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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

höherem Grade zuverlässig als das Gehör –‚[1] da ertönte ihm der Ausspruch (Gottes): „Nicht Jakob soll ferner dein Name genannt werden, sondern Israel soll dein Name sein; denn kraftvoll hast du dich erwiesen mit Gott und mächtig mit den Menschen“ (1 Mos. 32, 28).[2] Jakob ist also die Bezeichnung für das Lernen und den strebenden Fortschritt, Fähigkeiten, die vom Gehör abhängen; Israel aber für die Vollkommenheit; denn Schau Gottes bedeutet dieser Name.[3] 83 Was gäbe es aber auch im Bereiche der Tugenden Vollkommeneres als das wahrhaft Seiende zu erschauen? Demgemäß hat derjenige, der dieses Gute erblickt, ohne Zweifel den Beifall beider Eltern; denn er erlangte die Stärke in Gott und die Kraft bei den Menschen. 84 Schön scheint mir auch in den Sprüchen gesagt zu sein: „Edel denken sollen sie im Angesichte des Herrn und der Menschen“ (Sprüche 3, 4), weil nur durch beide die Erwerbung des Guten vollständig gelingt; denn nur wenn du gelehrt wurdest, die Gesetze des Vaters zu beobachten und die Satzungen der Mutter nicht von dir zu weisen,[4] wirst du getrost


  1. Der Ausspruch Heraklits, die Augen seien genauere Zeugen als die Ohren (Diels Vorsokr. B 101 a), scheint bereits von Herodotus I 8 zitiert worden zu sein. Plato hat dann mehrfach dem Gesichtssinne einen Vorzug vor den anderen Sinnen zuerkannt (vgl. z. B. Phaedrus 250D). Darin folgt ihm Philo (z. B. Ü. Abrah. 57); er wird nicht müde, dem Gesichte gegenüber die Unzuverlässigkeit und Minderwertigkeit des Gehörs hervorzuheben. Ü. d. Sprachenverw. 140, Ü. d. Einzelges. IV 60, De fuga et invent. 208, Ü. Abrah, 60, Ü. d. Sprachenverw. 57. 148, De mut. nom. 102 u. ö. – Daher muß der Ringer um die Weisheit, Jakob, die Ohren gegen die Augen eintauschen, damit er mit Hilfe des Auges der Seele die Weisheit erkenne, De migr. Abrah. 38.
  2. Philo folgt der vom MT erheblich abweichenden LXX.
  3. Vgl. Über die Geburt Abels § 120 und Anm.
  4. [Die Herausgeber scheinen nicht bemerkt zu haben, daß die Erklärung auf Spr. 1, 8 anspielt: ἄκουε, υἱέ, παιδείαν πατρός σου καὶ μὴ ἀπώσῃ θεσμοὺς μητρός σου. Fraglich kann nur sein, ob Philo selbst bewußt den Bibelvers anführt oder, wofür die freie Fassung der Erklärung sprechen würde, einen Vorgänger benutzt, der sich auf die Bibel berufen hatte. Jedenfalls ist beachtenswert, daß auch die rabbinische Deutung (T. Sanh. 102 a) diesen Vers ganz ähnlich auffaßt: mit dem Vater ist Gott, mit der Mutter die Gemeinschaft Israels gemeint; es wird also Treue gegen die Religion und gegen die Volkssitte gefordert. Nicht Philo, wohl aber ein mit der Überlieferung besser vertrauter Vorgänger könnte diese Deutung gekannt haben. I. H.]
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/035&oldid=- (Version vom 8.6.2018)