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Gedanken von der Gliedschaft am Leibe Christi, das ist es, was not tut. Herr Rektor hat in ein paar Stunden neulich die „soziale Frage“ etwas behandelt. Ich denke, er schreibt auch einmal etwas für die Gemeindeschwestern. Einstweilen möchte ich Dir den vielleicht schon bekannten Satz in die Seele legen: „Die Seele der Armenpflege ist die Pflege der armen Seele.“

 Nun ist’s dritter Advent geworden, und wir haben vorhin gesungen: „Seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier.“ Diese Strophe hat einmal unser lieber seliger Herr Rektor auf dem Sterbebett zu uns gesagt.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 12. Dezember 1892

 Meine liebe Charlotte, ich brauche Dir nicht zu sagen, wie innig ich Dir das zum Geburtstag wünsche, was Christen füreinander als sonderlich nötig und begehrenswert halten. Und das ist doch nichts anderes als der feste, nicht wankende Glaube, der sich an den unsichtbaren Freund der Seele hält, als sähe er Ihn, der durch keinen Sturm entwurzelt, sondern nach jeder Anfechtung fester wird. Ich will Dir ein Jahr erbitten helfen, da Du Deinen Herrn besser als bisher kennen lernst; denn Ihn kennen lernen, das ist unser Glück.

 Gestern nachmittag hat Herr Rektor eine Predigt über das Amt gehalten, die sich mir tief in die Seele legte. Da, wo Luther in der Epistel übersetzt „Diener“, ist ein Ausdruck gebraucht, der bedeutet „Ruderknechte“. Ruderknechte sollen die Diener Christi sein, die Schwielen an den Händen tragen und unter Mühsal und Not das Schifflein, dessen Steuermann Jesus selbst ist, dem Hafen zuführen. Es war ein schöner Gedanke nach dem andern, ich möchte aber Dir und den Schwestern noch dies Eine sagen. Herr Rektor sagte mit großem Ernst: „Wir gehen euch um eure Fürbitte an, daß kein Unrecht über uns herrschen dürfe; wir bitten, ja wir verlangen von euch, daß ihr betet, Er möge die Träger des Amtes mit

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/103&oldid=- (Version vom 14.8.2016)