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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

wahrnehmbaren Abbildes.[1] Den Altar nämlich und die auf ihm liegenden Gegenstände kann man leicht sehen, weil er außen erbaut ist und in nie gelöschtem Feuer die Opfer[2] verzehrt werden, so daß er nicht nur unter Tags, sondern auch bei Nacht umleuchtet ist;[3] 135 das Zelt aber und alles, was es birgt, ist unschaubar, nicht allein deshalb, weil es ganz innen und im Allerheiligsten aufgestellt ist, sondern auch deshalb, weil derjenige, der es berührt oder aus Vorwitz seiner Augen hineinblickt, nach dem Gebot des Gesetzes unerbittlich mit dem Tode bestraft wird, es sei denn, er wäre ohne Mängel und ganz vollkommen und sein Herz bebte in keiner, weder in großer noch in kleiner Leidenschaft, sondern sein Wesen wäre ausgeglichen, vollständig und gänzlich vollkommen. 136 Diesem ist es nämlich erlaubt, einmal des Jahres (das Zelt) zu betreten[4] und anzuschauen, was den Blicken anderer entzogen ist, weil in ihm allein von allen die beflügelte und himmlische Sehnsucht nach den unkörperlichen und unvergänglichen Gütern lebt. 137 Wann er nun von der Idee erschüttert, dem Urbildsiegel, das die Einzeltugenden prägt, folgt und dabei seine gottähnliche Schönheit denkend erfaßt und ergriffen bewundert, oder wann er einer (Einzeltugend) sich nähert, die das Gepräge von jenem empfangen hat,[5] dann stellt sich Vergessenheit der Unwissenheit und der Zuchtlosigkeit, dafür aber Erinnerung an die Zucht und das Wissen sofort bei ihm ein.[6] 138 Darum heißt es: „Wein und berauschendes


  1. Die Schwierigkeiten, welche der griech. Text in Wendlands Ausgabe dem Verständnis dieser Stelle bereitete, habe ich (Wiener Studien XLIII, S. 94f.) zu beseitigen versucht.
  2. Die Lücke hat weniger, als Cohn annahm, verschlungen; es ist nur das Subjekt zu ἀναλίσκεται ausgefallen (Bemerk. z. Philos Schrift Περὶ μέθης, Wien. Stud. XLV 119).
  3. Über die ständige Aufrechterhaltung des Feuers vgl. 3 Mos. 6, 2ff.‚ Über die Einzelgesetze I 285ff.
  4. Philo nimmt – was die Herausgeber anscheinend übersehen haben – Bezug auf 3 Mos. 16, 2. Danach darf der Hohepriester – ihn hat § 135 im Auge – nur am Versöhnungstage „das Heiligtum innerhalb des Vorhanges“, d. h. das Allerheiligste, betreten. Philo verwechselt also dies Allerheiligste, in welchem nach der Thora nur die Bundeslade war, mit dem „Heiligtum“ in weiterem Sinne, welches Räucheraltar, Tisch und Leuchter enthielt, wiewohl er die Bestimmungen kennt, daß diese Geräte häufig von „den diensttuenden Priestern“ (Über die Einzelges. I 274; vgl. auch 296) benutzt wurden.
  5. Die allgemeine Tugend (die γενικὴ ἀρετή) wird mit der ἰδέα (d. i. der σκηνή)‚ die speziellen Tugenden (αἱ κατ` εἶδος, κατὰ μέρος ἀρεταί) mit dem βωμός gleichgestellt, vgl. § 138.
  6. Hier schließt sich Philo der platonischen Ansicht von der ἀνάμνησις an.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/052&oldid=- (Version vom 21.5.2018)