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auf ihrem Sterbebette besondere Not darüber hatte, daß sie nicht mehr das Leiden und Sterben unseres Heilandes ins Herz gefaßt. Es ist alles so vergänglich und nichtig, was uns doch so viel beschäftigt im Leben, und die ewigen Dinge beherrschen uns nicht genug.

 In herzlicher, treuer Liebe Eure alte Tante, Schwester und Schwägerin Therese.


An die Ihren in Augsburg.
Neuendettelsau, 19. Febr. 1894

 ...Lieber Neffe Heinrich, hochehrwürdiger Herr Vikar, nicht wahr, Du läßt Dich doch nie vom Ritschelanismus betören? Ich bekenne Dir, daß ich im Grunde ihn nicht verstehe; aber ich weiß, daß er etwas sehr Gefährliches, der Natur Sympathisches haben muß, daß es wohl einer von den feinen Irrtümern der letzten Zeit ist. Oft denke ich, das Leiden von M. ist eine gewaltige Predigt gegen allen Subjektivismus, gegen alles Gefühlschristentum, und man möchte alle Diener Gottes anflehen, um den Glauben ans pure Wort, um den blinden Gehorsam gegen alle Seine Verheißungen mit Einsetzung ihrer ganzen Person zu eifern...

Eure Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 26. Febr. 1894

 Meine liebe Schwester, Luisle hat mir etwas erzählt, was hineingehört in die große Bewegung der römischen und korinthischen Gemeinde Röm. 14 und 1. Kor. 8, in das Thema von der christlichen Freiheit und vom Tragen der Schwachen. Da wollte ich nun auch meine Stimme erheben oder meine kleine Feder laufen lassen und Dir sagen, liebes altes Kind, daß Du ganz im Unrecht bist. Ich meine Dich so weit zu kennen, daß ich sagen darf: hier ist nicht die Rede von einem ängstlichen Gewissen, sondern hier spielt Dir wieder einmal Dein alter eigensinniger, „bockiger“ Adam einen Streich. Du bist lange genug unter uns, um die Ängstlichkeit, die ich allerdings bei jedem Neuling geschont wissen wollte, abgestreift zu haben. Es ist vor Gott kein Unrecht, wenn man am Sonntag eine Handarbeit macht, und die Rücksicht, die Du verlangst, verlangst

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Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/114&oldid=- (Version vom 22.8.2016)