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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

nach dem Untergange des andern. 25 Wer aber die Beiträge bringt, den kann man auch hauptsächlich dessen zeihen, daß er nicht nur gesonnen ist, Unrecht zu begehen, sondern auch es in Gesellschaft mit anderen zu begehen; erdreistet er sich doch, es teils selbst einzuführen, teils zuzuhören, wenn es andere einführen, um sich, da er gegen Natur und Belehrung sündigt, keine brauchbare Hoffnung auf seine Rettung mehr übrig zu lassen, noch dazu, wo doch das Gesetz ausdrücklich sagt: „nicht mit der Menge im Bunde zu sein zum Bösen“[1] (2 Mos. 23, 2); 26 denn tatsächlich ist das Böse häufig und sehr fruchtbar in den Seelen der Menschen, das Gute spärlich und selten. Deshalb ist es eine sehr nützliche Lehre, nicht mit den Vielen zu verkehren, mit denen das Unrecht im Bunde ist, sondern mit den Wenigen, mit denen die gerechten Taten sind.[2] [8] 27 Die vierte und schwerste Anklage also war die Trunkenheit, nicht die lockere, milde, sondern die hochgespannt heftige; denn besoffen sein bedeutet, daß man das am Unverstande mitschuldige Gift,[3] die Zuchtlosigkeit, aufglimmen läßt, jedesmal von neuem entzündet und entflammt; diese kann dann nimmer gelöscht werden, sondern steckt die Seele in Brand und verbrennt sie für immer durch und durch.[4] 28 Mit Recht wird daher die Strafe folgen, die jede schlechte Sinnesart aus der Seele wegfegt; denn es heißt: „Du sollst hinwegschaffen den Bösen“[5], nicht aus der Stadt oder dem Lande oder dem Volke, sondern „aus eurer Mitte“ (5 Mos. 21, 21); denn in uns selbst stecken offen und geheim die angeschuldigten und tadelnswerten Gedanken, die man, wenn sie unheilbar sind, abhauen


  1. Philo zitiert nicht wörtlich; die LXX übersetzt: οὐκ ἔσῃ μετὰ πλειόνων ἐπὶ κακίᾳ.
  2. Philo liest aus dem Bibelvers den Glauben an die Schlechtigkeit der „Menge“, d. h. der Mehrzahl der Menschen, heraus. Dieser Gedanke ist altes Gemeingut griechischer Lebensweisheit. Schon dem Bias wird der Ausspruch zugeschrieben: οἱ πλεῖστοι ἄνθρωποι κακοί. (Diels VS. 73a ς) und der Aristokrat aus ethischer Überzeugung, Heraklit, sagt: διδασκάλῳ χρείωνται ὁμίλῳ οὐκ εἰδότες ὅτι οἱ πολλοὶ κακοί, ὀλίγοι δὲ ἀγαθοί (Diels VS. B 104 [77]). Bei Philo hat die Ansicht von der Häufigkeit des Bösen und Seltenheit des Guten nichts zu tun mit der von den Stoikern behaupteten Seltenheit des Idealweisen, sondern entspringt seinen pessimistischen Anschauungen über alles rein Menschliche.
  3. Über das Verhältnis der ἀπαιδευσία zum ἀφραίνειν (= ἀφροσύνη) und ληρεῖν s. oben § 5. 6.
  4. Das Bild vom Verbrennen der Seele ist hier hervorgerufen durch die eigentümliche Etymologie Philos οἰνοφλυγεῖν = οἴνῳ φλέγεσθαι; s. auch weiter unten § 29: ἀκράτῳ φλεγόμενον, dem hier ἀναφλέγεσθαι entspricht.
  5. S. die letzte Anm. zu § 14.
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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/016&oldid=- (Version vom 8.6.2018)