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seinen 69. Geburtstag zu feiern anhebt, einen Dankesgruß zu schreiben. Euer fröhliches Zusammensein, wie es mir in dem „Sammelbrief“ entgegentritt, hat mich auch fröhlich angehaucht, obwohl mich so viel Schweres und Trübes fast immer umgibt, daß der schwere Ernst alle Heiterkeit des Lebens absorbiert hat. Es wäre nicht recht, wenn es anders wäre, aber dabei kann man doch getrost sein. Es geht ja doch der Vollendung entgegen, und wir schauen von dieser Erde voll Sünde und Jammer hinüber zu der Zeit, da die neue Erde jedes Leid und jede Sünde ausschließt.

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 Gestern abend ist mir’s auch mit einmal so klar geworden, weshalb gerade in der letzten Zeit viel Schweres auf uns einstürmen durfte: Hat uns Gott doch einen sonderlichen Segen zugelegt, da muß immer zur Vertiefung das Leid daneben sein. Die zwei großen Filialen, die uns mit einem Male zugefallen, Bruckberg und Himmelkron, würden bei einseitiger Freude über die Ausdehnung unserer Sache vielleicht zur Verflachung dienen, wenn nicht daneben viel Schmerz und Demütigung wäre. Aber das ist immer mein größter Trost und mein einziger Halt, wenn ich nur weiß, daß der Herr es ist, der alles uns bereitet, den Segen und das Leid, die Freude und den Schmerz, wenn ich nur Sein Wort höre: Ich bin es, fürchtet euch nicht. Als ich neulich in Himmelkron war und der Tag der Einweihung, der für uns ohnehin denkwürdige 12. Oktober, uns in der Himmelkroner Angelegenheit bis zu einem gewissen Abschluß gebracht hatte, da war es mir sehr froh zumute. Himmelkron hat fast etwas Märchenhaftes für mich. Es sind gerade hundert Jahre, daß das Schloß an Preußen kam und Preußen es stückweise an arme Leute verkaufte. Seitdem schlief das Schloß seinen Schlaf wie Dornröschen im Märchen, und daß nun die Befreiung durch all das Dorngestrüppe hindurch mit viel Mühsal gefunden ist, das darf uns doch nicht wundern. Lieber Heinrich, es wäre Himmelkron ein schönes Motiv zu einem Gedicht! Daß an jenem 12. Oktober, als die Festversammlung vor der Kirche sich zum Zuge ordnete, auf einmal eine Schar Neffen und Nichten auftauchte, das war mir eine sehr große Freude, zumal auch Moritz unter der Schar war. Vor 37 Jahren waren eben auch am 12. Oktober in Dettelsau sechs Stählins-Geschwister vereinigt

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/100&oldid=- (Version vom 14.8.2016)