Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/031

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

[17] 71 Warum sollten wir also nicht auch sie (die Sprache), diesen verruchten Redekünstler, von uns abwehren und sie zum verdienten Tode verurteilen, zur Stille? – denn Stille ist der Tod der Sprache[1] – damit sie ihr sophistisches Unwesen nicht weiter treibe und der Geist von ihr nicht ins Schlepptau genommen werde, sondern völlig losgelöst von den Lüsten des „Bruders“ Körper, von dem Gaukelspiel der „nächsten“ und benachbarten Empfindungen, von den Kniffen der „nächstverwandten“ Sprache, frei und entfesselt sich in Reinheit allen geistigen Wesen nähern könne?[2] 72 Ein solcher[3] ist, „der da spricht zu seinem Vater und zu seiner Mutter“, seinen sterblichen Eltern, „ich habe euch nicht gesehen“, seitdem ich das Göttliche erblickte, „der da die Söhne nicht kennt“, seit er ein Bekannter der Weisheit geworden, „der da seine Brüder nicht erkennt“ (5 Mos. 33, 9), seit er bei Gott anerkannt und der vollkommenen Rettung für würdig befunden wurde. 73 Ein solcher[4] ist, „der die Lanze nahm“, das heißt: der das Wesen der vergänglichen Geschöpfe untersucht und erforscht,[5] deren Glückseligkeit in Speisen und Getränken aufgespeichert ist;


  1. Wie die Erkenntnis, die der Mensch aus sich selbst gewinnen kann, gering und unsicher ist und daher die skeptische ἐποχή (Zurückhaltung jeglichen Urteils) Voraussetzung der wahren Erkenntnis ist, so wird hier, wohl in Anlehnung an Mysterienbrauch, Schweigen als Voraussetzung für die Schau der geistigen Wesen gefordert. Vgl. De fuga et invent. 135f. Ü. d. Sprachenverwirrung 37. Anders allerdings Ü. d. Nachkomm. Kains 108.
  2. Den gleichen Gedanken hat Philo De fuga et invent. 92 ausgesprochen.
  3. Gemeint ist wieder Levi (als Vertreter des Priesterstamms) im Segen des Moses. (Vgl. Alleg. Erkl. II 51f. De fuga et invent. 89.) – „Les Lévites, qui, symboliquement, sont les logoi divins, abandonnent toutes les facultés sensibles, y compris le langage“. Bréhier² S. 102.
  4. Gemeint ist Phinees (also wieder ein Priester), dessen Name zwar hier nicht genannt wird, dessen Tat aber Philo im Leben Mosis I 301–304 erzählt, dessen Eifer und Tat er öfter in ähnlicher Symbolik deutet (Ü. d. Nachkomm. Kains 182, Alleg. Erkl. III 242, De mut. nom. 108f.; abweichend hiervon Ü. d. Sprachenverw. 57).
  5. Das griechische Wort σειρομάστης „bedeutet eigentlich Grubenprüfer, Grubensucher, ein Werkzeug, mit dem die Zöllner Getreidegruben und Magazine durchsuchten“ (Pape). Es hatte wohl die Form einer Lanze. Philos Spielen mit den griechischen Worten σειρομάστης Lanze und μαστεύειν suchen können wir in der deutschen Sprache nicht nachahmen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/031&oldid=- (Version vom 8.6.2018)