Auf daß sie alle eins seien/Briefe von 1891–1909 (Rektor Hermann Bezzel)

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Auf daß sie alle eins seien
Briefe von 1909–1918 (Rektor Wilhelm Eichhorn) »
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Briefe aus der Zeit der Zusammenarbeit mit Rektor Bezzel 1891–1909


Aus der Chronik des Mutterhauses


1891 18. 8. Wahl von Dr. Hermann Bezzel zum Rektor der Diakonissenanstalt.
Die Muttergesellschaft beschließt den Ankauf von Bruckberg.
1891 4. 10. Einführung des neuen Rektors.
1891 15. 10. Einweihung des Isolierhauses.
1891 Einweihung des neu erbauten Ostflügels am Mutterhaus.
1891 31. 12. Ankauf des „Prinzenbaues“ in Himmelkron für die Industrieschule.
1892 2. 5. Einweihung der Pflegeanstalt Bruckberg. – Übersiedlung der männlichen Pfleglinge von Polsingen nach Bruckberg. Polsingen wird weibliche Pflegeanstalt.
1892 12. 10. Einweihung der Industrieschule in Himmelkron. Erste Hausmutter Schwester Elisabeth Meyer.
1893 12. 5. Übernahme der von Pfarrer Langheinrich gegründeten Blödenanstalt im ehemaligen Kloster in Himmelkron.
1893 13. 10. Eröffnung der Brüderschule.
1894 2. 4. Anstellung eines Vikars (Max Reiser, Pfarrer 1909–1930).
1894 3. 6. Einführung des ersten Hausgeistlichen in Bruckberg (Weishaupt 1894–1907, Eichler 1907 bis 1923).
1894 14. 8. Beginn der Filiale Obernzenn mit Eröffnung des Erholungshauses, jetzt Frauenstift. Erste Hausmutter Schwester Margarete Ries.
1894 1. 12. Eröffnung der Bahnlinie Wicklesgreuth–Windsbach.
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1895 18. 8. Pfarrer Zinck tritt an Stelle von Pfarrer Langheinrich in Himmelkron.
1895 18. 9. Aussendung der ersten Missionsschwestern nach Indien: Schwester Auguste Hensolt und Schwester Emma von Soden.
1895 6. 12. Einweihung der Kinderschule.
1897 18. 7. Konrektor Draudt nimmt Abschied.
1897 28. 8. Konrektor Schattenmann tritt an seine Stelle (1897–1917).
1897 31. 8. Einweihung der Friedhofskapelle.
1897 25. 10. Ankauf des Hofgutes Jakobsruhe.
1898 10. 5. Einweihung des Erweiterungsbaues am Hospiz.
1898 Eröffnung des Handarbeitslehrerinnen-Seminars in Himmelkron.
1899 – 1901 Neubau der Dorfkirche.
1900 25. 11. Einweihung des Pflegehauses für halbe Kräfte in Oberzenn (Marienheim).
1900 30. 9. Einweihung des Brüderheims.
Erste Brüdereinsegnung.
1901 15. 9. Beginn der Lehrerinnenausbildung. Berufung von Inspektor Haffner als Leiter des Seminars (1901–1917).
1901 16. 9. Eröffnung der Zeltnerschule in Nürnberg.
1901 31. 10. Einweihung des Hauses II in Bruckberg.
1902 1. 6. Einweihung des Erholungshauses Jakobsruhe.
1903 11. 3. Schloßgut Polsingen wird käuflich erworben.
1903 15. 5. Einweihung des Waldheims bei Obernzenn.
1903 1. 9. Einweihung des Schulhauses. Umzug der Schulen vom Mutterhaus ins Schulhaus.
1904 9. 5. 50jähriges Jubiläum der Diakonissenanstalt.
1904 10. 11. Rektor Bezzel wird Doktor der Theologie.
1904 22. 11. Einweihung des Frauenheims in Obernzenn.
1905 Telephonanlage in Dettelsau.
1905 12. 9. Einweihung des Betsaals der Pflegeanstalt.
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1906 4. 11. Eröffnung des Kinderlehrerinnenkurses.
1906 Renovierung der Kirche.
1907 4. 4. 50jähriges Diakonissenjubiläum von Frau Oberin.
1907 15. 9. Pfarrer Justus Götz wird als erster Brüderpfarrer eingeführt (1907–1939).
1908 Anfänge des Diakonissenhauses Hensoltshöhe.
1909 1. 1. Einweihung des Krankenhauses.
1909 6. 7 Rektor Bezzel wird zum Präsidenten der Landeskirche berufen.
1909 25. 7 Letzte Einsegnung.
1. 8. Abschied.


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Einführung

 Es war klar, daß als Nachfolger von Rektor Meyer ein Pfarrer der Landeskirche gewählt werden müsse, der schon in seiner Person die lebensvolle Verbindung mit der Landeskirche und ihren Gemeinden gewährleiste und damit das wachsende Werk vor Isolierung bewahre.

 Die Wahl fiel auf Dr. Hermann Bezzel, den Inspektor des evangelischen Alumneums in Regensburg.

 Bezzel war in den Dettelsauer Kreisen ein bisher unbekannter Mann. Geboren am 18. Mai 1861 als Sohn eines fränkischen Pfarrhauses, hatte er Theologie und Philologie zugleich mit vorzüglichem Erfolg studiert. Aus innerster Überzeugung war er der von Löhe gegründeten „Gesellschaft“ beigetreten. Er hatte auch ein paarmal Neuendettelsau besucht, ohne dem Werk und dessen leitenden Persönlichkeiten näherzutreten. Der damalige Konrektor Draudt, der bei einem gelegentlichen Besuch aufmerksam auf ihn geworden war, wies nachdrücklich auf ihn hin, und das Kirchenregiment empfahl ihn aufs wärmste.

 Die Wahl war ein Wagnis. Was mußte sich zusammenfinden! „Eine starke Persönlichkeit, mit bestimmtem christlichen Lebensideal, Choleriker von Natur, ohne jede Erfahrung in der Behandlung einer beinahe ausschließlich weiblichen Gemeinde – und dort eine Gemeinde von Frauen, die von der kraftvollen Persönlichkeit ihres Gründers ihr Gepräge erhalten hatte, in berechtigter Verehrung gegen die beiden Vorgänger und in noch frischem Schmerz über den Verlust des letzten lebend. Man wird die Aufgabe erkennen, die beiden Teilen gestellt war, und die innere Arbeit ermessen, die geleistet wurde. Es war eine nie genug zu bedankende Gottesgnade, daß in einer stillen Stube des Mutterhauses Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, Geduld und Selbstzucht,| Kraft der Jugend und Weisheit des Alters, mütterlicher und ritterlicher Sinn, Treue und Treue sich zusammenfanden.“[1]

 Das Werk der Diakonissenanstalt durfte sich, begünstigt durch die Zeitumstände, unter der Leitung des neuen Rektors kräftig entfalten und ausdehnen. Die Schwesternschaft wuchs nicht nur zahlenmäßig, sondern reifte auch dank der einmütigen Zusammenarbeit von Rektor und Oberin zu innerer Selbständigkeit und Geschlossenheit heran.


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Briefe von 1891-1909


An die Schwesternschaft.
Neuendettelsau, 5. Aug. 1891

 Meine lieben Schwestern, es ist Euch bereits die Wahlordnung zugeschickt worden. Ich möchte heute nur noch die Kapitelseinteilung Euch zugehen lassen, wie sie unser lieber seliger Herr Rektor noch kurz vor seiner Erkrankung zusammengestellt hat. Ich bitte nun die einzelnen Kapitel, genau nach der mitgeteilten Ordnung zu handeln und von je einer Gruppe eine Vertreterin zu senden. Die Wahl soll am 18. August stattfinden. Zu der Vorbereitung müssen also die Schwestern mindestens einen Tag vorher hier sein. Es wäre wünschenswert, wenn außer den erwählten Vertreterinnen nicht allzuviel Schwestern sich zum 18. August einfinden würden, da wir sonst des Platzes wegen in Verlegenheit kommen. Das große, schwere Anliegen, das uns jetzt beschäftigt, haben ja wohl alle Schwestern in ernstlichem, anhaltendem Gebet schon seither vor Gott gebracht. Er wird uns ja unsere Sünden vergeben und aus Gnaden uns wieder einen Führer schenken, der im Sinne der beiden heimgegangenen Väter die große, schwierige Sache weiter leitet. Es sind in unserem und unserer Freunde Kreis verschiedene Namen aufgetaucht, aber noch ist alles trüb und schwer und dunkel und unklar. Im Vordergrund der suchenden Gedanken steht ein Herr Dr. Bezzel in Regensburg. Gottes Erbarmen bewahre uns vor Unglück und Schaden und lasse nur ja Seinen Namen verherrlicht werden im armen, lieben Dettelsau, bis Er selber kommt!

In herzlicher Liebe grüßt Euch Eure Therese.


An Schwester Marie Preller, Hausmutter im Hospiz.
Neuendettelsau, August 1891
 Meine liebe Marie, es war ein großer und gesegneter Tag, der 18. August, und nun wird Herr Dr. Bezzel unser Rektor. Er wird schon zum neuen Semester bei uns eintreffen, und Frau Rektor zieht, bis das Witwenhäuschen fertig ist, in die Bäckerei. Am Tag nach der Wahl zog eine fröhliche Gesellschaft| nach Bruckberg. O wie freuten wir uns über unsern neuen Besitz: wir strömten gleich in den Betsaal und stimmten da Loblieder an, nachher auch Psalmen, und waren so dankbar und froh über dem neuen Zeichen, daß Gottes Güte sich nicht von uns gewendet hat, sondern neu anheben will, uns zu segnen.

 Ach, wenn Dich Gott wieder gesund werden und aufs neue arbeiten läßt, wie wollen wir’s Ihm danken! Daß wir’s nur nie vergessen, was Er an uns getan, und doch niemals das pur Natürliche und menschlich Vernünftige uns den Eindruck von Gottes unmittelbarem Handeln mit der Seele verwischen lassen!... Denke in der Stille nun auch an all die großen Aufgaben, die uns bevorstehen. Mir will’s zuweilen schwindeln und eine Angst über mich kommen, aber ich darf nicht kleinmütig sein, nachdem Gott so große Dinge unter uns getan. Und die Post behalten wir auch! – Diese Woche wird unser Gebälk hinaufkommen, und die Klöße werden wohl in Deinem Hospiz bereitet und verzehrt werden, da man abends jetzt nicht mehr im Freien sitzen kann.

 Gott behüte Dich wie einen Augapfel im Auge, liebe Schwester Marie, und Seine Nähe sei Dir allezeit fühlbar.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 27. August 1891

 Meine liebe Schwester Charlotte, ach, nun sollen wir uns doch alle mit großem Ernst zusammenschließen, daß wir dem neuen Führer gegenüber auch unsern seligen „Vätern“ keine Schande machen, daß nichts von unnüchterner Überschwenglichkeit und nichts von vergleichender Kritik sich unter uns finde, sondern ein würdevolles Annehmen der guten Gabe aus Gottes Hand. Am Montag wollen wir, Herr Konrektor und ich, eine Zusammenkunft mit Herrn Dr. Bezzel in Nürnberg haben, weil doch noch mancherlei besprochen werden muß. Bitte Gott, daß mir viel Weisheit gegeben werde, auch viel praktische Weisheit jetzt gerade. Frau Rektor zieht in die Bäckerei. Elisabeth Meyer soll die kleine Industrieschule bekommen.

|  Gottes Liebe umfahe Dich alle Tage Deines Lebens bis zum letzten Stündlein, und dann wollen wir ewig den Abgrund Seiner Barmherzigkeit preisen.
Deine Therese.


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 5. September 1891

 Meine liebe Charlotte, Herr Dr. Bezzel, unser zukünftiger Herr Rektor, traf neulich mit Herrn Konrektor und mir in Nürnberg zusammen; wir hatten ein langes, eingehendes Gespräch. Am Abend hielt er die Abendandacht mit ungefähr vierzig Schwestern und sprach über die beiden Sprüche der letzten und der nächsten Sonntagsepistel: „Welche Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch“ und: „Einer trage des andern Last.“ Es war sehr ernst und schön, und am Schluß sagte er: „All Sünd hast du getragen, sonst müßten wir verzagen. Erbarm dich unser, o Jesu! – In diesem Bekenntnis, geliebte Schwestern in Christo, wollen wir uns zusammenschließen und zusammenfinden.“ Ich bin sehr getröstet und zuversichtlich von dieser Zusammenkunft heimgekehrt und bin überwältigt von Gottes Erbarmen, das uns aufs neue segnen will.

 ...Ach, wie ist’s doch so etwas Großes, wenn der Grund und Ausgang eines Hauses lauter und rein ist, rein, soweit man das von einem Menschenwerk sagen kann, an dem ja immerhin nur befleckte Hände arbeiten. Gott will kein fremdes Feuer auf Seinem Altar und eifert drum wie bei Nadab und Abihu. Laß uns in Furcht einhergehen und immer unter dem reinigenden Einfluß Seines Blutes stehen...

 ...Viele Schwestern wallfahrten nach Bruckberg, um sich an unserm neuen Besitz zu ergötzen...

Deine Therese.


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 21. September 1891
 Liebe Charlotte, bei uns war’s eine recht arbeitsvolle Zeit, und ich sage mir manchmal vor: Jetzt nur vollends durch die kurze Zeit noch! Der neue Herr Rektor sehnt sich ja sehr nach| viel Arbeit. Am 2. Oktober kommt er, so Gott will, und wird am 4. eingeführt. Viel Besuch war da von Kraschnitz und Schweden. Am ersten Kaiserswerther Konferenztag bekam unser Haus ein schönes Telegramm als Ausdruck der Teilnahme von den sämtlichen dreiundfünfzig Mutterhäusern, die vertreten waren, mit dem Trostwort Hos. 6, 1–3. Da mußte ich recht weinen. Aber ich kam durch alles durch. – Frau Domina ist hier.
In mütterlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, 2. Okt. 1891

 Liebe Schwester Regine, nun ist heute der neue Rektor eingezogen, und mein Herz ist voll Dank gegen Gott, der nicht mit uns handelt nach unseren Sünden, sondern nach dem grundlosen Erbarmen Seines mitleidigen Herzens. Dir, meine liebe Schwester, hat Gott zum Geburtstag wieder einen Hirten und Führer geschenkt, und für diese Gnadengabe mußt Du Ihm auf den Knieen danken. Mir ist’s oft noch wie ein Traum, was kann man doch alles erleben, wenn man so alt wird! An Gottes Hand pilgern wir nun miteinander weiter.

Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 16. Okt. 1891
 Meine liebe Charlotte, eben kommen wir aus unserer „Freitagsstunde“, wo wir über St. Gallus belehrt und Fragen, die im Fragekasten gelegen, beantwortet wurden. Es ist solch ein Leben und Treiben, und mich hat schon sehr verlangt, mich bei Dir im Vertrauen auszusprechen. Zwischendurch ist mir’s noch furchtbar angst, wie alles gehen wird; dann wieder bin ich voll Verwunderung über das Walten Gottes: das war es also, was Gott vorhatte, als Er uns den ganzen Winter durch beten ließ um das Leben des geliebten Hirten und endlich ein entschiedenes Nein hatte, daß Er uns einen Mann geben wollte mit vielfach entgegengesetzter Begabung und Veranlagung „in demselbigen einigen Geist“, um manches bei uns auszugleichen.| Er hat einen scharfen Blick für die Schäden unter uns, daß ich mich wehren muß gegen falschen Pessimismus. Es regt mich noch alles recht auf; aber ich bin so dankbar; er ist wirklich ein Priester Gottes und kann, wenn’s drauf ankommt, sehr barmherzig und mild urteilen. Er lebt ganz der Sache, gönnt sich bis jetzt gar keine Erholung, arbeitet den ganzen Tag, ist zuweilen atemlos eilig; man hat so ein Gefühl, wie wenn er alle anderen zu Nullen machte. Das beabsichtigt er natürlich nicht, aber es liegt in der Macht und Hoheit seiner Person. Er verkehrt ganz herzlich und freundlich mit den Schwestern, aber zu nah wird ihm nie jemand kommen. Die Rektoratsgeschäfte erledigt er mit einer ungeheuern Promptheit und mit durchdringendem, scharfem Verstand. Er ist der Anschauung, daß vielleicht zu viel Evangelium gepredigt sei und daß er wohl auch mit dem Gesetz einsetzen müsse. Ich kann es alles verstehen, daß Gott es auch so will. Ich fühle mich außerordentlich sympathisch von ihm berührt, habe aber zuweilen ein bedrückendes Gefühl, als müßte ich mich meiner Schwestern ihm gegenüber schämen. Jeden Mittag von 11–12 Uhr ist er bei mir, und die Zeit fliegt nur so dahin. Gestern weihte er das Isolierhaus und setzte die Arbeitsleute in maßloses Erstaunen, weil man seine Stimme so weit, so weit hörte. Er sprach über das Wort: „Und Er nahm ihn von dem Volk besonders.“

 Aber nun zu Deiner Angelegenheit. Ich ließ ihn die betreffende Stelle in Deinem Brief selbst lesen. Da geriet er offenbar in einige Erregung, daß schon wieder eine Schwester beurlaubt sein wolle. Es war sein Ungehaltensein darüber so nachdrücklich, daß ich sagte: „Sie tut es ja nicht, wenn wir es nicht wollen; ich kann ihr ja schreiben, daß Sie es nicht wünschen.“ Da wurde er mild und fragte nach der etwaigen Zeitdauer und sagte, daß er „ungern“ etwas abschlage. – Also siehe, so hast Du mit Bedenken und Klauseln die Erlaubnis! Ich sage: Wenn Du wirklich etwas davon hoffst, dann tu es in Gottes Namen. Überlege Dir’s noch einmal, ob nicht auch jemand anders aus der Verwandtschaft diesen Liebesdienst tun könnte. Ich reise Montagabend nach Kloster Marienberg die Nacht durch, bin, so Gott will, Ende der Woche wieder da. Behüt Dich Gott!

Deine Therese.


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An ihre Schwester Marie.
Neuendettelsau, 20. Oktober 1891

 Meine liebe Marie, laß Dir sagen, daß es ein herrlicher, reicher Sonntag gestern war. Zwei gewaltige, mächtige Predigten hat unser Herr Rektor gehalten mit leuchtendem Blick und manchmal durchdringender Stimme, vormittags über das Evangelium, nachmittags über die Epistel. „Sei streng gegen dich“, so hieß es am Nachmittag, und man merkte etwas von dem Asketen durch. Es war aber oft wunderbar schön. Ach, wie soll ich es Dir alles wiedergeben! Er ist ein Gottesmann voll Geist und Kraft und Leben und verzehrendem Eifer, aber ich habe noch so viel Angst vor allem. Doch will ich getrost an Gottes Hand gehen, Er hat mich noch nie lassen zu Schanden werden. Ein Gedächtnis hat der neue Herr Rektor! Er spürt, merkt, versteht alles im Augenblick. Zwei Schülerinnen in der Industrieschule sollen sofort ihre Haarfrisur ändern: „Ich liebe das nicht“, heißt es ganz einfach. Am Freitag hatten wir einen Abend mit ihm, da sprach er von den beiden Dionysius, die im Kalender stehen, und dann war es ein freies Gespräch. Es ist alles hochinteressant, und Schwester Anna Reimherr sagte: „Der Kirchenschlaf hat aufgehört.“ Am Samstag kam ein Schreiben von Himmelkron, das zu einer langen Darlegung meinerseits Anlaß gab. Er stand zunächst sehr bedenklich dazu: „Ohne die rechten Kräfte!“ Vielleicht sterbe ich, ehe es in die großen, weiten Bahnen geht. Doch lebe ich auch noch ganz gern. Bete nur recht ernstlich wegen Himmelkron und Bruckberg. Such unserm neuen Herrn Rektor das Bild unseres seligen Hirten recht klar zu machen; es ist ihm durch allerlei Wirrwarr verdunkelt.

 Ich könnte Dir noch viel sagen, aber es ist genug. Das elende, arme, sündige Herz ist das Schlimmste bei allem. So Gott will, gehe ich heute nach Marienberg und Zerbst. Ich hab’s nun einmal versprochen, so will ich es doch tun. Ich komme vor Sonntag, so Gott will, wieder zurück.

 „Ein bis zwei Jahre müßten Sie die Stellenbesetzungen doch allein besorgen“, sagte Herr Rektor heute. Das verneinte ich ihm aber entschieden. Schwester Gertrud Hahn besucht er fleißig. Herr Doktor sagte mir heute, daß es wohl sehr rapid mit ihr abwärts gehe.

 Grüße alle Deine Schwestern, Deine Pfleglinge und Martin.

Deine Therese.


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An Schwester Charlotte Kollmann.
Halle, 20. Okt. 1891

 Meine liebe Charlotte, da sitze ich im Bahnhof zu Halle; in wenigen Stunden hoffe ich in Marienberg zu sein. Es ist mir noch etwas im Herzen wegen Deiner Reise; deshalb schreibe ich Dir. Du wirst es ja nicht als Ungerechtigkeit empfinden, daß zwei andere Schwestern reisen und bei Dir hält’s so schwer, wenn so etwas zu Tage träte, müßtest Du alle Schuld auf mich wälzen und nicht auf Herrn Rektor. Denn er erlaubt am liebsten gar nichts und wäre insofern unparteiisch...

 Wir hatten einen wunderbaren Sonntag mit zwei gewaltigen Predigten. Ich bin so dankbar, aber doch immer mit heimlicher Angst. Es war mir etwas schwer, die weite Reise, und ich bekam nicht wie sonst einen Reisesegen. Aber wie wenn auch diese kleine Wehmut in der Tiefe des Herzens sollte angesehen werden, kam auf einmal vor meiner Abreise noch etwas aus dem Rektorat mit folgenden zwei schönen Versen:

„Herr, Du wollst unser Gleitsmann sein
und mit uns gehen aus und ein
und zeigen alle Steig und Steg,
wehre dem Unfall auf dem Weg. Kyrieleis.
Herr Christ, Du bist der wahre Weg
zum Himmel und der ein’ge Steg;
hilf uns Pilgrim’ ins Vaterland,
weil Du Dein Blut hast dran gewandt. Kyrieleis.

Grüße alles. Deine alte Pilgerin Therese.


An die Schwestern in Regensburg.
Neuendettelsau, 2. Nov. 1891

 Ihr lieben Regensburger, ich muß mich über Euch wundern, daß Ihr diesen Gottesmann, den Gottes Erbarmen uns jetzt gegeben, schon länger gekannt habt, und daß wir eigentlich nichts von ihm gewußt haben. Doch es ist schöner und besser so. Ich möchte danken können, wie sich’s gebührt, aber ich kann es nicht. Aber Gott soll in der ganzen Genossenschaft wenigstens das tiefe Verlangen sehen, Ihm recht zu danken.

 Ihr werdet doch allezeit treulich und ernstlich für Herrn Rektor beten.

Eure Therese.


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An Schwester Sophie Toennießen im Heilig-Geist-Spital Nürnberg.
Neuendettelsau, 4. Dezember 1891

 Liebe Schwester Sophie, ich komme heute mit einer herzlichen Bitte zu Dir; Du mußt sie mir ja nicht erfüllen, wenn es irgendwie nicht ganz gut geht. Könntest Du mir ein wenig helfen zur Einrichtung des neuen Speisesaals? Speziell zur Beschaffung der nötigen Stühle? Heute habe ich zwei Musterstühle bekommen, von denen mir der eine ausnehmend gut gefällt und zum Ganzen so schön passen würde. Er ist aber, da die Arbeit solid ist, etwas teuer. So traue ich mich nicht, die große Zahl von dieser Art zu beschaffen, wenn mir nicht auf einem besonderen Wege geholfen wird. Und doch wäre es so schade, wenn wir die überaus passende Form gegen eine andere tauschen müßten. Bin ich Dir doch nicht lästig mit dieser Bitte?

Ich grüße Euch alle herzlich Deine Therese.


An Schwester Marie Wörrlein.
Neuendettelsau, 12. Dezember 1891

 Meine liebe Schwester Marie, gestern war eine sehr wichtige Konferenz. Es wurde aufs neue Himmelkron besprochen, und wir werden nun fürs erste den besterhaltenen Flügel im Mai zu einer zweiten Industrieschule ankaufen. Für die Einrichtung einer weiteren weiblichen Blödenanstalt tritt zunächst das Himmelkroner Kuratorium ein, und Dettelsau übernimmt dieselbe, wenn es kann.

 Nun helft beten um den rechten Geist und Sinn, um persönliche Kräfte, um Geldmittel und „daß alles nur gescheh zu Seines Namens Ruhm“.

In Liebe und Treue Deine Therese.


An Schwester Sophie Toennießen in Heilig-Geist-Spital Nürnberg.
Neuendettelsau, 13. Dez. 1891
 Meine liebe Sophie, hab herzlich Dank für die große Gabe zur Einrichtung des neuen Saales, Du sollst auch dann recht gut auf einem der Stühle sitzen, wenn Du einmal kommst!| ...Ach, laßt in dieser heiligen Zeit etwas ausströmen von Euch auf das ganze Heer der alten Männlein und Weiblein, daß sie es unwiderstehlich fühlen, daß es ein Glück und einen Frieden auf dieser armen Welt gibt, der an der Krippe und am Kreuz entsprungen und durch nichts geraubt und gestört werden kann.
In Liebe und Treue Deine Therese.


An die Schwesternschaft.
Montag nach dem 3. Advent 1891

 Meine lieben Schwestern, noch ehe das Jahr sich zu Ende neigt, wollen wir unsere regelmäßigen Briefe an die Außenstationen wieder ihren Anfang nehmen lassen, um sie dann nicht so leicht wieder zu unterbrechen. Zwar ist nicht zu fürchten, daß wir in den letzten Monaten auch ohne diese Art von Verbindung eine schwache Fühlung miteinander gehabt hätten. Sind uns doch gewaltige „Verbindungsbriefe“ geschrieben worden. Aber ich weiß doch, daß Ihr mit Recht den Anspruch erhebt, alles und jedes, was am Ort des Mutterhauses die Gemüter bewegt, mitzuerleben.

 Gestern sind’s acht Tage gewesen, daß unsere gute Schwester Gertrud Hahn abgerufen wurde. Nun darf sie mit unseren beiden seligen Vätern die himmlischen Gottesdienste feiern, wie sie so oft dieselben mit ihrem Gesang und Spiel im irdischen Heiligtum verherrlicht hat. Wenn’s Gott gefiele, nun eine Weile des Sterbens genug sein zu lassen unter uns, so wollten wir’s Ihm von Herzen danken. „Erfreue uns nun wieder“, bitten wir mit dem Sänger des 90. Psalms, und am gestrigen Abend sang der Schwesternchor die Antwort: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“

 Im neuen Kirchenjahr wird im Hauptgottesdienst über die Episteln und nachmittags im Feierabendhaus über die Evangelien gepredigt. In den Christenlehren soll die Augsburgische Confession besprochen werden. In den Donnerstagsgottesdiensten im Feierabendhaus werden gegenwärtig die Sendschreiben aus der Offenbarung ausgelegt. Am Freitagabend haben die Schwestern Unterricht bei Herrn Rektor, und es wird jetzt in diesen Stunden der Anfang mit Kirchengeschichte gemacht. Am Dienstagabend ist Unterricht für die Probeschwestern. Herr Rektor liest mit ihnen das Markus-Evangelium.| Am Sonntagabend ist er mit den Brüdern zusammen.

 Von Außenstationen sind seit dem Beginn der neuen Zeit folgende visitiert worden: Nördlingen, Öttingen, Polsingen, Heidenheim, Himmelkron. –

 Himmelkron und Bruckberg – Ihr könnt Euch denken, wieviel uns das jetzt beschäftigt. Ich halte eine Mahnung und Bitte, die großen diesbezüglichen Angelegenheiten in treuem, ernstem Gebet vor Gott zu bringen, für überflüssig. Alle treuen Glieder der Genossenschaft werden sich dazu ohnehin angetrieben fühlen. Bruckberg soll im April eröffnet werden und soll zunächst eine Auswahl von den vielen, sehr vielen männlichen Blöden, die angemeldet sind, aufnehmen. Mit Neujahr muß die Kaufsumme erlegt werden, wir brauchen für Bruckberg außer einer Anzahl Schwestern auch und vornehmlich Brüder. Laßt Euch die Bitte um die „rechten Brüder“ auch eine Herzensangelegenheit sein, und wer dazu befähigt ist, der helfe auch mit der Tat.

 Mit Himmelkron stehen die Sachen so: Wir wollen, wenn Gott auch so will, im Mai 1892 den besterhaltenen Flügel des dortigen Schlosses für eine zweite Industrieschule ankaufen und die hiesige interimistische Industrieschule dorthin übersiedeln lassen. Die übrigen Räume des Schlosses werden vom Himmelkroner Kuratorium angekauft, und von diesem wird eine Blödenanstalt für weibliche Blöde begonnen, die Dettelsau später übernimmt, wenn es kann. An einem Christusbilde im Himmelkroner Registratursaal fand Herr Rektor bei seinem Besuch dort eine Inschrift, die lautete; „Fasse Mut, Ich hab’s besieget.“ Dieses Wortes wollen wir uns annehmen für die Himmelkroner und für alle unsere Angelegenheiten, die wir nur um des Sieges Jesu willen auch zu einem sieghaften Ziele führen können.

 Der Bau unseres östlichen Flügels ist so weit gediehen, daß vorige Woche die Küche in die neuen, schönen Räume übersiedeln konnte, und an Weihnachten gedenken wir, den neuen Speisesaal zum erstenmal bei der Christbescherung in Gebrauch zu nehmen. Ganz fertig wird er erst sein, wenn wir, so Gott will, am 4. Sonntag nach Epiphanias eine Einsegnung feiern dürfen, die erste in der neuen Zeit. Es war auch um| diese Zeit im Jahr 1873, daß unser lieber seliger Herr Rektor die erste Einsegnung hielt. Herr Rektor hat den Einzusegnenden bereits mitgeteilt, daß der Einsegnungsunterricht sich an Joh. 17 anschließen werde, und sie zur Meditation über dies Kapitel aufgefordert.

 Was die Mitteilung der Gaben anlangt, die in dieser Zeit so viel durch Schwesternhand geschieht, so wollte ich, Ihr hättet gehört, was uns neulich im Anschluß an Apostelgeschichte 4 gepredigt wurde von der Feinheit der Liebe, die gibt, ehe sie gebeten wird, die in ihrer Absichtslosigkeit den zarten Duft und Schmelz bei sich hat, der von der gebenden Liebe nie abgestreift werden soll.

 Es ist schon mehrfach bekannt gegeben worden, daß wir zum diesmaligen Fest nicht viel Schwesternbesuch im Mutterhause wünschen. Es war des Reisens und der Aufforderung dazu so viel in letzter Zeit, und es ist natürlich, daß zu der bevorstehenden Einsegnung auch kommt, wer es möglich machen kann. Da raten wir den Kinderschulschwestern, denn um diese handelt es sich zunächst, doch recht in der Stille auf der Station das Fest zu feiern. Ausnahmen wird es ja geben schon durch einen bevorstehenden mehrfachen Wechsel, aber das Daheimbleiben sollte die Regel sein.

 Und nun wünsche und erbitte ich Euch ein seliges Fest, an dem wir alle möchten gnädig heimgesucht werden. Die Freude und der Friede, die Lindigkeit und heilige Sorglosigkeit, von der die Epistel des kommenden Sonntags redet – sie sei und werde unser aller Teil!

Eure Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 30. Dezember 1891
 Meine liebe Charlotte, hab innigen Dank für das schöne Buch, mit dem Du mich erfreut. Es soll mir eine liebe Erinnerung sein an Schwarzburg, wie war’s doch so schön auf dem Hesekielfelsen an jenem Sonntagnachmittag, und wie schön war’s auf dem Trippstein und dem Helenensitz! Aber im Dettelsauer Wald ist’s auch schön, wenn ich nur wieder mehr hinaus könnte – ich muß doch viel allein sein, sonst| kann ich’s nicht, das viele, viele, was so im Lauf des Tages einen umschwirrt.

 Durftet Ihr fröhlich feiern? wir haben viel Gutes gehört, aber die große Freude, die uns verkündigt ist, wollte bei mir wenigstens nicht ins lebhafte Gefühl. Das muß ja auch nicht sein. Aber es geht mir gut. Ich glaube, ich kann mich auch je länger je besser mit dem neuen Herrn Rektor einleben. Ach, wenn doch Jesus Sein armes, liebes Dettelsau behüten wollte wie einen Augapfel im Auge! Die Stunden am Dienstagabend bei den Probeschwestern sind sehr wertvoll. Es taucht ja wohl unter uns auch manches Schwere auf, was mit der neuen Zeit in irgendwelchem Zusammenhang steht. Aber ich kann meist so ruhig sein, – es ist alles schon da gewesen, heißt es in solch hohem Alter, und es ist, als könnte man doch alles ein wenig von einer höheren Warte aus ansehen. Mein Leben kommt mir schon so „hinterlegt“ vor. Man ist doch durch die „Gnaden“ des letzten Jahres so losgelöst.

 Meine liebe Schwester, willst Du denn so gut sein und meinen Dank, meinen herzlichen Dank ganz offiziell der Ansbacher Station und allen ihren Gliedern übermitteln? Seht Euch nur nacheinander den schönen, großen Saal an. Er war uns eine sehr große Wohltat am Fest, und ich hatte am dritten Feiertag eine Kindergesellschaft darin, da tanzten wir zusammen um den Christbaum herum und waren sehr vergnügt.

 Ich grüße Euch alle herzlich und will mit allen meinen Schwestern ewig Gott loben.

Deine Therese.


An Schwester Babette Gößwein.
Neuendettelsau, 16. Jan. 1892

 Liebe Schwester Babette, wir werden jetzt „in der neuen Zeit“ immer so zum Mut und Glauben, zum Vorwärtsgehen und zum „nach dem Ziele dringen“ ermahnt, daß Ihr Auswärtigen es auch spüren müßt, daß unter uns kein Kleinmut und kein Zagen mehr die Oberhand gewinnen darf.

 Ich freu mich so für Euch, daß Ihr morgen Gottesdienst habt. Der Betsaal ist doch das Beste im Nürnberger Krankenhaus. Sorgt nur, daß nicht etwa im neuen Krankenhaus| diese Hauptsache vergessen wird. Ich lasse Herrn Medizinalrat Merkel mit ehrfurchtsvollem Gruß sagen, er möchte einen sehr schönen Betsaal als Zentrum des ganzen Neubaues planen.
In Liebe und Treue Deine Mutter.


An Schwester Charlotte Kollmann in der Woche des Einsegnungsunterrichtes.
Neuendettelsau, 27. Jan. 1892

 Meine liebe Charlotte, Du ahnst nicht, welch eine Fülle aus Gottes Gnade durch Seinen Knecht auf uns strömt in diesen Tagen. Es ist mir so wunderbar zu Sinn. Man hat so den Eindruck, Gott will uns zur Entscheidung drängen, uns alle, alle. Mehr kann Er nicht mehr an uns wenden. In den wunderbaren Stunden möchte das Herz bald erbeben, bald jauchzen.

Deine Therese.


An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, 10. Febr. 1892

 Meine liebe Ida, ich habe Dir noch gar keinen Krankenbesuch gemacht, ich bitte Dich herzlich, dies nicht als Teilnahmlosigkeit auffassen zu wollen. Marie hat mich doch auf dem Laufenden erhalten. Gottlob, daß es Dir doch wieder besser geht. Denn ob wir wohl alle heimwärts trachten und auch nicht zur Ruhe kommen, bis wir bei unserm Herrn sind, so gehört es doch auch zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen, daß er „Lust hat zum Leben“. Und wie dankbar sind wir und Deine Kinder, daß Dich Gott noch unter uns läßt. Bitte, grüße doch alles recht innig, was an Dein Krankenbett kommt. Ich denke mir’s doch auch recht schön, wenn Du nach und nach wieder kräftig wirst, so still mit den Deinen zusammensein zu können. Ich sehne mich oft nach etwas mehr Stille.

 Du hörst wohl durch Marie, daß unter uns viel Bewegung ist. Ja, ich muß mich nur immer wundern, welch eine merkwürdige Zeit für uns ist. Oft meine ich kaum all die gewaltigen Eindrücke überstehen zu können, oft bin ich auch sehr getrost und freudig. Gestern waren wir in Bruckberg, Herr Rektor, Herr Konrektor, meine Wenigkeit und Schwester Sophie Renner. Herr Rektor sagte: „Was werden die alten Markgrafen sagen, daß wir ihnen so ins Gehege kommen!“ Gerade| den Tag vorher war Herr Pastor Amelung als Vertreter unsres Hauses in Himmelkron, um den Kauf des einen Flügels vom dortigen Schlosse abzuschließen, in den wir, so Gott will, nächsten Herbst mit einer Industrieschule einziehen. Als wir in Bruckberg in unsrem großen Schlosse standen, machte Herr Rektor auf das große Wappen aufmerksam und sagte, daß genau dasselbe in Himmelkron sei. Ist nicht diese Führung und Ausdehnung unserer Sache recht wunderbar? Menschen haben das nicht gemacht. ...Allerdings mutet uns Gott etwas Großes zu, uns in eine so ganz andere Art als die seitherige zu finden. Aber Er mutet es uns zu. Und das allein ist maßgebend. – Verschiedener als unser seliger Herr Rektor und unser jetziger Führer können wohl kaum zwei Naturen sein. Und doch muß – von einer höheren Warte aus gesehen – die Einheit da sein, und sie ist auch da. Meine Lieben, denkt an mich, meine Aufgabe ist zuweilen unsagbar schwer, aber Gott mutet sie mir zu, so muß auch die Lösung möglich sein.

 Es ist ringsum solch ein Sterben. Vorgestern war ich bei Vater Hommels Beerdigung in Ansbach, heute sind zwei Schwestern zu Pfarrer Müllers (Herrn Rektor Meyers intimster Freund) Leiche nach Hessen gereist. Herrn Rektors Schwager, Herr Professor Schlapp, der unter uns ein sehr gern gesehener Gast war, ist kürzlich auch heimgegangen.

 Es war gestern eine solch schöne Heimfahrt von Bruckberg: der Mond leuchtete so schön, und viele Sterne und lichte Wolken unterbrachen das Blau des Himmels, und vor mir steht eine lange Vergangenheit und eine nächste Vergangenheit und eine merkwürdige Gegenwart und eine in Jesu barmherzigen Händen beschlossene Zukunft. Ich müßte Euch noch viel erzählen, aber ich kann nicht viel schreiben. Jedem sende ich einen besonderen Gruß, an M. denke ich viel, auch heute morgen, als ich unter Frühlingsahnung zum Walde ging. Daß ich, ob mir wohl zuweilen mein Herz auch leiblich bebt ob allem, was auf mich einstürmt, sehr, sehr dankbar bin für unsern Herrn Rektor, wißt Ihr. Es ist uns eine große Gabe und Gnade mit ihm gegeben. Und ich will Gottes Erbarmen weiter trauen.

Deine Therese.


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An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 11. Febr. 1892

 Meine liebe Charlotte, in Bruckberg war’s so schön, und ich hatte die besondere Freude, daß ich merken durfte, wie Herr Rektor sich so herzlich freute. Er wird Bruckberg ganz „en détail“ pflegen.

 Laß uns glauben und hoffen und beten lernen. Ach, daß ich mehr Glauben hätte! Laß uns auch gut sein gegen alle, alle Menschen, ganz lind und gut. Sie tragen alle ihr großes Weh bei sich...

Deine Therese.


An Schwester Magdalene Wucherer.
Neuendettelsau, 1. März 1892

 Liebe Schwester Magdalene, Dein Geschenk für Bruckberg ist uns eine sehr herzliche Freude, und ich beeile mich, Dir unsern großen Dank auszusprechen. Für das große, große Haus können wir sehr viel brauchen und sind für alles dankbar. Denn die Reparaturen und die Einrichtung kosten ja ein ungeheures Geld.

 Uns beschäftigt natürlich Schloß Bruckberg jetzt sehr viel. Am 23. Februar fuhren am Morgen drei originelle Wagen ab: voran ein großer Leiterwagen mit dem Ökonomie-Georg vorne drauf, hinten saß ein angehender Bruder. Betten und die nötigsten Geräte füllten den Wagen. Hinter ihm fuhr unser alter Gaul mit Bruder Memmler und „anderem Geräte“, und dann kamen Schwester Minna Hoffmann und Schwester Marie Wägemann und Bauwart. Schwester Minna sollte nur einstweilen anfangen, sie wird ja Küchenschwester von Bruckberg. Gestern fuhr ich mit Herrn Rektor und den Schwestern Sophie Renner und Minna Rothamel hinüber. Da war es sehr vergnüglich, daß schon ein wenig Einrichtung da war und wir im großen, weiten Schlosse ein Heimatgefühl hatten. Es war allerlei zu beraten, es wird aber schon ganz wohnlich, und die Räume sind ganz geeignet. Mit großer Sorgfalt suchte Herr Rektor die Zimmer aus, die für unsere armen Asylkinder sonnig und schön und freundlich wären. Wir haben auch gestern einen Apfelbaum gepflanzt, den zeig ich Dir, wenn wir einmal miteinander hinübergehen. Ehe wir wieder heimfuhren, hielt Herr Rektor Abendandacht| und sprach über die Worte: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen...“

 Es ist recht merkwürdige Zeit in Dettelsau: die großen, ernsten, schönen Aufgaben – wir haben ja auch den einen Flügel in Himmelkron gekauft – und dabei die mächtige Bewegung, die von unserem ernsten, frommen, geistesmächtigen Herrn Rektor ausgeht. Ihr müßt recht für ihn beten, denn er trägt an den Lasten oft furchtbar schwer, und mir bebt auch oft das Herz, wenn er so die tiefen Schäden findet und nicht anders kann, als allem auf den Grund gehen, und dann doch zuweilen keinen Ausweg sieht. Aber der Herr, der uns, nachdem Er uns unsern lieben Herrn Rektor genommen, wieder einen solchen Ersatz gegeben, will uns ja noch nicht wegwerfen, und Er hat auch unserem neuen Führer ein sehr barmherziges Herz gegeben neben dem Ernst und der Strenge.

 Wenn ich nur Zeit hätte, ich wollte Euch so gern von unserem Reichtum mitteilen. Ach, heut abend war solch eine wunderbare Stunde für die Probeschwestern. Wir können Gott nicht genug danken.

 Nun geht’s hinein in die heilige, ernste Zeit. „Opfern Sie Ihre Lieblingssünde in dieser heiligen Zeit“, hat Herr Rektor heut abend gesagt. „Ich will mich mit Dir schlagen ans Kreuz und dem absagen, was meinem Geist gelüst’t.“

 Gott behüte Euch. Er mache aus unserer armen, in viel Lauheit und Sünde steckenden Genossenschaft noch etwas Neues zu Ehren Seiner heiligen Wunden.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, Dienstag nach Lätare 1892
 Meine liebe Schwester, mir ist es ein großes Herzensanliegen, daß wir alle uns in rechter Weise in die neue Zeit finden. Nicht wahr, unser lieber seliger Herr Rektor kommt nicht wieder, und das wäre eine mißverstandene Treue, wenn wir dem nach Gottes Willen unter uns waltenden Nachfolger das Leben schwer machen wollten. Laß uns treu bewahren, was wir von unserem lieben seligen Hirten Großes und Gutes empfangen haben, und laß uns aufgeschlossen und hingegeben| sein an die Segnungen der neuen Zeit und nur tausendmal danken, daß Seine Gnade sich nicht von uns gewendet hat.

 Laß Deine Kinder zu einer gesunden Frömmigkeit erzogen werden. Dringe ja recht auf die Hauptsachen: Gehorsam, Wahrhaftigkeit und strenge Pflichterfüllung.

Gott behüte Dich! In treuer Liebe Deine Mutter.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 16. März 1892

 Meine liebe Charlotte, wir haben in Stetten viel Gutes gesehen, namentlich hat uns das Individualisieren eingeleuchtet, die vielen Abteilungen, das viele Personal. Herr Rektor himself will auch hin. Ich glaube, wir sollen uns nach einem tüchtigen Inspektor umsehen für unsere ganze große Blödensache. Dann sollen wir nur auch in den nächsten Jahren Himmelkron für Blödenzwecke dazu kaufen; dann können wir auch individualisieren.

 Heut haben wir zum erstenmal im neuen Eßsaal zu Mittag gespeist. Das Familienzimmer wird wieder durch eine Wand abgeschlossen...

Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 22. März 1892
(Todestag von Emma Linß)

 Liebe Charlotte, Herr Rektor ist heut in Kitzingen, gestern Würzburg, morgen Einersheim. Mir ist mein Herz so voll Dank, auch je länger je mehr für die große, gute Gabe unseres frommen Rektors... Anna lasse ich sagen, daß wir eine Masse Wörter jetzt kennen lernen, die Herr Rektor erschaffen. Das ist mir so was Merkwürdiges. Am Sonntag kam in der Predigt der „Urgeartete“ vor.

 Behüt Dich Gott! Laß uns viel bitten, Gott ist immer bereit, zu geben.

Deine Gefährtin auf der Lebenswallfahrt.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 6. April 1892
 Meine liebe Charlotte, heut ist Herr Rektor im Waisenhaus in Fürth. Vorigen Freitag war ich mit ihm in Schwabach.| Das war mir eine sehr schöne Fahrt, und es ist mir so wichtig, daß wir in Schwabach einziehen, wo man uns so lang nicht wollte. Herr Rektor sagte die Tage zu mir: „Wir wollen mehr ,Veilchenkultur‘ treiben.“ Er hat nämlich zu unser aller Verwunderung Schwester L., die er einmal kurz gesehen, für Schwabach ersehen. Und wir müssen sagen: sie wird die Rechte sein.
Ich grüße Euch alle. Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 12. Mai 1892

 Meine liebe Charlotte, es war doch wunderschön neulich in Bruckberg trotz Sturm und Schnee; aber es dünkt mich der Zustand dort noch ein chaotischer, aus dem sich erst Ordnung und Schönheit herausgestalten muß.

 Zum Sonntag Rogate will Herr Rektor mit meiner Wenigkeit nach München reisen. Himmelkron wird jetzt auch in Angriff genommen. Es wird alles so groß. Zuweilen will mein Gehirn nicht mehr ganz mit.

Grüße Deine Genossinnen. Deine Therese.


An Schwester Babette Gößwein.
Bruckberg, Pfingstdienstag 1892

 Meine liebe Schwester Babette, Gott segne Dir das neue Lebensjahr und gönne Dir unter der Mühsal und Not dieses armen Lebens allewege einen hoffnungsfrohen Blick in die ewige Herrlichkeit!

 Es ist so schön hier in Bruckberg, wenn auch noch sehr, sehr mühsam. Ich bin mit Herrn Rektor hier, um manches zu ordnen. Es war gestern zum erstenmal voller Gottesdienst mit Sakramentsfeier. Die heiligen Gefäße wurden geweiht.

 Grüße alle Schwestern in herzlicher Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe. Gottes Geist soll ohne Unterlaß von uns erfleht werden, daß Er unter uns wohne und walte und alles neu mache.

Deine Mutter.


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An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 20. Juni 1892

 Meine liebe Schwester, du brauchst Dich nicht nicht um mich zu sorgen, ich bin ganz still und zufrieden, und Gott löst die schweren Dinge alle selber, und ich schaue Ihm nach, wie Er sie zurechtbringt. Aber beten und flehen, ja Tag und Nacht Ihn anlaufen, das möchte ich noch besser können...

Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 8. Juli 1892 (St. Kilianstag)

 Meine liebe Frieda, erinnere mich, wenn wir wieder zusammenkommen, daß wir miteinander von der heutigen Predigt sprechen. Sie war mir so bedeutungsvoll für unser Berufsleben und fürs andere Leben. Apg. 11, 1–18 war an der Reihe: die Freiheit der Gnade und die Befreiung durch die Gnade. „Die Gnade ist an nichts gebunden als an die Not und das Schuldgefühl der Seinen.“ Ach, wie trinkt man diese Worte in sich hinein! Und weil die Gnade so ganz frei ist, so sollen wir hoffen für die vielen, die von ihr scheinbar noch unberührt sind.

 ...Heut ziehen die Grünen in ihren neuen Schlafsaal ein. – Ich gebe im Blödenhaus auch wöchentlich eine Stunde.

Gott behüte Dich! Deine Mutter.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 4. n. Trinitatis 1892
 Meine liebe Charlotte, heut ist die schöne Epistel von der Freiheit der Kinder Gottes, die einst der ganzen Natur sich mitteilen wird. Wir wollen uns doch sehnsüchtig ausstrecken nach der Freiheit und Ewigkeitsmenschen zu werden trachten, jeden Tag ein wenig mehr. Am Mittwoch abend hatten wir solch eine schöne Stunde von der Mystik. Herr Rektor las uns etwas vor von Meister Eckehart, daß fünf Stücke einen Ewigkeitsmenschen charakterisieren; das erste ist, daß er „kein clegelich Wort mehr gesprichet“ (kein klagendes Wort mehr| spricht)... Es ist mir ein großer Trost und eine Herzensfreude, daß ich merken darf, wie unser lieber Herr Rektor mit der Sache zusammenwächst und doch neben der großen Mühsal auch Freude hat. Es freuen ihn auch die Blauen jetzt so, und er setzt große Hoffnungen auf diesen Kurs. Sie haben auch nacheinander gebeichtet, und er sagte neulich einmal in einer Blauen Stunde: „An der Beichte hängt die Zukunft unserer Sache.“ Das ist alles doch großer Trost. Ja, wir können wohl nicht dankbar genug sein, daß Gott alles so gewendet. Aber wir wollen treulich beten, daß der böse Feind keine Macht unter uns findet.

 In Schwabach ist Schwester Amalie Waßer eingeführt worden. Sie war sehr verzagt. Ich las ihr unterwegs im Coupé laut das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia vor. Herr Rektor war schon vor uns dort und legte bei seiner Ansprache auch das Sendschreiben an Philadelphia zugrunde. Das war mir sehr beweglich und stärkend. Gott wird uns dort eine offene Tür geben! – Das Witwenhaus wird sehr hübsch. Die Hostienbäckerei wollen wir ganz ins Feierabendhaus verlegen. Die Erziehungsanstalt kommt ins alte Waschhaus. Es ist noch so viel zu ordnen diesen Sommer! Viele Schwestern sind hier, auch welche aus Norwegen und Mitau...

In treuer Liebe Deine Therese.


An auswärtige Schwestern.
Neuendettelsau, 12. Juli 1892
 Meine lieben Schwestern, ich weiß, daß Ihr gern einmal wieder einen Gruß Euch gefallen laßt aus Eurer und unserer Heimat und daß Ihr gerne höret, was gerade die Seelen am Ort des Mutterhauses bewegt. Ich schreibe in der Morgenstille draußen, wo Wald und Flur, der Vögel Gesang und die wogenden, der Ernte harrenden Felder noch mächtiger zum Herzen reden im Eindruck der vorigen Sonntagsepistel und der Predigt, die wir darüber gehört haben. Laßt uns immer wieder danken dafür, daß unser Mutterhaus auf dem Lande ist und wir dadurch sonderlicher Wohltaten für Leib und Seele teilhaftig werden, aber laßt uns auch sehnsüchtig werden nach der Verklärung aller Dinge auf der neuen Erde, da nicht mehr das tiefe Weh auch auf den lachendsten Gefilden| liegt und nicht mehr „ein Weinen durch alle Adern der Natur geht“, sondern an der ersehnten Freiheit der Kinder Gottes auch alle Kreatur ihren jauchzenden Anteil nimmt. Es weilen gegenwärtig viel Ferienschwestern hier, auch von anderen Mutterhäusern hatten und haben wir Besuch: aus Ludwigslust, Christiania und Mitau. Demnächst will auch Schwester Magdalene Steinmann aus Philadelphia kommen, und auch Herr Rektor Cordes von dort hat seinen Besuch in Aussicht gestellt.

 Zwischen Bruckberg und hier ist reger, fröhlicher Verkehr. Sie hat’s gut, unsere filia, und sie soll’s gut haben; jeden Freitag kommt Herr Rektor hinüber, und vorgestern hat Herr Konrektor Sonntagsgottesdienst drüben gehalten. Vorigen Freitag wurden ein Pferd und eine Chaise für dort gekauft. Auch das dritte Filial in Himmelkron soll diesen Herbst noch eröffnet werden. Gegenwärtig regen sich viele Hände dort, um das alte Schloß zweckentsprechend umzugestalten. Im Oktober, so Gott will, zieht Industrieschule II in den von uns gekauften „Prinzenbau“. Auch die Blödenanstalt soll dort, wenn möglich, noch dieses Jahr eröffnet werden. Es ist ein großer Trost für uns, daß die Blaue Schule so reichlich besetzt ist; denn wir haben diesen Herbst eine große Anzahl von Verpflichtungen zu erfüllen. Die Schwesternstunde von Herrn Rektor ist jetzt immer am Mittwochabend, wir wurden zuletzt über die mittelalterliche Mystik belehrt.

 Es gehen gegenwärtig innerhalb des Mutterhauses allerlei „Ortsveränderungen“ vor sich: die Grünen haben mit großer Freude ihren neuen, schönen Schlafsaal im östlichen Flügel bezogen, den von ihnen verlassenen Schlafraum im Alten Magdalenium beziehen heute die Blauen, die keinen Raum mehr im Schlafsaal des westlichen Flügels haben. Dafür wird im alten Waschhaus hergerichtet für die Staatserziehungsanstalt, die infolge des Bauens die ganze Zeit ziemlich notdürftig untergebracht war. Auch die kleinen Roten beziehen in diesen Tagen ihren neuen, schönen Schlafsaal. Der von ihnen verlassene Raum wird dann zu einer Nähstube und Bettenkammer umgewandelt. Die Hostienbäckerei gedenken wir ganz ins Feierabendhaus zu verlegen und den schwachen und alten Schwestern die schöne Arbeit zu übergeben,| über der sie frisch und froh und jugendlich werden sollen...

 Ich möchte jeder einzelnen von unseren 337 Schwestern einen Gruß der Liebe senden mit Joh. 17, 21.

Eure Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Himmelkron, 11. Oktober 1892

 Meine liebe Selma, ich sitze in Himmelkron am Weißen Main, und morgen soll dies Haus seine Weihe empfangen. Wir haben den 12. Oktober festgesetzt, weil da einst das Mutterhaus geweiht wurde. Ich saß mit den Mädchen, und wir wanden Girlanden. Da kam Herr Konrektor zur Tür herein mit Herrn Pfarrer Stirner jun., Herrn Pfarrer Eichhorn von Plech und Herrn Pfarrer Sabel von Dettelsau. Heut nacht um ein Uhr wird Herr Rektor kommen von Selb her. Ich fahre nachher mit dem Müllersgaul nach Neuenmarkt und hole Herrn Rektor ab. Es soll morgen eine große Beratung sein, ob wir nicht demnächst auch gleich die Blödenanstalt übernehmen. Die Herren vom Himmelkroner Komitee sollen sie weihen und dann uns übergeben. Es ist wie ein Wunder vor meinen Augen, was hier geschehen. Ich sah hier ein Chaos, ähnlich dem vor der Schöpfung, und nun sind’s anmutige, schöne Räume; draußen rauscht der Main, und wenn die Sonne scheint, sind die Höhen des Fichtelgebirges voll Lieblichkeit. Lieschen Grote hat eine Fahne gemacht mit den Worten: „Siehe, Ich mache alles neu.“

 Nicht wahr, es geht Dir gut? Bete auch treulich für Dein Dettelsau, daß der böse Feind keine Macht an uns finde. Bete auch recht ernstlich für unsern Herrn Rektor. Er hat es doch recht schwer. Aber Gott war Dettelsau gnädig. Grüße alle Schwestern. Treibt recht ernstlich Gottes Wort zusammen.

Deine Therese.


An Verwandte.
Neuendettelsau, 27. Okt. 1892
 Meine Lieben in Augsburg! Ihr habt mir durch Euern Gesamtbrief eine sehr große Freude bereitet, und ich beeile mich an diesem schönen Morgen, da draußen der Reif liegt und der Himmel klar zu bleiben scheint und Bruder Adolf in München| seinen 69. Geburtstag zu feiern anhebt, einen Dankesgruß zu schreiben. Euer fröhliches Zusammensein, wie es mir in dem „Sammelbrief“ entgegentritt, hat mich auch fröhlich angehaucht, obwohl mich so viel Schweres und Trübes fast immer umgibt, daß der schwere Ernst alle Heiterkeit des Lebens absorbiert hat. Es wäre nicht recht, wenn es anders wäre, aber dabei kann man doch getrost sein. Es geht ja doch der Vollendung entgegen, und wir schauen von dieser Erde voll Sünde und Jammer hinüber zu der Zeit, da die neue Erde jedes Leid und jede Sünde ausschließt.
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 Gestern abend ist mir’s auch mit einmal so klar geworden, weshalb gerade in der letzten Zeit viel Schweres auf uns einstürmen durfte: Hat uns Gott doch einen sonderlichen Segen zugelegt, da muß immer zur Vertiefung das Leid daneben sein. Die zwei großen Filialen, die uns mit einem Male zugefallen, Bruckberg und Himmelkron, würden bei einseitiger Freude über die Ausdehnung unserer Sache vielleicht zur Verflachung dienen, wenn nicht daneben viel Schmerz und Demütigung wäre. Aber das ist immer mein größter Trost und mein einziger Halt, wenn ich nur weiß, daß der Herr es ist, der alles uns bereitet, den Segen und das Leid, die Freude und den Schmerz, wenn ich nur Sein Wort höre: Ich bin es, fürchtet euch nicht. Als ich neulich in Himmelkron war und der Tag der Einweihung, der für uns ohnehin denkwürdige 12. Oktober, uns in der Himmelkroner Angelegenheit bis zu einem gewissen Abschluß gebracht hatte, da war es mir sehr froh zumute. Himmelkron hat fast etwas Märchenhaftes für mich. Es sind gerade hundert Jahre, daß das Schloß an Preußen kam und Preußen es stückweise an arme Leute verkaufte. Seitdem schlief das Schloß seinen Schlaf wie Dornröschen im Märchen, und daß nun die Befreiung durch all das Dorngestrüppe hindurch mit viel Mühsal gefunden ist, das darf uns doch nicht wundern. Lieber Heinrich, es wäre Himmelkron ein schönes Motiv zu einem Gedicht! Daß an jenem 12. Oktober, als die Festversammlung vor der Kirche sich zum Zuge ordnete, auf einmal eine Schar Neffen und Nichten auftauchte, das war mir eine sehr große Freude, zumal auch Moritz unter der Schar war. Vor 37 Jahren waren eben auch am 12. Oktober in Dettelsau sechs Stählins-Geschwister vereinigt| beim 1. Jahresfest des Diakonissenhauses, und Herr Pfarrer Löhe fand es schön, daß hier die „ganze“ Familie zusammengekommen. –

 Ich war auch in unserem lieben Weiltingen, und der alte, ehrwürdige Herr Senior Ulmer ging selbst mit an Ludwigs Todesstätte. Aber auf dem Gottesacker ist Ludwigs Kreuz zerfallen; ich wollte es schon in die Hand nehmen, alles ein wenig ordentlich richten zu lassen, wenn man mich darin unterstützen wollte. Ich habe es auch Adolf geschrieben.

 Es ist etwas Großes, was Gott unserem Hause in unserm Herrn Rektor gegeben, und die Aufregung, welche die erste Zeit gebracht, muß je länger je mehr einem tiefen, in der Stille geübten Danke weichen, daß der Herr Seiner Kirche noch solche Männer gegeben hat und daß Er uns nach all dem schweren Leid so trösten wollte.

Eure Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 11. Nov. 1892

 Meine liebe Schwester, ich wollte, Du hättest die heutige Predigt gehört über den Anfang von Apg. 16, da Paulus „gewehrt“ ward von dem heiligen Geist.

Kreuzwege sind schwere Wege,
Kreuzeswege sind selige Wege.

 Wir müssen die Kreuzwege in unserem Leben spüren, kennen und betrachten. Sein Auge sieht, wie wir allmählich unsern Willen an Seine Stelle setzen möchten. Da muß der Kreuzweg kommen, daß wir fragen: Herr, was willst Du? Wenn unsere Wege auf Torheit gerichtet waren, dann ist es nicht schwer, sie aufzugeben; wie ist es aber dann, wenn wir Seinen Weg gehen wollen? Wenn wir Seine Reichsgedanken in die Welt tragen wollen wie Paulus und Er spricht: Bis hieher und nicht weiter? Er will von uns nicht das Opfer der Tat, sondern das Opfer des Gehorsams.

 Aber Er spricht: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen? Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet. In meine Hände habe ich dein ganzes Leben gelegt. – All unsere Kreuzwege werden zu seligen Kreuzeswegen. In Seinem Kreuze,| dem größten Widerspruch der Welt, lösen sich alle Widersprüche. Er verwehrt, um zu geben.

 Das sind nur so ein paar Sätze. Aber Du lagst mir dabei so im Sinn, und ich lag mir selber im Sinn mit meinem Himmelkron. Wollt Ihr zu Gott recht ernstlich rufen, daß uns nur Sein Weg gezeigt werden möchte klar und licht, – wir wollen ihn ja gehen.

 Grüße die Schwestern herzlich...
 Gestern kam der Pelzmärtel.

Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 15. November 1892

 Meine liebe Schwester Selma, Dein erster Geburtstag in Lindau! Wie bin ich so dankbar, daß es gut geht! Aber Du weißt, daß fortwährendes Wachen und Beten not tut. Gott schenke Dir ein helles, scharfes Auge, die Dinge zu erkennen, wie sie wirklich sind, und einen starken Mut der Wahrheit und ein liebewarmes Herz.

 ...Ich möchte Euch so das Individualisieren ans Herz und aufs Gewissen legen: nehmt die Menschenseelen besonders, jede besonders, geht auf die Eigenheit ein und sucht der einzelnen zu helfen und zu dienen.

Ich grüße Euch alle herzlich. Deine Mutter.


An Schwester Marie Wörrlein.
Neuendettelsau, 11. Dez. 1892
 Meine liebe Schwester, ich denke noch des Tages, da ich Dich mit unserem lieben seligen Hirten in St. Peter einführte. Er hat Dir damals gesagt, wie für unseren Dienst das tief inwendige Mitfühlen mit dem Elend nötig sei. Wir müßten in unserem Kämmerlein Tränen haben für die Not unserer Brüder. Daran hast Du gewiß oft gedacht. Siehe, und ich meine, das würde die vielbesprochene soziale Frage einfach lösen, wenn die im Unglück seufzenden Menschen das tiefe Mitleid ihrer Brüder zu fühlen bekämen. Eine Gabe kalt und fühllos hinlegen, das ist es nicht, was man begehrt. Das Einstehen füreinander, wie es die Kirche lehrt mit ihrem großen| Gedanken von der Gliedschaft am Leibe Christi, das ist es, was not tut. Herr Rektor hat in ein paar Stunden neulich die „soziale Frage“ etwas behandelt. Ich denke, er schreibt auch einmal etwas für die Gemeindeschwestern. Einstweilen möchte ich Dir den vielleicht schon bekannten Satz in die Seele legen: „Die Seele der Armenpflege ist die Pflege der armen Seele.“

 Nun ist’s dritter Advent geworden, und wir haben vorhin gesungen: „Seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier.“ Diese Strophe hat einmal unser lieber seliger Herr Rektor auf dem Sterbebett zu uns gesagt.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 12. Dezember 1892

 Meine liebe Charlotte, ich brauche Dir nicht zu sagen, wie innig ich Dir das zum Geburtstag wünsche, was Christen füreinander als sonderlich nötig und begehrenswert halten. Und das ist doch nichts anderes als der feste, nicht wankende Glaube, der sich an den unsichtbaren Freund der Seele hält, als sähe er Ihn, der durch keinen Sturm entwurzelt, sondern nach jeder Anfechtung fester wird. Ich will Dir ein Jahr erbitten helfen, da Du Deinen Herrn besser als bisher kennen lernst; denn Ihn kennen lernen, das ist unser Glück.

 Gestern nachmittag hat Herr Rektor eine Predigt über das Amt gehalten, die sich mir tief in die Seele legte. Da, wo Luther in der Epistel übersetzt „Diener“, ist ein Ausdruck gebraucht, der bedeutet „Ruderknechte“. Ruderknechte sollen die Diener Christi sein, die Schwielen an den Händen tragen und unter Mühsal und Not das Schifflein, dessen Steuermann Jesus selbst ist, dem Hafen zuführen. Es war ein schöner Gedanke nach dem andern, ich möchte aber Dir und den Schwestern noch dies Eine sagen. Herr Rektor sagte mit großem Ernst: „Wir gehen euch um eure Fürbitte an, daß kein Unrecht über uns herrschen dürfe; wir bitten, ja wir verlangen von euch, daß ihr betet, Er möge die Träger des Amtes mit| dem Herrn des Amtes und mit dem Werk des Amtes immer unlöslicher verbinden.“

 Wir haben’s doch gut, daß wir zu Dettelsau gehören, wo uns je und je das Geborgensein unter dem Amt in aller Not und Drangsal solch eine Hilfe war.

 Bitte, grüße alle Schwestern. In herzlicher mütterlicher Liebe

Deine Therese.


An ihre Schwester Ida.
Neuendettelsau, 31. Dez. 1892

 Meine Lieben, wir durften so fröhlich feiern – Ihr doch auch? Ich meine, es dürfte jetzt kommen, was da wollte, ich wollte doch nicht verzagen. Das schöne Weihnachtswetter hat auch ein wenig zu der Feststimmung beigetragen. Auch heute fließen warme, freundliche Sonnenstrahlen durchs Fenster, an dem ein ganzer Blumenflor steht: duftende Hyazinthen und Primeln und eine schöne Camelie. – So weit schrieb ich neulich, und nun ist es Neujahrsmorgen geworden, und ich grüße Euch aus treuem Herzen zu Anfang des Jahres 1893. Seit dem Leiden und Tod unseres lieben seligen Herrn Rektors ist mir’s öfters so zumute, als käme Schweres, um uns zu befähigen, noch Schwereres zu tragen. Aber ich fürchte mich jetzt nicht. „Laß nur dein Antlitz mit uns gehen.“ Dann ist schon alles gut. Es geht ja doch zum Sieg und zur Vollendung, und Gott hält uns alle Seine Verheißungen. Ja, wir sind sehr reich, wenn wir uns an seine wunderbaren Verheißungen halten.

 ...An meinem Geburtstag hatten mir die Schwestern eine große Überraschung zugedacht. Ich wurde nach der Morgenandacht die Treppe heruntergeführt. Da waren am Eingang des Hauses ganz heimlich die Schränke weggeschafft worden, und ein großes Kruzifix hing an der Wand, und eine schöne Lampe brannte in der Mitte, und unter dem Kruzifix hing auf Gold gemalt der alte Vers, in dem Jesus Christus die Türe zum Leben genannt ist. Am Abend wurde Herr Rektor zu einem guten alten Fräulein in unserem Pfleghaus gerufen, und ich hatte an meinem Geburtstag den großen Trost, Zeuge von einem Sterben sein zu dürfen, das kein Sterben war. Das gute Fräulein schlief, nachdem Herr Rektor sie eingesegnet hatte, so sanft ein, als gings nur, wie einmal jemand vom Sterben gesagt, zu einer anderen Türe hinein. –

|  Daß dieses Mal auch in Bruckberg zum ersten Male so vielen Armen eine Freude bereitet werden konnte, war auch uns eine Herzensfreude. Ich ließ das Schloß Bruckberg als Zuckerstückchen prägen und überraschte damit die Schwestern am Heiligen Abend.

 Vielleicht ist uns doch im Jahre 1893 ein Wiedersehen beschieden. Es könnte wohl einmal wieder jemand hieher kommen. Herrn Rektor predigen zu hören, so oft wie es uns gegönnt ist, ist ein großes Glück. Gott hat uns unendlich reich wieder gemacht. Herr Rektor hat mir zum Geburtstag einen wunderbar schönen Brief geschrieben. Nach all dem Schmerzlichen, was wir durchlebt, bin ich doch so voll Dank und Freude und Frieden.

In herzlicher Liebe grüßt Euch alle Eure Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 14. Jan. 1893

 Meine liebe Selma, ich freue mich, daß Ihr Kirchengeschichte treibt. Aber daß nur die Biblische Geschichte vor allem recht bekannt wird! Es sollte auf allen Stationen ein heiliger Wetteifer entstehen, in alle Gebiete der heiligen Schrift tief einzudringen. Wollt Ihr Euch für diesen Gedanken begeistern? Liebe Selma, wolltest Du nicht auch mit den Pfründnern etwas treiben? Man muß diesen alten Seelen einen Stoff bieten, mit dem sie sich befassen, sonst ist’s nur Essen und Trinken, wovon sie erfüllt sind, – und wie traurig ist das! Laßt’s uns doch recht ernst nehmen mit allen Pfleglingen, die uns befohlen sind.

 Heute haben wir der Leiche der jungen Norwegerin Matthea Bendicta[2] das Geleit gegeben auf ihrem Weg nach ihrer Heimat. Sie starb vorigen Sonntag ganz plötzlich; die armen Eltern reisten hieher. Erst heute konnte sie fortgebracht werden. Sie sah so „wonnesam“ aus im Leichenhaus – die Myrten im Haar, vom langen, weißen Schleier umwallt und von zarten Rosen umgeben. Bei furchtbarem Wetter pilgerten wir hinaus bis an die Grenze der Dettelsauer Markung, wo von Herrn Rektor noch einmal gebetet und gesegnet wurde.

Behüte Euch Gott! Deine Mutter.


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An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 19. Jan. 1893

 Meine liebe Charlotte, es war in der vorigen Sonntagspredigt so schön, das „Noch nicht“ des Heilandes an Seine Mutter. Manche lassen sich durch das „Noch nicht“ erbittern, aber es soll uns das Warten nur näher zu Ihm bringen. Ach ja, wir wollen doch ganz nah zu Ihm hintreten, und dann ist doch alles gut. Meinst Du nicht, daß unser Unglück immer das ist, daß wir die irdischen und äußeren Angelegenheiten ins Zentrum treten lassen und Ihn und unser Leben mit Ihm in die Peripherie drängen? So wird’s dann immer nichts.

„Fremd der Welt, der Zeit, den Sinnen,
bei Dir abgeschieden drinnen“,

so muß es werden.

 Ihr bekommt einen „Schwesternbrief“ aus Schwester Bertas Hand in diesen Tagen. Wir haben ja so viel erlebt. Ich muß innerlich recht still sein, um alles aufnehmen zu können.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 20. Jan. 1893

 Meine liebe Schwester, ich bin jetzt immer so froh, ach so froh, daß wir Platz haben und „die Elenden ins Haus führen können“. Und im Eindruck unserer Jahresrechnungen muß ich Gottes Güte anbeten, die solche Summen durch unsere Hände gehen läßt und uns alles gibt, was wir bedürfen. Er wird uns in keiner Not verlassen, auch nicht in der letzten. Das Sterben von Matthea erschien so leicht!... Ich bin ganz mutig und hoffend geworden, vollends durch die eben gehörte Predigt. Es war so wunderbar, die Predigt über die Predigt auf dem Areopag zu Athen, wenn ich doch noch einmal jugendlich erglühen könnte! Aber nein, das braucht’s nicht, es soll mir alles natürliche Feuer erlöschen, aber Sein heiliges Feuer alles durchglühen.

 Betet immerzu für Himmelkron, daß Er Seine heiligen Gedanken uns offenbare.

In herzlicher Liebe Deine Mutter.


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An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 12. März 1893

 Meine liebe Selma, ich habe ein sehnliches Verlangen, daß es endlich mit Himmelkron entschieden werden möchte, und bitte jetzt nur noch, daß es doch uns zufallen möchte. Neulich hätten wir beinahe die Froschmühle gekauft, um die Quellen zu einer Wasserleitung zu bekommen. Aber noch einmal wie einst im Jahre 1867 ist die Wasserleitung ins Wasser gefallen.

Gott behüte Euch! Deine Mutter.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 25. April 1893

 Meine liebe Schwester, bei uns ist immer viel Bewegung und Unruhe. Es ist heutzutage wohl überall so. Wenn uns die Stille der Ewigkeit umfängt, werden wir erst merken, wie sehr wir uns nach Stille gesehnt. Es freut mich sehr, daß Ihr so freundlich an Bruckberg denkt. Wie gern möchte ich Dir das einmal zeigen! Es ist so ein frisches junges Leben dort. Himmelkron sollte vorgestern übernommen werden, und es hat wieder an einer Formalität gescheitert. Unter unsern neuen vielen Blauen sind Zwillinge von Memmingen. Es ist draußen eine wunderbare Blütenpracht. Ich denke daran, wie mich’s vor zwei Jahren so eigen berührte: draußen die Welt in fröhlichem Schmuck und unser geliebter Hirte in der stillen Krankenstube so schwer leidend. Da sagte er einmal, als wir von diesem Kontrast redeten: Ja, die Kreatur hat auch nicht gesündigt wie wir...

Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 8. und 9. Mai 1893
 Liebe Schwester Elisabeth, ich war in Himmelkron, aber es ist immer noch nicht übergeben. Aber wir haben ein großes Vermächtnis in Aussicht, so daß uns das wieder ein göttliches Siegel ist, daß Gott uns Himmelkron geben will. Morgen werden 14 Probeschwestern eingesegnet. Herr Rektor hat in der Vorbereitungswoche einen herrlichen Unterricht gegeben, in einer Stunde auch so besonders schön von der Blödensache gesprochen. Er hat ein tiefes Verständnis dafür. Heute| ist ein Pastor gekommen, der sich hier vorbereiten will und dann als Rektor an das Diakonissenhaus in Philadelphia gehen.

 Mit L. habe ich gesprochen... Es ist eben mit dem Diakonissentum eine zarte Sache, und die Menschen sind verschieden angelegt. Ich kann nicht über andere Seelen urteilen, weiß nur, daß ich mit vielen mein Lebensglück gerade da gefunden und daß ich all das Schwere, was auch mir dabei beschieden war und ist, als mir verordnet und für meine Erziehung zur Ewigkeit nötig anzusehen habe. Wenn der Diakonissenweg nicht auch in sonderlichem Maße ein Kreuzesweg wäre, so wäre er schon von vorneherein ein falscher.

Deine getreue Therese.


An Schwester Frieda Küchler.
Neuendettelsau, 8. Juni 1893

 Liebe Frieda, ich bin mit Dir froh, daß es Dir wieder gut geht. Aber wir müssen nach empfangenen Gnaden sehr wachsam sein, das weißt Du auch. Ich möchte Dir eine zarte, eingehende, selbstlose, entsagende Liebe wünschen. Das erbitte Du für Dich und auch für mich. Gestern hat uns Herr Rektor die Lehre „vom Lohn“ vorgetragen. Jetzt will ich doch gerne noch ein wenig leben. Ach überhaupt, es ist doch eine Gnade, wenn wir noch Zeit haben, wir sollen sie aber auch anders auskaufen für die Ewigkeit als bisher.

 Ihr habt ein Kälblein, und meine Bienen haben in diesem Frühjahr schon dreimal geschwärmt. Das ist doch lauter Gottessegen.

 Herr Löhe[3] verkauft im neuen Buchladen im Alten Magdalenium.

In Liebe und Treue Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann in Ansbach.
Neuendettelsau, 25. August 1893
 Meine liebe Charlotte, nun ist das Ende von allen Ferienplänen dies, daß ich nächsten Dienstag nach – Triesdorf gehe: Herr Rektor sprach neulich davon, daß es bei Ansbach auch „so schön sei“. Dann kam ihm neulich auf unserer Polsinger| Reise auf einmal der Gedanke, ich könnte nach Triesdorf. Das leuchtete mir auch sehr ein, und ich bitte Dich also, wenn Du kannst, wenigstens auf ein paar Tage dorthin zu kommen. Ich wollte zuerst mich im „weißen Schloß“ einmieten, aber dieser romantische Gedanke zerrann, und es bleibt nichts anderes übrig, als bei Gastwirt S. zu wohnen. Dort seien zwei kleine Zimmer zu haben; sehen konnten wir sie nicht, weil noch Gäste drin waren, die Mittagsruhe hielten. Ich spüre schon, daß ich ein wenig Ausspannung brauche. Aber ich bleibe nur acht bis zehn Tage.
Gott behüte Dich! Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 26. Aug. 1893

 Meine liebe Charlotte, nun wird es jeden Tag anders mit meiner wichtigen Ferienangelegenheit. Ich möchte nun doch nicht, daß Du mit nach Triesdorf gehst. Herrn Rektor scheint es nicht lieb zu sein, wenn um meinetwillen eine Schwester länger Ferien machen sollte, und Du wirst begreifen, daß ich doch auch um meinetwillen nicht die geringste Ungesetzlichkeit veranlassen möchte. So ist nun dies das Ende von allem, daß ich mich allein in den Triesdorfer Wald setze und mir Erquickung für Leib und Seele erflehe, – ich bin sehr müde und schaue nach ein wenig Freude aus.

In großer Liebe Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Triesdorf, 8. September 1893
 Meine liebe Elisabeth, nun schreibe ich Dir von Triesdorf aus, wo mich in der Stille das Waldesrauschen ebenso ergötzt wie Dich das Rauschen des Meeres. Morgen will ich wieder heimkehren. Ach, wenn es Gott gefiele, Dich wieder gesund und frisch und auch innerlich froh zu machen: Laß uns tief hineinschauen in den Liebesrat Gottes, wie er uns in Seinem Wort erschlossen ist, und bei allem Jammer des Lebens die feststehenden, unwandelbaren Tatsachen des Heils als unerschöpfliche Freudenquelle erkennen. Ich möchte mich mit aller Energie wehren gegen den Geist des Verzagens und der| Niedergeschlagenheit, der sich immer wieder nahen möchte. Ich habe hier viel Schönes in dem Büchlein von Luther gefunden: „Trost wider allerlei Traurigkeit.“ Auch Adolf Monods Leben, das ich hier gelesen, hat mir viel gegeben... Mir sollen meine Jugendideale nie erbleichen, es soll nur alles wahrhaftiger und wirklicher werden. Wir lasen heute den Anfang des Epheserbriefes, Schwester Charlotte und ich (sie kam gestern auf einen Tag herüber), welch eine Herrlichkeit tut sich da auf! Unser lieber seliger Herr Rektor sagte einmal, die römische Kirche stünde noch vor dem Römer- und Galaterbrief und unsere Kirche vor dem Epheserbrief. Als ich das neulich unserm jetzigen Herrn Rektor erzählte, sagte er, man müsse den Epheserbrief ganz im Zusammenhang mit der Offenbarung lesen.

 Ich hatte heute nacht solch einen schönen Traum: unser seliger Herr Rektor schickte sich an, uns eine Pfingstpredigt zu halten, und sprach mit mir davon. Ja, er wird wohl über uns und mit uns um neues Geisteswehen bitten, und wir wollen fröhlich sein, daß diese Bitte vor andern zweifellose Erhörung findet.

 Es beschäftigen uns viele Fragen: Brüderanstalt, ob etwa das Schloßgut Polsingen angekauft werden soll (ich halte es jetzt nicht an der Zeit), ob die Wasserleitung eingerichtet werden soll, ob in Himmelkron elektrische Beleuchtung eingerichtet werden soll etc. Gott schenke uns Weisheit und tiefe Ruhe.

 Gott behüte Dich! Deine alte Gefährtin auf dem Pilgerwege

Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 21. Okt. 1893

 Liebe Schwester Selma, wir hatten sehr bewegte Tage in dieser Woche! Am Montag feierten sieben Schwestern Jubiläum, drei in Dettelsau; am gleichen Tag wurde der Neubau des Blödenhauses eingeweiht. Am Dienstag wurde in aller Kleinheit die Brüderschule mit fünf Brüdern eröffnet. Es ist ein neues, verheißungsvolles Zweiglein, das hiemit angesetzt wurde.

 Allen Schwestern herzlichen Gruß.

In treuer, mütterlicher Liebe Deine Therese.


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An eine Schwester.
Neuendettelsau, 23. Okt. 1893

 Meine liebe Schwester, ich weiß, daß Du schon immer auf Nachricht gewartet wegen Deiner etwaigen Ablösung. Aber willst Du nicht den Umstand, daß es Dir mit Deiner Gesundheit jetzt besser geht als sonst, so annehmen, daß Du in dem jetzigen Beruf bleiben sollst? Wir haben Dich allerdings damals zur „Aushilfe“ hingeschickt, aber doch nur aus Zaghaftigkeit, weil wir Deine Kraft nicht kannten. Nun aber um Deiner Gesundheit willen eine Ablösung nicht nötig scheint – wenigstens weiß ich das nicht –, willst Du nicht Gott zu Lob und Dank in S. weiter dienen? Laß uns immer mehr alles, was uns erlaubt wird an Dienst und Berufsarbeit, als Gnade ansehen. Meinst Du nicht?

 Morgen sind es einundzwanzig Jahre, daß unser lieber seliger Herr Rektor hier einzog.

In mütterlicher Liebe Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 8. Dez. 1893

 Meine liebe Schwester, es ist mir so, als litte Deine Seele besonders schwer. Laß Dich dadurch nicht irre machen, sondern klammere Dich fest an unsern treuen Hohenpriester, der versucht ist allenthalben, gleich wie wir, doch ohne Sünde. Ich bitte Dich auch, daß Du leiblich Dir ein wenig nachgibst; oft setzt der Feind bei überreizten Nerven ein, und ein wenig Ausruhen macht die Seele wieder lichter. Ach, wenn wir heimkommen, wenn wir wirklich heimkommen: Es muß uns alles genommen werden, und wir sollen unter großen Leiden dem Herzog unserer Seligkeit folgen. Aber mit jedem Tag kommt das Ziel näher, und jeder Glockenschlag bringt die Vollendung aller Dinge näher herbei. Es ist Gottes weise so eigen: Er hilft uns in so vielen kleinen Dingen, daß wir’s greifen können, daß Er da ist, aber in bezug auf die großen Angelegenheiten, die unsere Seele ängstigen, ist keine Stimme noch Antwort.

 Gott behüte Dich wie einen Augapfel im Auge, Er behüte Dich vor allem Argen. Wir werden’s mit Augen schauen und mit Händen greifen, daß Er uns alle Seine Verheißungen hält, aber das pure, nackte Glauben ist der Natur das Widerwärtigste.

In herzlicher Liebe Deine Mutter.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen, die bei einer Kranken im Süden ist.
Neuendettelsau, 21. Dez. 1893

 Meine liebe Elisabeth, wie muß es nur sein, wenn man Weihnachten bei warmem Sonnenschein feiert! Übrigens ist es auch bei uns nicht kalt. Ich machte heut morgen einen herrlichen Spaziergang in den Wald mit einer Schwester; wir waren ganz überwältigt von der Pracht der bereiften Bäume, auf denen das goldene Morgenlicht lag; wir stimmten an: „Wie wird’s sein, wir wird’s sein, wenn ich zieh in Salem ein, in die Stadt der goldnen Gassen!“ – Es ist doch zuweilen so, daß mitten in die Trübsal hinein uns Gott Freuden- und Hoffnungsstrahlen sendet.

 Heute ist St. Thomastag; da wurden in Weiltingen immer im Pfarrhaus Laiblein Brot ausgeteilt nach einer alten Stiftung. Die Assistenz dabei war schon die Weissagung auf meinen künftigen Diakonissenberuf. – Was war das für ein Jahr für uns! „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an“, das wurde uns heute bei der Anmeldung gesagt. Es soll uns alles, alles, was wir erleben an Freud und Leid, so dienen, daß wir zueinander sagen wie dort Johannes: „Es ist der Herr.“

 Herr Diakonus Maier wird im März uns verlassen; er bekommt die Pfarrei Dombühl. Herr Rektor will, daß kein Diakonus mehr herkommt, sondern ein Vikar. Ich hoffe, daß dadurch die Stelle klarer und befriedigender wird. Auch denkt man daran, daß nach Bruckberg ein eigener Geistlicher soll. Das sind sehr ernste Fragen, vor denen wir stehen. Es soll auch Polsingen mehr mit hereingenommen werden, damit alle Isolierung möglichst vermieden wird. Herr Konrektor geht an Weihnachten nach Polsingen, weil der Pfarrer dort leidend ist. Es ist natürlich dort große Freude darüber; ein Pflegling sagte: „Ich schenk ihm zwei Zuckerstückchen (gewiß das größte Opfer!), daß er auch was hat...“

 Nun behüt Dich Gott. Wie viele Weihnachten werden wir noch erleben auf Erden? Und wie viele wird die Kirche überhaupt noch erleben, ehe der Herr kommt?

In treuer Liebe bleibe ich allezeit Deine Therese.


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An Schwester Regine Meisinger.
1. Christtag 1893

 Meine liebe Schwester, gestern war es ganz feenhaft schön in Bruckberg: der große herrliche Saal im Weihnachtsschmuck und der Betsaal mit zwei großen Tannenbäumen, mit Lilien und Sternen geschmückt, und der schöne Gesang und die glücklichen Gesichter und Herrn Rektors Ansprache! Dazu die Fahrt durch die stille Gegend mit Weihnachtsgedanken im Herzen – es wird mir lange in Erinnerung bleiben.

Deine Therese.


An Schwester Frieda Küchler.
Neuendettelsau, 29. Jan. 1894

 Meine liebe Frieda, laß Dir doch die große Sache verkündigen: wir bauen eine Kinderschule!! Einstweilen ist sie noch ein Luftschloß. Aber dieses Luftschloß kann ganz gut sich auf die Erde niedersenken und – bleiben. Hinter dem Reutzel’schen Haus auf die Wiese wollen wir ein wunderschönes Haus hinstellen mit einer Suppenanstalt für die auswärtigen Schulkinder und mit einem Kämmerlein für Handwerksburschen. Jemand hat einen schönen Plan gezeichnet. Wir haben fünfzehn Mark und – eine Kasse! Das ist doch schon etwas. Mensch sein heißt Pläne machen. Mensch sein heißt bauen. Du hast viel für diese Sache gebetet, nun bete sie auch durch, wenn Gott sie nicht will, will ich auch nicht.

Deine Mutter.


An Verwandte.
Neuendettelsau, den 1. Febr. 1894

 Meine Lieben in Augsburg, täglich erwarten wir jetzt die Todesnachricht von einer uns sehr lieben Schwester, Marie Zimmermann in München. Es ist sehr, sehr viel, was uns bei unserer immer größer werdenden Sache beständig das Herz bewegt, und man muß sehr auf der Hut sein, daß man sich nicht gar verliert, da man doch auch noch eine eigene Seele hat.

 ...Ich bin reisefertig und fahre nachher mit Herrn Rektor nach Himmelkron.

 ...Ich wünsche Euch allen eine gesegnete Passionszeit. Es fällt mir so oft ein, daß eine unserer heimgegangenen Schwestern| auf ihrem Sterbebette besondere Not darüber hatte, daß sie nicht mehr das Leiden und Sterben unseres Heilandes ins Herz gefaßt. Es ist alles so vergänglich und nichtig, was uns doch so viel beschäftigt im Leben, und die ewigen Dinge beherrschen uns nicht genug.

 In herzlicher, treuer Liebe Eure alte Tante, Schwester und Schwägerin Therese.


An die Ihren in Augsburg.
Neuendettelsau, 19. Febr. 1894

 ...Lieber Neffe Heinrich, hochehrwürdiger Herr Vikar, nicht wahr, Du läßt Dich doch nie vom Ritschelanismus betören? Ich bekenne Dir, daß ich im Grunde ihn nicht verstehe; aber ich weiß, daß er etwas sehr Gefährliches, der Natur Sympathisches haben muß, daß es wohl einer von den feinen Irrtümern der letzten Zeit ist. Oft denke ich, das Leiden von M. ist eine gewaltige Predigt gegen allen Subjektivismus, gegen alles Gefühlschristentum, und man möchte alle Diener Gottes anflehen, um den Glauben ans pure Wort, um den blinden Gehorsam gegen alle Seine Verheißungen mit Einsetzung ihrer ganzen Person zu eifern...

Eure Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 26. Febr. 1894
 Meine liebe Schwester, Luisle hat mir etwas erzählt, was hineingehört in die große Bewegung der römischen und korinthischen Gemeinde Röm. 14 und 1. Kor. 8, in das Thema von der christlichen Freiheit und vom Tragen der Schwachen. Da wollte ich nun auch meine Stimme erheben oder meine kleine Feder laufen lassen und Dir sagen, liebes altes Kind, daß Du ganz im Unrecht bist. Ich meine Dich so weit zu kennen, daß ich sagen darf: hier ist nicht die Rede von einem ängstlichen Gewissen, sondern hier spielt Dir wieder einmal Dein alter eigensinniger, „bockiger“ Adam einen Streich. Du bist lange genug unter uns, um die Ängstlichkeit, die ich allerdings bei jedem Neuling geschont wissen wollte, abgestreift zu haben. Es ist vor Gott kein Unrecht, wenn man am Sonntag eine Handarbeit macht, und die Rücksicht, die Du verlangst, verlangst| Du nicht für ein Gewissensbedenken, das ich allezeit mit Ehrerbietung angesehen haben möchte, sondern Du verlangst sie für Deinen Eigensinn, und dem machen wir keine Reverenz! Liebe üben am Sabbat, das lehrt uns der Heiland, und das umgehst Du ganz nach der Weise der Pharisäer. Einmal hat ein Bruder von seiner Schwester gesagt: „Als Gott die schuf, muß er Staub vom Sinai genommen haben.“ Das fällt mir jetzt bei Dir ein.

 Zürne mir nicht ob der großen Rede. Man meint auch, es setzten sich Gebirge in Bewegung, und – ein Mäuslein wird herausgeboren. Ich liebe Dich mit einer sonderlichen Liebe, aber über Deinen alten, häßlichen Adam falle ich mit Ingrimm und rauher Hand her.

Deine Dir treulich verbundene Therese.


An eine Gemeindeschwester.
Neuendettelsau, Montag nach Judika 1894

 Meine liebe Schwester, nun segne Dir Gott Deinen Ausgang und Eingang und erhalte Dein Herz bei dem Einigen, daß Du Seinen Namen fürchtest, wenn Du durch die Straßen gehst, dann bete immer unterwegs, daß alle die Kranken und Armen, denen Du dienen darfst, selig werden.

 Nimm Dir auch immer etwas Bestimmtes vor für Dein tägliches Bibellesen, ein bestimmtes Buch, in dem Du dann ganz heimisch bist, wenn Du es aufmerksam gelesen hast, das Markus-Evangelium oder dann wieder den Propheten Jesajas etc. Ich will Dir gern behilflich sein, wenn Du dabei einen Rat brauchst. Schreibe mir manchmal.

Gott behüte Dich. Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 21. Mai 1894
 Meine liebe Schwester, ich danke Dir heute für alle Treue, die Du mir, solange wir uns kennen, erzeigt hast. Sie ist mir kostbar wie Gold, und ich weiß auch, daß Du sie mir bewahren wirst bis ans Ende. Und dann? Ja, wessen Ende wird früher sein, das Deine oder das meine? Wer wird am Sterbebette| der anderen stehen und den „guten Kameraden“ beweinen? Ich weiß es nicht. Mir naht ja das Alter noch mehr als Dir, und doch denke ich zuweilen, ich erlebe wohl noch mancherlei.

 ...Nun wünsche ich Dir zum Geburtstag ein lindes, mildes Herz gegen alle Menschen. „Gib mir ein süßes Herz gegen alle Kreaturen.“ Flüchte Dich immer, wenn Deine Natur auf dem Rechtsstandpunkt stehen will, zu dem Standort des Erbarmens. Wenn wir den Menschen einmal ins Herz sehen und sie verstehen können, werden wir uns sehr genieren, daß wir nicht zarter mit ihnen umgegangen sind. Ich bin so überwältigt davon, daß im Gesetz Mosis (!) allenthalben solch eine zarte Barmherzigkeit befohlen ist.

 Fahre fort, treulich zu beten für

Deine alte Lebensgefährtin Therese.


An die Schwestern in Lindau.
Neuendettelsau, 7. Juni 1894

 Mein liebes Lindau, ich möchte für den noch kurzen Rest meines Lebens einen ganz andern Ernst mit dem Worte machen. Laßt uns das miteinander tun, meine lieben Lindauer Kinder! Laßt uns alles Gotteswort in seinem vollen, ganzen, großen Ernst nehmen, soweit wir es eben verstehen.

 Ihr werdet Euch nun auch viel mit den neuen, großen Plänen befassen, die Herr Stadtpfarrer für Lindau im Herzen trägt. Es ist ja für meine Seele zunächst immer ein Schrecken, wenn etwas Neues übernommen werden soll, weil wir so viel Schulden gemacht haben in bezug auf die alten Stationen. Und doch sollte die Entwicklung der Außenstationen mich ebenso erfreuen wie die Entwicklung des Mutterhauses und seiner Arbeitsgebiete.

 Am Sonntag war ein sehr wichtiger Tag in unserer Anstaltsgeschichte: der neue Herr Pfarrer Weishaupt ist in Bruckberg durch Herrn Rektor mit Assistenz unserer beiden anderen Geistlichen installiert worden. Betet ernstlich, daß alles recht wird. Wir bauen dem Herrn Pfarrer auch ein Haus und brauchen noch viel Geld. Die Kleinen haben geweint, daß nun Herr Rektor nicht mehr zu ihnen kommt, aber einer hat gesagt: „Sei still, es ist ja dem Herrn Rektor sein Bruder.| Er hat ja am Sonntag immer gesagt: Mein Bruder.“ (Das bezog sich auf die Installationsrede.)

 In Himmelkron wird nun auch vollends angekauft. Vorgestern zogen die Asylkinder von Bruckberg wieder hieher. Sie wurden mit großer Freude von den andern Pfleglingen empfangen. Nun ist der Präsenzstand im hiesigen Blödenhaus: 226!

 Vorgestern bin ich in Stein gewesen, wo ich mich in dem großen, schönen Waisenhaus umgesehen habe. Nun behüt Euch Gott! Lernt recht fleißig Gottes Wort, und seid allezeit eine einige, betende Schar.

In herzlicher Liebe Eure Mutter.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 20. Juni 1894

 Meine liebe Selma, die große Sache, die Dich und mich jetzt bewegt, hat von meiner Seite noch gar keinen brieflichen Ausdruck gefunden, und Du wartest jetzt schmerzlich auf Nachricht. Wir suchen nach einer Schwester, die Dich in Lindau ersetzt, und finden noch keine. Herrn Rektor ist jeder Tag schwer, da Himmelkron verwaist ist. Sei halt so gut und bereite Deine Ablösung so vor, daß die Übergabe dann ganz rasch geschehen kann. Fixiere manches schriftlich, das ist dann eine Hilfe für die Nachfolgerin.

 Es ist etwas Großes, was wir Dir anvertrauen, und etwas uns sehr Liebes, ein Kind, das unter viel Schmerzen zur Welt geboren ist. Gott mache Deine Seele still und stark! Es ist etwas Sonderliches von väterlicher Güte und seelsorgerlicher Treue, daß Gott Dich nach Himmelkron führt.

In herzlicher, mütterlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 12. Okt. 1894
 Meine liebe Schwester Selma, eben kommen wir vom Kapitel, das Herr Rektor gehalten. Es war ein mächtiger Strom, der aus seinem Herzen in unsere Herzen quoll. Es sind ja heute vierzig Jahre, daß unser Haus eingeweiht worden ist. Da sprach Herr Rektor im Anschluß an 1. Petr. 5,| 12–14 von den Grüßen der Vergangenheit an die Gegenwart, von den Grüßen des Jenseits an das Diesseits und von den Grüßen untereinander. Ich wollte, Ihr hättet es alle, alle gehört. Ich war allein am Abend auf dem Dorffriedhof, und es verlangte mich so, daß der Hirte dieser Gemeinde um Vergebung flehe für alle Sünden dieses Hauses. Ich war aber auch so dankbar für unsere drei Hirten. Herr Rektor gedachte heut mehr als sonst all des Guten, was die Gnade Gottes unter uns geschaffen, und er grüßte mit dem Gruß des Friedens Euch alle. Er gedachte aber auch des großen Ernstes, den das Haus nur allein in den drei Jahren seines Hierseins erfahren.

 Was wird’s sein nach wieder vierzig Jahren: Gestern war ich mit Herrn Rektor in Bruckberg, weil der Regierungsrat dort inspizieren wollte. Nächsten Montag fahren wir nach Nürnberg zu den Gemeindeschwestern. Betet darum, daß der Besuch ein Segen werde.

 Wir haben für nächstes Jahr nun wieder viel vor: das Spital soll ausgebaut werden, eine neue Leichenhalle und eine Kinderschule sollen gebaut werden.

 Gott behüte Euch allesamt! In herzlicher Liebe

Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 12. Nov. 1894

 Meine liebe Schwester, Gott hat jetzt eine schwere Verantwortung auf Deine Schultern gelegt. Seine Weisheit ist wunderbar. Er braucht uns zu etwas und erzieht dabei unsere Seelen, wie ist es für Dich so heilsam, unter der Größe Deiner Aufgabe Deine Kleinheit und Ohnmacht zu erkennen und Deine Hilfsbedürftigkeit!

 Betet für mich, daß ich einen frohen Mut behalte oder vielmehr wieder bekomme. Es tut’s nicht, daß die, die vermahnen sollen, am Boden liegen.

Gott segne Euch alle! Deine Therese.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen nach dem Umzug der Krippe aus der Langen Gasse in die Wetzendorfer Straße.
Kloster Marienberg, den 29. November 1894

 Meine geliebte Schwester, nun seid Ihr eingezogen und feiert Advent schon im schönen, neuen Hause. Nun hat Dir Gott nach viel Mühe und Not diese große Freude beschert. Leider kann ich nicht bei der Einweihung sein und werde auch kaum auf dem Rückweg zu Dir kommen, aber ich komme dann extra in Dein Haus; jetzt geht ja auch die Bahn bis Dettelsau, da kommt man schnell hin und her.

 Und nun hat Gott unsere liebe Lina von Egloffstein so schnell vollendet. Wie gar nichts wissen wir oft, daß eine Seele so nahe am Ziel ist!

 Grüße alle Deine Schwestern. Ich sende Euch den Spruch zum Einzug: „Mein Angesicht soll mit dir gehen, damit will ich dich leiten.“

 „Wo nicht dein Angesicht mit uns gehet, so führe uns nicht von dannen herauf“, spricht Moses, und wir sagen’s ihm nach. Aber Er wird mit Euch ziehen. Es möge Euer Haus immerdar, solange es steht, eine Stätte des Friedens und des Segens sein. Grüße Deine Schwestern herzlich, jede einzelne sonderlich. Laßt uns lieb haben, das ist das Einzige, was wir einander im armen Leben geben können.

Gott behüte Dich! Deine Therese.


An eine Schwester.
Kloster Sankt Marienberg, Freitag vor Advent 1894

 Meine liebe Schwester, wie kannst Du denken, daß ich nichts von Dir wissen wolle! Ach, solch ein Wort will ich nie hören. Wohl war ich traurig, als ich hörte, daß es in B. wieder nicht recht gehen will. Du weißt es, wie ich mit Dir immer schon den Grund habe erforschen wollen. Ist es nicht das Hervortreten des Ich, was Dich für die Gemeinschaft so unfähig macht? Ach, laß die Ichheit ertöten durch Seine Gnade! Ich möchte sie bei mir auch ertöten lassen. Ich will am Sonntag Euer gedenken. Sein Blut reiße jede Scheidewand nieder, verbinde alles, was in Ihm doch eins sein möchte.

|  Ich wünsche Euch einen seligen Advent, wie Ihr noch keinen gefeiert, und Seines Geistes wehen sei spürbar unter Euch. Ich sende Euch einen herzinnigen Gruß.
Deine alte treue Mutter.


An Schwester Charlotte Kollmann, die in Ferien ist.
Neuendettelsau, 24. August 1895

 Meine liebe Charlotte, morgen, so Gott will, fahre ich mit Herrn Rektor und Bauwart nach Himmelkron, gehe von da aus auf ein paar Tage zu meiner Schwester nach Wunsiedel. Samstag abend gedenke ich wieder hier zu sein. Vergangene Woche war ich mit Herrn Rektor in Kalchreuth. Es war eine herrliche Fahrt von Erlangen aus. Da soll unter sehr primitiven Verhältnissen eine Kinderschule übernommen werden.

 ...Es war ein unbeschreiblich schöner Nachmittag, den wir im Ratzeburger Walde anno 82 zugebracht. Grüße mir die hohen Bäume, über die ich innerlich jauchzte nach dem niederen Gestrüpp auf Norderney. Aber die Dettelsauer Bäume sind auch schön, und ich freue mich auf unsern Sonntagmorgengang. Es waren jetzt mehrere Leute da, die direkt von Jerusalem kamen. Ein Pastor gab mir den köstlichen Bescheid, daß es immer leichter und billiger würde, hinzureisen. Aber wie sonderbar, daß man mit Bahn und Droschke nach Jerusalem fährt! – Für die Brüderschule sind sieben bis acht Jünglinge angemeldet. Ach, wir sind’s nicht wert, daß Gott immer wieder Seinen Segen gibt nach allen Seiten hin! Einen reichen Erntewagen führten wir vor ein paar Tagen mit Lob und Dank ein, und drüben im Gemüsegarten muß man die Zwetschgenbäume stützen, so voll hängen sie. Vor ein paar Tagen brachte ein Pfarrer sein Töchterlein für die Blaue Schule, – das ist die fünfte Pfarrerstochter in dem kommenden Semester.

 Ich grüße Dich in herzlicher Liebe und wünsche Dir das Beste, was es in der Welt gibt, für Leib und Seele.

Deine Therese.


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An Schwester Charlotte Kollmann.
Himmelkron, 28. August 1895
St. Augustinus-Tag

 Meine liebe Charlotte, nun ist morgen St. Johannis Enthauptung und Dein Geburtstag. Laß mich Dir aus Himmelkron einen herzlichen Gruß senden und die Versicherung treuer Liebe bis an unser seliges Ende. Wem von uns beiden wird das eher zuteil werden? Wir wollen einander stärken und ermuntern zum Lobe Gottes, solange uns der Herr zusammenläßt. Du insonderheit sollst uns allewege vorangehen, wie Mirjam der israelitischen Frauenwelt, im fröhlichen Lobe Gottes.

 Ich bin seit Sonntag hier in Himmelkron, und da drängt auch eins das andere. Ich bin so froh und dankbar um alles, was Gott hier getan. Nachher gehe ich nach Wunsiedel (bei Frau Kirchenrat Reichenbach). Am Montag will ich heim. Der Bauwart war mit hier, und ich bin nun so erleichtert, daß mit den Bauten vieles klarer geworden.

 ...Gott behüte Dich!

Deine getreue Genossin Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Holenbrunn, 28. Aug. 1895

 Meine liebe Frieda, ich komme heute von Himmelkron und bin so tief dankbar für alles, was Gott uns geschenkt. Es war mir, als hätte ich freie, frische Luft geatmet in Himmelkron wie noch nie. Gewiß, Gott hat es doch alles so gewollt, und Er will dies Himmelkron, das Er lange von Seinem Angesicht weggetan, nun wieder aufheben aus dem Staube und will es mit neuem Frühlingshauch durchwehen, um es dann nie wieder – so flehen wir – in Winterkälte und Gottesferne erstarren zu lassen. Es wird jetzt auch mehr Klarheit in die Weise der Umgestaltung der noch rückständigen Gebäude kommen.

 Zum letzten Abschied von Deiner Emma[4] kommst Du ja noch nach Dettelsau.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


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An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 22. Nov. 1895

 Meine liebe Selma, ach, wie arm und gering kommt mir oft unsere ganze Sache vor! Dabei wird sie so groß, und ich habe doch eine Freude daran, daß sie so groß wird. „Vor unseligem Großwerden behüte uns, lieber Herre Gott“, so steht in der Litanei der Brüdergemeinde.

 Ich freue mich, wenn Du wiederkommst und ich kann Dir die neue Kinderschule zeigen; sie wird wirklich sehr schön... Gelt, Du gehst öfters an die Luft, und Ihr lebt auch nicht zu schlecht. Vielleicht solltet Ihr doch wieder statt der Kokosbutter das ehrliche Schmalz und die „häusliche“ Butter nehmen.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 20. Juli 1896

 Meine liebe Frieda, nun denke, was ich Dir heute schreibe: Wir tragen uns mit dem Gedanken, Dich als leitende Schwester an die Station Kitzingen zu versetzen. Dort werden demnächst so verschiedenartige Elemente zu vereinigen sein, daß wir eine zusammenfassende Hand für das alles brauchen: Industrieschule (Externat), Haushaltungsschule (Internat), Kinderschule, Gemeindedienst, Pflegeanstalt – das ist doch viel beisammen! Ich hoffe, es soll Dir gelingen, dies alles zu einer schönen Harmonie zu gestalten. Das Nähere erfährst Du, wenn Du hieher kommst...

Grüße alles herzlich! Deine Therese.


An eine künftige Blaue Schülerin.
Neuendettelsau, 22. Juli 1896
 Liebe Lina, wir haben Deine Papiere erhalten, und ich heiße Dich von Herzen als zukünftige Mitarbeiterin willkommen. Als Du mir auf jenem Wege Deines Herzens Gedanken offenbartest, da wußtest Du nicht, welch einen Trosttropfen Du in meine Seele fallen ließest. Es war mir vorher schwer und trüb zu Mute, es ist doch oft so gar viel Arbeit, zu der wir gerufen werden, und die Hände, die sie tun sollen, die rechten Hände zumal, die fehlen. Daß ich nun „so zufällig, auf dem Wege“ Dich fand, das war wie ein freundlicher Gruß| Gottes, für den ich von Herzen dankbar war. So sollst Du uns auch gesegnet sein, liebe Lina, zu Mühe und Arbeit unter uns, zur Anteilnahme an mancherlei Kampf und Not, zu seligem, fröhlichem Dienst an dem vielgestaltigen Elend unserer Tage.

 Deiner lieben Mutter wird es wohl schwer werden, Dich zu missen, aber der Herr wird ihr das Opfer segnen, wir erwarten Dich am 1. September.

 In herzlicher Verbundenheit

Deine zukünftige Oberin Therese Stählin.


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 25. Juli 1896

 Liebe Schwester Charlotte, es ist später Abend am Jakobustag, wir waren vorhin auf dem Gottesacker und legten einen Kranz auf Herrn Pfarrers Grab, denn der 25. Juli war sein Ordinationstag, dazu sein Hochzeitstag und noch in mancher Hinsicht ein Erinnerungstag.

 Die Prüfungen sind gut vorübergegangen. Bei den kleinen Roten sagte Herr Rektor, er müsse sich jetzt quieszieren lassen, denn die Kinder wüßten mehr als er. An Sachen des Seminars ist insofern wieder ein Schrittlein vorwärts getan, als Herr Inspektor Haffner von Windsbach her mit großer Freude einen Gegenstand übernimmt... Herr Kirchenrat Rocholl ist hier, nächste Woche kommt Herr Pastor Schäfer mit Frau. Und es ist ein großer Konflux im stillen Dettelsau, und Du sollst beten, daß ich stille sein könne in aller Unruhe. Am Montag ist Prüfung der Blauen, am Sonntag darauf Haubenfeier.

 Pastor Disselhoff in Kaiserswerth ist vorigen Samstag begraben worden.

In mütterlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 24. Sept. 1896

 Meine liebe Frieda, ich danke Dir für Deinen ersten Brief. Willst Du in diesen Tagen einmal Jos. 1 lesen und es auch zu Dir gesagt ansehen, was dort steht: „Ich habe dir geboten, daß du getrost und freudig seiest.“

|  Gestern fuhr Herr Rektor mit Frau Domina und mir nach Trautskirchen. Es war nach vielen Regentagen wieder etwas Sonnenschein. Mir war es unterwegs so innerlich wohl, und ich sagte so oft im Herzen: „Ich danke dir.“ Auch in Bruckberg hatten wir freundliche Eindrücke. Herr Rektor hielt auf dem Rückweg die Vesper und las Jes. 64 und 1. Joh. 3. Aber auf der Fahrt von Bruckberg hieher merkten wir, daß das Pferd krank war. Mit großer Mühe kam es heim – wir waren drei Stunden unterwegs –, und heute morgen mußte das arme Tier getötet werden. Es war solch ein trauriger Ausgang der schönen Fahrt...
In herzlicher Liebe Deine Mutter.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 24. Okt. 1896

 Meine liebe Selma, ein großer Beschluß der Konferenz am vorigen Dienstag betraf das Hospiz. Bauwart Stapfer gibt uns Haus und Gärtlein und will ein zweites Hospiz an die Stelle seines Vaterhauses bauen. Das ist auch ein Wunder vor unsern Augen, daß alles so ungesucht an uns herankommt.

Gott behüte Dich! Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 28. Okt. 1896
Simonis- und Judä-Tag

 Meine liebe kranke, aber, so Gott will, bald genesende Schwester, ich möchte Dir heute das Wort zurufen: „Seine Güte ist alle Morgen neu, und Seine Treue ist groß.“ Alle Morgen neu – das betrachte in Deinen stillen Stunden. O großes Wunder, daß Er sich durch der Menschen Sünde und Torheit nicht ermüden läßt, mit immer neuer Frische, mit immer neuer Liebe wieder mit ihnen beginnt, so oft sie Ihn auch täuschen. So soll auch unser Dank immer neu sein, unsere Gegenliebe immer neu werden und Geduld und Hoffnung nie ermatten. Willst Du’s der treusten Hand wehren, daß sie den Anfang des neuen Berufes mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes gezeichnet hat? Du sollst Seine Hände dankbar küssen, die die Rebe beschneiden, daß sie gereinigt werde und mehr Frucht bringe...

Deine Therese.


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An einen Kreis junger Mädchen, die aufgefordert waren, ihre Lebenswünsche kund zu tun.
Polsingen, 4. Nov. 1896

 Meine lieben jungen Freundinnen in Stein, ich danke Euch für Eure Zettel mit der Kundgebung Eurer Wünsche. Ich hoffe, daß Ihr ganz aufrichtig geschrieben habt und durch nichts Euch habt beeinflussen lassen. Manche von Euch haben sich ein langes Leben als etwas besonders Begehrenswertes gedacht. Das ist an sich ja nichts Unrechtes. Aber Ihr wißt, denke ich, alle, daß auch ein langes Leben schnell enteilt, und die alt geworden sind, können es Euch sagen, daß es wahrhaftig mit unserm Leben ist, als flögen wir davon. Und uns allen ist ein Ziel gesetzt, das wir nicht übergehen können und dem wir mit jedem Tag, jeder Stunde näher kommen. Darum ist es ratsam, den Sinn weniger auf ein langes Leben als auf die Ewigkeit zu richten. Manche unter Euch haben ja auch ihre Sterbestunde auf ihrem Zettel erwähnt. „Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden“, das betet alle fleißig. Etliche unter Euch haben auch den Wunsch geäußert, einmal nach Dettelsau und zu Schwestern zu kommen. Denen möchte ich sagen, daß ich gerne bereit bin, soviel an mir liegt, ihnen zur Erfüllung ihres Wunsches zu verhelfen. Es muß nur auch denen, an die Ihr zunächst gewiesen seid, recht sein.

 Laßt mich noch in herzlich guter Meinung ein Wort zu Euch reden.

 1. Vergeudet und vertändelt Eure Zeit nicht. Es ist uns Menschen mit der Zeit ein kostbares Kapital anvertraut. Das muß Zinsen tragen. Kein Tag soll vergehen, an dem man nicht etwas Nützliches getan, womöglich etwas gelernt hat, an dem man nicht im Guten vorwärts gekommen ist.

 2. Haltet mit ängstlicher Sorgfalt über Eurer Keuschheit und jungfräulichen Ehre. Ihr habt unter allen irdischen Gütern nichts Kostbareres als Euren guten Namen und Ruf. Aber wie schnell und leicht ist er geschädigt und damit verloren, was Euer unveräußerlichstes Gut sein soll.

 3. Pflegt keine andere Freundschaft als eine solche, die Euch förderlich sein kann, wo Ihr merkt, daß Euch eine Freundschaft träger zum Guten, williger zum Bösen, gleichgültiger gegen göttliche Dinge macht, da brecht ab.

|  4. Die Sünde kommt selten gleich in der gröbsten Gestalt über uns. Zuerst will uns der Feind lau im Guten, unlustig zu Gottes Wort machen, dann versucht er es weiter, bis zuletzt eine grobe Sünde nach der anderen möglich ist. Darum bleibt im Wachen und Beten, beschließt keinen Tag, ohne Euch geprüft zu haben, wie Ihr zu Gott steht. Nehmt es mit den scheinbar kleinen Sünden genau, habt ein zartes, waches Gewissen.

 Gott behüte Euch. Ich grüße Euch alle und bitte Gott, daß Euer keine verloren gehen möge.

 Mit herzlichem Gruß an Schwester Elisabeth

Therese Stählin.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 6. April 1897

 Meine liebe Schwester, für Deinen ersten Brief und für Deinen Regensburger Bericht herzlichen Dank. Ich hoffe, Du lebst Dich immer besser ein und wirst bei der Mühsal der Arbeit immer jünger statt älter. Herr Rektor hat vorigen Sonntag vom „Geheimnis der Jugend“ gepredigt. Zur immerwährenden Jugend gehört auch die immerwährende Freude. Und die sollen wir und können wir haben, wenn wir täglich aus dem unversiegbaren Quell der ewigen Freude schöpfen. Meine liebe Lina, Jesus sei Dir immer nahe und ziehe Dich ganz zu sich und lasse es Dir gelingen, auch Deine Kranken zu Ihm zu weisen. Den Schwestern herzlichen Gruß!

Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden (nach dem Tod von Herrn Oberkonsistorialpräsident Adolf von Stählin).
Neuendettelsau, Samstag vor Kantate 1897

 Meine liebe Frieda, am Abend vor dem für mich so bedeutungsvollen Sonntag Kantate sende ich Dir noch einen innigen Dank für Deinen teilnehmenden Brief. Es ist ein großes Weh über uns gekommen, mir immer wieder neu und wie noch unerfaßt von meinem Gemüt. Aber ich weiß doch meinen geliebtesten Bruder lieber im Himmel als auf der wirren, kalten, öden Erde.

|  Ich erhielt von Schwester Karoline Kienlein am Sonntag abend ein Telegramm: „Herr Präsident schwer krank – komme!“ Da eilte ich fort und war am andern Morgen an seinem Krankenbette. Er kannte mich, sprach aber fast nichts. Nachmittags empfing er das hl. Abendmahl. Meist lag er still da und faltete oft die Hände und schaute uns so unzählige Male ernst und sehnsüchtig an. Ein paar Stunden in der Nacht war er unruhig, wie wenn die Todesangst über ihn gekommen wäre. Morgens glaubten wir sein Ende nahe; wir weinten und dankten ihm für alles, alles. Da brach er auf einmal das Schweigen und sagte: „Der Herr sei mit euch“ und nach einer kleinen Pause: „Mit euch allen“. Ich segnete ihn ein, – es war noch zu früh, er lag dann wieder still und wir warteten auf den letzten Atemzug. Ich sagte ihm noch das Wort: „Da sie ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand denn Jesum allein.“ Da sagte er „wir“ noch einmal. Und das war das Letzte. Die Augen blickten starr und verwundert nach einem Punkt, wie wenn etwas aus der andern Welt sich schon zeigte. Dann legte sich jener bittere Zug aufs Gesicht, den man oft bei Sterbenden sieht, – und der Atem stand still.
In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 22. Juli 1897

 Meine liebe Schwester Elisabeth, Du kannst Dir kaum denken, welch eine bewegte, ereignisvolle, wunderliche Zeit jetzt unter uns ist. Vorigen Sonntag hielt Herr Konrektor seine Abschiedspredigt, gestern predigte er in Gunzenhausen beim Missionsfest. Die Kinder singen ihm diesen Abend: „Ach bleib mit deiner Gnade“, und dann strömen die Schulen auseinander, zum Teil auf Nichtwiederkommen.

 Und in all diese Bewegung hinein fällt das Anerbieten, wir sollen die Jakobsruh kaufen! Gerade da ich mich mit dem Gedanken trage, wir sollten eine Erholungsstation haben, nicht ganz hier, aber auch nicht ferne von hier. Gestern war Herr Rektor mit mir und Bruder Bertlein und ein paar Schwestern drüben. Da lag es alles so sonnenbeglänzt da, und gerade war ein Regenbogen sichtbar. Die goldenen Ähren,| die grünen Wiesen, der frische Wald – es war alles so einladend. Viel Land ist dabei und so billig, weil in der „Einöde“ kein Mensch heutzutage weilen will. Gott selbst wolle sagen, was zu tun ist. Es eilt ja auch nicht.
In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 1. Sept. 1897

 Meine liebe Selma, heute zum Schulanfang kamen Menschen wie Sand am Meer nach Dettelsau. Vorige Woche stieg hier ein Luftballon empor, darin befanden sich zwei Offiziere. Und fünfhundert Mann Einquartierung hatte Dettelsau. Und am vorigen Samstagmorgen, als die ganze Dettelsaue im Morgensonnenlicht erglänzte, fuhren wir mit Herrn Konrektor Schattenmann von der Bahn herein. Die Posaunen bliesen, und die Gemeinde sang: „Dein Wort, o Herr, bringt uns zusammen.“ Herr Rektor hielt eine Rede, und Herr Konrektor antwortete. Dann nahmen sie auf der Veranda ein Frühstück ein. Am Sonntagnachmittag um halb vier Uhr findet die Installation statt. – Gestern nachmittag bei Sturm und Regen wurden Leichenhaus und Gottesacker eingeweiht und die Leiche der Fräulein Böhmländer ins Grab gesenkt. Und dann – fuhr Schwester Berta Wieland fort und hinterließ Schwester Emilie Illing die Blaue Schule und die Mesnerei.

 Bitte, grüße alles, auch im Pfarrhaus. Ich freue mich, daß ich bei Euch war.

Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 21. Okt. 1897

 Meine liebe Selma, vorgestern kam mit einemmal Herr Rektor mit dem Himmelkroner Telegramm: „Kauf des Hauses der Frau Schneider: Alles ist euer!“ Wie froh, wie froh bin ich! Ich habe mir lebhaft vorgestellt, wie Du Gott angerufen und wie Du Ihm gedankt haben wirst.

 Am Nachmittag war noch einmal ernste Besprechung wegen der Jakobsruhe, und die Folge war, daß gestern die vier Herren (Schattenmann, Reiser, Paul Löhe, Gutsbesitzer in Dürrenmungenau, Bruder Bertlein) auf die Jakobsruh sind, um das Inventar aufzunehmen. Sie gingen vormittags hinüber und| kamen erst abends wieder. Ach, ich möchte mich in den Staub legen um all der Güte und Gnade Gottes willen, und wir wollen es alle tun. Seine Gnade soll uns zur Buße leiten und uns kühn und getrost machen auch in schweren Zeiten und uns mutig den Heiligungskampf auf uns nehmen lassen. Denn Er hat für uns den Sieg errungen.

 Grüße Herrn Pfarrer Zinck und alle Schwestern.

In herzlicher Mitfreude Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 24. Okt. 1897

 Meine liebe Frieda, nun kaufen wir morgen, so Gott will, die Jakobsruh!! Ach betet, daß alles recht wird. Sonst ist’s ja eine große Freude, daß wir dies Stück Erde bekommen. Wir möchten es Ihm zum alleinigen Besitz darbieten.

 Und das Schneider’sche Anwesen in Himmelkron ist auch gekauft! Bald mehr von all den Ereignissen, die über uns hinfluten wie ein Strom.

Gott behüte Euch! Eure Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, 26. Okt. 1897

 Meine liebe Regine, gestern haben wir eine herrliche Predigt gehört von der freien Gnade. Da wurde gesagt: Wer Vergebung der Sünden hat, der ist getrost – getrost seinem Heiland gegenüber, getrost auch der Welt gegenüber.

 Und nun waren wir gestern auf der Jakobsruh und haben noch einmal alles angesehen, die Felder und Wälder, die sich so weit hindehnen, und währenddem war Herr Rektor mit Herrn Konrektor in Kloster, wo uns der ganze Besitz beim Notar zugeschrieben worden ist. Am gleichen Tage ist uns auch das Schneider’sche Anwesen beim Notar in Berneck zugeschrieben worden, wir sind überwältigt von der großen Güte Gottes, deren wir in Ewigkeit nicht wert sind. Aber es soll durch die Genossenschaft ein Ton der Buße und des demütigen Dankes klingen.

 ...Mit herzlichem Gruß an Deine Kinder

Deine Therese.


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An eine Schwester.
Neuendettelsau, 15. Nov. 1897

 Meine liebe Schwester, wenn ich Dich recht verstehe, ist jetzt all Dein Sehnen und Verlangen darin befaßt:

„Laß dich finden, laß dich finden!“

 Ach, und Er hat so treulich verheißen, daß Er sich finden läßt von denen, die nach Ihm verlangen. Du müßtest die einzige Ausnahme von den Millionen Menschen sein, denen Er Seine Verheißung hält. Ach nein, Er ist Dir jetzt schon nahe und will nur das Verlangen tiefer gründen und die Freude desto größer werden lassen. Sollten wir noch in irgend einer Not verzagen, nachdem wir so viel Durchhilfe erfahren?

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An die Schwestern in Kitzingen.
Neuendettelsau, 24. Nov. 1897

 Mein liebes Kitzingen, ich möchte Euch ein gesegnetes Adventsfest wünschen und einem jeden Glied unserer und Eurer Gemeinschaft ein kräftiges Ausstrecken nach dem ewigen Heil und einen starken Mut, den alten Menschen in den Tod zu geben.

 Wie viel uns die Jakobsruh beschäftigt, habt Ihr wohl gehört. Es ist ein frisches, fröhliches Leben dort und ein rüstiges Schaffen und Ordnen. Es ist solch eine Freude, daß wir uns da ansiedeln dürfen.

 Nicht wahr, das ist bekannt, daß Gehilfinnen an Kinder- und Industrieschulen nicht auf Ermäßigung reisen sollen, und ebenso, daß die Kleidung der Gehilfinnen der „Berufsgenossenschaft“ angemessen bescheiden und ohne jegliche ausfallende Erscheinung in Schnitt und Farbe sein wolle.

Mit herzlichem Gruß Eure Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 9. Dez. 1897
 Liebe Schwester Marie, für unseren neuen Herrn Konrektor dürfen wir recht dankbar sein. Ich kann mich immer mit freier Seele der neuen Gabe freuen, ohne der Dankbarkeit| und Liebe zu vergessen, die man den vorausgegangenen Persönlichkeiten schuldet. Ich möchte das insonderheit meiner teuren Genossenschaft als Vermächtnis hinterlassen, was nach vielen bitteren Erfahrungen und schweren Versündigungen unter uns in Zukunft gelten soll. „Bist du für den neuen Rektor oder nicht?“, so hat man ungestraft in den ersten Jahren, da unser seliger Herr Rektor unter uns waltete, gefragt. Schwestern, die absolut nichts verstanden haben von dem, was Herr Pfarrer Löhe gewollt und welch heilige, hohe Ziele er im Auge gehabt hat, warfen sich zu Verteidigerinnen der „guten alten Zeit“ auf, um die Gegenwart in Schatten zu stellen und der leitenden Persönlichkeit ihr Amt zu erschweren. So schlimm war es in der dritten Periode unserer Anstaltsgeschichte nicht mehr. Unser jetziger Herr Rektor wäre auch mit vollem Recht dareingefahren. Aber dennoch mußte ich auch in der neuen Zeit zu meinem tiefen Schmerz das wahrnehmen, daß man die Treue gegen das, was gewesen ist, darin suchte, daß man Vertrauen und Hingabe in der neuen Periode zurückhielt. Meine Anschauung ist die: solange in der Kirche Gottes auf Erden dem Herrn gedient werden soll in stillem Frieden, muß Ordnung sein. Ordnung aber setzt Über- und Unterordnung voraus, und erst wenn die Ordnungen in Kirche, Familie und Staat werden abgetan sein, wird der Antichrist die Basis finden, auf der er sein Reich aufrichten kann. Die leitenden Persönlichkeiten sind freilich sündige, fehlsame Menschen wie alle Sterblichen. Aber für uns haben sie das Besondere vor allen anderen Menschenkindern, daß Gott sie für uns mit einer Würde umkleidet hat, die ein kleiner Strahl und Ausfluß von Seiner selbsteigenen Majestät ist, die ich nicht ungestraft ignorieren darf. Um Seinetwillen, um Gottes willen ehre und liebe ich sie nach Seinem Selbsteignen Gebot und danke für allen Segen, den er mir durch ihre Hände zufließen läßt, wenn Gott Seine Knechte aus der Mühe und Arbeit heimruft, so kann ich ihnen wohl wehmütig nachschauen, aber die fromme, nüchterne Art einer Schwester wird sich doch darin erweisen, daß sie allen empfangenen Segen nun festzuhalten sucht und damit der nachfolgenden Zeit beweist, daß die Arbeit in vergangenen Tagen nicht vergeblich an ihrer Seele gewesen ist, und nun mit ganzer Aufgeschlossenheit der neuen Zeit sich zuwendet.| In Gottes Reich ist kein Stillstand, es ist fortgehende Entwicklung, und neue Zeiten bringen neue Aufgaben, wenn nur alle maßgebenden Persönlichkeiten auf demselben einen Grunde stehen, der Jesus Christus heißt. Ich möchte so gerne, daß Willkürlichkeit und Subjektivität nach und nach unter uns zurücktritt und heilige Zucht und Einfalt die Herrschaft gewinnt. Ach, wir sinds ja nicht wert, daß Gott unser Haus in langen Jahren so unaussprechlich gesegnet hat. Wollen wir uns nicht aufmachen, gemeinsam die Gelübde des Dankes zu bezahlen? Wollen wir nicht immer wieder froh werden, daß wir einem Hause angehören dürfen, das so mit Gnade und Barmherzigkeit gekrönt worden ist und das sonderlich wieder in den letzten Jahren mit einem Strom geistlichen und leiblichen Segens überströmt worden ist?

 Warum schreibe ich nun Dir das alles, liebe Schwester Marie? Es hat gar keinen besonderen Grund. Es ist mir nur jetzt gerade, da ich an Dich schrieb, aus der Seele geflossen, und manchmal ist es mir, als müßte ich doch noch allerlei sagen, ehe eine andere Hand in dieser Stube die Feder führt und eine andere Zeit auch nach dieser Richtung hin kommt. Bitte, grüße die Schwestern, ich wünsche Euch eine gesegnete Festzeit und tiefen Frieden.

Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Wilhelmine Kißner.
Neuendettelsau, 27. Dez. 1897

 Meine liebe Schwester, nun hast Du gestern am Grabe Deiner lieben Mutter gestanden. Ich weiß es, was das für ein Weh ist. Man kann sich’s vorher nicht vorstellen, wie das ist. Aber Du wirst es auch erfahren, daß der Himmel ein Stück näher erscheint, wenn wir so unser Liebstes droben wissen. Sei getrost, wir sind ja alle nur Pilgrime und sollen nicht trauern, wenn unsere Lieben vor uns das Ziel erreichen. Und des Todes Schrecken hat Der überwunden, der an Weihnachten gekommen ist. Ich möchte Dir wohl ein Stück mehr von meinem Herzen anbieten, nachdem Du Deine Mutter nicht mehr auf Erden hast. Ich bin wohl arm, aber eine treue Liebe bis ans Ende und eine mütterliche Teilnahme für all Deine Leiden und Freuden sollst Du bei mir finden.

Mit vielen Grüßen an alle Schwestern Deine Therese.


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An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 9. Juni 1898

 Liebe Selma, denke Dir, wir kaufen in Obernzenn ein wunderschönes Grundstück von 71/4 Tagwerk mit 500 Obstbäumen um 2500 Mark. Vielleicht wird dorthin die für Bruckberg geplante Blödenanstalt gebaut.

 Heute ist Herr Pfarrer Eichhorn (von Kalbensteinberg) hier, um den „Entlastungsplan“ für Herrn Rektor zu besprechen.

Mit vielen Grüßen Euch allen Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen, die damals bei der ihr befreundeten Königin Marie von Hannover zu Besuch war.
Jakobsruh, 9. Oktober 1898

 Meine liebe Elisabeth, ich danke Dir sehr für Deinen guten Brief. Mich bewegen seit der Kaiserswerther Konferenz ähnliche Gedanken wie Dich. Besprecht sie doch einmal in einem Kapitel, und wir wollen es auch tun. So oft hat auch Herr Rektor schon den Gedanken und Wunsch ausgesprochen, es möchten doch die Gehilfinnen auch eine Tracht haben. Ich sehe wohl bei einer Zusammenfassung sehr viele Schwierigkeiten, aber sie müßten doch zu überwinden sein. Auch den Gedanken an ein zweites Diakonissenhaus bewege ich immer noch. Sollten wir beide vielleicht einmal nach Dresden und nach den gemachten Erfahrungen forschen? Es ist noch so viel zu tun, zu ordnen, ehe man stirbt und ehe der Herr kommt, aber die Sorge um eine „selige, fröhliche, heilige“ Sterbestunde (wie ich seit vielen Jahren bete) ist doch die Eine große Hauptsache, und sehr vieles muß als ganz klein verschwinden dem gegenüber.

 Denke Dir, ich schreibe am Sonntagabend auf der Jakobsruh, da soll ich eine Weile ausruhen. Es ist eine köstliche Stille hier, ein Sabbatfriede über Feld und Wald gebreitet und das Leben so einfach und natürlich. Die gute Schwester Babette Dietrich waltet so anmutig in dem Häuschen. Ich war heut in dem nah gelegenen Wollersdorf und fragte die Kinder einiges aus der biblischen Geschichte, „Warum mußten denn Adam und Eva das Paradies verlassen?“ „Äpfel Habens runter!!“ –

|  Sage Deiner Majestät, daß mir doch unter anderen Verhältnissen jeder leiseste Wunsch ihres königlichen Herzens Befehl wäre, aber da man Dich doch nicht gut in zwei Teile teilen kann, so muß doch um der Not willen in Nürnberg der 15. Oktober festgehalten werden. Du kommst ja nächstes Jahr wieder. Und dann kommt einmal eine Zeit, da es kein Scheiden mehr gibt, da man sich ohne Hemmnis Verkehr und Unterhaltung wählen darf und ungemessen Zeit zu allem hat! Ich sagte neulich zu Herrn Rektor: „Auf der neuen Erde setze ich mich auf einen Baum und lese ein Buch.“ Er sagte darauf: „Und ich erbitte mir alle tausend Jahre einen Spaziergang mit dem Apostel Paulus.“
In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Marie Wörrlein, Hofgut Jakobsruhe.
Neuendettelsau, 9. Dez. 1898

 Meine liebe Schwester Marie, wir haben eben eine herrliche Stunde gehabt über Heilslehre. Da sagte Herr Rektor unter anderem: Moses Kraft war nicht verfallen; das sei daher gekommen, haben die Alten gesagt, daß er so oft ins Licht Gottes geschaut habe. Bleib Du immer jung, liebe Schwester Marie, obwohl auch Deine Haare schon anfangen zu bleichen; bleib Du immer jung, indem Du immer im Wort bleibst und Deine Seele in die Ewigkeit eintauchen lässest.

 ...Vorigen Dienstag war Konferenz. Es ist mir solch eine Freude, daß die Herren von der Muttergesellschaft jetzt so gern und so zahlreich kommen. – Heute wurden die Weihnachtsbäume geholt, wenn es mir gelingt, möchte ich gerne auf der Jakobsruhe den Haager und den Wollersdorfer Kindern eine kleine Bescherung veranstalten. Laß uns Weihnachtsfreude und Weihnachtsfrieden überall hintragen, wohin wir kommen!...

Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 19. Dez. 1898
 Meine liebe Selma, Dank für Deinen Brief. Du sollst Schwester M. jetzt behalten und L. H. nicht bekommen, so sagt der liebe Herr Rektor, der allzeit gütiger, milder, barmherziger| und weiser ist als die alte Mutter. Doch um nicht ganz und gar im Schatten zu stehen, schicke ich Dir die letzten 1500 Mark. Darlehen von A. S., vom 1. Januar zu 31/2 Prozent zu verzinsen. Ist nun dem unersättlichen Himmelkron wenigstens bis über das Fest der Heißhunger gestillt? Nachher kommt schon wieder etwas.
Gott behüte Euch allesamt! Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuenmarkt, 7. März 1899

 Liebe Charlotte, ich sitze hier in Neuenmarkt und erwarte Marie Preller von Kulmbach her. Dann fahren wir nach Bayreuth und Eger. Wir sind dann schon, so Gott will, um drei Uhr in Karlsbad.

 Es war gestern ein schöner Tag, und mein Herz ist voll Dank über alle dem, was Gott getan und gegeben. Heller, Frühling verheißender Sonnenschein überflutete Himmelkron, das ich einst zum erstenmal in Novembernebel gehüllt gesehen. Herrn Rektor gefielen die neu geschaffenen Räume auch, und er sprach so tröstlich über des Heilands tröstliche Worte: „Ich will euch nicht Waisen lassen, ich komme zu euch.“ – Ich habe diesmal so recht den Eindruck, wie viel Schweres doch auf den Schwestern liegt und wie sehr sie unserer treuen Teilnahme und herzlichen Fürbitte bedürfen...

 Bitte, grüße die Schwestern.

In treuer Liebe Eure Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, 13. März 1899

 Liebe Schwester Regine, bei uns war und ist viel Influenza. Das Haupt selbst, unser lieber Herr Rektor, konnte kaum sprechen, hat aber doch nichts ausfallen lassen und findet es immer am besten, mit krankem Leibe all seinen Berufspflichten obzuliegen. Das können wir unserem Hirten nicht nachmachen...

Mit herzlichem Gruß Deine Therese.


An Schwestern in der Kindererziehung.
Vor Ostern 1899
 Meine lieben Schwestern, ob Eure Kinder Euch Freude machen? Ach, wenn alle das mitnehmen dürften aus der Anstalt, daß ein jedes gelernt hat, mit dem Heiland zu reden| in jeder Lage des Lebens und alles zuerst Ihm zu sagen, ehe es mit Menschen von seinen Angelegenheiten spricht! Freilich – das müßte von Euch selbst erst geschehen, und die Kinder werden es spüren, auch wenn sie sich nicht darüber aussprechen können, daß Ihr mit einem unsichtbaren Freunde verkehrt, der Euch immer darreicht, was Ihr bedürft. Grüßet die Kinder und seid auch immer recht einig in der Erziehung. Indem ich Euch Osterfrieden und Osterfreude wünsche, bin ich Eure mit Euch allezeit herzlich verbundene
Therese Stählin.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 21. April 1899

 Meine liebe Selma, denke Dir, was heute geschehen: ein Teil der Dorfkirche ist eingestürzt, so daß alles demnächst eingelegt werden muß. Auch der Turm kann nicht bleiben. So wird nächsten Sonntag von der Kirche Abschied genommen, und von Sonntag Kantate an nehmen wir die Dorfgemeinde freundnachbarlich in unser Kirchlein auf. Ich mußte weinen, als ich heute die Ruine sah, von der einst solche Segensströme ausgegangen sind.

Gott schenke Euch gesegnete Tage! Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, Mai 1899
Montag nach Exaudi

 Meine liebe Selma, heute ist Herr Rektor mit Herrn Inspektor Boeckh von Augsburg in München, jetzt eben ist eine wichtige Stunde. Man muß jetzt in Kirche und Staat nachgerade wissen, was wir Diakonissenhäuser eigentlich sind. Eine geistliche Korporation? Ein „nützliches Institut“? Eine juristische Person? Ein Amphibium? Es handelt sich um das Amortisationsgesetz und dessen etwaige Applizierung auf die Diakonissenhäuser.

 Ich lasse allen lieben Himmelkronern sagen: „Wer recht die Pfingsten feiern will, der werd’ in seinem Herzen still.“

 Frau Rektor grüße ich auch. Es kommt eine gute Botschaft nach der andern von dem jungen Herrn Vikar Meyer.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


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An drei Seminaristinnen im Examen.
Neuendettelsau, 24. Juni 1899

 Meine lieben Prüflinge, ich freue mich mit Euch, daß es heute Samstag und morgen Sonntag ist. Jetzt dürft Ihr aufatmen, und wenn am Montag die Prüfungshitze noch einmal beginnt, winkt doch schon der fröhliche Abend der Heimkehr, da wir Euch vom Bahnhof mit Freuden heimgeleiten werden. Wie will ich froh sein, wenn alles hinter Euch liegt und Ihr dann um eine Erfahrung von Gottes Hilfe reicher geworden seid. Es sollen nur alle Prüfungen unseres Lebens unsern Glauben erproben und bewähren.

 Während Ihr in hohen und tiefen Gedanken Euch ergangen habt, hat man hier das Brüderheim aufgerichtet, und ich mußte denken: trotz aller Gelehrsamkeit könntet Ihr doch dies wieder nicht, und unsere fleißigen Arbeiter könnten die Schwabacher Prüfung nicht machen. So hat jedwedes Glied in Gottes heiligem, großartigem Organismus seine Gabe und seine Schranke, und so muß es recht sein, daß niemand träge und niemand übermütig zu sein braucht.

 Kommt nur wieder heil an Leib und Seele, und ich will Euch mütterlich ans Herz nehmen. S. Clotilde bäckt jedenfalls einen Kuchen zum Empfang.

 Aller Erfolg und alles Gelingen sei Jesu zu Füßen gelegt. Grüßt die Schwestern, sonderlich Eure treue Pflegerin, der Ihr ja auch eine Note zum Abschied geben könnt.

Eure Therese.


An eine künftige Blaue Schülerin.
Bruckberg, 6. Sept. 1899

 Liebes Mariechen, als Du Dich neulich bei Herrn Rektor angemeldet hast, da ist er noch spät am Abend zu mir gekommen und hat mir Deinen Brief mitgeteilt, als wollte er auch mir am Abend eines schweren Tages einen Trost bringen. Ja, liebe Marie, sei Du uns immer ein Trost, wenn uns zuweilen die Last niederdrücken und die Fülle schwerer Erfahrungen den Mut lähmen möchte.

 Ich heiße Dich willkommen, liebe Marie, in unserer Gemeinschaft. Wir wollen ja gar nichts Besonderes, nur ein| wenig linderndes Öl in die Wunden unserer Zeit und unseres Geschlechtes gießen und den Menschen, die uns weinend auf unserm Lebensweg begegnen, die Tränen zu trocknen versuchen.

 Für meinen Unterricht liest Du am besten im Diakonissenbüchlein von Herrn Rektor Meyer, das Du ja wohl schon hast. Schwester Emilie gibt biblische Einleitung. Herr Rektor wird Dir schon selbst geschrieben haben, welche Propheten er durchnimmt. Ängstige Dich aber nicht. Jetzt mußt Du ja noch Deinem Beruf daheim leben.

 ...Ich bin einige Tage in Bruckberg. Da haben sie heute noch Sedansfest gefeiert, die Pfleglinge nämlich, mit Deklamationen, Flötenspiel, begeisterten Gesängen etc., so daß das Deutsche Reich auch getrost im Blick auf die Bruckberger Blödenanstalt sein kann, da so viele Patriotenherzen schlagen.

 ...Gott segne Deinen Ausgang und Eingang.

Deine zukünftige Oberin Therese Stählin.


An eine neu eingesetzte Hausmutter.
Neuendettelsau, 29. Sept. 1899

 Meine liebe Schwester, ich möchte Dir auch das noch sagen: Wenn die Schwestern ihre Anhänglichkeit an Deine Vorgängerin herauskehren, dann laß sie’s doch ungehemmt tun, und pflege die Treue und Liebe, soweit es recht ist. Sei nicht empfindlich, wenn nicht gleich die Herzen Dir zufallen, geh schlecht und recht und unabhängig Deine Bahn. Vereinige, soviel es die Zeit und die Verhältnisse erlauben, die Schwestern zu einer gemeinsamen Lektüre und zu der Betrachtung des göttlichen Wortes. Hier liegt die Kraft des Gemeinschaftslebens und nirgends anders. Sorge mütterlich für ihr leibliches Wohl, und lasse immer nach einer Nachtwache die Schwester am Tag ein paar Stunden schlafen. Dadurch erhält man die Kraft.

 Grüße die Schwestern. Lest die wunderschöne Engelrede[5], die Herr Rektor heute vor achtzehn Jahren gehalten hat.

Deine Therese.


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An die Schwesternschaft.
Neuendettelsau, 17. Nov. 1899

 Meine lieben Schwestern, ehe das Jahr zu Ende geht und wir eintreten in das zwanzigste Jahrhundert, möchte ich Euch allen noch einen Gruß der Liebe senden und Euch mancherlei erzählen. Wohl könnte das überflüssig erscheinen, und es hat mich auch immer etwas von einem solchen Brief abgehalten, denn das Korrespondenzblatt erhält Euch allezeit im Laufenden über den Gang der Dinge am hiesigen Ort und bietet überdies eine solche Fülle von Anregung und reizt so sehr zu innerer Verarbeitung des Dargebotenen, daß ein Brief aus meiner Feder füglich in der Feder bleiben könnte. Auch wurde durch die zahlreichen Besuche im Laufe des Sommers die Kommunikation zwischen hier und den Außenstationen lebendig erhalten. Doch wünschen manche Schwestern noch allerlei Details, und wir wollen es an nichts fehlen lassen, was etwa zu innigerem Zusammenschluß dienen kann.

 Laßt mich zuerst von dem reden, was seit vorigem Sonntag unsere Seelen tief bewegt: Schwester Emma von Soden in Madras ist am 22. Oktober so schwer erkrankt, daß sie selbst ihr Ende nahe glaubte und Schwester Auguste von Tanjore telegraphisch herbeigerufen wurde. Gott sei Dank ist augenblicklich die Gefahr vorüber und Schwester Emma konnte mit Schwester Auguste nach Tanjore reisen, aber doch wird eine Urlaubszeit in der Heimat unvermeidlich sein. Die liebe Emma schrieb mit Bleistift einen warmen Gruß und bittet in der Meinung, daß sie die geliebte Arbeit bald verlassen müsse, es möchten doch eine oder zwei Schwestern sich finden, die der armen Frauenwelt im Heidenland zu dienen bereit wären.

 Und nun laßt’s Euch gefallen, mit mir einen Gang durch unser Anstaltsgebiet zu machen und dabei einiges von den Ereignissen des Sommers an uns vorüberziehen zu lassen. Wir beginnen mit dem Gottesacker am Westende unserer Kolonie. Ihr wißt die drei frischen Gräber am Wege vor dem Leichenhause. Es hat der Tod im verflossenen Jahre wieder gewaltig ernst an unsere Türen gepocht, und viele unter uns denken bei der Frage, wer die Nächste sein werde: „Herr, bin ich’s?“ Ach, daß der gute Gottesgeist durch unsere Scharen hinziehen möchte und vernichten und töten alles kleinliche Wesen, allen in irdischen Dingen gefangenen Sinn, und uns| auferwecken zu einem neuen Leben, das der Ernst der Ewigkeit beherrscht. – Das neue Gebäude, das sich freundlich vor dem Hain Mamre mit der Front nach Osten und einem Flügel nach Norden erhebt, ist das Brüderhaus. Es wird den Brüdern ein hochwillkommenes Heim bieten, wenn es, so Gott will, nächstes Jahr bezogen werden kann. Vor dem Hause soll ein Garten angelegt und noch vor Eintritt des Winters sollen Obstbäume gepflanzt werden. Die immer neuen Aufgaben, die uns beschäftigen, sind auch ein Mittel gegen Marasmus; sie erhalten uns frisch und jung und sagen uns, daß wir noch wirken dürfen, weil es noch Tag ist. Aber freilich, um uns jugendfroh sein zu lassen, um nicht die Macht der Gewohnheit die Lebenskraft beeinträchtigen, nicht die veralternde Gewalt der Sünde über uns herrschen zu lassen, um die erste Liebe immer wieder rein und frisch zu machen, dazu bedarf es noch anderer Mittel, und ich brauche sie Euch nicht erst zu nennen, liebe Schwestern. – Nun gehen wir dem Rettungshäuslein zu, das ja eine große Hilfe erfahren hat, indem ein Teil der Zinsen von dem uns zugefallenen Erbe in seine Kasse fließen darf. Bei aller tiefen Dankbarkeit für das Feuchtwanger Erbe wäre es uns doch ein Schmerz, wenn etwa die vielen kleineren Erweise der Wohltätigkeit dadurch aufhören oder doch abnehmen würden, die uns nicht bloß wegen der so dankenswerten äußeren Hilfe, sondern auch um der Gemeinschaft der Freunde willen solch eine Freude waren. – Die Ökonomie durfte viel Segen spüren in den letzten Jahren, so daß sie der drückenden Schuldenlast sich bald vollends entledigen kann. Bei der Ausstellung, welche diesen Herbst in Kloster Heilsbronn stattfand, hat unsere Ökonomie drei Preise bekommen, und unsern treuen Stallmägden wurden drei schöne Tüchlein, die an kleinen Fahnenstangen hingen, dediziert. Wir kommen nun zur Bäckerei, mit welcher für alle Zeiten unzertrennlich das Andenken unserer seligen Schwester Marie Regine Braun verbunden ist. Ob die in allen Stücken konservative Schwester den neuen Dampfbackofen willkommen geheißen hätte? Fast möchte ich es bezweifeln. Aber er bewährt sich nun schon über ein Jahr und lehrt uns mit vielen anderen Erscheinungen, daß doch nicht alles Neue zu bemißtrauen ist. Gesegnet sei uns allezeit unsere Bäckerei, die mit menschlichem Fleiß zur Erhörung| der vierten Bitte beiträgt und die uns durch ihren Segen schon so manche Verlegenheit hat heben helfen. – Im Magdalenium wird viel, sehr viel gearbeitet. Die Erfolge freilich, die auf dem Gebiete der inneren Arbeit erzielt werden, entziehen sich zum größten Teil unseren Augen; aber das dürfen wir doch mit Dank öfters erkennen, daß nicht ganz vergeblich gearbeitet wird. Immer und immer wieder kommen Fragen um Dienstboten an uns, und man nimmt mit Betrübnis wahr, daß treue, verlässige und anhängliche Dienstboten in unseren Tagen eine Seltenheit sind. Laßt uns das ein großes Anliegen sein, sonderlich in den Waisenhäusern und Pflegeanstalten, daß wir helfen, dies schreiende Bedürfnis unserer Tage zu stillen.
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 Im Mutterhaus selbst dominieren, wie Ihr wißt, immer ausschließlicher die Schulen, und wir haben wiederholt schon ernstliche Überlegungen angestellt, wie dieselben noch erweitert werden können, ohne daß doch ihr eigentümlicher Charakter geschädigt wird. Jedenfalls wollen die Schwestern im gegebenen Fall darauf aufmerksam machen, daß sowohl für die Schulen im Mutterhause als auch für die Industrieschulen die Anmeldungen recht bald geschehen müssen, weil die Plätze in der Regel schon lange im voraus vergeben sind. Daß wir an der Grünen und Roten Schule nur noch geprüfte Lehrerinnen neu anstellen dürfen, ist bekannt, und ebenso, daß wir für den eigenen Bedarf die Lehrerinnen hier am Orte ausbilden. Diesen Sommer haben zwei Schwestern und ein Fräulein ihr Examen in Schwabach bestanden. Das ist für viele unter uns eine fremde Welt, was sich da vor dem gefürchteten Examen in der Stille der oberen Räume der Kinderschule abwickelt. Wen es aber gelüstet, hineinzuschauen, dem erschließt sich ein interessantes Gebiet, und er blickt hinein in ein fröhliches Treiben, das nicht ohne mancherlei Aufregung schließlich nach wohlbestandenem Examen bei einer fröhlichen Heimkehr nach Dettelsau seinen Ruhepunkt findet. Schwester Clotilde Sorge, die mütterliche Freundin der jungen Lernerinnen, beschneidet zuweilen ein Übermaß an Eifer und sucht durch körperliche Pflege bei viel geistiger Anstrengung ein Gleichgewicht herzustellen. Zum fünfzigjährigen Jubiläum, das nun nicht mehr fern ist, wünschte Herr Rektor sich einmal| ein Dutzend geprüfte Lehrerinnen. Wer dazu berufen ist, wird doch treulich helfen, daß dieser Wunsch nicht unerfüllt bleibt.

 In unserem Spital wohnt, solange das Brüderheim noch nicht fertig ist, unser kranker Bruder Memmler, dem wir unsere sonderliche Fürbitte zuwenden. – Dem Blödenhaus ist die größere Waschküche eine Wohltat. Und nun hat kürzlich die Blödenanstalt einen neuen, schönen Anstrich bekommen. – Die Erziehungsanstalt im „Waschhaus“ hat gegenwärtig keinen Pflegling. Schwester Marie Fleck hat die Fürsorge für das Haus übernommen und hält daneben die Industrieschule für die Dorfmädchen. – Die Hostienbäckerei im Feierabendhaus nimmt von Jahr zu Jahr an Ausdehnung zu. In diesem Jahre sind bereits über 700.000 Hostien versandt worden. In diesem Jahre durften acht Schwestern ihr Jubiläum begehen. Es war ein besonders schöner, gesegneter Tag, als am 13. September sieben von ihnen sich zusammenfanden, im Gottesdienst des Feierabendhauses für die noch hinterstellige Zeit der Pilgerfahrt durch Wort und Sakrament sich stärken ließen und dann am Abend mit uns allen in ernster Freude und fröhlichem Ernst zusammensaßen.

 Nun haben wir die Peripherie einigermaßen durchwandert und bleiben beim Zentrum noch ein wenig stehen, bei unserer lieben Kirche, die jetzt manchen Sonntag von Morgen bis Abend kaum leer wird. Wir freuen uns, daß wir der Dorfgemeinde diese Freundschaft erzeigen können, daß sie ihre Gottesdienste bei uns hält, und wünschen ihr mit der Vollendung der Kirche neues Geisteswehen und frisches Leben, wo welken und Sterben droht. Wie hat uns doch der Abschied von der alten Dorfkirche am Sonntag Jubilate das Herz bewegt! Am Abend vorher hielt Herr Rektor eine Christenlehre, die einen großen Überblick über die Kirchengeschichte gab. Was die Steine der Dorfkirche, so hieß es, alles erzählen könnten, welche Ereignisse an ihnen vorübergezogen vom Jahre 768 an bis zu diesem Sonntag Jubilate, wo der letzte Gottesdienst in diesen Mauern gehalten wurde und wo als letzter Gesang, ehe diese denkwürdigen Mauern fielen, von uns angestimmt wurde: „Gloria sei dir gesungen...“ – Und wie beweglich war auch die Grundsteinlegung am 5. Mai! „Gedenket eurer Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt| haben“, diese Worte rief unser Herr Rektor über die große, im Regen stehende Menge hin, als an ihn die Reihe der üblichen Hammerschläge kam. – Am Donnerstag, den 23. November, wird der Dachstuhl der neuen Kirche aufgerichtet.

 Heute wurde über den Schluß des Evangeliums Johannis gepredigt, über welches nun zwei Jahre lang in den Freitagsgottesdiensten gehandelt worden ist. An den Wochengottesdiensten des Feierabendhauses werden Psalmen ausgelegt. Die Probeschwestern empfangen am Mittwoch abend mit den Blauen Unterricht über Kirchenlied. Mit den Blauen nimmt Herr Rektor in den Hauptstunden die Propheten Sacharja, Haggai, Maleachi und Jeremias durch. Es wird viel gelehrt und gelernt unter uns, und wenn man so durch das Haus geht und überall die Stimme der Lehrerin hört, überkommt einen eine Befriedigung, daß auch an unserem Teile mit Fleiß und Ernst die Unwissenheit aus der Welt geschafft wird. – Herr Kirchenrat Lotze, unser treuer Freund und früherer Konrektor, ist zum Ehrendoktor der Theologie von der Universität Erlangen ernannt. Das wird alle, die noch aus alter Zeit stammen, interessieren und freuen. – In letzter Zeit haben die Schwestern viel geklügelt über ihren Etats, um Defizite zu vermeiden. Das will oft nicht ganz leicht sein. Aber wie müssen wir danken, daß Gott uns immer wieder durchgeholfen hat und für den groß gewordenen Haushalt immer wieder beschert, was er bedarf. Ich las dieser Tage in Herrn Pfarrers Leben gerade den Abschnitt, der uns einen Einblick tun läßt, wie viel Sorge ihn doch auch oft gequält hat. Und wie denke ich an manches Wort unserer seligen Frau Oberin, das ich jetzt besser verstehe als zu der Zeit, da es gesprochen wurde.

 Wahrlich, wir haben Ursache, ein dankbares Geschlecht zu werden. Daß wir versetzt sind in das liebe, lichte Reich des Sohnes Gottes und berufen sind zum Erbteil der Heiligen im Licht, das ist wahrhaftig die größte Ursache zu täglichem Dank und täglich neuer Freude. Ja, dankbar und froh und voll demütigen Glaubens wollen wir vom alten ins neue Jahr, vom alten ins neue Jahrhundert hinübergehen und in aller Angst und Not, in allen Stürmen und Versuchungen die starke Hand ergreifen, die uns hindurchretten will. Verachtet es auch| nicht, wenn ich bitte, in der Weihnachtszeit mehr der inneren Bereitung als der äußeren Zurüstung zu gedenken.

 Allen lieben Leserinnen wünscht eine gesegnete Festzeit

Eure Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Jakobsruhe, 24. Jan. 1900

 Meine liebe Selma, ich glaube es wohl, daß jetzt bei Euch Not ist. Herr Rektor sagte ohnedies, daß Ihr „ein zweites Feierabendhaus“ hättet. Das erkenne ich ja immer als den Segen der groß gewordenen Sache, daß es da viele Pöstchen gibt, die noch halbe Kräfte versehen können. Und es liegt sehr viel daran, daß die halben Kräfte ausgenützt werden. Wo sollten die sonst alle hin? Aber einige frische, wirklich gesunde Schwestern müssen auch dazwischen sein, sonst geht’s nicht.

 Ob ich Dir mit einem Plan kommen darf, der mich in letzter Zeit sehr beschäftigt? Die Hostienbäckerei nimmt im Feierabendhaus solch einen Umfang an, daß es für die schwachen Kräfte drückend ist. Es freut mich ja sehr, daß wir so viel begehrt werden, aber es erreicht die Zahl, die bereitet wird, nun fast eine Million. Das ist zu viel. Da dachte ich an eine Abzweigung in Himmelkron. Bitte, überleg Dir den Gedanken... Es müßte ja bei Euch zunächst nur in kleinem Maßstab betrieben werden. Nur daß die schöne Arbeit nicht reduziert werden muß und daß das Feierhaus nicht über Gebühr belastet wird. Überleg’ es mit Deinen „Räten“.

 Ob Ihr noch etwas haben solltet, um an einem freieren Ort die Blöden sich tummeln zu lassen, wie etwa unser Blödenwald einem solchen Zweck entspricht, das wäre ja eine zu diskutierende Frage. Du bekämest das Geld dazu? Sonst, muß ich schon sagen, würde ich mich an Deiner Stelle nicht nach neuen Schulden ausstrecken. Es hält oft wirklich schwer, das nötige Geld innerhalb der Anstalten aufzubringen. Bitte, grüße alles.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 6. Febr. 1900
 Meine liebe Frieda, ja, was soll man zu der Wundermär sagen? Ich – nach Nervi – zu Emma! Ich denke, Du freust| Dich. Freilich solltest Du mit. Aber der Verstand kann hier nicht mit dem Herzen stimmen. Aber wir denken Dein, so innig und warm, daß Du’s vom Mittelmeer bis an den Main spürst. Gedenke Du nur auch unser auf der Reise. Die treue Charlotte zieht mit mir.

 Ich habe immer noch eine Schuld Euch Lieben gegenüber: ich habe nur mündlich danken lassen für Euer freundliches Gedenken an meinem Geburtstag. Herr Rektor hat sich auch gefreut, daß solch eine Treue für das Brüderheim unter den Schwestern ist. Also ich danke Euch und freue mich, wenn ich Euch das schöne Bild an Ort und Stelle zeigen darf.

 Ich grüße Euch alle. Gott behüte Euch!

Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Nervi, 21. Februar 1900
Herrn Pfarrers Geburtstag

 Meine liebe Schwester, es ist sehr schön, daß wir hier mit Emma zusammen waren, und mir eine große Beruhigung. Es geht sichtlich vorwärts mit ihr, wenn auch freilich noch lange nicht alles in Ordnung ist.

 Hier wird einem das Herz so weit vom großen, weiten Meer, und die Missionsgedanken treten einem auch durch die Natur nahe. Dies Mittelmeer hat in alter und neuer Zeit viele Missionsschiffe getragen. Auch las ich ein Buch von dem Dettelsauer Missionar Flierl über die Mission in Australien und Neuguinea, das ich Euch sehr empfehle. Ich hoffe Dich recht bald zu sehen in der geliebten Heimat, die mich doch noch schöner deucht als das herrliche Italien. Grüße die Schwestern recht herzlich.

Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 28. Juni 1900
 Meine liebe Selma, ich hatte bisher den Beruf am Brüderheim nicht so aufgefaßt, wie es mir nun erscheinen mußte, als mir Herr Rektor bei meiner Rückkehr von der Reise diesen überraschenden Gedanken mitteilte. Aber ich muß nun aus voller Überzeugung sagen: Wenn wir nicht ein Opfer für die Brüdersache bringen, wird sie ihr Lebtag nichts. Es wäre mir nun eine rechte Freude, wenn Dir’s Gott schenken wollte, das| Ganze zu heben und Herrn Rektor, der so viel Schmerzen um dies „neugeborene Kind“ gehabt, eine treue Hilfe zu sein. Vorläufig sei nur noch mit ganzer Seele in Himmelkron. Wie wir freilich bei unserer großen Armut uns helfen sollen, das weiß ich nicht. Aber ich wäre auch sehr getrost, wenn ich Dich da draußen in dem wirklich schönen Haus beim Hain Mamre wüßte.

 Es ist ernste, schwere Zeit unter uns, und doch gewiß ist’s auch Segenszeit. Nur hat mich heut morgen die Losung so erschreckt: „Ich bin des Erbarmens müde.“ Ach, daß doch dies Wort uns nicht gelten müßte!...

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 31. Juli 1900

 Liebe Selma, jetzt sind wir am vorigen Sonntag fünfhundert Schwestern geworden! Und die sollst Du alle, alle lieb haben und tief ins Herz schließen – das heißt vierhundertneunundneunzig! – Wir haben heute den Bau eines Erholungshauses auf der Jakobsruh beschlossen. – Das Hostieneisen ist längst bestellt. Die Paramentik stiftet es.

 Und Du sollst ins Brüderheim. Ich habe mich sehr mit dem Gedanken, der mir anfangs fremd war, angefreundet. Besinn Dich auf eine Nachfolgerin. Die Brüdersache bedarf mutiger Hände, aber Himmelkron bedarf auch viel. Doch kann dort jetzt alles in einem mehr geordneten Geleise gehen.

 Gott behüte Dich! Wir erfahren immer wieder Gottes Wunderhilfe.

Deine Therese.


An Schwester Selma Trautwein.
Neuendettelsau, 8. Sept. 1900

 Meine liebe Selma, nächsten Montag, so Gott will, trifft Schwester Marie Winterstein in Himmelkron ein – und Du wirst dann in stillem Frieden hier arbeiten. Ich sehne Dich sehr herbei, liebe Selma, und setze viel Hoffnung auf Dich, nicht bloß für das Brüderheim, sondern daß Du auch mir und dem Ganzen eine treue Hilfe bist, da Du doch so von früh an alle Verhältnisse kennst. Und nun sei männlich und sei stark!

Deine Therese.


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An die Schwestern in Öttingen.
Jakobsruh, 22. Oktober 1900

 Meine lieben Schwestern in Öttingen, ich glaube, der Dank, der unausgesetzte Dank für Gottes unerschöpfliche Barmherzigkeit wäre die feste Burg, hinter der wir vor den Anläufen des Satans bis zu einem gewissen Grad geborgen wären. Undank und Unzufriedenheit öffnen dem Feind Tür und Tor, denn er ist selbst der Undank in Person.

 Ich bin auf einen Tag auf die Jakobsruh gegangen, um allerlei Rückständiges zu ordnen. Am 12. Oktober haben wir (es waren wohl zwanzig Schwestern dabei) hier den ersten Spatenstich zum Erholungshaus getan. Heute sind Dettelsauer Arbeiter hier, um in unserem Wald nachzusehen, ob sie Steine zum Bau finden...

In treuer Liebe Eure Therese.


An eine Schwester.
Oberzenn, 8. Juni 1901

 Liebe Schwester Johanna, ich bin hier in Obernzenn, wo das neue Pflegehaus noch ein wenig Sorgenkind ist. Aber ich freue mich doch recht, daß wir dieses Haus haben, das so viel Elend birgt, das sonst nicht gut unterzubringen ist.

 Weißt Du denn, daß wir so große Dinge in Dettelsau planen? Schulhausbau etc., etc. Dabei ist der Gedanke aufgetaucht, das Feierabendhaus zu etwas anderem zu verwenden und das ganze Feierabendhaus ins Mutterhaus zu verlegen, das ja dann Raum bietet und in dem dann Blaue Schülerinnen mit pflegen können. Es ist noch nicht zum Abschluß gekommen, aber der Gedanke wird nun viel bewegt...

Mit herzlichem Gruß Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 12. Juni 1901

 Meine liebe Elisabeth, ich werde Dich sehr entbehren, wenn Du am 18. nicht kommen kannst. Es ist eine sehr wichtige Konferenz, und ich bäte jedenfalls, daß Du Deine Gedanken Herrn Rektor gegenüber schriftlich aussprichst, wenn Du nicht kommen kannst. Ich schicke Dir auf alle Fälle das Programm noch einmal; bitte, schicke es mir gleich wieder.

|  Der Gedanke, das Feierabendhaus ins Mutterhaus zu verlegen, ist ja wohl groß und kühn und wie ein Brechen mit einer vierundzwanzigjährigen Entwicklung. Andererseits ist er sehr natürlich: um der Schulen willen mußte damals für die kranken Schwestern anders gesorgt werden; nun sollen die Schulen ihr eigenes Gedinge bekommen (wir haben einen idealen Platz ganz am Wald ins Auge gefaßt), – da kommt es mir nur natürlich vor, daß die Schwestern nun wieder ins Mutterhaus kommen. Das Feierabendhaus hätte ich am liebsten dann zum Seminar gemacht (das ist natürlich alles noch sehr unklar), denn wir müssen nun mehr Lehrerinnen ausbilden. Der Gedanke von der lobenden, feiernden Gemeinde im Feierabendhaus ist groß und schön und gewiß nicht ohne Verwirklichung geblieben, und welch ein Segen ist von den Gottesdiensten und Sterbebetten ausgegangen! Aber das könnte doch alles im still gewordenen Mutterhaus auch sein. Das Familienzimmer würde wieder – Betsaal! Ich denke eben nicht bloß an die schöne Seite des Feierabendhauses, sondern an eine vierundzwanzigjährige Leidensgeschichte. Gott wolle uns doch viel Weisheit geben. Es ist jetzt so gar viel, was Herz und Gemüt bewegt, und ich möchte so viel mit Dir besprechen. Ich finde, daß gerade die vielen Aufgaben unsere Sache frisch erhalten. Aber Gott behüte uns vor dem kleinsten willkürlichen Schritt!

 Es sind so mancherlei Zeichen, daß Gott die Nürnberger Schule will. Sie hat jetzt bereits fünfzig Anmeldungen. Heute schickte uns die Familie Tucher 500 Mark zu dem neuen Unternehmen. Gestern schickte uns jemand 100 Mark für unser Erholungshaus. Denk Dir, sie haben mir in Kaiserswerth ein Thema zugewiesen für die Konferenz: von Leseabenden für die Schwestern und von der rechten fruchtbaren Gestaltung der Ferien, willst Du mir helfen? Es sollen jetzt immer nur zwei Vertreter kommen, weil’s sonst zu viel wird. Herr Rektor und meine kleine Person werden diesmal vertreten. Herrn Rektor haben sie auch ein Thema gegeben: „Wie erziehen wir uns selbst und unsere Schwestern zu einer wahrhaftigen Gottesfurcht auf Grund der Wiedergeburt?“

 Doch ich muß aufhören. Gott behüte Dich!

In treuer Liebe Deine Therese.


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An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, Allerheiligen 1901

 Meine liebe Frieda, ich hoffe zu Gott, daß er Dich wieder aufrichten und Dich uns erhalten wird. Unser Heiland sei Dir ganz nahe jeden Tag und jede Stunde, daß Du gesegnet und innerlich erquickt aus diesem Kranksein hervorgehen dürfest, froh und mutig zu neuer Arbeit.

 Wir haben gestern eine herrliche Feier in Bruckberg gehabt. Ein sonniger Herbsttag machte es vielen Menschen möglich, teilzunehmen. Gesang und Posaunen, Gebet und Segen, Gottes Wort und zu Herzen gehende Rede – es mußte alles Herz und Gemüt tief bewegen. Das neue Haus stand beflaggt und geschmückt und öffnet nun seine Pforten vielen Elenden. Herr Rektor legte seiner Rede das Wort zugrunde: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, nämlich Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“ Dies Wort steht auch über Deinem Krankenlager, ja über Deinem ganzen Leben.

In treuer Liebe Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Himmelkron.
Neuendettelsau, 16. Nov. 1901

 Liebe Schwester Marie, für einen Neubau im Jahre 1902 bestehen wenig Aussichten. Ich selbst kann nicht dafür stimmen. Der große Schulhausbau erfordert alle Kraft; dazu ist der große Bau in Bruckberg noch nicht gezahlt, und wir haben außerordentlich viel Mühe, nur Geld geliehen zu bekommen. Wir täten nicht recht, wollten wir nun auch in falschem Wagemut einen solch großen Bau in Himmelkron unternehmen...

 Nun grüße mir alle Schwestern in beiden Häusern.

Deine Therese.


An eine Schwester aus einer einsamen Gemeindestation.
Neuendettelsau, 3. Januar 1902
 Liebe Schwester Marie, Du trägst schwer an der Einsamkeit? Gern würde ich Dir etwas von der Gemeinschaftsfülle,| die mich umgibt, abtreten. Laß uns durchs Gebet mit dem Herrn und mit Seinen Kindern verbunden sein, dann leiden wir nicht an der Einsamkeit. Von Henoch und Noah heißt es, sie führten ein göttliches Leben, und heute las ich, daß es im Grundtext heißt: „Er ging mit Gott.“ Liebe Schwester Marie, so möge es auch von uns heißen: ja, wir wollen mit Gott gehen. Laß Deinen Beruf Deine große Freude sein, und werde Du eine rechte Gehilfin des Amtes...

 Sei allewege dem Herrn befohlen, der uns nie einsam läßt.

Deine Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Himmelkron.
Neuendettelsau, 5. März 1902
(Frau Oberins Geburtstag)

 Meine liebes Himmelkron, laßt mich halt einen kleinen Gesamtbrief schreiben, und nehmt aus demselben, was einen jeglichen angeht.

 Liebe Schwester Babette (Dietrich), ich warte schon recht auf Dich. Denn Schwester Charlotte Kollmann ist fort, und da kümmert sich jetzt kein weibliches Wesen um unser liebes Erholungshaus, und es ist bekannt, daß nirgends etwas Rechtes wird, wenn Frauenhände fehlen!! Seht Ihr, so bin auch ich vom Emanzipationshauch angeweht.

 Herr Konrektor kann Euch mancherlei erzählen. Wir sind in allerlei Nöten und Drangsalen. Aber ich merke, daß der Herr unter uns ist, und das muß uns genug sein. Habt Ihr auch schon einmal gelesen, was am Schluß von 2. Kön. 4 steht? Ich meine, das hätte ich ganz neuerlich erst entdeckt, wie schön ist diese alttestamentliche Brotvermehrung! Lest es zu Lätare.

 Gott behüte Euch alle. Betet, daß der heilige Geist in dieser Passionszeit durch alle Lande und durch alle unsere Herzen ziehe und eine große Bewegung anrichte.

Eure Therese.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 4. Juli 1902

 Meine liebe Elisabeth, wir haben so viel und Großes erlebt. Es war der 28. Mai so schön und erhebend, wie ich mich noch keinen erinnere. „Laß dir an meiner Gnade genügen“, darüber predigte Herr Rektor am Morgen. Am Abend traf uns die Nachricht, die in unsere etwas sorgenvolle Zeit hinein von Gott mit väterlicher Güte und zarter Fürsorge vorbereitet war, daß wir eine nicht unbedeutende Erbschaft in Regensburg gemacht haben.

 Und am Sonntag, da wurde unser schönes Erholungshaus eingeweiht. Ich fuhr mit den Eselein hinüber. Herr Rektor ließ einen Stein in die Mauer einfügen mit den Worten: caritate caritati exstructum – aus Liebe der Liebe erbaut. Daran schloß er seine Ansprache.

 Gestern abend spät kam Herr Direktor v. Schwartz und heute morgen eilte er von dannen, hinterließ uns aber die für uns schwere Sache: wenn wir Schwester Auguste Hensolt zum Jubiläum hier außen wünschen, dann muß noch diesen Herbst eine Schwester nach Indien!

Deine Therese.


An eine alleinstehende Schwester.
Neuendettelsau, 5. Aug. 1902

 Meine liebe Schwester Marie, seit ich vor mehreren Wochen in Hof war, trage ich eine Sorge um Deinetwillen mit mir herum. Schwester L. sagte mir, Du wärest furchtsam, weil Du allein schläfst. Das begreife ich sehr gut, und es ginge mir ebenso. Ich finde es auch geradezu unpassend, daß eine junge Schwester in dem abgelegenen Haus allein ist, und ich muß mich darum anklagen, daß ich es nicht schon längst abgestellt habe. Schreibe mir nun, ob Du bald in Ferien hieher kommst; dann könnten wir mündlich über die Sache reden. Ist das nicht der Fall und bist Du noch nachts allein, dann gehe zu Herrn Pfarrer und sage ihm, daß ich das nicht mehr wünsche und daß ich ihn bitte, er möchte sorgen, daß nachts jemand bei Dir schläft.

 Nächsten Sonntag ist unsere Kirchweih, und für Montag ist eine Schwesternkonferenz anberaumt. Bete, daß der Geist| Gottes die Beratungen durchweht. Ich denke überhaupt, Du sollst recht viel beten, namentlich auch für die Diener Gottes, daß ein heiliger Eifer sie entflamme, dem Herrn den Weg zu bereiten.
Gott behüte Dich. Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 27. Aug. 1902

 Meine liebe Frieda, denke Dir, Lina Streng soll, will, darf, kann   nach Indien! Was wird das für Emma sein! Bittet auch Ihr, daß Gott es stört, wenn es nicht gut ausginge, und daß Er uns gewiß macht, wenn es Sein Wille ist.

Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 17. Jan. 1903

 Meine liebe Elisabeth, ich war in Nürnberg diese Woche und ging im Krankenhaus noch spät am Abend mit Schwester Marie Peitzner in einzelne Bauten. Ach, wie groß muß Gottes Liebe sein, die solche Leiden über die Menschen verhängen kann, nur um sie vor ewigem Leid zu bewahren, wenn es möglich ist.

 Ich war zuerst in Lauf. Dahin telegraphierte mir Herr Rektor, er sei nach Polsingen gerufen worden. Er reichte Schwester Berta Wieland noch am späten Abend das heilige Abendmahl... Auch Herr Löhe[6] ist müde und krank. Er bat Herrn Rektor, daß wir sein Gut kaufen möchten. Es wird auch gar nichts anderes übrig bleiben. Aber welch eine neue, große Sache für uns, nicht allein die große Geldsumme, sondern auch dann die Bewirtschaftung! Und doch, wenn in dieser armen, bösen Zeit dadurch mehr Menschen ein Bergungsort bereitet werden könnte, wenn arme Leute Arbeit fänden, wenn noch mehr Zusammenschluß zu einem frommen Leben dadurch ermöglicht würde – gerne wollen wir noch mehr Sorgen, die wir ja doch schließlich auf Ihn legen dürfen, auf uns nehmen. Herr Superintendent Draudt schrieb mir neulich über die Sache; er ermutigt sehr zum Kauf, wenn es an uns kommt.

|  Gestern hatten wir eine sehr wichtige Stunde. Herr Rektor nimmt ja an den Freitagabenden die Offenbarung durch und gibt uns viel Licht über Zustände und Fragen unserer Zeit eben aus dem Wort der Offenbarung. Bei Offenb. 14 stehen wir jetzt gerade. Und morgen ist das herrliche Evangelium von der Hochzeit zu Kana.

 In München liegt eine große Wehmut auf der Station. Schwester Karoline Kienlein wird zusehends schwächer, und ihre Augen sind dem Erblinden nahe. Da denke Du auch vor Gott daran und bitte ihn, daß geschieht, was ihr und was der Station zum Heile dient.

 Es ist wieder viel Schwesternnot da und dort. Gott wird uns nicht zu Schanden werden lassen. Schwester Lina Streng schreibt hochgemut vom Mittelmeer aus, hofft am 25. Januar in Indien zu landen.

 Heut ist unseres seligen Herrn Rektors Hochzeitstag, und sein Enkelsohn in Eschau harrt der Taufe!

 Gott behüte Dich. Bitte, schlaf recht viel.

Deine getreue Genossin in Leid und Freud Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Himmelkron.
Jakobsruh, 17. April 1903

 Mein liebes Himmelkron, meine Lieben, ich sehe ja doch immer wieder, wie Gott in unsern großen Nöten hilft. Nun hat Herr Rektor vorigen Dienstag vom Polsinger Schloßgut Besitz ergriffen. Habt Ihr auch schon einmal den Spruch gelesen, den ich ganz neuerlich entdeckt habe und dem neuen Verwalter habe schreiben lassen: „Ich will dem Korn rufen und will es mehren und will euch keine Teuerung kommen lassen“?

 Heute morgen um fünf Uhr ist hier auf der Jakobsruh ein kleines, kohlschwarzes Eselein angekommen, was ich hiemit der ganzen Hausgemeine zu wissen tue. – Kennt Ihr das Buch von Grashoff: „Die andere Welt?“ Ich rate Euch allen, doch immer im Getriebe des Tages einen Blick in Gottes Wort zu tun, einen Labetrunk zu nehmen aus dem Strom der Ewigkeit. Sonst werden auch wir Menschen der Diesseitigkeit, und das wäre schlimm.

In herzlicher Liebe Eure Therese.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 7. Mai 1903

 Meine liebe Elisabeth, es liegt mir in der letzten Zeit so viel im Sinn, ich möchte Seelen auffordern, sich mit mir zu vereinigen, daß wir unser ganzes Leben nach Gottes Wort richten wollen.

 Gestern war es wieder so schön bei der Generalversammlung, daß ich recht dankbar war, um so mehr, als es mir in den letzten Wochen so bänglich zu Mute war. Der Sorgengeist befiel mich, und es ist gewiß auch richtig, wenn ich die Stimme laut werden lasse: „Nur das Tempo mit Bauen und Ausbreiten etwas mäßigen!“ Nächste Woche ist ein Missionslehrkurs in Dettelsau; ungefähr hundert Teilnehmer stellen sich ein.

 Darf ich Dir zu Deinem Geburtstag ein kleines Büchlein schenken, das mir in einer Zeit meines Lebens sehr viel gewesen ist? Es ist von Harms und handelt vom Hohenlied.

Gott behüte Dich! In herzlicher Liebe Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 25. Juni 1903

 Liebe Schwester, wenn es in Vohenstrauß kalt wird, dann zieh Du diese Strümpfe an. Ich habe auch ein Rezept gegen Heimweh hineingelegt. Das ist probat. Ich danke Dir für Deinen Brief und bitte Dich herzlich, immer in der seligen Übung des Dankens zu bleiben. Denn dann wird alles gut.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 15. Aug. 1903

 Meine liebe Schwester Elisabeth, bei uns geht es jetzt gar arg geschäftig zu. Das Schulhaus muß fertig werden; bei uns werden Seminarräume und Schwesternzimmer hergestellt, dabei Feriengäste ohne Ziel und Zahl.

 Morgen ist unser Kirchweihsonntag!

 Ich möchte wieder mehr Stille haben. Weißt Du, wir sind jetzt in der Gefahr, daß die vielen Aufgaben uns übertäuben. Es ist Gnade von Gott, daß wir etwas tun dürfen; aber der| Versucher will uns an der Außenseite der Arbeit haften lassen. Gestern im Abendgottesdienst hielt Herr Rektor eine Ansprache über: „Ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest“, und mir war gerade an dem Tag das Wort so in die Seele gefallen: „Du hast den Namen, daß du lebest, und du bist tot.“

 Gott behüte Dich! Der Herr Jesus stelle in Dir und mir Sein Bild her.

Deine Therese.


An die Schwestern in Vohenstrauß.
Jakobsruh, 1. n. Epiphanias 1904

 Mein liebes Vohenstrauß, ich bin hier auf der Jakobsruh. Da wollen wir heute nachmittag noch den Haager und Reuther Kindern bescheren. Ich getraute mich in der Festzeit nicht auf so lange fort, weil wir täglich und stündlich auf den Heimgang unserer lieben Luise Gürsching warteten. War das eine merkwürdige Festzeit, die ich diesmal mit meinen Nichten, Luisens Schwestern, erleben durfte! Dieses Kranken- und Sterbelager wird uns unvergessen bleiben. Was ist es doch um eine Seele, die von der Gnade ganz erfaßt ist! Was in einem langen Leben nicht erreicht wird, das wird dann in kurzer Frist geschenkt. Ihr lieben Schwestern, laßt uns beten, daß wir ganz Kinder der Gnade werden.

 Wir hatten eine reich gesegnete Festzeit. Und Gott stärkte auch unsern teuern Herrn Rektor, daß er immer wieder freudig seines Amtes walten konnte. Am 2. Januar geleiteten wir die sterbliche Hülle unserer Luise zu Grabe. Herr Rektor hielt die Leichenpredigt über die Worte: „Wir haben Seinen Stern gesehen und sind gekommen, Ihn anzubeten.“

 Gleich nach den Festtagen berief Herr Rektor eine Versammlung, um mit ihr über das Jubiläum zu beraten. Wir wollen es recht einfach nach außen begehen, aber innerlich wollen wir uns jetzt schon rüsten, um mit tiefer Buße und heißem Dank den Tag zu begehen. Wir alle haben unsere sündigen Spuren dem Werk eingeprägt und haben alle unaussprechlichen Segen in Dettelsau empfangen.

 Gott behüte Euch, meine lieben Schwestern!

Eure Euch innig verbundene alte Mutter.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen zum Geburtstag.
Neuendettelsau, 28. April 1904

 Meine liebe Elisabeth, ich sende Dir wieder zum 2. Mai innige Segenswünsche. All das neue Leben draußen ist uns immer wieder ein Unterpfand dafür, daß Gott uns alle Seine Verheißungen hält. Er wird auch Dir Seine Treue halten und all Seine Liebes- und Friedensgedanken an Dir hinausführen. Und wir wollen treu und fest miteinander verbunden bleiben und unserm hochgelobten Heiland anbetend und dankend zu Füßen liegen. O wie wird’s uns sein, wenn wir wirklich daheim sind!

 Es ist schön jetzt bei uns, dies gemeinsame Rüsten aufs nahe Fest. Ich habe eine große, innige Freude dabei und bitte den Herrn, er wolle alle Schuld in die Tiefe des Meeres versenken.

 Gott behüte Dich! Er schenke uns einen frohen Tag am 2. und 9. Mai.

Deine Therese.


An Prinzessin Elise Salm-Horstmar.
Obernzenn, 18. Mai 1904

 Durchlauchtigste Prinzessin, wie haben Sie uns doch erfreut und aufs neue zu innigstem Dank verpflichtet! Ihr herrliches Skriptum habe ich in einer geweihten Stunde den Schwestern vorgelesen. Es wird auch noch viel gelesen werden. Und für die Gabe und den Separatbrief auch innigen Dank.

 Nun liegen die schönen Tage schon eine ganze Weile hinter uns. Gott hat uns ein reichgesegnetes, liebliches Fest beschert und uns seine und vieler Menschen Freundlichkeit in so reichem Maße erfahren lassen, daß wir beschämt und gedemütigt sind. Es wird ja alles, was gefeiert und geredet worden ist, gedruckt werden, und Durchlaucht wollen dann alles, wenn Sie die Zeit dazu finden, nachlesen.

 Wir ließen auch die Urkunde, die am 23. Juni 1854 in den Grundstein des Mutterhauses eingesenkt wurde, neu drucken. Ich darf dieselbe Durchlaucht einmal zusenden. So viel Menschen hat Dettelsau noch nie beisammen gesehen. Auch die Bauern der Umgegend nahmen an unserer Freude und Feier teil. Daß das ganze Dorf, dessen Bewohner sonst so passiv sind,| sich aufmachte, die Häuser schmückte, mit zu den Gräbern zog, etc., etc., das war uns auch eine herzliche Freude. Daß doch einmal hervortrat, daß wir aus einer Wurzel entsprossen sind!

 Gottes Gnade schenke Durchlaucht ein seliges Pfingstfest! Wie nahe ist uns die Person des heiligen Geistes, und wie viel hat Er zu tun, daß Er eine vollendete Gemeinde und keine Ruinen dem Sohne Gottes am Ende der Tage überliefert!

 An Seine Durchlaucht will ich auch ein Dankeswort schreiben.

 Ich bin in Obernzenn, habe hier einige Geschäfte und freue mich des lieblichen Waldheims, wo viele Kranke Hilfe suchen.

 In großer Dankbarkeit und inniger Liebe bin ich

Ihre treu ergebene Therese Stählin.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Jakobsruh, 8. Aug. 1904

 Meine liebe Charlotte, ich bin dankbar für die Stille und daß ich ein wenig aufarbeiten kann. Ich war heut im Gottesdienst. Eine herrliche Predigt über die Epistel erfreute und stärkte uns: „Über den Reichtum der Kirche“, und daß wir nicht klagen sollten über die traurigen Zustände der Zeit, soviel auch Grund dazu vorläge, sondern danken für den Reichtum, der uns geschenkt ist. Ach ja, das wollen wir. Wie viel habe ich auch speziell zu danken, wenn ich mein armes Leben überschaue, – und daß mir Gott solche Männer zu Wegweisern gegeben bis in meine frühe Jugendzeit zurück.

 Es waren gestern die angekündigten Studenten aus Berlin bei uns, denen sich Herr Rektor sehr viel gewidmet hat. Nun wird, so Gott will, übermorgen, am 10. August, Marie Wagner in die Blödenanstalt eingeführt. Das war vor vierundzwanzig Jahren der Todestag von Doris Braun.

 Die Besetzungen machen uns viel Not. Es reichen halt die Kräfte nicht und sind so wenig Anmeldungen da. Gott wird auch da helfen, wie Er jetzt einen gnädigen, milden Regen schon zum zweitenmal auf unser Flehen gesandt hat.

 Ich habe in diesen Tagen auch das Buch von Amalie von Lasaulx gründlich gelesen. Man kann dies Bild doch nicht wieder vergessen. – Hier ist doch immer viel Bewegung.| Heut nachmittag kommen viele Schwestern, und das Haus wird ziemlich voll. – Ich las dieser Tage unter meinen Aufzeichnungen: „Und was ist all die Herrlichkeit der Welt gegen einen einzigen Blick Seiner Gnade.“ Ja, so ist es. Nach Seiner Liebe dürstet die Seele, und nach Seinem Erbarmen verlangt uns. Und nun ist doch gar nichts nötig als ein einfältiges, gläubiges Ergreifen...
Gott behüte Dich! Deine Therese.


An Schwester Berta Wieland nach dem Heimgang von Schwester Johanna Hensolt am 3. und von Schwester Wilhelmine Metzinger am 16. November 1904.
Neuendettelsau, 18. Nov. 1904

 Meine liebe Schwester Berta, es verlangt mich, Dir ein herzliches Wort zu schreiben mitten in der Stunde, da wir uns zum Begräbnis rüsten. Es ist ein großer, schmerzvoller Riß unter uns geschehen – zweimal nacheinander – und ich möchte, daß wir noch Lebenden uns inniger, herzlicher, wärmer zusamenschließen denn je zuvor, wir haben’s nun erfahren, wie wir „auf dem Sprung“ sind, wie unser Leben dahingleitet wie das Schifflein des Webers in fliegender Eile. Wir preisen die von Herzen selig, die im Frieden heimeilen durften, und danken Gott, daß wir so viel Schönes und Edles und Heiliges an ihnen sehen durften.

 Und dabei geht alles seinen Gang weiter, wir arbeiten als die Davoneilenden, und rechts und links nimmt der Tod seine Beute...

Deine Therese.


An Schwester Anna Schneider, Eysölden.
Neuendettelsau, 2. Januar 1905

 Liebe Schwester Anna, nun konnte ich Dir kein Abschiedswort mehr sagen; darum wünsche ich Dir schriftlich noch einmal Gottes Segen. Es ist so auffallend klar, daß Gott Dich in Eysölden haben will, daß Du darüber immer ganz getrost sein kannst.

 Herr Rektor kommt trotz der Kälte und trotz seiner neulichen Krankheit doch selbst. Ich glaube, er hat eine Freude an der Station. Nun schläfst Du schon die erste Nacht am| neuen Ort. Gott segne Dich an demselben und setze Dich zum Segen.

 Heute sind es dreiunddreißig Jahre, daß Herr Pfarrer Löhe tot ist – und ich bin immer noch unter den Lebenden.

 Schreibe bald, wie alles ist. Nicht wahr, Du kochst auch immer etwas Ordentliches.

 Die morgende Losung handelt von dem wunderbaren Wasser zur Zeit des Propheten Elisa. Da mach Dir Deine Gedanken darüber.

In treuem Gedenken Deine Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Polsingen.
Neuenmarkt, 20. Januar 1905

 Meine liebe Schwester Marie, die Geschichte, die am vorigen Sonntag unter uns geschehen ist, soll nicht umsonst sein. Sie soll Glauben und Hoffnung mächtig stärken. Ich muß sie Dir doch noch einmal ausführlich erzählen, obwohl Du sie von Herrn Rektor schon gleich erfahren hast. Also: es wurde über die Verwandlung des Wassers in Wein gepredigt und am Schluß eine Menge Gaben mit frommen Zusätzen abgekündigt. Nach dem Gottesdienst ließ mich Herr Rektor in die Sakristei rufen und überreichte mir einen Zettel mit den Worten: „Er offenbarte Seine Herrlichkeit.“ Auf dem Zettel stand eine Anweisung auf 10000 Mark. „Sind das nicht Wunder?“, sagte Herr Rektor, „Was tun wir nun damit?“, war seine Frage. Ich sagte gleich: „Wir haben jetzt so viel für Polsingen gebetet, da soll es wohl Polsingen zugewendet werden.“ Und nun war gerade an dem Sonntag der Architekt in Polsingen, zu dem man Vertrauen haben kann, wie wunderbar ist das alles! Wir brauchen uns deswegen gar nicht so arg zu beeilen, liebe Schwester Marie. Es soll nur alles recht gründlich überlegt werden, diesen Sommer alles ausgeklügelt und ausgearbeitet werden, dann kann die Ökonomie nächsten Winter die Fuhren tun, und im Jahr 1906 geht’s an ein fröhliches Bauen.

 Ich bin auf dem Weg nach Himmelkron, sitze und schreibe in Neuenmarkt. Gott behüte Dich: Ich sage Dir auch das Wort: „Fürchte dich nicht, du lieber Mann, und sei getrost,| sei getrost!“ Die Pfleglinge sollen auch Gott recht ernstlich anrufen, daß wir wissen, was in Polsingen geschehen soll.
Mit Grüßen an das ganze Haus Deine Therese.

 Das viele Geld hat uns Fräulein Knoop in Petersburg vermacht.


An die Schwestern in Reichenhall.
Neuendettelsau, 18. Mai 1905

 Mein liebes Reichenhall, nun bin ich sehr froh, daß ich Euch eine Vorprobeschwester als Hilfe anmelden kann auf nächsten Mittwoch, den 24. Mai... Ich hoffe, Ihr seid mit uns zufrieden und das Gespenst der 5 – mit Worten: fünf – Diakonissen nach Reichenhall erschreckt uns noch eine Weile nicht. Mit warmem Interesse verfolge ich Eure Arbeit. Ihr sollt in der Diaspora mit Gottes Hilfe zeigen dürfen, daß es um das Evangelium von der freien Gnade eine selige, heilige Sache ist, daß der Dank für empfangene Gnade ein mächtigerer Faktor ist als der Gedanke von Verdienst und Opfer. Der heilige Geist suche Euch pfingstlich heim!

 Aber Reichenhall ist sehr, sehr weit entfernt von Dettelsau, das entdecke ich immer wieder aufs neue.

 Wie war der 9. Mai wieder so wunderschön! Herr Rektor predigte über das große Wort: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Dieses „Auffahren“ wurde uns sonderlich als das flammende Gebet gedeutet. So fahrt denn auch Ihr, meine lieben Schwestern, auf, und holt Euch immer neue Kraft aus dem unerschöpflichen Quell!

 Schwester Auguste Hensolt ist jetzt in Mecklenburg. Sie soll den Frauenvereinen von Indien erzählen. Seit gestern ist ein Fräulein hier, die nach China geht, um dort blinde Heidenkinder zu unterrichten. Nächsten Samstag wird das Soloquartett von Leipzig hier wieder singen; das war vor drei Jahren so gar schön. Heute an seinem Geburtstag sind wohl viele innige Gebete aufgestiegen für unsern teuren Hirten. Gott erhalte ihn uns und segne ihn tausendmal!

|  Habt Ihr auch ein Bett für Eure neue Helferin und ein wenig Salz und Schmalz, daß sie Euch etwas kochen kann?
In herzlicher Liebe Eure Therese.


An die Schwestern in Reichenhall.
Neuendettelsau, 30. Mai 1905

 Liebe Schwestern, nun ist ein großes Telegramm eingelaufen. Ich sagte gestern: „Von Reichenhall sollen sie nicht telegraphieren.“ Da war aber das Telegramm schon hier. Auf der Fahrt nach Kloster Heilsbronn mit Herrn Rektor (er mußte heute nach Nürnberg) überlegten wir nun, wie wir den Wünschen gerecht werden könnten. Ich dachte schon ein wenig verzweifelt: „O wir haben in Reichenhall einen Turm angefangen und können es nicht hinausführen.“ Es wird nun aber doch Schwester M., eine sehr geübte Krankenpflegerin, die Saison über kommen. Aber bitte, bitte, keine Telegramme! Wir haben ja doch die Schwestern nicht dastehen wie die ungemieteten Arbeiter im Weinberge. Wir helfen ja ohnehin, so gut und schnell wir eben können.

 Nun kommt Himmelfahrt. Das soll ein rechter Bittag werden. An diesem Tag kann uns der Herr nichts abschlagen...

Deine Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Polsingen.
Neuendettelsau, 20. Juni 1905

 Mein liebes Polsingen, ich möchte doch unserm alten, würdigen Bauwart Stapfer ein paar Worte mitgeben. Er wird am besten raten können. Es ist mir immer sein Rat deshalb der liebste, weil er auf großer praktischer Erfahrung beruht und weil er weiß, aus welch armen Verhältnissen wir kommen, denen allewege noch Rechnung getragen werden muß, auch wenn wir durch Gottes Güte ein wenig leichtere Zeiten haben. „Willigis, Willigis, deiner Herkunft nicht vergiß“, hat jener Bischof über sein Bischofspalais geschrieben, der von Haus aus ein Wagnerssohn war.

 Mit vielen Segenswünschen für Eure Beratung

Eure Therese.


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An eine Schwester in Obernzenn.
Neuendettelsau, 21. Juni 1905

 Meine liebe Schwester, heute ist Dein Geburtstag. Vielleicht nimmst Du auch noch einen Tag später einen herzlichen Glückwunsch an. Laßt Euer Häuslein eine rechte Hütte Gottes werden, da die Menschen sagen: „Hier ist gut sein“ und da die Engel Gottes gern aus- und eingehen. Ich wünsche auch, daß es Euch beiden so wohl gehen möge, daß Ihr im Dienen nicht behindert seid.

 Heute sind „unsere Herren“ in Nürnberg. Herr Rektor hält einen Vortrag über „Die Wahrhaftigkeit bei Leichenbegängnissen“.

 Und wenn Ihr wieder nach Dettelsau kommt, dann ist völlig „die neue Zeit“ eingezogen: dann kannst Du in der Registratur Dich ans Telefon stellen und mit „aller Welt“ verhandeln, was immer Du willst. So stehts in Dettelsau!!

 Seid immer recht einig mit den andern Häusern, Ihr lieben christlichen Nachbarn, und „ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des andern ist.“

 Vier Seminaristinnen sind im Examen und verleben heute in Schwabach den dritten von den denkwürdigen Tagen.

 Es gibt sehr viel Heu, und wir danken Gott für alles und bitten, daß er die Fluren bewahre und uns frohe Erntetage beschere.

 Und – wir wollen die Esel auf der Jakobsruhe verkaufen!! Wollt Ihr sie? Mutter und Sohn – es ist ein preiswürdiges Paar. Aber sie nützen doch zu wenig gerade auf der Jakobsruhe. Die Poesie muß dem Verstande weichen.

Behüt Euch Gott. Deine Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, 29. Aug. 1905

 Meine liebe Charlotte, zu Deinem Geburtstag habe ich viele innige wünsche für Dich. Wir gehören ja doch ganz nah zusammen, und Du bist dazu berufen, auch die schwere Verantwortung fürs Ganze mitzutragen. Nun sind wir, ehe wir uns versehen, alt geworden, und der Tag hat sich geneigt. Nur wenig Jahre, und wir sind in der Ewigkeit, und alles geht hier weiter. Ob wir Segensspuren zurücklassen?

Deine Therese.


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An eine schlesische Pfarrerstochter, die sich zum Eintritt gemeldet hatte.
Neuendettelsau, 13. Okt. 1905

 Verehrtes Fräulein, Herr Rektor und ich sind der Meinung, daß wir Sie zu einem Versuch ermutigen sollten.

 Es ist ja freilich zu dem Dienst, den wir treiben, auch leibliche Gesundheit und Kraft nötig. Doch haben wir auch schon öfters erlebt, daß eine anfänglich zarte Gesundheit im Diakonissenberuf erstarkte, wenn die innere Zufriedenheit und das Glück der Seele den Leib beherrschte und ihn mit sich zog.

 Es liegt uns auch so viel daran, daß wir Schwestern haben, die die Sache, um welche es sich handelt, nach der innerlichen Seite erfassen und Trägerinnen der Grundidee werden, die wir vertreten möchten, daß wir nicht anstehen, auch manche Rücksichtnahme von vornherein zuzugestehen. Sollte uns Gott ja zeigen, uns und Ihnen zeigen, daß der Diakonissenweg doch nicht Sein Wille für Sie ist, so wäre es ja doch auch kein Unglück, wenn Sie den Versuch gemacht haben und den Plan wieder aufgeben müßten.

 Wie ich aus Ihrem Brief ersehe, möchten Sie ja doch auch nichts anderes, als Gottes willen tun. Er läßt Seine Kinder darüber nicht im Unklaren.

 So meine ich, wenn Ihnen nicht deutlich der Weg anders gezeigt wird, dann kommen Sie in Gottes Namen Mitte März hieher. Ich lege Ihnen einen Prospekt bei und reiche Ihnen im Geiste die Hand zu gemeinsamer ernster Arbeit. Das Feld ist weit und groß bei uns. Durch unsere liebe Schwester Käthe Matschoß ist Ihnen manches nicht mehr fremd.

 Empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Vater. In der Hoffnung, im Jahre 1906 Sie persönlich kennen zu lernen,

Ihre Therese Stählin


An eine ältere Schwester.
Neuendettelsau, 13. Febr. 1906
 Meine liebe Schwester, ich dachte, Du solltest in Bruckberg bleiben – und zwar aus zweierlei Gründen: erstlich wollte ich Dir nicht gerne einen wiederholten Wechsel zumuten, glaubte, es sei Dir lieber, in Bruckberg zu bleiben und da mit der noch vorhandenen Kraft zu dienen; zweitens glaubte ich, es sei für Bruckberg gut, wenn noch eine ältere Schwester da ist,| die da oder dort einer überlasteten Schwester eine Last abnehmen könnte, natürlich in geordneter Weise. Nun schreibt mir Schwester Auguste, daß meine Gedanken Dir nicht gefielen. So bitte ich Dich, mir zu sagen, was Du gern möchtest. Wenn man älter geworden ist und mit reduzierter Kraft zu arbeiten hat, dann ist es schön, wenn man seiner Umgebung den Eindruck macht: Mir ist alles recht, wenn ich nur da und dort noch etwas nützen kann und darf. Es sind mir in dieser Hinsicht einige ältere Schwestern ein erquickliches Vorbild. Wie gern tut unsere Schwester Sibylla diesen und jenen Dienst, der gerade vorliegt, wie schön hat sich Schwester Christiane Hühne in das ganz neue Verhältnis gefunden, wie ehrwürdig ist uns allen Schwester Luise Adelberg! So in dieser Weise dachte ich mir auch Deine zukünftige Aufgabe. Ich denke, Du wirst mich verstehen. Aber sprich Dich nur darüber aus.
In herzlicher Liebe bin ich
Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Babette Gößwein.
Jakobsruhe, Pfingstabend 1906

 Meine liebe Schwester Babette, nun sende ich Dir einen herzlichen Pfingstgruß von der Jakobsruhe aus, dem lieben, stillen Ort, der jetzt sein schönstes Festgewand angelegt hat. Schwester Sophie Lutz war auch hier und hat, wie sie zu tun pflegt, gedichtet. Das letzte Poem beginnt:

 „Wem Gott will eine Gunst erweisen,
den schickt er auf die Jakobsruh.“

 Aber dieser Ort ist nun auch besonders gekennzeichnet. Man hat die erste Tote, unsere liebe Schwester Marie Ebert, herausgetragen. Ich dachte mir’s vor der Leiche: „Gewiß predigt Herr Rektor über ihren Einsegnungstext.“ Und so war’s auch. „Ich werde den König sehen in Seiner Schöne“ (Jes. 33, 17), das war bei der ersten Einsegnung, die Herr Rektor gehalten hat, der Text der Rede.

 Ihr wißt schon, daß wir manche Sorge haben. In Worms hat Bruder Winterstein und Bruder Rudolf Hopf Typhus! Betet für sie. Diese beiden gehören zu unseren Besten. Und ich weiß, daß Ihr auch sehnlich auf Ersatz wartet. Aber wir können halt nicht. Das Drängen und Pressen verfolgt mich| bis in meine Träume, so daß mir vorgestern hier träumte, im Dettelsauer Missionshaus hätten sie neu gebaut und dazu vierundzwanzig Diakonissen von uns verlangt!!

 Das liebe alte Fräulein Döderlein sah wunderschön im Tode aus. Auf Herrn Rektors selbsteigenen Wunsch ließen wir sie photographieren.

 Gestern war Herr Pastor Georg Fliedner mit Herrn Konrektor auf der Jakobsruhe. Wir hatten ja in Dettelsau in letzter Zeit reichlich hohen Besuch: Zöllner, Schäfer, Mollwitz, Hoppe, Petran von Frankenstein etc., etc. Wir fühlten uns sehr geehrt!

 Nun wünsche ich Dir und Eurem ganzen Hause ein seliges Pfingstfest. Der heilige Geist suche jede Seele unter uns heim. Grüße alle.

Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Marie Winterstein.
Neuendettelsau, Trinitatis 1906

 Liebe Schwester Marie, heute haben wir den letzten Gottesdienst in unserer Kirche gehabt. Wir ziehen auf ein Vierteljahr aus. Betet recht ernstlich darum, daß alles recht und gut wird. Am Sonntag gehen wir in die Dorfkirche. Das Kleine Abendmahl ist früh sieben Uhr im Blödenbetsaal. Die Abendgottesdienste sind auch da.

 Vorgestern meldete sich ein Herr: wann er Herrn Rektor sprechen könnte. Es heißt: erst abends neun Uhr nach der Probeschwesternstunde. Da geht er lange vor dem Haus auf und ab, überreicht dann dem Herrn Rektor ein Kuvert mit 5000 Mark (!) und reist am andern Morgen wieder ab. O Ihr wißt nicht, was das ist, wenn man so Gottes freundliche, leutselige Antwort auf geheime Bitten erfährt. Oder ja, was sag ich da! Ihr habt es selbst auch unendlich oft schon erfahren. Und wir wollen Ihm miteinander danken. Das Geld sollte für die Blöden sein.

 Fräulein Döderlein soll nicht unter uns vergessen werden, diese Vertreterin des kontemplativen Prinzips, das ja wohl in seiner Einseitigkeit keine Nachahmung finden soll, das aber als Ergänzung und Korrektiv in dieser unruhigen, eiligen, hastigen Welt und Zeit alle Beachtung finden soll...

Gott behüte Euch! Deine Therese.


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An eine künftige Blaue.
Jakobsruhe, 23. August 1906

 Meine liebe Maria, so heiße ich Sie denn herzlich willkommen als Blaue und künftige Schwester unter uns. Ihr Eintritt ist uns allen, die wir Sie kennen, eine herzliche Freude und eine Ursache zum Dank gegen Gott.

 Ich muß jetzt unwillkürlich vergleichen zwischen unserm Kommen nach Dettelsau und Ihrem Eintritt und dem Ihrer Genossinnen in der gegenwärtigen Zeit. Wir wußten doch gar nicht, was wir wollten und taten; Sie können nach reiflicher Überlegung einen klaren Entschluß fassen. Ich war fünfzehn Jahre alt, als Gott meinen Weg hieher lenkte; ich träumte in einer Nacht, ich sei im Paradiese, und das Paradies war Dettelsau. Und als ich auf der Herreise in Ansbach übernachtet hatte, ging ich mit meiner Begleiterin in eine Kirche. Da predigte der Pfarrer: Von dem Ruf Gottes in Seinen Weinberg. Man soll dem Rufe folgen ohne Rückhalt, ohne Zaudern, ohne Klage. So kam ich hieher vor bald einundfünfzig Jahren, wußte nicht recht, was ich wollte; dann wurde es mir bald klar: Hier geh ich nicht mehr weg.

 So hat der treue Gott manch eine aus der alten Zeit geführt, und anders führt Er jetzt, und es ist doch immer Seine Hand und Sein Erbarmen.

 Ich will Ihnen, so lang ich lebe, eine treue, mütterliche Freundin sein, und dann werde ich einmal froh sein, wenn ich auf fromme Schwestern schauen kann, die mit gesegneteren Händen die teure Gottespflanzung pflegen, die Sein Erbarmen unter uns hat werden lassen...

In herzlicher Liebe Ihre Therese Stählin.


An Schwester Anna Schneider, Eysölden.
Neuendettelsau, 24. August 1906
 Liebe Schwester Anna, ich freue mich, daß ich nun Eysölden kenne, Dein Häuslein gesehen habe und den großen Weiher und die lieben Pfarrleute und Deine braven Kinder und den Gottesacker und die guten Frauen etc. Du hast wirklich alle Ursache, Gott zu danken für ein solch schönes Arbeitsfeld. Gott wolle Dir Gelingen schenken und die große Gnade, an jenem Tage auch mit etlichen Garben vor Gott treten zu| dürfen. – Schwester Emma Wagner geht dem Ende entgegen. – Unsere Kirche wird recht schön.

 Sage Deinen Kindern, wenn ich wiederkomme, erzähle ich ihnen wieder eine Geschichte. Ich weiß noch viele.

Deine Therese.


An eine Tochter Dettelsaus.
Jakobsruhe, 11. Sept. 1906

 Liebe Maria, ich habe im Januar dieses Jahres einen lieben Brief von Dir erhalten. Willst Du jetzt noch eine Antwort darauf freundlich annehmen? Ich trage hier auf der stillen Jakobsruhe alte Schulden ab und freue mich, auch Dir ein Wort herzlicher Freundschaft in die Ferne senden zu können.

 Ich denke mir, daß Dir Dein Aufenthalt in Norddeutschland viele für Dein Leben wichtige Eindrücke vermittelt, Deinen Gesichtskreis erweitert und Dich manche wertvolle Erfahrung für die Zukunft machen läßt. Aber nicht wahr, mein Kind, das weißt Du, daß unser eigentliches Leben sich unter der Hülle des äußeren vollzieht. Das, was wir mit unserm Heiland erleben, das, was wir in tiefer Stille erfahren von innerlicher Strafe und von Trost, von Gebetserhörung und wachsendem Vertrauen zu unserm Herrn, das ist doch die eigentliche Geschichte unseres Lebens.

 Wache sorgfältig, daß das Feuer der ersten Liebe nicht in Dir erlösche, daß es immer reiner und heller brenne.

 Nächsten Sonntag werden wir wohl in unsere liebe Kirche wieder einziehen dürfen. Sie ist recht schön geworden...

 Gott behüte Dich, mein Kind!

Deine alte Freundin Therese Stählin.


An eine Schwester.
Augsburg, 12. November 1906
 Meine liebe Schwester, daß die Schwestern bei uns jederzeit offen ihre Anschauung über eine schwebende Frage aussprechen, das soll doch nie beeinträchtigt werden. Die Schwestern sollen in Dettelsau nie als eine Schar von Unmündigen angesehen werden, die regiert werden, sondern sie sind die Trägerinnen der Sache, sie nehmen an der Verantwortung| teil, sie sollen mit wachen, daß nichts unter uns geschieht, was den unserm Hause ausgeprägten Intentionen widerspricht, vor allem, daß nichts geschieht, „was Dich, mein Gott, beleidigen möchte“. Aber die noble und ideale Auffassung, welche die Vorstände gern den Schwestern gegenüber festhalten möchten, muß auch verstanden und in entsprechender Weise erwidert werden. Es muß doch etwas Gescheites, Begründetes sein, was die einzelne Schwester bei entgegengesetzter Auffassung der Dinge zu sagen hat, und die Form der Darstellung muß doch die der Bescheidenheit und nicht der Anmaßung und Selbstüberschätzung sein. Vor vielen Jahren schon, als ich noch nicht zum „Regiment“ gehörte, habe ich mir vorgenommen: Was ich meinen Vorständen nicht ins Gesicht sagen kann oder darf, darüber schweige ich auch gegen andere. Ich kann und darf ja alles Gott sagen.

 Ich habe schon allerlei erlebt. Gestern abend war ich bei der Jubiläumsfeier von drei Schwestern. Hier machen sie die Sache anders als wir, nehmen das Jubiläum schon vom Eintritt an. Da gelangt man schneller zu den fünfundzwanzig Jahren! Nun, wir wollen schon bei unserm Usus bleiben.

 Heute morgen telephonierte Schwester Selma von München, ob ich nicht den Besuch der Kaiserin in München miterleben wolle. Ich gehe aber nicht hin, obwohl selbst Herr Rektor mir den Gedanken in die Seele legt. Ich will mich jetzt mit aller Energie darauf verlegen – soweit es halt auf mich ankommt –, daß ich wieder frischer für die geliebte Arbeit werde.

 Gestern war ich in der Sakristei zu St. Jakob, wo ich einst so glücklich zu Bomhards Füßen saß. „Wie fleugt dahin der Menschen Zeit, wie eilet man zur Ewigkeit!“

Dein getreuer „Mitbürger“ Therese.


An die Schwestern in Schönwald.
Neuendettelsau, 8. Dez. 1906
 Mein liebes Schönwald, wir haben so viel erlebt. Ihr könnt Euch denken, wie mich der Tod von Marianne Löhe[7] bewegte. Am Todestag ihrer Mutter starb sie, und wenige Stunden darnach starb Herr Paul Löhe. Das war ein| eigenartiger Zug durchs Dorf, am geliebten Pfarrhaus vorbei, hinaus zum Gottesacker. Voran trug man den Sarg von Marianne, dann folgte der von Herrn Paul Löhe. Mariannens Leiche wurde in die Gruft gesenkt. Da hielt Herr Inspektor Deinzer die Leichenfeier. Dann zogen wir zum andern Grab, wo Herr Konrektor Stark vom Missionshaus amtierte.

 Und die Todesfälle bewegten uns unmittelbar vor der Einsegnung. Herr Rektor hielt den Unterricht über das Thema: „Der Knecht Gottes.“ „Ich aber bin unter euch wie ein Diener.“

Gott behüte Euch. Eure Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Fürth, Krankenhaus.
Neuendettelsau, 12. Januar 1907

 Mein liebes Fürth, es ist mir beim diesmaligen Einsegnungsunterricht tief ins Herz gefallen, daß Herr Rektor sagte: „Als vor sechzig Jahren die Diakonissensache ihren Anfang nahm, da traten die Häuser in die Lücke des Dienstes ein; nun sollen sie in die Schar der Bekenner eintreten.“ Das möchte ich allen einzelnen Schwestern sagen. Und wenn sich in Bayern die gläubigen Diener Gottes, wie wir hoffen, zu einmütigem Bekenntnis und mannhaftem Zeugnis zusammenschließen, dann wollen wir Frauen mit unsern Gebeten und mit unserm Wandel dies Zeugnis begleiten... Laßt uns ernstlich bitten, daß unter uns alles licht werde, daß nichts im Finstern schleiche und daß kein Unrecht unter uns herrsche.

Eure Therese.


An die Schwestern in Schönwald.
Neuendettelsau, 5. Mai 1907

 Mein liebes Schönwald, o Ihr Lieben, wenn Ihr wüßtet, wie ich mich abquäle um Eure Kinderschule! Was ich unternehme, das versagt; wo ich anklopfe, kommt ein: „Unmöglich“. Herr Rektor betont immer, „daß nur Schönwald besetzt wird“, und ich suche und sinne und – finde nichts. Und es ist, wie wenn Gott mein flehentliches Bitten nicht hörte. Jetzt schreibe ich nur, um zu sagen: ich muß mich insolvent erklären, wißt Ihr einen Rat, so sagt es; ich bin am Ende.

|  Ihr wißt doch, liebe Schwestern, wie ich danke für all das Große, was zu meinem Jubiläum geschehen ist. Kommt nur und seht das Fenster in der Kirche, die Mappe, all die Herrlichkeiten.
Nun verzeiht diesen Brief. Eure Therese.


An die Schwestern in Schönwald.
Neuendettelsau, 6. Mai 1907

 Liebes Schönwald, ich muß meinem Jammerbrief gleich noch einen folgen lassen. In solchen Zeiten kommt eben der verkehrte Herzensgrund ans Licht. Ich meine, Gott solle sich beeilen, mir zu helfen, und Er will sehen, ob mein Glaube standhält und sich bewährt.

 Nun möchte ich doch sagen, daß ein Ausweg sich finden wird. Wir werden eine Vorprobeschwester, an die ich neulich schon dachte, senden können. Nur möchten wir um ein wenig Geduld bitten. Es muß halt irgendwie gehen. Nicht wahr, es muß auch in Gemeinden gehen, in denen der Pfarrer erkrankt und das Konsistorium hat vielleicht nicht gleich einen Vikar. Und ein Pfarrer ist doch noch mehr als eine Diakonissin.

 Also, es steht geschrieben: „Siehe, ein Ackermann ist geduldig.“ Betet ernstlich um fromme, brauchbare Jungfrauen. Es ist ja so gar viel Arbeit und Not.

 Ich möchte wie Mose meine Hände aufheben, damit Gottes Volk siegt, und Ihr wollet Aaron und Hur sein.

 Himmelfahrt und Pfingsten naht!

In herzlicher Liebe grüßt Euch Eure Therese.


An die Schwestern in der Nürnberger Schule.
Neuendettelsau, 13. Juli 1907

 Meine lieben Schwestern, weil ich nicht mehr kommen konnte, so möchte ich Euch einen schriftlichen Gruß zum Schluß des Schuljahres senden. Wir danken Gott miteinander, daß Er wieder durchgeholfen und uns vor Unglück behütet hat. Auch die Nürnberger Schule ist ein Denkmal der Treue und Wunderhilfe Gottes, und wir sind glücklich und froh, daß wir Seine demütigen Handlangerinnen sein dürfen, die helfen sollen, das große Netz aus dem Meere zu ziehen. Und nun segne Euch allen Gott die Tage der Ruhe, der stillen Einkehr und Sammlung.

|  Im neuen Schuljahr wird Herr Pfarrer Götz regelmäßig nach Nürnberg kommen. Er wird von allen Seiten sehr gerühmt. Ihr könnt Euch nicht denken, wie mich Gottes Güte auch in dieser Angelegenheit mit dem neuen Pfarrer in den Staub beugt. Nicht nur, daß wir überhaupt für die zwei Posten so schnell solch fromme Pfarrer bekommen haben, sondern auch das noch: als ich mich um die Wohnung sorgte, da kommt Frau Anna Höppl zu mir und sagt: „Ich möchte euch das Borcke’sche Haus schenken.“

 Und vor drei Tagen bekommen wir 4600 Mark zur Schuldentilgung für die Jakobsruh. So wollen wir weiter hoffen und festiglich glauben, daß Gott Gebet erhört und daß Er uns alle Seine Verheißungen hält.

 Gott behüte Euch. In herzlicher, ewiger Gemeinschaft

Eure Therese.


An Schwester Magdalene Wucherer.
Neuendettelsau, 7. Oktober 1907

 Liebe Schwester Magdalene, schon immer wollte ich Dir schreiben und Dir recht von Herzen danken für Dein reiches Geschenk an die Jakobsruh. Du glaubst nicht, was es mir für eine Stärkung war, als Dein großes Geschenk eintraf. Da merkte ich, daß Gott der armen, lieben Jakobsruh gnädig sein will und ihr aufhelfen. Und nun kam noch eine gute Ernte dazu. Wie müssen wir danken! Aber ich danke auch Dir, liebe Schwester Magdalene.

 Gestern abend hat uns Herr Rektor von Paris erzählt. Er war in Dresden, Straßburg und Paris und vorher in Kaiserswerth. Und ich war mit Schwester Emilie Illing auch in Kaiserswerth und dann in Bielefeld bei Vater Bodelschwingh. War das schön! Dort kam mir’s so in den Sinn: „Der Glaube bricht durch Stahl und Stein.“ Es ist dort solch ein großartiger Zug der Barmherzigkeit.

 Hier sind gegenwärtig zwei Oberinnen aus Mitau und Reval und eine Schwester aus Philadelphia...

In alter Freundschaft Deine Therese.


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An eine Schwester, die zur Leitung einer Haushaltungsschule berufen ist.
Neuendettelsau, 2. Dezember 1907

 Liebe Schwester, ich meine, Du sollst Dich freuen auf Deinen neuen Beruf. Sieh, in diesem Alter bildet sich bei den Mädchen der Charakter: ihnen in dieser Zeit nahe sein und sie beeinflussen, ihnen eine Richtung fürs Leben geben, das ist eine große, ernste, schöne Aufgabe. Die erfasse nur mit der ganzen Liebe Deines Herzens und lege ihre Lösung, wenn auch in aller Schwachheit, zu den Füßen dessen nieder, der für uns Mensch geworden ist.

 Grüße die andern Schwestern.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An die Reichenhaller Schwestern.
Neuendettelsau, 15. Mai 1908

 Mein liebes Reichenhall, ich danke für die schönen blauen Blumen. Sie zierten bei der Generalkonferenz am 13. Mai den festlichen Tisch. Heute sollte ja noch eine dritte Schwester bei Euch einziehen. Aber so geschwind geht das nicht. Wir tun uns jetzt gerade sehr schwer, aber Reichenhall steht schon sehr im Vordergrund unserer Überlegungen. Wir durften den 13. Mai unter reichem Blütenschmuck im Frühlingssonnenschein begehen. Herr Rektor predigte über den Text: „Ringet darnach, daß ihr stille seid und das Eure schaffet mit euren eigenen Händen.“ Er sagte unter anderem, Dettelsau sei in den letzten Jahren „weitläufiger“ geworden als früher. Das ist allerdings geschehen, und mancherlei hat dazu beigetragen, vor allem Herr Rektor selbst, der uns immer wieder den Gedanken in die Seele prägt: Wir sollen nicht die Welt als eine verlorene Masse ansehen, sondern alles aufbieten, um zur Rettung der Seelen zu helfen. Herr Rektor hatte ja auch als Thema der Predigt: „Nicht in die Weite, aber für die Weite.“ Ja, es hat aber auch zur Weitläufigkeit beigetragen, daß jetzt in Dettelsau ganz andere Verkehrsverhältnisse sind: Eisenbahn, Telephon, Telegraph, etc.

 Wir waren dann im Hospizsaal, und Herr Rektor gab einen Überblick über das letzte Jahr. Wie groß und mannigfaltig ist unsere Arbeit, und wie hat uns Gott immer wieder durchgeholfen! Vorigen Sonntag brachte mir Schwester Wilhelmine| Kißner aus dem Klingelbeutel ein Papier, da stand darauf, es sollte mir dies in meine Hände gelegt werden. Als ich es öffnete, lag ein Tausendmarkschein darin! Und kürzlich schenkten Angehörige eines verstorbenen Pfleglings in Bruckberg dreitausend Mark. Der Herr denkt an uns und segnet uns! Die größte Sorge ist uns jetzt das neue Krankenhaus, das große Summen verschlingt, und das Seminar, das im Herbst so groß wird, daß die bisherigen Räume nicht ausreichen.

 Wie schön wird es jetzt auch in Reichenhall sein! Ich bitte Euch herzlich, daß Ihr bei allem Opfersinn doch nicht über die Kräfte tut und alles recht vernünftig einrichtet, auch kräftig lebt und nach einer Nachtwache am Tag einigermaßen die versäumte Nachtruhe erstattet. Nicht wahr, Ihr müßt bei Tag ein ruhiges Zimmer haben! Betet recht ernstlich, daß Gott alle unsre Sorgen auf sich nehmen möchte.

In treuer Liebe Eure Therese.


An Schwester Charlotte Kollmann.
Neuendettelsau, VI. n. Trin. 1908

 Meine liebe Charlotte, soeben habe ich unsern zwölf Blauen die Haube aufgesetzt. Herr Rektor und Herr Pfarrer Götz prüften die Blauen noch, und dann Freitag vormittag Herr Hofrat[8]. Am Nachmittag war dann im „Festraum“ Schlußfeier, Herr Rektor hielt eine herrliche Stunde vor großer Zuhörerschar über den himmlischen und irdischen Beruf. Heute hielt er eine gewaltige Predigt über die Taufe. Eine große Schwesternmenge ist hier. Morgen ist noch Prüfung der Kinderlehrerinnen; dann soll noch einmal die Lehrerinnenfrage durchgesprochen werden und am Abend Rechenkonferenz sein.

 Wir haben fast mühelos die fünf Schwestern und sechs Dienstmädchen für Engelthal[9] zusammengebracht. Am 3. August will Herr Rektor in Engelthal einen Gottesdienst für sie halten. – Wir haben morgen 6000 Mark in der Geschenkkasse zu verteilen. – Es ist mir so groß, daß Herr Rektor immer| wieder mit hoffnungsreichen, hohen Gedanken die neu gewonnenen Mägdlein entsenden kann.

 Der treue Heiland erquicke Dich an Leib und Seele!

Deine Therese.


An eine kranke Lehrschwester.
Neuendettelsau, 1. September 1908

 Meine liebe Schwester, nun fängt heute die Schularbeit neu an, und Dich hat der treue Herr und Meister in eine andere Schule genommen. Ich denke Deiner in treuer Teilnahme. Aber ich weiß, daß Seine Gedanken allewege höher und besser sind als die unseren. „Gehorsam ist besser denn Opfer“, das ist wohl gegenwärtig Deine Lektion, die Du am Anfang dieses Schuljahres lernen sollst. Er ist hoch erhaben über alle menschlichen Lehrer. Er stellt eine Aufgabe und hilft sie barmherzig und mitleidig lösen. Das wirst Du erfahren. – Die heutige Losung enthält den Segen. Er komme auch auf Dich: Seine Hut, Sein leuchtendes Angesicht, Sein Friede – ach, liebe Schwester, uns wird nichts mangeln.

Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 21. Nov. 1908

 Liebe Schwester, von unserem Schrecken habt Ihr gehört. Das Windsbacher Waisenhaus ist schwer heimgesucht[10]. Nun haben wir 25 Büblein hier untergebracht, teils in Familien, teils im Aschenellerschen Haus, das uns gerade recht geschickt war. Ach, wie viel ernstlicher müssen wir beten: Vor Wassers- und vor Feuersnot behüt uns, lieber Herre Gott!

Grüße die Schwestern! Deine Therese.


An die Bamberger Schwestern.
Neuendettelsau, 7. Dez. 1908
 Meine lieben Schwestern, eben komme ich von der Stunde, die ich Montags den Dienstmädchen gebe. Es sind so zwischen vierzig und fünfzig Mädchen, wie ist alles bei uns so groß geworden! Wir lasen gerade die Geschichte von Kain, und wie| er so einen häßlichen Neid im Herzen trug. Und ich sagte von den Engeln, die so neidlos an Weihnachten den Menschen gratulierten: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Wir wollen doch alle aus unserm eigenen Herzen und aus unserer Umgebung den Neid hinaustun. Er gehört in die Hölle!...

 Gottes Gnade beschere Euch ein seliges, heiliges Fest voll Fried und Freude.

Deine Therese.


An den Dettelsauer Kranz in Gunzenhausen.
Jakobsruhe, den 9. März 1909

 Liebes Fräulein Luise, werter Dettelsauer Kranz, ich weiß nicht, ob ich für die Weihnachtssendung gebührend gedankt habe. Ich möchte es jedenfalls noch gründlich und ernstlich tun und einen herzlichen Gruß in dieser heiligen Zeit dem lieben Dettelsauer Kranz senden. Da man sich jetzt in Gunzenhausen mit der Hensoltshöhe beschäftigt, so möchte ich darüber auch ein Wort sagen. Es ist gewiß von dem Herrn der Kirche jetzt so gewendet, daß einesteils die moderne Theologie, andernteils die Gemeinschaftsbewegung die Gemüter erregt. Dadurch soll alles, was geschlafen hat, aufgeweckt werden, alle, die gleichgiltig den Schätzen ihrer Kirche gegenüberstanden, angeregt werden, sich auf den Reichtum ihrer Kirche zu besinnen und ihn zu gebrauchen, alle, die träge die „andern“ haben arbeiten sehen, sollen sich auf ihr Pfund besinnen und mit demselben eifrig wuchern, ehe der Herr kommt. Wir wollen nicht viel über die andern reden, sie mögen das tun, was sie für recht halten, wir aber wollen bleiben in dem, was wir gelernt haben und was uns vertraut ist und mit mehr Ernst als bisher unsere Seligkeit schaffen und für die Seligkeit unserer Mitmenschen beten.

 Der Herr Jesus sende uns allen, auch dem lieben Dettelsauer Kranz, Seinen heiligen Geist, daß wir etwas verstehen lernen vom Geheimnis der Passion.

 In treuer Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe

Ihre Therese Stählin.


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Frau Oberin Therese Stählin an die Schwestern.
Neuendettelsau, 7. Juli 1909

 Liebe Schwestern, gestern, am 6. Juli, ist unser hochwürdiger Herr Rektor zum Präsidenten des Oberkonsistoriums ernannt und von seiner Kgl. Hoheit dem Prinzregenten bestätigt worden. Er soll sein hohes Amt schon am 1. August antreten.

 Dies teilt Euch mit tiefer Bewegung mit

Eure Oberin.


An die Schwestern.
Neuendettelsau 10. Juli 1909

 Meine lieben Schwestern, zuerst möchte ich allen denen herzlich danken, die mich in diesen Tagen durch ihre Zuschriften getröstet haben. Es geht ein starker Zug einmütigen Glaubens, Hoffens und Betens durch unsere Genossenschaft. Dafür sei Gott gedankt. Laßt uns weiter zusammenstehen in Buße und Dank und mit herzlichem Vertrauen die Hilfe erflehen, die uns nottut.

 Der Verlauf der Dinge in der nächsten Zeit ist folgender: Nächsten Donnerstag werden die Helfer der Muttergesellschaft hieher kommen zu einer Vorberatung wegen der Zukunft unseres Hauses. Am darauffolgenden Samstag treffen die 35 Probeschwestern ein, die sich zur Einsegnung bereiten. Am 25. Juli findet, wie bekannt, die Einsegnung statt. In der Woche vorher werden 18 Blaue zu Probeschwestern aufgenommen. Am 1. August wird Herr Rektor seine Abschiedspredigt halten und am gleichen Tage abreisen. Eine Abschiedsfeier wünscht Herr Rektor nicht, aber in zarter Güte hat er uns folgendes erlaubt: Wir Schwestern dürfen ihm das goldene Kreuz, das der Präsident des Oberkonsistoriums trägt, schenken. Da soll der Spruch 2. Tim. 1, 7 eingraviert werden, und auf die Rückseite folgende Widmung, über die wir uns geeinigt haben, kommen: Ihrem geliebten Hirten in unaufhörlicher Dankbarkeit seine Diakonissen. 1. Aug. 1909.

 Ihr dürft also den kleinen Beitrag unter den Schwestern sammeln und gelegentlich an mich gelangen lassen. Doch bitte ich, diese Sache diskret zu behandeln, daß nicht etwa ein Zeitungsartikel sich derselben bemächtige. Wir senden diesen| Brief nur an die Berufsorte und bitten, denselben dort zirkulieren zu lassen.

 Und nun befehlen wir unseren teueren Hirten und unser ganzes großes Haus der göttlichen Gnade und Treue. Möchten wir alle diese Zeit würdig und recht, still und fromm durchleben.

 Seid alle von ganzem Herzen gegrüßt.

Eure Therese Stählin.


Im Juli 1909 sagte Frau Oberin zu den Einsegnungsschwestern:

 „Der herrlichste Leiter eines Diakonissenhauses kann nichts machen, wenn nicht die Genossenschaft die tragende Kraft ist. Es ist doch wunderbar – wenn ich von meiner elenden Person etwas sagen darf –, daß ein Mensch da ist, der alles hier miterlebt hat. Ich habe früher oft gewünscht, Herr Pfarrer Löhe möchte mich einmal hinaus auf eine Station schicken. Aber ich muß sagen: Gott hat es gefügt, daß ich hier geblieben bin. Einmal wollte Herr Pfarrer mich nach Südamerika schicken und einmal nach Südrußland; aber ich habe doch immer so stehen dürfen, daß ich die speziellen Gedanken unserer Führer und Leiter in unmittelbarer Nähe habe erfassen dürfen. Und ich habe den ganzen schweren Übergang von einem Stadium ins andere zweimal miterlebt und hinterher wenigstens gewußt, worauf es eigentlich ankommt. Und was Herr Pfarrer Löhe zu einer Zeit, wo wir noch eine ganz kleine Schar waren, gewollt hat, betont jetzt sein Nachfolger mit einer Klarheit, die man früher darin nicht haben konnte: die Schwestern sollen die Verantwortung tragen. Und ich meine, ich darf es euch sagen als eine Scheidende – was will man denn mit siebzig Jahren noch anders wie als eine Davoneilende sich ansehen –: die Schwesternschaft muß nicht von einer einzelnen Persönlichkeit abhängen, sondern von Gott, und sie soll die Persönlichkeiten, die mit solch unendlicher Treue an diesem Werk gearbeitet haben, ehren und lieben und ihnen danken und ihre Gedanken weitertragen.

 Es war einmal eine Zeit unter Herrn Rektor Meyer, da ist hier und da eine Rede aufgetaucht: Man hat mir in der Schwesternschaft meine Ideale genommen. Da nehmt das| Wort einer alten Diakonissin zu Herzen: die Ideale, die mir Schwestern rauben können, sind es nicht wert, daß ich sie festhalte. Ich muß meine Ideale daher nehmen, wo sie mir niemand rauben kann. Vielleicht ist meine Führung so gewesen, daß ich mich immer wieder zu einer idealen Auffassung der Dinge habe leichter durchringen können als manche andere. Man war hier immer so reich, auch in armer Zeit. Man hat die großen Löhe’schen Gedanken gehabt und dann die milde, zarte Art von Herrn Rektor Meyer. Das darf ich euch sagen: es hat mir niemand meine Ideale nehmen können und dürfen. Ich habe mich geprüft, ob ich auch zufrieden sein könnte, wenn ich nichts von dem reichen, anregenden Leben hier hätte, und habe mir sogar eine schwer zu tragende Schwester vorgestellt, ob ich mit ihr auskommen könnte, wenn ich eine Jüngerin Jesu bin, kann mich eine Schwester in meinem Gottesleben nicht stören. Und wenn ich dann einsam werde, bin ich eben einsam mit meinem Heiland und trage die andere und suche ihr etwas zu geben.

 Ach, daß nur Gott unserm Mutterhaus immer gibt, was es haben muß, daß die Schwestern hier immer ein Feuer finden, an dem sie die verglimmenden Kohlen wieder entzünden können!

 Es hat jemand zu mir gesagt: „Ach, das Leben ist nur in den Gottesdiensten schön.“ Aber das ist falsch. Es ist keine Kluft zwischen irdischem und himmlischem Leben. Eine Predigt von Herrn Rektor über Joh. 21 hat mir da so viel gegeben. Er hat uns da in die Seele gelegt: Die Jünger hatten die allergrößten Erfahrungen gemacht, Tod und Auferstehung des Herrn erlebt, da sagt Petrus: „Ich will hin fischen gehen“, und dann erscheint ihm der Herr. Das muß euch der Geist Gottes schenken, daß unser ganzes irdisches Leben durchdrungen wird von dem geistlichen Leben.

 Das müßte das Beherrschende des ganzen Dettelsauer Lebens werden: die Hauptsache soll Hauptsache werden und die Nebensache Nebensache bleiben. Das sollte die Frucht von der Führung sein, die uns Herr Rektor Bezzel hat angedeihen lassen.“



  1. Justus Götz, Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung 1909.
  2. Matthea Benedikta Walther, Apothekerstochter aus Christiania, war Hospitantin der Blauen Schule und starb am 8. Januar 1893.
  3. Buchhändler Gottfried Löhe, Sohn von Pfarrer Löhe.
  4. Schwester Emma von Soden ging mit Schwester Auguste Hensolt als Missionsschwester nach Indien.
  5. Korr.-Bl. 1881 S. 42–45.
  6. Ferdinand Löhe, Gutsbesitzer in Polsingen, ältester Sohn von Herrn Pfarrer Löhe.
  7. Einzige Tochter Löhes.
  8. Dr. Hermann Dietlen, Anstaltsarzt 1878–1925.
  9. Die Heilstätte Engelthal wurde damals als Station übernommen.
  10. Dachbrand.


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