spezielle Gaben, die Gott [376 M.] geziemend gibt und die Menschen empfangen. Das sind wohl die Tugenden und die ihnen gemäßen Betätigungen, deren wegen der außerordentlichen Schnelligkeit des Schenkenden[[198]] fast zeitlose Entdeckung jeder an den Beschenkten anstaunt, selbst war sonst nichts Großes erfaßt. 120 Darum fragt (Isaak) auch: „Was ist es, das du so schnell fandest, Sohn?“ und wundert sich über die Plötzlichkeit der edlen Gesinnung; treffend antwortet der mit der Wohltat Beschenkte: „das, was Gott der Herr mir dargeboten hat“ (1 Mos. 27, 20); denn langsam sind Darbietungen[199] und Anleitungen durch Menschen, blitzschnell aber durch Gott, da sie selbst die schnellste Bewegung der Zeit überholen. 121 Die eben geschilderten Menschen also sind in Sieg und Macht die Vorsänger und Führer des Chores, der das Sieges- und Danklied singt, andere wieder, in Flucht und Schwäche (Führer des Chores), der ein Klagelied[200] ob der Niederlagen aufgeregt stöhnt; die letzteren sollte man weniger schmähen als bemitleiden wie Menschen mit einem von Natur aus todgeweihten Körper, für die jede beliebige Krankheitsursache ein großes Hindernis ihrer Rettung bildet. 122 Einige aber kommen zu Falle, nicht weil die Spannung ihrer [49] Seele zu locker ist, so daß sie unwillkürlich von der stärkeren Macht ihrer Widersacher erdrückt würden, sondern sie machen es so, wie die freiwilligen Sklaven, und werfen sich absichtlich unter das Joch bitterer Herren, wiewohl sie ihrer Abkunft nach Freie waren; da sie deshalb nicht (als Sklaven) verkauft werden können, kaufen sie sich selber – das ist der höchste Widersinn – Herren und schaffen sie sich an; damit tun sie dasselbe, wie diejenigen, die sich, um nur trunken zu sein, unmäßig mit Wein vollfüllen; 123 denn auch jene nehmen nach freiem Entschluß und nicht genötigt, den Rauschtrunk zu sich, so daß sie nach freiem Entschluß die Nüchternheit aus ihrer Seele schneiden und das besoffene Geschwätz vorziehen; denn es heißt: „Geschrei höre ich von Leuten, die ein Zechgelage beginnen,“ d. h. von Leuten, die nicht wider ihren Willen Wahnsinn in ihr Inneres aufgenommen haben, sondern die in selbstgewähltem Wahnwitz toben.[201] [32] 124 Jeder aber, der sich dem Lager nähert, „sieht das Kalb und die Reigentänze“ (2 Mos. 32, 19), wie auch er, (Moses), selbst es deutlich auseinandersetzt;[202] dem Hochmut nämlich und den Tänzern im Reigen des Hochmutes begegnen wir alle, die wir aus freiem Entschlusse beabsichtigen, dem Feldlager der Körperlichkeit nahezutreten; denn die Schaufreudigen und sich nach dem Anblicke der unkörperlichen Wesen Sehnenden pflegen, weil sie um die Demut ringen, sehr weit von der Körperlichkeit wegzusiedeln. 125 Bete also zu Gott, niemals ein Anführer zum Weingelage zu werden, d. i. mit Willen niemals auf dem Wege zu führen, der zur Zuchtlosigkeit und Unvernunft hinführt; denn die unfreiwilligen Übel sind nur halbe und leichter, da sie durch eine ehrliche Prüfung des Gewissens nicht belastet werden.[203] 126 Erfüllt sich aber dein Gebet, dann kannst du [50] wohl nicht länger ein Privatmann bleiben, sondern wirst das höchste aller leitenden Ämter gewinnen, das Priesteramt. Denn die Priester und Diener Gottes sind fast allein dazu berufen, [377 M.] in Nüchternheit zu opfern, weil sie sich gegen den Wein und jegliche Ursache albernen Schwatzens durch die Festigkeit ihrer Denkseele auflehnen;[204] 127 denn es heißt: „Und der Herr redete zu Aaron und sprach: ‚Wein und berauschendes Getränk sollet ihr nicht trinken, du und deine Söhne nach dir,[205] wenn ihr hineingehet in das Stiftszelt oder wenn ihr zum Altare hintretet,[206] daß ihr nicht sterbet; eine ewige Satzung für eure Geschlechter, zu unterscheiden zwischen Heiligem und Gemeinem und zwischen Reinem und Unreinem‘“ (3 Mos. 10, 8–10). 128 Aaron ist der Priester und sein Name bedeutet: „bergig“,[207] d. i. den Verstand, der erhabene und hohe Gedanken hegt, nicht wegen der von eitler Aufgeblasenheit erfüllten Überhebung der Hoffart, sondern wegen der Größe der Tugend, die sein Denken jenseit des Himmels emporhebt und ihn keinen niedrigen Gedanken fassen läßt. In solcher Verfassung wird er Wein und allem Gift des Unverstandes freiwillig niemals bei sich Eingang gewähren. 129 Denn er muß beim Betreten des Zeltes[208] die geheimen Heiligtümer tragen, um die unsichtbaren Weihen zu vollziehen oder beim Herantreten an den Altar Dankopfer für Einzelne und für die Gesamtheit[209] darbringen; beides aber erheischt [51] Nüchternheit und außergewöhnliche Geistesgegenwart. [33] 130 Mit Recht bewundern kann man wohl auch den Wortlaut jener Vorschrift. Wie sollte es denn nicht von der Ehrfurcht geboten sein, nüchtern und bei voller Selbstbeherrschung, und umgekehrt, nicht lächerlich sein, vom Wein an beidem, an Körper und Seele, entkräftet, an Gebete und Opfer zu gehen? 131 Oder sollen etwa Sklaven, Kinder und Untertanen, wenn sie zu ihren Herren, Eltern und Beherrschern gehen wollen, darauf bedacht sein, nüchtern zu bleiben, um weder in Wort und Tat einen Fehler zu machen, noch ob des Anscheines, als mangle es ihnen an Respekt für jene, Strafe oder – im glimpflichsten Falle – Spott zu verdienen ; und derjenige, der den Führer und Vater des Alls zu verehren wünscht, sollte nicht über Speise, Trank, Schlaf und alle Notdurft der Natur Herr sein können, sondern sollte zur Schwelgerei hinneigen, der Lebensweise der Schlemmer nachstreben und die Augen schwer vom Weine, den Kopf auf die Seite geworfen, den Nacken schief gewendet, vor Maßlosigkeit speiend, im ganzen Körper vor Üppigkeit zerfließend,[210] sollte er das Weihwasser für die Hände, oder Altar oder Opfer anrühren dürfen? Nein, nicht einmal aus der Ferne darf ein solcher die heilige Flamme ansehen. 132 Nimmt man jedoch an, mit Zelt und Opferaltar seien nicht die sichtbaren Dinge gemeint, die aus dem seelenlosen und vergänglichen Stoffe gebaut sind, sondern die unsichtbaren Gegenstände geistiger Betrachtung, [378 M.] deren sinnlich wahrnehmbare Abbilder jene sind, dann wird man die Anleitung noch mehr bewundern müssen. 133 Da nämlich der Schöpfer von allem ein Vorbild und ein Abbild geschaffen hat, so hat er auch von der Tugend ein Urbildsiegel gemacht und dann von diesem eine sehr ähnliche Prägung (im Abbild) eingedrückt. Das Urbildsiegel nun ist eine unkörperliche Idee, das nachgeprägte Abbild ist bereits ein Körper, seiner Natur nach zwar sinnlich wahrnehmbar, jedoch nicht zur Wahrnehmung gelangend; so wie man wohl auch sagen kann, das Holzstück, das an der tiefsten Stelle im atlantischen Ozean liegt, habe zwar von Natur die Bestimmung, verbrannt zu werden, es werde aber wohl niemals vom Feuer verzehrt werden, weil sich das Meer darüber ergießt. [34] 134 Demgemäß wollen wir uns Zelt und Altar als Symbole denken, jenes (als Symbol) der unkörperlichen Idee der Tugend, diesen (als Symbol) ihres sinnlich [52] wahrnehmbaren Abbildes.[211] Den Altar nämlich und die auf ihm liegenden Gegenstände kann man leicht sehen, weil er außen erbaut ist und in nie gelöschtem Feuer die Opfer[212] verzehrt werden, so daß er nicht nur unter Tags, sondern auch bei Nacht umleuchtet ist;[213] 135 das Zelt aber und alles, was es birgt, ist unschaubar, nicht allein deshalb, weil es ganz innen und im Allerheiligsten aufgestellt ist, sondern auch deshalb, weil derjenige, der es berührt oder aus Vorwitz seiner Augen hineinblickt, nach dem Gebot des Gesetzes unerbittlich mit dem Tode bestraft wird, es sei denn, er wäre ohne Mängel und ganz vollkommen und sein Herz bebte in keiner, weder in großer noch in kleiner Leidenschaft, sondern sein Wesen wäre ausgeglichen, vollständig und gänzlich vollkommen. 136 Diesem ist es nämlich erlaubt, einmal des Jahres (das Zelt) zu betreten[214] und anzuschauen, was den Blicken anderer entzogen ist, weil in ihm allein von allen die beflügelte und himmlische Sehnsucht nach den unkörperlichen und unvergänglichen Gütern lebt. 137 Wann er nun von der Idee erschüttert, dem Urbildsiegel, das die Einzeltugenden prägt, folgt und dabei seine gottähnliche Schönheit denkend erfaßt und ergriffen bewundert, oder wann er einer (Einzeltugend) sich nähert, die das Gepräge von jenem empfangen hat,[215] dann stellt sich Vergessenheit der Unwissenheit und der Zuchtlosigkeit, dafür aber Erinnerung an die Zucht und das Wissen sofort bei ihm ein.[216] 138 Darum heißt es: „Wein und berauschendes [53] Getränk werdet ihr nicht trinken, du und deine Söhne nach dir, wann ihr hineingehet in das Stiftszelt oder wenn ihr zum Altare hintretet.“ Mit diesen Worten spricht er nicht so sehr ein Verbot aus, als vielmehr eine Ansicht;[217] denn wer verbietet, müßte passend sagen: „Trinket keinen Wein, wenn ihr Opfer darbringt!“ Wer dagegen nur eine Ansicht äußert: „Ihr werdet nicht trinken.“ Ist es ja doch tatsächlich unmöglich, daß jemand, der sich in den allgemeinen und besonderen Tugenden übt und sich in ihrem Reigen bewegt, der Zuchtlosigkeit Eingang bei sich gestatte, der Ursache der Trunkenheit und des Rausches der Seele. 139 Das Zelt nennt (die heilige Schrift) oft[218] das „des Zeugnisses“,[219] entweder insofern der untrügliche Gott Zeuge der Tugend ist, dem anzuhangen sittliche Pflicht und nützlich ist, oder insofern die Tugend den Seelen Sicherheit dadurch verleiht, daß sie die unschlüssigen und zweideutigen Gedanken machtvoll ausschneidet und die Wahrheit im Leben [379 M.] wie in einer Gerichtshalle enthüllt. [35] 140 Wie (die heilige Schrift) ferner sagt, wird der in Nüchternheit Opfernde gar nicht sterben,[220] da nur Zuchtlosigkeit den Tod herbeiführt, Zucht aber Unvergänglichkeit; denn so wie bei unserem Körper Krankheit die Ursache der Auflösung, Gesundheit jedoch die des Wohles ist, ebenso ist bei den Seelen die Einsicht, die ja auch eine Art von Gesundheit der denkenden Seele ist, der Faktor der Erhaltung, während der des Verderbens die Unvernunft ist, die über jene (die Seele) eine unheilbare Krankheit hereinbrechen [54] läßt.[221] 141 Dies bezeichnet (die Schrift) mit ihren Worten geradezu als „das ewige Gesetz“; sie nimmt nämlich an, in der Natur des Alls sei ein unsterbliches Gesetz veröffentlicht,[222] das die Bestimmung enthalte, eine gesunde und erhaltende Sache sei die Zucht, eine Krankheit und Verderben verursachende die Zuchtlosigkeit. 142 Daneben läßt (die heilige Schrift) auch folgenden Gedanken durchblicken: das wahrhaft Gesetzmäßige ist ohne weiteres ewig; denn auch die rechte Vernunft, die eben das Gesetz ist, ist nicht vergänglich; überlebt ja auch andererseits das Gegenteil, das Gesetzwidrige, wie unter Verständigen unbestritten ist, den Tag nicht und löst sich leicht von selber auf.[223] 143 Gesetz und Zucht haben die Eigentümlichkeit, Unheiliges von Heiligem und Unreines von Reinem zu unterscheiden, so wie umgekehrt Gesetz- und Zuchtlosigkeit, gewaltsam das Widerstreitende zusammenzuführen, indem sie alles durcheinander bringt und verwirrt. [36] Deshalb wird der größte der Könige und Propheten,[224] Samuel, wie die heilige Schrift besagt: „Wein und berauschenden Trank bis zu seinem Ende nicht trinken“ (1 Kön. 1, 11);[225] denn er hat seinen Posten in der Heerordnung des göttlichen Lagers,[226] die er aus Achtung vor dem weisen Feldhauptmanne niemals verlassen wird. 144 Samuel ist wohl nur ein Mensch gewesen, hier wird er aber nicht als das zusammengesetzte Lebewesen[227] aufgefaßt,[228] sondern als Geist, der sich nur über Gottes Dienst [55] und Gottes Verehrung freut; der Name bedeutet nämlich: Gott Zugeordneter;[229] denn er glaubt ja, alle Handlungen, die in eitlem Wahne entstehen, seien eine schlimme Unordnung. 145 Dieser wird als Sohn der Anna geboren, deren Name übersetzt „Gnadengeschenk“ heißt;[230] denn ohne göttliche Gnade ist es unmöglich, die Reihen des Sterblichen zu verlassen oder im Reiche des Unvergänglichen immer zu verharren. 146 Jede Seele, die von dem Gnadengeschenke erfüllt wird, ist sofort frohgemut und lacht und hüpft vor Freude auf.[231] Sie ist ja in Verzückung, und deshalb wird vielen Uneingeweihten wohl der Gedanke kommen, sie sei trunken, gerate außer sich[232] und sei geistesgestört. Deshalb spricht zu ihr auch ein Knäblein,[233] nicht ein einziges, sondern jedes, das noch das Alter besitzt zu Umsturz und Verspottung des Edlen: „Wie lange wirst du trunken sein? Tu ab [380 M.] deinen Rausch von dir!“ (1 Kön. 1, 14.)[234] 147 Den von Gott Begeisterten nämlich pflegt nicht nur die Seele in Erregung und gleichsam in Raserei zu geraten, sondern auch der Körper sich zu röten und zu glühen, da die innerliche Freude ihn von der Starrheit löst und erwärmt und das Ungestüm des Gefühls nach außen weitergibt; davon lassen sich viele Unverständige täuschen, und mutmaßen dann, die Nüchternen seien trunken. 148 Aber trotzdem sind jene in einer Art dennoch trunken, die Nüchternen, da sie alle Güter auf einmal wie reinen Wein in sich gezogen haben und ihnen die vollendete Tugend freundlich zugetrunken hat; hingegen haben die anderen, die im Weinrausche Trunkenen, die Einsicht noch nicht gekostet und haben deshalb dauernd ein unaufhörliches Fasten und einen unaufhörlichen Hunger nach ihr. 149 Gebührend erwidert sie (Anna) daher dem Neuerungssüchtigen, der sich aus ihrem ehrwürdigen und strengen Leben ein Gespötte macht: Wie seltsam bist du! „Ich, die Rauhe, bin ein sanftes Weib,[235] und Wein und Berauschendes [56] habe ich nicht getrunken und meine Seele will ich ausschütten vor dem Herrn“ (1 Kön. [= Sam] 1, 15). Welch großer Freimut der Seele, die der Gnadengaben Gottes voll ist! 150 Zuerst nun bezeichnete sie sich selbst als „rauh, sanft“ mit einem Seitenblicke auf das höhnende Knäblein; – denn diesem und jedem Unverständigen gilt der zur Tugend führende Weg[236] für rauh, ungangbar und sehr beschwerlich, wie es auch einer von den Alten[237] mit folgenden Versen bezeugt:

Die Untauglichkeit freilich, die kannst du haufenweise dir nehmen.
Doch vor die Tüchtigkeit setzte den Schweiß ein unsterblicher Gott.
Lang und steil ist der Pfad und rauh im Beginne,
Der dich hinführt zu ihr; doch wenn du die Höhe erreicht hast,
Gehst du dann leicht auf ihm, war er auch nach so beschwerlich. –

[37] 151 sodann behauptet sie (Anna), Wein und berauschendes Getränk nicht zu sich genommen zu haben, indem sie sich ihrer ununterbrochenen, lebenslänglichen Nüchternheit rühmt; tatsächlich ist es ja auch eine große und bewundernswerte Sache, eine ungebundene, freie und ungetrübte Vernunft zu haben, die von keiner Leidenschaft im Rausch mißhandelt wird. 152 Hieraus folgt, daß der mit lauterer Nüchternheit gesättigte Geist ganz und gar ein Trankopfer wird und sich Gott darbringt. Was hießen denn die Worte: „Ausschütten will ich meine Seele vor dem Herrn“, anderes als: ich will sie ihm in ihrer Gänze weihen, will ihre Fesseln, die sie früher einschnürten und die um sie das eitle Streben des sterblichen Lebens geknüpft hatte, alle lösen,[238] will sie weit hinausführen und sie so weit erstrecken und ausgießen, daß sie auch die Grenzen des Alls berühre und zu der wunderschönen und gepriesenen Schau des Ungewordenen sich dränge?

153 Der eben geschilderte ist der Chor [381 M.] der Nüchternen, die sich die [57] Zucht zur Führerin erkoren haben, während der frühere der der Trunkenen war, dessen Anführerin die Zuchtlosigkeit war.[239]

[38] 154 Da nun die Trunkenheit nicht nur das alberne Schwatzen, das ein Erzeugnis der Zuchtlosigkeit ist, sondern auch die völlige Stumpfsinnigkeit offenbar machte, die leibliche Stumpfsinnigkeit aber vom Weine verursacht wird, die seelische dagegen durch das Nichtwissen all dessen, wovon man ein Wissen in sich aufgenommen haben sollte, müssen wir auch kurz über die Unwissenheit sprechen und wollen nur das, was hierher gehört, vorbringen.[240] 155 Welchem körperlichen Leidenszustande sollen wir denn den seelischen, welcher Unwissenheit heißt, eher vergleichen als der Verstümmelung der Sinneswerkzeuge? Wer also eine Beschädigung an Augen und Ohren erlitten hat, ist unfähig, nach etwas zu sehen oder zu hören; er kennt nicht Tag und Licht, um derentwillen allein, um die Wahrheit zu sagen, das Leben erstrebenswert ist, seine Hausgesellen sind lange Finsternis und ewige Nacht, taub ist er allem gegenüber, dem kleinen wie dem größeren; mit Recht pflegt man ihn im Leben einen Invaliden zu nennen. 156 Und wenn auch alle Kräfte des übrigen Leibes, selbst bis zur äußersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und Stärke gelangten, die Verstümmelung an Augen und Ohren stellt ihnen ein Bein und sie tun einen so tiefen Fall, daß sie sich nicht mehr vom Boden erheben können; denn was dem Menschen Stütze und festen Halt verleiht, sind wohl dem Worte nach seine Füße, in Wirklichkeit aber Ohren und Augen; hat er diese unversehrt, dann ist er wach und aufrecht,[241] ist er jedoch ihrer beraubt, dann wankt er und wird ein für alle Mal zu Boden gezogen. 157 Eine ganz ähnliche Wirkung ruft nun in der Seele die Unwissenheit hervor; sie beschädigt das Sehende und Hörende an ihr und verwehrt dem Lichte und dem Worte den Eintritt, diesem, damit es nicht aufkläre, dem anderen, damit es das Seiende nicht sichtbar werden lasse; dadurch nun, daß sie tiefes Dunkel und viel Begriffsverwirrung[242] über die Seele [58] ausgießt, macht sie die prachtvolle Schönheit der Seele zu einem stummen[243] Steine. [39] 158 Ist ja auch das Gegenteil der Unwissenheit, das Wissen, gewissermaßen Auge und Ohr der Seele; denn es lenkt den Geist auf das Gesprochene, betrachtet das Seiende und verträgt weder ein Versehen noch ein Überhören,[244] sondern besieht und berücksichtigt alles Hörens- und Sehenswerte, und auch wenn eine Fuß- und Seereise nötig wäre, dringt es bis zu den Grenzen der Erde und des Meeres vor, damit es immer noch mehr sehe oder etwas Neues höre. 159 Denn das Verlangen nach Wissen duldet kein Säumen, es ist der Feind des Schlafes und der Freund des Wachseins. Es weckt daher immer die Denkseele, rüttelt sie auf, schärft sie und zwingt sie überall hinzugehen, indem es sie lüstern macht, etwas zu hören, und indem es ihr einen unaufhörlichen Durst nach Erkenntnis einflößt. 160 Also löst das Wissen Sehen und Hören aus, durch die das richtige Handeln ermöglicht wird; denn wer sieht und hört, erkennt [382 M.] das Nützliche, und indem er es wählt, dessen Gegenteil aber zurückweist,[245] ist ihm Nutzen zuteil geworden. Unwissenheit aber bringt der Seele eine schwerere Verstümmelung bei, als es eine körperliche (Verstümmelung) wäre, indem sie die Ursache aller Vergehen wird, da sie weder etwas voraussieht noch voraushört, um von außen eine Hilfe erlangen zu können. Wegen dieser ihrer starken Vereinsamung unbewacht und unbehütet gelassen, wird sie von den erst besten Menschen und Dingen in gleicher Weise gefährdet. 161 Niemals wollen wir daher soviel Wein zu uns nehmen, daß wir unsere Sinne in Untätigkeit versetzen, niemals uns soweit dem Wissen entfremden, daß wir Unwissenheit, die große und tiefe [59] Finsternis, über unsere Seele breiten. [40] 162 Es gibt zwei verschiedene Arten von Unwissenheit: die eine einfach, die vollständige Stumpfsinnigkeit, die andere doppelt, wann jemand nicht bloß mit Unwissenheit behaftet ist, sondern auch glaubt zu wissen, was er keineswegs weiß, und sich in falschem Weisheitsdünkel überhebt.[246] 163 Das erstere Übel nun ist geringer, da es nur leichtere und fast unfreiwillige Vergehen verursacht, das letztere größer; denn es gebiert schwere und nicht nur unfreiwillige, sondern schon vorsätzliche Verbrechen.[247] 165 Darüber ist, scheint mir, Lot, der Töchtervater, am meisten in Not, der nicht die Kraft hat, in seiner Seele einen männlichen und vollkommenen Sproß groß zu ziehen; denn nur zwei Töchter hatte er von der Frau, die versteinert wurde; sie könnte man treffend mit dem Namen Gewohnheit bezeichnen. Diese ist ein wahrheitsfeindliches Wesen, und wenn man sie weiterzuführen versucht, bleibt sie zurück, sieht sich nach dem Altväterischen und Vertrauten um und bleibt wie eine leblose Säule mitten darunter stehen. 165 Von den Töchtern aber soll die ältere Ratschluß, die jüngere Zustimmung heißen;[248] denn auf die Beratung folgt die Zustimmung, aber kein Mensch berät sich noch weiter, hat er schon zugestimmt. Der Geist nimmt nun Platz in seinem Sitzungssaal und beginnt seine Töchter gründlich vorzunehmen und mit der älteren, dem Ratschlusse, alles bis ins Einzelne zu betrachten und zu durchforschen, zusammen mit der jüngeren aber, der Zustimmung, leichtfertig allem, was ihm in den Weg läuft, zuzunicken und das Feindliche wie Befreundetes zu begrüßen, wenn es ihm auch nur einen winzigen Anreiz zur Lust darbietet.[249] 166 Solches leidet der Verstand nüchtern nicht, nur wenn er im Banne der Trunkenheit und gleichsam sinnlos durch Weingenuß ist. [41] Darum heißt es: „Sie gaben ihrem Vater Wein zu trinken“ (1 Mos. 19, 33). Vollständiger Stumpfsinn (ist es), daß der Geist glaubt, er sei aus sich selbst imstande, das Zuträgliche zu beschließen [60] oder irgend einer Erscheinung zuzustimmen, als ob diese die Wahrheit sicher in sich trüge.[250] Ist ja doch die menschliche Natur nie und nimmer fähig, entweder auf Grund von Überlegung Klarheit zu gewinnen oder dieses zu wählen, weil es wahr und nützlich sei, von jenem aber sich abzukehren, weil es falsch sei und Schaden [383 M.] verursache. 167 Denn tiefe Finsternis, die über alles Sein, Körper und Dinge, ausgegossen ist, läßt es nicht zu, das Wesen jedes einzelnen Dinges zu erblicken.[251] Wenn aber jemand aus Neugier oder Wißbegier durch das Dunkel gewaltsam hindurchdringen wollte, der stößt wie die Geblendeten[252] an die Dinge, die ihm vor den Füßen liegen, an, bevor er aber noch etwas ergriffen, fällt er, ohne den Zweck zu erreichen, zurück oder er tastet sich mit seinen Händen (bis zu den Dingen),[253] berührt sie, ohne daß sie ihm deutlich werden und sucht ihr Wesen zu erraten, erwirbt aber bloß eine Vermutung statt der Wahrheit. 168 Ja, selbst wenn die Bildung mit Fackelschein voranleuchtete und den Geist geleitete und ihm ihr eigenes Licht zur Schau des Seins ansteckte, könnte sie nicht mehr nützen als schaden; denn ihr Lichtschein reicht nur eine kurze Strecke weit und muß von der großen Finsternis verlöscht werden; erlischt er aber, ist jedes Sehen unnütz.[254] 169 Wer sich jedoch prahlerisch seiner richtigen [61] Entschlüsse rühmt oder seiner ausreichenden Fähigkeit, die Dinge teils zu wählen und teils zu verwerfen, dem sind folgende Erwägungen ins Gedächtnis zu rufen:[255] Wenn die Sache so stände, daß von denselben Dingen immer dieselben unterschiedslosen Vorstellungen eintreten, so wären wir vielleicht genötigt, die zwei in uns selbst von der Natur bereiteten Grundlagen der Erkenntnis, die Sinneswahrnehmung und den Geist, als untrüglich und unbestechlich hochzuschätzen, über nichts im Zweifel zu sein und deshalb mit dem Urteil über nichts zurückzuhalten, sondern den einmaligen Erscheinungen zu trauen und die einen (Dinge) zu wählen, die anderen hinwiederum zurückzuweisen. 170 Da es sich aber zeigt, daß wir von ihnen (d. i. den Dingen) ganz verschieden berührt werden, so sind wir wohl nicht in der Lage, auch nur über eines etwas Festes auszusagen, da ja die Erscheinung nicht stille steht, sondern vielartige und vielgestaltige Wandlungen[256] durchmacht; [42] ist nämlich die Vorstellung nicht fest gegründet, dann kann auch das auf ihr beruhende Urteil nicht fest gegründet sein. 171 Ursachen dessen gibt es viele: Erstens[257] die unsäglich vielen Unterschiede, die unter den Lebewesen, nicht bloß bei einem Teile, sondern bei fast allen bestehen, Unterschiede in ihrer Entstehung und Beschaffenheit, Unterschiede in der Ernährung und Lebensweise, Unterschiede in dem, was sie wählen und verabscheuen, Unterschiede in der Betätigung der Sinnesorgane und der Erregung durch Reize, Unterschiede in den Besonderheiten der zahllosen körperlichen und seelischen Leidenszustände. 172 Aber abgesehen von den urteilenden Subjekten sehe man sich einmal einige von den Objekten[258] des Urteils an, wie z. B. das Chamäleon und den Polypen; jenes wechselt, wie man erzählt, seine Farbe und gleicht sich so dem Boden an, auf dem es gewöhnlich kriecht, dieser den Felsen im Meere, die er umklammert, weil wohl die Retterin Natur ihnen diesen vielfältigen Wechsel der Farbe als Abwehrmittel gegen ihre Gefangennahme zum Geschenk gemacht hat. 173 Und hast [62] du noch nie bemerkt, wie der Nacken der Taube[259] in den Sonnenstrahlen tausend Farben in wechselnden Abstufungen spielt? Oder nimmt er nicht eine purpurrote und dunkelblaue, feuerfarbene und dann wieder kohlenartige, ferner eine blasse und rote und sonst alle möglichen Farben an, die auch nur mit der richtigen Benennung wiederzugeben, schwer fällt? 174 Man erzählt aber auch, bei den Skythen, die [384 M.] Geloer heißen, komme selten zwar, aber es komme doch das höchst sonderbare Tier vor, das Tarandros[260] genannt wird, dem an Größe nicht viel zu einem Ochsen fehle, das aber in der Gesichtsbildung am ehesten einem Hirsche ähnele; das Gerücht behauptet, dieses verändere seine Behaarung jeweils nach den Plätzen und den Bäumen, mit einem Worte nach allem, in dessen Nähe es träte, so daß es wegen der Ähnlichkeit der Farbe von den Leuten, die mit ihm zusammentreffen, nicht bemerkt werde und dadurch mehr als durch seine Körperstärke schwer zu erjagen sei.[261] 175 Dieses und dergleichen sind doch sicher klare Beweise für die Unerfaßbarkeit der Dinge in Vorstellungen, [43] ferner aber auch die bunten Verschiedenheiten, nicht mehr der Lebewesen im allgemeinen, sondern auch im besonderen die der Menschen[262] untereinander in jeder Beziehung. 176 Denn nicht nur beurteilen sie[263] dieselben [63] Dinge jedesmal anders, sondern auch verschiedene Menschen (urteilen) verschieden, und empfangen dabei Lustgefühle und umgekehrt Unlustgefühle von den gleichen Dingen; worüber nämlich einige mißvergnügt werden, darüber freuen sich andere und dagegen wieder, was die einen als lieb und zugehörig begrüßen[264] und bewillkommnen, das wünschen andere als fremd und verhaßt weit von sich zum Henker. 177 So war ich oft schon im Theater dabei und habe selber gesehen, wie von einem und demselben Liede der auf der Bühne auftretenden Schauspieler oder Sänger ein Teil der Zuschauer so mitgerissen wurde, daß sie ganz aufgeregt unwillkürlich davon widerhallten und Beifallsrufe ausstießen, ein anderer Teil aber sich so unberührt verhielt, daß man darum hätte glauben können, sie unterschieden sich gar nicht von ihren leblosen Stufensitzen, andere wieder so heftige Abneigung empfanden, daß sie fluchtartig das Schauspiel verließen und sich überdies mit beiden Händen die Ohren ausbeutelten, damit nur ja kein Ton darin bliebe und nachhallend ihrer mürrischen und mißvergnügten Seele keine Unlust bereite. 178 Doch wozu Sprechen wir über diese Dinge?[265] Erfährt doch jedes einzelne Individuum[266] an sich selbst – höchst sonderbar! – tausend Veränderungen und Wandlungen an Körper und Seele, so daß es Dinge, die sich niemals ändern, sondern ihrer Natur nach dauernd die gleiche Einrichtung haben, bald wählt, bald von sich weist. 179 Denn nicht dasselbe pflegen Gesunde zu erleben wie Kranke, nicht dasselbe Wache wie Schlafende, nicht dasselbe Jugendkräftige wie Gealterte; und auch der ruhig Stehende empfängt freilich andere Sinnesvorstellungen als der sich Bewegende, der Mutige andere als der Furchtsame, ferner auch der Betrübte andere als der sich Freuende, und der Liebende andere als sein Gegenteil, der Hassende. 180 Doch wozu soll man bis zur Belästigung darüber viel Worte machen? Denn kurz gesagt: jede naturgemäße und ebenso jede widernatürliche [385 M.] Bewegung[267] des Körpers und der Seele wird Ursache der rastlosen [64] Flut der Erscheinungen, welche widerstreitende und widerspruchsvolle Traumbilder an uns heranwirft.[268]

[44] 181 Nicht zum wenigsten tritt die Unstetigkeit in den Vorstellungen ein, nach der Lage, der Entfernung und dem Orte, in denen sich jeweils (die Gegenstände der Wahrnehmung) befinden.[269] 182 Oder sehen wir nicht, daß die Fische im Meere, wann sie mit ausgespannten Flossen einherschwimmen, von außen immer größer, als sie wirklich sind, erscheinen? Und die Ruder kann man gelegentlich, sind sie auch noch so gerade gestreckt, unter Wasser gebrochen sehen.[270] 183 Nun erst die Gegenstände, die sich sehr weit entfernt befinden, lassen in der Regel falsche Vorstellungen entstehen und täuschen so den Geist; denn manchmal vermutet man in leblosen Dingen Lebewesen und umgekehrt in beseelten (Wesen) leblose, Stehendes scheint sich zu bewegen, und Bewegtes stillzustehen, sich Näherndes im Hintergrund sich zu verlieren, sich Entfernendes hinwiederum nahe zu kommen, sehr Langes erscheint ganz kurz, rund dagegen das Vieleckige. Und in tausend anderen Fällen verzeichnet der unbehinderte Gesichtssinn die Erscheinungen falsch, denen darum kein richtig Denkender Sicherheit zuschreiben kann. [45] 184 Und wie steht es denn mit der Menge bei den zubereiteten Dingen?[271] Durch ein Mehr oder Weniger entsteht nämlich Schaden und Nutzen, wie es neben sehr vielem anderen,[272] namentlich bei den Heilmitteln in der Arzneiwissenschaft der Fall ist. 185 Denn die Menge bei der Zusammensetzung ist nach vorgeschriebenen Grenzen bemessen; innerhalb ihrer abzuweichen ist ebenso gefährlich, wie über sie hinauszugehen, – denn ein zu Wenig mindert die Wirkung, ein Zuviel überspannt sie; und schädlich ist beides, das eine, weil es wegen der Kraftlosigkeit nicht wirken kann, das andere, weil es durch seine konzentrierte Kraft gewaltsam Schaden anrichtet, – aber durch entsprechende Glätte und Rauhheit, durch Verdichtung und Verfilzung und andererseits [65] Lockerheit und Verdünnung legt (die Arznei) die Probe ihrer Nützlichkeit und Schädlichkeit klar ab. 186 Aber auch folgendes[273] ist männiglich bekannt, daß überhaupt fast kein Ding aus sich heraus und an und für sich Gegenstand des Denkens ist, sondern nur durch Gegenüberstellung mit seinem Gegensatze abgeschätzt wird, wie zum Beispiel das Kleine im Vergleich zum Großen, das Trockene im Vergleich zum Feuchten, im Vergleich zum Kalten das Warme, im Vergleich zum Schweren das Leichte, das Schwarze im Vergleich zum Weißen, das Schwache im Vergleich zum Kräftigen und das Wenige im Vergleich zum Vielen. 187 Ähnlich steht es aber auch mit allem, was sich auf Tugend oder Schlechtigkeit bezieht: das Nützliche wird durch das Schädliche erkannt, das Schöne durch Gegenüberstellung mit dem Häßlichen das Gerechte und allgemein das Gute durch Vergleich mit dem Ungerechten und Schlechten, und wenn man alles übrige, was es in der Welt gibt, betrachtet, so kann man finden, daß es nach dem gleichen Schlage seine Beurteilung findet; aus sich heraus nämlich läßt sich kein Einzelding in seinem Wesen begreifen, aus dem Vergleich mit einem anderen aber läßt es sich anscheinend erkennen. 188 Was aber nicht fähig ist, für sich selbst zu zeugen, [386 M.] sondern der Fürsprache eines anderen bedarf, bietet keine sichere Gewähr für seine Zuverlässigkeit; und so werden auch aus diesem Grunde diejenigen, welche leichthin jedes beliebige Ding anerkennen oder leugnen, widerlegt. 189 Und was ist dabei zu verwundern? Wenn man näher an die Tatsachen herangeht und einen klareren Blick auf sie richtet, wird man zur Erkenntnis gelangen, daß kein einziges Ding sich unserer Wahrnehmung in seinem einfachen Wesen darbietet, sondern alle mit den kompliziertesten Vermengungen und Mischungen.[274] [46] 190 Zum Beispiel gleich die Farben, wie nehmen wir sie wahr? Nicht zusammen mit der Luft und dem Lichte, äußeren Dingen, und mit der Feuchtigkeit im Sehorgan selbst? Auf welche Art prüfen wir das Süße und Bittere? Etwa ohne die in unserem Munde befindlichen naturgemäßen und naturwidrigen Speichelsäfte? Doch wohl nicht.[275] Wie ferner? Die Düfte des angezündeten Räucherwerkes bringen uns doch nicht die einfache und reine Natur der [66] stofflichen Dinge nahe? vielmehr eine Mischung aus ihnen selbst und der Luft und manchmal auch des Feuers, das die Stoffe schmilzt, und der in unserer Nase wirkenden Kraft? 191 Daraus läßt sich also zusammenfassend schließen, daß wir nicht die Farben wahrnehmen, sondern die Mischung, die aus den der Wahrnehmung zugrunde liegenden Gegenständen und dem Lichte entsteht, nicht die Gerüche, sondern ein Gemengsel, das aus dem von den Körpern herfließenden Stoffe und der alles umgebenden Luft entstand, nicht die Säfte, sondern das Produkt aus dem von außen kommenden Geschmacksgegenstande und der im Munde vorhandenen flüssigen Substanz. [47] 192 Bei einer derartigen Sachlage verdienen doch diejenigen, die es leicht fertigbringen, über jeden beliebigen Gegenstand ein bejahendes oder verneinendes Urteil zu fällen, daß man sie der Einfältigkeit oder der Voreiligkeit oder leerer Prahlsucht zeihe. Denn wenn uns die einfachen wirkenden Kräfte unzugänglich sind, die gemischten und aus mehreren zusammengesetzten aber uns zwar vor den Augen liegen, ohne daß es jedoch möglich wäre, die unsichtbaren (Kräfte) zu erblicken und durch die Mischung hindurch das eigentümliche Gepräge jeder einzelnen der zusammengesetzten (Kräfte) gesondert zu erkennen, was bliebe denn übrig als notgedrungen[276] mit seinem Urteil zurückzuhalten? 193 Und rufen uns denn nicht jene Tatsachen[277] die Warnung zu, unklaren Dingen ja nicht [67] allzusehr im Voraus Glauben zu schenken, jene Tatsachen, die fast über die ganze bewohnte Welt verbreitet sind und bei Griechen in gleicher Weise wie bei Barbaren ein Irren infolge des Urteilens[278] herbeiführen? Was sind das für Tatsachen? Doch wohl die unterschiedliche Erziehung von Jugend auf, die väterlichen Bräuche und die alten Gesetze; nichts davon ist, wie zugegeben wird, bei allen gleich, sondern nach Ländern und Völkern und Städten, ja vielmehr in jedem einzelnen Dorfe und Hause, also bei Mann und Frau und kleinem Kinde in Gänze verschieden. 194 Was bei uns für häßlich gilt, ist daher für andere schön und das Anständige unanständig, das Gerechte ungerecht, und für unfromm halten sie das Fromme, für gesetzlich hinwiederum das Gesetzwidrige, ferner für tadelnswert das Lobenswerte und für straffällig das Ehrenwerte, und auch sonst alles andere für sein Gegenteil.[279] 195 Doch wozu soll jemand darüber viel Worte verlieren, wenn ihn [387 M.] andere triftigere Beweisgründe fortziehen? Freilich, wollte jemand, den seine Betrachtung nicht zu einem neuen Gegenstande führt, bei diesem vorliegenden Kapitel mit behaglicher Muße verweilen und Erziehung, Brauch und Gesetz der Länder, Volksstämme, Städte und Gegenden, Untertanen und Führer, Berühmter und Unberühmter, Freier und Sklaven, Laien und Sachverständiger einzeln durchgehen, nicht einen und zwei Tage, auch nicht einen Monat oder ein Jahr, sein ganzes Leben würde er damit verbringen, auch wenn ihm eine lange Lebenszeit zur Verfügung stünde, und trotzdem würde er dennoch vieles unerforscht, undurchdacht und unbesprochen lassen müssen, ohne dessen inne zu werden. 196 Wenn also die einzelnen Dinge bei den einzelnen Menschen nicht bloß in einer Kleinigkeit auseinandergehen, sondern die Unstimmigkeit so völlig ist, daß sie im Widerstreit einander gegenüberstehen, dann müssen doch auch die Vorstellungen, die an sie (von den Dingen) herangebracht werden, verschieden sein und ihre Urteile miteinander im Kampfe liegen. [48] 197 Wer wäre unter solchen Umständen so sinnlos und würde so närrisch daherschwatzen, um mit Bestimmtheit zu behaupten, irgend etwas sei gerecht oder vernünftig oder edel oder nützlich? Denn was dieser auch bestimmen [68] mag, das wird immer ein anderer für ungültig erklären, der gerade das Gegenteil davon von Kindheit an geübt hat. 198 Ich wundere mich gar nicht, daß der durcheinandergemengte und zusammengewürfelte Pöbel, der ruhmlose Sklave aller jemals eingeführten Bräuche und Satzungen, schon von den Windeln an[280] gedrillt, ihnen wie seinen Herren oder Tyrannen zu gehorchen, durch Faustschläge und Ohrfeigen in seiner Seele mißhandelt, unfähig, einen großen und jugendlichen Gedanken zu fassen,[281] dem einmal Überlieferten glaubt und weil er seinen Geist ungeübt gelassen hat, ohne zu forschen und ohne nachzuprüfen, Zustimmung und Ablehnung kundgibt, sondern vielmehr, daß auch die Menge der sogenannten Weisheitsfreunde,[282] die doch vorgibt, Klarheit und Wahrheit in den Dingen zu suchen, in Gilden und Cliquen zerfällt und nicht übereinstimmende, ja oft sogar entgegengesetzte Lehrmeinungen aufstellt, und zwar nicht über irgendeine belanglose Frage, sondern über fast alle, unwichtige und wichtige, auf welchen die Untersuchungen beruhen.[283] 199 Denn wie könnten die Vertreter[284] der Unendlichkeit des Weltalls sich die gleichen Begriffe von den gegebenen Tatsachen bilden wie diejenigen,[285] welche seine Begrenztheit behaupten, oder diejenigen,[286] welche die Welt für ungeworden erklären, die gleichen wie diejenigen,[287] die sich für ihre Erschaffung aussprechen, oder die Anhänger[288] einer vernunftlosen und aus eigenem Antrieb, ohne Aufseher und Leiter, sich vollziehenden [69] Bewegung die gleichen, wie diejenigen,[289] welche annehmen, es gäbe für das All und seine Teile eine wundervolle Vorsehung und Fürsorge Gottes, der es unfehlbar und zum Heile lenke und steuere? 200 Und nötigen nicht die Vorstellungen, die für die Untersuchung über das Gute in Betracht kommen, eher zur Zurückhaltung des Urteils als zu einer Zustimmung, da die einen[290] bloß das sittlich Wertvolle als das Gute ansehen und die Seele zu dessen Schatzkammer machen, während andere[291] es in mehrere Teile zerstückeln und es bis auf den Körper und die Außenwelt ausdehnen? 201 Diese behaupten, daß die vom Zufall abhängigen Glücksgüter schützende Trabanten für den Körper seien, Gesundheit aber, Kraft, [388 M.] Unversehrtheit[292] und Schärfe der Sinnesorgane und alles derartige (Körperliche) solche für die Königin Seele; drei Reihen nämlich stünden der Natur des Guten zur Verfügung; die dritte und äußerste sei die Vorkämpferin für die zweite, wenn sie weichen müßte; die zweite aber sei ein mächtiges Bollwerk und mächtiger Schutz für die erste.[293] 202 Aber auch über diese selbst (die Güter) und über den Unterschied der Lebensführung und die Ziele, auf die man alle Handlungen beziehen muß, und über tausend andere Fragen, welche die Beschäftigung mit Logik, Ethik und Physik enthält, sind unzählige Gedanken geäußert werden, jedoch bis heute herrscht über keinen von ihnen bei allen Denkern Übereinstimmung. [49] 203 Wird also der Geist,[294] wenn sich seine beiden Töchter, Ratschluß und Zustimmung, mit ihm im Beischlaf paaren, [70] nicht mit vollem Recht eingeführt als bar des Wissens infolge des Nichterkennens?[295] Denn es heißt: „Er erkannte sie nicht beim Niederlegen und Aufstehen“ (1 Mos. 19, 33. 35). 204 Denn weder Schlaf noch Wachsein, weder Ruhe noch Bewegung scheint er klar und sicher zu begreifen, sondern sogar dann, wann er am besten beraten zu sein wähnt, findet er sich am übelsten beraten, da die Dinge einen Ausgang nehmen, der den Erwartungen ganz unähnlich ist. 205 Und wenn er beschließt, etwas durch seine Zustimmung[296] als wahr zu unterschreiben, dann erntet er die durch seine Leichtfertigkeit verdiente Verurteilung, indem sich die Unglaubwürdigkeit und Unsicherheit (der Begriffe) herausstellt, denen er früher als ganz sicheren vertraute; weil also die Dinge in das Gegenteil dessen, wofür man sie in seinen Vermutungen hielt, überzugehen[297] pflegen, ist es daher am sichersten, mit seinem Urteil über sie zurückzuhalten.

[50] 206 Darüber nun haben wir genug gesprochen und wollen uns jetzt mit unserer Auseinandersetzung dem Folgenden zuwenden. Wir sagten also,[298] durch die Trunkenheit werde auch die Schlemmerei[299] sichtbar, die vielen schon vielmals gewaltigen Schaden zugefügt hat; man kann sehen, wie die ihr Verfallenen, auch wenn sie die Behälter des Leibes alle gefüllt haben, noch immer in ihren Begierden [71] unerfüllt sind. 207 Auch wenn sie infolge der Menge der verschlungenen Speisen für eine kurze Zeit übersatt geworden sind und sich wie die Ringkämpfer, die ihren Körper angestrengt haben, eine Atempause gönnen, rüsten sie sich doch wieder zu denselben Kämpfen.[300] 208 Daher versöhnt sich der König des Ägypterlandes, d. h. des Körpers,[301] trotz seinem Entschlusse, seinen Mundschenk, den Diener der Trunkenheit, in Ungnade fallen zu lassen,[302] nicht lange darauf wieder mit ihm und erinnert sich nach der Darstellung der heiligen Schrift der Leidenschaft, welche die Begierden zum Ausbruch bringt, am Tage der vergänglichen Schöpfung, nicht in dem unvergänglichen Lichte des Ungewordenen.[303] Denn es heißt: „Es war der Tag der Geburt des Pharao“ (1 Mos. 40, 20), als er den Erzmundschenk aus dem Gefängnisse zur Versöhnung[304] holen ließ. 209 Denn es ist eine Eigentümlichkeit des Freundes der Sinnlichkeit,[305] das [389 M.] Gewordene und [72] Vergängliche deshalb für glänzend[306] zu halten, weil er in Nacht und tiefer Finsternis gegenüber dem Wissen um die unvergänglichen Dinge befangen ist. Deswegen bewillkommt er sogleich die Trunkenheit, die Anführerin der Lust, und deren Diener mit offenen Armen. [51] 210 Drei Schirmherren und zugleich Diener der unmäßigen und zügellosen Seele gibt es: den Oberbäcker, den Obermundschenk und den Oberküchenmeister, deren der bewundernswerte Moses mit folgenden Worten gedenkt: „Und Pharao zürnte auf seine beiden Eunuchen, auf den Obermundschenk und den Oberbäcker‚ und er setzte sie in Gewahrsam zum Obergefängniswächter“ (1 Mos. 40, 2. 3). Aber auch der Oberkoch ist ein Eunuch; denn es heißt an einer anderen Stelle: „Josef war hinabgebracht worden nach Ägypten und es erwarb ihn ein Eunuch des Pharao, der Oberkoch“ (1 Mos. 39, 1); und wieder (an anderer Stelle): „Sie verkauften den Josef einem Verschnittenen des Pharao, dem Oberkoche“.[307] (1 Mos. 37, 36.). 211 Weshalb versieht nun weder ein Mann noch ein Weib irgendeines der erwähnten Ämter? Doch wohl nur deshalb, weil die Männer zum Säen des Samens, die Frauen zu seiner Empfängnis von der Natur gebildet sind; – ihre körperliche Vereinigung ist die Ursache des Entstehens eines Geschöpfes und des Bestandes des Alls;[308] – während es einer zeugungsunfähigen und unfruchtbaren, vielmehr einer entmannten Seele eigen ist, sich an kostspieligen Speisen und Getränken und übertriebenen Zubereitungen des Desserts zu freuen, ohne die Kraft, die wahrhaft männlichen Samen der Tugend[309] auszusäen oder die gesäeten zu empfangen und zu ernähren, und da zu sein wie ein unergiebiges und steinichtes Ackerland bloß zum Verderben dessen, was immer leben sollte. 212 Damit nun wird die gemeinnützige Ansicht aufgestellt, jeder Schöpfer der Lust sei unfruchtbar an Weisheit,[310] weil er eben [73] weder Mann noch Weib ist; denn die Fähigkeit, die zur Unvergänglichkeit bestimmten Samen zu geben oder zu empfangen, hat er nicht, wohl aber die Fähigkeit, die häßlichste Tat gegen das Leben zu begehen, nämlich zu versuchen, das Unvergängliche dem Verderben zu weihen und die unauslöschlich bleibenden Leuchten der Natur auszulöschen. 213 Keinem solcher Leute gestattet Moses, in die Versammlung Gottes zu kommen; er sagt nämlich: „Kein Gequetschter und Verschnittener soll in die Versammlung des Herrn kommen“ (5 Mos. 23 1).[311] – [52] Denn was kann es dem an Weisheit Unfruchtbaren nutzen, heilige Worte zu hören, da ihm der Glaube ausgeschnitten ist[312] und er die Kraft nicht hat, das Pfand der lebenfördernden Lehren zu bewahren? 214 Drei Wirte also des Menschengeschlechtes gibt es, den Oberbäcker, den Mundschenk und den Koch; ganz richtig;[313] denn drei Dinge streben wir zum Verbrauch und zum Genuß an: Brot, Zukost und Getränk; aber die einen nur das Notwendige, das wir zum gesunden und anständigen Leben notgedrungen[314] haben müssen,[315] die anderen aber das Unmäßige und ganz Überflüssige, das die begehrlichen Triebe hervorbrechen läßt und die Behälter des Leibes durch Überfälle beschwert und bedrückt und dadurch schwere [390 M.] Krankheiten mannigfaltiger Art zu erzeugen pflegt. 215 Die einen nun führen als Laien der Lust, Begierde und Leidenschaften, gleichwie die gemeinen Plebejer in den Staaten, ein Leben frei von Haß und Belästigung, und weil sie nur weniges bedürfen, brauchen sie keine routinierten und übertrieben kunstgeübten Diener, sondern solche, die ihren Dienst kunstlos verrichten, Köche, Weinschenken und Brotbäcker. 216 Die anderen dagegen halten ein Leben in Lust für eine Herrschaft und ein Königreich, [74] setzen alles, Unwichtiges und Wichtiges, zu diesem in Beziehung und verlangen deshalb Oberküchenmeister und Obermundschenken und Oberbäcker in ihren Diensten zu haben, das heißt Leute, die in jedem Zweige ihres Berufes zur höchsten Vollendung ausgebildet sind. 217 Denn die buntesten Sorten von Gebäck aus Getreide, von Honigkuchen und von anderem zahllosen Backwerke, Sorten, die nicht nur durch die Verschiedenheit des Teiges, sondern auch durch die Art der Zubereitung und durch die Form zur Berückung nicht nur des Geschmackes, sondern sogar des Gesichtes mit überflüssiger Mühe verfertigt sind, besorgen die hervorragenden Meister der Bäckerei. 218 Was mit der Prüfung des Weines zusammenhängt, wie er sich schneller im Körper verteile und kein Kopfweh verursache und im Gegenteil[316] mit Blüten und wohlriechenden Gewürzen zu versetzen sei, ob er die Mischung mit viel oder wenig Wasser vertrage,[317] ob er zu einem starken und kräftigen oder zu einem milden und leichten Getränke[318] geeignet sei, und alles derartige gehört zu den Obliegenheiten der Obermundschenken, die hierin die denkbar äußerste Vollkommenheit in ihrer Kunst erreicht haben. 219 Gewandt in der abwechslungsreichen Zubereitung und im Anrichten von Fisch, Geflügel und ähnlichem sowie in der schmackhaften Würzung aller anderen Zukost sind die Kochkünstler, hochgelehrt in ihrer Wissenschaft; sie sind tüchtig, abgesehen von all dem, was sie gehört und gesehen haben, auf Grund ihrer steten Übung und Beschäftigung mit den Erfordernissen eines schwelgerischen und üppigen, eines nicht lebenswerten Lebens, tausend andere (Gerichte) neu zu ersinnen.

[53] 220 Diese alle freilich sind, wie sich gezeigt hat, Eunuchen, Unfruchtbare in der Weisheit; aber ein Mundschenk war es, mit dem der den Bauch beherrschende Geist,[319] seine Versöhnungsfeier begeht; denn außerordentlich liebt das Menschengeschlecht den Wein und [75] diesem gegenüber allein ist es ganz besonders unersättlich; vom Schlafe nämlich, vom Essen, vom Liebesgenusse und dergleichen wird schließlich doch jeder satt und befriedigt, vom Weine aber fast niemand und am wenigsten diejenigen, die sich in diesem Fache üben; 221 denn auch nachdem sie getrunken, haben sie noch immer Durst; sie fangen mit ziemlich kleinen Bechern an, gehen dann aber bald zum Auftrag über, aus größeren Kannen einzuschenken; sind sie aber erst leicht angeheitert und warm geworden, verlieren sie bald die Herrschaft über sich und leeren gleich Weinschöpfer, große Pokale und ganze Mischkrüge voll Weines in einem einzigen Zuge, [391 M.] bis sie entweder von tiefem Schlafe bezwungen werden oder bis der ganze Hohlraum ihres Leibes angefüllt ist und jeder weitere Schluck übersprudelt. 222 Aber auch dann noch ist trotzdem der unstillbare Trieb in ihnen immer noch gleichsam gierig und voll Verlangen: „denn vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock“, wie Moses sagt, „und ihre Weinrebe aus Gomorrha; ihre Traube ist die Traube der Galle und ihre Beere die der Bitterkeit; Wut der Drachen ihr Wein, unheilbare Wut der Nattern“ (5 Mos. 32, 32. 33). Der Name Sodom aber bedeutet Unfruchtbarkeit und Blindheit,[320] mit dem Weinstock jedoch und seinen Erzeugnissen vergleicht er (Moses) die der Trunksucht, der Gefräßigkeit und den häßlichsten Lüsten Unterliegenden. 223 Worauf er damit anspielt, ist wohl folgendes: In der Seele des Schlechten wächst das Gewächs des wahren Frohsinns[321] nimmer; denn die Wurzeln, die sie hat, sind nicht gesund, sondern sind verbrannt und eingeäschert werden, als der Himmel statt Wassers die Blitzesflammen Gottes unauslöschlich regnen ließ, der das Strafgericht an den Gottlosen herrlich vollzog; wohl aber (wächst in der Seele des Schlechten das Gewächs) der unbeherrschbaren Begierde, welche, bar aller Frucht des Edlen und blind für alles Schauenswerte, mit dem Weinstocke verglichen wird, aber nicht etwa mit der Mutter edler[322] Früchte, sondern mit einem solchen, welcher Erbitterung, [76] Schlechtigkeit und Tücke, Zorn, Wut und aufbrausende Sinnesart trägt; er (der Weinstock) verwundet die Seele nach Art von giftigen Vipern und Nattern durch seinen Biß völlig unheilbar. 224 Diese von uns abzuwenden, wollen wir den allgütigen Gott im Gebete anflehen‚ damit er diesen wilden Weinstock vernichte und über alle die Eunuchen und an Tugend Unfruchtbaren ewige Verbannung aus ihrem (der Tugend) Reiche verhänge, dafür aber in unsere Seelen die edlen Bäume der richtigen Bildung pflanze und uns mit edlen und wahrhaft männlichen Früchten und Vernunftkräften begnade, kräftig genug, um edle Taten zu säen, kräftig genug, um die Tugenden zu mehren, und hinreichend genug, um ihre enge Verwandtschaft mit der Glückseligkeit zu erhalten und zu bewahren für und für.


  1. Gemeint sind die verschiedenen Ansichten griechischer Philosophen über das Problem: εἰ μεθυσθήσεται ὁ σοφός, von denen wir einen Teil in Philos Schrift: Uber die Pflanzung Noahs § 142–177 lesen.
  2. D. i. im 1. Buche „Ü. d. Trunkenheit“, von dem uns ein Teil in den §§ 139–177 der Schrift Ü. d. Pflanzung Noahs enthalten ist; dort ist § 141 auf unsere Abhandlung verwiesen, mit deren ersten Worten Philo hier auf jene Stelle zurückgreift.
  3. Νομοθεσία, auch Über die Landwirtsch. § 2 u. ö., bezeichnet den Pentateueh oder die in ihm enthaltenen Gebote und Satzungen.
  4. Wie im folgenden den Wein, so betrachtet Philo an anderen Stellen auch den Weinstock als Symbol der ἄνοια, ἀφροσύνη und der εὐφροσύνη. Vgl. Philonis op. VII Leisegangs Index verborum s. v.
  5. Dem Nasir ist während der Zeit der Weihe der Genuß alles dessen, „was vom Weinstock bereitet wird“, verboten; ist die Zeit seiner Weihe jedoch voll, darf der Geweihte Wein trinken (4 Mos. 6, 20). – Über das Gelübde des Nasir s. I. Heinemann: ‘Philos Lehre vom Eide’ in: „Iudaica, Festschr. zu Herm. Cohens 70. Geburtst.“ S. 114.
  6. Ausführlicher bespricht Philo diese Bibelstelle § 127ff. unserer Abhandlung.
  7. Die hier angekündigte Einleitung ist mit § 10 zu Ende; der Ausdruck ἀκριβωτέον erinnert an Philos Versprechen: Über die Pfl. Noahs § 141: ἐπ’ ἀκριβείας (s. oben Anm. 2).
  8. § 4 leitet zur allegorischen Erklärung über.
  9. Abweichend von Wendlands Textgestaltung halte ich an der Überlieferung der Handschriften fest und interpungiere folgendermaßen: τοῦ ληρεῖν καὶ παραπαίειν, ἀναισθησίας παντελοῦς, ἀπληστίας ἀκορέστου καὶ δυσαρέστου, εὐθυμίας καὶ εὐφροσύνης τῆς τἄλλα περιεχούσης καὶ πᾶσι τοῖς εἰρημένοις ἐμφαινομένης γυμνότητος,… (Ἐπιτύμβιον, H. Swoboda dargebracht, S. 15f.).
  10. 1 Mos. 9, 21; vgl. Alleg. Erkl. II § 60.
  11. Zwei Stellen bei den Propheten, wo von μεθύειν ἄνευ οἴνου, οὐκ ἀπὸ οἴνου gesprochen wird, zitiert Jos. Kroll, Die Lehren d. Hermes Trismegistos S. 378, 2.
  12. Die Stoiker zählten sowohl λήρησις und ληρεῖν (StVF III 163, 11. 179, 16. 20) als auch ἀφραίνειν (StVF III 136, 22) zu den ἁμαρτήματα.
  13. Unter ἀπαιδευσία versteht Philo nach weit verbreitetem Sprachgebrauch nicht bloß den Mangel intellektueller Bildung, sondern auch Unerzogenheit und geradezu Zuchtlosigkeit; das hebt er hier selbst in der Parenthese hervor. Sowie Plato im Phädrus 241 C der παίδευσις das höchste Lob zollt (πρὸς τὴν τῆς ψυχῆς παίδευσιν, ἧς οὔτε ἀνθρώποις οὔτε θεοῖς τῇ ἀληθείᾳ τιμιώτερον οὔτε ἔστιν οὔτε ποτὲ ἔσται), so sieht Philo in der ἀπαιδευσία § 12 τὸ ἀρχέκακον τῶν ψυχῆς ἁμαρτημάτων; denn nach De fuga et invent. § 14 ist ὄντως ἐχθρὸν φύσει WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt παιδεία ἀπαιδευσίᾳ; vgl. Über die Trunkenh. § 140. Dementsprechend finden wir παιδεία bei Philo oft in der Bedeutung „Zucht“; z. B. Über d. Nachkommen Kains § 97: ἡ δὲ ῥάβδος παιδείας σύμβολον, Alleg. Erkl. II 89. 90 u. a.
  14. Zweck der Ethik ist nicht die bloße Erwerbung der Tugend, sondern auch ihre praktische Anwendung; Über d. Nachstellungen § 60: χρῆσις καὶ ἀπόλαυσις ἀρετῆς τὸ εὔδαιμον, οὐ ψιλὴ μόνον κτῆσις; vgl. De mut. Nom. § 75, Über die Einzelges. III § 186.
  15. Die dreifache Art der γυμνότης wird von Philo Alleg. Erkl. II § 53 bis 64 erörtert. Noch ausführlicher wird er sich, nach den Eingangsworten der Schrift „Über die Nüchternheit“ zu schließen, in dem verlorenen Teil des 2. Buches „Über die Trunkenheit“ darüber verbreitet haben. Hier oben gibt er eine andeutende Disposition des Inhaltes des ganzen 2. Buches „Über die Trunkenheit“.
  16. Die Schwierigkeit, welche die Worte ἄγνοια τῶν ἐναντίων bieten, durch Ergänzungen des Textes aus dem Wege zu räumen, verbietet der philonische Ausdruck ἐπιστήμη τῶν ἐναντίων (Über d. Unveränd. Gottes § 24; Quis rer. div. her. § 207). Philo gebraucht τὰ ἐναντία, abgesehen von der logischen Bedeutung dieses Wortes, im Sinne der Theorie Heraklits, z. B. Quis rer. div. her. § 213f. oder im Sinne der pythagoreisch-platonischen Lehre von den Gegensätzen (ἐναντιότητες) z. B. Über d. Unveränderl. Gottes § 24. – Der Dualismus herrscht in Philos Weltanschauung so vor, daß das Bewußtwerden des Gegensatzes zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch, Geist und Sinnlichkeit, Gut und Böse zu den wesentlichsten Forderungen seiner Ethik gehört; die Unkenntnis der Gegensätze wird an unserer Stelle als γυμνότης bezeichnet.
  17. Das ist die dritte Bedeutung des Begriffes γυμνότης, die Philo Alleg. Erkl. II § 64 angibt.
  18. Die Tugend ist ähnlich wie De fuga et invent. § 110 als Gewand aufgefaßt.
  19. Das Bild vom Aus- und Ankleiden ist durch die Vorstellung der γυμνότης hier ebenso bedingt, wie in dem Abschnitte Alleg. Erkl. II 53f. – Über die weite Verbreitung des Gleichnisses s. Wendland‚ Hermes LI. (1916) S. 482 und Anm. 3.
  20. Plato Phädon 60B.: ὥσπερ ἐκ μιᾶς κορυφῆς συνημμένω δύ᾽ ὄντε; aber nicht nur diese Redensart, sondern auch der Gegensatz und die Feindschaft des ἡδύ und λυπηρόν geht auf diese Stelle Platons zurück.
  21. Tugend und Laster sind nach stoischem Monismus Zustände des leitenden Seelenteiles: τὸ ἡγεμονικὸν διόλου τρεπόμενον καὶ μεταβάλλον κακίαν τε γίνεσθαι καὶ ἀρετήν StVF III 20. Dieses Umschlagen der Tugend ins Laster und umgekehrt, soll hier die Koexistenz der Gegensätze ausschließen.
  22. Das Bild erinnert zwar an Homer Ilias 18, 437; Odyssee 14, 175; aber die Vorstellung, die Tugend sei ein Gewächs der Seele, begegnet bei Philo öfter; z. B. Über d. Landwirtsch. § 18, 25.
  23. Der gleiche Gedanke findet sich in einem Fragment, dessen Platz bei Philo Tischendorf nicht bestimmen konnte (Philonea, S. 154 Nr. 9): Κακίας ἔξοδος ἀρετῆς εἴσοδον ἐργάζεται, ὡς καὶ τοὐναντίον ὑπεκστάντος ἀγαθοῖ τὸ ἐφεδρεῦον κακὸν εἰσέρχεται.
  24. Das ἦλθεν der LXX ändert Philo in ἧκεν, um die Schnelligkeit des Eintrittes Esaus auszudrücken; die Ablösung Jakobs durch ihn erfolgt unverzüglich.
  25. Jakob, ὁ ἀρετῆς ἀσκητής, ist im Gegensatze zu Esau als ἀφροσύνης ἀντίπαλος bezeichnet (Über Belohn. u. Straf. § 59), Esau ἄφρων (De congr. erud. gr. § 175), ἀφροσύνης ἐπώνυμος (Über d. Geburt Abels § 17) genannt und mit der ἀφροσύνη gleichgesetzt (Über d. Nüchternheit § 26). – In Verbindung mit der γυμνότης, wie hier, kommen beide Brüder Alleg. Erkl. II § 59 vor.
  26. Oben § 6.
  27. Gegen Wendland (Neu entdeckte Fragmente Philos S. 20) lese ich: ἐκδιδοῦσαι; die Begründung s. Wiener Studien XLIV. S. 220.
  28. Das Bild vom trinkbaren und salzigbitteren Wasser stammt aus Platos Phädrus 243 D; vgl. 235 C/D. Über die Nachahmung bei Späteren s. Stallbaum zur letzteren Stelle. Philo gebraucht es wie hier auch Über d. Nachkomm. Kains § 155, teilweise § 125 u. ö.
  29. Vgl. Ü. d. Einzelges. II 239f.
  30. Philon denkt hier wohl im Gegensatz zur Ansicht der Stoiker (StVF III 731) an ähnliche Beispiele von Elternfürsorge aus der Tierwelt, wie er Über d. Dekalog § 116ff. eines von den Störchen erzählt; dort heißt es αὐτοδιδάκτῳ τῇ φύσει, ebenso Über d. Pflanz. Noahs § 110; so wie hier aber ἀδιδάκτῳ τῇ φύσει Über d. Dekalog § 59. (Über die fast poetische Enallage des Adjektivs vgl. Wendland‚ Krit. u. exeg. Bem. zu Philo, Rh. Mus. 53, S. 1).
  31. Die Unerzogenen und Zuchtlosen § 13 Anf.
  32. Die LXX hat abweichend von Philo V. 21: οἱ ἄνδρες τῆς πόλεως αὐτοῦ ἐν λίθοις, καὶ ἀποθανεῖται. Die letzten Worte dieses Verses: καὶ οἱ ἐπίλοιποι ἀκούσαντες φοβηθήσονται. zitiert Philo nicht mehr. Darüber vgl. Adler, Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης (Wiener Studien XLIII, S. 94, 1). – Die biblische Mahnung, „das Böse“ anzurotten, bezieht die LXX auf „den Bösen“, s. § 28f.
  33. Das von Philo so oft und gern gebrauchte Bild geht auf Plato zurück (Phädrus 246 A/B u. a.).
  34. Hier ist ἔκστασις in der ersten der von Philo, Der Erbe des Göttlichen § 249 aufgezählten Bedeutungen gebraucht; s. die Anm. zu Alleg. Erkl. II § 19. – Über die Abhängigkeit von Plato vgl. Leisegang, Der heilige Geist S. 166.
  35. Philo spielt hier mit der Etymologie φίλεριςἐρεθίζων.
  36. Philo liebt es, Vorzüge, öfter aber Fehler und Sünden gegeneinander abzuwägen und graduelle Unterschiede zwischen ihnen festzustellen; zwei der häufigsten Anschauungen sind diese: „Der Gedanke ist noch nicht so schlimm wie die Tat“ (Alleg. Erkl. II 61f.). „Der unfreiwillige Fehler ist nicht so schwer wie der freiwillige“; s. § 125 Über die Trunkenh. u. Anm. Ein ähnliches Schema ist das oben angewandte: „Der passive Widerstand ist nicht so schlimm wie der aktive“.
  37. Nämlich Pharao, der De somn. II § 183 ἀντίθεος νοῦς genannt wird. – Derselbe Bibelvers wird in unserer Schrift nochmals § 77 verwendet.
  38. Diese Worte klingen an den bekannten Satz des Sophisten Gorgias von der Gottheit an: πρῶτον ὅτι οὐδὲν ἔστιν, δεύτερον ὅτι εἰ καὶ ἔστιν, ἀκατάληπτον (Diels VS. II³ S. 243, 5; vgl. S. 244, 30 ὅτι δὲ κἄν ᾖ τι, τοῦτο ἄγνωστόν τε καὶ ἀνεπινόητόν ἐστιν).
  39. Ἐπαινετὸν καὶ συμφέρον sind bei den Stoikern Prädikate des ἀγαθὸν (καλόν) und der ἀρετή, wie ἀλυσιτελὲς καὶ ψεκτόν vom Gegenteile.
  40. Musonius äußert sich in ähnlicher Weise: ἄμφω διαφθείρει, ψυχήν τε καὶ σῶμα, σώματι μὲν ἀσθένειαν καὶ ἀδυναμίαν, ψυχῇ δὲ ἀκολασίαν καὶ ἀνανδρίαν ἐμποιοῦν. Über die Verbreitung des τόπος in der Diatribe vgl. Wendland, Philo u. d. kyn.-stoische Diatribe S. 13, 5. – Die Dreiteilung χρήματα, σώματα, ψυχάς geht auf Platos Phädrus 241 C und die aristotelische Ethik zurück.
  41. Vgl. Über d. Trunkenheit § 214.
  42. Die Denkseele, von Philo einmal τῆς ψυχῆς κεφαλὴ genannt (De somn. I § 128), ist der beste Teil in uns (De fuga et invent. § 148), der göttlichste (Über die Nachstellungen § 29); denn: πᾶς ἄνθρωπος κατὰ τὴν διάνοιαν ᾠκείωται λόγῳ θείῳ (Über d. Weltschöpfung § 146).
  43. Im Griechischen präludiert das Wort ἀποκόπτοντες der Erklärung des Ausdruckes der LXX συμβολοκοπῶν, dem zuliebe Philo auch im folgenden § 24 Abraham und Amalek zitiert.
  44. Die vier platonischen und stoischen Kardinaltugenden.
  45. Die deutsche Sprache hat kein Wort, das den Doppelsinn von συμβολοκοπῶν bezeichnen könnte; die freie Wiedergabe: „zusammenschießen“ soll sowohl das Beisteuern wie das Niederhauen im militärischen Sinne andeuten.
  46. D. i. Jakob, mit dem Philo das Volk Israel identifiziert.
  47. Der Gegensatz zwischen Abraham und den Königen wird in unserer Schrift § 105 erwähnt, der Kampf zwischen Israel und Amalek Alleg. Erkl. III § 186 erklärt und gedeutet.
  48. Philo zitiert nicht wörtlich; die LXX übersetzt: οὐκ ἔσῃ μετὰ πλειόνων ἐπὶ κακίᾳ.
  49. Philo liest aus dem Bibelvers den Glauben an die Schlechtigkeit der „Menge“, d. h. der Mehrzahl der Menschen, heraus. Dieser Gedanke ist altes Gemeingut griechischer Lebensweisheit. Schon dem Bias wird der Ausspruch zugeschrieben: οἱ πλεῖστοι ἄνθρωποι κακοί. (Diels VS. 73a ς) und der Aristokrat aus ethischer Überzeugung, Heraklit, sagt: διδασκάλῳ χρείωνται ὁμίλῳ οὐκ εἰδότες ὅτι οἱ πολλοὶ κακοί, ὀλίγοι δὲ ἀγαθοί (Diels VS. B 104 [77]). Bei Philo hat die Ansicht von der Häufigkeit des Bösen und Seltenheit des Guten nichts zu tun mit der von den Stoikern behaupteten Seltenheit des Idealweisen, sondern entspringt seinen pessimistischen Anschauungen über alles rein Menschliche.
  50. Über das Verhältnis der ἀπαιδευσία zum ἀφραίνειν (= ἀφροσύνη) und ληρεῖν s. oben § 5. 6.
  51. Das Bild vom Verbrennen der Seele ist hier hervorgerufen durch die eigentümliche Etymologie Philos οἰνοφλυγεῖν = οἴνῳ φλέγεσθαι; s. auch weiter unten § 29: ἀκράτῳ φλεγόμενον, dem hier ἀναφλέγεσθαι entspricht.
  52. S. die letzte Anm. zu § 14.
  53. Die Überlieferung des Textes ist gegen die von Wendland vorgeschlagene Änderung in den Wiener Studien XLIII S. 93f. verteidigt und von mir ebda. 94, 1 interpretiert worden. – Strafen zu dem gleichen Zwecke finden wir bei Philo öfter; z. B. Über Belohnungen und Strafen § 133: πρὸς νουθεσίαν τῶν δυναμένων σωφρονίζεσθαι.. Darin berührt er sich mit der von der Stoa gelehrten Ansicht über den Zweck der Bestrafung Schlechter durch die Gottheit: ταῦτά φησι τοὺς θεοὺς ποιεῖν, ὅπως τῶν πονηρῶν κολαζομένων οἱ λοιποὶ παραδείγμασι τούτοις χρώμενοι ἧττον ἐπιχειρῶσι τοιοῦτόν τι ποιεῖν (StVF II 1175). Über Gottes Güte als das Motiv dieses Zweckes äußert sich Philo De providentia I 54: monitionis enim causa ita disponit providentia, nolens penitus delere genus humanum, ac terrorem praebet...
  54. Wie Philo Über die Einzelges. II § 232 ausführt, erfordert die Schwere der Strafe, daß sie nicht von Vater oder Mutter allein, sondern von beiden gemeinsam verhängt werde; vgl. die Anm.
  55. Die Bezeichnung δημιουργός für den Weltschöpfer hat Philo aus dem platonischen Timaeus entlehnt; bei ihm bedeutet freilich der Begriff etwas anderes als bei Plato.
  56. Schon von Homer an ist den Griechen die Auffassung des obersten Gottes als des Vaters der Götter und Menschen geläufig. Der Vergleich der Gottheit mit einem Vater ist nach Aristoteles auch bei Philosophen gebräuchlich, die „wohl dank der weiteren Ausbildung der teleologischen Naturbetrachtung und der Anlehnung an Plato ... und Aristoteles die ethische Fassung des Gottesbegriffes und die Idee eines persönlichen Gottes mehr hervortreten lassen“. Wendland, Philos Schrift ü. d. Vorsehung S. 51, 2. – Warum Philo Gott den Vater des Alls nennt, gibt er selbst Über d. Cherub. § 49 an: τῶν συμπάντων πατὴρ ἅτε γεγεννηκὼς αὐτά; dem entspricht Über d. Trunkenh. § 30 πατέρα εἶναι τοῦ γεγονότος, De mut. nom. § 29 und Über d. Unveränderl. § 30. Die gleiche Anschauung wie Philo vertritt Plutarch in den Quaest. Platon. (1001 B) im 2. ζήτημα: ὁ θεὸς … εἰκότως ἅμα πατήρ τε τοῦ κόσμου … καὶ ποιητὴς ἐπονομάζεται; vgl. Philo, Leben Mosis II 48 und die bei Bréhier² S. 74, 3 angemerkten Stellen. Philos Vorstellungen über den Weltschöpfer laufen denen des Neupythagoreismus parallel, der hier auf Platos Timaeus zurückgreift.
  57. Die ἐπιστήμη des Schöpfers ist mit der σοφία an anderen philonischen Stellen identisch (vgl. E. Bréhier, Les idées philosophiques et religieuses de Philon d’Alexandrie² S. 117, 4; 119). Diese Identität kann man auf Sokrates zurückführen, s. Plato, Theaet. 145 E und Xenophon Mem. IV 6, 7. Zu verstehen haben wir die Mutter des Kosmos als die μετάρσιος καὶ οὐράνιος σοφία, πολλοῖς ὀνόμασι πολυώνυμος οὖσα Alleg. Erkl. I 43 Anm.
  58. Die Bedeutung dieses Zusatzes, den ich gegen R. Reitzenstein, Poimandres, S. 41, 2 in den Wiener Studien XLIV S. 221 verteidigt habe, erhellt aus Über d. Cherubim § 50.
  59. „Die Attribute ,einziger‘ und ,geliebter‘ (μόνος, ἀγαπητός) treten in der mystisch-religiösen Literatur der Spätantike – der Heiden ebenso wie der Christen – bei Göttersöhnen oder deren Hypostasen auf.“ Leisegang zu Über d. Unveränderl. Gottes § 4.
  60. Auf die religionsgeschichtliche Bedeutung dieser Stelle hat R. Reitzenstein, Poimandres S. 41f. hingewiesen.
  61. Die LXX haben statt ἐκτήσατο die Lesart ἔκτισε. Auf den gleichen Bibelvers spielt Philo Über die Tugenden § 62 an.
  62. Zur Bezeichnung „Amme“ vgl. § 61.
  63. Diesen Gedanken variiert der Schriftsteller mit Vorliebe, z. B. De somn. I § 143. Über d. Nachkomm. Kains § 144, 145; allgemeiner gefaßt Alleg. Erkl. III 539.
  64. Die Urkräfte des göttlichen Wesens werden in die wohltätige Kraft (χαριστικὴ δύναμις) Gottes (θεοῦ) und in die ahndende Kraft (κολαστική) des Herrn (κυρίου) zerlegt, s. Der Erbe des Göttl. § 166. Erwähnung der κολαστικαὶ WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt δυνάμεις an anderen philonischen Stellen führt Leisegang zu Über d. Riesen § 47 an. Vgl. die Einleitung zum 1. Bd. S. 19.
  65. In platonischer Manier wird den idealen Eltern, θεὸς und σοφία, ein graduell tiefer stehendes Elternpaar, ὀρθὸς λόγος und παιδεία, untergeordnet; aus frommer Scheu wird das erste Paar von der Erörterung ausgeschlossen.
  66. Während Gott selbst sich mit der vollkommenen σοφία (ἐπιστήμη) oder mit der ἀρετή in einer Art ἱερὸς γάμος zur Zeugung verbindet, ist hier die menschliche Seele ein Kind des stoisch gedachten λόγος ὀρθός. Sein Gebot ist das Ziel der stoischen Ethik: ἀκολουθεῖν τῇ φύσει. Zum λόγος ὀρθός, der von den Stoikern dem λόγος τῆς φύσεως gleichgesetzt wird und mit dem Naturgesetz (φύσει νόμος) zusammenfällt, tritt in der seit der Sophistenzeit herkömmlichen Antithese das konventionelle, positive Recht der einzelnen Staaten in Gegensatz, welches Philo hier als Gebot der Mutter auffaßt. Die Mutter selbst, eine degradierte σοφία, bezeichnet er als μέση καὶ ἐγκύκλιος παιδεία. (Ausführlicher spricht sich Philo, ganz im Sinne der Stoa, über das natürliche und konventionelle Recht aus Über Joseph § 29ff. vgl. Arnim StVF III 323; man vgl. überdies De migr. Abr. § 95.)
  67. Wie der einzelne Mensch nach Ansicht der Stoiker als προκόπτων seinen λόγος vervollkommnet, die Vollkommenheit aber erst als σοφός erreicht, so wird hier eine solche Entwicklung auf das ganze Menschengeschlecht übertragen. Dies scheint auch einer der Grundgedanken der stoischen Kulturphilosophie zu sein, die wir bei Seneca Epist. 90, in teilweisem Anschlusse an Gedanken des Posidonius, lesen. – (Über ihn als Gewährsmann vgl. I. Heinemann, Poseidonios’ metaphysische Schriften I 88ff.) Bei Philo ist an die ersten Gesetzgeber in den einzelnen Staaten zu denken, von welchen Seneca Epist. 90, 6 spricht.
  68. S. § 80.
  69. Philos Vorgänger leiteten den Namen Jithro von יתרüber etwas hinausgehen ab. Er ist daher den einen der Typus des überflüssigen, über das Naturgesetz hinausgehenden positiven Rechtes (Über die Geb. Abels § 50; Über die Landw. § 43 und Anmerkungen!)‚ das (von kynischen Voraussetzungen aus) verworfen wird, – den anderen Vertreter der Selbstüberschätzung. Philo versucht hier und De mut. nom. § 103ff. zwischen diesen beiden Auffassungen eine Art innerer Beziehung herzustellen. In wörtlichem und lobendem Sinne wird Jithros Auftreten (2 Mos. 18) Über die Einzelges. IV § 173 aufgefaßt.
  70. Seine Bezeichnung als πλάσμα τύφου weicht von der sonstigen Etymologie ab (vgl. die Anm. Leisegangs, Ü. d. Geb. Abels § 50 und Heinemanns, Ü. d. Landwirtsch. § 43). An der letztgenannten Stelle und De mut. nom. 103 wird Jithro mit dem τῦφος identifiziert.
  71. Hier wird Jithro als der Repräsentant des πολιτικὸς ἀνήρ, ähnlich wie einen solchen Philo Über Joseph § 31, 58ff. schildert, im Gegensatz zu Moses aufgefaßt, welcher den πολιτικὸς ἀνὴρ κατὰ φύσιν vorstellt. Als Vertreter des positiven Staatsgesetzes steht Jithro Ü. d. Landwirtsch. 43 im Gegensatz zum Naturgesetze, von dem er nichts weiß und nichts wissen will. Vgl. Ü. d. Geb. Abels 50 und De mut. nom. 104.
  72. Aus Plato hat Philo die eleatische Lehre vom Beharren und von der Ruhe angenommen, die deshalb für ihn ein Attribut des höchsten Wesens und seiner Abbilder sind, wogegen er Unruhe und Schwanken als minderwertig ansieht und dem Vergänglichen zuschreibt. (In Verbindung mit Jithro, s. Ü. d. Riesen § 50.) In dem Wort αἰωρουμένων liegt zugleich der Nebenbegriff des Emporhebens; Anspielung auf das Aufgeblasene, das Jithro verkörpert.
  73. Bildhaft wird die Seele vorgestellt als bevölkert oder bewohnt von guten Gefühlen und Strebungen oder von Leidenschaften und den eindringenden Sinneswahrnehmungen (αἰσθήσεις); erstere werden als λεὼς τῆς ψυχῆς, letztere gewöhnlich als ὄχλος τῆς ψυχῆς bezeichnet.
  74. Der Gegensatz δοκεῖν: εἶναι, der auf Plato zurückgeht, begegnet bei Philo öfter, z. B. Wand. Abr. § 12. 40. 87. 88. 96 De fuga et invent. § 156. Auf Jithro wird er, wie an unserer Stelle, angewandt De mut. nom. 104. Nach dem Bibeltext 2 Mos. 18, 24 folgte Moses dem Jithro; das bleibt aber unberücksichtigt, weil es zu Philos Deutung nicht paßt.
  75. Philo spielt hier mit dem Doppelsinn des Zeitwortes ἐξαίρειν. An der Bibelstelle (4 Mos. 10, 29) heißt es „aufbrechen“; er greift aber auch auf die § 14 und 28 behandelte Bedeutung „entfernen, wegschaffen“ zurück, wie die Verbindung des Zeitwortes mit ἀποκόψαντες beweist.
  76. Damit meint der Schriftsteller die Worte desselben Bibelverses: „Wir brechen auf nach dem Orte, von dem der Herr sprach: ihn werde ich Euch geben.“ Über diese Eigentümlichkeit der Zitate Philos vgl. Adler, Wiener Studien XLIII 94 Anm. 1.
  77. Die Übertragung des hebr. Wortes für Geburtsort in der LXX: γενεά faßt Philo in der Bedeutung: Sippe, Familie, Verwandtschaft.
  78. Die Änderung der Überlieferung ψευδοδοξοῦσαν und ἀληθεύουσαν in die Dative ψευδοδοξοῦσιν und ἀληθεύουσιν habe ich Wien. Stud. XLIII 94 begründet.
  79. Gemeint ist, wie der MT zeigt, größer als alle Götter. Philo preßt aber den Ausdruck. Vgl. § 43.
  80. Dies ist der zweite Satz eines Syllogismus: Wir kennen die Vorzüge der Eltern zuerst; Gott aber ist Vater des Alls; also muß man ihn vor anderen kennen oder gar nicht.
  81. Den Vergleich mit der Sonne, und namentlich die Natur der Wesen, welche durch das aufstrahlende Wissen des Seienden in der Seele verdunkelt werden, machen die Darlegungen Philos De somniis I § 87–115ff. verständlicher. Vgl. Leisegang, Der hl. Geist I 211; 212, 1 und Zeller, Die Philos. d. Griechen III 2³ S. 367, 2.
  82. Die Überschätzung der menschlichen Konvention (οἱ παρ` ἀνθρώποις νόμοι) führt durch die Verkennung der ἀλήθεια, wie das Beispiel Jithros zeigte, zu falschen Vorstellungen über Gott und zur Unfrömmigkeit. Dieselbe Verkennung der ἀληθεῖς τῆς φύσεως νόμοι ist es, welche die Bevorzugung der äußeren, körperlichen Güter vor den seelischen zur Folge hat, wie das Beispiel Labans dartun soll. Gerade er hilft dem Schriftsteller, den Übergang vom ontologisch-theologischen Inhalte des Vorhergehenden zum axiologischen des Folgenden zu bewerkstelligen; denn Laban gehört einerseits wie Jithro zu denjenigen, „welche die wahre Ursache nicht kennen und sich auch keine Mühe geben, sie von den Wissenden zu erlernen, und deshalb in Unwissen und Unkenntnis der schönsten Wissenschaft befangen sind, um derentwillen zuerst und allein man das Wissen erringen müßte“ (De fuga et invent. § 8); andererseits hängt Laban am Äußeren, Körperlichen und Sinnfälligen (De somn. I 45, All. Erkl. III 16. 20. 22) und hält dieses für das einzige Gut (Ü. d. Landwirtsch. 42, Ü. d. Nachstell. 4).
  83. D. i. Jakob, der als σοφίας ἀσκητής dem Laban so gegenübersteht, wie vorher (37) Moses, ὁ σοφός, dem δοκησίσοφος Jithro.
  84. Philo gebraucht πρέσβυς (πρεσβύτερος, πρεσβύτατος) nicht nur in der zeitlichen Bedeutung alt, sondern für seine allegorische Auslegung mit Vorliebe in der übertragenen: altersreif, ehrwürdig. Näheres über diesen Bedeutungswandel: Ü. d. Nüchternheit § 7. 18ff.
  85. Die überlieferte Lesart ἠθοποιὸν λόγον suchte ich gegen die von Wendland vorgeschlagene Änderung zu verteidigen Wien. Stud. XLIV S. 221f.
  86. Die ἀσκηταὶ sind hier wie die προκόπτοντες der Stoiker gedacht.
  87. Die νεωτέρα ist die ἐγκύκλιος παιδεία De congr. erud. gr. § 154.
  88. De congr. erud. gr. 10: ὥσπερ γάρ ἐν ... οἰκίαις αὔλειοι πρόκεινται κλισιάδων, ... οὕτως καὶ ἀρετῆς πρόκειται τὰ ἐγκύκλια.
  89. Dem Begriffe der ἐγκύκλιος παιδεία, der „zum geselligen Kreise gehörigen“, „volkstümlichen“ Bildung (Paul Barth, Die Geschichte d. Erziehung², S. 140, 2), begegnen wir seit dem Jahre 300 v. Chr. Für die hellenistische Welt, die ihn ungefähr in dem Umfange schon kannte, wie wir ihn bei Philo finden, bildet deren Verhältnis zur Philosophie ein Problem, um dessen Lösung sich von den Philosophenschulen am meisten die Stoa bemühte. Erst Chrysipp scheint, im Widerspruch zum Gründer der Schule, den Wert der allgemeinen Bildung als Vorstufe der rechten ἐπιστήμη ähnlich gewürdigt zu haben, wie wir es hier lesen (Arnim, StVF I 259. III 294. 738). Für Philo vgl. Zeller a. a. O. III 2³ S. 408. Bréhier² S. 287ff.‚ 292ff.
  90. Sie werden aufgezählt De congr. erud. gr. § 11, besprochen De somn. I 205.
  91. In diesem Zusammenhange klingt der Ausdruck μνᾶσθαι werben, freien an einen Ausspruch des Stoikers Aristo Chius an, welcher diejenigen, die sich um die volkstümliche Bildung bemühen, dabei aber um die Philosophie nicht kümmern, mit den Freiern der Penelope verglich, welche die Mägde nahmen, da sie die Herrin nicht bekamen (StVF I 350). Philo selbst bezeichnet mit Rücksicht auf den Gegensatz Sarah–Hagar die mit dieser gleichgesetzte volkstümliche Bildung als Magd z. B. De congr. erud. gr. § 9f. 23. 72. 154. Ü. d. Nachkommen Kains § 130 und die Anm. zu § 137 (IV 39, 2).
  92. Der Gedanke des § 51 wird erläutert De congr. erud. gr. § 77f.
  93. Philo betont hier einen temporalen Nebensinn.
  94. Lea, ἡ πρεσβυτέρα, wird in Erinnerung an das § 46 Gesagte symbolisch mit dem Gute der Seele; Rahel, ἡ νεωτέρα, dagegen mit den körperlichen und äußeren Gütern gleichgesetzt (1 Mos. 29, 16. 17). Bei Philo stehen Stellen, an welchen die äußeren Güter getreu der stoisch-kynischen Auffassung verworfen werden, andere entgegen, welchen die aristotelische Einteilung der Güter in drei Klassen zugrunde zu liegen scheint. Die Stellen sind gesammelt von Wendland, Philos Schrift ü. d. Vorsehung 53, 1.
  95. Philo verwertet einen Wechsel des Ausdrucks, der sich Vers 27f. in der LXX, nicht im MT, findet.
  96. In der biblischen Erzählung macht Laban dem Jakob Schwierigkeiten; Philo deutet Jakobs Charakter als eines ἀσκητής in ethischem Sinne.
  97. Rachel wird auch Alleg. Erkl. II 46 und Ü. d. Nachkomm. Kains 135 mit der αἴσθησις identifiziert.
  98. Im Zusammenhang mit der Wertung der Güter, wie hier, wird ein ähnlicher Gedanke geäußert De somn. II 8f. – Die Behauptung, die φύσις, Natur- und Zeugungskraft, sei ein Merkmal der Männer, berücksichtigt wohl die gegensätzlichen Prinzipien der Stoiker, das ποιοῦν und πάσχον, und geht vielleicht bis auf alte pythagoreische Vorstellungen vom ἄρρεν und θῆλυ zurück, die wir aus dem Berichte des Hippolytus kennen. (Diels Doxogr. 557, 10ff.) – Die letzten Worte dieses Abschnittes weisen auf § 33f. zurück.
  99. Das Wort ἀναστῆναι kann sowohl das Erheben von einem Sitze, das Aufstehen, als auch die Erhebung, den Aufstand bedeuten. Im Bibelverse (1 Mos. 31, 35) ist der erstere, von Philo der zweite Sinn gemeint, den er durch das Verbum compositum κατεξαναστῆναι über allen Zweifel hinaushebt.
  100. Die falsche Einschätzung der aufgezählten „Güter“ beruht nach stoischer Lehre darauf, daß die Menschen nicht wissen (vgl. § 57 „noch in ihrem eitlen Wahne verwirrt sind“), nur die ἀρετή sei ein Gut, alles andere belanglos; diese ist dann freilich auch allein selbst genug (αὐτάρκης), die Glückseligkeit zu verschaffen. (Belege StVF IV S. 26 a. b.) Demnach bezeichnet Philo hier mit den Worten: „Freie, Edelgesinnte“ den kynisch-stoischen Weisen im Gegensatze zu den begehrlichen Menschen, die, ohne zu denken, den landläufigen Begierden und der Sinnlichkeit unterworfen sind.
  101. Sarah, die tugendliebende Seele, muß die κεναὶ δόξαι und die auf ihnen beruhenden πάθη (ἐπιθυμίαι) fliehen, welche sie verweiblichen. (Ü. d. Nachstell. 28, Ü. d. Cherub. 50, De fuga et invent. 128.) Sie flieht in das Männergemach, in welchem die minderwertigen weiblichen Eigenschaften keine Stätte haben (vgl. Ü. d. Landwirtsch. 80 = IV 127, 1. De somniis II 9).
  102. Darunter versteht Philo, wie oben, „die weibischen Gewohnheiten, die in uns noch die Oberhand haben“: τὰ συνήθη καὶ εὔλογα καὶ ἀνθρώπινα De fuga et invent. 167. – Er zitiert den Bibelvers absichtlich ungenau, in welchem Sarah indirektes Objekt ist; vgl. Heinemann MGWJ. 1922, 274 ff.
  103. In Mythus, Kult und Mystik der Griechen begegnen wir schon im 5. Jhdt. v. Chr. weiblichen Gottheiten, an deren Mutterlosigkeit geglaubt wurde. Bréhier, Les idées de Philon² 119 weist auf Athena und die Aphrodite Urania des Platonischen Gastmahls (180d) hin. Hier will Philo hauptsächlich im Widerstreite zwischen Vater und Mutter, Männlichem und Weiblichem, Sarah als vollkommene Tugend, gemäß § 33f. 55, aus der Sphäre von Weiblichkeit und Mutter ausschließen. Vgl. Der Erbe d. Göttl. 62.
  104. Es ist Abraham, der sich bei Abimelech wegen der Angabe entschuldigt, Sarah sei seine Schwester.
  105. Die LXX läßt das Wort בתTochter des MT unübersetzt.
  106. Der wahre φιλόσοφος ist Moses, neben welchem Philo einige griechische Philosophen gelten läßt. Hier ist mit den allgemeinen und unbestimmten Worten Plato gemeint, wie Plutarch uns bezeugt: ὁ γὰρ Πλάτων μητέρα … καὶ τιθήνην καλεῖ τὴν ὕλην De anim. procr. in Tim. 1015 D, vgl. 1023 A. In seinem Timaeus gebraucht Plato 49 A und 52 D den Ausdruck „Amme“, 50 D und 51 A „Mutter“ für die Materie, der dann nicht nur bei den sog. Neupythagoreern, sondern auch bei den Neuplatonikern beliebt ist (vgl. Stallbaum, Ausg. Plat. Tim. S. 207).
  107. Das überlieferte Wort τῶν ποιητῶν ist, wie Wendland, Rhein. Mus. 53, 4, richtig gesehen hat, nicht mit Großmann von ποιητής abzuleiten; aber sein eigener Vorschlag, mit L. Cohn ποιοτήτων zu lesen, ist überflüssig und würde den Sinn nur verdunkeln. τιθήνη τῶν ποιητῶν ist dasselbe, was Plato 52 D γενέσεως τιθήνη nennt und τὰ ποιητά entspricht seinem γιγνόμενα und γεγονότα.
  108. Die hier von Philo dargelegte Ansicht von der Materie ist streng genommen nicht die platonische; denn bei Plato ist die ὕλη nicht wahrnehmbar, und nicht sie ist es, die immer wieder entsteht und sich auflöst, sondern ausdrücklich stellt er Timaeus 51 A fest: διὸ δὴ τὴν τοῦ γεγονότος ὁρατοῦ καὶ πάντως αἰσθητοῦ μητέρα καὶ ὑποδοχὴν μήτε γῆν … λέγωμεν· ... ἀλλʼ ἀνόρατον εἶδός τι καὶ ἄμορφον, πανδεχὲς, μεταλαμβάνον δὲ ἀπορώτατα πῇ τοῦ νοητοῦ … αὐτὸ λέγοντες οὐ ψευσόμεθα.. Es ist wahrscheinlich Philos eigener hochgespannter Dualismus und die Nachbarschaft des Gegensatzes zwischen Vater und Mutter in unserer Schrift, die ihn zu dieser schiefen Ansicht von der platonischen Materie verleitet haben; es sei denn, man nähme an, er hätte in der Streitfrage über die Qualität und Bewegung der Materie, die bis in die neueste Zeit die Platoforschung beschäftigt, einen ähnlichen Standpunkt wie die bei Zeller II 1⁴ S. 727, 2 aufgezählten Gelehrten oder z. B. Peiper, Ontologia Platonica S. 443, 1 eingenommen.
  109. Anspielung auf den § 60 erwähnten Isaak, der „Lachen“ (All. Erkl. I 82) oder „Lachen und Freude und Frohsinn der Seele“ (All. Erkl. III 87) genannt wird.
  110. Die Durchschnittsmenschen (von § 57 angefangen), über die sich der Tugendliebende, dessen Symbol Sarah ist, hinaushebt.
  111. S. oben Anm. 2 zu § 56.
  112. Über den Gegensatz von ἑκὼν: ἄκων vgl. die Anm. zu § 125.
  113. S. oben § 63 Anm. 6.
  114. Philos Text weicht von dem der LXX im Gebrauche der Pronomina an drei Stellen ab.
  115. Mit dem Ausdrucke ἀποκόπτουσι verweist der Schriftsteller auf die Erörterung § 23. 24.
  116. Nach dem Beispiele Platos, der für nahe Beziehungen auch zwischen Dingen, zwischen psychischen Zuständen und abstrakten Vorstellungen „ἀδελφός“ übertragen gebraucht (Phädrus 238 B, 276 D; Phileb. 21 B, Tim. 52 B u. ö.)‚ verwendet Philo diese metaphorische Ausdrucksweise mit Vorliebe; z. B. Ü. d. Trunkenh. § 74. 76. Ü. d. Nachk. Kains 30. 61. 183. All. Erkl. II 20. 24. u. ö. – Hier ist an die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele gedacht, zugleich aber an die Einkerkerung der Seele im Leibe.
  117. Soweit sinnlich Wahrnehmbares perzipiert werden soll, ist die αἴσθησις die unerläßliche Voraussetzung für die Tätigkeit der Seele; jene wird von Philo De congr. erud. gr. § 20f. geradezu als σωματοειδέστερον ψυχῆς μέρος, De migr. Abr. 3, so wie oben, als συγγενὲς καὶ ἀδελφὸν διανοίας bezeichnet. Dieselbe Stellung nimmt die sinnliche Wahrnehmung übrigens dem νοῦς gegenüber ein, als dessen Helferin sie öfter erklärt wird (All. Erkl. I 83. II 8. III 61ff.), den sie ernährt, indem sie ihm das Material liefert (Ü. d. Pflanz. N. 133). Andererseits aber verlangte das Ziel der philonischen Ethik, die auf dem anthropologischen Dualismus begründet ist, die Überwindung der Sinnlichkeit und daher die Bekämpfung der αἴσθησις. Vgl. die bei Jos. Kroll, Die Lehren d. Hermes Trism. 347, 2 gesammelten Stellen.
  118. Bei der Umformung der von der Stoa übernommenen Unterscheidung des λόγος ἐνδιάθετος (der dem Menschen innewohnenden Vernunft) vom προφορικός (der in der Sprache geoffenbarten Vernunft) hat zwar Philo die Verwandtschaft beider in ähnlichem Sinne wie hier betont (z. B. Ü. d. Nachstell. 40. 126. Ü. d. Nachk. K. 100), den προφορικὸς λόγος jedoch der Welt der Sinnlichkeit und des Materiellen näher gestellt: Die Sprache steht zwar um eine Stufe höher als die in unserer Schrift eben vorher behandelte αἴσθησις, aber um eine Stufe tiefer als der νοῦς (De congr. erud. gr. 100). – Gott, der die Seele des Menschen reinigen will, gibt ihr zum vollkommenen Heile die Möglichkeit, aus drei Bezirken auszuwandern, aus dem Bezirke des Körpers, der Sinnlichkeit und der in der Sprache sich äußernden Vernunft (De migr. Abr. § 2). Erst nach dem Verlassen dieser Gebiete kann der νοῦς καθαρός das Reich des Geistigen schauen. (Vgl. Ü. d. Riesen 52.) – Nach WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt der Wahrheit (ἀλήθεια), dem Schönsten und Höchsten im Leben, verlangt nur der λόγος ἐνδιάθετος (Ü. d. Einzelges. IV 69). Die Sprache dagegen täuscht durch die Schönheit der Worte und entfernt so den Menschen von der Schönheit der Wahrheit, die in dem Wesen und dem Urbild des Bezeichneten zu suchen ist. (De migrat. Abrah. 12).
  119. Wie die Erkenntnis, die der Mensch aus sich selbst gewinnen kann, gering und unsicher ist und daher die skeptische ἐποχή (Zurückhaltung jeglichen Urteils) Voraussetzung der wahren Erkenntnis ist, so wird hier, wohl in Anlehnung an Mysterienbrauch, Schweigen als Voraussetzung für die Schau der geistigen Wesen gefordert. Vgl. De fuga et invent. 135f. Ü. d. Sprachenverwirrung 37. Anders allerdings Ü. d. Nachkomm. Kains 108.
  120. Den gleichen Gedanken hat Philo De fuga et invent. 92 ausgesprochen.
  121. Gemeint ist wieder Levi (als Vertreter des Priesterstamms) im Segen des Moses. (Vgl. Alleg. Erkl. II 51f. De fuga et invent. 89.) – „Les Lévites, qui, symboliquement, sont les logoi divins, abandonnent toutes les facultés sensibles, y compris le langage“. Bréhier² S. 102.
  122. Gemeint ist Phinees (also wieder ein Priester), dessen Name zwar hier nicht genannt wird, dessen Tat aber Philo im Leben Mosis I 301–304 erzählt, dessen Eifer und Tat er öfter in ähnlicher Symbolik deutet (Ü. d. Nachkomm. Kains 182, Alleg. Erkl. III 242, De mut. nom. 108f.; abweichend hiervon Ü. d. Sprachenverw. 57).
  123. Das griechische Wort σειρομάστης „bedeutet eigentlich Grubenprüfer, Grubensucher, ein Werkzeug, mit dem die Zöllner Getreidegruben und Magazine durchsuchten“ (Pape). Es hatte wohl die Form einer Lanze. Philos Spielen mit den griechischen Worten σειρομάστης Lanze und μαστεύειν suchen können wir in der deutschen Sprache nicht nachahmen.
  124. Während im MT von einem Gemache gesprochen wird, veranlaßt den Philo die Übersetzung der LXX κάμινος, dies Wort etymologisch mit καίειν brennen zusammenzubringen.
  125. Die LXX bietet statt des philonischen ἀνατεμεῖν das Zeitwort ἀπεκέντησεν; da der Schriftsteller Ü. d. Nachk. Kains 182 κατεκέντει, Alleg. Erkl. III 242 ἐκκεντῆσαι gebraucht, so ist höchst wahrscheinlich, daß er in der ihm vorliegenden Bibel ebenfalls ein Kompositum von κεντεῖν gelesen hat und daß entgegen der Interpunktion Wendlands an unserer Stelle das Bibelzitat das Wort ἀνατεμεῖν nicht mehr mit inbegreift.
  126. Deutlicher als in dieser gedrängten Kürze erklärt Philo den Zweck dieser Handlung des Phinees Alleg. Erkl. III 242.
  127. Die Prinzipien der Stoiker, das ποιοῦν (das Tätige) und πάσχον (das Leidende) teilt Philo, seinem Dualismus entsprechend strenger als sie, so auf, daß er die Tätigkeit Gott allein, das Leiden allem Erschaffenen zuschreibt. Etwas anderes als Gott kann nur scheinbar Ursache sein, und wer außer ihm eine andere Ursache annimmt, begeht in Philos Augen die schwerste Sünde.
  128. Gegen Wendlands Änderung des Textes habe ich die handschriftliche Überlieferung: τοῖς πρὸς γυναικῶν ἔθεσιν ἁλισκόμενος zu verteidigen gesucht, Wiener Studien XLIV S. 222f.
  129. Sie sind brüderlich vereint, nicht nur aus den § 76 angegebenen Gründen‚ sondern wohl auch deshalb, weil der Schriftsteller zwischen den Worten εἰρήνη und ἱερωσύνη eine etymologische Verwandtschaft annahm. Vgl. Ü. d. Nachk. Kains 183.
  130. Eine Schilderung des idealen Staatsbürgers, der „nach dem kampflosen und friedfertigen Leben strebt“, die sich von dem Hintergrund des vielgeschäftigen Alltagslebens abhebt, malt Philo Ü. d. Einzelges. II 44–48.
  131. „Gott allein kann Frieden haben sonder Kampf“ (Ü. d. Cherub. 86), „Gott ist der Herr des Friedens“ (Ü. d. Dekal. 178), „Gott allein ist der truglose und wahrhafte Friede“ (De somn. II 253).
  132. Als Vertreter dieser Gruppe wird Pharao dargestellt, der die folgenden Worte zu Moses und Aaron sagte; die erste Vershälfte hat Philo schon im § 19 bei der Typisierung des Gottlosen verwendet. – Vgl. Ü. d. Leben Mosis I 88.
  133. Philos Wortspiel ἀνατρέποντες – ἀποτρέπεσθαι bleibt dabei unübersetzt; ebenso die Reimfigur διέποντες – ἀνατρέποντες und das Klangspiel λιμὸν ἤ λοιμόν.
  134. Die überlieferte Lesart habe ich, ohne Annahme der Textänderungen Wendlands, zu erklären versucht, Wien. Stud. XLIV S. 223.
  135. Dieser Standpunkt findet den vollen Beifall Philos, vgl. oben § 35. Die Wahrung der Tradition erscheint ihm nicht unvereinbar mit der philosophisch verklärten Mystik seines Gottesglaubens. Bréhiers Bemerkung: „il n’a pas pensé un moment que les observances légales soient un obstacle à la religion universelle“, (a. a. O. S. 66) gilt für den folgenden Abschnitt § 80–92, allerdings mit der Einschränkung, daß Philo oft – meist unter exegetischem Zwang – der altkynischen Gegnerschaft gegen jedes Staatsgesetz und seine Beobachtung folgt. Auch § 77 Anf. sind die Worte μητρὸς ἥκιστα φροντίζοντες als Lob zu fassen.
  136. Den drei Formen der Tugend, die auf Askese, Unterricht und Naturanlage zurückgehen, legt Philo einen ungleichen Wert bei. Den Asketen Jakob stellt er dem Fortschreitenden gleich. An unserer Stelle ist aber Jakob nicht mehr bloß der Asket, sondern hat bereits den zweiten Grad erreicht, er hat gelernt und rezeptiven Unterricht genossen, für den das Gehör charakteristisch ist. Die nächste Stufe ist daher die von Gott geschenkte Vollkommenheit, für die der Gesichtssinn die Voraussetzung bildet; aus Jakob WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt wird Israel, der Gott Schauende. – Mit dem „Auge der Seele“ allein, von dem schon Plato (Sympos. 219A, Rep. VII 519B) spricht und das für Philo weit mehr als ein bildlicher Ausdruck für die geistige Denkkraft (φρόνησις) ist, kann man Gott erschauen; und das bedeutet die höchste Glückseligkeit. Ü. Abrah. § 57.
  137. Der Ausspruch Heraklits, die Augen seien genauere Zeugen als die Ohren (Diels Vorsokr. B 101 a), scheint bereits von Herodotus I 8 zitiert worden zu sein. Plato hat dann mehrfach dem Gesichtssinne einen Vorzug vor den anderen Sinnen zuerkannt (vgl. z. B. Phaedrus 250D). Darin folgt ihm Philo (z. B. Ü. Abrah. 57); er wird nicht müde, dem Gesichte gegenüber die Unzuverlässigkeit und Minderwertigkeit des Gehörs hervorzuheben. Ü. d. Sprachenverw. 140, Ü. d. Einzelges. IV 60, De fuga et invent. 208, Ü. Abrah, 60, Ü. d. Sprachenverw. 57. 148, De mut. nom. 102 u. ö. – Daher muß der Ringer um die Weisheit, Jakob, die Ohren gegen die Augen eintauschen, damit er mit Hilfe des Auges der Seele die Weisheit erkenne, De migr. Abrah. 38.
  138. Philo folgt der vom MT erheblich abweichenden LXX.
  139. Vgl. Über die Geburt Abels § 120 und Anm.
  140. [Die Herausgeber scheinen nicht bemerkt zu haben, daß die Erklärung auf Spr. 1, 8 anspielt: ἄκουε, υἱέ, παιδείαν πατρός σου καὶ μὴ ἀπώσῃ θεσμοὺς μητρός σου. Fraglich kann nur sein, ob Philo selbst bewußt den Bibelvers anführt oder, wofür die freie Fassung der Erklärung sprechen würde, einen Vorgänger benutzt, der sich auf die Bibel berufen hatte. Jedenfalls ist beachtenswert, daß auch die rabbinische Deutung (T. Sanh. 102 a) diesen Vers ganz ähnlich auffaßt: mit dem Vater ist Gott, mit der Mutter die Gemeinschaft Israels gemeint; es wird also Treue gegen die Religion und gegen die Volkssitte gefordert. Nicht Philo, wohl aber ein mit der Überlieferung besser vertrauter Vorgänger könnte diese Deutung gekannt haben. I. H.]
  141. Die doppelseitige Vergoldung der Lade wird erwähnt Ü. d. Leben Mosis II 95, auf den Gegensatz des Verhältnisses der Seele zu Gott und andererseits zur sichtbaren Welt und dem äußeren Leben bezogen De mut. nom. 43f. [Auch nach dem Talmud (Joma 72b) bedeutet der innere und äußere Überzug, daß „ein Thora-Gelehrter, dessen Inneres nicht seinem Äußeren entspricht, kein rechter Gelehrter ist“. I. H.].
  142. In diesem Satze gibt Philo die symbolische Deutung der innen und außen mit Gold umkleideten Lade.
  143. Die Erläuterung der Gewänder des Oberpriesters (De somn. I 216 und Ü. d. Einzelges. I 84) wird hier auf die Person des Weisen übertragen.
  144. Es wird keineswegs der Flachs für weniger vergänglich erklärt als andere Pflanzen; der Gegensatz zu ihm ist die Wolle der Schafe (Ü. d. Einzelges. I 84). – Die Erklärung des Leinenkleides, die sich De somn. I 217f. und Ü. d. Einzelges. I 84 ebenso wie oben findet, betrifft nicht die in der griechischen Textausgabe von Wendland angegebene Bibelstelle: 2 Mos. 28, 4, sondern 3 Mos. 16, 4. Philo verwendet im folgenden die Vorschrift, daß der Hohepriester den Dienst im Heiligtum in weißen Leinengewändern zu versehen, diese aber nach V. 23 beim Heraustreten abzulegen hat, um [wie auch die rabbinische Überlieferung versteht] das bunte Ornat anzulegen.
  145. Über den Unterschied der beiden Altäre und die Unterscheidung der auf ihnen dargebrachten Opfer vgl. Ü. d. Einzelges. I 274ff.
  146. Vgl. Über die Wanderung Abrahams § 88ff.
  147. In der Schrift Der Erbe des Göttlichen 196–198 wird der Weihrauch symbolisch dem leichtesten Elemente, dem Feuer, gleichgesetzt, im Gegensatz zur Erde und zum Wasser. Es ist ein weiterer Schritt in der abstrahierenden Symbolik und entspricht Philos Dualismus mehr, wenn er hier das Räucherwerk zum Symbol des Unkörperlichen nimmt, im Gegensatz zu allem Körperlichen, und, wohl in Erinnerung an das stoische πνεῦμα, den Raum der Seele mit Weihrauch erfüllt sein läßt.
  148. Unter τέχναι versteht Philo, De congr. erud. gr. § 142, die einzelnen Gegenstände der volkstümlichen, allgemeinen Bildung (vgl. oben § 49 Anm. 5), denen er die ἐπιστήμη gegenüberstellt; die letztere ist identisch mit der σοφία (vgl. oben § 30 S. 18 Anm. 1). Nach der wahrscheinlichen Annahme Wendlands ist dort § 144 in der Lücke die gleiche Definition der ἐπιστήμη ausgefallen, die hier von der σοφία gegeben wird: τέχνη τεχνῶν.
  149. Die ἐπιστήμη umfaßt alle Gebiete des Seins, welche für sie Stoffgebiete, Material (ὕλη) sind. – Man beachte, wie Philo die Bedeutung des griechischen Zeitwortes δοκεῖν, das ebenso den Begriff anscheinend wie scheinbar ausdrückt, hier gegenüber § 87 variiert.
  150. Die Meisterschaft des Phidias in der Bearbeitung verschiedenen Materials betont ebenso Seneca Epist. 85, 40. – Die Kunsttheorie, die hier Philo vorträgt, ist der akademischen Schule entlehnt und findet sich ähnlich, auch mit Hinweis auf das Schaffen des Phidias, bei Cicero im Orator II 8. WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Der Meinung Praechters, die er in seinem Buche „Hierokles der Stoiker“ S. 48 mit Zitierung unserer Stelle ausspricht, Beispiele und Vergleiche aus dem Gebiete der Plastik empfählen die Annahme einer stoischen Vorlage, vermag ich mich mit Rücksicht auf den deutlichen Charakter der philonischen Darlegung nicht anzuschließen.
  151. Das sieht aus, wie die allgemein verbreitete aristotelische Definition der Kunst, platonisch gefärbt; hier liegt aber nicht der verbreitete (triviale) Gedanke vor, daß die Kunst Gegenstände der Natur nachahmt, sondern der seltene, daß die τέχνη sich die φύσις methodisch zum Muster nimmt; vgl. Heinemann, Poseid. met. Schr. II 203, 3.
  152. Philo kann die σοφία des Künstlers mit der des Weisen in eine Parallele bringen, da es auch eine σοφία ἐν ταῖς τέχναις gibt, die z. B. von Aristoteles Eth. Nicom. VI 7 als ἀρετὴ τέχνης erklärt wird.
  153. Vielnamigkeit der Götter war für den antiken Menschen ein Beweis ihrer Macht; je mehr Namen ein Gott hat, desto größer ist seine Ehre (Darüber WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt vgl. W. Capelle, Die Schrift von d. Welt, Neue Jahrbücher 1905, XV 560, und Anm. 3). Die Idealisierung des Weisen und seine Gleichsetzung mit den Göttern entspricht stoischer Ansicht. Über Philos Standpunkt vgl. die Anm. zu Alleg. Erkl. I 43 (= III 30, l).
  154. Die gleiche Deutung des hinweisenden Fürwortes findet sich De mut. nom. § 206. [Auch die rabbinische Auslegung urgiert das Fürwort, jedoch in anderer Richtung. I. H.]
  155. Die Interpunktion Wendlands läßt nicht hervortreten, daß schon die λογισμοὶ εὐφυεῖς zur Unterteilung der folgsamen Kinder gehören und mit den folgenden Beispielen auf einer Stufe stehen; deshalb ist nach καταπειθεῖς stärker als durch einen Beistrich zu interpungieren.
  156. Ruben hat vor Simon denselben Vorrang, den das Sehen vor dem Hören hat (De mut. nom. 101f. u. ö.); denn seine Etymologie ist ὁρῶν υἱός (ebd. 98, De somn. II 33; vgl. S. 35 Anm. 1 zu § 82 unserer Schrift), und ὁρῶν <θεόν> ist für Philo der Fromme, der seinen hohen Rang nur dank der Gottesgabe der εὐφυΐα erreichen kann.
  157. Ähnliche Etymologie De mut. nom. 99; De somn. II 34.
  158. Die Leviten flüchten aus der irdischen Welt zu Gott, dem sie ihr Leben weihen. Ü. d. Opfer Abels 129ff. De fuga et invent. 88f.
  159. Juda wird hier, wie Ü. d. Pflanzung N. 135, als Geist allegorisiert, der Gott dankt und ihm fortgesetzt Loblieder singt; der Begriff des Geistigen wird aber hier umschrieben durch die Ablehnung der Vorstellung einer vernehmbaren Stimme. Über die stoff- und körperlose Natur Judas vgl. Alleg. Erkl. I 82.
  160. Über Issachar, dessen Namen öfter mit dem Judas zusammen erklärt wird, vgl. Ü. d. Pflanzung 134 und Anm., und Alleg. Erkl. I 80 und Anm.
  161. Über Abrahams Bekehrung und Namensänderung s. Ü. d. Riesen 62 (Ü. Abraham 82).
  162. Über Isaak vgl. Leisegangs Index nominum (Philonis opera VII p. 13a).
  163. Philo versteht hier den Ausdruck συμβολοκοπῶν (= die auf Beiträgen beruhenden Symposien liebend) wohl mit Absicht falsch und deutet den ersten Teil (συμβολαί Beiträge) symbolisch.
  164. Im § 15 hat Philo unter den vier Beschuldigungen einen Gradunterschied der Art angenommen, daß jede folgende eine Steigerung der vorhergehenden ist.
  165. Vgl. Philos Etymologie οἰνοφλυγεῖν = οἴνῳ φλέγεσθαι § 27 Anm. S. 16.
  166. Gemeint ist die göttliche Verehrung des Stieres Apis, während doch die Bibel von einem Kalbe spricht, s. § 96; aber der Stier gilt dem Schriftsteller als typischer Vertreter aller ἄλογα ζῷα, deren Vergötterung den ägyptischen τῦφος erweist. Ü. d. Einzelges. I 79. Ganz ähnlich wie hier schildert Philo den Vorgang im Leben Mosis II 162ff.
  167. Der Gebrauch desselben Zeitwortes will von Philo als Zitat aus dem Bibelverse verstanden sein.
  168. D. h. diese Angabe des Bibelverses ist, allegorisch genommen, sehr berechtigt.
  169. Vgl. Alleg. Erkl. III 46.
  170. Der Geist verläßt den Menschen im Zustand der Ekstase. Vgl. außer den bei Leisegang, Der hl. Geist 212, 1 gesammelten Parallelstellen noch Ü. d. Riesen 53f.
  171. Anders erklärt Philo diesen Bibelvers Alleg. Erkl. II 54f. III 45f. Ü. d. Nachstell. 160.
  172. Das hebr. קֹלוֹת‎ übersetzt die LXX mit φωναί; gemeint ist das Gewitter (im Hebr. nach seiner akustischen Wirkung bezeichnet), das Moses durch das Erheben seiner Hände zum Verstummen bringt.
  173. Das sinnlich wahrnehmbare und individuell bestimmte Abbild des Urmenschen ist nach der Schöpfungsgeschichte (Ü. d. Weltschöpfung 135.) aus irdischer Substanz und göttlichem Hauche, im Sinne des platonischen Dualismus aus Seele und Leib zusammengesetzt; das Wesentliche des Menschen ist Seele und Geist, neben denen das Körperliche bedeutungslos ist (Ü. d. Trunkenh. 69).
  174. Vgl. Homer Ilias II 489.
  175. Den Anstoß, den Wendland an der Überlieferung nahm, suchte ich Wiener Studien XLV S. 118 durch den Einschub παθῶν <ἐν> τῷ zu beheben.
  176. Näher wird das von Philo ausgeführt Ü. Abrah. § 236ff. – Auf dieselbe Erzählung der Bibel bezieht sich § 24 unserer Schrift.
  177. Die Philo-Handschriften geben gegenüber der Lesart der LXX σφυρωτῆρος für die Form σφαιρωτῆρος den Ausschlag, vgl. auch den Text Leg. alleg. III 24.
  178. Ιn der Erklärung derselben Genesis-Stelle, Alleg. Erkl. III 24, wird χείρ als ψυχικὴ πρᾶξις ausgelegt und der Unterschied zwischen ἄλογος und λογικὴ φύσις aus ihr herausgelesen. In unserer Schrift werden aber gegenübergestellt θεός : τὸ γεγονός und ὁ ὤν, αἴτιος πάντων : σώματα τὰ ὧν ἐστιν αἴτιος.
  179. So wie Abraham, der auch Alleg. Erkl. III 24 τὸ ὄν ὁρῶν genannt wird; über diese Textgestaltung vgl. meine Bemerkung: „Zu Philo Alexandrinus“ im Ἐπιτύμβιον Heinr. Swoboda dargebracht, S. 16f.
  180. „Le contenu positif de la foi, c’est la croyance que Dieu est la cause unique de toutes choses et que tout lui appartient.“ Bréhier², 221.
  181. Während Philo sonst, Ü. d. Cherub. 125 und De provid. I 23, vier Ursachen kennt: ὑφ` οὗ, ἐξ οὗ, δι` οὗ und δι` ὅ, in den Quaest. in Genes. I 58 drei von ihnen aufzählt, kommt es ihm hier nicht auf den Unterschied zwischen Gott als Schöpfer und dem λόγος als Werkzeug an, sondern auf die Kennzeichnung des Gegensatzes zwischen Gott und Sinnenwelt. Ist schon ein Verwischen jenes Unterschiedes ein Abirren von der Wahrheit und eine Gotteslästerung, so wird diese um so größer, wenn man sogar, wie hier, Gott mit den Werkzeugen der sinnlichen Welt verwechselt, die, streng genommen, gar nicht Gottes Werkzeuge, sondern die des λόγος sind. Deshalb vermeidet es Philo wohl, ὑφ` ὑμῶν zu sagen und wählt das allgemeinere παρ` ὑμῶν, das auch dem ἀπὸ πάντων des Textwortes näher kommt. – Daß wegen Seneca Epist. 65, 8ff. Posidonius die Quelle der philonischen Lehre von den vier ἀρχαί sein solle, wie L. Cohn III 204, 3 (Ü. d. Cherub. 127) annahm, scheint mir durch die Begründung E. Nordens, Agnostos Theos S. 348, nicht bewiesen. Vgl. dagegen I. Heinemann, Poseidonios’ metaphys. Schriften I 202.
  182. Ein Beispiel hierfür Ü. d. Einzelges. I 16, Ü. d. Dekalog 59.
  183. Die zahlreichen Stellen, an welchen Philo über die Verehrung der ξόανα und ἀγάλματα spricht, hat Wendland, Die Therapeuten u. d. philonische Schrift vom Beschaulichen Leben, S. 707 gesammelt; am ähnlichsten sind Ü. d. Dekalog § 66, Das Leben Mos. II 205.
  184. Das folgt für den Schriftsteller aus dem zweiten der Zehngebote, Der Erbe d. Göttlichen § 169.
  185. Wendland a. a. O. S. 706f. fand bei Philo fünf Formen der Götterverehrung, welche als Verleugnung des Monotheismus zwar verwerflich sind, aber doch nicht alle in gleichem Maße. So findet Philo die Bewunderung der Gestirne und die Annahme ihrer Göttlichkeit durch Platoniker, Pythagoreer und Stoiker begreiflich, billigt aber ihre Anbetung, darin ganz Jude, durchaus nicht. Als die niedrigste Art des Götzendienstes jedoch erscheint ihm der Tierdienst, wie er in der ägyptischen Religion gepflegt wurde.
  186. Eine Art der Bewegung (κίνησις) ist die Ortsveränderung (μετάβασις) Ü. d. Nüchternh. 34; sie kann sechsfach sein: nach oben und unten, rechts und links, vorn und hinten. Ü. d. Verw. d. Sprachen 139.
  187. In dem Worte des MT שָׁלִשָׁיו‎ sieht die LXX das hebr. Zahlwort für „drei“ und übersetzt es ἀναβάτας τριστάτας; Philo aber bringt das letztere Wort etymologisch mit ἑστάναι, zusammen und zieht es, da es sich um ägyptische Fürsten handelt, infolge seiner Auffassung Ägyptens als der Körperwelt in den Gegensatz mit hinein, der sich für ihn zwischen dem Gewordenen und Bewegten, d. i. der Sinnenwelt, und dem Ruhenden und Unwandelbaren, d. i. Gott, ergibt.
  188. Die allegorische Ausdeutung des Bibelverses dahin, daß „das tugendfeindliche, leidenschaftliche Denkvermögen auf der unbändig-störrischen Vierfüßlerschar der Aufwallungen“ (Ü. d. Landwirtsch. 83) reite, ermöglichte dem Philo der griech. Ausdruck ἐποχεῖσθαι, der zugleich besagt, daß die unvernünftigen Triebe von dem Geist des Tugendfeindes Besitz nehmen, er sich also auf sie stütze und von ihnen besessen (ἔποχος) sei. Die vierfüßige Leidenschaft sind die stoischen vier Affekte: Lust, Gier, Schmerz und Furcht.
  189. Durch die Ausrottung der Leidenschaften wird der stoischen Forderung nach der ἀπάθεια, der Freiheit von Affekten, Genüge getan, die die Voraussetzung zum Glücke bildet, Alleg. Erkl. II 102 (vgl. 104).
  190. Nicht Moses, wie hier Philo sagt, sondern eigentlich das Volk Israel (4 Mos. 21, 17), oder die Gott Liebenden (Leben Mos. I 255. De somn. II 270).
  191. Nach der Lehre der Stoiker ist der Weise allein König, er allein besitzt Wissen, ist von Irrtum und Trug frei, ihm allein verschafft seine Vernunft die Herrschaft über die Affekte; die Laien in der Bildung, φαῦλοι (ἀπαίδευτοι), sind unwissend, schlecht, unglücklich und toll. Doch vgl. auch Cicero De fin. V 74 digna regibus.
  192. Im griechischen Verbum κατεργάσασθαι liegt ein Doppelsinn: „verarbeiten“ und „bezwingen“; die erstere Bedeutung paßt auf den Brunnenbau der Könige, die letztere wird in den Ausdrücken ὑπηγμένων und κατηγονισμένων fortgesetzt. Im Deutschen entspricht dem Doppelsinn halbwegs: „bewältigen“.
  193. Während die Weisen, die § 113 Könige und Führer genannt sind, das ethische Ideal in seiner Vollkommenheit darstellen, sind ihre Lehrlinge und Schüler nur Strebende (προκόπτοντες) in stoischem Sinne; sie streben erst nach dem Zustande, den jene schon erreicht haben.
  194. λαμβάνειν hat in dem Bibelverse die militärtechnische Bedeutung der Zählung einer Truppe; hier jedoch etwa sowohl: aufnehmen, sich aneignen, wie: erlangen, erreichen.
  195. Hierbei denkt Philo an die Lehre des Aristoteles von der richtigen Mitte, d. i. von der Vermeidung jedes Über- und Untermaßes‚ in der sich die Tugend der praktischen Vernunft betätigt.
  196. Philo deutet προσάγω wie ἀνάγω Über die Unveränd. § 4 = zurückführen auf.
  197. Klarer ist derselbe Gedanke ausgesprochen „Ü. d. Unveränderl. Gottes“ 107. Unter den besten Teilen der Welt sind die Menschen zu verstehen. Über die Gestaltung des griech. Textes vgl. meine „Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης“ Wiener Studien XLV S. 118.
  198. Nach stoischer Lehre sind alle Nicht-Weisen gleich weit von der Tugend entfernt; die Verwandlung des Weisheitsbeflissenen in den Weisen geschieht nach Chrysipp (StVF III 539 Arn.) in einem Nu plötzlich. Philo freilich führt dies auf die Schnelligkeit des Schenkenden, d. i. die Zeitlosigkeit Gottes, zurück; vielleicht im Anschluß an den stoischen Gedanken, den Seneca Ep. 121, 20 so umschreibt: et tardum est et varium, quod usus docet; quicquid natura tradit, et aequale omnibus est et statim.
  199. Das griech. Wort παράδοσις ist doppelsinnig; es bedeutet sowohl die Übergabe, Überlieferung, Vermittlung als auch die Lehre, die überliefert wird. Philo faßt es hier synonym mit ὑφήγησις Anweisung, Anleitung, Lehre, Unterricht auf.
  200. Hinweis auf § 95.
  201. Diesen Sinn entwickelt Philo aus dem Begriffe ἐξάρχειν die Initiative ergreifen.
  202. Hier wendet sich der Schriftsteller der Erklärung des letzten im § 96 zitierten Bibelverses zu.
  203. Die pessimistische Ansicht Philos über die menschliche Mangelhaftigkeit und sein Glaube an die unvorstellbare Vollkommenheit Gottes führten ihn zu der Überzeugung, daß alle Menschen fehlen. Es ist ein besonderes und seltenes Geschenk Gottes, wenn ein Mensch durch längere Zeit Fehler vermeidet (Ü. d. Landwirtsch. 180). Aber damit das sittliche Streben und die Willensfreiheit nicht aufgehoben werden, macht Philo einen Unterschied zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Vergehen; das Kriterium ist die γνώμη, das Bewußtsein und die Absicht des Menschen, zu sündigen. Ob diese vorhanden war, entscheidet als Richter das Gewissen (Ü. d. Unveränderl. Gottes 128). Unfreiwillige Fehler, denen die Menschen WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt kaum entgehen können, sind daher nur halbe und leichte Sünden (Ü. d. Nachkomm. Kains 10; Quaest. in Gen. IV 65). – Durch diese Theorie setzt sich Philo, wie Bréhier² a. a. O. S. 299 hervorhebt, sowohl zu Sokrates wie zur Stoa in Gegensatz.
  204. Wie § 85ff. übernehmen auch hier die Priester, und § 128 Aaron als ihr Vertreter, die Rolle des stoischen Idealweisen.
  205. Wegen der von der LXX abweichenden Lesart Philos und μετὰ σέ vgl. Wendland, Krit. u. exeget. Bemerk. zu Philo, Rh. Mus. LIII, 8.
  206. Vgl. § 2.
  207. אהרן‎ von הרBerg.
  208. Das Folgende knüpft an die Bibelworte: „wenn ihr ins Stiftszelt gehet oder zum Altar hinzutretet“ an.
  209. Die Opfer sind teils solche, welche Einzelpersonen auf ihre eigenen Kosten spenden, teils solche, welche auf Gemeindekosten für die Gesamtheit des Volkes dargebracht werden (Ü. d. Einzelges. I 168). Die Worte ὑπέρ τε τῶν ἰδίων καὶ κοινῶν könnten aber bei Philo noch einen anderen Sinn haben. Wenn der jüdische Priester ein Opfer für das eigene Volk darbringt, ἰδίᾳ, (Ü. d. Einzelges. II 168), dann betet und opfert er zugleich für die gesamte Menschheit, ja sogar für das Weltall, κοιναὶ θυσίαι, (Ü. d. Einzelges. I 97, 190).
  210. Eine andere, aber ebenso anschauliche Schilderung des Trunkenen gibt Philo in der Schrift Vom beschaulichen Leben § 44, 45.
  211. Die Schwierigkeiten, welche der griech. Text in Wendlands Ausgabe dem Verständnis dieser Stelle bereitete, habe ich (Wiener Studien XLIII, S. 94f.) zu beseitigen versucht.
  212. Die Lücke hat weniger, als Cohn annahm, verschlungen; es ist nur das Subjekt zu ἀναλίσκεται ausgefallen (Bemerk. z. Philos Schrift Περὶ μέθης, Wien. Stud. XLV 119).
  213. Über die ständige Aufrechterhaltung des Feuers vgl. 3 Mos. 6, 2ff.‚ Über die Einzelgesetze I 285ff.
  214. Philo nimmt – was die Herausgeber anscheinend übersehen haben – Bezug auf 3 Mos. 16, 2. Danach darf der Hohepriester – ihn hat § 135 im Auge – nur am Versöhnungstage „das Heiligtum innerhalb des Vorhanges“, d. h. das Allerheiligste, betreten. Philo verwechselt also dies Allerheiligste, in welchem nach der Thora nur die Bundeslade war, mit dem „Heiligtum“ in weiterem Sinne, welches Räucheraltar, Tisch und Leuchter enthielt, wiewohl er die Bestimmungen kennt, daß diese Geräte häufig von „den diensttuenden Priestern“ (Über die Einzelges. I 274; vgl. auch 296) benutzt wurden.
  215. Die allgemeine Tugend (die γενικὴ ἀρετή) wird mit der ἰδέα (d. i. der σκηνή)‚ die speziellen Tugenden (αἱ κατ` εἶδος, κατὰ μέρος ἀρεταί) mit dem βωμός gleichgestellt, vgl. § 138.
  216. Hier schließt sich Philo der platonischen Ansicht von der ἀνάμνησις an.
  217. Das Futurum steht in der LXX öfter, ebenso wie im Hebr., für den Imperativ; bei einem Verbot konkurriert in der gemeingriechischen Sprache der Imperat. Praes. und Konjunkt. Aoristi (Negation μή) mit dem Indik. Fut. (Negation οὐ), aber dennoch mit einem deutlich gefühlten Unterschied in der Bedeutung (Vgl. L. Radermacher, Neutestamentl. Grammatik¹, S. 136 und Wiener Studien XXXI, S. 4).
  218. 2 Mos. 33, 7 u. ö.
  219. Ich lese: τὴν δὲ σκηνὴν „μαρτυρίου“ καλεῖ πολλάκις; denn erklärt wird in den beiden mit παρόσον eingeleiteten Sätzen, warum das Zelt, bisher das Symbol der Idee der Tugend, Zelt „des Zeugnisses“ genannt wird. Wendlands Interpunktion ergäbe die schiefe Auffassung, als ob die beiden Sätze den Grund für καλεῖ πολλάκις enthielten.
  220. [Philo mißversteht absichtlich den Ausdruck, der natürlich nur besagen will, daß der nüchtern Opfernde dem Tode entgeht, den der Trunkene finden müßte. Mit Vorstellungen, wie Alleg. Erkl. I 106f. (vgl. die Anm.), hat der hier vorgetragene Gedanke schwerlich zu tun, sicher nicht mit der talmudischen Meinung, daß bestimmte biblische Persönlichkeiten „nicht gestorben seien“ (z. B. Taanit 5 b). I. H.]
  221. Statt κατασκήπτουσα lege ich Cohns Vorschlag ἐγκατασκήπτουσα (Addenda S. XXXIV) der Übersetzung zugrunde.
  222. Über die hier vorausgesetzte Lehre vom „ungeschriebenen Gesetz“ vgl. I. Heinemann in Hebrew Union College Annual 1927, 149ff.
  223. Philo berührt sich sehr nahe mit der stoischen Quelle der Rechtsphilosophie Ciceros in der Lehre vom „wahren“ Gesetz (im Gegensatz zum Scheingesetz der Ungerechten: Leg. II 13), von seiner Identität mit dem Orthos Logos (Rep. III 33) und seiner Ewigkeit (ebd.). Diesem Gedanken zuliebe mißversteht er αἰώνιον, indem er es prädikativ, statt attributiv faßt.
  224. Rhetorische Übertreibung: vgl. dagegen Leben Mosis II 3.
  225. Dieser Zusatz der LXX fehlt im MT (Sam. I 1, 11) – Philo zählt nach der LXX vier Bücher der Könige, indem 1. und 2. B. Sam. als 1. und 2. Buch der Könige mitgezählt werden.
  226. Etymologische Deutung (s. u.).
  227. Nach Plato (Phaedrus 246C) nennt Philo oft den individuellen Erdenmenschen ein Gemengsel oder eine Zusammensetzung aus Körper und Seele; z. B. Ü. Belohnungen u. Strafen § 13, Ü. d. Weltschöpfung § 135, Ü. d. Trunkenh. § 69. 101 u. a.
  228. Ebensowenig De somn. I § 254.
  229. Über die allegorische Deutung des Namens vgl. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 5 (= IV 73 und Anm. 3).
  230. Über Anna und die Allegorie ihres Namens s. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 5, Ü. d. Wand. Abrah. 196, Ü. d. Träume I 254f.
  231. Wohl nur Umschreibung des Rausches, schwerlich nach 1 Sam. 2, 1.
  232. Der Gedanke ist eine Reminiszenz an Plato (Phaedrus 249 C/D). Statt Wendlands Konjektur παροινεῖν ist die Lesart aller Handschriften παρακινεῖν wieder in den Text zu setzen. (Adler, Wiener Studien XLV. 119f.)
  233. Παιδάριον heißt Eli in einem Glossem der LXX 1 Sam. 1, 14.
  234. Das ist nach der Anm. 5 zu § 143 im MT 1 Sam. 1, 14.
  235. Statt אשה קשת־רוח אנכי‎ hat LXX γυνὴ ἡ σκληρὰ ἡμέρα ἐγώ εἰμι.
  236. Das Femininum des griechischen Adjektivs ἥμερος bezeichnet sowohl die Eigenschaft der Milde, Sanftheit bei einer Frau, wie es einen geebneten Weg bezeichnen kann, auf welchem die Hindernisse weggeräumt sind (vgl. Plato Ges. VI S. 761A). Auf dieser doppelten Bedeutung ruht Philos Auslegung.
  237. Hesiod in den „Werken und Tagen“ V. 287, 289–292; auch hier erscheint der Weg der Tugend beschwerlich und leicht. – Auf diese Hesiodstelle spielt Philo auch Ü. d. Nachkommen Kains § 154 an.
  238. Philo setzt die Partizipien durchweg in männlicher Form, wiewohl er die Worte der Anna umschreibt, – da jeder das Folgende als eigenes Erlebnis mitfühlen soll.
  239. Der Schriftsteller verweist hier auf das Lied der Trunkenen, die das goldene Kalb umtanzen; die Bibelstelle 2 Mos. 32, 17–19 hat er in den §§ 96–105 und §§ 121–125 behandelt.
  240. Das ist der zweite Punkt der von Philo § 4–6 gegebenen Einteilung.
  241. Das Verbum ἀνορθιάζω gebraucht Philo hier in der Bedeutung von ἀνορθόω.
  242. Das griechische Wort ἀλογία kann ebenso das Fehlen von λόγοι bedeuten, wie den Gegensatz zu λόγος. Hier überwiegt wohl neben φῶς : σκότος die erstere Bedeutung, doch schillert auch das Merkmal unlogische Unordnung WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Wirrwarr herein. Aber auch der positive Vorstellungsinhalt, dessen Gegenteil ἀλογία hier hauptsächlich bezeichnet, ist doppelsinnig: er bezeichnet sowohl mit Rücksicht auf ἀκούοντα das Wort, wie mit Rücksicht auf ἄγνοια und ἐν ψυχῇ den mit dem Worte verbundenen Begriffsinhalt.
  243. Das griechische Wort κωφός, eigentlich abgestumpft, wird in Bezug auf Gehörsempfindungen bald aktivisch gebraucht: stumm, bald passivisch: taub.
  244. Versehen und Überhören halten die Stoiker für Fehler, von welchen der Weise frei ist (StVF II 131, III 548).
  245. In diese platonisierenden Gedanken mischt Philo – vermutlich mit Rücksicht auf die § 165 folgende allegorische Ausdeutung der beiden Töchter Lots – den stoischen Begriff der κατόρθωσις ein, welche unter anderem auch darauf beruht, daß man unter den ἀδιάφορα‚ den ethisch eigentlich belanglosen Dingen, die προηγμένα wählt, weil ihnen doch als naturgemäßen irgendein Wert zukommt, und die ἀποπροηγμένα, ihr Gegenteil, zurückweist.
  246. Über den Irrtum und die Sünde dessen, der in Selbstüberhebung die Allmacht Gottes verkennt, hat Philo §§ 36–47 gesprochen.
  247. Über den Unterschied unfreiwilliger und freiwilliger Fehler s. die Anm. 3 zu § 125.
  248. Während der Name der Älteren stets als βουλή gedeutet wird, heißt die Jüngere bald συναίνεσις, wie hier, bald συγκατάθεσις (Ü. d. Nachk. Kains 175), bald admissio (Quaest. in Gen. IV 55ff.).
  249. Den Sinn dieser Ansicht können wir aus Quaest. in Gen. IV 56 und 58 erschließen. Nicht jeder Vorstellung darf der Stoiker zustimmen, sondern nur der καταληπτικὴ φαντασία.
  250. Darin liegt der Dünkel Lots; sein Frevel gegen Gott (nach Philo, Über die Nachk. Kains § 175) darin, daß diese Selbstüberschätzung die Anerkennung Gottes als des Schöpfers und Vaters des Alls ausschließt. Etwas anders wird die Geschichte von Lot und seinen Töchtern erklärt in den Quaest. in Gen. IV 55–58. Eine Besprechung und Parallelen dazu bei Wendland, Neu entdeckte Fragmente Philos, S. 77.
  251. Dies Bild scheint bei den Skeptikern geläufig gewesen zu sein; Carneades und Philo von Larissa haben es gebraucht (A. Goedeckemeyer, Die Geschichte d. griech. Skeptizismus, S. 59, Anm. 7; S. 123); und unser Schriftsteller verwendet es fast mit den gleichen Worten, Ü. Joseph § 140, in einem Zusammenhang, der auf Aenesidem als Quelle hinweist, wie v. Arnim gezeigt hat (Quellenstudien zu Philo von Alexandria S. 94ff.).
  252. πεπηρωμένος bezeichnet „im guten Griechisch“ nicht nur den allgemeinen Begriff der ,Verstümmelung‘, „sondern wird ohne weiteren Beisatz speziell vom ,Blinden‘ gebraucht“. (Jakob Bernays, Die heraklit. Briefe S. 132.) – „Daß hier πεπηρωμένος nach spätem Sprachgebrauch geblendet heißt, lehrt der Zusammenhang“ (v. Arnim, a. a. O. S. 57, 3).
  253. Der Ausdruck ἐφαπτόμενος steht hier, wie sonst bei Philo ψηλαφῶν, das er sowohl aus der Bibel (5 Mos. 28, 28. 29), wie aus Platos Phädo 99 B in Verbindung mit der Vorstellung von der Finsternis kennt (vgl. z. B. Ü. d. Erben d. Göttl. § 250).
  254. Die vorherige Annahme der Blindheit des erkennenden Subjektes ist hier aufgegeben und statt ihrer die Unerkennbarkeit der Objekte betont.
  255. Hier beginnt Philo, die Gründe Aenesidems für die ἐποχή als Beweis seiner Behauptung § 166f. anzuführen.
  256. Was Heraklit über das Ding behauptete, überträgt Aenesidem hier auf die Erscheinung (vgl. v. Arnim, a. a. O. S. 59 und 83).
  257. Das ist der erste τρόπος τῆς ἐποχῆς bei Aenesidem. (Sextus Empir. Pyrrh. Hyp. I § 40–78).
  258. Dadurch, daß Philo hier von den Subjekten des Urteils zu den Objekten überspringt, unterbricht er den systematischen Zusammenhang der τρόποι Aenesidems, um gleich darauf, § 175, wieder zu den Unterschieden der erkennenden Subjekte zurückzukehren.
  259. Dies Beispiel führt Sextus Empir. (Pyrrh. Hyp. I § 120) im 5. τρόπος an; Aenesidem hat es wahrscheinlich auch dort eingereiht; denn schon vor ihm haben die Skeptiker, wie Cicero Lucullus 7 § 19 zu beweisen scheint, es mit dem scheinbar gebrochenen Ruder zusammengestellt, das auch bei Philo in dem τρόπος erwähnt wird, der dem fünften bei Sext. Empir. entspricht.
  260. Bei Aristoteles, Theophrast, Antigonus ἱστ. παραδ. συναγωγή XXV, Aelian, περί ζῷων II 16, Stephanus Byzantius, s. v. Γελωνός, und Eustathius ad Dionys. Per. 310 lautet der Name des Tieres Tarandos. – Dieser in der Literatur der παράδοξα und θαυμάσια sehr verbreitete Bericht scheint in der Fassung, wie er uns bei Philo vorliegt, auf Theophrast zurückzugehen (vgl. M. Adler, Bemerkungen zu Philos Schrift Περὶ μέθης, Wiener Studien XLIII 95f.). Aristoteles, der das Wundertier auch kennt (Valentin Rose, Aristotelis frg. Nr. 371), schildert es anders. Auch bei Cäsar, Bell. Gall. VI 26, 1, wird es erwähnt.
  261. In der Paradoxographie sind Chamäleon, Polyp und Tarandros miteinander verbunden. Hier unterbricht Philo diesen traditionellen Zusammenhang durch das Beispiel von der Taube. Auch das spricht dafür, daß die in Anm. 1 hervorgehobene Abweichung von Sext. Emp. nicht Aenesidem, sondern Philo zur Last zu legen sein wird.
  262. Das ist Aenesidems zweiter τρόπος.
  263. Wendlands Vorschlag, οἱ αὐτοί als Subjekt des Satzes einzusetzen, suche ich (Wiener Studien XLV 245f.) zu widerlegen und die Überlieferung zu verteidigen.
  264. Statt ἐπισπασάμενοι lese ich ἀσπασάμενοι und begründe diese Änderung Wien. Stud. XLV, S. 246.
  265. Mit dieser Frage schafft sich Philo den Übergang zum vierten τρόπος bei Sextus; der dritte fehlt bei Philo.
  266. Sehr geschickt leitet unser Schriftsteller von den Lebewesen (§ 171) zu den Menschen im allgemeinen (§ 176) und von da zum Einzelmenschen (§ 178) über.
  267. Nach stoischer Anschauung ist jeder Affekt (πάθος) eine κίνησις ψυχῆς ἄλογος καὶ παρὰ φύσιν. Philo scheint nun hier den πάθη als ihren Gegensatz WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt die εὐπάθειαι entgegenzustellen und sie als κινήσεις κατὰ φύσιν aufzufassen.
  268. Über diesen Heraklitismus, der auf Aenesidem zurückzuführen ist, vgl. v. Arnim, a. a. O. S. 63.
  269. Der 5. τρόπος bei Sextus Empir.
  270. Dies Beispiel war bei den Skeptikern schon lange vor Aenesidem beliebt; wahrscheinlich hat es auch schon Carneades gebraucht.
  271. Bei Sextus Empir. der 7. τρόπος τῆς ἐποχῆς.
  272. Bei Sextus Pyrrh. Hyp. I 129ff. sind viel mehr Beispiele des Aenesidem, aus denen Philo nur dies eine herausgegriffen hat, angeführt.
  273. Der 8. τρόπος des Sextus.
  274. Der 6. τρόπος des Sextus, der von Philo abweichend von der Aufzählung der τρόποι bei Sextus und Diogenes Laertius IX 79–88 erst als siebenter behandelt wird.
  275. οὐ δήπου betrachte ich als Antwort, nicht, wie Wendland, als Frage.
  276. Wenn man das überlieferte Wort ἀναγκαῖον hier nicht adverbial auffassen kann, so ist die leichte Änderung in ἀναγκαίως der Streichung, die Cohn vorschlug, vorzuziehen oder der Ausfall der Präposition κατὰ anzunehmen. Die Wendung κατὰ τὸ ἀναγκαῖον oder κατὰ τἀναγκαῖον ist bei Philo äußerst häufig; vgl. z. B. Ü. d. Weltschöpf. § 53, Ü. d. Nachk. Kains § 108, Ü. d. Dekalog § 18, Ü. d. Tug. § 118, § 190, Ü. Belohn. u. Strafen § 98, 105 u. a. m.
  277. Damit geht Philo zu dem 10. τρόπος des Sextus über, welcher sich gegen die Glaubwürdigkeit der ἄδηλα wendet, während sich alle bisherigen τρόποι mit den sinnfälligen Dingen, den sogenannten ἐναργῆ, beschäftigt haben. Nach dem glaubhaften Nachweise v. Arnims (a. a. O. S. 66) ist nun der 10. τρόπος „in der philonischen Darstellung deutlich in zwei τρόποι gespalten.“ Der erste Teil, in welchem „die Widersprüche der ἀγωγαί, ἔθη, νόμοι, besprochen werden“, reicht bis zum Schlusse des § 197. – Dieses auf der Verschiedenheit der Völkersitten beruhende Argument hat Philo auch in seiner Schrift „Ü. d. Vorsehung“ verwendet (vgl. die Belegstellen bei Wendland, Philos Schrift über die Vorsehung, S. 35, Anm. 3). Es wurde wohl nicht von Aenesidem erfunden, sondern war sicher schon in der akademischen Skepsis oft gebraucht (s. Wendland a. a. O. S. 36, 1). Βαρβαρικὰ νόμιμα sammelten ja schon die Kyniker.
  278. Das Urteilen ist nach dem Skeptiker unzulässig, das ἐπέχειν geboten.
  279. Die Konjekturen Mangeys: ταὐτὰ und Wendlands: τοιαῦτα habe ich abgelehnt und die Lesart, die der Übersetzung zugrunde liegt, zu rechtfertigen gesucht in den Wiener Studien XLV S. 246f.
  280. Diese Redensart wird von Philo als sprichwörtlich bezeichnet Ü. d. Nüchternheit § 24.
  281. Ein Anklang an Platos Gorgias 485 E, auf den auch Demosthenes Or. Olynth. III 32 anspielt.
  282. Der Hohn des Skeptikers kommt im Deutschen durch Übersetzung des griech. Wortes φιλόσοφοι besser zum Ausdruck.
  283. Hier beginnt der zweite Teil des zehnten τρόπος, die Aufdeckung der Widersprüche in den δογματικαὶ ὑπολήψεις.
  284. Das ist die von Demokrit genommene Ansicht Epikurs (Usener, Epicurea frg. 296. 297).
  285. Gemeint sind wohl die Stoiker, aber philosophisch genau gibt hier Philo ihre Lehre nicht wieder; denn nur wenn man unter dem πᾶν den κόσμος versteht, wie es zuweilen Stoiker meinten (StVF III S. 260, 24) oder wenn eine Verwechslung der Begriffe πᾶν und ὅλον hier vorliegt, stimmt die Beziehung auf die Stoa.
  286. Das taten die Peripatetiker.
  287. Die Erschaffung der Welt nahmen Stoiker ebenso wie Epikureer an; in gewissem Sinne nach Philos Meinung auch Plato.
  288. Epikur und seine Schule.
  289. Philo verändert hier leicht die Ansicht der Stoiker über die πρόνοια unter dem Einfluß seiner jüdischen Anschauung.
  290. Die Stoiker, welche die Identität des καλόν und ἀγαθόν lehrten, sahen nur in der ἀρετή und in dem, was an der ἀρετή Teil hat, das Gute. Die ἀρετή aber ist für sie das ἡγεμονικὸν τῆς ψυχῆς oder dessen vernünftige διάθεσις. Insoferne kann also Philo bildlich davon sprechen, die Seele sei die Schatzkammer des Guten.
  291. Die Peripatetiker lehrten die Dreiteilung der Güter in seelische, leibliche und äußere; über diese äußert sich Philo ähnlich, Der Erbe d. Göttl. § 286, Ü. d. Sprachenverw. § 18ff. u. ö.
  292. τὸ ὁλόκληρον bezeichnet die Unversehrtheit, Unverstümmeltheit des Körpers, die neben der ἀκρίβεια der Sinnesorgane von den Stoikern, in betontem Gegensatze zu den Peripatetikern, unter die ἀδιάφορα gezählt wird.
  293. Philos Vergleich kennzeichnet das gegenseitige Verhältnis der drei peripatetischen Güterklassen. Die Annahme v. Arnims, auf die er als eine Möglichkeit hinweist (S. 67, 1), daß der Vergleich von Antiochus stamme, ist mir nicht wahrscheinlich.
  294. Nach § 165f. ist damit Lot gemeint; die Darstellung kehrt zu dem Punkt zurück, wo Philo die τρόποι des Aenesidem eingelegt hat.
  295. Die Schwierigkeiten des überlieferten Textes, um dessen Heilung sich P. Wendland, L. Cohn und O. Stählin bemühten, habe ich durch die Konjektur χηρούμενος (statt χρώμενος) zu beheben versucht in d. Wiener Studien XLV S. 247f.
  296. Wie aus den letzten Worten des § 183 hervorgeht, bezeichnet Philo mit dem Verbum compositum συνεπιγράφεσθαι, wahrscheinlich dank dem ersten Bestandteil, dasselbe, was § 165 συναινεῖν und ἐπινεύειν ausdrücken, ein Bedeutungsmoment, das dem terminus der Stoiker συγκατατίθεσθαι nahe kommt.
  297. περιίστασθαι gebraucht Philo (oder seine Quelle?) synonym dem Ausdrucke μεταβάλλειν mit dem Heraklit in seiner Lehre „von der Koexistenz und von der Ablösung der Gegensätze“ (v. Arnim a. a. O. S. 69) ein Umschlagen ins Gegenteil bezeichnete.
  298. Ausdrücklich ausgesprochen hat das Philo im Vorhergehenden nicht.
  299. Das Wort γαστριμαργία, das die unsinnige und ausschweifende Gier des Magens bedeutet, wird von den Griechen sowohl in weiterem Umfange für das Übermaß im Essen und Trinken, als auch in engerem Umfange für die Gefräßigkeit allein gebraucht. Plato stellt es z. B. Phaedo 81 E neben φιλοποσία, und drückt Tim. 72 E jenen weiteren Begriffsumfang durch μαργότης aus. Philo dagegen unterscheidet De somn. II § 155 zwei Arten der γαστριμαργία: πόσις τε καὶ βρῶσις; und hebt dort § 157 hervor, daß jede Art die andere nach sich zieht.
  300. Befriedigung und Zufriedenheit sind für Philo psychische Zustände; es ist daher ein grobes Mißverständnis ungebildeter Menschen, sie physiologisch und körperlich erzielen zu wollen.
  301. Da Philo in Ägypten, dem Lande der Knechtschaft Israels, das der Sinnlichkeit unterworfene Gebiet des Körpers sieht, ist für ihn der König Ägyptens der Beherrscher des Körpers, der Geist (νοῦς); aber im Sinne des philonischen Dualismus ein solcher νοῦς, wie er nicht sein soll, ein φιλοσώματος (Ü. Abrah. § 103) und ὑπέραυχος (Ü. d. Trunkenh. § 111); ihn haben nicht die ethischen Persönlichkeiten (ἀστεῖοι), sondern die minderwertigen Toren (φαῦλοι) und deshalb ist er bald ἄθεος (All. Erkl. III § 212), bald sogar ἀντίθεος (Ü. d. Sprachenverw. § 88).
  302. 1 Mos. 40, 2; auf diesen Vers geht Philo § 210 näher ein.
  303. Der Text bietet Schwierigkeiten, die weder durch Wendlands noch durch Cohns Besserungsvorschlag behoben sind; ich möchte unter Wahrung der Überlieferung bloß φωτός in φωτί ändern. – Philo faßt hier das Wort γένεσις, das, wie im MT, in der LXX nur die Geburt bezeichnet, in der ihm geläufigen kollektiven Bedeutung alles Geschaffene, Geborene, Gewordene und stellt dazu in Gegensatz ὁ ἀγένητος, d. i. Gott. Daraus ergibt sich auch die Antithese der Begriffe: ἡμέρα, als Abschnitt des menschlichen Lebens, und φῶς ἄφθαρτον. Die Selbstüberhebung des Pharao (νοῦς) besteht dann darin, daß er einem Momente der Vergänglichkeit soviel Wichtigkeit beimißt, daß er seine Geburt feiert; und sein Fehler ist der, nicht zu wissen, nur Gott könne dem Menschen, ihn durch sein Licht begnadend, Erkenntnis verleihen (§ 209).
  304. Damit ist wohl der Sinn der Worte ἐπὶ σπονδαῖς, die sich auf 1 Mos. 40, 21 beziehen, mit Rücksicht auf καταλλαττόμενος (§ 208) getroffen (vgl. § 220).
  305. Der König Ägyptens ist der φιλήδονος τρόπος (Alleg. Erkl. III § 212), der ἔξαρχος τοῦ φιλοπαθοῦς θιάσου (Ü. d. Träume II § 277).
  306. Der Ausdruck λαμπρά setzt die Vorstellung des φῶς fort (§ 208 s. Anm.).
  307. Im M T: Oberster der Leibwächter, in der LXX ἀρχιμάγειρος vgl. Ü. Joseph § 27 Anm.
  308. Für Philo ist die Erhaltung des Alls sinnlos ohne die Erhaltung des Menschengeschlechtes; dessen Fortpflanzung ist aber an die Vereinigung von Mann und Frau gebunden (vgl. Ü. d. Nachstell. § 102). Philos Ansichten über den ethischen und sozialen Zweck der Ehe zusammengestellt bei P. Wendland, Philo u. d. kyn.-stoische Diatribe, S. 34f. u. 37. – Aber auch das Individuum erhält durch die Kinder und die Folge der Geschlechter Anteil an der Unsterblichkeit, Ü. d. Träume II § 184.
  309. Vgl. Ü. d. Träume II § 184.
  310. Der Freund der Lust ist unfruchtbar jeglicher Tugend. (Ü. Joseph § 153).
  311. Vgl. Ü. d. Unveränderl. § 111, Ü. d. Träume § 184, Alleg. Erkl. III § 8, Ü. d. Einzelges. I § 325, De mut. nom. § 205 u. ö.
  312. Über den Begriff des Glaubens bei Philo vgl. Windisch, Die Frömmigkeit Philos 23ff.
  313. Ähnlich Philo Ü. Joseph § 152.
  314. Alleg. Erkl. III § 147 spricht Philo den Gedanken aus, zum Genuß der notwendigen Speisen und Getränke zwinge die Natur auch den Bedürfnislosesten, der auch die unentbehrlichen Dinge verachtet und nach Enthaltung von ihnen strebt (dazu vgl. W. Bousset, Die Religion d. Judentums S. 512, ³445).
  315. Über das philonische Ideal der ἐγκράτεια, der Mäßigkeit und Selbstbeherrschung in Speise und Trank, handelte P. Wendland im 2. Kapitel seiner Abh.: Philo und die kynisch-stoische Diatribe (S. 8–15). „Nützlichkeit und Notwendigkeit sind die Normen des naturgemäßen Lebens. Gegensatz von ἀναγκαῖα sind ἄμετρα und περιττά.“ (Wendland, ebda S. 10, 1).
  316. Der Text dieser Stelle scheint nicht heil zu sein, ihr Sinn ist unklar.
  317. Da hier ein Glied der Alternativen zu Ende ist, wird eine Interpunktion verlangt.
  318. Wendlands Vermutung πότον würde eher ein Trinkgelage bezeichnen; dagegen scheinen mir σύντονος und πρᾷος mehr auf die Qualität eines Getränkes zu gehen; deshalb behalte ich die handschr. Lesart ποτὸν bei.
  319. Pharao als Vertreter derjenigen Geistigkeit, die ihr Reich im Niederen hat. – Das Komma nach βασιλεύς verleitet leicht zu der Auffassung, daß der νοῦς als solcher in dem hier gemeinten Sinne über den Bauch herrsche, und bliebe daher besser fort.
  320. Dieselbe Etymologie Ü. d. Träume II § 192, nur daß dort die beiden Übersetzungen alternativ voneinander geschieden werden; [beides wohl von סתםverschließen. I. H.].
  321. Zwei Arten von Weinstöcken nimmt Philo in dem Abschnitt § 169–194 der 2. Abh. „Ü. d. Träume“ an; der eine ist das Symbol der Unvernunft, der andere das des Frohsinns (εὐφροσύνη), den die Stoiker billigen und nur dem Weisen zutrauen.
  322. Die Unterscheidung zwischen Kultur- und Wildpflanzen (ἥμερα und ἄγρια φυτά) ist bei Philo häufig.
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