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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Flut der Erscheinungen, welche widerstreitende und widerspruchsvolle Traumbilder an uns heranwirft.[1]

[44] 181 Nicht zum wenigsten tritt die Unstetigkeit in den Vorstellungen ein, nach der Lage, der Entfernung und dem Orte, in denen sich jeweils (die Gegenstände der Wahrnehmung) befinden.[2] 182 Oder sehen wir nicht, daß die Fische im Meere, wann sie mit ausgespannten Flossen einherschwimmen, von außen immer größer, als sie wirklich sind, erscheinen? Und die Ruder kann man gelegentlich, sind sie auch noch so gerade gestreckt, unter Wasser gebrochen sehen.[3] 183 Nun erst die Gegenstände, die sich sehr weit entfernt befinden, lassen in der Regel falsche Vorstellungen entstehen und täuschen so den Geist; denn manchmal vermutet man in leblosen Dingen Lebewesen und umgekehrt in beseelten (Wesen) leblose, Stehendes scheint sich zu bewegen, und Bewegtes stillzustehen, sich Näherndes im Hintergrund sich zu verlieren, sich Entfernendes hinwiederum nahe zu kommen, sehr Langes erscheint ganz kurz, rund dagegen das Vieleckige. Und in tausend anderen Fällen verzeichnet der unbehinderte Gesichtssinn die Erscheinungen falsch, denen darum kein richtig Denkender Sicherheit zuschreiben kann. [45] 184 Und wie steht es denn mit der Menge bei den zubereiteten Dingen?[4] Durch ein Mehr oder Weniger entsteht nämlich Schaden und Nutzen, wie es neben sehr vielem anderen,[5] namentlich bei den Heilmitteln in der Arzneiwissenschaft der Fall ist. 185 Denn die Menge bei der Zusammensetzung ist nach vorgeschriebenen Grenzen bemessen; innerhalb ihrer abzuweichen ist ebenso gefährlich, wie über sie hinauszugehen, – denn ein zu Wenig mindert die Wirkung, ein Zuviel überspannt sie; und schädlich ist beides, das eine, weil es wegen der Kraftlosigkeit nicht wirken kann, das andere, weil es durch seine konzentrierte Kraft gewaltsam Schaden anrichtet, – aber durch entsprechende Glätte und Rauhheit, durch Verdichtung und Verfilzung und andererseits


  1. Über diesen Heraklitismus, der auf Aenesidem zurückzuführen ist, vgl. v. Arnim, a. a. O. S. 63.
  2. Der 5. τρόπος bei Sextus Empir.
  3. Dies Beispiel war bei den Skeptikern schon lange vor Aenesidem beliebt; wahrscheinlich hat es auch schon Carneades gebraucht.
  4. Bei Sextus Empir. der 7. τρόπος τῆς ἐποχῆς.
  5. Bei Sextus Pyrrh. Hyp. I 129ff. sind viel mehr Beispiele des Aenesidem, aus denen Philo nur dies eine herausgegriffen hat, angeführt.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/064&oldid=- (Version vom 21.5.2018)