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Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler

schwelgt; 57 nicht nur in gutem Ruf (ist er), sondern hochberühmt, da er ein Lob einheimst, das nicht durch Schmeichelei verfälscht, sondern durch die Wahrheit bestätigt wird; er allein ist König, da er von dem Allherrscher die unbestreitbare Macht zur Herrschaft über alle bekommen hat; er allein ist frei,[1] weil er von dem drückendsten Tyrannen, dem eitlen Wahne, befreit ist; diesen großprahlerischen Stolzen hat ja Gott, der Befreier, von der Höhe seiner Burg herabgestürzt. 58 Welche Pflicht hat nun dieser Mensch, der so großer und unübertrefflicher Güter, aller auf einmal zusammen, gewürdigt wurde, als seinem Wohltäter zu vergelten durch Worte, Gesänge und Lobpreisungen? Das ist es offenbar, worauf (die heilige Schrift) mit den Worten anspielt: „Gepriesen sei Gott, der Herr, von Sem“, weil es dem Menschen, welcher Gott zum Anteil hat, ziemt, ihn zu preisen und zu loben;[2] ist doch dieses die einzige Gegenleistung, zu der er die Macht hat, während ihm die Kraft zu allem andern einfach völlig versagt ist.[3]

[12] 59 Den Sem segnet Noah also damit; wie den Japhet, das wollen wir jetzt betrachten. Es heißt: „Gott breite aus den Japhet, und er wohne in den Häusern Sems, und Chanaan werde ihnen Knecht“ (1 Mos. 9, 27). 60 Hält einer bloß das (sittlich) Schöne für ein Gut,[4] dessen Ziel ist eng beschränkt und zusammengedrängt; denn wiewohl es gar Vieles in unserem Inneren gibt, steht es bloß mit einem einzigen in enger Verbindung, mit dem Geist, dem Führer. Paßt aber einer es (das Ziel) drei Gattungen an,[5] der des Seelischen, der des Körperlichen und der des Äußerlichen, dem verbreitert es sich, da es ja auf viele ungleichartige Stücke zerteilt wird. 61 Daher ist der Segenswunsch


  1. Alle diese Prädikate sind dem stoischen Idealweisen entlehnt; vgl. Arnim, StVF III 603.
  2. [Philo scheint einer Deutung zu folgen, die Σήμ als Dativ faßte „Gott werde gelobt durch Sem.“ Freilich setzt seine Auslegung voraus, daß auch die genitivische Deutung berechtigt ist; entweder hat er beide Deutungen kombiniert, oder der Vertreter der dativischen hat dem Vers eine absichtliche Doppeldeutigkeit zugetraut. I. H.]
  3. Wenn man Wendlands Vorschlag, die Worte ἀνὰ κράτος hinter ἐπαινεῖν zu versetzen, nicht beipflichtet, so können sie nach dem Zusammenhange wohl nur in dem Sinne: „seiner Kraft entsprechend; soweit seine Kraft reicht“ aufgefaßt werden; diesen Sinn wiederzugeben, versucht die freiere Übersetzung.
  4. Das war die Ansicht der Stoiker.
  5. Gemeint sind die drei peripatetischen Güterklassen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSobrGermanAdler.djvu/20&oldid=- (Version vom 17.7.2016)