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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Bewegung die gleichen, wie diejenigen,[1] welche annehmen, es gäbe für das All und seine Teile eine wundervolle Vorsehung und Fürsorge Gottes, der es unfehlbar und zum Heile lenke und steuere? 200 Und nötigen nicht die Vorstellungen, die für die Untersuchung über das Gute in Betracht kommen, eher zur Zurückhaltung des Urteils als zu einer Zustimmung, da die einen[2] bloß das sittlich Wertvolle als das Gute ansehen und die Seele zu dessen Schatzkammer machen, während andere[3] es in mehrere Teile zerstückeln und es bis auf den Körper und die Außenwelt ausdehnen? 201 Diese behaupten, daß die vom Zufall abhängigen Glücksgüter schützende Trabanten für den Körper seien, Gesundheit aber, Kraft, [388 M.] Unversehrtheit[4] und Schärfe der Sinnesorgane und alles derartige (Körperliche) solche für die Königin Seele; drei Reihen nämlich stünden der Natur des Guten zur Verfügung; die dritte und äußerste sei die Vorkämpferin für die zweite, wenn sie weichen müßte; die zweite aber sei ein mächtiges Bollwerk und mächtiger Schutz für die erste.[5] 202 Aber auch über diese selbst (die Güter) und über den Unterschied der Lebensführung und die Ziele, auf die man alle Handlungen beziehen muß, und über tausend andere Fragen, welche die Beschäftigung mit Logik, Ethik und Physik enthält, sind unzählige Gedanken geäußert werden, jedoch bis heute herrscht über keinen von ihnen bei allen Denkern Übereinstimmung. [49] 203 Wird also der Geist,[6] wenn sich seine beiden Töchter, Ratschluß und Zustimmung, mit ihm im Beischlaf paaren,


  1. Philo verändert hier leicht die Ansicht der Stoiker über die πρόνοια unter dem Einfluß seiner jüdischen Anschauung.
  2. Die Stoiker, welche die Identität des καλόν und ἀγαθόν lehrten, sahen nur in der ἀρετή und in dem, was an der ἀρετή Teil hat, das Gute. Die ἀρετή aber ist für sie das ἡγεμονικὸν τῆς ψυχῆς oder dessen vernünftige διάθεσις. Insoferne kann also Philo bildlich davon sprechen, die Seele sei die Schatzkammer des Guten.
  3. Die Peripatetiker lehrten die Dreiteilung der Güter in seelische, leibliche und äußere; über diese äußert sich Philo ähnlich, Der Erbe d. Göttl. § 286, Ü. d. Sprachenverw. § 18ff. u. ö.
  4. τὸ ὁλόκληρον bezeichnet die Unversehrtheit, Unverstümmeltheit des Körpers, die neben der ἀκρίβεια der Sinnesorgane von den Stoikern, in betontem Gegensatze zu den Peripatetikern, unter die ἀδιάφορα gezählt wird.
  5. Philos Vergleich kennzeichnet das gegenseitige Verhältnis der drei peripatetischen Güterklassen. Die Annahme v. Arnims, auf die er als eine Möglichkeit hinweist (S. 67, 1), daß der Vergleich von Antiochus stamme, ist mir nicht wahrscheinlich.
  6. Nach § 165f. ist damit Lot gemeint; die Darstellung kehrt zu dem Punkt zurück, wo Philo die τρόποι des Aenesidem eingelegt hat.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/069&oldid=- (Version vom 21.5.2018)