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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

mag, das wird immer ein anderer für ungültig erklären, der gerade das Gegenteil davon von Kindheit an geübt hat. 198 Ich wundere mich gar nicht, daß der durcheinandergemengte und zusammengewürfelte Pöbel, der ruhmlose Sklave aller jemals eingeführten Bräuche und Satzungen, schon von den Windeln an[1] gedrillt, ihnen wie seinen Herren oder Tyrannen zu gehorchen, durch Faustschläge und Ohrfeigen in seiner Seele mißhandelt, unfähig, einen großen und jugendlichen Gedanken zu fassen,[2] dem einmal Überlieferten glaubt und weil er seinen Geist ungeübt gelassen hat, ohne zu forschen und ohne nachzuprüfen, Zustimmung und Ablehnung kundgibt, sondern vielmehr, daß auch die Menge der sogenannten Weisheitsfreunde,[3] die doch vorgibt, Klarheit und Wahrheit in den Dingen zu suchen, in Gilden und Cliquen zerfällt und nicht übereinstimmende, ja oft sogar entgegengesetzte Lehrmeinungen aufstellt, und zwar nicht über irgendeine belanglose Frage, sondern über fast alle, unwichtige und wichtige, auf welchen die Untersuchungen beruhen.[4] 199 Denn wie könnten die Vertreter[5] der Unendlichkeit des Weltalls sich die gleichen Begriffe von den gegebenen Tatsachen bilden wie diejenigen,[6] welche seine Begrenztheit behaupten, oder diejenigen,[7] welche die Welt für ungeworden erklären, die gleichen wie diejenigen,[8] die sich für ihre Erschaffung aussprechen, oder die Anhänger[9] einer vernunftlosen und aus eigenem Antrieb, ohne Aufseher und Leiter, sich vollziehenden


  1. Diese Redensart wird von Philo als sprichwörtlich bezeichnet Ü. d. Nüchternheit § 24.
  2. Ein Anklang an Platos Gorgias 485 E, auf den auch Demosthenes Or. Olynth. III 32 anspielt.
  3. Der Hohn des Skeptikers kommt im Deutschen durch Übersetzung des griech. Wortes φιλόσοφοι besser zum Ausdruck.
  4. Hier beginnt der zweite Teil des zehnten τρόπος, die Aufdeckung der Widersprüche in den δογματικαὶ ὑπολήψεις.
  5. Das ist die von Demokrit genommene Ansicht Epikurs (Usener, Epicurea frg. 296. 297).
  6. Gemeint sind wohl die Stoiker, aber philosophisch genau gibt hier Philo ihre Lehre nicht wieder; denn nur wenn man unter dem πᾶν den κόσμος versteht, wie es zuweilen Stoiker meinten (StVF III S. 260, 24) oder wenn eine Verwechslung der Begriffe πᾶν und ὅλον hier vorliegt, stimmt die Beziehung auf die Stoa.
  7. Das taten die Peripatetiker.
  8. Die Erschaffung der Welt nahmen Stoiker ebenso wie Epikureer an; in gewissem Sinne nach Philos Meinung auch Plato.
  9. Epikur und seine Schule.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/068&oldid=- (Version vom 21.5.2018)