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Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Wahne erfüllen. [1] [4] 16 So wäre denn also nachgewiesen, daß (die heilige Schrift) an vielen Stellen den Ausdruck „jung“ nicht im Hinblicke auf die Jugendkraft des Körpers, sondern auf die jugendliche Neuerungssucht[2] der Seele zu verwenden pflegt. Daß sie aber altersreif nicht den nennt, den schon die Bande des Greisenalters umfangen, sondern denjenigen, welcher Auszeichnung [3] und Ehre verdient, wollen wir nun zeigen. 17 Wer von denen, welche die heiligen Bücher in der Hand gehabt haben, weiß nicht, daß von allen seinen Vorfahren der weise Abraham mit der kürzesten Lebenszeit angeführt wird? Und doch wird von jenen, die so lange gelebt haben, meines Wissens nicht ein einziger, sondern gerade er als altersreif bezeichnet; sagen doch die heiligen Bücher: „Abraham war zur Altersreife vorgeschritten, [4], und der Herr hatte Abraham in allem gesegnet“ (1 Mos. 24, 1). 18 Diese vorliegende Stelle scheint mir den richtigen Grund anzugeben, weshalb der Weise altersreif genannt wurde; wann nämlich durch die Fürsorge Gottes der vernünftige Seelenteil in die richtige Verfassung gebracht wird und nicht bloß in einem Einzelfalle, sondern nach allen Richtungen vernünftig handelt, dann betätigt er eine altersreife Einsicht und ist dann doch wohl auch selber altersreif. 19 So werden auch die Ratgeber des Gottgeliebten, welche die Zahl von zehn Siebenheiten erreicht haben, gewöhnlich die Ehrwürdigen genannt. Denn es heißt: „Führe mir zusammen siebzig Männer von den Älteren Israels, von denen du selbst weißt, daß sie ehrwürdig sind“ (4 Mos. 11, 16).[5] 20 Also nicht die Greise, welche ein Beliebiger für Lehrer des Heiligen ansieht, sondern nur diejenigen, welche der Weise allein kennt, würdigte (die heilige Schrift) der Anrede als Ehrwürdige.[6] Denn alle, welche dieser wie ein tüchtiger Geldwechsler durch Prüfen


  1. Auch im § 68 unserer Schrift unterscheidet sich der Weise vom Unweisen durch das Wissen um das wahre Gut.
  2. Für Philos geringes Bedürfnis nach streng logischen Zusammenhängen ist bezeichnend, daß im Vorherg. von Josephs Neuerungssucht gar nicht die Rede war.
  3. Im Griechischen ein Wortspiel: γῆρας und γέρας, das unübersetzbar ist.
  4. Philo läßt seiner ethischen Auffassung des Begriffs πρεσβύτερος zuliebe, um die Beziehung auf die Zeit, die sich sowohl im MT wie in der LXX findet, zu vermeiden, das Wort ἡμερῶν aus.
  5. Von den beiden Ausdrücken πρεσβύτεροι faßt Philo den ersten in der zeitlichen, den zweiten in der übertragenen Bedeutung.
  6. Das wahre Alter ist das mit Weisheit und Tugend verbundene (vgl. Wendland, Neu entd. Fragm. S. 47).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSobrGermanAdler.djvu/9&oldid=- (Version vom 10.7.2016)