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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

und den Blick entzückende, anlegen; denn da das Leben vielfältig verschlungen ist, verlangt es einen vielseitig klugen Steuermann, der das Steuer führen soll. 87 Dieser wird nun an dem ringsum sichtbaren Altare,[1] d. h. im Leben, auch der Haut, dem Fleische, dem Blute und allem Körperlichen offensichtlich viel Sorgfalt angedeihen lassen, um sich nicht mit den vielen Tausenden zu verfeinden,[2] welche die körperlichen Vorzüge als Güter beurteilen, die sie nächst den seelischen mit dem zweiten Preise auszeichnen; am inneren Altare jedoch wird er sich lediglich mit Blutlosem‚ Fleischlosem und Körperlosem, bloß mit den Gedanken der Vernunft befassen, die mit dem Weihrauch und dem Räucherwerk verglichen werden; denn wie dieses die Nase, so erfüllen jene den ganzen Raum der Seele mit Wohlgeruch.[3] [22] 88 Man wird ferner dabei gut tun, auch das nicht zu vergessen, daß die Weisheit, die die Kunst der Künste ist,[4] sich scheinbar mit den verschiedenen Stoffgebieten ändert,[5] während sie ihre wahre Gestalt in ihrer Unwandelbarkeit den Scharfsichtigen zeigt, die sich nicht von der das Wesen umgebenden körperlichen Hülle ablenken lassen, sondern das von der Kunst selbst eingedrückte Gepräge (durch das Äußere hindurch) erschauen. 89 Vom berühmten Bildhauer Phidias[6]


  1. Über den Unterschied der beiden Altäre und die Unterscheidung der auf ihnen dargebrachten Opfer vgl. Ü. d. Einzelges. I 274ff.
  2. Vgl. Über die Wanderung Abrahams § 88ff.
  3. In der Schrift Der Erbe des Göttlichen 196–198 wird der Weihrauch symbolisch dem leichtesten Elemente, dem Feuer, gleichgesetzt, im Gegensatz zur Erde und zum Wasser. Es ist ein weiterer Schritt in der abstrahierenden Symbolik und entspricht Philos Dualismus mehr, wenn er hier das Räucherwerk zum Symbol des Unkörperlichen nimmt, im Gegensatz zu allem Körperlichen, und, wohl in Erinnerung an das stoische πνεῦμα, den Raum der Seele mit Weihrauch erfüllt sein läßt.
  4. Unter τέχναι versteht Philo, De congr. erud. gr. § 142, die einzelnen Gegenstände der volkstümlichen, allgemeinen Bildung (vgl. oben § 49 Anm. 5), denen er die ἐπιστήμη gegenüberstellt; die letztere ist identisch mit der σοφία (vgl. oben § 30 S. 18 Anm. 1). Nach der wahrscheinlichen Annahme Wendlands ist dort § 144 in der Lücke die gleiche Definition der ἐπιστήμη ausgefallen, die hier von der σοφία gegeben wird: τέχνη τεχνῶν.
  5. Die ἐπιστήμη umfaßt alle Gebiete des Seins, welche für sie Stoffgebiete, Material (ὕλη) sind. – Man beachte, wie Philo die Bedeutung des griechischen Zeitwortes δοκεῖν, das ebenso den Begriff anscheinend wie scheinbar ausdrückt, hier gegenüber § 87 variiert.
  6. Die Meisterschaft des Phidias in der Bearbeitung verschiedenen Materials betont ebenso Seneca Epist. 85, 40. – Die Kunsttheorie, die hier Philo vorträgt, ist der akademischen Schule entlehnt und findet sich ähnlich, auch mit Hinweis auf das Schaffen des Phidias, bei Cicero im Orator II 8. WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Der Meinung Praechters, die er in seinem Buche „Hierokles der Stoiker“ S. 48 mit Zitierung unserer Stelle ausspricht, Beispiele und Vergleiche aus dem Gebiete der Plastik empfählen die Annahme einer stoischen Vorlage, vermag ich mich mit Rücksicht auf den deutlichen Charakter der philonischen Darlegung nicht anzuschließen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/037&oldid=- (Version vom 8.6.2018)