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Wort einer alten Diakonissin zu Herzen: die Ideale, die mir Schwestern rauben können, sind es nicht wert, daß ich sie festhalte. Ich muß meine Ideale daher nehmen, wo sie mir niemand rauben kann. Vielleicht ist meine Führung so gewesen, daß ich mich immer wieder zu einer idealen Auffassung der Dinge habe leichter durchringen können als manche andere. Man war hier immer so reich, auch in armer Zeit. Man hat die großen Löhe’schen Gedanken gehabt und dann die milde, zarte Art von Herrn Rektor Meyer. Das darf ich euch sagen: es hat mir niemand meine Ideale nehmen können und dürfen. Ich habe mich geprüft, ob ich auch zufrieden sein könnte, wenn ich nichts von dem reichen, anregenden Leben hier hätte, und habe mir sogar eine schwer zu tragende Schwester vorgestellt, ob ich mit ihr auskommen könnte, wenn ich eine Jüngerin Jesu bin, kann mich eine Schwester in meinem Gottesleben nicht stören. Und wenn ich dann einsam werde, bin ich eben einsam mit meinem Heiland und trage die andere und suche ihr etwas zu geben.

 Ach, daß nur Gott unserm Mutterhaus immer gibt, was es haben muß, daß die Schwestern hier immer ein Feuer finden, an dem sie die verglimmenden Kohlen wieder entzünden können!

 Es hat jemand zu mir gesagt: „Ach, das Leben ist nur in den Gottesdiensten schön.“ Aber das ist falsch. Es ist keine Kluft zwischen irdischem und himmlischem Leben. Eine Predigt von Herrn Rektor über Joh. 21 hat mir da so viel gegeben. Er hat uns da in die Seele gelegt: Die Jünger hatten die allergrößten Erfahrungen gemacht, Tod und Auferstehung des Herrn erlebt, da sagt Petrus: „Ich will hin fischen gehen“, und dann erscheint ihm der Herr. Das muß euch der Geist Gottes schenken, daß unser ganzes irdisches Leben durchdrungen wird von dem geistlichen Leben.

 Das müßte das Beherrschende des ganzen Dettelsauer Lebens werden: die Hauptsache soll Hauptsache werden und die Nebensache Nebensache bleiben. Das sollte die Frucht von der Führung sein, die uns Herr Rektor Bezzel hat angedeihen lassen.“


Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/178&oldid=- (Version vom 24.10.2016)