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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

nicht mit vollem Recht eingeführt als bar des Wissens infolge des Nichterkennens?[1] Denn es heißt: „Er erkannte sie nicht beim Niederlegen und Aufstehen“ (1 Mos. 19, 33. 35). 204 Denn weder Schlaf noch Wachsein, weder Ruhe noch Bewegung scheint er klar und sicher zu begreifen, sondern sogar dann, wann er am besten beraten zu sein wähnt, findet er sich am übelsten beraten, da die Dinge einen Ausgang nehmen, der den Erwartungen ganz unähnlich ist. 205 Und wenn er beschließt, etwas durch seine Zustimmung[2] als wahr zu unterschreiben, dann erntet er die durch seine Leichtfertigkeit verdiente Verurteilung, indem sich die Unglaubwürdigkeit und Unsicherheit (der Begriffe) herausstellt, denen er früher als ganz sicheren vertraute; weil also die Dinge in das Gegenteil dessen, wofür man sie in seinen Vermutungen hielt, überzugehen[3] pflegen, ist es daher am sichersten, mit seinem Urteil über sie zurückzuhalten.

[50] 206 Darüber nun haben wir genug gesprochen und wollen uns jetzt mit unserer Auseinandersetzung dem Folgenden zuwenden. Wir sagten also,[4] durch die Trunkenheit werde auch die Schlemmerei[5] sichtbar, die vielen schon vielmals gewaltigen Schaden zugefügt hat; man kann sehen, wie die ihr Verfallenen, auch wenn sie die Behälter des Leibes alle gefüllt haben, noch immer in ihren Begierden


  1. Die Schwierigkeiten des überlieferten Textes, um dessen Heilung sich P. Wendland, L. Cohn und O. Stählin bemühten, habe ich durch die Konjektur χηρούμενος (statt χρώμενος) zu beheben versucht in d. Wiener Studien XLV S. 247f.
  2. Wie aus den letzten Worten des § 183 hervorgeht, bezeichnet Philo mit dem Verbum compositum συνεπιγράφεσθαι, wahrscheinlich dank dem ersten Bestandteil, dasselbe, was § 165 συναινεῖν und ἐπινεύειν ausdrücken, ein Bedeutungsmoment, das dem terminus der Stoiker συγκατατίθεσθαι nahe kommt.
  3. περιίστασθαι gebraucht Philo (oder seine Quelle?) synonym dem Ausdrucke μεταβάλλειν mit dem Heraklit in seiner Lehre „von der Koexistenz und von der Ablösung der Gegensätze“ (v. Arnim a. a. O. S. 69) ein Umschlagen ins Gegenteil bezeichnete.
  4. Ausdrücklich ausgesprochen hat das Philo im Vorhergehenden nicht.
  5. Das Wort γαστριμαργία, das die unsinnige und ausschweifende Gier des Magens bedeutet, wird von den Griechen sowohl in weiterem Umfange für das Übermaß im Essen und Trinken, als auch in engerem Umfange für die Gefräßigkeit allein gebraucht. Plato stellt es z. B. Phaedo 81 E neben φιλοποσία, und drückt Tim. 72 E jenen weiteren Begriffsumfang durch μαργότης aus. Philo dagegen unterscheidet De somn. II § 155 zwei Arten der γαστριμαργία: πόσις τε καὶ βρῶσις; und hebt dort § 157 hervor, daß jede Art die andere nach sich zieht.
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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/070&oldid=- (Version vom 21.5.2018)