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Über die Nüchternheit
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Was Noah, nüchtern geworden, segnet und verflucht.

[392 M.] [1] 1 Was der Gesetzgeber über die Trunkenheit und die ihr folgende Entblößung sagt, haben wir vorher ausführlich besprochen;[1] nun wollen wir damit beginnen, dem Gesagten die folgende Erläuterung hinzuzufügen; es ist nämlich noch die folgende Stelle in der heiligen Schrift übrig, die da lautet: „Und Noah wurde wieder nüchtern von dem Weine und erkannte, was ihm sein jüngerer Sohn getan hatte“ (1 Mos. 9, 24). 2 Das nüchterne Leben ist, wie allgemein anerkannt ist, nicht nur den Seelen, sondern auch den Körpern sehr nützlich; denn es hält (vom Körper) die Krankheiten fern, welche aus maßloser Völlerei entstehen, schärft die Sinne zur höchsten Schärfe und läßt den ganzen Leib nicht schwer werden und fallen, sondern hebt ihn empor, macht ihn leicht beweglich und ruft ihn zu der ihm gemäßen Betätigung auf, indem es in allen seinen Teilen Bereitschaft erzeugt; und kurz und gut: so viel Übel die Trunkenheit hervorbringt, so viel Güter hingegen die Nüchternheit. 3 Wenn nun schon dem Leibe, welchem das Weintrinken gemäß ist, die Nüchternheit so förderlich ist, um wieviel mehr erst der Seele, der jede vergängliche Nahrung fremd ist? Denn was kann es bei den Menschen Großartigeres geben als eine nüchtern besonnene Seele? Welcher Ruhm (ist größer)? Welcher Reichtum? Welche Macht? Welche Kraft? Was von all dem, das bewundert wird?[2] Laß nur das Auge der Seele ganz die Kraft gewinnen, sich völlig zu öffnen, und in keinem Teile mehr wie durch einen Fluß[3] getrübt werden oder sich schließen; dann nämlich wird es die größte Sehschärfe erlangen, wird den Verstand selbst und die Einsicht selbst[4] anblicken und wird den geistigen [393 M.] Bildern begegnen, deren Schau es anlocken und zu keinem Dinge der Sinnenwelt fürder hinneigen[80] lassen wird. 4 Und was wundern wir uns denn darüber, daß der Nüchternheit der Seele und ihrer großen Scharfsichtigkeit nichts von allem Gewordenen gleichwertig ist? Auch die Augen des Körpers und das sinnlich wahrnehmbare Licht schätzen wir ja alle überaus; darum haben denn auch viele, die das Augenlicht verloren haben, auch das Leben freiwillig[5] von sich geworfen, weil sie entschieden haben, der Tod sei für sie ein leichteres Übel als die Erblindung.[6] 5 Je machtvoller aber nun die Seele ist als der Leib, desto besser ist der Geist als die Augen;[7] ist dieser unversehrt, unbeschädigt, von keiner ungerechten Tat oder Leidenschaft, welche die zur Besessenheit führende Trunkenheit bewirken, bedrückt, dann wird er dem Schlafe entsagen, welcher Vergeßlichkeit[8] und zögernde Scheu vor dem Handeln hervorbringt, das Wachsein aber wird er willkommen heißen und scharf auf alles, was der Schau wert ist, hinblicken; denn die Eingebungen des Gedächtnisses halten ihn wach und die Taten, die er tut, folgen der Erkenntnis.

[2] 6 Das ist also ungefähr der Zustand des Nüchternen. Wenn (die hl. Schrift) sagt: „den jüngeren Sohn“, so bezeichnet sie mit diesem Namen kein Alter, sondern läßt die Anlage eines Charakters durchblicken, der Neuerungen[9] und Umsturz liebt. Denn wie hätte er sich sonst gewaltsam, gegen Brauch und Recht, das Unschaubare angesehen, oder ausgeplaudert, was still verschwiegen werden sollte,[81] oder ans Tageslicht gebracht, was zu Hause im Dunkel bleiben konnte und die Grenzen der Seele nicht überschreiten durfte, wenn er kein Anhänger des Umsturzes wäre und nicht über das Mißgeschick der anderen lachte, wiewohl er eigentlich darob seufzen müßte, statt mit solchen Dingen Spott zu treiben, über die er in wohlerwogener Scheu vor der Zukunft sein Gesicht traurig in Falten legen müßte? 7 An vielen Stellen[10] des Gesetzeswerkes aber nennt (Moses) Leute im vorgerückten Alter jung und andererseits noch lange nicht Gealterte alt, nicht mit Rücksicht auf die Zahl der Jahre oder auf die Kürze und Länge der Zeit, sondern mit Rücksicht auf die Kräfte der Seele, je nachdem sie sich zum Guten oder Schlechteren bewegt.[11] 8 So nennt (die hl. Schrift) den Ismael, als er wohl schon fast 20 Jahre alt war, im Vergleiche zu dem in Tugenden vollkommenen Isaak ein Knäblein; denn es heißt: „Und er nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser und gab es Hagar und er setzte ihr auf die Schulter auch das Knäblein“, als sie Abraham aus seinem Hause wegschickte; und dann wieder: „Sie warf das Knäblein unter eine Fichte“, und „Ich will nicht Zusehen dem Sterben des Knäbleins“ (1 Mos. 21, 14–16). Und doch ist Ismael vor der Geburt Isaaks bei seiner Beschneidung schon 13 Jahre alt (1 Mos. 17, 25) und wird, als bei jenem ungefähr im Alter von 7 Jahren die Ernährung mit der Muttermilch aufhört, mit seiner leiblichen Mutter deshalb verjagt, weil er als unehelicher Sohn[12] sich im Scherze die Ebenbürtigkeit mit jenem anmaßte. [394 M.] 9 Aber trotzdem, daß er schon ein Jüngling ist, wird er Knäblein genannt, weil er, der Sophist, in prüfendem Vergleich einem Weisen gegenübergestellt wird; denn die Weisheit ist dem Isaak als Los zugefallen, die Sophisterei[82] dem Ismael,[13] wie wir in einer eigenen Abhandlung, wann wir beide charakterisieren werden, zeigen wollen.[14] Genau in demselben Verhältnisse nämlich, in welchem ein unmündiges Knäblein zu einem vollendeten Manne steht, steht der Sophist zum Weisen und die Gegenstände der volkstümlichen allgemeinen Bildung zu den Wissenschaften, die auf Tugenden beruhen.[15] [3] 10 Und in einem größeren Liede[16] nennt (Moses) das gesamte Volk, wann es aufrührerisch ist, mit dem Namen des unverständigen und unmündigen Alters: „Kinder“; denn er sagt: „Gerecht und rechtschaffen ist der Herr; sie haben gefehlt, aber nicht ihm, die tadelnswerten Kinder! Ihr falsches und abtrünniges Geschlecht, das stattet ihr dem Herrn als Dank ab? So töricht ist das Volk und gar nicht weise?“ (5 Mos. 32, 4–6).[17] 11 Also ganz deutlich nennt (Moses) Kinder die Männer, welche in ihrer Seele Schmach tragen und infolge ihrer Torheit und ihres Unverstandes bei den dem richtigen Leben gemäßen Handlungen meistens straucheln; dabei hat er aber nicht das kindliche Alter des Körpers vor Augen, sondern das Unvernünftige und wahrhaft Kindische ihrer Seele. 12 So wird ja aber auch Rahel, die Wohlgestalt des Leibes, als jünger denn Lea, die Schönheit[18] der Seele, bezeichnet; jene (die Wohlgestalt) nämlich ist sterblich, diese aber unsterblich, und alles was für die Sinneswahrnehmung wertvoll ist, ist weniger vollkommen als die einzige Schönheit, die allein eine ist, die der Seele. Dem entspricht es folgerichtig, daß auch Joseph immer jung und der Jüngste genannt wird; denn als er mit seinen unebenbürtigen Halbbrüdern[19] die Herde beaufsichtigte, wird er jung geheißen (1 Mos. 37, 2), und auch als der Vater ihn segnet, sagt er: „Mein Sohn, der du so jung groß geworden bist, wende dich[83] zu mir“ (1 Mos. 49, 22)[20]. 13 Dieser ist der Verfechter jeglicher körperlichen Kraft und der aufrichtige Freund des Überflusses an äußeren Gütern, welcher in Bezug auf das ehrwürdigere und wertvollere Gut der ehrwürdigeren Seele noch nicht für vollkommen[21] befunden worden ist. Denn wäre er so befunden worden, dann wäre er aus ganz Ägypten[22], ohne sich umzudrehen, auf und davon geflohen. So aber setzt er seinen größten Stolz darein, dieses Landes Ernährer und Pflegevater zu sein, eines solchen Landes, daß der Sehende[23] in dem Augenblicke, in welchem er dessen Streitkraft und Führung ins Meer versunken und vernichtet erblickt, einen Lobgesang auf Gott anstimmt. 14 Jung ist also der Charakter, der noch nicht imstande ist, im Verein mit den echten Söhnen der Tugend[24] Hirte zu sein, d. h. die unvernünftige Natur in der Seele zu beherrschen und zu beaufsichtigen, sondern immer noch im Verein mit den unechten (ist), welche von den Gütern die dem Scheine zugezählten höher schätzen als die echten und dem Sein (zugezählten).[25] 15 Und daher gilt er, wenn er auch zum Besseren fortschreitet und wächst[26], doch als sehr jung vor dem Vollkommenen, der das Sittlich-Schöne allein für ein Gut hält;[27] deswegen ermuntert auch dieser ihn mit den Worten: „Zu mir kehre dich!“, das heißt soviel als: nach der altersreiferen Einsicht strebe, stürze nicht alles in jugendlichem Übermut um, gewinn endlich einmal die Tugend um ihrer selbst willen [395 M.] lieb, laß dich nicht wie ein unverständiges Kind von dem Glanze der Zufälligkeiten umstrahlen und mit Trug und falschem[84] Wahne erfüllen. [28] [4] 16 So wäre denn also nachgewiesen, daß (die heilige Schrift) an vielen Stellen den Ausdruck „jung“ nicht im Hinblicke auf die Jugendkraft des Körpers, sondern auf die jugendliche Neuerungssucht[29] der Seele zu verwenden pflegt. Daß sie aber altersreif nicht den nennt, den schon die Bande des Greisenalters umfangen, sondern denjenigen, welcher Auszeichnung [30] und Ehre verdient, wollen wir nun zeigen. 17 Wer von denen, welche die heiligen Bücher in der Hand gehabt haben, weiß nicht, daß von allen seinen Vorfahren der weise Abraham mit der kürzesten Lebenszeit angeführt wird? Und doch wird von jenen, die so lange gelebt haben, meines Wissens nicht ein einziger, sondern gerade er als altersreif bezeichnet; sagen doch die heiligen Bücher: „Abraham war zur Altersreife vorgeschritten, [31], und der Herr hatte Abraham in allem gesegnet“ (1 Mos. 24, 1). 18 Diese vorliegende Stelle scheint mir den richtigen Grund anzugeben, weshalb der Weise altersreif genannt wurde; wann nämlich durch die Fürsorge Gottes der vernünftige Seelenteil in die richtige Verfassung gebracht wird und nicht bloß in einem Einzelfalle, sondern nach allen Richtungen vernünftig handelt, dann betätigt er eine altersreife Einsicht und ist dann doch wohl auch selber altersreif. 19 So werden auch die Ratgeber des Gottgeliebten, welche die Zahl von zehn Siebenheiten erreicht haben, gewöhnlich die Ehrwürdigen genannt. Denn es heißt: „Führe mir zusammen siebzig Männer von den Älteren Israels, von denen du selbst weißt, daß sie ehrwürdig sind“ (4 Mos. 11, 16).[32] 20 Also nicht die Greise, welche ein Beliebiger für Lehrer des Heiligen ansieht, sondern nur diejenigen, welche der Weise allein kennt, würdigte (die heilige Schrift) der Anrede als Ehrwürdige.[33] Denn alle, welche dieser wie ein tüchtiger Geldwechsler durch Prüfen[85] aus den Münzen der Tugend entfernt, sind verfälscht, Jugendliche, die die Neuerungssucht in ihren Seelen tragen, insgesamt; diejenigen aber, welche er zu seinen Vertrauten zu machen sich entschließt, die sind unbedingt vollwertig und in ihrer Gesinnung ehrwürdig. [5] 21 Durch eine einzige Anordnung des Gesetzes aber wird (die heilige Schrift) allen, welche zu hören verstehen, beide Deutungen, von denen ich sprach,[34] klarer offenbaren; denn es heißt: „So ein Mann zwei Frauen hat, die eine geliebt und die andere verhaßt,[35] und sie gebären ihm Kinder, die geliebte und die gehaßte, und es wird der erstgeborene Sohn der der Gehaßten sein: so soll er an dem Tage, an welchem[36] er das vorhandene Vermögen unter seine Söhne zum Erbe zuteilt, dem Sohne der geliebten (Frau) das Recht der Erstgeburt nicht erteilen können, indem er den Sohn der gehaßten, den Erstgeborenen, übersieht; sondern er soll den erstgeborenen Sohn der gehaßten anerkennen und ihm den doppelten (Anteil) von allem, was bei ihm gefunden wird, geben, weil dieser der Erstling seiner Kinder ist und ihm das Recht der Erstgeburt gebührt“ (5 Mos. 21, 15–17). [396 M.] 22 Du hast sicherlich schon beachtet, daß die heilige Schrift den Sohn der geliebten Frau niemals den erstgeborenen oder älteren nennt, dagegen den der gehaßten öfter; und doch bezeichnet sie klärlich die Geburt des einen als des früheren, die Geburt des anderen, des Sohnes der Gehaßten, als des späteren, indem sie zu Beginn der Vorschrift sagt: „wenn sie ihm Kinder gebären, die Geliebte und die Gehaßte“. Aber trotzdem gilt der Sproß der erstgenannten (Frau), mag er auch älter an Jahren sein, vor dem Urteil der rechten Vernunft als der jüngere, während der Sproß der später genannten (Frau), wenn er auch nach der Zeit seiner Geburt später ist, des größeren und ehrwürdigeren Anteils gewürdigt ist. 23 Warum? Weil, wie wir meinen, von den Frauen die geliebte das Symbol der Lust, die gehaßte das vernünftiger[86] Einsicht ist.[37] Denn den Umgang mit jener liebt der große Haufe der Menschen ungemein, weil sie ihnen ihren verführerischesten Köder und Zauber von sich verschenkt, vom Anbeginn der Geburt bis ins alleräußerste Alter, wogegen ihnen das ernste und erhabene Wesen der letzteren außergewöhnlich verhaßt ist, gerade so wie den unverständigen Kindern die sehr nützlichen, aber nicht sehr erfreulichen Unterweisungen der Eltern und Erzieher. 24 Beide gebären sie; die eine die Geistesart, die die Lust liebt, die andere die Geistesart, die die Tugend liebt. Aber der Liebhaber der Lust ist unvollkommen und tatsächlich immer ein Kind, auch wenn er in einer Fülle von Jahren die längste Ewigkeit erreichte; der Liebhaber der Tugend dagegen wird, wie man so sagt, schon in den Windeln in den Altersrat der Einsicht eingereiht, ohne daß er alt sein müßte. 25 Und darum sagt (die heilige Schrift) gar deutlich von dem Sohne der von der Menge gehaßten Tugend: „er ist der Erstling[38] der Kinder“, da er ja doch sowohl in der Reihenfolge als auch seiner Führerstellung nach der erste ist und[39] „diesem gebührt das Recht der Erstgeburt“, nach dem Gesetz der Natur, aber nicht nach der Gesetzlosigkeit, die bei den Menschen herrscht.[40] [6] 26 Diesem folgt nun (die heilige Schrift) und schießt gleichsam wie nach einem vorgesteckten Ziele treffsicher die Pfeile ab, wenn sie folgerichtig den Jakob seiner Geburt nach zwar jünger als Esau einführt – denn die Unvernünftigkeit wächst vom ersten Lebensalter an mit uns auf, während das Streben nach dem Schönen erst spät entsteht –,[41] seiner Bedeutung nach aber als den[87] Altersreiferen;[42] darum geht auch Esau des Erstgeburtsrechtes verlustig, und dieser macht es sich mit Fug und Recht zu eigen (1 Mos. 25,33ff.). 27 Damit stimmt auch überein das Ergebnis umsichtiger Überlegung bei den Söhnen Josephs, als der Weise,[43] von Gott begeistert, seine Hände den unmittelbar vor ihm stehenden (Enkeln) nicht wie sie ihm gegenüberstehen und gerade aus aufs Haupt legt, sondern sie vertauscht, damit er mit seiner Linken den scheinbar Älteren, den Jüngeren aber mit der Rechten berühre (1 Mos. 48,13.14).[44] 28 Es heißt aber der seiner Geburt nach Ältere Manasse, der Jüngere Ephraim; überträgt man diese Namen in die griechische Sprache, so wird man finden, daß sie Symbole des Gedächtnisses und der Wiedererinnerung sind; denn Manasse [397 M.] bedeutet übersetzt: „aus der Vergessenheit“, – das heißt aber mit einem anderen Worte: Wiedererinnerung; denn wer wieder zur Erinnerung des Vergessenen kommt, verläßt damit den Bereich des Vergessene – Ephraim aber „Fruchttragung“, die passendste Bezeichnung des Gedächtnisses deshalb, weil für die Seele die nützlichste und wahrhaft genießbare Frucht die Unvergeßlichkeit in den stetigen Erinnerungen ist.[45] 29 Das Gedächtnis nun wird Menschen zuteil, die schon männlich und gefestigt sind;[46] deshalb wurde es auch für jünger gehalten, weil es sich erst spät bildet; Vergessen aber und Wiedererinnerung wohnen abwechselnd fast vom frühesten Lebensalter an in jedem Menschen, weshalb sie (vor jenem) den Vorrang in der Zeit haben und da, wo ein Weiser die Plätze verteilt, auf dem linken Flügel aufgestellt werden; des Vorranges in der Tugend jedoch wird das Gedächtnis teilhaftig werden, das der Gottliebende mit seiner Rechten umfangen[47] und des besseren Teiles bei sich würdigen wird.[88] 30 Als nun der Gerechte nüchtern ward und erkannte, was alles „ihm sein jüngerer Sohn getan hatte“, spricht er den schwersten Fluch aus. In der Tat nämlich, wann der Geist wieder zur Besinnung kommt, bemerkt er sofort folgerichtig, was alles die umstürzlerische Schlechtigkeit in ihm vorher getan hat; das hatte er während des Rausches unmöglich wahrnehmen können.[48] [7] 31 Wem er aber flucht, das muß man betrachten; dies ist nämlich auch eine von den Fragen, die der Untersuchung wert sind; denn nicht seinem Sohne flucht er, der die Sünde begangen zu haben scheint, sondern dessen Sohne, seinem Enkelkinde, von dem doch (die heilige Schrift) bis zu diesem Zeitpunkt kein sichtbares Vergehen, kein kleines und kein großes, aufgedeckt hat.[49] 32 Denn derjenige, welcher aus Vorwitz seinen Vater nackt erblicken wollte, darüber, was er erblickte, lachte und Dinge ausplauderte, die er unbedingt hätte verschweigen müssen, war ja der Sohn Noahs Cham, derjenige aber, welcher der Sünde eines anderen beschuldigt wird und den Fluch erntet, ist Chanaan; denn es heißt: „Verflucht sei Chanaan; Diener im Hausgesinde soll er sein seinen Brüdern“ (1 Mos. 9, 25).[50] 33 Was hat denn, wie gesagt, dieser verbrochen? Aber darüber haben vielleicht schon diejenigen bei sich nachgedacht, welche die Gewohnheit haben, den wörtlichen und handgreiflichen Inhalt der Darstellung in den Gesetzbüchern klarzustellen; wir aber folgen der Eingebung der rechten Vernunft und wollen den tieferliegenden Sinn auslegen, müssen aber vorerst notgedrungen[89] folgendes vorausschicken. [8] 34 Zustand[51] und Bewegung unterscheiden sich voneinander; denn ersterer ist Ruhe, die Bewegung jedoch ein Bewegtsein im Raume;[52] von dieser gibt es zwei Arten, die eine, die Ortsveränderung, die andere eine Drehbewegung an demselben Orte.[53] Mit dem Zustande nun [398 M.] ist nahe verwandt die Beschaffenheit,[54] mit der Bewegung die Betätigung. 35 Das Gesagte dürfte durch ein passendes Beispiel verständlicher werden; einen Zimmermann, einen Maler, einen Bauer, einen Musiker und die übrigen Künstler benennen wir, auch wenn sie Ruhe halten und keine berufliche Tätigkeit ausüben, trotzdem gewohnheitsgemäß mit den eben aufgezählten Namen, weil sie im Besitze der Erfahrung und des Wissens sind, die ein jeder in seinem Berufe erworben hat. 36 Wann aber der Zimmermann Holzmaterial hernimmt und bearbeitet, wann der Maler die zusammengehörigen Farben mischt, um auf der Holztafel die Umrisse der Figuren, die er im Geiste sieht, aufzumalen, wann ferner der Bauer Furchen in der Erde aufreißt und den Samen in sie versenkt, Weinreben und Baumschößlinge anpflanzt und zugleich die notwendigste Nahrung begießt und den Pflanzungen Wasser zuführt und an alle anderen landwirtschaftlichen Arbeiten Hand anlegt, wann ferner der Musiker auf der Flöte, der Zither und den anderen Musikinstrumenten[90] das Versmaß, den Rhythmus und alle Arten der Melodie in Einklang bringt – er kann das aber auch ohne die von Menschenhand verfertigten Instrumente durch Benützung des natürlichen Organes, durch die Stimme, die auf alle Töne abgestimmt ist, – und wann ein jeder auch der übrigen Künstler sich in seiner Kunst versucht, dann kommen den in den einzelnen Wissensgebieten Kundigen andere, aber den früheren notwendigerweise verwandte Namen zu, dem Zimmermann das Zimmern, dem Maler nunmehr das Malen, das Anbauen aber dem Bauern, und das Flötenspielen oder Zitherspielen oder das Singen oder eine ähnliche Tätigkeit dem Musiker. 37 Wem folgt nun Tadel und Lob ? Nicht etwa den Wirkenden und Tätigen? Denn handeln sie richtig, heimsen sie Lob ein, umgekehrt aber Tadel, wenn sie fehlen[55]. Diejenigen jedoch, die ohne irgend etwas zu tun, bloß sachkundig sind, die haben ein gefahrloses[56] Ehrengeschenk bekommen, die Ruhe, und stehen still. [9] 38 Dieselbe Erläuterung paßt nun aber auch auf Menschen, die sich nach der Unvernunft und überhaupt nach der Tugend und dem Laster richten; Menschen, die in ihren Seelen verständig, besonnen, tapfer und gerecht sind,[57] gibt es in Unzahl, infolge eines glücklichen Geschenkes der Natur, infolge der gesetzmäßigen Unterweisungen, infolge unbesiegbarer und unverdrossener Kampfesmühe,[58] aber von der Schönheit der Gedanken[59] in ihren Seelen konnten sie doch keine Probe geben, wegen ihrer Armut oder ihrer Unberühmtheit oder wegen körperlicher Krankheit oder wegen all[91] der anderen Leiden, die wie ein böser Spuk das menschliche Leben umschweben. 39 Diese haben also gleichsam zugebundene und verschlossene Güter erworben; andere aber gibt es, die alle (Güter) unbehindert, losgebunden und frei verwenden konnten, da sie zu ihnen überdies in reichlichstem Ausmaß ein Stoffgebiet zum Erweisen (ihrer Fähigkeiten) erhalten haben: 40 der Verständige die Verwaltung privater und öffentlicher Angelegenheiten, damit er an ihnen sein Verständnis und seine Fähigkeit, zu raten, erweise; der Besonnene den blinden Reichtum,[60] der die gefährliche Eignung besitzt, zur Schlemmerei anzuregen und zu verlocken, damit er ihn sehend mache; der Gerechte ein Amt, damit er durch dieses in den Stand gesetzt werde, einem jeden der Bürger[61] das ihm Gebührende ungehindert zuzuteilen; der Kämpfer um die Frömmigkeit das Priesteramt und die Sorge um die heiligen [399 M.] Stätten und um den Gottesdienst an diesen. 41 Ohne dies sind (jene Güter) zwar Tugenden, aber unbewegte Tugenden im Ruhezustand, geradeso wie das in unsichtbaren Erdwinkeln aufgespeicherte Silber und Gold zu nichts verwendbar ist.[62] 42 Dann aber kann man wieder umgekehrt sehen, daß Unzählige unmännlich, zügellos, unverständig, ungerecht und unfromm in ihren Gedanken sind, jedoch die Häßlichkeit jedes einzelnen Lasters zu erweisen nicht in die Lage kamen, bloß weil es ihnen an günstigen Gelegenheiten zur Sünde fehlte; wann aber einmal diese Möglichkeit wie ein starker, großer Wirbelwind herniederfährt, dann sieht man sie Erde und Meer bis zu den Enden mit unsäglichem Unheil erfüllen und nichts, nicht Kleines, nicht Großes, unbeschädigt lassen, sondern in einem einzigen Wirbel alles umkehren und vernichten. 43 Denn so wie die Kraft des Feuers durch das Fehlen des Brennstoffs in Ruhe ist, durch dessen Vorhandensein aber wieder aufs neue entbrennt, so werden auch alle[92] Kräfte der Seele, welche auf Tugend oder Laster Rücksicht nehmen, wie gesagt, durch den Mangel an Gelegenheit erlöscht, beschert ihnen aber ein günstiger Zufall eine solche, wieder entflammt. [10] 44 Weswegen habe ich dies denn besprochen, als um zu zeigen, daß der Sohn Noahs Cham der Name des stillstehenden Lasters ist, der Enkel aber eines solchen, das sich bereits in Bewegung befindet? Denn übersetzt heißt Cham Hitze, Chanaan aber Schwanken.[63] 45 Die Hitze bringt im Körper Fieber zum Vorschein, in der Seele aber Laster; so wie nämlich ein Fieberanfall nach meiner Meinung eine Krankheit nicht etwa eines Teiles, sondern des ganzen Körpers ist, so ist das Laster ein Schwächezustand der ganzen Seele.[64] Aber zuweilen steht es stille, zuweilen ist es in Bewegung; seine Bewegung nennt (die hl. Schrift) Schwanken, was in der Sprache der Hebräer Chanaan heißt. 46 Von den Gesetzgebern setzt keiner eine Buße fest für die Ungerechten, solange sie sich ruhig verhalten, sondern selbstverständlich erst, wenn sie sich rühren und ihrer Ungerechtigkeit entsprechende Taten ausführen, wie auch kein billig denkender Mann ein beißendes Tier wird töten wollen, wenn es nicht auf dem Sprunge steht, zu beißen; denn die Rohheit der Seele, die ihrer Natur nach gegen alles wütet, muß man von der Erörterung ausschließen.[65] 47 Mit Fug und Recht wird also der Gerechte den Fluch gegen seinen Enkel Chanaan auszusprechen scheinen. „Scheinen“, sagte ich, weil er der Wirkung nach durch dessen Person eigentlich seinem Sohne Cham flucht; denn in dem Augenblicke, da Cham sich zur Sünde hinbewegt, wird er selbst Chanaan. Denn es ist ein und dasselbe, was zugrunde liegt, die Lasterhaftigkeit, nur wird sie einmal in Ruhe, das andere Mal in Bewegung betrachtet; älter aber als die Bewegung ist die Ruhe, so daß sich das Bewegte zu dem Ruhenden im Verhältnis eines Nachkommens[66] befindet. 48 Deshalb wird auch den Tatsachen der Natur entsprechend Chanaan als Sohn des Cham bezeichnet, das Schwanken (als Sohn) des Stillstandes, damit (die hl. Schrift) auch [400 M.] das an anderer Stelle Gesagte als wahr erweise, die Worte nämlich: „Er ahndet die Sünden der Väter an den Söhnen, am dritten und am vierten[93] Geschlechte“[67] (2 Mos. 20, 5); denn über die (vollendeten) Erzeugnisse und gleichsam die Nachkommenschaft der Gedanken kommt die Strafe; sie selbst aber an und für sich entgehen der Anklage, wenn keine tadelnswerte Handlung hinzukommt. 49 Dies ist auch der Grund, warum in dem Gesetz über den Aussatz der in allem große Moses dessen Bewegung, Weitergreifen und Ausbreitung als unrein, dessen Stillstand aber als rein bezeichnet; er sagt nämlich: „Wenn er sich auf der Haut verbreitet, soll der Priester ihn für unrein erklären. Wenn aber der sichtbare Fleck auf der Stelle bleibt und sich nicht ausbreitet, soll er ihn für rein erklären“ (3 Mos. 13, 22. 23). Daraus folgt, daß die Ruhe und das Verharren der Laster und Leidenschaften der Seele – auf diese spielt nämlich (Moses) mit dem Aussatze an[68] – nicht zur Verantwortung gezogen wird, ihre Bewegung und ihr Weitertragen aber unbedingt straffällig ist. 50 Etwas Ähnliches ist auch in dem an Kain gerichteten Ausspruch enthalten, nur noch auffälliger; denn zu ihm wird gesagt: O Mensch, „du hast gesündigt, komm zur Ruhe“ (1 Mos. 4, 7). Das Sündigen ist eben, weil es eine Bewegung und eine Betätigung der Lasterhaftigkeit war, strafbar, während das Verharren in Ruhe, als ein Zustand und ein Stillestehen, von Vorwurf frei ist und heilsam.

[11] 51 Das wird nun, glaube ich, als Einleitung genügen. Im Anschluß daran[69] wollen wir sehen, was für eine Bedeutung die Flüche haben. Es heißt: „Verflucht sei Chanaan; Diener im Hausgesinde soll er sein seinen Brüdern“, und: „Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Chanaan soll ihnen Sklave sein“ (1 Mos. 9, 25. 26). 52 Wir haben schon früher einmal[70] gesagt, daß Sem[94] vom Guten benannt ist, nicht mit einer Art eines Namens genannt, sondern die ganze Gattung ist sein Name,[71] insofern, als ja nur das Gute nennenswert ist und einen guten Ruf und Ruhm verdient, wie umgekehrt das Böse namenlos und übelbeleumundet ist. 53 Welches Segens würdigt nun (die hl. Schrift) denjenigen, der der Natur des Guten teilhaftig ist? Welches? Eines unerhörten und ungewöhnlichen, um den kein Sterblicher fähig ist zu dienen, von dem fast wie von einem Ozean die reichen und nie versiegenden Quellen alles Edlen, flutend und immer von neuem sich ergießend, fließen. Denn den Herrn und Gott der Welt und alles dessen, was in ihr ist, nennt (der Segnende) eigens in ausnehmender Gnade den Gott Sems.[72] 54 Sieh nur! – Was gibt es Hohes, das davon nicht übertroffen würde? Denn, wem dies zuteil geworden ist, der wird fast gleichwertig der Welt; wenn nämlich das Wesen, welches beide leitet und betreut, das gleiche ist, dann müssen notwendig auch die beaufsichtigten Dinge geradezu gleichwertig sein. 55 Vielleicht gewährt (er) aber verschwenderisch noch eine Ehre bei dem Geschenke; denn Gott wird bei [401 M.] der sinnlich wahrnehmbaren Welt mit den Worten „Herr und Gott“ als ihr Beherrscher und Wohltäter bezeichnet, bei dem geistig erkennbaren Guten dagegen nur als Retter und Wohltäter, nicht aber als Beherrscher oder Herr; denn das Weise ist Gott mehr befreundet als untertan. 56 Deshalb sagt (die hl. Schrift) auch deutlich bei Abraham: „Werde ich verhüllen vor Abraham, meinem Freunde?“ (1 Mos. 18, 17).[73] Wer dieses Los besitzt, ist weit über die Grenzen menschlicher Glückseligkeit hinausgeschritten; er allein ist nämlich edel geboren, da er sich Gott zum Vater erwählt hat und allein als Sohn von ihm adoptiert worden ist; er ist nicht bloß reich, sondern überreich, da er in lauter unerschöpflichen und echten, mit der Zeit nicht alternden, sondern in Jugendfrische sich immer erneuenden Gütern[95] schwelgt; 57 nicht nur in gutem Ruf (ist er), sondern hochberühmt, da er ein Lob einheimst, das nicht durch Schmeichelei verfälscht, sondern durch die Wahrheit bestätigt wird; er allein ist König, da er von dem Allherrscher die unbestreitbare Macht zur Herrschaft über alle bekommen hat; er allein ist frei,[74] weil er von dem drückendsten Tyrannen, dem eitlen Wahne, befreit ist; diesen großprahlerischen Stolzen hat ja Gott, der Befreier, von der Höhe seiner Burg herabgestürzt. 58 Welche Pflicht hat nun dieser Mensch, der so großer und unübertrefflicher Güter, aller auf einmal zusammen, gewürdigt wurde, als seinem Wohltäter zu vergelten durch Worte, Gesänge und Lobpreisungen? Das ist es offenbar, worauf (die heilige Schrift) mit den Worten anspielt: „Gepriesen sei Gott, der Herr, von Sem“, weil es dem Menschen, welcher Gott zum Anteil hat, ziemt, ihn zu preisen und zu loben;[75] ist doch dieses die einzige Gegenleistung, zu der er die Macht hat, während ihm die Kraft zu allem andern einfach völlig versagt ist.[76]

[12] 59 Den Sem segnet Noah also damit; wie den Japhet, das wollen wir jetzt betrachten. Es heißt: „Gott breite aus den Japhet, und er wohne in den Häusern Sems, und Chanaan werde ihnen Knecht“ (1 Mos. 9, 27). 60 Hält einer bloß das (sittlich) Schöne für ein Gut,[77] dessen Ziel ist eng beschränkt und zusammengedrängt; denn wiewohl es gar Vieles in unserem Inneren gibt, steht es bloß mit einem einzigen in enger Verbindung, mit dem Geist, dem Führer. Paßt aber einer es (das Ziel) drei Gattungen an,[78] der des Seelischen, der des Körperlichen und der des Äußerlichen, dem verbreitert es sich, da es ja auf viele ungleichartige Stücke zerteilt wird. 61 Daher ist der Segenswunsch[96] ganz angemessen, ihm[79] möge Breite zuteil werden, damit er sowohl die seelischen Tugenden: Einsicht, Besonnenheit und jede der anderen anwenden könne, als auch die körperlichen Vorzüge: Gesundheit, Schärfe der Sinnesorgane, Kraft, Stärke und dergleichen, ferner aber auch alle äußerlichen Vorteile, die zu Reichtum, einem Rufe und zum nützlichen Genuß der notwendigen Vergnügungen führen. [402 M.] [13] 62 Soviel nun über die Breite. Zu überlegen ist aber, wer denn nach jenem Segenswunsche in den Häusern Sems Wohnung nehmen soll; denn (die hl. Schrift) gibt das nicht genau an. Da kann man nun sagen: der Lenker des Alls. Läßt sich denn in der Schöpfung ein würdigeres Haus für Gott finden, als eine Seele, die vollkommen geläutert ist und bloß das Sittlich-Schöne für ein Gut hält, alles andere aber, was dafür gehalten wird, in den Rang von Trabanten und Untertanen einreiht?[80] 63 Das Wohnen Gottes in einem Hause ist aber nicht räumlich gemeint – er umfaßt ja alles, ohne von irgendetwas umfaßt zu werden –,[81] sondern in dem Sinne, daß er jenem Platze besondere Vorsorge und Fürsorge angedeihen läßt; haftet doch jedem Herrn eines Hauses die Sorge um dieses notwendigerweise an. 64 Möge also [97] jeder, über den Gott die Liebe zu ihm als Gut ausgegossen hat, zu ihm beten, daß er als Hausbewohner den Weltenherrscher bekomme, der dieses winzige Gebäude, den Geist, von der Erde zur Höhe emporheben und an die Enden des Himmels knüpfen wird. – 65 Und das Bibelwort scheint (mit dieser Deutung) in gutem Einklang zu stehen; denn Sem ist gleichsam wie eine Wurzel sittlicher Vortrefflichkeit in die Erde gelegt; der Edelfrucht tragende Baum, der aus ihr aufschießt, ist der weise Abraham; dessen Frucht war Isaak, die selbst hörende und selbst lernende[82] Art; von ihm werden wieder die durch Mühen (vervollkommneten) Tugenden gesäet, um welche der im Ringen gegen die Leidenschaften geübte Jakob kämpft, welcher zu Lehrmeistern die Engel, die Vernunftkräfte, hat. 66 Dieser ist der Stammvater der zwölf Stämme, welche die hl. Schrift „Königsresidenz[83] und Priestertum Gottes“ (2 Mos. 19, 6) entsprechend diesem Zusammenhänge mit ihrem Ahnherrn Sem[84] nennt, in dessen Häusern, – so stand es im Segen, – Gott Wohnung nehmen sollte; die „Königsresidenz“ ist ja doch wohl das Haus des Königs, das wirklich heilig[85] und allein unverletzlich[86] ist. 67 Vielleicht aber läßt sich der Inhalt des Segenswunsches auch auf Japhet beziehen,[87] daß er nämlich in den Häusern Sems seinen Aufenthalt nehmen soll; wer nämlich körperliche und äußerliche Vorteile für Güter hält,[88] für den ist der Wunsch gut angebracht, er möge im Laufschritt zum Seelischen allein zurückkehren und nicht in alle Ewigkeit die wahre Meinung verfehlen, indem er Gesundheit oder ein großes Vermögen und allerlei ähnliche Dinge, die man ja mit den Verfluchtesten und Schlechtesten gemeinsam hat,[98] für Güter hält,[89] während doch der wahre Anteil an den Gütern sich keinem Schlechten zugesellt;[90] denn seiner Natur nach hat das Gute mit dem Schlechten keine Gemeinschaft.[91] 68 Darum ist es auch wie ein Schatz bloß in der Seele verwahrt, an deren Schönheit kein Unvernünftiger Anteil hat. Das läßt auch die Prophezeiung den ernsten Weisen[92] einem seiner Schüler wünschen mit den Worten: „Kehre dich mir wieder zu“ (1 Mos. 49, 22), damit er zu dessen Ansicht wieder zurückkehre, [403 M.] wieder gerne glaube, daß nur das sittlich Schöne gut sei, und über der Andersgläubigen Aussprüche über das Gute hinwegspringe. Er soll sich nun in den Häusern[93] der Seele dessen, der bloß das sittlich Schöne für ein Gut erklärt, wohnlich niederlassen, nachdem er vorübergehend in den Häusern der anderen gewohnt hat,[94] die auch das Körperliche und das Äußerliche schätzen. 69 Mit Recht hat aber die hl. Schrift den Unvernünftigen[95] als Sklaven derjenigen bezeichnet, die sich die Tugend zu eigen machen, damit er entweder, wenn er der Leitung durch einen Höheren würdig erachtet wurde, ein besseres Leben habe oder, wenn er beim Unrechttun verharrt, mit Leichtigkeit durch die unumschränkte Herrschaft seiner ihn lenkenden Herren gezüchtigt werde.[96]


  1. Dieser Teil, welcher nach der εὐθυμία die γυμνότης behandelte, war in Philos Disposition Ü. d. Trunkenh. § 4 vorgesehen, ist uns aber nicht erhalten. Diese beiden Punkte waren in dem verloren gegangenen Teile des 2. λόγος περὶ μέθης behandelt. Darüber vgl. die Einleitung zur Schrift: Ü. d. Trunkenh. S. 1.
  2. In stoischer Manier stellt Philo der richtigen διάθεσις der Seele, welche die ἀρετή bedeutet, äußere Güter als belanglos (ἀδιάφορα) gegenüber.
  3. ῥεῦμα bezeichnet das Triefen des Auges, den Fluß des Triefäugigen. οἷα (wie) schränkt den Vergleich deshalb ein, weil hier vom Auge der Seele die Rede ist.
  4. Unter σύνεσις αὐτή und φρόνησις αὐτή sind die Ideen der σύνεσις und φρόνησις zu verstehen, die im folgenden ἀγάλματα genannt sind.
  5. Philo denkt hier an die Lehre der Stoiker von dem selbstgewählten Abscheiden aus dem Leben; unter den Gründen, die den Weisen zum freiwilligen Selbstmord berechtigen, werden auch unheilbare Verstümmelungen und Krankheiten auf gezählt (StVF III 757).
  6. Hier ist unter πήρωσις, wie der Zusammenhang lehrt, nur an das Augenlicht zu denken, so wie Philo Ü. d. Trunkenh. § 167 mit dem Ausdrucke πεπηρωμένοι die Geblendeten bezeichnet, (s. die Anm. 3).
  7. Über die Einwirkung dieser aristotelischen Proportion auf Philo vgl. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 46 Anm.
  8. Die Begriffe: Vergessen und Erwachen, welche hier recht unvermittelt erscheinen, dürften in dem vorhergehenden Stück des 2. Buches Ü. d. Trunkenheit bei der Erörterung der drei Arten der γνμνότης eine Rolle gespielt haben, wie ich nach Alleg. Erkl. II 53ff. und Ü. d. Trunkenheit § 137 vermuten möchte. Hier erwähnt sie Philo, weil er die Worte ἐξένηψε und ἔγνω des Bibelzitates (§ 1) im § 2–5 erklärt. Zum Begriff des Erwachens bei Philo und in der Hermetik vgl. auch Heinemann, Die Lehre von der Zweckbestimmung 42.
  9. Νέος jung kann im Griechischen den Nebensinn des Unerhörten, Befremdlichen haben. Der MT zeigt deutlich, daß der jüngere (wörtlich: kleinere) Sohn gemeint ist.
  10. Beispiele hiefür bringt Philo § 8–29 bei.
  11. Hatte im Griechischen πρέσβυς (und sein Kompar. und Superl.) schon immer den Nebensinn des „Ehrwürdigen, Achtunggebietenden, Geehrten“, so hat Philo dessen Inhalt in zwei entgegengesetzte Begriffe zerlegt, einen zeitlichen und einen ethischen. Bei seiner Geringschätzung des χρόνος (vgl. Leisegang, Ü. d. Geb. Abels § 77 Anm. 3) kommt er geradezu zu der Ansicht: „für älter hält der Schlechte das Körperliche, der Wackere das Seelische, das ja auch in der Tat, freilich nicht der Zeit, aber dem Range und der Würde nach älter ist und an erster Stelle steht“ (Alleg. Erkl. III 191). Diesen Unterschied betont Philo Ü. d. Geb. Abels § 77, Ü. Abrah. § 271, Ü. d. Trunkenh. § 48 (vgl. Anm. 4) u. ö. Übrigens hat auch זקןalt einen ähnlichen Bedeutungswandel erfahren.
  12. Mit diesem (unbiblischen) Begriff des griechisch-römischen Rechts bezeichnet Philo immer die Söhne der Nebenfrauen.
  13. Als Sophist wird Ismael betrachtet Ü. d. Cherubim § 8, Ü. d. Nachkommen Kains § 131 und De fuga et invent. § 209f.
  14. Eine solche Charakteristik Ismaels und Isaaks lesen wir bei Philo De mutat. nomin. § 201–263. Wahrscheinlich verweist hier Philo aber auf das uns nicht erhaltene Leben Isaaks
  15. Der Weise (Isaak) ist der Sohn der Tugend (Sarah), während Ismaels (des Sophisten) Mutter (Hagar) als Symbol der ἐγκύκλιος παιδεία gilt. Über das Verhältnis dieser zur Philosophie vgl. Ü. d. Trunkenheit § 48–51 u. d. Anmerkungen.
  16. Gemeint ist der Segen Mosis vor seinem Tode.
  17. Die LXX weicht hier vom MT ab.
  18. Den Unterschied zwischen εὐμορφία und κάλλος hat schon Plato gemacht. Sympos. 218 E.
  19. Über die Bezeichnung der Mägdesöhne als unebenbürtig vgl. Ü. d. Unveränderl. Gottes § 121 (IV 99, Anm. 3).
  20. Philos Text weicht sowohl vom MT als auch der LXX ab.
  21. Die Übersetzung setzt als Überlieferung τέλειος voraus; Wendlands Vorschlag τελείως würde den Sinn verwischen.
  22. Ägypten, der Körper, wird als Sitz der Leidenschaften betrachtet; der Weise ist ihnen entflohen; Joseph wird aber im folgenden (§ 15) nur als Strebender (προκόπτων), dem Weisen entgegengesetzt.
  23. Mit diesen Worten kann nur das ganze Volk Israel bezeichnet sein, wie Ü. d. Wander. Abrah. § 113 und 125.
  24. Statt des überlieferten ἀρετῶν ist wohl ἀρετῆς υἱῶν oder υἱῶν ἀρετῆς von Philo geschrieben worden.
  25. Abweichend von Wendland lese ich: ἔτι μετὰ τῶν <νόθων, οἷς τῶν>) ἀγαθῶν τὰ δοκήσει πρὸ τῶν γνησίων καὶ τῷ εἶναι παραριθμουμένων τετίμηται.
  26. Für die Stoiker gilt der Fortschreitende (προκόπτων), der nur plötzlich, in einem Augenblicke, zum Idealweisen (σοφός) werden kann, insolange dieser Augenblick nicht eingetreten ist, diesem gegenüber für minderwertig und unzulänglich (φαῦλος). Die von Philo gewählten Worte bilden gleichzeitig die Erklärung für ηὐξημένος in dem Bibelzitat 1 Mos. 49, 22.
  27. Jakob, als Typus dessen, der sich zur ἀρετή durchgerungen hat.
  28. Auch im § 68 unserer Schrift unterscheidet sich der Weise vom Unweisen durch das Wissen um das wahre Gut.
  29. Für Philos geringes Bedürfnis nach streng logischen Zusammenhängen ist bezeichnend, daß im Vorherg. von Josephs Neuerungssucht gar nicht die Rede war.
  30. Im Griechischen ein Wortspiel: γῆρας und γέρας, das unübersetzbar ist.
  31. Philo läßt seiner ethischen Auffassung des Begriffs πρεσβύτερος zuliebe, um die Beziehung auf die Zeit, die sich sowohl im MT wie in der LXX findet, zu vermeiden, das Wort ἡμερῶν aus.
  32. Von den beiden Ausdrücken πρεσβύτεροι faßt Philo den ersten in der zeitlichen, den zweiten in der übertragenen Bedeutung.
  33. Das wahre Alter ist das mit Weisheit und Tugend verbundene (vgl. Wendland, Neu entd. Fragm. S. 47).
  34. Vgl. § 16. Philo hat bisher Bibelstellen angeführt, in denen ein der Geburt nach Älterer νέος genannt wird und andere Stellen, an denen ein an Jahren Jüngerer πρεσβύτερος heißt. Nun will er an einer einzigen Stelle beides nachweisen.
  35. Philo hat Alleg. Erkl. II § 48 in Übereinstimmung mit der Überlieferung der LXX geschrieben: μία αὐτῶν ἡ ἠγαπημένη καὶ μία αὐτῶν μισουμένη, hier aber unterdrückt er die Anaphora, die er auch Ü. d. Opfer Abels § 19 beibehält.
  36. In breiterer Wendung als in der LXX findet sich Ü. d. Opfer Abels § 19: καὶ ἔσται ἐν τῇ ἡμέρᾳ, ᾗ ἂν κληροδοτῇ, während hier kürzer als in der LXX gesagt wird: ᾗ ἂν ἡμέρᾳ κληροδοτῇ.
  37. Die gehaßte Frau wird von Philo auch mit Lea, die geliebte mit Rachel identifiziert. Eine ausführliche allegorische Auslegung als ἀρετή und ἡδονή findet sich im Anschluß an dieselben Verse des 5. Buches Mos. in d. Schrift Ü. d. Opfer Ab. u. K. § 20ff.
  38. Das Wort ἀρχή bedeutet sowohl die erste Stelle einer örtlichen oder zeitlichen Reihe wie die erste Stelle im gegliederten Staate; Philo kam es aber darauf an, das zeitliche Moment auszuschalten, und deshalb erklärt er ἀρχή als τάξις, das hier nicht lokal, sondern axiologisch aufzufassen ist, wie er es Ü. d. Nachk. Kains § 62 ausspricht.
  39. Das Zitat wird wahrscheinlich erst mit dem Worte τούτῳ beginnen, daher dürften die Anführungszeichen hinter καὶ zu setzen sein, welches die beiden Zitate verbindet.
  40. Mit dem Ausdrucke: „Gesetzlosigkeit“ belegt hier Philo die menschlichen Konventionen, die das wahre Gesetz der Natur durch mangelhafte Nachahmung verfälschen. Vgl. Ü. d. Trunkenh. § 34 und Anm. 2, § 47.
  41. Nach stoischer Lehre wird der λόγος nicht gleich mit dem Kinde mitgeboren, sondern entwickelt sich erst vom 7. Lebensjahre angefangen und wird erst durch Sinneswahrnehmungen und Vorstellungstätigkeit um das 14. Lebensjahr herum vollentwickelt.
  42. Nach 2 Mos. 4, 22; davon handelt Philo Ü. d. Nachk. Kains § 63.
  43. Jakob, der seine Enkel segnet.
  44. In ähnlicher Weise ist dieselbe Allegorie dargestellt, Alleg. Erkl. III § 90–93; vgl. dort auch die Erklärung der Namen Manasse und Ephraim, und Ü. d. Wander. Abrah. § 205, De congr. erud. gr. § 40, De mutat. nom. § 98-102.
  45. Abweichend von Mangey und Wendland lese ich: τὸ ἄληστον ἐν ταῖς ἀδιαστάτοις <μνήμαις>. μνῆμαι μὲν οὖν...
  46. Die stoischen Philosophen erklären es als „Aufspeicherung von Vorstellungen“; darum scheint es, daß sie auch für die μνήμη, wie für den λόγος (s. § 26 Anm. 5) einen längeren Zeitraum für deren Entwicklung und Festigung annahmen.
  47. δεξιοῦσθαι ist hier in doppeltem Sinn gebraucht; einmal im Wortsinn, mit Rücksicht auf den biblischen Ephraim, dem Jakob die rechte Hand aufs Haupt legt; dann aber in der übertragenen Bedeutung: jmd. bewillkommnen, mit Freundlichkeit oder Lob empfangen.
  48. Darin klingt die Anschauung der alten Stoa nach, welche in ihrer Affektlehre jedes πἀθος als eine Ausschließung des λόγος ansah; Chrysipp bezeichnete den Rausch geradezu als kleinen Wahnsinn (StVF III 713); und in der Frage, ob der Weise sich berausche, wird die Verneinung damit begründet, daß es zu seinem Wesen gehöre, πάντα κατ' ἀρετὴν ποιεῖν καὶ τὸν ἀπὸ ταύτης ὀρθὸν λόγον (StVF III 643).
  49. „Auf die Frage, warum nicht Ham, sondern sein Sohn verflucht wird, gibt Procopius drei Lösungen“. Über diese vgl. P. Wendland, Neu entd. Fragmente S. 60. – In den Quaest. et sol. in Genesin II 77 ist uns eine doppelte Erklärung Philos noch erhalten.
  50. Neben die Version der LXX παῖς οἰκέτης ist hier die sich enger an den MT anschließende Übersetzung Aquilas δοῦλος δούλων in den griechischen Text eingedrungen. Daß Philo nicht beide Fassungen geschrieben haben wird, ist einleuchtend; wahrscheinlich wird Wendland Recht haben, nach Mangeys Vorgang die Worte δοῦλος δούλων zu streichen, wenngleich Ryles Einwendungen von ihm nicht zwingend widerlegt sind (Kritische und exeg. Bemerkungen zu Philo, Rhein. Mus. 53, 15f.).
  51. Das griechische Wort σχέσις kann sowohl das Gegenteil der Bewegung bedeuten (also Stillestehen, Stillstand), als auch Zustand, Zuständlichkeit. Philo denkt hier, wie der Ausdruck: διαφέρουαιν ἀλλήλων zeigt, nicht nur an die Ruhe.
  52. Die φορά ist bei Aristoteles eine der vier Arten der μεταβολή oder κίνησις, und zwar die räumliche, κατά τόπον oder κατά τὸ ποῦ; hier liegt also nicht eine Identifizierung der beiden Begriffe vor, sondern eine Beschränkung auf eine Unterart. Ebensowenig hat auch die Stoa mit κίνησις ausschließlich die räumliche Bewegung, μεταλλαγὴ κατά τόπον, bezeichnet, sondern darunter ebenso eine μεταλλαγὴ κατὰ σχήμα verstanden.
  53. Eine ähnliche Einteilung der räumlichen Bewegung finden wir erst bei Nachfolgern des Chrysipp; Apollodor ist nach dem Stande unserer Überlieferung der erste, der die Bewegung an demselben Orte besonders behandelt. StVF III 260, 6–12. Möglich wäre es aber auch, daß Philo hier an die tonische Bewegung der Stoiker denkt.
  54. Die stoische Philosophie hat sowohl die σχέσις wie die ἕξις als Wirkung des πνεῦμα erklärt; daher, und überdies aus Gründen der Etymologie (ἴσχεσθαι τοιοῦτο und ἔχειν πῶς) sind die beiden Begriffe „verwandt“. Während aber σχέσις die Zuständlichkeit eines Dinges bedeutet, ist ἕξις seine Qualität. Über die Zusammenhänge beider Begriffe im System der Stoa vgl. H. v. Arnim, Die europ. Philos. d. Altert. (in Hinnebergs Kultur d. Gegenw. V/1) S. 229.
  55. Dieser Gedanke stammt aus der praktischen Ethik der Stoa (Arnim, StVF III 244).
  56. Bei Kenntnissen ohne Betätigung besteht nicht die Gefahr des διαμαρτάνειν, des größten Übels und Unglücks für die Stoiker.
  57. Das sind Menschen, die im Besitze der vier Einzeltugenden sind, wie sie seit Plato in der griechischen Philosophie kanonisch wurden.
  58. Nach einem Ausspruch des Aristoteles (Diog. Laert. V 18) zu schließen, liegt hier die peripatetische Ansicht über die Wege zur Tugend vor. Philo hat sie für die allegorische Erklärung der drei Stammväter des Volkes Israel so verwendet, daß er Isaak als Symbol der φυσική ἀρετή, Abraham der διδασκαλική und Jakob der ἀσκητική nimmt; z. B. Ü. Abrah. § 52. Über die Frage, ob jeder Weg allein oder nur zusammen mit den beiden anderen zur Tugend führe, vgl. E. Bréhier, Les idées philos. et relig. de Philon d’Alexandrie², S. 272ff.
  59. Der poetische Ausdruck ἀγαλμάτων ist in der Übersetzung durch Gedanken unzulänglich wiedergegeben; Philo meint damit die geistigen Abbilder der dem menschlichen Erkennen unerreichbaren wirklichen Wesenheiten, die νοητὰ ἀγάλματα (vgl. § 3), ungefähr das also, was wir Begriff und Gedanke nennen.
  60. Der Gott des Reichtums, Sohn der Demeter und des Jasios, wird nach der späteren Sage blind vorgestellt; für Philo fällt die Blindheit mit der ἄγνοια und ἀφροσύνη zusammen. Vgl. auch über Abraham § 25 und Anm.
  61. Die Überlieferung ἑκάστῳ τῶν ὄντων gibt keinen Sinn; Mangeys Konjektur συνόντων befriedigt nicht; Wendlands ὑπηκόων ist auch paläographisch unwahrscheinlich. Die alte Korruptel dürfte aus der Zeit stammen, in der die Hss. noch in Majuskel oder Unziale geschrieben waren; ΟΛΙΤΩΝ wäre dann zu ΠΟΛΙΤΩΝ zu verbessern. Jedenfalls schwebt die stoische Definition der Gerechtigkeit auf Grund der Ableitung des νόμος von νέμειν, διανέμειν (StVF III 262 u. ö.) vor.
  62. So rationalistisch auch die Stoa die Tugend aufgefaßt hat, sie besteht nicht bloß in theoretischem Wissen, sondern muß sich praktisch auswirken. Namentlich die jüngere Stoa hat das betont.
  63. [חָם‎ = חֹםWärme, כנען‎ wird mit נועschwanken zusammengebracht, das eine „Bewegung“, wie sie Philo im Auge hat, nicht bedeuten kann. I. H.]
  64. Dieser Parallelismus ist stoisch (Arnim, StVF III 425, 471 usw.), ebenso der Zusammenhang des ἀρρώστημα mit der κακία.
  65. Wendland hat in seiner Ausgabe zu Unrecht die Lesart der Handschriften λόγου geändert; nur sie gibt einen glatten Sinn.
  66. Mit Wendland lese ich ἐκγόνου und § 48 (II 225, 4) ἔκγονα.
  67. [Philo meint, daß nach der Bibel Gott nicht außer den Vätern, sondern statt der Väter die Enkel bestraft. Diese Auffassung der göttlichen Strafe findet zwar im griechischen Denken (Solon El. 13, 31 f.; Theognis 205f.), wie im jüdischen (Ezech. 18, 2) ihre Stütze, mußte aber natürlich vom ethischen Standpunkt bedenklich erscheinen (wie sie ja auch der rabbinischen Auffassung des Verses nicht entspricht); die allegorische Deutung hat daher zugleich apologetischen Sinn. I. H.]
  68. Über diese sonderbare allegorische Deutung des Aussatzes vgl. man Ü. d. Unveränderl. Gottes § 127ff. und Ü. d. Pflanzung Noahs § 111.
  69. Ich lese ἐχομένας.
  70. Weder in der Schrift Ü. d. Nüchternheit findet sich vorher eine solche Erklärung des Namens Sem, noch in einer anderen der uns erhaltenen Schriften. Es ist mir höchst wahrscheinlich, daß im 2. Buche Ü. d. Trunkenheit, in dem Abschnitte über die γυμνότης, der Bibelvers Gen. 9, 23 behandelt und bei dieser Gelegenheit die allegorische Deutung Sems gegeben war, auf die sich nun Philo hier bezieht.
  71. Während sonst jeder Mensch einen speziellen, d. h. individuellen Namen trägt, bedeutet Sems Name im Hebräischen = שֵׁם‎, den allgemeinsten Ausdruck jeglicher Bezeichnung, d. h. den Gattungsbegriff: „Name“; [nicht in dem uns besondere naheliegenden Sinn eines Eigennamens; Philo denkt eher an nomen im grammatischen Sinne. I. H.]
  72. So geläufig uns (von der Bibel her) Wendungen wie „mein Gott“, „Gott Israels“ sind, so völlig ungewohnt sind sie dem Griechen. Er faßt daher das Possessiv-Verhältnis viel schärfer als es die Bibel meint.
  73. Die Worte τοῦ φίλου μου, auf die es Philo gerade ankommt, fehlen im MT; die LXX bieten statt dessen τοῦ παιδός μου. – Ausführliche Deutungen dieses Bibelverses finden sich All. Erkl. III 27 und Quaest. in Gen. IV 21.
  74. Alle diese Prädikate sind dem stoischen Idealweisen entlehnt; vgl. Arnim, StVF III 603.
  75. [Philo scheint einer Deutung zu folgen, die Σήμ als Dativ faßte „Gott werde gelobt durch Sem.“ Freilich setzt seine Auslegung voraus, daß auch die genitivische Deutung berechtigt ist; entweder hat er beide Deutungen kombiniert, oder der Vertreter der dativischen hat dem Vers eine absichtliche Doppeldeutigkeit zugetraut. I. H.]
  76. Wenn man Wendlands Vorschlag, die Worte ἀνὰ κράτος hinter ἐπαινεῖν zu versetzen, nicht beipflichtet, so können sie nach dem Zusammenhange wohl nur in dem Sinne: „seiner Kraft entsprechend; soweit seine Kraft reicht“ aufgefaßt werden; diesen Sinn wiederzugeben, versucht die freiere Übersetzung.
  77. Das war die Ansicht der Stoiker.
  78. Gemeint sind die drei peripatetischen Güterklassen.
  79. [Aus Philo wird nicht verständlich, mit welchem Recht er Japhet zum Peripatetiker macht und auch nicht, wieso § 69 mit dem Begriff des κάλλος gearbeitet wird, das mit dem καλόν, dem sittlich Guten, nach stoischem Sprachgebrauch nicht ohne weiteres identisch ist. Philo läßt nämlich die Etymologien unerwähnt, auf denen, wie fast immer, die Deutung der Person beruht. § 61 hält er sich an die von dem Bibelvers selbst aufgestellte Beziehung zu פתהerweitern; § 68ff. kombiniert er diese Deutung mit einer anderen, die, wie der Talmud Meg. 9 b, יפת‎ mit יפיSchönheit zusammenstellt. I. H.]
  80. Ob man aus dieser Stelle schließen darf, daß durch die „solcherweise hergestellte Wesensverwandtschaft die Gottheit selbst dem Weltleben immanent bleibt,“ wie das Anathon Aall, Geschichte d. Logosidee i. d. griech. Philos. I 197 getan hat, ist mir fraglich.
  81. In der Lehre des Aristoteles über den πρῶτος οὐρανός und durch die Ansichten der Stoiker, z. B. Zenons, daß der Himmel (mit Ausnahme des κενόν und seiner selbst) alles umfasse, war schon den Griechen die Möglichkeit gegeben, dem Himmel das Attribut der Göttlichkeit beizulegen. Für Philo kam nun auch noch die biblische Anschauung hinzu, daß Gott im Himmel wohne. Das alles widerstreitet aber der strengen Transzendenz des philonischen Gottesbegriffes; darum betont er so scharf die Außerweltlichkeit, Unkörperlichkeit und Unlokalisierbarkeit Gottes (vgl. Leisegangs Index s. v. θεός); nur der Dumme und Minderwertige könne wähnen, εἶναι τὸν θεὸν ἐν τόπῳ, μὴ περιέχοντα, ἀλλὰ περιεχόμενον, All. Erkl. III 6. Vgl. Ü. d. Nachk. Kains § 7 u. v. a.
  82. Er wurde nicht von anderen unterwiesen; vielleicht gäbe selbstbelehrt den Sinn genauer wieder.
  83. Nach LXX statt ממלכתKönigreich.
  84. Die Lesart aller Hss. ἀκολουθίαν läßt sich rechtfertigen und macht deshalb Wendlands Änderung εὐλογίαν, die er in den Text setzte, überflüssig.
  85. Durch das Wort ἱερός nimmt Philo Bezug auf ἱεράτευμα im Bibelverse.
  86. Mit dem Begriff des Gotteshauses verbindet sich für Philo so eng das Asylrecht (das im hellenistischen Ägypten auch viele Synagogen besaßen), daß es geradezu zum Merkmal des wahren ἱερόν wird.
  87. Die im § 62 aufgeworfene Frage, wer in den Häusern Sems Wohnung nehmen solle, wurde bis jetzt dahin beantwortet, Gott erkiese sich die vollkommen geläuterte Seele zur Wohnstatt. Nun wird der Versuch von Philo unternommen, Japhet als Subjekt jenes subjektlosen Satzes der Bibel aufzufassen; vgl. § 59 unserer Schrift.
  88. So ist nämlich Japhet § 60 und § 61 gekennzeichnet worden.
  89. Arnim, StVF III 117.
  90. Nach stoischer Lehre haben die Schlechten an keinem der Güter Anteil, StVF III 387.
  91. Chrysipp sagt ausdrücklich, daß zwischen den ἀγαθά und κακά der volle Gegensatz herrsche StVF III 85.
  92. Gemeint ist Jakob, der seinen Söhnen vor dem Tode ihre Zukunft kündet.
  93. Plural nach dem Schriftwort.
  94. Den großen Unterschied zwischen κατοικεῖν und παροικεῖν erläutert Philo Ü. d. Sprachenverwirrung § 76ff.
  95. Chanaan, gemäß 1 Mos. 9, 27.
  96. Nach mittelstoischer Lehre (z. B. Cicero Tusc. II 48) gebietet die Vernunft dem Unvernünftigen in der Seele „wie ein Herr dem Sklaven oder wie ein Feldherr dem Soldaten oder wie ein Vater dem Sohn“, je nach dessen Verhalten.
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Über die Nüchternheit
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