Erhaltenswerte bürgerliche Baudenkmäler in Dresden

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Autor: Walter Mackowsky
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Titel: Erhaltenswerte bürgerliche Baudenkmäler in Dresden
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Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Verlag von C. Heinrich in Dresden-N.
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Erscheinungsort: Dresden
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[Einband] [-] [-] [-]

[I]
W. Mackowsky


Erhaltenswerte bürgerliche
Baudenkmäler in Dresden


Festschrift,

der II. Gemeinsamen Tagung für

Denkmalpflege und Heimatschutz Dresden 1913

dargeboten vom Verein

für Geschichte Dresdens



Zugleich

Jahresgabe des Vereins für Geschichte Dresdens

für seine Mitglieder



Verlag von C. Heinrich in Dresden-N.

1913

[II]
20 Lichtdrucktafeln mit Text.
Die Grundrisse im Text sind mit Genehmigung der Königl. Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler dem sächsischen Inventarisationswerk entnommen.

[III]

Inhaltsverzeichnis.

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Seite
Einführung 1
Die Entwicklung der bürgerlichen Baukunst in Dresden 10
Die Rathäuser der Alt- und Neustadt 17
Wohnhäuser aus der Zeit der Gotik und Früh-Renaissance 23
Das Barockwohnhaus 32
Die Bautätigkeit in der Neustadt nach dem großen Brande im Jahre 1685 46
Das bürgerliche Wohnhaus unter dem Einflusse der Palastbauten 53
Das bürgerliche Landhaus 65
Ludwig Richters Geburtshaus 68
Schlußbetrachtung 71

[-] [V]

Verzeichnis der Tafeln.

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Text Seite
Tafel I.      Das Rathaus der Altstadt 19
Tael II.      Das Rathaus der Neustadt 21
Tael III.      Das gotische Haus, Wilsdruffer Straße 2 26
Tael IV.      Häuser Neumarkt 12 und Frauenstraße 14, Erker aus der Zeit der Früh-Renaissance 28 und 44
Tael V.      Haus Schloßstraße 30 mit dem Fürstenerker 27
Tael VI.      Das Schönrock’sche Haus, Wilsdruffer Straße 14 30
Tael VII.      Barockhäuser Große Brüdergasse 31 und 33 33
Tael VIII.      Hofbrunnen im Dinglingerhause, Frauenstraße 9 34
Tael IX.      Haus am Jüdenhof 5 38
Tael X.      Barockhäuser an der Frauenkirche 16 und 17 38
Tael XI.      Blick in die Rampischestraße 40
Tael XII.      Barockhaus an der Kreuzkirche 2 41
Tael XIII.      Barockhäuser am Eingange zur Großen Meißner Straße 49
Tael XIV.      Häuser Königstraße 1 und 3 50
Tael XV.      Hofbrunnen im Gräflich Hoym’schen Palais, Harmoniegebäude, Landhausstraße 11 58
Tael XVI.      Hôtel de Saxe, Moritzstraße 1 b 61
Tael XVII.      British Hôtel, Landhausstraße 6 61
Tael XVIII.      Haus am Neumarkt 10, Stadt Rom 63
Tael XIX.      Landhaus Antons an der Elbe 67
Tael XX.      Ludwig Richters Geburtshaus, Gartenhaus Friedrichstraße 44 69

[-] [VII]

Literatur und Quellen.

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Die Bauten, technischen und industriellen Anlagen von Dresden. Dresden, 1878.
Behrendt, Walter Curt, Die einheitliche Blockfront als Raumelement im Stadtbau. Berlin, 1911.
Beutel, Georg, Bildnisse hervorragender Dresdner. Dresden, 1908.
Bredt, F. W., Die Heimatschutzgesetzgebung der deutschen Bundesstaaten. Düsseldorf, 1912.
Breuer, Robert, Der Städtebau als architektonisches Problem. Kunstgewerbeblatt. Neue Folge. XII. Jahrgang, Heft 11. Leipzig, 1911.
Bruck, Robert, Dresdens alte Rathäuser. Dresden, 1910.
Dietrich, Walther, Beiträge zur Entwicklung des bürgerlichen Wohnhauses in Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig, 1903.
Doenges, Willy, Dresden. Band 14 der Stätten der Kultur. Leipzig, 1909.
Ermisch, Hubert, Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. Sächsische Volkskunde. Dresden, 1901.
Gurlitt, Cornelius, Geschichte des Barockstiles, des Rococo und des Klassicismus. Stuttgart, 1888.
Gurlitt, Cornelius, Kunstdenkmäler der Stadt Dresden. 21., 22. und 23. Heft der Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Dresden, 1903.
Gurlitt, Cornelius, Dresden. XXIII. und XXIV. Band der Einzeldarstellungen „Die Kultur“. Berlin, 1907.
Hasche, Johann Christian, Umständliche Beschreibung Dresdens. Leipzig, 1781.
Hettner, Hermann, Der Zwinger in Dresden. Leipzig, 1874.
Heyer, Karl, Denkmalpflege und Heimatschutz im Deutschen Recht. Berlin, 1912.
Holey, Karl, Ein Denkmalschutzgesetz für Österreich. Wien und Leipzig, 1911.
Klemm, Gustav, Chronik der Königlich Sächsischen Residenzstadt Dresden. Dresden, 1837.
[VIII]
Lindau, M. B., Geschichte der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Dresden. Dresden, 1885.
Marperger, P. J., Historie und Leben der berühmtesten Europäischen Baumeister. Hamburg, 1711.
Muthesius, Hermann, Stilarchitektur und Baukunst. Mülheim an der Ruhr, 1903.
Ostendorf, Friedrich, Theorie des architektonischen Entwerfens. Berlin, 1913.
Richter, Otto, Verfassungsgeschichte der Stadt Dresden. Dresden, 1885.
Richter, Otto, Abriß der geschichtlichen Ortskunde von Dresden. Dresden, 1898.
Schumann, Paul, Barock und Rococo. Leipzig, 1885.
Schumann, Paul, Führer durch die Architektur Dresdens. Dresden, 1900.
Stiehl, O., Das deutsche Rathaus im Mittelalter. Leipzig, 1905.
Weck, Anton, Der Chur-Fürstlichen Sächsischen weitberuffenen Residentz- und Haupt-Vestung Dresden Beschreib: und Vorstellung. Nürnberg, 1680.
Weinart, B. G., Topographische Geschichte der Stadt Dresden. Dresden, 1777.
Widemann, Emil, Alt-Dresden und dessen Brand im Jahre 1685. Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, IV. Heft. Dresden, 1883.

[1]

Einführung.

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„Les longs souvenirs font les grands peuples“, diese vom Grafen Montalembert, einem Vorkämpfer der Denkmalpflege, in seiner Schrift „Du vandalisme en France“ etwa vor hundert Jahren ausgesprochenen Worte sind noch heute im vollsten Maße beherzigenswert. An der Spitze einer begeisterten Schar von Schriftstellern und Staatsmännern leitete der bedeutende Politiker und Führer der französischen Romantik, Graf Charles de Montalembert, damals in Frankreich eine Bewegung ein, die sich mit dem Schutze und der Erhaltung mittelalterlicher Denkmäler als ehrwürdiger Zeugen vergangener großer Zeiten befassen sollte.

Wenn auch dieses Interesse für die Vergangenheit zunächst nur literarische und schöngeistige Kreise beschäftigte, so drang doch eine durch die Romantik erwachte Vorliebe für ältere Stilarten, namentlich die Gotik, sehr bald auch in die breitesten Schichten der Bevölkerung ein. In vielen Ländern flammte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts eine von patriotischen Gefühlen getragene Begeisterung auf, ein Sich-Besinnen auf die einstige Größe des Vaterlandes, deren Überlieferung in den mittelalterlichen Baudenkmälern man mit Liebe und Verehrung betrachtete. Goethe hatte schon im Jahre 1772 im Anblick des Straßburger Münsters in seiner Schrift „Über altdeutsche Baukunst“ Erwin von Steinbach gefeiert und die Gotik als nationale Kunst gepriesen. Viktor Hugo schildert etwa fünfzig Jahre später in dem berühmten Roman „Notre Dame de Paris“ den Zauber dieser gotischen Kathedrale, und Schriftsteller der Romantik, wie [2] Walter Scott und Ludwig Tieck, widmen in ihren Erzählungen den Baudenkmälern früherer Zeiten oft seitenlange Betrachtungen.

In der Wiederherstellung und dem Ausbau mittelalterlicher Kirchen fand diese Art Denkmalpflege ihren sichtbaren Ausdruck. Sie verdichtete sich in Deutschland zu einer Aufgabe, gleichbedeutend vom patriotischen wie vom baukünstlerischen Standpunkte, der Vollendung des Kölner Domes. Ganz Deutschland sah mit größter Spannung der Wiederaufrichtung dieses glänzenden gotischen Baudenkmales entgegen, das als Symbol deutscher Einheit und Größe gefeiert wurde. Seine Baumeister waren in der Folgezeit tonangebend. Aus der Kölner Dombauhütte ging eine neugotische Schule hervor, deren Hauptvertreter Friedrich von Schmidt, der Erbauer des Wiener Rathauses, war. Fortan wurden in allen Ländern die größten Anstrengungen gemacht, die Gotik zu einer modernen Bedürfnissen entsprechenden Baukunst wiederaufleben zu lassen. Sie feierte in einer Reihe bedeutender Monumentalbauten große Triumphe, namentlich in England, wo die Architekten Barry und Pugin das neue Parlamentsgebäude ganz im gotischen Stile erbauten.

Aber bei aller Achtung vor solchen idealen Bestrebungen kann doch diese Art Denkmalpflege durchaus nicht vorbildlich genannt werden. Sie war mehr von wissenschaftlicher Gründlichkeit diktiert, als vom künstlerischen Geiste beseelt. Weitschweifige wissenschaftliche Abhandlungen, wie der berühmte „Dictionnaire raisonné d’architecture“ des kunstgelehrten Architekten Viollet-le-Duc sind das charakteristische Merkmal jener Zeit. Wie die gesamte Kunst war auch die Denkmalpflege des neunzehnten Jahrhunderts mehr historisch als künstlerisch. Der ethische Wert solcher Aufgaben wurde nicht im rechten Maße erkannt und gewürdigt. Man war noch nicht zu der Überzeugung gekommen, daß ein Nachschaffen im Geiste anderer Zeiten unmöglich ist, sondern glaubte es vielmehr besser zu verstehen als die einstigen Schöpfer der Denkmäler. So verfiel man in schwere Irrtümer. Im blinden Eifer ergänzte, überarbeitete und bemalte man die alten Bauten, die als Heiligtümer der Vergangenheit unangetastet bleiben sollten. So manche Restauration gereichte deshalb nur zum Schaden des Bauwerkes und wäre besser ganz unterblieben.

[3] Neben dieser romantischen Strömung mit ihren gotischen Kunstidealen, die besonders in der Denkmalpflege zum Ausdruck kam, setzte in der Architektur eine klassizistische Bewegung ein, die sich ganz auf den Boden der Antike stellte und auf die gotische Baukunst mit Verachtung blickte. Sie wandte sich vom Klassizismus sehr bald der freieren italienischen Renaissance zu, die besonders von Semper in Süddeutschland vertreten wurde. Aber auch diese Stilrichtung gewährte keine dauernde Befriedigung. Man ging zur deutschen Renaissance über und gefiel sich am Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts nach und nach in einer Wiederholung aller Stilarten, vom Barock bis zum Biedermeiertum. Über solchen Stiltreibereien wurde die eigentliche Zweckbestimmung des Bauwerkes ganz vernachlässigt; die Architektur entfernte sich mehr und mehr von den Bedürfnissen des täglichen Lebens und erstarrte in einem Formalismus, der alle lebendigen Keime der Kunst ersticken mußte.

Die auf diese Weise eintretende Verwirrung machte sich besonders in den gebildeten und bürgerlichen Kreisen sehr bald fühlbar. Kunst und Handwerk gerieten hier allmählich in einen Tiefstand, wie er schlimmer nicht gedacht werden konnte. Die Veränderungen im gesellschaftlichen Leben nach dem Ausgange der Revolution durch das Aufblühen neuer Stände waren auch für die Entwicklung der Kunst von einschneidender Bedeutung gewesen. Die sich jetzt aus anderen Elementen zusammensetzende bürgerliche Gesellschaft bewies in der Kunstbetätigung noch nicht den sicheren, im Laufe der Jahrhunderte geläuterten Geschmack, sie zeigte sich vielmehr in künstlerischen Dingen vollkommen urteilslos und unerfahren. Mit wenig Ausnahmen suchte der wohlhabende Bürger durch seine Kunst nur äußerlich zu wirken, er pflegte sie mehr seiner Umgebung zuliebe als ihres inneren Wertes wegen. Das kam in seiner Kleidung, seinem Schmuck, seinen Möbeln und Zimmern, besonders aber an seinem Hause zum Ausdruck. In dem Bestreben, sich nach außen ein möglichst hohes Ansehen zu schaffen, umgab sich der Bürgerstand mit den ihm überlieferten Resten einer längst verblichenen aristokratischen Kultur. Vergoldete Möbel mit Zierformen aus Schlössern der Barock- und Rokokozeit schmückten die viel zu prunkvoll ausgestatteten Räume bürgerlicher Wohnungen, zu denen breite Marmortreppen hinaufführten. Das Haus selbst hatte mehr das Aussehen eines [4] italienischen Palazzo als das eines bescheidenen Wohnhauses, überall machte sich ein überladenes Protzentum breit an Stelle gediegener Einfachheit, die vordem der Stolz dieses Standes gewesen war.

Diese Scheinkultur wurde noch schlimmer, als man mit dem Aufschwunge der Technik gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts damit begann, alle diese Dinge aus unechten Stoffen herzustellen, um sie auch den weniger bemittelten Kreisen zugängig zu machen. Die im Laufe der Zeiten bewährten Bausteine und Hölzer wurden jetzt durch minderwertige Nachahmungen verdrängt, die billigere Maschinenarbeit untergrub den Wert handwerklicher Leistungen, und mit wenig Geschmack hergestellte Fabrikware, deren Haltbarkeit von begrenzter Dauer war, überschwemmte Stadt und Land. So kam der gute Geschmack immer mehr abhanden, und das vom Bürgerstande gegebene schlechte Beispiel fand sehr bald auch bei den niederen Ständen Nachahmung und vergiftete das bis dahin gesunde Empfinden des Volkes.

Die uns von den Vätern überlieferte Kunst, die sich früher auch des kleinsten Gegenstandes liebevoll angenommen und ihm einen gewissen schönheitlichen Reiz verliehen hatte, war mit einem Male aus dem täglichen Leben geschwunden. Sie wurde als eine kostspielige und unpraktische Beigabe angesehen und war fortan nur für Liebhaber und Idealisten vorhanden. Die Kunst war jetzt nicht mehr dort zu finden, wo ihre eigentliche Wohnstätte sein sollte, in der Werkstatt und am häuslichen Herde, sie war heimatlos geworden. Die Öffentlichkeit mußte sich ihrer annehmen und sie in Vereinen und Museen pflegen. Wenn wir uns heute an prächtigen Möbeln, schönem Hausgerät und malerischen Trachten erfreuen wollen, suchen wir in bürgerlichen und Volkskreisen oft vergeblich danach, es ist alles in das Museum gekommen, wo man die Kunst in allen möglichen Erscheinungsformen sorgfältig gesammelt, aufgestapelt und eingeordnet hat.

So war es mit dem bürgerlichen Hause und der bürgerlichen Kunst im neunzehnten Jahrhundert schlecht bestellt. Gewichtige Stimmen wurden laut, die zur Umkehr vom falschen Wege aufforderten und eine Reaktion in gesündere Bahnen einleiteten. Diese Bewegung ging von England aus, wo John Ruskin in seinen bekannten Schriften für [5] eine Wiedererweckung nationaler Kunst eintrat, und William Morris eine Erneuerung des Handwerks und Gewerbes anstrebte, deren Endziel die Verbesserung der Ausstattung des englischen Hauses war.

Die erste Weltausstellung in London, im Jahre 1851, hatte gezeigt, daß das Handwerk und Gewerbe alle Fühlung mit der Kunst verloren hatten und zu mechanischen Leistungen herabgesunken waren. Der Grund hierfür war, wie bereits Gottfried Semper in seiner anläßlich der Londoner Weltausstellung erschienenen Schrift „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ nachgewiesen hat, in dem Aufkommen des Industrialismus mit seinen Folgeerscheinungen, dem Überhandnehmen des Kapitalismus und der Maschinenarbeit zu suchen. Deutlich erkannte Semper schon damals den weiteren Verfall der Kunst, den er mit folgenden Worten schildert: „Der Gang, den unsere Industrie und mit ihr die gesamte Kunst unaufhaltsam verfolgt, ist deutlich: Alles ist auf den Markt berechnet und zugeschnitten. Eine Marktware muß nun aber möglichst allgemeine Anwendung gestatten und darf keine anderen Beziehungen ausdrücken, als solche, die der Zweck und der Stoff des Gegenstandes gestattet. Der Ort ist nicht gegeben, für welchen er bestimmt ist, so wenig wie die Eigenschaften der Person bekannt sind, deren Eigentum er sein wird. Charakteristik und lokale Färbung darf er also nicht besitzen, aber er muß die Eigenschaft haben, sich jeder Umgebung harmonisch anschließen zu können.“

Gegen diese Mißstände suchte man auf verschiedene Weise in England anzukämpfen. Die Gründung des Londoner South Kensington-Museums und einer Reihe von Fachschulen waren die ersten Schritte zur Besserung. Man nannte diese Lehrstätten Kunstgewerbeschulen, um den früher selbstverständlich gewesenen Zusammenhang des Gewerbes und Handwerks mit den Künsten stärker zu betonen. William Morris stand an der Spitze einer Bewegung, die eine Verbesserung des Geschmackes in künstlerischen Dingen durch Entfernung alles Überflüssigen und stärkere Betonung der Sachlichkeit anstrebte. Indem er an die Gotik anknüpfte, aber dabei doch den modernen Anforderungen der Zweckmäßigkeit und Gediegenheit gerecht wurde, schuf Morris ein Mobiliar, das den Übergang zur Einrichtung des englischen Bürgerhauses von heute bildete.

[6] Auch auf dem Gebiete der Denkmalpflege machten sich um diese Zeit neue Anschauungen geltend. In dem im Jahre 1849 erschienenen Werke „The seven lamps of architecture“ behandelt Ruskin im Kapitel „The lamp of memory“ eingehend Zweck und Ziele eines modernen Denkmalschutzes. Nicht die Wiederherstellung, sondern die weitgehendste Erhaltung sei hier das oberste Gesetz, das er in folgende Worte kleidet: „Do not let us talk then of restoration. The thing is a Lie from beginning to end. You may make a model of a building as you may of a corpse, and your model may have the shell of the old walls within it as your cast might havet he skeleton, with what advantage I neither see nor care: but the old building is destroyed, and that more totally and mercilessly than if it had sunk into a heap of dust, or melted into a mass of clay.“ Mit größter Sorgfalt sollten die Denkmäler vor dem Verfall bewahrt bleiben, damit noch manche Generation unter ihren Schatten entstehen und vergehen möge!

Seine eindringlichen Worte fanden auch außerhalb Englands Beherzigung. Namentlich in Deutschland, Frankreich und Österreich wird seit Jahrzehnten eine nach solchen Gesichtspunkten geleitete Denkmalpflege geübt. Die alljährlich in Deutschland veranstalteten Tagungen für Denkmalpflege, deren erste im Jahre 1900 in Dresden stattfand, haben in sorgfältigster und vorbildlicher Art und Weise in allen Gebieten des Landes Aufnahmen vorhandener Denkmäler und Schutzmaßregeln für ihre Erhaltung eingeleitet. Dem tatkräftigen Einschreiten hervorragender Männer der Wissenschaft und Kunst, wie Cornelius Gurlitt, Georg Gottfried Dehio, Adolf von Oechelhaeuser, Paul Clemen und anderen, ist es zu danken, daß so manches deutsche Bauwerk heute noch in alter Schönheit erstrahlt und vor kleinlichen Wiederherstellungsversuchen verschont blieb.

Auch im deutschen Kunstgewerbe und Handwerk trat eine Wendung zum Besseren ein. Die von Hermann Muthesius, dem feinsinnigen Kenner der englischen Vorgänge auf diesen Gebieten, allenthalben in Deutschland angestrebte Erziehung des Volkes zum Verständnis für die Qualität hat zur Förderung größerer Zweckmäßigkeit und Gediegenheit in allen Dingen geführt und den Kampf gegen die Schundware eingeleitet. Es sind überall ausgezeichnete Kunst- und Fachschulen entstanden, in denen [7] tüchtige Handwerker und Gewerken ausgebildet werden. Der neugebildete „Deutsche Werkbund“, eine Vereinigung von Künstlern und Gewerbetreibenden, hat sich die Förderung guter Arbeit als Ziel gesetzt: „Der Künstler gebe sich nur mit dem Besten zufrieden und strebe nach jener inneren Vollkommenheit, die von Virtuosität ebensoweit entfernt ist, wie von geschäftlicher Routine. Der Hersteller verabscheue es, eine Arbeit zu liefern, die nicht das technisch Beste darstellt, das die Verhältnisse zulassen. Als Käufer und Besteller aber muß es unbedingt Aufgabe eines Jeden sein, die Qualitätsforderung in allererster Linie selbst zu stellen.“

Diese Forderung nach einer gewissen Echtheit sowie erhöhter Gediegenheit und Zweckmäßigkeit hat sich aber nicht nur auf die Dinge unserer nächsten Umgebung, den Hausrat, die Kleidung und die Wohnungsausstattung zu erstrecken, sie soll noch weitergreifen und sich in erster Linie mit dem beschäftigen, was ein wichtiger Gradmesser unserer Kultur ist, mit unserem Wohnhause. Wenn wir heute die charakteristischen Merkmale des deutschen Bürgerhauses der letzten Jahrzehnte nennen sollen, kommen wir in arge Verlegenheit. In dem architektonischen Formalismus, der sich während der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts auch des deutschen Hauses bemächtigt hatte, haben wir das Gefühl für das Natürliche und Zweckmäßige im Hausbau verloren; wir wohnen in Mietskasernen, deren Äußeres und Inneres uns nichtssagend und charakterlos entgegenstarrt. Eine neue, Besserung versprechende Kunst dämmert herauf, wird aber von sehr wenigen erkannt und gefördert.

Die Bewegung im deutschen Kunstgewerbe ist nicht bei den Kleinkünsten stehen geblieben, sie hat, wie in England, auf die Bildung des Raumes den größten Einfluß gehabt und ist damit auch für die Gestaltung des ganzen Hauses von Bedeutung geworden. Von ihr wird eine Wiedererweckung der bürgerlichen Baukunst zu erwarten sein. Denn wer sich nicht in seiner Häuslichkeit mit künstlerischen Dingen umgibt, wird auch gleichgültig gegen die äußere Architektur des Hauses bleiben. Beides ist untrennbar miteinander verbunden und wird stets in wechselseitige Beziehung treten.

Es ist nötig, daß wir in unserer bürgerlichen Baukunst wieder zur Einfachheit früherer Zeiten zurückkehren und unsere Architektur von dem ihr anhaftenden Formalismus [8] reinigen. Wie im Innern des Hauses, so muß auch im Äußeren Zweckmäßigkeit und Sachlichkeit vorherrschen. Den Schmuck des Hauses sollen die Gediegenheit der Ausführung und die Güte der Baustoffe, nicht aber das Ornament oder architektonischer Formenkram bilden. In bürgerlichen Häusern früherer Zeiten und ländlichen Gebäuden finden wir die besten Beispiele für eine solche Architektur, die uns leider im letzten Jahrhundert verloren gegangen ist. Nicht in der italienischen Renaissance oder in nordischer Gotik sollen wir die Vorbilder für das deutsche Haus suchen, sondern in der schlichten und bodenständigen Bauweise unserer Väter aus der Zeit, als die Hausbaukunst noch vom Maurermeister und Handwerker ausgeübt wurde.

Den letzten Aufschwung nahm unsere bürgerliche Kunst in den Jahren nach 1813 im Biedermeiertum. Auf die höfische Kunst des Barock und Rokoko und die Anlehnung an das Altertum im Klassizismus folgte eine mit großer Kraft sich durchsetzende volkstümliche Kunst, die in der Malerei und Plastik, vor allem aber im bürgerlichen Wohnhause, seiner Innenausstattung, dem Hausgerät und der Kleidung zum Ausdruck kam. Diese Kunst war trotz ihrer Anklänge an die Antike durchaus heimatlich, da sie aus innerer Notwendigkeit entstand, getragen von einer nationalen Begeisterung durch die Erhebung des deutschen Volkes aus tiefer Erniedrigung. Die erst neuerdings zur hundertjährigen Wiederkehr der Befreiungskriege veranstalteten Jahrhundert-Ausstellungen haben gezeigt, wie harmonisch sich jene Kunst über alles, auch die alltäglichsten Dinge erstreckte, wie sie alles durchdrang und zu gemeinsamer echt deutscher Wirkung verband. Wir bewundern ebenso die kunstvoll gezimmerten Möbelstücke wie die zierlich gearbeiteten Schmucksachen und Schatullen und die weich geschwungenen Kragen und Spitzen der Kleider und entzücken uns an der Traulichkeit der Räume und dem stimmungsvollen Äußeren des Hauses. In allem drückte sich ein feiner Geschmack und eine hohe Kultur aus.

Bei der Betrachtung solcher Dinge erkennen wir, wieviel uns heute noch zu einer wahren Kunst fehlt, wie groß die Kluft ist, die uns heute von einer künstlerisch so hochstehenden Zeit trennt. Tief muß es bedauert werden, daß man sehr oft die letzten Reste dieser verfeinerten Kultur zerstörte, daß nur wenig Städte pietätvoll das vor dem [9] Untergange bewahrt haben, was ihre eigentliche Bedeutung ausmacht. Denn was die Neuzeit hinzufügte, ist mit wenig Ausnahmen unkünstlerisch und kulturlos. Nur einige Bauten tragen den Stempel echter Kunst, die meisten sind charakterlose und nichtssagende Spekulationsunternehmungen.

Um so mehr haben wir die Pflicht, die uns aus alten Zeiten überlieferten Bauwerke zu erhalten und vor Verunglimpfungen zu schützen. Sie sind nicht nur für den Charakter des Stadtbildes und die Schönheit der Stadt von Bedeutung, sie können uns auch ein Vorbild für die Erneuerung und Gesundung unserer bürgerlichen Bauweise sein. An ihnen sollen wir alle heute noch lernen, nicht indem wir sklavisch die äußeren Formen solcher Bauwerke wiederholen, sondern durch ein liebevolles Vertiefen in ihre Einzelheiten, durch ein Sich-Versenken in den inneren Zweck und die hierfür gefundene Ausdrucksform. Mit doppelter Freude werden wir dann die schönen alten Bauten unserer Heimatstadt betrachten, wir werden sie mit Stolz zu den unsrigen zählen, und es wird nicht erst der Gesetze bedürfen, um sie vor dem Untergange zu bewahren.

[10]

Die Entwicklung der bürgerlichen Baukunst in Dresden.

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Dresden ist eine Stadt von hervorragender künstlerischer Bedeutung. Begünstigt durch eine herrliche Lage, zu beiden Seiten des Elbstromes, und eine gleichmäßige architektonische Entwicklung, außerdem als Residenz lange Zeit der Mittelpunkt des höfischen und geistigen Lebens in der sächsischen Geschichte, ist er im Laufe der Jahrhunderte zu einer Kunststadt ersten Ranges herangereift, der man in Deutschland nur wenige andere an die Seite stellen kann. Dieser Aufschwung hat auch einen großen Einfluß auf die Hebung des gesamten wirtschaftlichen Lebens gehabt. Die Zunahme der Bevölkerung und der gesteigerte Fremdenverkehr haben vor allen Dingen eine starke Entwicklung des geschäftlichen Lebens hervorgerufen.

Um so bedauerlicher ist es, daß in Verkennung dieser Tatsachen gerade der Geschäftsgeist auf die altberühmten Schönheiten der Stadt oft wenig Rücksicht genommen hat. Es ist zum Teil gegen geschichtlich und künstlerisch wertvolle Bauwerke Dresdens mit großer Rücksichtslosigkeit vorgegangen worden, und manches Baudenkmal ist einem Neubau von oft recht zweifelhafter Bedeutung zum Opfer gefallen. In zahlreiche schöne alte Gebäude wurden moderne Läden eingebaut, und so bisweilen Reste einer Jahrhunderte alten Kultur zerstört. Außerdem hat an vielen Stellen eine über das erforderliche Maß hinausgehende und das künstlerische Städtebild empfindlich störende Reklame Platz gegriffen.

[11] Gewiß sind die Forderungen des Geschäftsverkehrs nach neuzeitlichen und zweckmäßig ausgestatteten Läden und einer wirkungsvollen Reklame durchaus berechtigt und anzuerkennen, aber es ist auch in diesen Dingen eine gewisse Grenze einzuhalten, die Auswüchse vermeidet und, indem sie die Geschäftsinhaber vor Übertreibungen und Überbietungen durch Reklame der Konkurrenz schützt, dem Geschäftsleben nur nützlich sein kann. Es ist sonach für erforderlich gehalten worden, durch ein zu erlassendes Ortsgesetz einen Schutz des der Allgemeinheit gehörigen künstlerischen Stadtbildes herbeizuführen und bauliche Veränderungen an hervorragenden Stellen der Stadt sowie Reklamen nach künstlerischen Grundsätzen zu regeln. Diese gesetzlichen Forderungen sollen durchaus nicht als Zwang empfunden werden, sie haben vielmehr die Aufgabe, erzieherisch zu wirken, um im Laufe der Zeiten auch in der Allgemeinheit ein gewisses Taktgefühl in solchen Dingen zu befestigen. Das Gesetz wird auf diese Weise in letzter Hinsicht den Zweck haben, sich selbst entbehrlich zu machen und kann gewissermaßen als Übergangsstufe zu einem höheren Bildungsgrade der Allgemeinheit angesehen werden.

Dresden sollte mit um so größerer Sorgfalt auf die Erhaltung des Rufes als altberühmte Kunststätte und schöne Stadt besorgt sein, da es seit Jahrhunderten in seiner Anlage, seinem Ausbau und seiner städtischen Verwaltung vorbildlich ist. Eine vorzüglich entwickelte Baugesetzgebung, deren Anfänge bis in das vierzehnte Jahrhundert reichen, hat die Architektur der Stadt auf eine große Höhe gebracht und die bürgerliche Baukunst in seltenem Maße gefördert. Nach den großen Feuersbrünsten, die Dresden mehrere Male heimsuchten und ganze Stadtviertel zerstörten, sind jedesmal neue Baubestimmungen erlassen worden, nicht nur im Interesse einer größeren Feuersicherheit, sondern auch zur Erzielung eines schönen Stadtbildes.

Die erste derartige Verordnung wurde nach dem Brande am 15. Juni 1491, der einen ungeheuren Schaden in der Altstadt anrichtete, erlassen. Sie bestimmte, daß die Eckhäuser durchgängig, die übrigen Häuser an den Straßen ein Geschoß hoch von Stein erbaut werden sollten. In späteren Jahren wurde diese Bauordnung dahingehend erweitert, daß alle Gebäude mit Ziegeln eingedeckt werden sollten. Die nach einem sehr regelmäßigen Plane, vermutlich unter dem Markgrafen Dietrich im Anfange des [12] dreizehnten Jahrhunderts angelegte Stadt, zeigte sehr schmale und nach der Tiefe entwickelte Baustellen. Die Häuser standen mit ihren Firsten senkrecht zur Straße, die Schauseite war deshalb in frühester Zeit immer als Giebel ausgebildet. Man baute außer dem Erdgeschoß nur zwei, selten drei Geschosse. Die schmale Front nötigte schon beizeiten zu einem Hintergebäude, das mit dem Vorderhaus durch einige Räume verbunden war. Eine vorgelegte Holzgalerie sorgte für eine unmittelbare Verbindung zwischen Vorder- und Hinterhaus, es entstanden die malerischen Innenhöfe, die in einigen Häusern noch heute erhalten sind. Da die Befestigung die Stadt sehr einengte, mußte sehr bald eine dichtere Bebauung eintreten; man wohnte also schon frühzeitig zu mehreren Parteien in einem Hause, was sich aus den selbständig ausgebildeten und vom Treppenhause abgeschlossenen Wohnungen der einzelnen Geschosse schließen läßt.

Kurfürst Johann Georg II. ließ um die sechziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts die vorerwähnte Bauordnung in einigen Punkten, namentlich hinsichtlich der Aufführung von gemeinsamen Brandmauern, Quer- und Scheidewänden erweitern. Es wurden damals zuerst Fenster in den Brandmauern verboten, ebenso durfte die Traufe nicht mehr nach der nachbarlichen Grenze abgeleitet werden. Vermutlich entstanden also um diese Zeit die ersten Häuser mit parallel zur Straße gerichteten Firsten, was auch die Ausgestaltung der Schauseiten beeinflußte. Die Baupolizei ging nun mehr und mehr in die Gewalt der Regierung über, die besonders bemüht war, die feuergefährlichen Fachwerksbauten auszumerzen, aber auch das künstlerische Moment weiter in den Vordergrund schob.

Die Befürchtungen des Kurfürsten und der Regierung wegen der Feuersgefahr waren leider nur allzusehr gerechtfertigt. Eine furchtbare Feuersbrunst zerstörte am 6. August 1685 von 390 Wohnhäusern der Neustadt 331 und stellte damit die Stadt vor die Aufgabe, den ganzen Teil rechts der Elbe neu aufzubauen. Nach den Plänen des Artillerie-Obersten Kaspar von Klengel entstand denn auch bald darauf eine viel schönere Anlage, deren Mittelpunkt die heute noch prächtige Hauptstraße bildete. Durch Steuerbefreiungen, Baubegnadigungen und Überlassung von Barmitteln wurde die Bautätigkeit von der Regierung wesentlich gefördert, was zu einem schnellen Wiederaufbau und somit in nicht geringem Maße zur Erreichung eines einheitlichen Stadtbildes beitrug.

[13] Die nächsten Jahrzehnte bringen unter dem Grafen Flemming, als Gouverneur der Festung Dresden, nur einige weitere Bestimmungen im Interesse der Feuersicherheit und zum Schutze der Nachbarn. Die Zulassung von Erkern, die meist aus Holz hergestellt wurden, wird besonders geregelt. Erst unter dem Grafen Wackerbarth, dem Nachfolger Flemmings, treten wieder bedeutende Veränderungen ein. Das im Jahre 1718 eingerichtete Oberbauamt hatte ein neues Baureglement für die Stadt Dresden ausgearbeitet. Es enthielt 45 Paragraphen und war außer für Neu- und Altdresden auch für die Vorstädte und Neu-Ostra gültig. In dieser neuen Bauordnung wird auf die Ausbildung der Schauseiten das größte Gewicht gelegt, wie die folgenden Bestimmungen zeigen. Bei der Darstellung des Aufrisses sind die angrenzenden Gebäude mit anzudeuten. An den breiteren Straßen, wie der Pirnaischen, Schieß- und Kreuzgasse, der Moritzstraße und dem Altmarkt, soll bei Erbauung der Häuser möglichst auf Symmetrie geachtet werden. Die Farbe des Putzes war ebenfalls genau vorgeschrieben.

Durch die neu angeordnete Einschränkung der Dächer entwickelt sich jetzt das Mansardedach. In der Stadt waren damals außer dem Erdgeschoß drei, in den Vorstädten nur zwei Geschosse zulässig. In den Vorstädten waren die Dachstuben verboten, weshalb sich hier noch lange Zeit das Satteldach erhielt.

Ein weiteres Baureglement wurde im Jahre 1736 unter Friedrich August II. für die Vorstädte Dresdens aufgestellt. Hierin werden zum ersten Male bestimmte Haushöhen vorgeschrieben, und zwar an freien Plätzen und breiten Straßen 28 Ellen 2 Zoll (15,91 m), an mittelbreiten Straßen 26 Ellen 10 Zoll (14,96 m) und an den schmalen Gassen nur 23 Ellen 11 Zoll (13,29 m) bis zum Dachfirst. Die Stockwerke sollten „proportionierlich“ eingeteilt, und Höhenunterschiede möglichst in den unteren Geschossen ausgeglichen werden. Auch die Firsten waren in gleicher Höhe zu halten, wobei der Ausgleich verschieden tiefer Dächer auf der Rückseite der Gebäude stattfinden konnte. Die Schauseiten sollten gleich durchgängig symmetrisch durchgebildet sein, Erker durften nicht angeordnet werden. Beide Bauregulative, vom Jahre 1720 und vom Jahre 1736, blieben bis zum Jahre 1827 in Kraft. An ihre Stelle trat darauf die Allgemeine Bauordnung der Residenzstadt Dresden.

[14] Durch diese bis ins kleinste ausgearbeiteten Baubestimmungen und das rege Interesse der Fürsten am Ausbau ihrer Residenzstadt, den sie durch allerlei Privilegien stets zu fördern suchten, blühte die Stadt Dresden rasch empor und spielte lange Zeit auf dem Gebiete der bürgerlichen Baukunst eine führende Rolle. Wie sehr die Regierung sich dieser Aufgabe annahm, beweisen die vom Kurfürst Friedrich August I. erlassenen Bestimmungen über den Ausbau der Königstraße, auf die wir später noch eingehend zu sprechen kommen. Die Stadt erhielt in jenen Zeiten das durchaus vornehme und künstlerische Gepräge, das sie bis in das neunzehnte Jahrhundert hinein behalten hat. König August der Starke hatte mit seinen prächtigen und weiträumig angelegten Schloßbauten, vor allen Dingen dem durch Pöppelmann geschaffenen Zwinger, und durch seine glänzende Hofhaltung die Augen aller Welt auf Dresden gelenkt. Sein Beispiel wurde vom Adel nachgeahmt, die Grafen Wackerbarth, Flemming und Hoym bauten sich in der Stadt große Paläste, deren Schauseiten und Räumlichkeiten noch heute beachtenswert sind. Auch das bürgerliche Wohnhaus nahm um diese Zeit reichere Formen an. Die gesteigerten Bedürfnisse bedingten eine größere Ausdehnung. Räume für Festlichkeiten durften in einem vornehmen Patrizierhause nicht mehr fehlen. Der Sitte der damaligen Zeit entsprechend, die in der Anhäufung und Ausstellung von allerlei Kostbarkeiten großen Gefallen fand, mußten eine Prunkstube und mehrere Kabinette für Miniaturgemälde und kostbare Raritäten vorhanden sein. In der Prunkstube wurden das Porzellan und die köstlichen Gefäße aufgestellt, und der Besuch empfangen. Der ausgedehnte Haushalt verlangte auch eine größere Dienerschaft, die in zahlreichen Nebenräumen unterzubringen war. Es entstanden damals die Alkoven, Nischen und geheimen Kabinette, die der Architekt vorteilhaft in den unregelmäßigen Überbleibseln bei der Aufteilung seines Grundrisses anordnete.

Grundriß und Schauseite waren beim Barockwohnhaus streng symmetrisch ausgebildet. Wir finden fast immer eine durchgängige Achsenteilung, die sich auch bei den Innenräumen in der Anordnung der Türen und Kamine ausspricht. Den Mittelpunkt des Wohngebäudes nimmt ein geräumiger Hof ein, der mit einem schönen Wandbrunnen geschmückt ist. Das charakteristische Merkmal des ganzen Hauses war die vornehme Einheitlichkeit, die sich [15] in dem sicheren Abwägen der einzelnen Schauseitenteile und dem liebevollen Durchbilden der sparsam verteilten Schmuckmotive zu erkennen gab. Der gute Geschmack und die feine Bildung der Bewohner, die man noch heute in der sächsischen Höflichkeit nachrühmt, kamen ebenso wie im gesellschaftlichen Leben im Hause selbst zum Ausdruck.

Dresden hat durch seine vielen Barockbauten ein eigenartiges Stadtbild bekommen, das an vielen Stellen noch bis heute unversehrt geblieben ist. Besonders schön sind die Wohnhäuser in der Schloßstraße, der Großen Brüdergasse, der Rampischen Straße, an der Frauenkirche, am Jüdenhof und in der Großen Meißner Straße in der Neustadt. Einige von ihnen wurden von Pöppelmann erbaut. Daneben schufen Georg Hase und Johann Gottfried Fehre mehrere beachtenswerte Wohngebäude, wie wir später sehen werden.

In der Zeit des Rokoko wird die Symmetrie und einheitliche Durchbildung des Grundrisses noch weiter gesteigert. Dabei legte man jedoch auch auf eine bequeme Einteilung und Einrichtung der Räume nach dem französischen Vorbilde großen Wert, wie denn Hasche in seiner Beschreibung Dresdens von mehreren Häusern erwähnt, daß ihre inneren Einrichtungen gänzlich die neuen französischen Bequemlichkeiten zeigen. Dresden besitzt eine Reihe vorzüglicher bürgerlicher Wohnhäuser aus der Zeit des Rokoko. Unter ihnen ist an erster Stelle das später als Rathaus eingerichtete, von Knöffel erbaute Haus Altmarkt 1 zu nennen. Es ist aus zwei Bürgerhäusern zusammengesetzt, deren vorzügliche Grundrißlösung wir noch in den Einzelheiten erkennen können. Von Knöffel rührt jedenfalls auch die ausgezeichnete Architektur des Gräflich Hoym’schen Palais an der Landhausstraße 11 her mit der sehr schön aufgeteilten Front und dem reizvollen Brunnen im Hofe. Weitere nennenswerte Bauten aus jener Zeit sind die Häuser Hauptstraße 7, Frauenstraße 7 und 14, das erstgenannte leider im unteren Teile verstümmelt, Schössergasse 25 und Große Klostergasse 4, das jetzige Kommandanturgebäude.

Während der Zeit des siebenjährigen Krieges wurde die Stadt zweimal von schweren Bränden heimgesucht, denen beim erstenmal 289, dann 85 Häuser zum Opfer fielen. Die ernste Zeit sprach sich auch in der Architektur der Wohnhäuser aus, die Schauseiten wurden einfacher und nüchterner. Schöne Wohngebäude sind uns von Krubsacius, Höltzer [16] und Exner erhalten, unter ihnen verdient das Josephinenstift Exners in der Großen Plauenschen Straße hervorgehoben zu werden. Weiter seien die Häuser Landhausstraße 4 und 15, Moritzstraße 5 und 6, Große Brüdergasse 25, Schießgasse 10 und einige Häuser am Neumarkt und an der Frauenkirche genannt. Das besonders schön ausgebildete, sehr klar im Grundriß durchgeführte Haus am Neumarkt 10, jetzt Stadt Rom, soll noch an anderer Stelle ausführlich besprochen werden.

Die Zeit des Klassizismus rief im Stadtbilde keine nennenswerten Änderungen hervor. Das vom Grafen Marcolini auf dem ehemaligen Brühl’schen Grundstück in Dresden-Friedrichstadt, dem heutigen Stadtkrankenhause, erbaute Palais mit seinen ausgedehnten Gartenanlagen war der letzte bedeutende Bau gewesen. Die äußerliche Pracht verschwand immer mehr und mehr, und man vertiefte sich in eine stille Behaglichkeit. Die Romantik mit ihrer Freude an der Natur und die von Winckelmann ausgehende Begeisterung für die Antike zogen in die Elbstadt ein. Dresden zehrte von jetzt an vom künstlerischen Ruhme vergangener Zeiten und wußte wenig Neues hinzuzufügen. Zwar treten noch einige Gestalten wie Rietschel, Hähnel und besonders Semper und Ludwig Richter im Kunstleben bedeutend hervor, doch zeigte im allgemeinen die Stadt damals einen kleinstädtischen Charakter.

Bürgerliche Wohnhäuser aus dieser Zeit finden sich viel in den Vorstädten. In der Innenstadt sind nur die Häuser Johannesstraße 23 (Mohrenapotheke), Hauptstraße 11, Landhausstraße 18 und 27 sowie einige Wohngebäude in der Pillnitzer und Pirnaischen Straße bemerkenswert. Auch das kleine, landhausartige Gebäude an der Polierstraße 19, dessen Front nach dem Nachbargrundstück gerichtet ist, muß als besonders charakteristisch für die Baukunst des Klassizismus hervorgehoben werden. Die nachfolgende Zeit brachte, wie schon in der Einführung gesagt wurde, nur Rückschritte in der bürgerlichen Baukunst und vermochte keine nennenswerten Leistungen hervorzubringen.

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Die Rathäuser der Alt- und Neustadt.

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Das alte Dresdner Rathaus stand, wie wir das bei vielen früheren Stadtanlagen finden, frei auf dem Marktplatz vor den Häusern zwischen der Schloßstraße und Schössergasse. Seine äußere Gestalt kennen wir aus Beschreibungen und einem alten Kupferstiche. Es war ein langer schmaler Bau mit zwei Renaissancegiebeln über der Marktplatzseite, die mit einer Sonnenuhr und dem Zifferblatt der Schlaguhr geschmückt waren. Im Erdgeschoß befand sich die Trinkstube, darüber die große Ratsstube und die Räume für die Steuer. Für die in älterer Zeit der Stadt mit übertragene Gerichtsbarkeit hatte man im zweiten Stock einige Zimmer eingerichtet, ferner war im Dachgeschoß eine Stube für den Gerichtsschreiber untergebracht. Rings um das Gebäude waren Gewölbe und Läden für Krämer, und am östlichen Giebel die Rathauskapelle angebaut.

Auf Veranlassung des Kurfürsten Friedrich August I. mußte das alte Rathaus im Jahre 1707 abgebrochen werden, und der Rat erwarb das Gräflich Taube’sche Haus an der Ecke des Marktes und der Scheffelstraße, um es zum Rathause einzurichten. Dieses Haus war jedoch schon baufällig und mußte sehr bald niedergerissen werden. Die Stadt kaufte nun das in der Scheffelstraße anstoßende Leporini’sche Haus hinzu und beauftragte Knöffel mit dem Entwurf eines neuen Rathauses. Gleichzeitig verhandelte man mit den Gebrüdern von Döring wegen Ankauf ihres anstoßenden Hauses am Markt, um auch nach dieser Seite hin Erweiterungen vornehmen zu können. Der Kauf kam nicht so bald zustande, aber auf kurfürstlichen Befehl mußten die Gebrüder

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Grundriß des ersten Obergeschosses des Altstädter Rathauses, des Döring’schen
und des Leporini’schen Hauses.

[19] von Döring ihrem Hause eine dem Rathause entsprechende Schauseite geben, um eine gleichmäßige und stattliche Front zu erzielen und spätere Schwierigkeiten zu vermeiden. Erst 1861 wurde auch dieses Gebäude mit dem Rathause vereinigt.

Der in seinen wesentlichsten Zügen Knöffel zuzuschreibende Bau (Taf. I) besteht sonach aus drei Teilen, dem in den Jahren 1741 bis 1745 errichteten Rathausneubau an der Ecke und den gleichzeitig entstandenen Leporini’schen und Döring’schen Häusern an der Scheffelstraße und am Markte, die im Innern noch den alten Wohnhaustypus zeigen. Interessant ist besonders der des ehemaligen von Döring’schen Hauses. Der Grundriß zeigt einen großen länglichen Innenhof, an dem an drei Seiten Zimmer liegen. Die Treppe befindet sich in der vorderen linken Ecke, von ihr aus gelangt man in einen Vorraum mit Türen nach den am Markt liegenden Zimmern und nach dem Speisesaal, der wieder den Zugang zu einigen Nebenräumen am Hofe vermittelt. Eine zweite Treppe und einige kleinere Räume sind von einem kleinen Innenhofe belichtet. Der Grundriß hat somit eine große Klarheit und Reife, die noch heute bewunderungswürdig ist und bei wenigen modernen Wohnhäusern in der Weise gefunden werden wird.

Kleiner und auch im Grundriß nicht so bedeutungsvoll war das Leporini’sche Haus an der Scheffelstraße. Die Mitte nahm hier ebenfalls ein größerer Hof ein mit einem seitlich vorgelagerten Flur zur Verbindung der Straßenzimmer und der rückwärts gelegenen Räume. Auffallend sind die vollkommen gewendelte Treppe und die häufige Überwölbung der Räume.

Der eigentlich als Rathaus errichtete Teil gruppiert sich abermals um einen großen Hof, angrenzend an die vorgenannten Wohnhäuser. Der Haupteingang lag am Altmarkt, die Treppe an der Scheffelstraße, aber vom Markt aus zugänglich. Ihrer Bedeutung entsprechend befanden sich die größeren zu Sitzungen und festlichen Zwecken benutzten Räume am Markte, die Kanzleien und Expeditionen an der Scheffelstraße. Hasche erwähnt in seiner umständlichen Beschreibung Dresdens, daß das Rathaus früher im ersten Stock die Ratsstube nebst Kommissionsstube und die Meißnische Kreissteuereinnahme, im zweiten die Stadtgerichte, Kämmerei, Pfennig- und Bürgersteuereinnahme, im dritten die Vormundschafts- und Personensteuerexpedition sowie die Versetzstube der Advokaten enthalten habe. [20] Ferner seien im Rathause noch eine Ratswage und eine Feuerwache untergebracht gewesen. Sitzungen waren früher am Mittwoch, Donnerstag und Sonnabend, da aber im Jahre 1725 der Konsistorialrat D. Schröter Stadtsyndikus wurde, und das Oberkonsistorium auch Mittwochs Sitzung hatte, mußte der Rat statt am Mittwoch am Dienstag zusammentreten.

Von dem Äußern sagt Hasche, daß es „ein in der That in angenehmen französischen Geschmack von vier Stockwerken errichtetes Gebäude“ sei. Es ist auch gewiß eines der schönsten Gebäude aus der Zeit des Rokoko und verdient um so mehr Beachtung, als die Schauseite drei voneinander getrennte Häuser zu einer einheitlichen Wirkung verbinden mußte. Von der Front am Altmarkt gehören sechs Fensterachsen der rechten Seite zum ehemaligen von Döring’schen Hause. Die Haupteingänge befanden sich früher in der Mitte der beiden Vorlagen. Die architektonische Wirkung ist unter sparsamster Verwendung des ornamentalen Schmuckes durchgängig mit Lisenen und breiten Simsen erreicht. Nur die beiden Vorlagen tragen über den Fenstern des ersten Obergeschosses Stuckreliefs mit den Bildnissen des Königs August III. und seiner Gemahlin, und über dem Hauptsims große Wappen mit militärischen Emblemen. Die Balkone an den Vorlagen sind mit schönen schmiedeeisernen Geländern geschmückt. Der Dachreiter erhielt im Jahre 1765 nach der Zerstörung der Kreuzkirche eine Uhr mit Glocke, da die Stadt außer der Schloßuhr damals keine öffentliche Uhr besaß.

Das alte Rathaus enthält heute noch Räume der städtischen Verwaltung, nur die im Erdgeschoß befindlichen Läden sind an Privatleute verpachtet.

Die Neustadt oder Altendresden, wie es früher hieß, war bis 1550 eine selbständige Stadtgemeinde und besaß deshalb auch seit frühesten Zeiten ein Rathaus. Es stand bis zum Jahre 1754 am Markte vor den Häusern zwischen der Hauptstraße und Kasernenstraße und ist uns nach den Gemälden Canalettos in der Dresdner Bildergalerie wohlbekannt. Melchior Trost soll es im Jahre 1527 erbaut haben. Das kleine Gebäude zeigte eine schlichte Schauseite mit zwei kleinen seitlichen Giebeln und einem Dachreiter. Im Obergeschoß befand sich die Ratsstube, die sowohl zu Sitzungen des Rats wie als Tanzboden für die Bürger diente. Als nach dem großen Brande im [21] Jahre 1685 sich die Neustadt bedeutend verschönerte, wollte man auch das alte Rathaus durch ein stattlicheres Gebäude ersetzen. Die Pläne zum Neubau wurden im Jahre 1732 begonnen, da der Kurfürst Friedrich August I. dem Rate zur Erbauung einer neuen Kirche und eines Rathauses einen Beitrag von 50 000 Talern bewilligt hatte.

So beschloß man, das alte Rathaus abzubrechen und an die Stelle des alten Gewandhauses und der Fleischbänke ein neues Gebäude für Ratszwecke zu setzen. Hierzu sollte die an dem Schulgäßchen gelegene, angrenzende Bölauische Brandstelle vom Rate erworben werden. Die Ausführung verzögerte sich jedoch noch längere Zeit, erst am 28. April 1750 wurde der Neubau vom Ratsmaurermeister Johann Christoph Berger und dem Ratszimmermeister Winkler begonnen. Der Bau schritt nun sehr rasch vorwärts, schon nach zwei Jahren konnte der eine Flügel bezogen werden, und am 6. Juni 1754 wurde der Turm mit Knopf und Fahne bekrönt. Das neue Rathaus hat vier Geschosse und Dachausbau. Im ersten Stock nach dem Markte befanden sich die Gerichtsstuben und Säle, nach der Hauptstraße die Gewandsäle, die Amtszimmer und einige Wohnungen. Das Erdgeschoß enthielt die Fleisch- und Brotbänke, die Chaisenbehältnisse und den Ratskeller. Es ist durchgängig mit Kreuzgewölben überdeckt. Die Kosten des Baues betrugen 49 413 Taler, 2 Groschen und 101/2 Pfennige.

Die Schauseiten des neuen Rathauses (Taf. II) sind einfach gehalten, aber von guter Wirkung. Die beiden, durch Verdachungen über den Fenstern herausgehobenen Vorlagen haben giebelartige Dachaufbauten, der Segmentgiebel an der Hauptstraße trägt die Inschrift:

AVSPICIIS
FRIDERICI AVGVSTI REG. POL.
ELECT. SAX. PATRIS PATRIAE OPT. PII FEL.
HANC CVRIAM EXTRVXIT SENATVS DRESD.

Die abgeschrägte Ecke des Rathauses nimmt im unteren Teile ein Brunnen mit zwei Figuren und einem Wassertrog ein. Er ist als ein Schmuck des Neustädter Marktes zugleich mit seinem Gegenstück an dem Hause Hauptstraße 2 in der Zeit des Rathausbaues entstanden, also besonders vom städtebaulichen Gesichtspunkte aus betrachtet, [22] beachtenswert. Die Bildhauerarbeiten rühren von Benjamin Thomae her und haben heute durch den Ölfarbenanstrich bedeutend an Reiz eingebüßt. Der Brunnen an der Ecke des Rathauses stellt eine nackte Nymphe dar, neben ihr befindet sich ein wasserspeiender Delphin. Links davon steht ein Knabe mit einem Fisch auf der linken Schulter.

So hat sich das Gebäude bis auf unsere Zeit erhalten. Mit feinem Verständnis und Taktgefühl sind vom Stadtbaurat Erlwein im Vorjahre die im Erdgeschoß befindlichen Läden umgebaut und auf die ganze Front an der Hauptstraße ausgedehnt worden. Ein kräftiger Sims trennt jetzt das Erdgeschoß von der oberen Schauseite ab, so daß diese in keiner Weise beeinträchtigt wird. Die Läden selbst sind mit Bögen abgeschlossen, sie haben gleiche Firmen und Schaufenstereinrichtungen und geben in ihrer Ausführung ein vorzügliches Beispiel für die nicht leicht zu lösende Aufgabe moderner Ladeneinbauten in alte Gebäude.

[23]

Wohnhäuser aus der Zeit der Gotik und Früh-Renaissance.

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In sehr vielen Fällen ist die Grundlage des Gemeinwesens und damit auch der Anfang der städtischen Gebilde der Ackerbau gewesen. Der Besitz des bestellten Landes und des für die Bewirtschaftung nötigen Gehöftes bezeichnete im Mittelalter die Stellung des freien Mannes, dem die Hörigen dienen mußten. Unter dem Schutz des Hofes standen vor der Gründung der Städte auch die Handwerker und Gewerbtreibenden, das bäuerliche Gehöft bildete ein in sich geschlossenes Ganzes, eine Stadt im kleineren Maßstabe. So waren sehr viele Städte ursprünglich Gemeinschaften bäuerlicher Besitzer. In den deutschen Siedlungsgebieten des vormals slavischen Ostens erfolgte die Gründung der Stadt oft durch Aufteilung eines größeren, in den Händen des städtegründenden Fürsten befindlichen Besitzes an die neuen Bürger unter Verleihung besonderer Rechte, insbesondere der Befugnis, Märkte für den freien Handel abzuhalten.

Es besaß auch in solchen Städten anfangs der Bürger neben der Hofstelle noch Ackerland, das von ihm bewirtschaftet werden mußte. So war es selbstverständlich, daß die Einrichtungen und Formen der bäuerlichen Gehöfte auf die Stadthäuser sich übertrugen. Wir finden in ihnen den Typus der ländlichen Güter in der Umgebung der Stadt wieder. Die Gründung der Stadt Dresden erfolgte vermutlich im Anfange des 13. Jahrhunderts durch den Markgrafen Dietrich. Der Stadtplan war regelmäßig, die einzelnen Grundstücke etwa 100 Ellen oder 60 Meter tief. Aus ihnen wurden drei bis vier Baustellen gebildet, so daß für die Gebäude 15 bis 20 Meter Frontlänge zur [24] Verfügung standen. Die Bevölkerung Sachsens war ursprünglich slavischen Ursprunges. Später vertrieben fränkische Stämme die Slaven und siedelten sich an. Das fränkische Bauerngehöft stand senkrecht zur Straße, das slavische aber mit der Breitseite parallel zur Straßenrichtung. In der neuangelegten Stadt, die deutschen Ursprunges ist, finden wir demnach den fränkischen Typus, während einige später einbezogene Dörfer aus ältester Zeit, so das im heutigen „Fischhofplatz“ noch erhaltene Fischersdorf sowie das rechts der Elbe gelegene Altendresden, die jetzige Neustadt, slavische Ansiedelungen waren, was sich aus der teilweise beibehaltenen Anlage der ehemaligen Dörfer und der Stellung der früheren Gehöfte noch heute erkennen läßt.

Der fränkische Typus ist der bedeutendere, aus ihm entwickelte sich das gotische Haus und damit das bürgerliche Wohnhaus überhaupt. Der Grundriß des gotischen Wohnhauses war überaus einfach. Da das zur Bewirtschaftung der Felder notwendige Vieh abends eingetrieben und mit im Hause untergebracht werden mußte, war im Erdgeschoß ein großer Torweg erforderlich, neben dem meistens ein Raum zu Niederlagszwecken angeordnet wurde. Aus Gründen der Feuersicherheit waren diese Torwege und die im Erdgeschoß liegenden Räume überwölbt, weshalb man sie auch kurzweg mit „Gewölbe“ bezeichnete. Die weiter im Innern des Gebäudes liegende Treppe war in gotischen Zeiten fast immer gewendelt. Sie führte im oberen Geschoß zunächst auf einen geräumigen Vorraum, neben dem sich die überwölbte Küche befand. Nach der Straße lagen in der Regel zwei Zimmer, von denen das größere als das bedeutendere oft mit einem Erker versehen war. Die im Seitenflügel und im Hintergebäude untergebrachten Räume waren von einer um den Hof führenden Galerie zugänglich. Einen derartigen Grundriß zeigen einige früher am Taschenberge gelegene Häuser nach einem im Königlichen Hauptstaatsarchive aufbewahrten Plane vom Königlichen Schlosse aus der Zeit um 1600. Die drei mit sehr schmalen Fronten von nur 9 bis 11 Metern versehenen Gebäude werden das Weißenfels’sche, das Kühn’sche und das Gerv’sche Haus genannt; beim Schloßumbau im Jahre 1892 wurden sie abgebrochen.

Die Zahl der Räume in einem solchen Hause war nicht übermäßig groß. Den bescheidenen Ansprüchen der Bewohner genügte außer den Wirtschafts- und Schlafräumen [25] eine größere Wohnstube, die auch als Speisezimmer diente, und eine Erkerstube zum Empfang von Besuchen und als Aufenthaltsraum für im Hause weilende Gäste. Festsäle waren in gotischen Wohnhäusern selten vorhanden, da man zu festlichen Gelegenheiten in den Zunfthäusern und Trinkstuben sich zusammenfand.

Der einfachen Inneneinrichtung entsprechend war auch die Schauseite solcher Häuser sehr schlicht. In den ältesten Zeiten, als noch der Holz- und Fachwerksbau vorherrschend waren, kam die Architektur wenig zur Entwicklung. Erst an den steinernen Häusern bemerken wir etwas Formensinn, der sich naturgemäß am stärksten am Giebel und an den Portalen entwickelt, während die Fenstergewände ein einfaches, nach innen laufendes Profil erhalten. Die Giebel wurden vielfach in mehrere Reihen Fenster geteilt und seitlich abgetreppt oder mit Schnecken versehen.

Grundriß des Erd- und ersten Obergeschosses des Gerv’schen Hauses.

Die glatte abgeschrägte Form des Giebels war in dieser Zeit verhältnismäßig selten. Besonders reich sind die Portale ausgebildet. Sie schließen fast immer im Rundbogen, selten in Spitzbogenform ab, sind sehr stark nach innen profiliert und auch öfter mit seitlichen Nischen und Sitzplätzen versehen. Dresden besitzt einige sehr schöne Portale von Wohnhäusern aus der Zeit der Renaissance, die jetzt am Königlichen Schlosse angebracht sind. Es sind dies das Tor des bereits erwähnten Kühn’schen Hauses am Taschenberge, und ein weiteres vom Hause Sporergasse 2. Beide Portale sind nach Gurlitt in der Zeit von 1560 bis 1580 entstanden.

Im übrigen finden sich in Dresden sehr wenig Überreste aus der gotischen Zeit. Von Wohngebäuden haben sich nur das Haus Ecke Schloßstraße und Wilsdruffer Straße, die mehrfach umgebaute Marienapotheke am Altmarkt und einige durch Umbauten sehr [26] stark veränderte Häuser in der Schloßstraße erhalten. Das gotische Haus Wilsdruffer Straße 2, Ecke Schloßstraße (Taf. III), ist im Innern und Äußern sehr bemerkenswert und kann als eines der ältesten Häuser Dresdens angesehen werden. Es zeigt noch heute im Grundriß die alte gotische Anlage.

Gotisches Haus, Wilsdruffer Straße 2. Grundriß des Erd- und
ersten Obergeschosses.

Das Gebäude war, wie aus einem im Grünen Gewölbe befindlichen Stadtmodell vom Jahre 1521 ersichtlich ist, ursprünglich zweigeschossig. Der Eingang zum Erdgeschoß, das ganz überwölbt ist, lag früher an der Schloßstraße. An die Stelle der alten Wendeltreppe hat man später eine mehrarmige geradläufige Treppe gesetzt.

Das Äußere des Hauses zeigt jetzt nur noch am Erker die ursprüngliche Gestalt, doch erkennt man an den Profilen der Fenster noch die früheren gotischen Formen. Die gotische Architektur des Erkers gehört nach Gurlitt der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an. Der Erker trägt an den Brüstungen feines Maßwerk, an den Pfeilern auf Konsolen die Figuren des Apostels Johannes mit dem Kelche, der Jungfrau Maria mit dem Kinde und des Heiligen Christophorus mit dem Jesusknaben auf dem Rücken. Diese Bildhauerarbeiten stammen aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts. [27] Nach einer am unteren Rand des Erkers früher befindlichen Inschrift hat das Haus Hans Gleynig erbaut. Er saß 1506 im Rate der Stadt und war später siebenmal regierender Bürgermeister von Dresden. Hasche erwähnt, daß dieses Haus später nacheinander den Familien Heigius, Bauer und Clauder gehört habe. Der jetzige Inhaber scheint nicht das hohe Interesse für die geschichtliche Bedeutung seines Hauses zu besitzen wie die früheren, sonst würde er nicht dulden, daß es in so aufdringlicher und häßlicher Art und Weise mit Reklame bedeckt bleibt. Leider sind auch die gesetzlichen Maßnahmen bisher unzureichend gewesen, um einen solchen Zustand beseitigen zu können. Es ist jedenfalls Grund genug vorhanden, dieses Haus aus der ältesten Zeit Dresdens in Schutz zu nehmen.

Gotische Fensterprofile, die auch auf das Alter der betreffenden Häuser schließen lassen, finden sich noch an mehreren Gebäuden der Schloßstraße, so bei den Häusern Nr. 9, 12, 14, 21, 30 und 32. Unter ihnen ist das vorletzte, das frühere fürstliche Haus in der Elbgasse (Taf. V) besonders durch seinen Erker berühmt. Es wurde nach Gurlitt vom „Herrn Schenken“ erkauft und in den Jahren 1609 bis 1610 erneuert. Melchior Brenner hatte die Ausführung des Umbaues, die Steinmetzarbeiten lieferte Hans Steyer, die Maurerarbeiten Michael Merbt und Peter Kummer, die Malerarbeiten Peter D. Brück und Christoff Gromm. Das Haus ist vermutlich aus der Zeit um 1500. Der aus Sandstein hergestellte Erker ist mit viel Bildhauerarbeit versehen, und zwar tragen die Säulen, der Architrav und der Fries Flachreliefs, die Brüstung ein Hochrelief mit den Bildnissen des Kurfürsten Christian II. und seiner Gemahlin Hedwig von Dänemark. Der Kurfürst ist in voller Rüstung mit dem Kurschwert und der Feldbinde dargestellt, die Fürstin im weiten Reifrock mit der Haube auf dem Kopf, nach Sitte der damaligen Zeiten. Unter den Bildnissen sind im Architrav die Wappen von Sachsen, der Kur und von Dänemark, sowie zwei Ordenssterne angebracht. Dieser Teil des Erkers ist 1610 entstanden, der darüber befindliche Geschoßteil mit der Inschrift:

Jehovae Bonitate constantissimi moriar

und der Jahreszahl 1678 rührt von einem Umbau unter dem späteren Besitzer Johann [28] Burchardi, einem kurfürstlichen Kammer-Cassirer her. Das nächste Geschoß trägt die Inschrift:

Jehovae justitia moriar

und in hebräischer Schrift, in einem von Engelköpfen und Strahlen umgebenen Schilde den Namen: Jehova. Auf dem Gitter des abschließenden oberen Balkons sind die Buchstaben J. S. mit der Jahreszahl 1861 angebracht.

So war das Haus verschiedenen Umbauten unterworfen. Es ist heute in seinem unteren Teile noch sehr gut erhalten, wenn auch die daran angebrachte Reklame die Gesamtwirkung stark beeinträchtigt.

Aus der Zeit der Frührenaissance haben sich nur einzelne Teile von Wohngebäuden erhalten. Unter ihnen muß ein runder Erker an dem Hause Ecke Neumarkt und Frauenstraße (Taf. IV) besonders hervorgehoben werden. Dieses Haus, das jetzt mit dem später zu erwähnenden Barockhause in der Frauenstraße 14 verbunden ist, hatte früher als selbständiges Wohngebäude seinen Eingang am Neumarkt und ist zweifellos älteren Ursprunges. Die Schauseite des Hauses ist schlicht und ohne jeden Formenreichtum, wird aber durch den prachtvollen Erker belebt. Dieser springt sehr weit aus der Ecke des Gebäudes hervor und geht durch zwei Geschosse. Er ist leider in seinem oberen Teile durch Ergänzungen verstümmelt und durch die starke Stütze unter dem Unterbau in seiner Wirkung etwas beeinträchtigt worden. Aus der Zeit seiner Entstehung, nach Gurlitt etwa um 1530, sind nur die untersten Teile bis zur Brüstung des ersten Obergeschosses. Diese sind mit reicher Bildhauerarbeit geschmückt. Über einem stark profilierten kräftigen Unterbau zieht sich ein Fries mit tanzenden Kindern hin, der von Halbsäulen zur Unterstützung der oberen Erkerteile unterbrochen wird. Darüber laufen mehrere kräftig profilierte Simse und ornamentierte Bänder um die Brüstung unter den Fenstern des ersten Geschosses. Die oberen Geschosse des Erkers und der abschließende Balkon zeigen barocke Formen aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Die nachfolgende Zeit der Spätrenaissance brachte insofern eine Veränderung des Grundrisses mit sich, als sich die ackerbautreibende Bevölkerung mehr und mehr in die Vorstädte zurückzog, die Viehhaltung im Innern der Stadt also seltener wurde. Damit [29] fielen auch die großen Tore und Durchfahrten in den Wohnhäusern fort, und es kommen öfter Laden- und Werkstatteinbauten in den Erdgeschossen vor. Die Durchfahrt wird jetzt durch den Hausflur ersetzt, der unmittelbar auf die in damaliger Zeit noch immer gewendelte Treppe führt. Die einzelnen Geschosse weisen meist in sich abgeschlossene Wohnungen auf, es gab also schon um diese Zeit mehrere Mietparteien in einem Hause. Der kriegerisch gesinnte Kurfürst Moritz hatte die Stadt mit starken Festungswällen und Bastionen umgeben lassen und damit die weitere Ausdehnung Dresdens in der Ebene gehemmt, es vergrößerte sich also die Wohndichte, und man mußte in mehreren Geschossen übereinander wohnen. Nach der Berechnung vom Ratsarchivar Dr. Otto Richter im ersten Bande der Verwaltungsgeschichte der Stadt Dresden betrug im Jahre 1588 die Durchschnittsziffer der Bewohner eines Hauses 9, eine verhältnismäßig hohe Zahl für damalige Zeiten, wenn man bedenkt, daß die durchschnittliche Bewohnerzahl eines Hauses in Chemnitz heute 30, in München 33, in London aber nur 8 beträgt.

Dresden blühte um diese Zeit auf unter der Regierung des Kurfürsten August und seiner Gemahlin Anna, einer dänischen Königstochter. Das Schloß wurde bedeutend erweitert, für den erhöhten kurfürstlichen Hofstaat und seine Beamten entstanden Verwaltungs- und Wohngebäude, das Kanzleihaus, der Jägerhof und das Zeughaus. Der Kurfürst und seine Gemahlin kümmerten sich eingehend um das Wohl und Wehe ihrer Untertanen, wie ihnen auch in reichem Maße die Liebe des Volkes entgegengebracht wurde, das nur vom Vater August und der Mutter Anna sprach. Handel und Gewerbe erstarkten, und das Zunft- und Innungswesen begann eine Rolle zu spielen. Die Baumeister und die Steinmetzen fanden durch die gesteigerte Bautätigkeit in der Stadt reichliche Arbeit. Der Fachwerksbau verschwand jetzt vollkommen, und es wurden nur steinerne Häuser gebaut. Die Elbe führte mit Sandstein beladene Kähne aus den Brüchen der Sächsischen Schweiz herbei, und man begann die Schauseiten der Häuser mit Sandsteinarbeit zu beleben. Namentlich an den Giebeln und Erkern kam solche in reichem Maße zur Verwendung. Die Fensteröffnungen wurden jetzt nicht mehr willkürlich in die Front des Hauses eingebrochen, es entwickelte sich eine gewisse Symmetrie, die schon mit Achsenteilung arbeitete. Der Putz herrschte noch vor, aber [30] die Fenstergewände wurden stets aus profilierten Werksteinen hergestellt. An ihnen sind die Häuser aus jener Zeit heute noch kenntlich.

Dresden besitzt nicht viel Häuser mehr aus jenen, für die Stadt so bedeutungsvollen Jahren. Bemerkenswert sind besonders die folgenden: Altmarkt 14, das früher Creil’sche Haus, Schloßstraße 11 (jetzt Stadt Gotha), 28 und 36, Zahnsgasse 7, Scheffelstraße 14, Schreibergasse 1, Große Brüdergasse 1, 6, 8 und 13, Kleine Brüdergasse 2 und Wilsdruffer Straße 15 mit sehr schönem Erker.

Wilsdruffer Straße 14, Grundrisse der Obergeschosse.

Ein weiteres Haus, Wilsdruffer Straße 14 (Taf. VI), dessen Erbauung sich nicht sicher angeben läßt, gehört nach seiner Architektur auch in jene Zeit. Es ist besonders durch seine Grundrißeinteilung wie die sehr gut erhaltene Schauseite beachtenswert. Das vermutlich um die Wende des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts erbaute Haus gehörte von 1649 bis 1695 dem Stadtprediger Magister Christian Zimmermann. Die Anordnung der Räume ist typisch für den Wohnhausbau nach damaliger Sitte. Im Erdgeschoß führt links ein schmaler Gang nach dem geräumigen Hausflur, von dem aus das größere Zimmer an der Vorderseite und die Küche mit Nebenraum zugänglich sind. Eine links angeordnete geradlinige Treppe führt in die oberen Geschosse, die eine gleiche Aufteilung zeigen. Das größere der beiden Straßenzimmer hat im ersten und zweiten Obergeschoß einen Erker. Die [31] Räume des Seitenflügels und Hintergebäudes sind von einer um den Hof laufenden Galerie zu erreichen. Das Erdgeschoß ist durchgängig überwölbt, im ersten Obergeschoß nur der Teil zwischen den Zimmern der Vorderfront und des Seitenflügels. Da das Gebäude als Eckhaus an dem Verbindungsgäßchen zwischen der Wilsdruffer Straße und Großen Brüdergasse liegt, konnten auch die Räume des Seitenflügels und das große Zimmer im Hintergebäude unmittelbare Belichtung erhalten. Wahrscheinlich war das Haus früher nur für eine Familie bestimmt, da kein Abschluß zwischen der Treppe und dem Vorraum vorgesehen ist. Die Front des Hauses beträgt nur 9,50 Meter.

Die mit reicher Antragearbeit versehene Schauseite des Hauses an der Wilsdruffer Straße ist sehr reizvoll durchgebildet. Die Fenster der drei Geschosse sind von geschwungenem Rahmenwerk umgeben, der Erker ist aus Holz hergestellt. Der reichgeschmückte Giebel trägt zwei Reihen Fenster, die unteren zwischen jonischen, die oberen zwischen korinthischen Pilastern. Die seitlichen Anläufe sind stark geschwungen, den oberen Abschluß des Giebels bilden zwei Delphine zwischen einem Kopf. Die Füllungen in den Brüstungen und die Postamente der unteren Säulen sind kartuschenartig mit Putzornamenten verziert. Nach Gurlitt ist die Schauseite in der Zeit um 1660 entstanden. Sie ist jedenfalls eine der schönsten der älteren Bürgerhäuser Dresdens und verdient in hohem Maße erhalten zu werden.

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Das Barockwohnhaus.

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An Dresden waren die Wirren des dreißigjährigen Krieges nicht spurlos vorübergegangen. Wenn auch die Stadt von einer Belagerung verschont geblieben war, zeigten doch die Vorstädte, die man teilweise niedergebrannt und eingerissen hatte, um dem Feinde keine Zufluchtsstätte und Stützpunkte für Angriffe zu geben, ein trauriges Bild. Erst allmählich begann das wirtschaftliche Leben wieder zu erstarken und eine stärkere Bautätigkeit einzusetzen. Barocke Elemente kamen um diese Zeit in der Architektur mehr und mehr zum Durchbruch. Die kursächsische Residenz hatte sich unter der Regierung Christian I. und II. wie Johann Georg I. und II. wenig verändert, die verdienstvollste Tat des Kurfürsten Johann Georg II. war die Erweiterung des Schlosses durch den im Jahre 1655 nach Dresden berufenen Architekten Wolfgang Kaspar von Klengel und die Anlegung des Großen Gartens. Jedenfalls unter Klengels Oberleitung entstand auch um 1680 das schöne Palais im Großen Garten, als dessen Architekten uns Johann Georg Starke und Johann Friedrich Karcher genannt werden.

Dieser Bau übte zweifellos auch auf die bürgerliche Baukunst Dresdens einen gewissen Einfluß aus. Es treten jetzt reichere Gliederungen in den Schauseiten auf, die sich namentlich in der häufigen Anordnung von Erkern aussprechen. Ein besonders gut ausgebildeter Erker aus jener Zeit, an der Ecke des Gebäudes angebracht, ist an dem Hause Galeriestraße 9 bis heute erhalten geblieben. Andere schöne Beispiele finden sich an vielen Häusern der Schloßstraße, Rampischen und Wilsdruffer Straße. Neben [33] den Oberlandbaumeistern Starke und Plance war der Ratsmaurermeister Johann Gottfried Fehre bedeutend. Er erbaute die in diesem Jahre abgebrochene Löwenapotheke am Altmarkt, Ecke Wilsdruffer Straße. Weiter wird ihm das Haus Altmarkt 15 zugeschrieben. Eine ähnliche, doch nicht so bedeutende Architektur zeigen die Bauten Georg Hases, dessen sogenannte „Schiffmühle“ in der Galeriestraße 14, Ecke Frauenstraße beachtenswert ist.

Den Wohnhaustypus jener Zeit verkörpern die wohlerhaltenen Häuser Große Brüdergasse 31 und 33 (Taf. VII) sehr gut. Beide haben nur schmale Fronten, das erstere mit fünf, das zweite mit drei Fensterachsen. Bei dem Hause Brüdergasse 31 ist das Erdgeschoß später verändert worden. Die Fenster zeigen hier nur einfache Gewände, unter den Sohlbänken sind kleine Konsolen angebracht. Reicher ist der durch die drei oberen Geschosse gehende Erker ausgebildet. Er hat in der Reihenfolge der Obergeschosse dorische, jonische und korinthische Pilaster und ist in den Brüstungen mit Kartuschen geschmückt, die im ersten Geschoß das Wort „Jesus“, im zweiten die Buchstaben J. C. K. und E. C. K. tragen. Über dem Hauptsims endigt der Erker in einem Austritt mit einem steinernen Abschluß. Durch die tiefere Lage dieses Simses erhält das vierte Geschoß den Charakter eines Dachgeschosses. Es ist gleichfalls sehr reizvoll durchgebildet, besonders durch die Unterbrechung des Simses infolge des mittleren Aufbaues. Zwei Reihen von Dachfenstern bilden den oberen Abschluß der Architektur. Das Haus wurde zuerst von dem Schneider Johann Konrad Kohl und seiner Frau Eva Katharina Kohl bewohnt, was die am Erker angebrachten Buchstaben andeuten. Von 1746 bis 1852 war es die Wohnung des Oberhofpredigers.

Bei weitem schlichter gehalten ist das daneben befindliche Wohnhaus, Große Brüdergasse 33. Seine Fenster sind zwar regelmäßig angeordnet, doch zeigen sie keinerlei Architekturformen. Der Erker scheint ursprünglich nur zweigeschossig gewesen zu sein, da der obere Teil im Vergleich mit dem unteren auffallend nüchtern ist. Es sind wie bei dem Nachbarhause im ersten Obergeschoß jonische, darüber korinthische Pilaster angebracht. Brüstungen und Architrave sind reich mit Ornamenten versehen, ebenso die unteren Teile der Pilaster. Im Brüstungsfeld des zweiten Obergeschosses ist die [34] hebräische Inschrift „Jehova“ zu lesen, an den Ecken daneben befinden sich geflügelte Engelsköpfe. Der Erker dürfte zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts entstanden sein. Ahnliche Erker finden sich an den Häusern Rampische Straße 1, 5 und 7, Schössergasse 11, Frauenstraße 2 und 9, Galeriestraße 17 und 18, Große Brüdergasse 9 und 10, Breitestraße 1 und Töpfergasse 10 und 12. Besonders schön und reich ausgebildet ist der mit gekuppelten Fenstern versehene Erker des Hauses Schloßstraße 5, ebenfalls aus dieser Zeit.

Frauenstraße 9, Grundriß
des Erdgeschosses.

Die innere Einrichtung eines damaligen Wohnhauses können wir am besten an dem sehr gut erhaltenen Hause Frauenstraße 9 studieren, das der berühmte Dresdner Goldschmied Johann Melchior Dinglinger (1664–1731) für sich erbauen ließ. Dinglinger, dessen Kunstfertigkeit wir an zahlreichen, im Grünen Gewölbe des Dresdner Schlosses aufgestellten Gefäßen, Figuren und Kostbarkeiten heute noch bewundern, arbeitete außer für August den Starken auch für viele auswärtige Fürstlichkeiten, die ihn bei ihren Besuchen in Dresden in seinem Hause aufsuchten. So wohnte im Jahre 1712 Peter der Große acht Tage lang bei ihm, ebenso war der König von Dänemark mehrere Male Dinglingers Gast. Das sehr schmale Haus mit nur drei Fensterachsen hatte nach der Straße zwei Zimmer, das größere mit einem Erker, eine den Mittelpunkt des Hauses bildende geräumige Diele und mehrere Nebenräume sowie kleinere Zimmer im Seitenflügel und Hintergebäude. Der Innenhof, in dem auf der rechten Seite eine Galerie zur Verbindung des Vorder- und Hinterhauses liegt, ist mit einem sehr reizvollen Brunnenwerk (Taf. VIII) geschmückt. Wir sehen ein mit Muscheln und Engeln reich verziertes Becken, von einem Delphin als Wasserspeier getragen. Darüber baut sich über dem Sims ein Muschelwerk mit Engeln, die Fruchtschnüre halten, auf. Ein als Schlußstein ausgebildeter Kopf und seitliche Konsolen mit Engelskörpern und Delphinen vervollständigen das Ganze.

[35] Das Äußere des Hauses ist einfach, aber von guter und vornehmer Wirkung. Auf dem stark gequaderten Erdgeschoß erhebt sich über zwei rechteckigen Pfeilern ein dreigeschossiger Erker von feiner architektonischer Durchbildung, den schon Hasche in seiner umständlichen Beschreibung Dresdens besonders rühmt: „Ob es gleich eines der schmählesten Häuser ist, und aus zwey Fenstern und einem Erker bestehet, so ist doch dieser nämliche Erker ein deutlicher Beweiß, daß nicht allemal reiche Verzierungen von Pilastern die Schönheit eines Baues ausmachen; denn hier findet man gar keine: sondern bloß die Verhältniß der Schäfte geben selbigem ein ernsthaftes Ansehen. Die übrigen Stockwerke sind ganz einfach, und bloß der Unterstock und die erste Etage sind mit einem Gurtsimms durchschnitten.“

Früher ist das Haus mit einem flachen Dach abgedeckt gewesen, auf dem nach Hasche sich allerlei Merkwürdigkeiten befanden. Es waren dort steinerne Wassertröge aufgestellt, die mittels einer im Hofe stehenden Maschine in kurzer Zeit gefüllt werden konnten, und dann das Wasser im ganzen Hause verteilten. Die Tröge waren nett ausgehauen und mit vielen künstlichen Figuren, die Wasser spritzten, versehen. Diese Bemerkung legt die Vermutung nahe, daß Teile des jetzt im Hofe befindlichen Brunnenwerkes oder ähnliche Anlagen sich früher auf dem Dach befunden haben. Auch eine Windfahne, die in dem untersten Geschoß die Richtung und Stärke des Windes anzeigte, und eine Feuerspritze sowie ein Observatorium mit vielen Instrumenten befanden sich nach Hasche auf dem Dache des Dinglinger’schen Hauses.

In der nun folgenden Zeit unter der Regierung der kunstliebenden Fürsten August des Starken und Friedrich August II. nahm die Bautätigkeit einen bedeutenden Aufschwung. Die glänzenden Architekten Pöppelmann, Longuelune, Jan de Bodt und die berühmten Kirchenbaumeister Bähr und Chiaveri schmückten die Stadt mit ihren Werken, zu denen die Nachwelt noch heute mit Bewunderung aufblickt. Gleichzeitig mit der monumentalen Architektur entfaltete sich auch die bürgerliche Baukunst zu höchster Blüte; die Stadt erhielt damals das ausgesprochen barocke Gepräge, das sich in der Innenstadt bis zum heutigen Tage erhalten hat. Dresden erlangte in kurzer Zeit den Ruf einer schönen Stadt, den es in nicht geringem Maße seinen vortrefflich [36] erbauten Bürgerhäusern verdankt, wie die folgende Kritik des Oberhofmarschalls von Racknitz in seiner im Jahre 1796 erschienenen Geschichte des Geschmacks beweist: „Die kursächsische Residenz Dresden wird unter die schönsten Städte Deutschlands gerechnet, und man kann in gewisser Hinsicht behaupten, daß der Blondelsche Geschmack zu ihrer Verschönerung beigetragen hat. Es befinden sich nämlich daselbst nur wenige öffentliche Gebäude, die durch architektonische Vorzüge die Aufmerksamkeit der Kenner anregen, dagegen haben die Bürgerhäuser einen gefälligen und reinlichen Charakter, der zugleich, wenn auch nicht Reichtum, doch einen Wohlstand ankündigt, welcher auf jeden Fremden beim ersten Anblicke einen angenehmen Eindruck macht, und wodurch Dresden zu einer der vorzüglichsten Städte Deutschlands wird. Die innere Einrichtung der Gebäude ist dagegen so beschaffen, daß die Besitzer derselben daraus guten Nutzen ziehen, mit einem Worte, was man gute bürgerliche Baukunst nennt, ist in Dresden häufig angewandt zu sehen.“

Wie von Racknitz in der genannten Abhandlung sehr treffend bemerkt, macht sich der am sächsischen Hofe damals vorherrschende französische Geschmack auch in der bürgerlichen Baukunst von jetzt ab geltend. Zum besseren Verständnis der nun einsetzenden Stilrichtung seien einige Bemerkungen vorausgeschickt, wobei ich den wertvollen Untersuchungen über Barock und Rokoko von Dr. Paul Schumann folge.

Die von der im Jahre 1671 neugegründeten Bauakademie in Paris ausgehenden Lehren des älteren Blondel (1618–1686), und besonders die geistreich geschriebene Abhandlung über Architektur von Cordemoy (1651–1722) beherrschten zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts fast die gesamte gebildete Welt. Beide gehen auf die Lehre Vitruvs über die Säulenordnungen zurück, doch stellt Cordemoy noch besondere Gesetze über Architektur auf, die sich aus den Anschauungen im Zeitalter eines Ludwig XIV. ergaben, und auch nur im Sinne der damaligen Zeit verständlich sind. Es sind dies die Grundsätze der Bienséance oder Convenance. Unter ihnen versteht Cordemoy die schickliche Einfügung eines Bauwerkes mit allen seinen Einzelheiten in die von Natur, Sitte und Gewohnheit gezogenen Grenzen. Es erforderte zum Beispiel die Bienséance eine gewisse Abstufung der einzelnen Gebäudegruppen. So brauchten die Häuser der reichen Leute nur große, bequeme [37] und wohleingerichtete Zimmer zu haben, während die Wohnungen hoher Staatsbeamter und Großwürdenträger Salons, große Säle, Bibliotheken und Kunstkabinette aufweisen mußten. Ganz besondere Pracht aber sollte bei den Palästen der Fürstlichkeiten entfaltet werden. Die Bienséance erstreckte sich weiter nicht nur auf die höchste Vervollkommnung und wohlüberlegte Anordnung der Innenräume, sie kam auch in der äußeren Architektur zur Anwendung. Es entwickelte sich nach ihren Gesetzen eine Art Rangordnung in der Baukunst, die den einzelnen Gebäuden und Schauseiten ganz bestimmte architektonische Elemente und Glieder vorschrieb. So durften Säulen, als die vornehmsten Träger architektonischer Gedanken, nur bei Palästen, Schlössern und öffentlichen Gebäuden verwendet werden. Bei diesen Bauwerken waren sie wieder an der Hauptvorlage anzuordnen, während die Rücklagen Lisenen oder funktionslose Architekturglieder zu bekommen hatten. Ebenso wie für die Säulen und Pfeiler gab es auch für die Gestaltung der Bögen bestimmte Vorschriften.

Die Bienséance, deren Hauptausdrucksmittel die Symmetrie ist, hat jahrhundertelang die Architektur beherrscht, und ist erst von den modernen Baukünstlern vollkommen überwunden worden. Sie fand in dem fein ausgebildeten Geschmack der vornehmen Welt jener Zeit ihre hauptsächlichste Stütze, wie denn auch Cordemoy mit seinem „Nouveau traité de toute l’architecture“ in erster Linie eine bessere Bildung der Bauhandwerker, der Maurer, Zimmerleute, Tischler und Metallarbeiter herbeiführen wollte. Vor allen Dingen aber waren die Grundsätze Cordemoys bestimmend auf die Gestaltung der Bauwerke im Zeitalter des Barocks und fanden bei französischen wie deutschen Architekten begeisterte Aufnahme.

In Dresden leitete Pöppelmann die nach solchen Lehren sich richtende Architekturperiode ein. Sein für die Prachtentfaltung und Lebensart am sächsischen Hofe unter August dem Starken so bezeichnendes Werk, der Dresdner Zwinger, ist eine der geistreichsten Architekturschöpfungen aller Zeiten. Doch steht die Architektur Pöppelmanns noch zu sehr unter dem ersten Einfluß der neu anbrechenden Zeit, die Phantasie des Architekten weiß sich noch keine Zügel aufzuerlegen. Auch die von Pöppelmann erbauten bürgerlichen Wohnhäuser zeigen in ihren Einzelheiten einen an die Zeit des Rokoko [38] gemahnenden, teilweise üppigen Formenreichtum, der aber stets in der geistreichsten Weise durch eine im Gegensatz dazu auftretende Straffheit in der Einteilung der Schauseite ausgeglichen wird.

Als Meisterstück bürgerlicher Wohnhausarchitektur muß die Schauseite des von Pöppelmann erbauten Hauses am Jüdenhof 5 (Taf. IX) angesehen werden. Es wurde für den Goldarbeiter Christoph George Dinglinger vermutlich im ersten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts erbaut. Die über dem mit Sandstein verblendeten Erdgeschoß sich aufbauende sehr schöne Architektur wird durch drei Lisenenpaare mit konsolenartigen Kapitellen in fünf senkrechte Fenstergruppen geteilt, von denen drei durch reichere Verdachungen und Brüstungen hervorgehoben sind. Die mittlere endigt über dem Hauptsims in einem Balkon mit einem dreiteiligen Dachaufbau von großer Feinheit in den Abmessungen und Gliederungen. Zwei zwischen diesen Gruppen verbleibende Streifen zeigen nur einfache Füllungen in den Brüstungen. Die gesamte obere Schauseite ist im Putz mit angetragenem Stuck ausgeführt. Durch eine feingeschwungene Kurve im Grundriß der Frontmauer erhält das ganze Haus eine starke Reliefwirkung.

Der Grundriß ist von großer Einfachheit und Klarheit. Der in der Mittelachse des Erdgeschosses angeordnete Hausflur, zu dessen beiden Seiten Gewölbe für Läden liegen, führt unmittelbar auf die stark gewendelte, vor einem Lichthofe angelegte Treppe. In den Obergeschossen finden wir nach dem Jüdenhofe ein größeres dreifenstriges und seitlich davon zwei kleinere einfenstrige Zimmer. An letztere schließen sich nach der Tiefe des Gebäudes noch kleinere Räume, die teilweise von der Sporergasse, teilweise von einem Innenhofe belichtet werden. Ein langgestreckter Flur trennt die Zimmer vom Treppenhause.

Jetzt ist das Haus im Besitze der Firma Hüning und Kleinfeld, die in dankenswerter Weise bei der Verlegung ihrer Glaserei in die Räume des Erdgeschosses nur wenige bauliche Veränderungen vorgenommen und vor allen Dingen das Haus von Reklame freigehalten haben.

Das Haus an der Frauenkirche 16 (Taf. X) ist nach Gurlitt ebenfalls auf Pöppelmann zurückzuführen. Es ist nicht rechtwinklig zur Straße gestellt und hat eine sehr interessante [39] Grundrißanordnung, die sich über alle aus der Lage der Baustelle sich ergebenden Schwierigkeiten genial hinwegzusetzen weiß. Die Einteilung ist die im siebzehnten Jahrhundert übliche mit Vordergebäude, Seitenflügel und Hinterhaus. In den Obergeschossen nimmt das Straßenzimmer mit dem Erker die ganze Front des Hauses ein, während im Erdgeschoß sich Hausflur und Laden in die Breite des Hauses teilen müssen. Hinter dem großen Zimmer an der Front liegen zwei kleinere Räume, die nur mittelbares Licht erhalten, dazwischen ein gleichzeitig als Treppenpodest dienender schmaler Gang und links davon ein weiterer Raum, vermutlich die Küche. Eigenartig ist die Ausbildung des Seitenflügels als Gang zu den im Hinterhause liegenden Wohnungen mit eingebauten Aborten. Die Treppe ist stark gewendelt. Der Hof hat wenig über drei Meter Breite.

An der Frauenkirche 16,
Grundriß des Erd- und ersten Obergeschosses.

Die Schauseite mit zwei Fensterachsen und einem dazwischen gestellten Erker ist überaus reizvoll. Die Fenster tragen im ersten Geschoß mit Segmentbögen, im zweiten mit Spitzverdachungen und darunter angebrachten Kartuschen verzierte Gewände, der Erker schräg gestellte Pilaster mit reich ausgebildeten Kapitellen, ähnlich denen am Hause Jüdenhof 5. Die Simse der einzelnen Geschosse des Erkers sind über den Pilastern verkröpft. Das in Form der Mansarde ausgebildete Dach hat zwei Reihen Dachfenster.

[40] Pöppelmann hat weiter vermutlich auch die Häuser Große Klostergasse 2, Hauptstraße 17, Töpfergasse 3 und Große Brüdergasse 39 erbaut. Leider ist das letztere, das eine sehr feine Aufteilung mit Lisenen und Risaliten sowie einen aus dem Achteck entwickelten Erker zeigt, jetzt durch die Reklame einer Möbelhandlung derartig entstellt, daß die vortreffliche Architektur kaum mehr wahrgenommen werden kann.

Einen unmittelbaren Einfluß Pöppelmanns zeigen noch mehrere Wohnhäuser der Rampischen Straße, besonders die Häuser 3, 5 und 33. Die Rampische Straße (Taf. XI) ist auch deshalb in architektonischer wie städtebaulicher Beziehung beachtenswert, weil sie eine der wenigen Straßen Dresdens ist, die sich in ihrer alten Schönheit erhalten haben und nicht durch Neubauten in ihrer Wirkung beeinträchtigt wurden. Die Häuser sind fast durchgängig aus der Barockzeit und zum größten Teile mit reich ausgebildeten Erkern versehen, die durch die Führung der Straße in Form einer leichtgeschwungenen Kurve noch besonders zur Geltung kommen. Vom ehemaligen Kurländer Palais aus schließt den Blick durch die Straße die gewaltige Kuppel der Frauenkirche wirkungsvoll ab und verleiht so der Anlage noch einen besonderen malerischen Reiz.

Ich möchte hierbei auf eine Eigentümlichkeit des Dresdner Wohnhauses in der Barockzeit eingehen, auf die fast durchgängig in Form der Mansarde ausgebildeten und bisweilen sehr stark ausgebauten Dächer. Nach dem Baureglement vom Jahre 1720 sollten die Dächer nicht über Proportion erhöht werden, Dachstuben waren aber früher erlaubt, nur in den Vorstädten durften sie nicht eingebaut werden. Es entwickelte sich infolgedessen eine eigenartige Dachform, die der äußeren Dachlinie durch ein Zurücksetzen der Wände der Dachgeschoßräume gegen die übrige Front des Hauses gerecht wird, und es doch ermöglicht, im Innern Zimmer mit geraden Wänden zu erhalten. Die Dachfenster erstrecken sich dabei in langer Reihe beinahe über die ganze Front des Hauses, nur an der Seite ist die eigentliche Dachlinie durchgeführt. Gleichzeitig werden sehr oft zwei Reihen von Dachfenstern übereinander angeordnet, um auch eine gute Belichtung der Bodenräume zu ermöglichen.

Diese Form des Mansardedaches ist in Dresden zahlreich zu finden. In vielen älteren Häusern der Schloßstraße, Frauenstraße, Galeriestraße, an der Frauenkirche und am [41] Neumarkt sehen wir derartige Dächer. Ein besonders schönes Beispiel bietet das Haus an der Kreuzkirche 2 (Taf. XII), das auch sonst den Charakter des Barockhauses zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts in sehr stark ausgeprägtem Maße trägt. Das Haus hat eine Front von fünfzehn Fensterachsen, die durch einen hervorgehobenen mittleren Streifen und zwei durch die ersten beiden Geschosse gehende Erker in vier Teile getrennt wird. Die Architektur ist durch Lisenen und einfache Füllungen gebildet, nur die Fenster der Mittelachsen und der beiden Erker zeigen ornamentalen Schmuck. Balkone mit einfachen schmiedeeisernen Geländern schließen die Erker nach oben ab. Das Tor in der mittleren Achse des Hauses hat Ähnlichkeit mit dem des früheren Brühl’schen Palais in der Großen Schießgasse, das von Pöppelmann erbaut wurde.

Äußerst wirkungsvoll und sehr fein in der Reliefwirkung ist das in Mansardenform gehaltene Dach mit den soeben besprochenen, für Dresden so charakteristischen langen Reihen von Dachfenstern. Die Abmessungen der einzelnen Teile dieses Daches, die ganz gleichmäßig durchgebildeten Reihen der Fenster und die kunstgerechte Eindeckung mit Ziegeln von wundervoller Patina geben dem ganzen Hause einen stimmungsvollen Abschluß. Das Haus ist vermutlich von dem Dresdner Maurermeister Georg Hase erbaut worden, da es große Ähnlichkeit mit der bereits erwähnten „Schiffmühle“ in der Galeriestraße 14, an der Ecke der Frauenstraße, hat, die nach P. J. Marperger von Georg Hase erbaut sein soll. Die Erker dieses Hauses zeigen fast die gleiche architektonische Durchbildung wie bei dem vorgenannten Gebäude an der Kreuzkirche, auch finden sich hier die doppelt übereinander stehenden Dachfenster. Georg Hase, der auch als Erbauer des Hauses Rampischestraße 7, seines eigenen Wohnhauses, zu gelten haben wird, zeigt in seinen Bauten wieder große Ähnlichkeit mit den Schöpfungen Johann Gottfried Fehre’s, dessen Löwenapotheke am Altmarkte, Ecke Wilsdruffer Straße, bereits genannt wurde. Fehre hat nach Marperger noch das heute in den unteren Geschossen durch Umbauten verstümmelte Haus am Altmarkt 15, den sogenannten „Goldenen Ring“ und nach Hasche’s Beschreibung Dresdens auch das ehemalige „Rennersche Brauhaus“, Scheffelstraße 6, erbaut. Die gleiche architektonische Behandlung finden wir noch bei den Häusern Große Brüdergasse 9, Kleine Brüdergasse 12, Töpfergasse 1, [42] Schloßstraße 5 mit der bereits erwähnten schönen Erkeranlage, Rampische Straße 5, alles Bauten, die dem Zwinger nahe stehen. Im Besitze des Ratsmaurermeisters Fehre waren auch früher die Häuser Rähnitzgasse 19 und das besonders schöne Eckgebäude Heinrichstraße 2, was darauf schließen läßt, daß Fehre auch ihr Erbauer war. Das letztgenannte Wohnhaus zeigt sehr schöne Ornamente über den Fenstern der Mittelvorlage an der Hauptstraße und die erwähnte Anordnung von Dachfenstern. Leider ist das Haus im Erdgeschoß durch häßliche Ladeneinbauten in seiner Wirkung schwer geschädigt worden.

Die Bauten George Bähr’s, des genialen Schöpfers der Frauenkirche, sollen später eingehend betrachtet werden. Sein Wohnhaus an der Mauer 2, Ecke Seestraße, das sich durch sehr schöne Ornamentik in angetragenem Stuck und eine reizvolle Galerie im vierten Obergeschoß auszeichnete, konnte trotz aller Bemühungen der Königlichen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler und des Vereins für Geschichte Dresdens nicht erhalten bleiben. Seine Erhaltung war eigentlich ein Gebot der Dankbarkeit, die die Stadt Dresden ihrem größten Kirchenbaumeister hätte erweisen müssen.

Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts machte sich der französische Einfluß im Wohnhausbau noch stärker geltend. Die von Blondel gelehrte Bequemlichkeit und die Cordemoy’sche Bienséance, die in der Bildung, der Anordnung und der Einrichtung der Räume bei aller Wahrung der Etikette doch die größtmöglichste Behaglichkeit erstrebten, führten zu einer Grundrißbildung und Fassadengestaltung, die noch heute als vorbildlich angesehen werden kann. In Dresden waren die Architekten Knöffel, Longuelune und Krubsacius Vertreter dieser Stilrichtung. Knöffels Wohnhausbauten haben wir bereits bei der Besprechung des alten Dresdner Rathauses kennen gelernt. Eine weitere Schöpfung von ihm ist das frühere Gräflich Hoym’sche Palais, das jetzige Harmoniegebäude in der Landhausstraße, das in einem der nächsten Abschnitte besprochen werden soll, da es unter die größeren Wohnhausanlagen in der Art der Paläste fällt.

Johann Christoph Knöffel (1686–1752), der im Jahre 1728 zum Oberlandbaumeister ernannt wurde, war ein Werkzeug des Grafen Brühl und benutzte dessen Gunst zu den schamlosesten Anschlägen gegen die Architekten seiner Zeit. Es gelang ihm, Longuelune, [43] der zweifellos bedeutender war, vollkommen in den Schatten zu stellen. Nach dessen Tode führte Knöffel das als Abschluß der Augustusbrücke gedachte, mit einer Pyramide zu krönende Gebäude der Neustädter Hauptwache, entgegen den ursprünglichen Plänen Longuelunes, in veränderter Form aus. Auch Chiaveri mußte dem ränkesüchtigen Knöffel das Feld räumen, ehe die katholische Hofkirche beendet war, und nur der Tod hinderte letzteren daran, auch diesen Bau noch nachträglich zu verändern.

Knöffel wie Longuelune, dessen Hauptwerk außer der Neustädter Wache das Pillnitzer Schloß ist und der mit de Bodt am Japanischen Palais in Dresden-Neustadt tätig war, hatten einen großen Einfluß auf die nachfolgende Generation von Architekten. Samuel Locke, Exner und Leplat gingen aus dieser Schule hervor. Ihren Abschluß bildete der auch durch seine schriftstellerische Tätigkeit bedeutende Dresdner Architekt Krubsacius. Knöffels Schöpfungen in Dresden waren außer dem bereits erwähnten Rathausbau der Altstadt das Gräflich Hoym’sche Palais, das Kurländer Palais, das jetzt abgebrochene Brühl’sche Palais in der Augustusstraße und sein eigenes Wohnhaus, das spätere Cosel’sche Palais an der Frauenkirche.

In allen diesen Bauten offenbart sich ein starker Gegensatz zu den mehr dem italienischen Barock sich nähernden Bauten Pöppelmanns und Bährs. Es bricht sich jetzt eine strengere Auffassung der Architektur Bahn, die schon zum Klassizismus überleitet. Die kurz nach seinem Regierungsantritte erlassene Verordnung des Kurfürsten Friedrich August II. zur Beseitigung der unter den Architekten eingerissenen Mißwirtschaft und Willkür kündigt die neue Stilrichtung mit folgenden Worten an: „Wir wollen, daß künftighin bei allen neu aufzuführenden Palais und anderen Bauten sowohl auf den davon zu hoffenden Nutzen und Gemächlichkeit, dermalen aber, was die Struktur betrifft, dahin gesehen werde, daß an allen Stücken und Theilen des Gebäudes etwas nobles, dabei aber an Schmuck und Zieraten nichts überflüssiges, weniger etwas gezwungenes und unanständiges, wohl aber dagegen alles sich dergestalt eingerichtet finde, daß es einesteils dem Hauptzwecke, wozu jedes Gebäude von uns destiniret, gemäß sei, anderenteiles die Architektur durch die angebrachten Zierate nicht verdunkelt noch unterdrückt, vielmehr durch ihre anständige Vergesellschaftung noch mehr releviret werde. Und da [44] wir glauben, daß auf solche Weise leicht zwei bis drei Teile von dem Schnitzwerke und der Bildhauerarbeit, wie solches bis dahin hier und da angebracht worden, wegbleiben könne, also sollen dagegen die Zierate, deren man zu vorbenanntem Zwecke benötigt ist, stets den allergeschicktesten Leuten verdungen werden.“ Damit sollte einesteils einer allzureichen Prachtentfaltung, wie wir sie bei dem von Pöppelmann errichteten, im Jahre 1885 abgebrochenen Brühl’schen Palais in der Schießgasse und dem später zu besprechenden Palais de Saxe in der Moritzstraße finden, vorgebeugt, in anderer Weise aber auch immer wieder der Anstoß zu einer Verbesserung der Architektur gegeben werden.

Während vordem oft nicht genügend motivierte Säulen und Pilaster die Hauptelemente der Schauseite bildeten, tritt jetzt die sich gleichmäßig über die Front verteilende und nicht so stark vorspringende Lisene in den Vordergrund. Diese Lisenen werden gewöhnlich über dem zweiten Geschoß durch einen Architrav zusammengezogen, so daß das als Halbgeschoß ausgebildete und auf einem breiten Sockel sitzende dritte Stockwerk, ebenfalls mit einer Lisenenarchitektur versehen, selbständig auftritt. Unter den Fenstern des ersten und zweiten Geschosses sind Füllungen angebracht, die nur an den wenig vorspringenden Risaliten mit dekorativen Ornamenten versehen werden. Das Erdgeschoß ist meistens gequadert und mit bogenförmigen Öffnungen versehen.

Einen derartigen Aufbau zeigen die Schauseiten des alten Rathauses am Altmarkt (Taf. I) mit den anstoßenden Wohngebäuden, das Coselpalais und das Gräflich Hoym’sche Palais, Landhausstraße 11, alles Schöpfungen Knöffels. Ähnlich sind weiter die Häuser Schössergasse 25, das sogenannte Stadtwaldschlößchen Sophienstraße 1 und das von Samuel Locke erbaute Hôtel de Pologne, Schloßstraße 7, das nur an der Großen Brüdergasse in seiner früheren Gestalt erhalten ist. Als besonders reizvoll muß auch die Schauseite des Hauses Frauenstraße 14 (Taf. IV) erwähnt werden. Dieses Haus ist mit wundervollen Bildhauerarbeiten, die zweifellos von Knöfler herrühren, geschmückt. Über der im Bogen geschlossenen Tür mit schön geschnitztem Holzwerk sitzt ein Hochrelief, auf dem ein Mann mit einem Januskopf in einem Weinberge mit Kindern dargestellt ist. Darüber legt sich ein kräftig profilierter und stark geschwungener Sims. Weitere schöne Bildhauerarbeiten sind in den Brüstungsplatten des dreigeschossigen Erkers an der Ecke [45] des Hauses und an der Schauseite selbst angebracht. Das Haus wurde etwa um 1750 vom Böttchermeister Johannes Köhler erbaut, auf dessen Gewerbe die einzelnen Darstellungen Bezug nehmen.

Die in dieser Schauseite schon zur Wirkung kommende freiere Behandlung des Ornamentes, das sich weniger den konstruktiven und dekorativen Architekturgliedern einfügt, sondern mit ziemlicher Willkür über die Front des Hauses verstreut zu sein scheint, ist bezeichnend für die Behandlung der Wohnhausschauseiten in der Rokokozeit. Wir finden weitere Beispiele hierfür bei den Häusern Moritzstraße 6, Große Brüdergasse 25 sowie Landhausstraße 4 und 15. Die spätere, mehr dem Klassizismus zuneigende Richtung verurteilte diese Art der Ornamentbehandlung mit scharfen Worten, wie wir in der „Untersuchung über den Ursprung der Verzierungen, der Veränderung und des Wachstums derselben, bis zu ihrem jetzigen Verfalle“ von Krubsacius lesen können.

Über die Grundrißeinteilung und innere Einrichtung der Räume, die in dieser Zeit, wie wir an einigen Beispielen gesehen hatten, zu höchster Vollendung herangereift war, soll in einem weiteren Abschnitte bei der Betrachtung der palastartigen Wohngebäude des Barock und Rokoko einiges gesagt werden.

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Die Bautätigkeit in der Neustadt nach dem großen Brande im Jahre 1685.

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Die Chronisten berichten unter den Ereignissen des Jahres 1685 in Dresden, daß am 6. August vormittags gegen 11 Uhr in dem Hause des Kunsttischlers und Büchsenmeisters Tobias Edler auf der Meißnischen Gasse in Altendresden, der heutigen Neustadt, ein Feuer ausgebrochen sei, das binnen fünf Stunden den größten Teil der Neustadt in Asche gelegt habe. Nur der Jägerhof, das alte Rathaus und 21 Wohnhäuser sind verschont geblieben, während 336 Gebäude mit der Dreikönigskirche ein Raub der Flammen wurden.

Ein solch verheerendes Feuer ist erklärlich, wenn man sich die dichte Bauweise in den engen Gassen der Stadt, die wenig feuersichere Konstruktion und die mangelhaften Löscheinrichtungen jener Zeit vergegenwärtigt. Gab es doch damals nur im Rathause „eine messingene Trage-Sprütze“, sonst aber nur lederne Wassereimer, die in langer Kette von Hand zu Hand gingen und an den öffentlichen Gassenbrunnen gefüllt werden mußten. Zwar besagt die Feuerordnung vom Jahre 1678, daß bei diesen elf öffentlichen Brunnen in den Gassen stets gefüllte eichene Wasserbütten auf Schleifen bereit stehen mußten, doch wird auch diese Vorsicht nicht imstande gewesen sein, große Brände einzudämmen. So blieb in den meisten Fällen nichts anderes zu tun übrig, als die brennenden Gebäude möglichst rasch niederzureißen, um große Lücken zu schaffen, die ein Weiterspringen des Feuers verhindern sollten. Kamen aber noch [47] andere schlimme Zufälligkeiten wie Sturmwind hinzu, so mußten ganze Häuserviertel unfehlbar von den Flammen erfaßt werden. Aus dem vom Rate zu Dresden am 9. August 1685 dem Kurfürsten Johann Georg III. über die Feuersbrunst erstatteten Bericht erfahren wir denn auch, daß sich bei dem großen Brande in der Neustadt ein starker Wind erhoben, und das Feuer dermaßen schleunigst überhand genommen habe, „daß an vielen auch entlegenen Orthen es fast zugleich zu brennen angefangen, und also in vier bis fünff Stunden die ganze Stadt und darunter vornehmlich die Kirche nebenst dem Glockenthurm, Pfarre und Schulgebäuden, wie auch Ew. Churfürstl. Durchl. Regiments-Hauße und Holzhoffe im Rauch aufgegangen“. Auch seien mehrere ganz hölzerne und mit Schindeln bedeckte Häuser vorhanden gewesen, so daß die aus Altendresden und der Festung sowie aus fünf Dorfschaften mit Pferden und Wagen erschienene Feuerwehr nicht des Feuers Herr geworden wäre.

Der Kurfürst ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen, die Neustadt planmäßiger und mit schöneren Bauten wiedererstehen zu lassen, und beauftragte den Festungsbaumeister und Artillerie-Obersten Wolf Kaspar von Klengel mit der Ausarbeitung von Entwürfen. Diese Absicht wird vom Kurfürsten in einem Reskript an den Rat zu Dresden deutlich ausgesprochen: „Nun ist Euch dem Obristen v. Klengel wißend, was Wir dißfalls vor eine intention führen und wohin wegen einrichtung der Gebäude und änderung einiger gaßen, sowohl zu mehrer commodität der Innwohner alß Zierath der ganzen Stadt unser absehen gerichtet.“

Es entstand der Plan zu der großartig angelegten Hauptstraße, die sich vom Schwarzen Tore vor dem heutigen Albertplatz bis zu ihrer Ausmündung auf den Neustädter Markt um etwa 20 Meter verbreitert, so daß eine stärkere perspektivische Wirkung eintritt; dabei konnten das alte Rathaus und die abgebrannte Dreikönigskirche vorläufig noch stehen bleiben. Die Straße war nicht in der Achse der alten Brücke geplant, sondern nach Nordwesten verschwenkt, da man ihr von vornherein im Blockhause einen monumentalen Abschluß geben wollte. Mit dem Bau der Hauptstraße wurde sehr bald begonnen. Schon im Jahre 1687 meldete Klengel dem Kurfürsten, daß noch in diesem Jahre „die principaleste Passage und Hauptstraße zum neuen Einlaß“, [48] dem Schwarzen Tore, hergestellt werden solle. Es waren um diese Zeit bereits 72 Häuser der Neustadt wieder aufgebaut worden.

Bald kam jedoch der Wiederaufbau des Stadtteiles ins Stocken, so daß sich Kurfürst Friedrich August I. im Jahre 1714 zu weitergehenden Steuerbefreiungen veranlaßt sah: „Gleichwie Wir nun selbst gerne sehen, daß der völlige Aufbau ermeldter Stadt, sowohl zur Zierde, als um Unsers eigenen hierunter versirenden Interresse willen, dereinsten zur Perfection gebracht werde; Also haben Wir auch in die gesuchte zehnjährige Steuer-Befreyung zu consentiren, kein Bedencken getragen, sondern thun vielmehr, krafft dieses offenen Briefes, iedermänniglichen die gnädigste Versicherung, daß wer sich zur Annehmung einiger wüsten Plätze an besagtem Orte angeben, und sich zu derselben Bebauung anschicken wird, der oder dieselben durchgehends, von Zeit der Annahme an, von Abgabe aller Steuern, von denen auf solchen Plätzen hafftenden Schocken und Quatember-Quantis auf zehen Jahr gäntzlich befreyet, auch dargegen mit einiger anderen Versteuerung die gesetzte Zeit über in geringsten nicht beschweret werden sollen.“

Der Erlaß hatte aber noch nicht die beabsichtigte Wirkung, weshalb der Kurfürst im Jahre 1732 eine weitere Verordnung bekannt gab, nach der jeder, der ein neues Haus in einem Jahre erbaute, eine fünfzehnjährige, wer aber längere Zeit baute, nur eine zehnjährige Steuerfreiheit genießen sollte. Außerdem sollte noch jeder die Baustelle erb- und eigentümlich erhalten und von allen rückständigen Steuern befreit sein. Gleichzeitig erhielt von dieser Zeit an Altendresden den Namen „Neustadt“, und es wurden wichtige städtebauliche Bestimmungen für den Ausbau der Königstraße getroffen, ein Beweis, daß schon in jenen Zeiten das Gefühl für die räumliche Wirkung der Straßen und Plätze sehr stark entwickelt war, und die Architektur der einzelnen Wohngebäude zur Erreichung einer einheitlichen Wirkung sich gewisse Einschränkungen auferlegen mußte. Der sehr bemerkenswerte Erlaß des Kurfürsten hat folgenden Wortlaut: „Wasmaßen Wir, nach Unserer, bereits vormahln, vermittelst eines öffentlich angeschlagenen Patents, vom 8. Jan. Ao. 1724 bekannt gemachten Absicht, die Stadt Alt-Dresden allhier, welche Wir in Zukunft Neue Stadt bey Dresden benennet wissen [49] wollen, jemehr und mehr in Anbau, und Aufnehmen zu bringen, verschiedene leere und wüste Plätze und Gassen, denenjenigen, so darauf Häuser zu erbauen, gesinnet, ohne Entgeld anweisen, einräumen und erblich zuschreiben zu lassen, entschlossen seyn; Jedoch also und dergestalt, daß in der ganzen Stadt, so viel möglich, alle Stockwerke nach denen Gassen zu, in einer gleichen Höhe aufgeführet, und einander gleich abgeputzet werden sollen, wie denn auch die, auf der, Unserm sogenannten Holländischen Palais, gegenüber gelegenen Gasse, befindliche Plätze, zu dergleichen Aufbau, mit anzuweisen. In solcher Gasse aber die Häuser nicht höher, als drey Stockwerk hoch, als ein Etage par terre au rez de chaussée, eines über der Erden und das dritte mit Mezzaninen, solchergestalt, daß das holländische Palais selbige übergehe, anzulegen und aufzuführen, verstattet seyn soll; Weshalber und zu dem Ende, Wir denn Unserm General-Feldmarschalln, Cabinets-Ministre, und wirklichen geheimen Rathe, dem Grafen von Wackerbart, einen gewissen Plan zugestellet, und in demselben, einen und andern bemerkten Platz und Häuser, gewissen Personen bestimmet und zugetheilet, wie nicht weniger, daß die wüsten Plätze, denen, welchen sie bestimmet und angewiesen worden, erb- und eigenthümlich zugeschrieben werden sollen, behörigen Ortes anbefohlen haben.“

Erst nach diesem Erlaß begann die Bautätigkeit in der Neustadt wieder aufzuleben. So sind eine Reihe vorzüglich durchgebildeter Wohnhäuser der Großen Meißner Straße, Hauptstraße und Königstraße im Anfange der dreißiger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts erbaut, wie die in vielen Fällen über den Haustüren angebrachten Jahreszahlen erkennen lassen.

Die im Jahre 1685 jedenfalls vollkommen zerstörte Große Meißner Straße, in der das Feuer ausgebrochen war, ist nach dem Brande einheitlich wieder aufgebaut worden und in ihrer bis heute wohlerhaltenen Architektur eine der schönsten Straßen Dresdens (Taf. XIII). Nur die beiden Eckhäuser am Eingange vom Markt aus, Blockhausgäßchen 3 und Große Meißner Straße 2, ersteres ein Wohnhaus mit drei Fensterachsen und einem dreigeschossigen Erker nach der Seite des Neustädter Marktes, das andere mit dem Erker an der Ecke und mit größeren Fronten, sind nach den strengeren Architekturformen zu urteilen älteren Ursprunges, vermutlich vor 1720. Im weiteren [50] Verlauf der Straße sind auf der linken Seite die Häuser Große Meißner Straße 1, 3, 5, 7 und 9 zu erwähnen, von denen das dritte eine besonders schöne Aufteilung mit drei gleichmäßig betonten, reich geschmückten und zwei dazwischen gestellten einfacheren Fensterachsen aufweist. In den beiden äußeren Achsen liegen im Erdgeschoß große, im Korbbogen geschlossene Durchfahrten, dazwischen Läden. Im Dachgeschoß stehen die drei gekuppelten Dachfenster wieder über den Hauptachsen. Das Haus Große Meißner Straße 11, der sogenannte „Blaue Stern“, ist von Samuel Locke erbaut. Hier sind die drei mittleren Achsen, unter denen die Durchfahrt mit einer Kartusche über dem Bogen angeordnet ist, betont, während die vier seitlichen Fensterachsen schmucklos gelassen wurden. Später, vermutlich um 1750, ist das Haus Große Meißner Straße 13 entstanden, das mit einer Front von acht Fensterachsen und dem durch Rokokoverzierungen hervorgehobenen mittleren Teile über dem Torbogen einen stattlichen Eindruck macht. Das ebenfalls sehr vornehme Haus Große Meißner Straße 15 ist im fiskalischen Besitz. Auf der anderen Seite der Straße ist nur das Haus 2, das bereits erwähnt wurde, beachtenswert. Es ist im Jahre 1911 um ein Geschoß erhöht worden.

Wie die Große Meißner Straße, hat auch die Königstraße in ihrem vorderen, am Kaiser-Wilhelm-Platz beginnenden Teile heute noch ein einheitliches architektonisches Gepräge. Die in den ersten Jahren nach dem Erlaß vom 28. Januar 1732 erbauten Häuser Königstraße 1, 3, 5, 7, 9, 10 und 12 sind zum größten Teile jetzt noch wohlerhalten und beachtenswert durch die gute architektonische Ausbildung ihrer Schauseiten (Taf. XIV). Wie die Verordnung bestimmte, sind die Häuser niedrig gehalten und von gleicher Hauptsimshöhe, um die Wirkung des Holländischen Palais zu steigern. Sie haben durchgängig eine ungerade Anzahl Fenster, wobei nur die Mittelachse, und zwar in vollendeter Art und Weise verziert ist. Die ganz schlicht gehaltene übrige Schauseite zeichnet sich durch die feine Abwägung der Größe der Öffnungen zu dem verbleibenden Mauerwerk und die geschickte Anordnung der Dachfenster aus. Die Mittelachse ist, wie es besonders bei den Häusern 1 und 5 beobachtet werden kann, zu einem ornamentalen Streifen ausgebildet, der sich vom Erdgeschoß bis zum Dach erstreckt. Der im Korbbogen geschlossene Toreingang zeigt seitliche Pilaster und einen mit Monogramm und Jahreszahl [51] versehenen Schlußstein, um den sich der das Erdgeschoß abschließende Gurtsims kröpft. Die Brüstung des darüber sitzenden Fensters ist leicht verziert und mit seitlichen, auf dem Gurtsimse aufsitzenden Anläufern versehen. Eine reich ausgebildete Verdachung mit einer Kartusche schließt das Fenster nach oben ab. In den Kartuschen wurde meistens ein besonderes Kennzeichen des Hauses angebracht, so bei dem Hause Königstraße 1 ein Vogel Strauß, bei dem Königstraße 7 ein springendes Roß. Das Fenster im zweiten Obergeschoß trägt nur einen Rokokoschnörkel als Abschluß, ist aber wieder durch eine verzierte Brüstung mit dem darunter befindlichen Fenster verbunden. Die Gewände der beiden oberen Fenster der Mittelachse sind profiliert. Wie in den Geschossen ist bei dem Hause 5 auch das in der Mitte stehende Dachfenster durch Pilaster und seitliche Anläufer vor den übrigen herausgehoben.

Diese feine Behandlung der Schauseite wurde auch bei einigen in späterer Zeit erbauten Häusern in der Umgebung der Königstraße weitergeführt, so namentlich bei dem im Jahre 1776 entstandenen Hause Wallgäßchen 7, das mit seiner Hauptfront nach der Königstraße gerichtet ist. Letzteres gehört aber seinen Architekturformen nach schon der klassizistischen Richtung an.

Außer den soeben beschriebenen haben sich noch einige weitere sehr schöne Barockhäuser in der Neustadt erhalten. Ganz im Geiste Pöppelmanns und vermutlich von ihm selbst erbaut ist das sehr stattliche Wohnhaus Große Klostergasse 2, mit einer Pilasterarchitektur und reich bewegten Kartuschen. Auch die Häuser Alleegäßchen 2 und 5, Rähnitzgasse 19, das, wie das schon genannte architektonisch sehr fein durchgebildete Haus Heinrichstraße 2, dem Ratsmaurermeister Fehre gehörte, sind aus dieser Zeit. In der Hauptstraße ist das in einfachen, aber großen Architekturformen gehaltene Haus 22 vom Jahre 1696 eines der schönsten dieser Straße. Aus gleicher Zeit stammt auch das ähnliche Haus Rähnitzgasse 7. Späteren Jahren gehören die mit schönen barocken Kartuschen versehenen Wohnhäuser Hauptstraße 17 und 19 an. Im Garten des erstgenannten hat sich ein in anmutigen Formen gehaltenes Lusthäuschen mit einem zierlichen Brunnen erhalten. Um 1730 entstanden die Häuser Hauptstraße 26, mit architektonisch betonter Mittelachse und „Gottes Segen“, Hauptstraße 13. Letzteres ist leider im Laufe [52] der Zeiten mehrfach verändert und dadurch verstümmelt worden. Eine etwas nüchterne Lisenenarchitektur finden wir bei dem in den Obergeschossen noch wohlerhaltenen Hause Hauptstraße 15, das wie das Haus Hauptstraße 6, mit seinen kräftigen, ohne Zusammenhang mit den Architekturgebilden angebrachten Rokokoornamenten in die spätere Zeit um 1750 fällt, und an ähnliche Wohnhausschauseiten der Altstadt in der Frauen- und Moritzstraße erinnert. Beachtenswert sind endlich auch die Häuser Große Klostergasse 5 sowie Kleine Meißner Gasse 1 und 3.

[53]

Das bürgerliche Wohnhaus unter dem Einflusse der Palastbauten.

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Es ist eine leider nicht abzuleugnende Tatsache, daß, wie bereits in der Einführung gesagt wurde, in unserer Zeit gute bürgerliche Wohnhausbauten selten angetroffen werden, während früher gerade das Gegenteil der Fall war. Bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts finden wir unter den uns überlieferten Wohnhausbauten so gut wie keine schlechten Beispiele, die Wohnhausarchitektur stand vielmehr damals künstlerisch auf so hoher Stufe, daß sie noch heute für uns vorbildlich sein kann. Es ist für jeden Architekten und in solchen Dingen Erfahrenen ein großer Genuß, die bis in alle Einzelheiten durchdachten und abgeklärten Grundrisse wie die fein durchgebildeten Schauseiten der Wohnhausbauten des achtzehnten Jahrhunderts zu betrachten und zu studieren. Wer aber Gelegenheit hat, die geistlosen und sehr oft nur vom Gesichtspunkte der Gewinnsucht verständlichen Grundrisse der meisten Wohnhäuser unserer Zeit mit ihren nachträglich dazu gezeichneten und gewissermaßen nur vorgestellten Schaufeiten öfter zu Gesicht zu bekommen, möchte bezweifeln, daß es überhaupt noch eine Architektur gibt.

Wie wir heute kaum von einer Baukultur sprechen können, so mangelt es auch vollkommen an einem brauchbaren Wohnhaustypus, an dem man festhalten könnte, um ihn durch weiteren Ausbau und ein vertieftes Studium im Laufe der Jahre mehr und mehr zu vervollkommnen. Unsere Bauten sind alles andere, nur keine Kunstwerke, während früher jeder tüchtige und rechtschaffene Maurer- oder Zimmermeister imstande [54] war, einen architektonisch einwandfreien Bau zu errichten, wenn er nur den von der ganzen Generation gepflegten und allgemein anerkannten künstlerischen Überzeugungen folgte, oder mit anderen Worten gesagt, wenn sein Werk der Tradition entsprach. Diese baukünstlerische Überlieferung ist uns im neunzehnten Jahrhundert verloren gegangen. Die Architektur hat wie ein vom Sturme getriebenes hilfloses Schiff den sicheren Kurs verloren und folgt jeder vom Zeitgeschmack für gut gehaltenen Richtung.

So ist der größte Mangel unserer Baukunst das Fehlen jeder künstlerischen Auffassung bei der inneren und äußeren Gestaltung unserer Baulichkeiten. Nur wenn dem schaffenden Architekten eine klare räumliche Vorstellung des ganzen Bauwerkes im Geiste vorgeschwebt hat, wird er eine gute künstlerische Leistung zuwege bringen. Denn die Architektur ist in erster Linie eine Raumkunst, das ist die Fähigkeit, Innen- und Außenräume nach gewissen architektonischen Grundsätzen zu gliedern. Welche räumliche Vorstellung können wir uns aber von einem heutigen Wohnhause oder etwa vom Innern einer modernen Mietwohnung machen? In den meisten Fällen gar keine! Die Baukünstler des achtzehnten Jahrhunderts dagegen gingen bei ihren Arbeiten stets von dieser räumlichen Vorstellung aus. Die regelmäßige Durchbildung des Innenraumes und damit des ganzen Grundrisses war für sie ebenso wichtig wie die Gestaltung der Schauseite. Nach den insbesondere durch Jacques François Blondel vertretenen Lehren der französischen Bauakademie wurde zuerst jeder Einzelraum als ein in sich abgeschlossenes harmonisches Ganzes behandelt, und in der Folge der Grundriß wieder als eine wohlgeordnete Zusammensetzung vieler solcher Räume weitergebildet. So war der Grundriß allein schon ein Kunstwerk, dessen äußere Verkörperung eine ebenfalls nach bestimmten Regeln der Architektur entwickelte Schauseite bildete.

Wie Blondel gingen auch Briseux und Boffrand von den gleichen Grundsätzen aus, die wieder deutsche Architekten, so Sturm und Fäsch, in ihre Lehrbücher aufnahmen. Wir sahen, daß in Dresden neben Zacharias Longuelune besonders Knöffel in seinen Bauten den französischen Geschmack zum Ausdruck brachte. La bienséance und la commodité, die Hauptforderungen Cordemoys und Blondels, waren hierbei die leitenden Gesichtspunkte. Infolge der wesentlich gesteigerten Anforderungen inbezug auf die Anzahl [55] und Größe der Räumlichkeiten, wie ihre bequeme Verbindung untereinander kam man jetzt mit dem schmalen Typus des bürgerlichen Wohnhauses der Gotik und der Renaissance mit Vordergebäude, Seitenflügel und Hinterhause nicht mehr aus, sondern ging dazu über, breitere Baustellen zu wählen und diese von allen vier Seiten zu umbauen, so daß in der Mitte ein regelmäßiger Innenhof entstand. Dieser ist ebenfalls architektonisch gegliedert und sehr oft in der Hauptachse mit einer Brunnenanlage geschmückt. Die Sitte der damaligen Zeit verlangte, daß die Gesellschaftsräume, das Speise- und Besuchszimmer an der Straße lagen, während in den Seitenflügeln die Schlafzimmer, Wirtschaftsräume und Nebengelasse für die Dienerschaft angeordnet wurden. Die Festräume mußten untereinander verbunden sein, kleine Garderoben und Aufenthaltsräume für die Dienerschaft wurden um die Haupträume herum gruppiert und mit besonderen Zugängen versehen, so daß die Herrschaft mit der Bedienung möglichst wenig in Berührung kam.

Die Zimmer selbst hatten eine vornehme Ausstattung. Ihre Wände waren mit Stoff bespannt, der Fußboden sehr oft mit getäfeltem Parkett versehen. Den unteren Teil der Wand schmückte meist noch eine Holzverkleidung. Die Höhen der Zimmer waren bedeutende, das Baureglement vom Jahre 1720 bestimmte für Häuser an breiteren Straßen 4,5 bis 5 Meter Stockwerkshöhe, die bei kleineren Bauten bis auf 3,50 und 3,20 Meter herabging. Da das Reglement aber außerdem im Interesse des Städtebildes die Hauptsimshöhen regelte und allzuhohe Gebäude untersagte, konnte das oberste Geschoß meist nur als Mezzanin ausgebildet werden.

Genau vorgeschrieben war auch die Behandlung der Decken, die nicht mehr wie früher mit Leinwand bespannt werden durften, sondern geputzt werden mußten. Sie sind in vornehmeren Wohnhäusern mit angetragenen Stuckrosetten versehen. Die Schlafzimmer waren selten mit Bettnischen ausgestattet, man benutzte fast durchgängig dunkle Alkoven zum Aufstellen der Betten. In gesundheitlicher Beziehung hatte man dagegen keine Bedenken, wie man auch an die Bemessung der Innenhöfe keine hohen Anforderungen stellte, sondern sich oft mit einer Fläche von 8 bis 10 Quadratmetern begnügte. Ebenso war die Anlage der Aborte sehr mangelhaft.

[56] Die Schauseiten wurden jetzt einfacher, sind aber in der architektonischen Behandlung der Einzelheiten und der Anordnung wie Ausführung der Ornamente mustergültig. Die Erker verschwanden um diese Zeit mehr und mehr und waren nur noch an Eckwohnhäusern üblich, wobei sie stets die Hausecke einnahmen.

Kleine Brüdergasse 19, Grundriß des
Erdgeschosses.

Die Anordnung der Räume eines Bürgerhauses in damaliger Zeit zeigen die in der beschreibenden Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen abgebildeten Grundrisse des leider abgebrochenen Hauses Kleine Brüdergasse 19. Die einzelnen Räume gruppieren sich um einen in den Ecken abgerundeten Innenhof, zu dem im Erdgeschoß eine breite Durchfahrt führt. Rechts von ihr liegen die dreiarmige Treppe, im hinteren Teile des Hauses Aborte, Pferdeställe und Niederlagsräume. Die Obergeschosse haben an der Straße drei größere Zimmer, deren Verbindungstüren nahe den Fenstern angeordnet sind, um mehr Möbel aufstellen zu können und eine stärkere räumliche Wirkung der Zimmer zu erreichen. Ein weiteres typisches Beispiel mit ähnlicher Behandlung des Grundrisses ist das Haus Frauenstraße 7, das außer der Haupttreppe noch eine kleine Nebentreppe für die Dienerschaft aufweist. Die Grundrisse dieses Hauses sind gleichfalls in dem oben erwähnten Werke über die Bau- und Kunstdenkmäler abgebildet. Auch die Häuser Große Klostergasse 4 und Moritzstraße 4 sind von gleicher Grundrißeinteilung.

Es haben sich aus jener Zeit mehrere größere Wohnhausbauten erhalten, die im Charakter der Palais unter August dem Starken erbaut sind. Seine glänzende [57] Hofhaltung wurde vom Adel nachgeahmt, und es entstanden zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts mehrere vorzüglich ausgebildete Palais in Dresden, die noch heute eine Zierde der Stadt bilden. So erbaute sich der Oberhofmarschall Graf Pflugk in der Landhausstraße an der Stelle des heutigen Landhauses ein Palais nach Entwürfen des durch seine schriftstellerische Tätigkeit bekannten Architekten Johann Rudolf Fäsch, das später

Kleine Brüdergasse 19, Grundriß der Obergeschosse und geometrische Ansicht der Schauseite.

wiederholt in anderen Besitz überging. Im Jahre 1714 erwarb es der Graf Flemming, 1724 Friedrich August I., der es dann wieder dem Grafen gegen das von Pöppelmann erbaute alte Holländische Palais überließ. Doch gelangte das Palais wieder in den Besitz des Hofes und wurde darauf durch Knöffel umgebaut. Weitere Werke Knöffels sind das beim Bau des Ständehauses abgebrochene umfangreiche Brühl’sche Palais in der [58] Augustusstraße mit dem berühmten, in der Kunstgewerbeschule wieder aufgebauten Saal, und das Cosel’sche Palais, das Knöffel für sich selbst im Jahre 1744 erbaute. Die Seitenflügel sind von Schwarze und Hahmann in den sechziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts angebaut.

Knöffel ist auch der Architekt des Gräflich Hoym’schen Palais, Landhausstraße 11, des heutigen Harmoniegebäudes. Dieses besteht aus drei Teilen, dem von Knöffel errichteten Bau an der Landhausstraße, dem Mittelbau von Krubsacius und dem Hause Rampische Straße 16, ebenfalls von Krubsacius. Die Front des Baues an der Landhausstraße ist von großer Schönheit. Sie ist nur durch Lisenen aufgeteilt, die Fenster in den drei mittleren Achsen tragen verzierte Verdachungen, ein im ersten Obergeschoß befindlicher Balkon auf reich geschmückten Konsolträgern faßt diesen als Risalit ausgebildeten Teil der Schauseite zusammen. Zwischen den Lisenen sind einfache Füllungen über den Fenstern und an den Brüstungen eingefügt. Die Tore zeigen schön geschnitztes Holzwerk mit Rokokoornamenten.

In der Achse des nach der Landhausstraße liegenden Hofes befindet sich eine wertvolle Brunnenanlage (Taf. XV), vermutlich ein Werk des Bildhauers Knöfler. Der Brunnen ist in eine im Rundbogen geschlossene Nische mit Schlußstein und darüber befindlichem Muschelwerk eingebaut. Auf einer Felsengruppe spielen Kinder mit einem Delphin, der Wasser speit. Im Hintergrunde der Nische ist ein Kranz mit Palmen sichtbar. Über dem Brunnen sitzt ein kleiner Balkon mit einem kunstvollen schmiedeeisernen Gitter. Der in diesem Flügel liegende Saal soll von Gottfried Semper im neunzehnten Jahrhundert umgebaut worden sein.

Wir lernen an diesem Bau zum ersten Male Krubsacius (1718–1790) kennen, einen der ausgezeichnetsten Architekten der nachfolgenden Zeit. Sein bedeutendstes Werk in Dresden ist das Landhaus. Krubsacius vermied in seinen Bauten absichtlich jeden überflüssigen ornamentalen Schmuck, wie er sich denn auch mit scharfem Tadel gegen die freie Behandlung der Schauseiten in den Zeiten des Barock und Rokoko wendete. Seine Bauten sind von ernster und schwerfälliger Wirkung, es fehlt ihnen die an den Pöppelmann’schen Schöpfungen so stark zum Ausdruck kommende heitere Daseinsfreude.

[59] Über Pöppelmann und seinen Zeitgenossen George Bähr ist noch einiges nachzuholen. Jener ist zweifellos auch der Architekt des ehemaligen Rutowsky’schen Palais in der Kreuzstraße und des Brühl’schen Palais in der Großen Schießgasse. Letzteres bildete früher den Abschluß der Moritzstraße und war von hervorragender Schönheit. Es hatte eine zwischen Häusern eingebaute Front von sechs Fenstern, die in den einzelnen Geschossen durch reichgeschmückte Verdachungen paarweise zusammengefaßt waren. Die Schauseite ist eine der schönsten und vornehmsten der Barockzeit. Sie ist im dritten Heft der Kunstdenkmäler Dresdens abgebildet. Leider mußte das Palais im Jahre 1885 beim Durchbruch der König-Johann-Straße abgebrochen werden.

George Bähr (1666–1738) hat uns im Hôtel de Saxe, Moritzstraße 1 b, und dem British Hôtel, Landhausstraße 6, zwei vorzügliche Wohnhausbauten seiner Hand hinterlassen. Beide Gebäude standen früher auf einem Grundstück, das noch 1709 der Familie von Rechenberg gehörte. Dann erwarb es der Reichsgraf Wolfgang Dietrich von Beichlingen und ließ sich von George Bähr, angeblich um seinen Reichtum zu zeigen, die Palais in der Moritzstraße und Landhausstraße, der früheren Pirnaischen Straße, erbauen.

Das Grundstück ging darauf mehrfach in Besitzwechsel über. Es gehörte nacheinander dem Kabinettsminister Peter Robert Taparelli, Grafen von Lagnasco, dem Oberstküchenmeister Adolph Freiherrn von Seifertitz und dem Oberhofjägermeister Karl Ludwig Reichsgraf von Wolffersdorf, der das Haus in der Moritzstraße teilweise verändern ließ. Er verkaufte im Jahre 1752 den an der Landhausstraße gelegenen Teil an den Kurfürstlichen Oberstleutnant von Arnim, den Gatten einer Gräfin Hoym. Die Gebäude wurden jetzt durch eine Brandmauer getrennt. Später erwarb das Grundstück in der Moritzstraße Fürst Heinrich Eugen zu Anhalt-Dessau, der vierte Sohn des „alten Dessauers“. Nunmehr wechselten die Besitzer rascher. Bereits um 1766 wurden Teile des Hauses zu Hôtelzwecken vermietet. Im September des Jahres 1888 eröffnete die Münchner Bierbrauerei „Löwenbräu“ ihre in das Erdgeschoß eingebauten Restaurationsräume.

Auch das Hôtel de Saxe trägt den für die Bauten des achtzehnten Jahrhunderts typischen Charakter im Grundriß und Aufbau. Ersterer verrät in der Anordnung der Festräume, der darum liegenden Nebenräume für die Dienerschaft und ihrer Verbindung [60] mit den im Erdgeschoß befindlichen Wirtschaftsräumen die Genialität des großen Meisters. Außerdem ist die Ausgleichung der schiefen Front durch die verschiedene Tiefe der vorderen Räume und die mehr oder weniger starken Fensternischen bemerkenswert.

Von der in der Mittelachse des Erdgeschosses liegenden breiten Durchfahrt gelangen wir zu einer im rechten Seitenflügel liegenden dreiarmigen Herrschaftstreppe, die einen

Hôtel de Saxe, Moritzstraße 1 b, Grundrisse des Erd- und ersten Obergeschosses.

kleinen noch im Vorderhause liegenden Vorflur hat, um einen geschützten Zugang zu erhalten. Von ihm sind auch die Dienerstube mit einer in das Obergeschoß führenden Nebentreppe und die Wirtschaftsküche mit besonderem Zugange von der Straße aus zu erreichen. Im vorderen Teile der Durchfahrt ist rechts ein kleiner Raum für Niederlagszwecke angeordnet. Auf der anderen Seite liegt die Herrschaftsküche und an der Straße die Wohnung des Hausverwalters. Eine hier eingebaute kleine Treppe [61] läßt vermuten, daß über diesen Räumen ein Mezzanin angeordnet war. Die Wirtschaftsräume stehen wieder durch eine kleine Nebentreppe mit dem im ersten Obergeschoß befindlichen Speisesaale in Verbindung. An den Speisesaal reihen sich ein von der Treppe aus zugänglicher Vorsaal und eine Garderobe mit kleiner Treppe nach dem Erdgeschoß. In den Seitenflügeln sind im Erdgeschoß Ställe und Vorratsräume, darüber Schlafzimmer und Aborte untergebracht. Mehrere kleine Treppen sorgen auch hier für eine bequeme Verbindung der Geschosse untereinander.

Die Schauseite (Taf. XVI) ist eine der hervorragendsten Wohnhausarchitekturen der Barockzeit. Über dem gequaderten Erdgeschoß baut sich eine durch zwei Geschosse gehende korinthische Säulenordnung auf, in deren Fries die Halbgeschoßfenster eingeschnitten sind. Darüber zieht sich ein in barocken Linien geführter Hauptsims, der in der Mitte den mit reichen Schnörkeln und einem elliptischen Fenster versehenen Giebel überdeckt. Schwere Konsolen unterstützen den Hauptsims über den Halbsäulen des Mittelrisalits und den Pilastern der Seitenrisalite. Über den Fenstern der beiden Obergeschosse sind abwechselnd barocke Verdachungen und Reliefs mit Bildnissen römischer Krieger angebracht. Der in der Mittelachse sichtbare Erker ist später eingebaut. Er trägt das Monogramm des späteren Besitzers des Hauses CLGW, Carl Ludwig von Wolffersdorf, und die Jahreszahl 1764. In seiner zierlichen Behandlung verstärkt er die gewaltige Wirkung der Schauseite, die uns die schöpferische Kraft des genialen Erbauers der Frauenkirche verspüren läßt.

Die gleiche Behandlung und Aufteilung zeigt die Front des British Hôtel (Taf. XVII) in der Landhausstraße 6, so daß die Urheberschaft des gleichen Architekten zweifellos ist. Die Formen sind hier etwas gemäßigt, was der ganzen Front einen leichteren und gefälligeren Ausdruck verleiht. Namentlich ist die Anordnung und Profilierung des Hauptsimses glücklicher, auch ist der ornamentale Schmuck in den Einzelheiten feiner durchgebildet. Die Mittelachse ist durch einen Balkon im ersten Obergeschoß, kräftigere Verdachungen über den Fenstern und einen Segmentgiebel betont. Die Säulenordnung besteht aus korinthischen Pilastern, die im Mittelrisalit Kannelüren tragen, sonst aber glatt gelassen sind. Das Erdgeschoß ist jetzt stark verändert. Der Grundriß des British Hôtel zeigt annähernd die gleiche Anordnung der Räume wie der des Hôtel de Saxe.

[62] Beide Gebäude verkörpern in ihrem Äußeren und der Bildung des Grundrisses so recht das Wesen des bürgerlichen Barockhauses. Die Stadt Dresden wird sich ein nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst erwerben, wenn es ihr gelingt, diese ehrwürdigen und prächtigen Wahrzeichen einer dahingeschwundenen hohen Stufe bürgerlicher Baukunst vor weiterem Verfall zu schützen.

Als Erzeugnis einer Schule, die sich die Architektur der vornehmen Palais George Bährs und Knöffels in der Moritz- und Landhausstraße zum Vorbild nahm, muß das Haus Neumarkt 10, jetzt Hôtel Stadt Rom, genannt werden. Dieses Gebäude zeigt den bürgerlichen Wohnhausbau in der höchsten Vollendung, es dürfte kaum in späterer Zeit ein Werk von gleicher Reife in Dresden angetroffen werden. Hasche erwähnt das Haus in seiner umständlichen Beschreibung Dresdens als Boick’sches Eckhaus am Kirchgäßchen. Es soll an der Stelle dreier abgetragener Häuser entstanden sein, was die sehr große Ausdehnung der Baustelle uns bestätigt. Erbaut wurde es nach Hasche im Jahre 1773 vom Mühleninspektor Richter.

Der Grundriß dieses Hauses ist von klarer und vornehmer Anordnung, die alle in damaliger Zeit an eine Wohnung zu stellenden Ansprüche in hervorragender Weise zu befriedigen weiß. Der Haupteingang liegt in der Mitte der am Neumarkt gelegenen Front, das breit angelegte Treppenhaus an der Kleinen Kirchgasse. Die Mitte des Gebäudes nimmt ein regelmäßig ausgebildeter länglicher Hof ein. Vor ihm liegt nach der Seite des Neumarktes ein umfangreicher als Diele ausgebildeter Vorsaal, von dem rechts und links Verbindungsgänge nach den Zimmern der Seitenfronten abzweigen. Die dem Vorsaal gegenüberliegende Seite des Hofes nimmt ein Zimmer ein. Die größeren Räume für Festlichkeiten und Wohnzwecke sind am Neumarkt und an der Moritzstraße angeordnet. Bei allen Zimmern liegen die Türen der Zwischenwände in der Nähe der Fenster und in einer Flucht, so daß die Tiefe der Räume besser ausnutzbar wird, und gleichzeitig die regelmäßige Türanlage eine bessere künstlerische Behandlung der Räume ermöglicht. Die beiden Eckzimmer sind je mit einem Erker ausgestattet. Neben der Treppe befinden sich die Küche und ein Zimmer für die Dienerschaft. Das Haus ist ohne Zweifel für mehrere Familien bestimmt [63] gewesen, wie auch Hasche angibt, daß es „eine große Menge Zimmer in sich begreift“ und „zu Herrschaftlichen Wohnungen eingerichtet“ ist.

Neumarkt 10, Grundriß des ersten Obergeschosses.

Das Äußere (Taf. XVIII) steht der Architektur Knöffels sehr nahe. Wie beim Altstädter Rathaus und dem Cosel’schen Palais sind die drei Obergeschosse durch eine breite Lisenenarchitektur zusammengefaßt, darüber ist ein Halbgeschoß angeordnet. Die Mitte der Front am Neumarkt nimmt eine Vorlage von drei Achsen ein, deren Fenster reichere Verdachungen und Ornamente aus angetragenem Stuck zeigen. Über dem Erdgeschoß sitzt in der Breite der Vorlage auf reich ausgebildeten Konsolträgern ein Balkon mit schönem schmiedeeisernen Gitter. Die Fenster der beiden Achsen neben der Mittelvorlage am Neumarkt wie der Seitenfronten an der Moritzstraße und Kleinen Kirchgasse sind in den Gewänden und Brüstungsfüllungen ganz schlicht gehalten. Die an den Ecken angeordneten Erker sind in ihren Abschlußwänden leicht geschwungen und mit etwas übereck gestellten korinthischen Pilastern versehen. Sie gehen durch drei Geschosse und endigen in einem kleinen Balkon. Zwei Reihen von Dachfenstern beleben das mit Ziegeln eingedeckte Dach.

Auch in städtebaulicher Beziehung ist das Gebäude bedeutungsvoll, da es mit seiner Architektur die südwestliche Seite des Neumarktes beherrscht. Infolge der aus Verkehrsgründen notwendigen Verbreiterung der Kleinen Kirchgasse war das Haus bis vor kurzer Zeit vom Abbruch bedroht; denn es wurde von der Verbreiterungslinie auf der Ostseite des Gäßchens angeschnitten. Bei der im Jahre 1909 vorgenommenen [64] Durchsicht des Bebauungsplanes der Stadt Dresden, die in Rücksicht auf die in wissenschaftlicher wie künstlerischer Beziehung gemachten Fortschritte der Städtebaukunst notwendig erschien, wurde unter anderen auch die östliche Fluchtlinie der Kleinen Kirchgasse aufgehoben, um das Gebäude zu erhalten. So ist zu erhoffen, daß diese Seite des Neumarktes noch lange ihre einheitliche und vornehme Wirkung behalten wird.

Von dem Hause bemerkt schon Hasche, daß es eines der schönsten Gebäude Dresdens ist, ein Urteil, das heute noch in vollem Maße aufrecht erhalten werden kann. Das Gebäude zeigt den Typus des bürgerlichen Wohnhauses früherer Zeiten in höchster Vollendung. Leider verstand das neunzehnte Jahrhundert nicht auf einer so guten Grundlage weiter aufzubauen, sondern ließ sich durch fremde Einflüsse beirren, bis man erst vor einem Jahrzehnt zu der Erkenntnis der hohen Werte kam, die man aufgegeben hatte.

[65]

Das bürgerliche Landhaus.

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Im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts erregte ein Palais, das die Marquise von Rambouillet in der Nähe der Tuillerien sich hatte erbauen lassen, das Entzücken der vornehmen Welt von Paris. Sie führte dabei eine Reihe von Neuerungen im Äußeren und auch in der Einteilung des Grundrisses ein, die von da an für die Einrichtung des französischen Landhauses vorbildlich waren. Diese Änderungen lagen hauptsächlich in der Zusammenfassung aller Räume für gesellige Zwecke und ihrer Anordnung an der Gartenseite des Hauses. Es entstand so eine stattliche Flucht von Zimmern, die bei Festlichkeiten sehr erwünscht ist und auch eine gewisse Vornehmheit ausdrückt. Die geschmackvollen Anregungen in den schöngeistigen Salons der berühmten Marquise und die Gewohnheiten der französischen Gesellschaft im Zeitalter Ludwig XIV. bildeten für das französische Landhaus, das sogenannte Hôtel, ein ganz bestimmtes Schema aus, dem wir in den nächstfolgenden Jahrzehnten immer wieder begegnen. Es kamen weitere Verfeinerungen hinzu, namentlich durch die in die Jahre 1643–1661 fallende Erbauung des Schlosses Vaux-le-Vicomte durch Louis Levau (1612–1670). Dieser führte zum ersten Male den auf die Pracht des Hauses vorbereitenden Vorraum und einen anschließenden größeren ovalen Saal, nach seiner Herkunft „salon à l’italienne“ genannt, ein und legte diese Räume ihrer Bedeutung entsprechend in die Mittelachse des Baues. Seitlich schlossen sich größere Zimmer an, als letztes im linken Flügel das Schlafzimmer mit dem in die Architektur des Raumes [66] einbezogenen Bett. Diese Anordnung wurde für alle weiteren Anlagen maßgebend, die Sitte der Zeit erforderte es, daß die Mitte der Salon einnahm, auf den weitere Räume, die „antichambres“, folgten, während das „chambre de lit“ den Abschluß bildete.

Das letztere wurde mit besonderer Sorgfalt gestaltet. Das Bett stand gewöhnlich in einer prunkvoll ausgebildeten Nische. Zu beiden Seiten waren kleine Kabinette, sogenannte „dégagements“, für die Bedienung und zur bequemen Verbindung mit den übrigen Nebenräumen angeordnet.

In seiner „Distribution des maisons de plaisance“ gibt François Blondel († 1774), der dritte Architekt dieses Namens, eine Reihe von ähnlichen Beispielen. Blondel hielt seit 1750 Vorlesungen über Architektur in Paris, die er zu dem berühmt gewordenen Werke „Cours d’architecture“ zusammenfaßte und 1773 veröffentlichte. In Deutschland führten Leonhard Christoph Sturm (1669–1729), der berühmte Gegner Schlüters, in seiner 1696 erschienenen „Vollständigen Anweisung zu der Civilbaukunst“ und Johann Rudolph Fäsch, in dem „Anderen Versuch seiner architektonischen Werke“ (Nürnberg, Weigel, 1722–1729) den französischen Grundriß ein. Fäsch war Lehrer für Architektur an der Dresdner Ritterakademie, es ist also erklärlich, daß wir gerade in dieser Stadt vorzügliche Beispiele für das dem französischen Hôtel nachgebildete Landhaus finden.

Unter ihnen ist in erster Linie das Palais der Gräfin Mosczinska, geborene Gräfin Cosel, zu nennen, das Julius Heinrich Schwarze in den vierziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts erbaute. Das sehr vornehme und zierlich gehaltene Gebäude stand an der Stelle der heutigen Lindengasse in einem von der Bürgerwiese bis zur Sidonienstraße reichenden großen Garten am ehemaligen Dohnaischen Schlage. Es zeigt im Grundriß nach französischer Sitte in der Mittelachse einen Vorsaal mit dahinterliegendem ovalen Festsaal von wundervoller Durchbildung, wie die in der Bibliothek der Königlichen Kunstgewerbeschule zu Dresden befindlichen Einzelheiten des Palaisinnern erkennen lassen, und daran anschließend beiderseits je ein antichambre und ein chambre de lit. In letzterem waren auch Bettnischen und Degagements angeordnet. Neben dem Vorsaal lag ein großer Speisesaal, an den sich eine Garderobe und eine Nebentreppe anschlossen. [67] Zur Erreichung einer guten Verbindung der Räume untereinander waren die Zwischenwände gegenseitig versetzt, was auch Sturm in dem erwähnten Lehrbuch über die Civilbaukunst empfohlen hat. Das Palais fiel leider im Jahre 1871 der Durchführung der Mosczinskystraße zum Opfer.

Eine ähnliche Schöpfung war das vom Minister Brühl 1751 erbaute alte Belvedère im früheren Brühl’schen Garten auf der Terrasse in Dresden. Auch hier lag in der Mittelachse ein Vorraum mit großem Saal, unter dem sich der in damaliger Zeit besonders beliebte Grottensaal mit Brunnen und gewölbter Decke befand. Der im Äußeren sehr reizvolle Bau wurde 1759 von Friedrich dem Großen zerstört.

Eine kleinere derartige Anlage, die sich in ihren Hauptteilen erhalten hat, ist das oberhalb Dresdens am linken Elbufer gelegene Antons (Taf. XIX). Das Landhaus liegt an einer Allee von prächtigen alten Bäumen und ist von einigen kleineren Wirtschaftsgebäuden und einem großen englischen Parke umgeben. Die einfache Architektur des Hauptbaues kann den Formen nach um 1760 entstanden sein. Das Türmchen mit dem „Belvedère“ und der an der Elbseite sichtbare Balkon sind erst im neunzehnten Jahrhundert hinzugefügt worden.

Die Einteilung des Grundrisses ist eine sehr einfache, zeigt aber doch noch Anklänge an die vorerwähnten Beispiele im französischen Geschmack. Man betritt das Erdgeschoß von der Elbseite aus und gelangt zunächst in einen Vorraum, von dem aus ein nach dem Garten liegender Salon zugänglich ist. Weiter sind ein größerer Speisesaal und einige Nebenräume im Erdgeschoß untergebracht. Das Obergeschoß enthält Wohn- und Schlafräume. Die Ausstattung des Innern ist eine bescheidene, doch zeigen einige Decken zierliche Rokokoornamente und die Türen geschmackvolle Schnitzereien. Das Schlößchen ist seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im Besitze der Familie v. Kaskel. Es ist sehr wünschenswert, daß es in seinem jetzigen Zustande erhalten bleibe, da es mit seiner schlichten Architektur inmitten der schönen alten Bäume einen überaus reizvollen Anblick von der Elbe aus bietet.

[68]

Ludwig Richters Geburtshaus.

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Nach dem Sturze des Ministers von Einsiedel im Jahre 1830 zog mit seinem Nachfolger, von Lindenau, neues Leben in die Residenz Dresden ein. Die Stadt erinnerte sich ihres alten Ruhmes als Pflegestätte der schönen Künste. Der neue Minister erkannte, daß die Dresdner Kunstakademie einer umfassenden Reform bedurfte, und begann junge Künstler an die Stelle der veralteten Lehrer heranzuziehen. Die Bildhauer Ernst Rietschel und Ernst Hähnel wurden berufen, später die Architekten Gottfried Semper und Thürmer. Als Nachfolger seines Vaters, der noch nach der längst überwundenen Schule Zinggs Landschaftsunterricht gab, wurde der dreiunddreißigjährige Maler Ludwig Richter angestellt. Zu diesen Kräften gesellten sich bald die Düsseldorfer Maler Hübner und Bendemann sowie der Münchner Meister Julius Schnorr von Carolsfeld[WS 1].

Alle diese Künstler wirkten in bedeutendem Maße auf das Dresdner Kunstleben ein, die Stadt schien sich noch einmal wie im vergangenen Jahrhundert zu strahlender Blüte zu entfalten, da traten die Wirren der Revolutionsjahre dazwischen. Semper hatte das Theater und die Gemäldegalerie vor dem Zwinger erbaut, die Bildhauer Rietschel und Hähnel stellten prächtige Denkmäler in Dresden auf, und die Malerei hatte einen hohen Aufschwung genommen. Aber wenn wir die Gestalten jener Zeit an uns vorüberziehen lassen, ist es besonders Ludwig Richter, dessen Wirken so recht zum Herzen spricht, und dessen Kunst heute im besten Sinne volkstümlich genannt werden kann. Wir alle kennen von klein auf seine entzückenden Holzschnitte [69] mit Darstellungen aus dem Leben der Kinder, seine Gemälde haben uns so oft schon erfreut, wie auch seine Lebenserinnerungen eines deutschen Malers uns manche Stunde heiteren Genusses bereitet haben.

Wer sich aber noch eindringlicher in die Erinnerung an diesen liebenswürdigen Künstler vertiefen will, der besuche außer dem ihm gewidmeten Zimmer im Dresdner Stadtmuseum auch sein Geburtshaus in der Friedrichstadt. Inmitten eines prächtigen alten Gartens, der uns mit seinen Lauben und stillen Plätzchen in die Zeit versetzt, da der Großvater die Großmutter nahm, steht auf dem Grundstück, Friedrichstraße 44, weitab vom Straßenlärm ein Gartenhaus (Taf. XX), in dem Ludwig Richter am 28. September 1803 geboren wurde. Das schlichte Haus wurde nach den Bauakten im Jahre 1842 vom Oberappellationsgerichtscanzlist Weiser erworben und im oberen Geschosse umgebaut. Es besaß vordem noch bescheidenere Räume und geringere Fensteröffnungen. Der jetzige Zustand, namentlich im oberen Geschosse, gibt demnach nicht ganz das Bild der Räume in Ludwig Richters Kinderzeit wieder. Später erwarb das Grundstück der Kammermusikus Friedrich Wilhelm Müller, darauf der Bürgermeister a. D. Wilhelm Fischer. Jetzt ist es im Besitz der Familie Lax.

Die Eltern haben das bescheidene Gartenhaus nur in den ersten Jahren ihrer Verheiratung bewohnt, wie uns Ludwig Richter in seinen Lebenserinnerungen berichtet. Sie zogen später weiter in das Innere der Stadt, auf die äußere Rampische Gasse, da der Vater von dort aus einen näheren Weg in das in der Moritzstraße gelegene Atelier Zinggs hatte. So knüpfen sich an das Haus zwar keine weiteren Jugenderinnerungen Richters, doch besitzt es für uns als sein Geburtshaus einen großen geschichtlichen Wert. Es war lange Zeit unbekannt, wo Ludwig Richter in Dresden geboren war. Als der Verein für Geschichte Dresdens zu Ehren des so beliebten Dresdner Künstlers eine Erinnerungstafel an seiner Geburtsstätte anbringen wollte, suchte man vergeblich nach dieser, und mußte die Tafel am Sterbehause Ludwig Richters, Johannesstraße 1, anbringen. Nur durch einen Zufall wurde das Dunkel darüber aufgeklärt. Bei der Prüfung einiger Akten des früheren Ortsrichters der Gemeinde Friedrichstadt, die Exzellenz Geheimer Rat Dr. Fiedler dem städtischen Archiv überlassen [70] hatte, fand Ratsarchivar Prof. Dr. Richter ein altes Gemeindebuch der Friedrichstadt mit einem Einwohnerverzeichnis dieser Vorstadt aus den Jahren 1780 bis 1802. Darin war auch der Kupferstecher Karl August Richter unter Nr. 16 mit angegeben. Dieses Haus, das als „ein im Garten stehendes, mit dem Parterre 2 Etagen hohes Wohnhaus“ bezeichnet wird, ist das vorerwähnte Gartenhaus im Grundstück Friedrichstraße 44.

Da nach dem vor einiger Zeit erfolgten Tode der Frau Lax die Erben an einen Verkauf des Häuschens dachten, regte der Denkmalpflegeausschuß des Vereins für Geschichte Dresdens den Ankauf des Besitztums durch die Stadtgemeinde an. Leider ist jedoch die Erwerbung des Grundstückes vom Rate zu Dresden abgelehnt worden. Das ist im Interesse der Erhaltung der Stätte, wo einer der größten Söhne Dresdens geboren wurde, tief bedauerlich. Es sollten hier nicht wirtschaftliche oder geschäftliche Gründe sprechen, sondern allein das ethische Moment. Was Ludwig Richter für Dresden bedeutete, hat erst kürzlich mit warmen Worten Ferdinand Avenarius in der Einführung der vom Dürerbunde herausgegebenen Volksausgabe von Ludwig Richters „Lebenserinnerungen eines deutschen Malers“ ausgesprochen. Er berührt dabei den Zusammenhang Ludwig Richters mit unserem Volksleben, überhaupt mit dem, was unser ureigenes deutsches Wesen ausmacht. Es wird hierbei von den gleichen Gedanken ausgegangen, mit denen ich dieses Buch eingeleitet hatte, und ich möchte unsere Betrachtungen über die bürgerlichen Baudenkmäler Dresdens mit dem trefflichen Ausspruch von Avenarius in der Volksausgabe von Ludwig Richters Lebenserinnerungen schließen: „Aus dem Boden seiner Vergangenheit hebt sich eines Volkes eigentliches Wesen durch all das Umbilden in regen und stillen Jahrhunderten herauf bis zu dem frischen Heute, das Mutter des fröhlichen Morgen ist. Aber nur dann kann der Baum saftreich im Wipfel treiben, wenn das Geäder von den Wurzeln her ununterbrochen zusammenhängt.“

[71]

Schlußbetrachtung.

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Eine aufmerksame Betrachtung der bürgerlichen Baudenkmäler Dresdens und die ernsthafte Beschäftigung mit der Entwicklung des Wohnhausbaues dieser Stadt, wie sie in den hauptsächlichsten Zügen in der vorliegenden Schrift zu schildern versucht wurde, gibt uns in vielen Beziehungen sehr lehrreiche Aufschlüsse. Es ist nicht nur ein Gefühl der Freude und des Genusses am Schönen, das wir beim Anblick solcher Baudenkmäler empfinden, oder die Ehrfurcht vor ihrem geschichtlichen Werte, die uns bannt, es spricht aus ihnen auch noch die Lebensart längst verblichener Geschlechter zu uns, es tritt uns die Verkörperung eines dahingegangenen Menschentums entgegen. Das Wesen der Architektur ist mit der Lehre von der äußeren und inneren Ausbildung der Räume nach den Grundsätzen der Technik und Ästhetik noch nicht erschöpft, in letzter Linie ist die Baukunst wie alle bildenden Künste eine Ausdrucksform der gesamten Kultur eines Volkes. Diese Form wird sich aber erst dann zu künstlerischer Reife ausbilden können, wenn sie auf schöpferischen Regungen des breiteren Volkslebens beruht, wenn die künstlerische Gestaltung der Wohnung und ihrer Geräte ein Lebensbedürfnis des Bürgers geworden ist. Eine solche Kunst wird auch stets ein nationales und heimatliches Gepräge tragen, wird aber auf dieser landschaftlichen und bodenständigen Grundlage durch ihre starken Lebensäußerungen so charakteristisch und eigenartig zu Tage treten, daß sie uns als eine neue und durchaus selbständige Kunstform erscheint.

[72] Diese Art der Kunst, aus inneren Erlebnissen und Notwendigkeiten geschaffen, tritt uns in den alten Wohnhausbauten Dresdens entgegen und macht uns diese noch besonders wertvoll. Wie wir in der bis ins Ungeheuerliche gesteigerten Monumentalität der Pyramiden die machtvollen Dynastien ägyptischer Herrscher verkörpert sehen, wie uns das heitere und abgeklärte Wesen des griechischen Volkes in seinen sonnigen Tempeln entgegenleuchtet, oder die prächtige Hofhaltung eines August des Starken im Zwinger sich uns vergegenwärtigt, so redet hier ein gutes Stück Dresdner Bürgergeschichte zu uns, das auch der heutigen Generation lieb und wert sein sollte.

Das bürgerliche Wohnhaus und seine innere Einrichtung war in früheren Zeiten durchdrungen vom Geiste seiner Bewohner, die Gestaltung der Räume entsprach den Lebensbedürfnissen, die gesteigerte oder verminderte Wohlhabenheit des Bürgerstandes drückte der äußeren Architektur einen gewissen Stempel auf. Es bestand eine starke innerliche Einheit in allen Dingen, die sich ebensosehr in den Gewohnheiten des Volkes, in der Arbeit des Handwerkers, wie im gesellschaftlichen Leben und in den Werken der Künstler aussprach.

Heute ist von alledem so gut wie nichts mehr vorhanden. Der gegen das Ende des neunzehnten Jahrhunderts mehr und mehr überhand nehmende Kapitalismus mit allen seinen ungesunden Nebenerscheinungen, vor allem dem gesteigerten Materialismus und Intellektualismus hat eine Verflachung unserer Kultur und demzufolge einen Niedergang aller bildenden Künste, insbesondere aber der Architektur zur Folge gehabt. Die charakterlose und in den meisten Fällen nur auf den materiellen Gewinn bedachte Zeitgesinnung spricht sich nicht nur in unserer monumentalen Architektur, sondern in erster Linie in dem heutigen bürgerlichen Wohnhausbau aus. Dazu kommt das Hasten unserer Zeit, das in den meisten Fällen ein Vertiefen in die zu erfüllenden Bauaufgaben unmöglich macht und jedes liebevolle Eingehen auf Einzelheiten verhindert. So steht der Bau als ein unfertiges Ganzes da und als eine Folge von Kompromissen zwischen dem Bauherrn und dem Architekten.

Die Architektur, wobei wir diesen Begriff als Baukunst im weitesten Sinne des Wortes fassen wollen, war bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts noch eine nur vom Baukünstler oder dem fachlich gebildeten Maurermeister geübte, auf Jahrhunderte [73] lange Überlieferungen gestützte Kunst. Im Laufe der Zeiten gesammelte Erfahrungen und ein tüchtiges Können vererbten sich von Generation zu Generation; aus den Forderungen des täglichen Lebens heraus entwickelte sich eine Kunst, die, wie wir bei unseren Betrachtungen gesehen haben, in ihren räumlichen Grundgedanken und Stilformen der natürliche Ausdruck der Zeit war. Ein gut geschulter und solider Handwerkerstand trat dem Architekten unterstützend zur Seite, mit Gefühl und Verständnis für die gegenseitigen Leistungen ordnete sich einer dem anderen unter. So entstanden harmonische Gebilde von klarer und zweckbewußter Raumgestaltung und einer vollendeten Abgeglichenheit der Formen, die mit ihrer Umgebung gleichsam verwachsen erschienen und dem Auge des Beschauers eine innere Freude, einen ästhetischen Genuß gewährten.

Dieses Bild hat sich heute vollkommen verändert. Die Verschiebungen im sozialen und wirtschaftlichen Leben haben auf allen Gebieten bedeutende Umwälzungen hervorgerufen. Der gleiche Vorgang, der sich im Erwerbsleben durch die Einführung der Maschine und der fabrikmäßig hergestellten Ware abspielte, hat auch in der Baukunst eine Marktware hervorgebracht, die wie alle für den Massenabsatz bestimmten Dinge schablonenmäßig und ohne Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse hergestellt wird. Es ist die Bauspekulation entstanden, die Häuser nicht auf Bestellung, sondern zum Verkauf herstellt. Es liegt also dem Bauen im Vergleich zur früheren Zeit eine andere Absicht zugrunde, und zwar nicht wie sonst die „Kunst“, sondern das „Geschäft“. Diesen Unterschied müssen wir uns klar machen, um das Wesen unserer heutigen Architektur besser verstehen und beurteilen zu können. Die Bauspekulation an und für sich ist eine folgerichtige Erscheinung unserer Zeit, sie ist eine gewisse Notwendigkeit, da bestimmte Kreise von Menschen unmittelbar auf sie angewiesen sind. Unerfreulich ist es aber, daß die Bauspekulation sich in den seltensten Fällen der Architekten bedient, die künstlerische Seite also ganz vernachlässigt, und daß das Publikum solchen Dingen gedankenlos gegenübersteht. Es gibt heute in allen Städten eine Reihe gut geschulter Architekten, die oft mühsam ihren Erwerb sich suchen müssen und jederzeit gern ihr Können in die Dienste der Bauspekulation stellen würden. Die Häuser könnten auf diese Weise nicht nur praktischer und schöner, sondern auch vor allen Dingen billiger hergestellt [74] werden, da namentlich in der Baukunst der Rat eines erfahrenen Fachmannes niemals zu teuer bezahlt wird.

Nun wird aber von der Bauspekulation entgegnet werden, daß die breite Masse des Publikums mit den heutigen Leistungen der Baukunst zufrieden ist, daß sich die bereitgestellten Wohnungen sofort vermieten, und die Mieter sich in ihnen wohlfühlen. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem Mangel an Geschmack, der sich heute ebenfalls als Feind einer guten Architektur erweist. Es gilt also, den künstlerischen Geschmack der Allgemeinheit zu vertiefen, die nicht alles gedankenlos hinnehmen soll, was heute als Architektur aufgetischt wird.

Zur Läuterung unseres Kunstgeschmackes ist aber in erster Linie die Pflege der künstlerischen Tradition notwendig. Alles Neue in der Kunst formt sich aus dem Alten. Wie in der Natur sich eines auf dem anderen aufbaut und nichts Sprunghaftes geschieht, so kann auch im Reiche der Kunst nur aus der Vergangenheit für die Zukunft geschöpft werden. Unser Kunstempfinden kann sich nur entwickeln durch die Betrachtung guter alter Bauwerke und die Versenkung in die Schönheiten der Natur und Kunst aller Zeiten. Erst wenn wir ein gefestigtes inneres Schönheitsgefühl besitzen, können wir den Bauaufgaben unserer modernen Zeit gerecht werden und sie so erfüllen, daß die Bauten ein Spiegelbild unserer Kultur mit allen ihren Erscheinungsformen werden.

Es ist gewiß kein Zufall, daß Frankreich, das Land des guten Geschmackes, auch die frühesten Denkmalpflegegesetze besitzt, und als das klassische Land der Denkmalpflege gilt. Es hat zuerst den kulturgeschichtlichen Wert der Baudenkmäler erkannt und ist in dem Denkmalschutzgesetze vom 30. März 1887 vorbildlich für die ganze moderne Denkmalschutzgesetzgebung geworden. Italien, das schon in der römischen Kaiserzeit und durch päpstliche Erlasse im Sinne der Denkmalpflege tätig war, folgte nach, und in Deutschland haben die meisten Bundesstaaten im letzten Jahrzehnt gesetzgeberische Maßregeln zum Schutze der Bau- und Naturdenkmäler erlassen. Das Königreich Sachsen hat am 10. März 1909 ein solches Gesetz erhalten.

Dieses Gesetz sieht nach § 3 in ähnlicher Weise wie das preußische Gesetz den Erlaß besonderer Ortsgesetze vor. Für die Stadt Dresden, die, wie wir gesehen haben, [75] eine große Anzahl hervorragender bürgerlicher Baudenkmäler besitzt, ist ein solches Gesetz in Vorbereitung, für das der Verfasser dieser Schrift im Auftrage des Baupolizeiamtes des Rates zu Dresden einen Entwurf bearbeitete. Es bezweckt den Schutz der Eigenart und Schönheit des Städte- oder Straßenbildes, insbesondere nach der geschichtlichen, künstlerischen oder landschaftlichen Seite und soll weiter ermöglichen, daß die bedeutendsten bürgerlichen Baudenkmäler möglichst in ihrer jetzigen Gestalt erhalten bleiben, indem es bauliche Veränderungen an ihnen nur soweit gestattet, als es mit der Architektur dieser Gebäude zu vereinbaren ist. Es ist das im Vergleich zu den Maßnahmen anderer Staaten eine außerordentlich milde Form des Gesetzes. Geht doch Frankreich durch die Klassierung, die durch Eintragung der Denkmäler in eine Liste geschieht, bedeutend weiter, ebenso Italien, das sich sogar ein Vorkaufsrecht an privaten Denkmälern gesichert hat. Die Klassierung, die in Frankreich nur mit Einwilligung des Eigentümers geschehen kann, zieht die Genehmigungspflicht bei Veränderungen und namentlich bei der Beseitigung nach sich.

Aber die Bedeutung solcher Gesetze ist mit der Erhaltung des Alten nicht erschöpft, sondern beruht letzten Endes auch in der Einwirkung auf die Gestaltung neuer Bauwerke. In der neuzeitlichen Baukunst Wandel zu schaffen soll als das höchste und letzte Ziel aller Denkmalpflege und Heimatschutzbestrebungen angesehen werden. Denn die Erhaltung des Alten soll uns kräftigen für die Gestaltung des Neuen, es gilt neue Kulturwerte zu schaffen, die sich den vergangenen als ebenbürtig erweisen.

Hierzu werden die Denkmalpflege- und Heimatschutzgesetze zwar den Boden ebnen, aber es wird weiterer Maßnahmen bedürfen, um die innere Einheitlichkeit und die stille Größe für unsere Kunst wiederzugewinnen. Wir hatten gesehen, daß in früheren Zeiten die Fürsten um die Pflege der Kunst und die architektonische Gestaltung ihrer Residenzstädte unablässig bemüht waren, daß sie die allgemeine Bildung und den künstlerischen Geschmack in solchen Dingen zu heben suchten. Heute hat in vieler Beziehung das Gemeinwesen die Rolle jener Fürstlichkeiten übernommen, es wird darauf bedacht sein müssen, daß der Ausbau der Städte sich nicht nur nach wirtschaftlichen, verkehrstechnischen und gesundheitlichen Gesichtspunkten, sondern besonders auch [76] nach künstlerischen Grundsätzen vollzieht. Wie in früheren Zeiten wird es umfassender Vorbereitungen und Maßregeln von technischer Seite bedürfen, um das Gebilde der modernen Stadt in dieser Beziehung zu verbessern. Eine Reform unserer Baugesetzgebung, die einen größeren Einfluß des Architekten gegenüber der Bauspekulation sichert und einer mißbräuchlichen Ausnutzung des Grund und Bodens vorbeugt, wird damit Hand in Hand gehen müssen. Ferner sind den Architekten in künstlerischer Beziehung größere Freiheiten zu verschaffen, soweit es im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen möglich ist, während gegen minderwertige Kräfte weitergehende Einschränkungen vorzusehen sind. Hierbei soll aber nicht etwa eine Erweiterung, sondern im Gegenteil eine Vereinfachung unserer Bauordnungen angestrebt werden, da gerade auf diesem Gebiete die einfachste Fassung des Gesetzes auch die beste ist. Es wird vielleicht eine schärfere Trennung der zum Schutze nachbarlicher Rechte nötigen Bestimmungen und der in künstlerischer Beziehung zu erlassenden Vorschriften eintreten müssen, weil ihre Verbindung in vielen Fällen zu Einförmigkeiten im Bauwesen führt. Die Bauprojekte an hervorragenden Stellen sind einer eingehenden Prüfung in städtebaulicher und künstlerischer Beziehung zu unterwerfen, die zweckmäßig von einer aus Architekten und anderen Künstlern zusammengesetzten Kommission vorzunehmen ist. Diese soll ebensosehr auf die schöne Gestalt der bürgerlichen wie der Monumentalbauten bedacht sein.

Alle diese Maßregeln aber sind nur abwehrender Natur, während das eigentlich Fördernde für unsere Baukunst auf anderen Gebieten zu suchen ist. Denn es gilt von Grund aus dem Übel abzuhelfen, indem wir auf die Allgemeinheit einwirken, um sie wieder für höhere Kulturwerte empfänglich zu machen. Das aber können wir am besten tun, wenn wir Rückschau halten in unserer Heimatstadt, wenn wir uns in jene Zeiten vertiefen, da Kunst und Leben, Ideal und Praxis sich zu einer Kultureinheit verbanden und Werte schufen, die in Form und Gedanken ein Ebenbild des Volkslebens waren. Nur wenn wir an die Vergangenheit anknüpfen und das fortsetzen, was so kraftvoll begonnen wurde, können wir wieder zu einer guten deutschen Wohnhauskunst gelangen.


Druck von C. Heinrich, Dresden-N.



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Anmerkungen (Wikisource)