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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

haben,[1] sondern von dem Urheber und Vater des Alls.[2] 62 Sie dringt deshalb mit ihrem Blicke über die ganze körperhafte Welt hinüber und wird, von der Freude in Gott erheitert, den großen Ernst, den die Menschen auf ihre Angelegenheiten im Kriege oder Frieden verwenden, zum Gelächter machen.[3]

[15] 63 Wir hingegen[4] sind noch von der unmännlichen und weiberhaften Gewöhnung an die Sinnesempfindungen, die Leidenschaften und die Sinnenwelt bezwungen und haben deswegen nicht die Kraft, uns auch nur gegen eine der Erscheinungen aufzulehnen,[5] sondern werden von allen, auch den zufälligsten, teils gegen unseren Willen, teils sogar mit unserem Willen,[6] mitgerissen. 64 Und mag auch der große Haufe von uns, seines Unvermögens überführt werden, den Geboten des Vaters dienstwillig Folge zu leisten, trotzdem wird er einen Verbündeten an der Mutter finden, an der mittleren Bildung, welche das, was als Brauch geübt wird und Rechtens zu sein scheint, in den einzelnen Staaten vorschreibt und den einen diese, den anderen jene Gesetze gibt. 65 Es gibt aber auch einige, welche über die Befehle


  1. Das überlieferte Wort τῶν ποιητῶν ist, wie Wendland, Rhein. Mus. 53, 4, richtig gesehen hat, nicht mit Großmann von ποιητής abzuleiten; aber sein eigener Vorschlag, mit L. Cohn ποιοτήτων zu lesen, ist überflüssig und würde den Sinn nur verdunkeln. τιθήνη τῶν ποιητῶν ist dasselbe, was Plato 52 D γενέσεως τιθήνη nennt und τὰ ποιητά entspricht seinem γιγνόμενα und γεγονότα.
  2. Die hier von Philo dargelegte Ansicht von der Materie ist streng genommen nicht die platonische; denn bei Plato ist die ὕλη nicht wahrnehmbar, und nicht sie ist es, die immer wieder entsteht und sich auflöst, sondern ausdrücklich stellt er Timaeus 51 A fest: διὸ δὴ τὴν τοῦ γεγονότος ὁρατοῦ καὶ πάντως αἰσθητοῦ μητέρα καὶ ὑποδοχὴν μήτε γῆν … λέγωμεν· ... ἀλλʼ ἀνόρατον εἶδός τι καὶ ἄμορφον, πανδεχὲς, μεταλαμβάνον δὲ ἀπορώτατα πῇ τοῦ νοητοῦ … αὐτὸ λέγοντες οὐ ψευσόμεθα.. Es ist wahrscheinlich Philos eigener hochgespannter Dualismus und die Nachbarschaft des Gegensatzes zwischen Vater und Mutter in unserer Schrift, die ihn zu dieser schiefen Ansicht von der platonischen Materie verleitet haben; es sei denn, man nähme an, er hätte in der Streitfrage über die Qualität und Bewegung der Materie, die bis in die neueste Zeit die Platoforschung beschäftigt, einen ähnlichen Standpunkt wie die bei Zeller II 1⁴ S. 727, 2 aufgezählten Gelehrten oder z. B. Peiper, Ontologia Platonica S. 443, 1 eingenommen.
  3. Anspielung auf den § 60 erwähnten Isaak, der „Lachen“ (All. Erkl. I 82) oder „Lachen und Freude und Frohsinn der Seele“ (All. Erkl. III 87) genannt wird.
  4. Die Durchschnittsmenschen (von § 57 angefangen), über die sich der Tugendliebende, dessen Symbol Sarah ist, hinaushebt.
  5. S. oben Anm. 2 zu § 56.
  6. Über den Gegensatz von ἑκὼν: ἄκων vgl. die Anm. zu § 125.
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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/028&oldid=- (Version vom 17.1.2018)