Auf daß sie alle eins seien/Briefe von 1909–1918 (Rektor Wilhelm Eichhorn)

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Auf daß sie alle eins seien
Briefe von 1918–1921 (Rektor Hans Lauerer) »
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Briefe aus der Zeit der Zusammenarbeit mit Rektor Eichhorn 1909–1918


Aus der Chronik des Mutterhauses


1909 15. 7. Wahl von Stadtpfarrer Wilhelm Eichhorn zum Rektor der Diakonissenanstalt.
1909 5. 9. Einführung durch Konrektor Schattenmann.
1910 1. 4. Eröffnung des Erholungshauses Reichenhall.
1911 12. 11. Einweihung des Männerheims.
1913 31. 10. Einweihung des Feierabendhauses II.
1916 17. 5. Einweihung des Psychopathenheims (jetzt Käthe-Luther-Heim).
1916 20. 6. Einweihung des Hauses Gottestreue in Himmelkron.
1917 8. 9. Abschied von Konrektor Schattenmann.
1917 18. 10. Rektor Eichhorn wird Doktor der Theologie.
1914 - 1918 Erster Weltkrieg.
Aussendung von 60 Schwestern zur Lazarettpflege an die Front.
1916 Frontreise des Rektors.
1918 1. 9. Rücktritt vom Amt.
Ruhestand in Dettelsau.
1923 16. 1. Heimgang nach schwerer Leidenszeit.


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Einführung

 Zur Charakteristik dieser Periode und damit zum Verständnis der nachfolgenden Briefe diene die Darstellung Rektor Lauerers aus der Denkschrift zum hundertjährigen Jubiläum der Diakonissenanstalt.

 „Ein Nachfolger für Bezzel war naturgemäß schwer zu finden. Es war gut, daß sich sofort die Erkenntnis durchsetzte, daß man durch die Neuberufung nicht den Versuch machen sollte, den Schwung, den das Werk durch Bezzel bekommen hatte, fortzusetzen, daß es vielmehr gelte, jetzt wieder in eine stillere Periode der Auswirkung zu treten. An fragloser Gewißheit einigten sich bei der Wahlhandlung, die der scheidende Rektor noch selbst leitete, alle Stimmen auf die Person des Stadtpfarrers von Erlangen-Altstadt, Wilhelm Eichhorn. Unserm Werk schon länger verbunden, war er seit Jahren Mitglied der Muttergesellschaft. Nicht ohne große Bedenken hinsichtlich seines vorgerückten Alters, aber gehorsam gegen Gottes Führung und in wahrhaft dienstbereiter Demut nahm er den Ruf an und wurde am 5. September 1909 in sein Amt eingeführt.

 Bis in die Tiefe seines Wesens hinein ein Mann der lutherischen Kirche, von dem Vorbild des Vaters geprägt, der als Pfarrer der unierten badischen Landeskirche infolge seiner Stellung zur Union viel Ungemach hatte erdulden müssen, in der Gehaltenheit seiner ernsten, geheiligten Persönlichkeit zur Seelsorge befähigt, besaß Eichhorn in hohem Maße die Gabe einer durch lange Erfahrung abgeklärten Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, eine natürliche juristische Veranlagung, die Gabe der Leitung und Regierung, eine gute Mischung von besonnener Erwägung und tatkräftigem Handeln – so war er ein Führer, der seinen Weg kannte und andern den Weg zeigen konnte. Es war ein Opfer, daß er mit| 63 Jahren das Amt des Rektors übernahm, eine Tat aus höchstem Pflichtbewusstsein und wirklich lebenslang bewährter Liebe und Treue zu unserm Werk. Daß er dabei in den Schatten des großen Vorgängers geriet, hat er wie viele andere Not und Last ritterlich und vornehm getragen.“

 In seiner Amtszeit durfte sich das Werk trotz der Erschütterung des Weltkrieges innerlich und äußerlich still und gesund weiterentwickeln.


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Briefe von 1909-1918


Bericht von Frau Oberin an die Schwestern
über die Wahl von Herrn Rektor Eichhorn am 15. Juli 1909

 „Herr Rektor hat den Helfern geschrieben, ob sie nicht so gut sein wollten und gestern abend zu einer Vorberatung hieher kommen, daß man heute vormittag konferieren könnte und sie dann schon abreisen könnten. Alle haben sich eingefunden, nur der alte Pfarrer Medikus fehlte. Bei der Wahl sind die männlichen Glieder des Helferkollegiums, Konrektor und Oberin zugegen, die Oberin in Vertretung der Schwestern. Diese Wahlordnung hat Herr Rektor Meyer im August 1886 eingerichtet.

 Heute hat Herr Rektor nach einem herzlichen Gebet gesagt, er sei es der Muttergesellschaft schuldig, noch einmal den Hergang der Sache zu berichten.

 Am Montag, den 5. Juli, morgens hat Herr Rektor vom Kultusminister von Wehner ein Schreiben bekommen, er möchte nach München kommen, damit mit ihm über das Präsidium des Oberkonsistoriums verhandelt werden könnte. Eine direkte Anfrage war bis dahin nicht an ihn gekommen, und alle Gerüchte waren aus der Luft gegriffen. Am 5. Juli ist das erste Schreiben in Herrn Rektors Hand gekommen mit dem Wunsche, er möchte noch an demselben Tage reisen. Erst hielt er noch Blaue Stunde.

 Die Unterredung war von 4–1/26 Uhr beim Kultusminister, erst mit ihm allein, dann wurde Ministerialrat Preger hereingerufen. Da hat man erfahren, daß dieser damals die Unterredung mit Herrn Rektor nur gewünscht hat, um ihn kennen zu lernen. Und der Antrag und die Erläuterungen waren so, daß Herr Rektor nicht den Mut gehabt hat, nein zu sagen. Der Minister ist herumgereist im Lande – es ist eine große Treue dabei zu beobachten –, dieser katholische Minister ist herumgereist und hat bei Geistlichen und Laien Umfrage gehalten, und es hat wohl der Prinzregent auch ein| großes Interesse gehabt, daß doch ein Präsident erwählt würde, der für die protestantische Kirche jetzt in dieser schweren, bewegten Zeit der rechte Mann sein möchte, und da haben sie ihm immer wieder Bezzel genannt. Das hat Herr Rektor den Helfern mitgeteilt, und er wüßte, daß er einen schweren, steilen Weg erwählt habe; „aber“, so hat er gesagt, „wenn die Fahne im Begriff ist zu sinken, dann greift der nächste beste darnach.“

 Dann hat Herr Rektor festgestellt, daß er nicht zu wählen habe. Die Wahl geschieht durch das Helferkollegium unter Leitung des Obmannes Eichhorn von Kalbensteinberg, der demnächst nach Bubenheim geht. Aber Herr Rektor hat von dem Recht Gebrauch gemacht, daß dem Scheidenden erlaubt ist, zu bitten; und er hat betont, daß man doch recht einfach zu Werke gehen wolle.

 Es soll jetzt nach dieser bewegten Zeit unter seiner Leitung, die er allerdings als eine sehr bewegte und vorwärtsdrängende erkannt habe, eine ruhigere, stillere, mehr der Einzelpflege gewidmete Zeit kommen. Er lege nun der Versammlung die Frage vor, ob sie jemand wüßte, einen Mann aus dem Helferkollegium oder aus der „Gesellschaft für Innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche“ oder aus den Freunden der „Gesellschaft“.

 Dann wurde die erste Frage besprochen: ob man jemand wüßte aus dem Helferkollegium. Aber es sind im Helferkollegium fast nur ältere Männer. Herr Rektor hat an Senior Hacker gedacht, und man hat an ihn die Frage gerichtet, ob er sich nicht entschließen könnte, es zu übernehmen. Aber er hat gesagt, er habe im Jahre 1886 eine so schwere Krankheit durchgemacht, daß er Schonung haben müsse, und hat so abgelehnt, daß man nicht in ihn gedrungen ist.

 Dann ist die Frage an Herrn Stadtpfarrer Eichhorn von Erlangen gerichtet worden. Er ist der Bruder unseres Obmannes, und es haben die sämtlichen Helfer die feste Überzeugung gehabt, daß er für die gegenwärtige Zeit der rechte Mann wäre. Sie sind sehr auf ihn eingedrungen, er aber hat sehr starke Bedenken gehabt, die man ihm nicht ganz hat widerlegen können. Er ist 62 Jahre alt; da noch ein solches| Amt zu übernehmen, ist ein großes Wagnis. Das hat er geltend gemacht und manches andere, was ihn an der Freudigkeit hindern könne. Aber die Herren haben seine Bedenken zurückgewiesen, und einer hat gesagt: „Gestern hat man Dir aber nichts angemerkt in Gunzenhausen.“ Da hat er nämlich über Luther und Calvin geredet. Herr Pfarrer Brennhäuser sagte, ob das dem Herrn Stadtpfarrer nichts wäre, daß er in eine solche Gebetsgemeinschaft komme. In Erlangen, sagte dann Herr Stadtpfarrer, hätten wohl die Schwestern für ihn gebetet und so etliche, aber es sei doch nicht eine wirkliche Gebetsgemeinschaft gewesen. Herr Rektor: Ich weiß doch, wie Du Dich gesehnt hast nach so einem einheitlichen, von der Liebe Christi getragenen Werke; jetzt gibt Dir’s Gott in der Reife Deines Lebens; warum willst Du nicht zugreifen?“

 Im Laufe der Verhandlungen ist den Herren, Herrn Rektor zuerst, der Gedanke gekommen: Wenn wir doch diese Versammlung, die den Charakter einer Vorberatung haben sollte, gleich zu einem Wahlkollegium gestalten könnten! Dann würde die Sache nicht hinausgeschoben, und die Helfer müßten nicht noch einmal bemüht werden. Die Herren waren ja alle einig. Herr Rektor Meyer war ein abgesagter Feind der Abstimmungen. „Vor Gott soll man einig sein über solch eine Frage“, sagte er. So ist das Wort gefallen: „Wir könnten doch per Akklamation den Nachfolger erwählen.“ Dann ist an mich die Frage gerichtet worden, ob ich mir getraute, die Stimme der Schwesternschaft hier schon zu vertreten. Da hat zuerst Herr Rektor gemeint, daß man doch mit etlichen Schwestern beraten solle, und ich habe gesagt: „Ich bitte alle eingesegneten Schwestern zusammen und will ihnen die Sache vorlegen.“ Das wußte ich, daß gegen Herrn Stadtpfarrer Eichhorn Bedenken in der Schwesternschaft nicht sind. Er ist schon mehrfach von den Schwestern genannt worden; ich habe auch an ihn gedacht, aber sein vorgeschrittenes Alter erschien mir wie ein Hindernis. Nun ist Herr Rektor mit Herrn Pfarrer und mir zu einer Sonderbesprechung in mein Zimmer gekommen, und ich habe zugestimmt, es wäre das Einfachste und für die gegenwärtige Lage das Beste, wenn ein solcher Herr erwählt würde.

|  Dann hat einer von den Herren gesagt: „Wenn ein solches allgemeines Vertrauen einem Manne entgegengebracht wird, sollte das vor Gott ein Irrweg sein?“ Herr Pfarrer Stirner sagte, er würde sich auch von ganzem Herzen freuen, nur begriffe er die Bedenken des Herrn Stadtpfarrer, denn man wolle doch einen Rektor nicht für kurze Zeit. Dann hat Herr Pfarrer Zinck gesagt: „Ach, wir wollen doch das Wort des Herrn uns vorhalten: Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Und Herr Pfarrer Brennhäuser hat sein Testament aufgeschlagen und gesagt: „Bei der Wahl des Matthias hat man gefragt nach einem, der schon die ganze Zeit mit uns gewesen ist.“ Dagegen hat Herr Stadtpfarrer gesagt: „Es heißt aber auch: Wenn du einen Turm baust, so überschlage zuvor die Kosten; und bei mir scheint die Ausgabe, die ich zu machen habe, eine viel größere zu sein, als ich verantworten kann.“ Das alles war sehr schön. Dann ist unser Herr Konrektor aufgestanden und hat sein Votum gesagt, und ich darf es den Schwestern sagen, wie schön und edel unser Herr Konrektor sich gezeigt hat. Nach den Statuten ist Herr Konrektor Rektoratsverweser. Er sagte: „Es muß eine neue Arbeitseinteilung gemacht werden, und wir wollen schon helfen.“ Herr Rektor hat wiederholt gesagt, es müsse nicht so bleiben, wie es bisher gewesen ist. Es wird schon notwendig sein, daß man noch einen Philologen, eine Hilfe für das Seminar und den Unterricht, einstellt. Herr Rektor hat gemeint, es solle der künftige Rektor sich auf die Diakonissensache beschränken. Herr Rektor hat viel Unterricht gehabt, und es hat ihn oft in eine Hetzerei gebracht, wenn er verreisen und die Stunden nachholen mußte. Nur die Blaue Schule, den Konfirmandenunterricht und die Pflege der Diakonissen soll der neue Herr Rektor bekommen; für die andern Dinge wird Hilfe und Rat geschafft werden. Die Herren haben gesagt: „Und wenn wir dann auch noch mehr Herren anstellen müssen.“
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 Herr Rektor hatte wiederholt gesagt, daß er eigentlich nichts zu sagen habe, denn die Wahl ist Sache des Helferkollegiums; „aber“, sagte er, „ein Scheidender darf sich ein Andenken erbitten, und ich erbitte mir als ein liebes Andenken von Dir, daß Du die Wahl annimmst.“ Herr Stadtpfarrer habe sich doch so oft nach einer Gemeinde gesehnt, wo| der Herr Gestalt gewonnen hätte, und das werde ihm jetzt zuteil. Denn es sei eine Gemeinde, die bei allem Schweren und bei allen Flecken, die da sind, doch mit dem Kreuz Jesu und der Nachfolge einen rechten Ernst machen wolle. Herr Rektor hat auch gesagt, daß er seinem Nachfolger und der ganzen Sache mit Rat und Tat, wo er nur dürfe und könne, beistehen wolle, auch am Korrespondenzblatt noch Mitarbeiten „ohne präsidiale Färbung“. Er hat auch gemeint, seinem Nachfolger sagen zu dürfen, daß es eine im ganzen geordnete Sache ist; wenn der eine die Feder aus der Hand legt, könne der andere sie ergreifen und weitermachen. Das ist ja auch wahr, daß im Lauf der Jahre, in den drei Epochen, wo jeder Rektor sein Bestes getan hat, viele Ordnungen geschaffen worden sind, die einem nicht mehr auf der Höhe des Lebens stehenden Mann zugute kommen können.

 Dann bin ich fortgegangen und habe die Schwestern zusammengebeten und den Vorschlag gemacht, wie ich dann wieder zurückgekommen bin, habe ich sagen dürfen, daß die Schwestern in Einmütigkeit erklärt haben, sie sind dankbar, wenn Herr Stadtpfarrer Eichhorn sich der Mühe unterzieht und das Amt annimmt. Dann war er vollends überwunden und hat sein Jawort gegeben, aber mich beauftragt, den Schwestern zu sagen, daß er ja wohl mit aller Treue und Hingabe dienen wolle, aber daß sie nicht mehr von ihm erwarten sollen, als was er geben kann.

 Herr Rektor hat den Schwestern wiederholt ein gutes Zeugnis den Herren gegenüber ausgestellt; sie werden ihn nicht zu Schanden machen. Herr Stadtpfarrer hat gesagt, er habe sich der Gewalt der Verhältnisse gefügt, und hat dann noch gesagt: „Was wird meine Frau sagen, wenn ich als ein anderer heimkomme, als ich fortging?“ Auf eine Frage von Herrn Rektor hatte er schon gesagt: „Meine Frau geht dahin, wo ich hingehe.“

 Nachdem das so gar einfach und ohne großen Sturm vorübergegangen war, hat Herr Rektor, wie er schnell arbeitet, es gleich den übrigen Herren und den Brüdern mitgeteilt und hat gleich in die Druckerei etwas gegeben an alle Schwestern; er hat achthundert Exemplare bestellt, daß jede Schwester eines bekommen kann.

|  Über ein Kleines! Daß nur jede ihre Seele in der Hand trägt und ihren Pilgerlauf vollendet! Daß wir über ein Kleines heimkommen dürfen, das muß einer jeden so groß sein, daß auch dieser Eingriff in unser ganzes inneres und äußeres Leben uns nicht aus der Fassung zu bringen braucht, wenn nur der Herr bei uns bleibt mit Seinem Wort und Sakrament! „Da sie ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesum allein.“ Es ist ein Band zwischen Hirten und Gemeinde, das in die Ewigkeit geht. Über ein Kleines, dann gibt es keinen Rektor und keinen Präsidenten mehr, wir freuen uns nun noch viel mehr darauf, wenn wir in der Ewigkeit mit ihm verkehren dürfen und mit ihm zusammen aus einer Klarheit in die andere gehen.“


An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 5. August 1909

 Meine liebe Schwester, es ist ein anderes Ding jetzt in Dettelsau geworden. Mir kommt es vor, als hätte ich eine wundersame, ganz eigenartige Geschichte gehört.

 Gestern war Herr Stadtpfarrer Eichhorn mit Gemahlin hier. Heute erhielt ich eine Karte von – Herrn Präsident aus München! Er läßt alle Schwestern grüßen. Schwester Selma war mit einer Schwester gleich am ersten Tag bei ihm, weil sie ihm das Kreuz persönlich übergeben sollte, er hatte es nicht mitgenommen. Da sei es ihr vorgekommen, als freue er sich „wieder einmal“ Schwestern zu sehen.

 Das Rektorat ist ganz leer. O was war das gestern, als ich das Haus zu durchwandern hatte!

Gott behüte Dich. Deine Therese.


An einen Schwesternkreis.
Neuendettelsau, 6. Aug. 1909
 Meine lieben Schwestern, von hier gäbe es viel zu erzählen. Ihr könnt Euch vielleicht ein wenig denken oder auch nicht, wie man das spürt, daß ein Mann von uns gegangen ist, der die ganze schwere Verantwortung für die große Sache auf sich genommen und die Last der Arbeit, da wo sie am schwersten| war, selbst getragen hat. Damit habe ich nur die geschäftliche Seite des Verlustes berührt; was uns sonst gegeben war von dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit, die eine ganze Gemeinde zu elektrisieren vermochte, das wißt Ihr noch eher. Aber die Güte des Herrn ist dennoch alle Morgen neu und Seine Treue ist groß. Er hat uns auch noch viel gelassen. Es ist rührend, wie Herr Konrektor so treu besorgt ist und hilft, soviel er nur immer kann. Er spürt auch ein wenig von der Last der Rektoratsgeschäfte, sagt: „Ich habe nun keine Stunden zu geben und bin den ganzen Tag beschäftigt, vollauf!“

 Herr Präsident schreibt öfters und lebt sehr mit uns fort. Ich muß so oft daran denken, daß Herr Präsident Harleß einmal gesagt hat: „Mit dem Heimweh im Herzen nach meinem verlorenen geistlichen Amt werde ich einmal hinunterfahren in die Grube.“

 Wir haben gegenwärtig besonders viel mit Stellenbesetzungen zu tun und sind sehr im Gedränge. Ihr werdet ja viel zusammen beten. Ach, daß an uns all die Gnaden, die Gottes Güte in langen Jahren über uns ausgeschüttet hat, nicht vergeblich sein möchten!

Gott behüte Euch, meine Lieben! Eure Therese.


An die Einsegnungsschwestern vom 21. Februar 1908.
Neuendettelsau, 28. Febr. 1910

 Meine lieben Schwestern, Ihr habt mir neulich durch Eure hiesigen Genossinnen ein Opfer überreichen lassen. Dafür möchte ich Euch im Namen Eures, unseres Mutterhauses herzlich Dank sagen und Euch Gottes Lohn für Eure Treue wünschen.

 Die wunderschöne blühende Azalee erinnert mich an eine kleine Begebenheit: Ich war eines Abends bei Herrn Pfarrer Löhe. Da stellte er eine solche reich blühende Blume vor mich hin und sagte: „Sieh, wie schön das ist! Und die macht gar keinen Spektakel.“ Ich habe verstanden, was mir Herr Pfarrer damit sagen wollte, und ich gebe es Euch, Ihr lieben „Löhetöchter“ vom Jahre 1908, weiter, wir sollen unser bißchen Werk recht still tun; man soll von uns nicht viel reden, und| noch weniger wollen wir von uns selbst reden. Aber wie die Blumen durch ihr stilles Blühen ihre Umgebung erfreuen, so sollen wir unserer Umgebung nie zum Leide, aber immer zur Freude leben.

 Ich brauche Euch nicht erst zu bitten, daß Ihr doch recht in Löhes Schriften eindringt und sie studieren wollet, daß Ihr Euch auch erklären laßt, was Euch nicht verständlich ist. Ihr sollt nicht umsonst am 21. Februar den Segen empfangen und die teure Unterweisung von Herrn Rektor Bezzel aufgenommen haben.

 Steht Ihr doch auch untereinander in Verbindung und ermahnt eine die andere, wenn sie merkt, daß die Mitschwester in Gefahr steht? Wir sind füreinander verantwortlich.

 Und noch eins: Herr Pfarrer Löhe hat uns Idealismus vorgelebt. Dies teure Erbe nehmt an Euch und bewahrt und hütet es. In dieser realistisch und materialistisch gerichteten Zeit soll es Kreise geben, die den idealen Flug, der diesem Hause eingestiftet ist, verstehen und sich zu eigen machen und ihn mitten unter den Versuchungen von rechts und links bewahren. Liebe Schwestern, laßt mich diese Bitte nicht vergeblich an Euch richten.

Gott behüte Euch! Eure Therese.


An die Schwestern Marie Winterstein, Wilhelmine Kißner und Anna Immler, Mutterhaus.
München, Misericordias 1910

 Meine lieben Schwestern Marie, Wilhelmine und Anna, ich danke für die Sendung und alle Nachrichten. Gerne erzähle ich ein wenig weiter von meinen Erlebnissen:

 Die Bibelstunde vorigen Donnerstag handelte von unheiliger Genügsamkeit und von heiliger Ungenügsamkeit (wie Philippus sie hatte: „Zeige uns den Vater, so genüget uns“). „Wer den Sohn höret, der siehet den Vater, und wer den Sohn siehet, seine Werke siehet, der höret den Vater.“ Gestern um 1/26 Uhr durfte ich Herrn Präsidenten auf dem Oberkonsistorium besuchen. Er zeigte mir den Sitzungssaal mit seinen erinnerungsreichen Bildern und sprach von dieser bewegten Zeit, von seiner eigenen tiefen, schweren Not, –| doch mehr als von einer vergangenen. Er meinte wohl, daß auch die Diakonissenhäuser nicht vom Modernismus würden verschont bleiben. Von unserm Haus sagte er besonders nachdrücklich: „O nur keine Parteien!“ O Ihr wißt, wie tief ich diese Gefahr und Not scheue, wer sie durchlebt hat, zittert vor ihr wie vor einem Gespenst aus dunkler Tiefe.

 Ich werde wohl erst am Samstag heimkommen, da ich doch alles mitnehmen will. Eine alte Gräfin habe ich gesprochen, die noch den Hofprediger Schmidt gekannt hat! Und unsere erste Lehrerin Johanna Bachmann ist als altes Fraule hier im Pensionat. Wir dachten der alten Zeit, vergangener Tage!! Heute war ich in der Markuskirche, und nachher gehe ich in den Betsaal und Herr Präsident predigt. Wie wunderbar ist das alles: Den Herrn Hauptmann Luft, unsern fürsorglichen Freund, habe ich auch besucht und die zwei Damen, die ihre Hinterlassenschaft dem Feierabendhaus bestimmt haben. Gott schenke uns allen Seinen Frieden, auch wenn jetzt Kampfeszeit ist. An die Blauen auch recht schönen Gruß.

Eure Therese.

 Jetzt komme ich eben vom Gottesdienst. Herr Präsident hat so mächtig über die Epistel gepredigt. Wie wunderlich ist es alles: die gleiche Stimme und gleiche Kraft und mächtiges Zeugnis – und das Verhältnis ist ein anderes.


An Schwester Käthe Zantner und Schwester Elisabeth von Oldershausen in Gastein. Schwester Käthe, bisher Hausmutter im Feierabendhaus I, stand vor der Versetzung ins Mutterhaus als Rechnungsschwester.
Neuendettelsau, 25. Juni 1910
 Meine lieben Schwestern, darf ich Euch denn einen gemeinsamen Brief schreiben und Euch danken für Eure lieben Briefe? Ich freue mich recht, daß Ihr Stille habt und das Bad Euch gut tut. „Ja, die Welt ist schön, ich sage mir’s tausendmal.“ – Aber als wir, Charlotte und ich, vor zehn Jahren von Italien heimkehrten, da sagte sie: „Aber ein einziger Blick Seiner Gnade wiegt alle diese Herrlichkeit auf.“ Und Herr Pfarrer Löhe sagte mitten unter großartigen Naturschönheiten zu seiner Umgebung: „Ach, das haben wir| alles daheim gerade so.“ – Die innere Abgeschiedenheit und die Einflüsse von Luft und Wasser und – Gottes Wort wollen Euch zu neuer Arbeit stärken und Euch große Freudigkeit geben, Gottes Werk zu treiben, bis es Abend wird.

 Dein Zimmer, liebe Käthe, ist sehr hübsch tapeziert, es wird Dir, hoffe ich, einmal wohl darin sein[1]. Und dann wollen wir recht schön zusammenarbeiten und alle Tage mit Freuden unsere Last auf uns nehmen, solange wir noch dürfen. Es ist jetzt doch recht schön mit den drei ineinandergehenden Zimmern. Marie Winterstein schläft im Telephonzimmer. Es ist ein so großer Betrieb jetzt geworden. Und Du hilfst mir dann auch manches schreiben, liebe Käthe, – ich kann’s nicht mehr bewältigen. Nun hört nur, was uns alles bevorsteht, was uns innerlich und äußerlich bewegt.

 Die Seminaristinnen sind vom schriftlichen Examen zurückgekehrt. Demnächst werden die Blauen geprüft, dann bekommen sie am 8. p. Trin. die Haube. Am 23. Juli kommen die 40 (!) Einsegnungsschwestern. Mitte Juli ist Schluß der Schulen; die Prüfungen haben schon begonnen. Vom 16. bis 18. August tagt hier der Lutherische Bund; etwa 60–70 geistliche Herren kommen! Dann wird Herr Rektor etwas fortgehen. Dann kommt Kaiserswerth. Wollt Ihr mir etliche Gedanken aus Gastein zugehen lassen über „Freiheit und Gebundenheit“; darüber soll ich etwas sagen im Kreise der Frauen. Das Jubiläum der 14 Schwestern kann dann wohl nach Kaiserswerth gefeiert werden. Ihr seht, es ist keine Langeweile in Dettelsau. Gestern hat auch Herr Rektor wieder gepredigt, zum erstenmal auf der Kanzel nach der kleinen Störung. Es war der Text vom Johannistag: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Heute ist’s ein Jahr, daß Herr Rektor Bezzel darüber gepredigt hat und wir den Eindruck einer Abschiedspredigt hatten, obwohl die Entscheidung noch nicht gefallen war. Das soll Dettelsaus Aufgabe sein: sich trösten zu lassen und andere zu trösten. So hieß es damals. Ich schicke Euch noch das Verzeichnis der Einsegnungsschwestern, vielleicht habt Ihr es aber schon. Jedenfalls werdet Ihr beten, daß kein unlauteres Element dabei ist. Ach, wer kann das Herz ergründen!

|  Es kommt eine Krankheitsnot nach der andern und dabei ein Hilferuf um den andern. Gott wolle uns unsere Aufgabe klar erkennen lassen... Zu meiner großen Befriedigung treten wir nun der Anstellung eines Assistenzarztes näher. Betet um den rechten Mann.

 So, jetzt schenke Euch Gott einen schönen, stillen Sonntag. Es gäbe noch viel zu schreiben.

 In herzlicher Liebe gedenkt Euer

Eure Therese, 70 Jahre alt!


An die Einsegnungsreihe vom 25. Juli 1909
Neuendettelsau, 15. August 1910

 Meine geliebten Schwestern, wie ist das Jahr so schnell enteilt, das inhaltschwere, folgenreiche Jahr! Wir haben Euer hier gedacht, und Ihr habt selbstverständlich den 25. Juli 1909 nicht vergessen!

 Ihr Letztgesegneten von unserem teuren Herrn Präsidenten, Ihr habt wohl eine besondere Mahnung und Aufgabe, recht treue Stammhalterinnen und Bewahrerinnen der empfangenen Gaben zu sein. Seid recht treu in der Fürbitte für unser ganzes Haus und Werk und füreinander, daß keine vom rechten Weg sich abkehre.

 Nun tagt in dieser Woche der Lutherische Bund hier. Ach, laßt uns alle recht treue Schülerinnen des lutherischen Katechismus sein! Lutherisch sein, so meine ich immer, heißt arm sein in sich selbst und reich und froh über die Gnade, die täglich alle Sünde reichlich vergibt. Lutherisch sein, so meine ich weiter, heißt einen festen, klaren Standpunkt einnehmen und mit ökumenischem Geist doch alles umfassen, was zu Ihm hinwill, und ohne Unterlaß beten, daß sie alle eins werden, die der Vater dem Sohne gegeben hat, wie Vater und Sohn eins sind. Lutherisch sein heißt auch, in froher Gewißheit der Vollendung der Kirche warten und ohne Unterlaß beten: „Komm bald, Herr Jesu!“

 Nun grüße ich jede einzelne der 35 werten Schwestern. Gott behüte Euch wie einen Augapfel im Auge!

Eure Therese.


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An eine Schwester.
Neuendettelsau, 19. Sept. 1910

 Liebe Schwester, Du begibst Dich jetzt auf weite Reisen.

„Man reist, damit es uns daheim nur desto mehr gefalle
und wer durchs Leben reist, der ist im gleichen Falle,
nur daß man da die Heimat noch nicht
kennt und nur am Heimweh merkt, daß man von ihr getrennt.“

Deine Therese.


An die Schwestern der Nürnberger Schule.
Neuendettelsau, 26. September 1910

 Meine lieben Schwestern, ich wollte schon immer dem Nürnberger Konvent einen Gesamtbrief schreiben und meine Freude aussprechen über den reichen „Kindersegen“. Es steht freilich viel Mühsal und große Arbeit dahinter, aber die Freude und der Dank soll doch überwiegen. Was sind wir, daß uns der Herr so brauchen will und mag?

 Heute ließ mich unsere kranke Schwester Auguste B. rufen. Sie wollte mir sagen, daß ihr das Wort so viel geholfen, das ich ihr neulich gesagt: „Er hat an dem, das er litt, Gehorsam gelernt.“ Sie wird nach manchem Sturm und vieler Not stiller. Wie tief muß der Mensch hinab, bis er so hoch hinauf kommt!

Ich grüße alle, alle recht schön. Eure Therese.


An die Schwestern in Schwabach.
Jakobsruh, 29. Okt. 1910

 Liebe Schwestern, ich habe es schon oft beobachtet, daß Gott uns, die Er durch den gesegneten Diakonissenweg den unmittelbaren Familiensorgen entnommen hat, dann besondere Gebetsaufgaben auferlegt. Das verlangt Seine Gerechtigkeit, und das ist uns zum Heil verordnet. Denn der beständige Verkehr mit Gott, zu dem uns das Gebetsanliegen treibt, ist ein Segen, schon ehe die Erhörung kommt. Wie erst, wenn wir in Geduld gewartet haben und dann die Erfahrung des Wortes kommt: „Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.“

|  Inzwischen habt Ihr mir auch Euer Haus geschickt und mir neulich sagen lassen, daß Schwabach nicht weit von Nürnberg sei. Ja, diese geographische Kenntnis könnte mir leicht im Gedränge des Lebens abhanden kommen. Wie viel sollte ich reisen und bin doch jetzt recht gehemmt. Vielleicht schenkt Gott mir noch einmal Kraft und Frische.

 Ich bin herzlich dankbar für die Stille hier.

 ...Unsere Wassersorge ist noch nicht behoben.

 Betet nur treulich für den teuren Herrn Präsidenten, für unsern jetzigen Hirten, für die ganze Genossenschaft, daß kein Unrecht über sie herrsche, für unsere Landeskirche, für die ganze Christenheit und für die ganze Welt. Wie groß und weit muß Euer Horizont sein! Niemand unter uns darf sich in Kleinlichkeit verengen.

 Möchten die Engel immer gerne in Eurer Wohnung aus- und eingehen!

Ich grüße Euch alle herzlich. Eure Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, Adventsabend 1910

 Meine liebe Frieda, nur einen kurzen Gruß möchte ich Dir senden zum heiligen Advent.

 Angst und Sorge soll schwinden, denn Er will Sein Volk trösten durch Vergebung der Sünden. Ach, mehr als des Gesetzes Strenge muß Seine unaussprechliche Liebe uns ängstlich machen, in keine Sünde zu willigen. Sag das den Schwestern und Schülerinnen. Jesus liebt uns! Welch ein Glück und welch eine Sorge bringt uns das!

 „Tröstet, tröstet mein Volk“, darüber sprach Herr Rektor unaussprechlich tröstlich in der heutigen Beichtvesper. Und Herr Präsident hat uns einmal gesagt: „Das ist die Aufgabe der hiesigen Gemeinde, sich trösten zu lassen und dann andere zu trösten.“ So tut Ihr auch darnach, Ihr Lieben alle. Tröstet alles, was trostbedürftig ist.

Deine Therese.


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An Schwester Charlotte Steinmann.
Neuendettelsau, 31. Jan. 1911

 Liebe Schwester Charlotte, nur noch am späten Abend einen Gruß zu diesem denkwürdigen 31. Januar. Wie war das damals so frühlingsmäßig auch mit Frühlingsstürmen!

„Den König sehen in seiner Schöne!“[2]
„Ach, daß ich ganz in Lieb’ zerflösse
vor deiner Liebe Wundergröße!“

Deine Therese.


An die Einsegnungsschwestern vom 21. Februar 1908.
Waldheim, Sonntag Oculi 1911

 Meine lieben Schwestern, Ihr habt wieder durch eine freundliche Gabe uns gezeigt, daß Ihr den denkwürdigen 21. Februar 1908 nicht vergessen habt. Ich danke Euch im Namen des Mutterhauses für Euer Opfer und möchte gern die Gelegenheit wahrnehmen, Euch ein weniges zu sagen.

 Unser teurer Herr Präsident hat in einer Zeitschrift unter anderem erwähnt, es werde die Zeit je länger je mehr Löhe als den eigentlichen Dogmatiker und Ethiker der Diakonissensache kennen lehren. Ihr, die Ihr „Löhetöchter“ in einem besonderen Sinn genannt werden könnt, seid berufen, über dies Wort nachzudenken.

 Was wollte Löhe mit der Diakonissensache? Was für ein Ideal stand ihm vor der Seele? Was sollen wir tun, damit nicht gar zu sehr ein Zerrbild an die Stelle des großen Ideales tritt?

 Das scharfe Auge des Herrn Präsidenten hat schnell erkannt, wenn eine Schwester sich etwa vom Mutterhaus ferngehalten hat. Ich muß bekennen, daß wir es jetzt kaum mehr zu kontrollieren vermögen. Und doch befällt auch mich oft eine Angst, daß manche Schwestern ihrer Pflicht nur schnell mit einem Sonntag in Dettelsau nachzukommen suchen. Da helft alle mit, daß unter uns nicht ein Schlendrian Platz greift, daß man nicht ungebeichtete Sünden mitschleppt und schließlich| Weltsinn sich unter christlichen Formen verbirgt. Es ist heilige Passionszeit! Möchte sie an keiner von uns ungenützt vorübergehen!

 „Ich bin’s, ich sollte büßen!“ – Und nun bin ich „erlöst, erworben und gewonnen!“ Wer das einmal recht erfaßt hätte, dem wäre keine Aufgabe zu schwer, kein Lebensverhältnis zu drückend, der würde in keiner Not verzagen.

 Gott behüte Euch alle und nahe einer jeden von Euch so, wie sie es bedarf, daß sie doch selig ans Ziel kommt!

Eure Euch herzlich verbundene Therese.


An Herrn Präsident von Bezzel.
Neuendettelsau, 3. Mai 1911

 Hochwürdiger, lieber Herr Präsident!... Am 10. Mai will ich sehr bestimmt mit dem Antrag herausrücken, daß für das Feierabendhaus etwas geschehen müsse: Anbau oder Neubau. Ich wünsche letzteres – kein großes Haus, Verbindung mit dem Mesnerhaus, damit die Schwestern nahe zur Kirche haben. Aber die Kirche wird doch auch zu klein! Nun, es wird für all die vielen Sorgen auch Rat werden. Aber man spürt schon recht die große Ausdehnung der Sache...

Ihre Therese Stählin.


An Schwester Marie Winterstein, Mutterhaus.
Bad Neuhaus (Rhön), 26. Juli 1911
 Liebe Schwester Marie, eben kam Schwester Libette an und hat uns für unsere „Haushaltung“ etwas von daheim mitgebracht. Ich denke, wir können morgen abend auf die von mir innig geliebte Salzburg gehen. Aber was hat mir die allezeit bedächtige Schwester Charlotte an der Hand des Kalenders für eine Enthüllung gemacht! Bis ich die verordneten sechzehn, sie die verordneten vierzehn Bäder überstanden, vergehen mehr als drei Wochen. Ich hatte eine ganz andere Rechnung, aber sie war falsch. Bitte, schreibe uns, ob Herr Rektor nicht vor dem 19. fortgeht. Längstens am 16. können| wir daheim sein. Dann wäre ich noch zwei Tage mit Herrn Rektor zusammen. Geht es wohl so?

 Ja, wenn man einmal „modern“ wird, dann kommen solche Schrecken über einen. Es geht uns recht ordentlich, nur die große, große Hitze! Ich las gestern Schwester Charlotte auf dem „Philosophenweg“ beim Abendspaziergang die Geschichte von Elias vor: „Eine Wolke wie eines Mannes Hand..., es rauschte, als wollte es sehr regnen.“ Das war einmal der Text für eine Pfingstbeichte. Es kam auch noch ein großes Gewitter mit etwas Regen. Und bei Euch?

Gott behüte Dich! Deine Therese.


An die Einsegnungsreihe vom 25. Juli 1909.
Neuendettelsau, den 14. Sept. 1911

 Meine lieben Schwestern, ihr habt des 25. Juli gedacht, und Herr Präsident hat wohl auch des Tages betend gedacht. Wer unter uns könnte des 25. Juli vergessen und all der Tage, die unmittelbar vorangegangen und nachgefolgt sind! Ihr wißt, wie ernstlich Herr Rektor Bezzel vor einem Zustand gewarnt hat, den er als Begeisterungslosigkeit zu bezeichnen pflegte. Die Versuchung dazu ist stark. Und doch – wie jämmerlich sind wir dann daran! Freudlos arbeiten ist für eine Diakonisse der größte Widerspruch. Aber wir können uns nicht künstlich in eine Begeisterung hineinarbeiten, davor wolle uns Gott bewahren, das brächte eine noch größere Gefahr – die Unwahrhaftigkeit.

 Was sollen wir tun, wenn uns die Versuchung zur Alltäglichkeit, zur mechanischen Arbeit, wohl gar zu Mißmut und Unzufriedenheit beschleicht? Wenn wir dann etwa gar berechtigte Gründe für solche Erscheinungen des alten Adam suchen? Ich glaube, darauf antworten zu dürfen: Die dringende, anhaltende Bitte um den heiligen Geist, der ein Geist der Freude ist, wird uns helfen, denn der Heiland hat gesagt: „So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.“ Und zum andern:| Von Ihm, der alle Tage so viel Sünde und Jammer Seiner Menschenkinder ansehen muß, heißt es: „Seine Güte ist alle Morgen neu.“

 Ich danke für Euer Opfer, Gott vergelte es. Immer möchte ich wieder sorglich betonen, daß das nur für niemand ein „Muß“ wird!

In treuer Verbundenheit in alle Ewigkeit Eure Therese.


An eine Schwester vor dem Eintritt in den Feierabend.
Neuendettelsau, 2. Sonntag nach Epiphanien 1912

 Liebe Schwester, nun hast Du den schmerzlichen Abschied überstanden und bist in die Ruhe der Jakobsruhe eingekehrt. Ich danke Gott mit Dir, daß Er Dich stille gemacht und Dich mit kindlichem Glauben erfüllt hat, daß eine barmherzige Vaterhand Dein ganzes Leben regiert. Er wird Seine Friedensgedanken an Dir hinausführen.

 Ich hoffe, Dich bald besuchen zu können. Noch bin ich mit zu viel Arbeit bedrängt. Dir wolle Dein Heiland in der Stille sich offenbaren und Dir viel gute Gedanken schenken, die uns alle zugute kommen dürfen. Auch in Deinem Stüblein sei wie bei Vater Jakob eine Himmelsleiter aufgerichtet, an der Du die Engel Gottes siehst auf- und niedersteigen.

In herzlicher Liebe Deine Therese.


An Herrn Präsident von Bezzel.
Neuendettelsau, 25. Jan. 1912
 Hochwürdiger, lieber Herr Präsident! ...Ich kann mich nicht genug wundern, daß Gott eine so groß gewordene Sache mit solchen Werkzeugen, wie wir sind, weiterführt. Aber Sie haben’s oft gesagt: „Seine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Das umfangreiche Rechnungswesen in den Händen unserer lieben Schwester Käthe Zantner, die fortwährend an Schlaflosigkeit leidet, daß ich oft voll Sorge um sie bin! Und die sogenannte Oberin so alt und hinfällig! Unsern Herrn Rektor stärkt ja Gott wunderbar, und die andern Herren arbeiten ja in großer Treue. Aber es geht auch bei ihnen die Arbeit| schon fast über die Kräfte. Ich schreibe das nicht im Sinne der Verzagtheit, ich muß mich nur wundern über Gottes Führen und Regieren und weiß, daß zu allen Zeiten schwere Zeit gewesen ist. Eben war Schwester Emilie Lachmann da und zeigte auch ihre Not an, aber sie liebt ihre ungezogenen Mädchen mit nicht zu erschöpfender und nicht zu alterierender Liebe. Herr Konrektor plant einen Bau für die „schwer Erziehbaren“. Es wäre noch viel zu schreiben... Heute sind es fünfzehn Jahre, daß Herr Inspektor Deinzer aus dieser Welt abgerufen wurde, wir waren damals in Hersbruck. Herr Senior Flierl schickte mir die Tage mit einer Drei-Pfennig-Marke seinen Brief aus Neuguinea an die Freunde in drei Erdteilen! Wie großartig ist unsere Zeit!
Ihre treu ergebene Therese Stählin.


An eine zukünftige Mitarbeiterin.
Neuendettelsau, 30. Jan. 1912

 Liebes Fräulein, Ihr Brief war mir eine herzliche Freude. Ich werde mich mit der Oberschwester in der Kinderklinik in Erlangen ins Benehmen setzen, damit alles aufs beste eingerichtet wird, damit Sie Ihren Zweck erreichen. Hoffentlich gibt Ihnen das Leben dort den Mut, später auch den andern Schritt zu tun. Es sind jetzt viele alte Schwestern unter uns, die einst mit Liebe und Begeisterung die oft nicht leichte Arbeit auf sich nahmen. Die sind froh, wenn junge, befähigte Nachfolgerinnen das teure Erbe überkommen. Gott behüte Dettelsau und lasse allezeit ein Geschlecht hier sein, das nach Ihm fragt und Seine Ehre ausbreiten möchte!

 Und wir, die wir uns zum Abbruch zu rüsten haben, freuen uns dann in der anderen Welt, wenn unsere Nachfolgerinnen treuer und frömmer das geliebte Werk treiben.

 Ich heiße Sie also jetzt schon als künftige Diakonisse willkommen.

 Wissen Sie, wann ich Sie zum ersten Mal sah? Das muß im Jahre 1890 gewesen sein. Da wollten Schwester Käthe Zantner und ich in Dinkelsbühl, ohne daß wir gerufen waren, nachsehen, ob man bei der Typhusepidemie etwa unsere Hilfe| brauche. Wir durften in Ihrem Hause zu Mittag essen. Und einmal kamen Sie zu einem Schülerinnenfest, und wir gaben Ihnen den Platz neben Herrn Präsident. Dieser Herr dachte sich damals so in Ihre Seele hinein, daß er meinte, es müsse doch ein angenehmes Gefühl sein, in der Christenlehre zu sitzen – daran nahmen die Juligäste teil – ohne gefragt zu werden!

 Diesen Mittag fahre ich nach Ansbach, einem für Sie nicht unbekannten Ort, hauptsächlich, um den „Heimweg“ anzusehen und das Rettungshaus. Allenthalben wird gebaut, erweitert, und Dettelsau muß mehr Kräfte stellen!

Gott behüte Sie! Ihre Therese Stählin.


An die Einsegnungsschwestern vom 31. Januar 1892.
Neuendettelsau, 2. Februar 1912

 Meine lieben Schwestern, ich habe natürlich sehr an den 31. Januar 1892 gedacht und sende nun dem „heiligen Rest“ von damals einen innigen Segensgruß, begleitet von herzlichem Dank für Eure in anmutiger Hülle dargebotene Gabe. Gott vergelte all unsern Schwestern ihre große Treue!

 Das waren damals gesegnete Tage unter dem „neuen Herrn Rektor“, der da schon im Diakonissenwesen so heimisch schien. Gott hat ihn in einen andern Teil Seines Weinbergs gerufen, in dessen heißer Arbeit unsere steten treuen Gebete ihn umgeben sollen.

 Aber über allen sinnenden Gedanken soll uns die große Freude und der heiße Dank stehen, daß auch wir in das hohepriesterliche Gebet eingefaßt sind, das uns damals so vor die Seele geführt wurde. „Ich bitte auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden.“

 In diesem Glauben bewahre uns der heilige Geist und mache unsere Herzen fest und stark.

Eure Therese.


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An die Einsegnungsschwestern vom 21. Februar 1908.
Neuendettelsau, 21. Februar 1912

 Meine lieben Schwestern, heute, dachte ich, will ich doch an die „Löheschwestern“ einen Brief schreiben. Aber ehe ich’s ausführte, kamen Eure beiden Genossinnen an; die brachten einen wunderschönen Blumenkorb, in dem ein goldener Schatz verborgen war. So muß ich Euch schreiben, ob ich’s vorher nur wollte. Gott vergelte Euch alle Liebe und Treue und erhalte uns in der Einigkeit des Glaubens bis ans Ende!

 Ich habe gerade in den letzten Blauen Stunden über die Geschichte unseres Hauses geredet und wie uns Gott trotz all unsrer Sünde und Mangelhaftigkeit durchgeholfen hat. Es ist wahrhaftig die Geschichte unseres Hauses eine Wundergeschichte, und Ihr sollt Euch liebend in sie versenken, um desto inniger danken und Gott preisen zu können. Wir sollen aber unsern Dank auch im Leben beweisen und der Heiligung mit großem Ernst nachjagen, wie oft drängt sich einem der Gedanke auf: wenn andere Seelen das erlebt und erfahren hätten, was wir, wie viel mehr würden sie es ausgenützt und ins Leben umgesetzt haben!

 Betet auch, daß der Herr bei Dettelsau bleiben möge, bis Er kommt. Dürfen wir diese Bitte nicht wagen? Ich denke eben so: wenn es unserem Hause einmal ginge, wie so manchem Kloster, das auch ursprünglich eine Segensstätte war und dann zur Ruine wurde, dann müßten schwere Sünden den Herrn und Seinen Segen vertrieben haben. Davor behüte uns, lieber Herre Gott!

 Übermorgen nehmen wir 23 Blaue zu Probeschwestern auf; es ist ein Segen, daß wir es dürfen. Laßt uns mit unablässigem Eifer einem Ideal nachjagen, das ältere und jüngere Schwestern im rechten Verhältnis zueinander darstellt. Die älteren sollen die jüngeren mit Liebe und Hoffnung hereinnehmen, die jüngeren zu den älteren mit Vertrauen aufschauen können und an ihnen allezeit das Glück wahrnehmen, das aus dem Leben derer strahlt, die bei Ihm Frieden gefunden haben.

In herzlicher Liebe Eure Therese.


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An die Schwestern in der Nürnberger Schule.
Neuendettelsau, 14. März 1912, Frau Oberins Begräbnistag.

 Meine lieben Schwestern, ich hatte so gern nach meinem neulichen Besuch noch einen Gruß an Euch geschickt. Ich muß ja besonders jetzt mich immer recht bedanken, daß Ihr so viel Rücksicht auf mich nehmt und Euch noch einen Besuch gefallen laßt. Ich danke für alle Fürsorge.

 Vielleicht darf ich noch hinterher ein Wort sagen, das mir im Andenken an mein Dortsein im Sinne liegt: Ich glaube, je älter wir werden und je älter unser Werk wird, desto mehr verlangt der Herr, daß wir durchaus auf dem Glauben stehen. Stützen des Glaubens dürfen wir nicht mit dem Glauben selbst verwechseln. Die Augen des Herrn sehen nach dem Glauben. Nicht umsonst, meine herzlich geliebten Schwestern, sollten wir gerade am Sonntag Reminiszere zusammen gewesen sein. „O Weib, dein Glaube ist groß“, wenn das der Herr auch von uns sagen könnte! Aber die große Frau hat solchen Glauben auch nur unter viel Schmerzen errungen. Laßt uns auch die Nürnberger Schule mit Augen des Glaubens ansehen und alle Fragen, die uns so tief und ernst bewegen, der Einen Bitte unterordnen: „Herr, stärke uns den Glauben!“

 ...Jesu barmherzige, durchgrabene Hände wollen segnend und belebend, verneuend und fördernd über der Nürnberger Schule walten.

In herzlicher Liebe Eure Therese.


An Schwester Karoline Meyer von der Mutterhausküche und Schwester Marie Preller vom Hospiz.
Neuendettelsau, 19. Juni 1912

 Meine lieben Schwestern, ich muß Euch noch einen Gruß senden, ehe Ihr wieder heimkehrt. Wie gönne ich Euch die stille, schöne Gegend, erquickende Bäder und sorgenfreies Dasein! Im Hospiz geht alles seinen Gang, und die Küchenleute versorgen uns gut, scheuern und putzen dabei, daß Du, liebe Schwester Karoline, Deine Freude haben wirst.

|  Am neuen Feierabendhaus wird stramm gearbeitet, so daß vielleicht am 2. Juli Grundsteinlegung sein kann. Heute hat Schwester Auguste Hensolt Geburtstag. Eine Menge Sachen für Indien sind in ihrem Zimmer ausgebreitet, die in die Weihnachtskisten kommen sollen. Am 5. Juli ist Blaue Prüfung, am 21. Haubenfeier... Das Oberkonsistorium (Herr Präsident!) hat aus dem Dispositionsfonds (Steuersynode 1910) unserm Hause 3500 Mark zugewendet: dem Seminar 1000 Mark, dem Magdalenium 800, dem Krankenhaus 500, Bruckberg 1500 Mark. Das ist eine große Freude. – Die Oberin von Braunschweig, Marie von Müffling, war etliche Tage hier. Ich habe sie sehr lieb gewonnen. – Jetzt ist prächtiges Heuwetter, alles steht prächtig, Rosen und Jasmin duften. „Die Welt ist schön, ich sage mir’s tausendmal. Sie ist schön, die unsere Gräber und unsere Verwesung deckt.“ – Gestern waren die Bruckberger Bürstenmacher hier, eine rührende Gesellschaft. – Seminar II ist in der Prüfungshitze.

 Bringt nur recht viel Mut und Kraft und Freude mit. Dettelsau hat immer große Aufgaben. Ihr werdet aber in Eurer Stille viel Segen herunterbeten.

In herzlicher Liebe Eure Therese.


An Schwester Elisabeth von Oldershausen in Ferien.
Neuendettelsau, 25. Juni 1912

 Meine liebe Schwester Elisabeth, wie schön, daß Du unter schattigen Buchen Propheten studierst! Ich möchte mich so gern noch besser in ihre Denkweise hineindenken können. Auch meine Blauen lernen gern als „Prophetenschüler“... Am 2. Juli ist Grundsteinlegung des Feierabendhauses. Bald neigt sich das Semester zu Ende, und wir können auch wieder einige Lücken durch Blaue ausfüllen. Freilich, es will immer nicht reichen. Nun muß eine Apothekenschwester lernen. Und die Lehrschwestern wollen nicht reichen... Wir müssen mehr glauben, sage ich mir, dann werden wir mehr haben; denn unser himmlischer Vater weiß, was wir bedürfen.

|  Vorgestern war ich in Ansbach. Wir feierten den 90. Geburtstag meiner Schwester Bertha. Sie ist geistig und körperlich frisch. Im Missionshaus wurde neulich der hundertste Geburtstag von Inspektor Bauer gefeiert. Ich war dabei und dachte in Wehmut unserer Sünden gegen diesen frommen Mann, der neben dem großen Löhe immer im Schatten stand und doch selbst auch ein Sternlein war am Kirchenhimmel, wie ist mir’s doch immer so merkwürdig, daß wir eines Lebens Kern erst erfassen, wenn das Leben abgeschlossen ist.
In treuer Liebe Deine Therese.


An eine Schwester, die in ihren Ferien mehrere Orte besuchen wollte.
Neuendettelsau, 6. Sonntag n. Trinit. 1912

 Liebe Schwester,

Zieh in Frieden Deine Pfade,
Geleitet von der ew’gen Gnade,
Sei’s nach Berlin, sei’s Hessenland,
Nur bleibe Dir nicht unbekannt
Ein Dörflein still und abgelegen,
Das auch beherbergt einen Segen;
„Die Dettelsau“ man pflegt’s zu nennen,
Du wirst es ja wohl auch noch kennen?

Allen Gruß! Therese.


An eine junge Oberin, die ein Diakonissenhaus anfängt.
Neuendettelsau, 9. August 1912
 Verehrte, liebe Frau Oberin, das ist ja unglaublich, was Sie alles zu leisten haben! Gerne würden wir helfen, aber – so merkwürdig es klingt bei unserer großen Schwesternzahl, es ist doch so – wir suchen oft mühsam, ja sehr mühsam nach einer „halben Schwester“ und sind oft in bitterer Not, durch die man nur im Glauben durchfinden kann. Aber einen Vorschlag möchte ich Ihnen und Herrn Pastor machen: wollten Sie vielleicht eine begabte und gut gerichtete Persönlichkeit zu uns schicken; wir könnten Ihnen vielleicht so dienen, daß wir jemand anlernen, einweisen, unterrichten und sie Ihnen| dann wieder zuschicken. Jedes Haus ist wieder für sich, man kann nicht von einem ins andere einfach übertragen, aber man kann Ideen von einem Haus aufnehmen und sie dann mit den nötigen Änderungen auf ein anderes Haus anwenden. Gefiele Ihnen der Gedanke, und gefiele er Ihrem Herrn Pastor, dann würden wir gerne dienen, so gut wir können. Empfehlen Sie mich Herrn Pastor. Es ist dringend nötig, daß die Neulinge zuerst unterrichtet werden. Wir legen einen großen Nachdruck – vom ersten Beginn unseres Hauses an – auf den Unterricht und auf die Persönlichkeiten die ihn erteilen. Die praktische Anweisung, die ja auch sehr wichtig ist, findet sich dann leichter.

 Mit dem herzlichen Wunsche, daß Ihnen auf irgend eine Weise möchte geholfen werden,

Ihre ergebene Therese Stählin.


An die Einsegnungsreihe vom 25. Juli 1909.
Jakobsruhe, 12. August 1912

 Meine lieben Schwestern, es ist mir ein herzliches Verlangen, Euch ein gutes Wort zu sagen im Andenken an den 25. Juli 1909.

 Ihr seid ja doch eine sonderliche Schar, Letztlinge aus der reichen Gnadenzeit von 1891–1909, wie wir auch oft der Erstlinge gedenken vom 31. Januar 1892. Die besonderen Verhältnisse, unter denen sich Eure Einsegnung vollzog, müssen auch ein besonderes Band sein, das Euch mit dem Mutterhaus und untereinander verbindet. Ich weiß aber, daß wir Menschen kaum etwas machen können, daß die besonderen Umstände Besonderes an unseren Seelen bewirken helfen. Wir können nur sorgen, daß unser Herz offen, unser Wille lauter ist. Dann müssen wir es dem Geiste Gottes, der weht, wo Er will, überlassen, was Er an uns tun, wann Er uns ergreifen, wie Er uns von einer Stufe zur andern führen will. Ach, und auch die Aufgeschlossenheit und Willensreinheit – es muß ja alles durch Seine Gnade bewirkt werden! Nur daß wir ängstlich alles meiden, was die Arbeit des heiligen Geistes an uns hindern möchte.

|  Wenn ich so Eure Namen und damit Eure Persönlichkeiten alle an mir vorübergehen lasse, dann erkenne ich, daß jede ein besonderes Leid oder eine besondere Aufgabe hat, viele wohl Leid und Aufgabe miteinander, um sich in beiden zu bewähren. Laßt uns nur – das, meine ich, sei mir besonders in der letzten Zeit wie ein Licht in die Seele gefallen – die Dinge nicht mit natürlicher Kraft und mit natürlichem Auge ansehen und umfassen, sondern der heilige Geist wolle uns die Augen des Glaubens öffnen, und wenn wir Jesu Dienerinnen sein wollen, müssen wir im Glauben arbeiten. Es umgibt uns eine unsichtbare, höhere Welt neben dieser sichtbaren. Das muß uns mit Furcht und Freude erfüllen. Der Prophet Elisa betete nur, daß seinem Diener die Augen geöffnet würden, da sah er die feurigen Wagen und Rosse um sich her.

 Wie oft, wie viel werden die Engel die Hände unterbreiten, wo wir die Gefahr, die uns umdroht, nicht einmal ahnen. Aber wieviel Arbeit und boshaftes Sinnen ist auch bei den bösen Geistern, die unter dem Himmel sind, daß sie uns schaden möchten. Laßt uns in Furcht und Freude, aber niemals in Sicherheit unsere Tage zubringen, meine geliebten Schwestern! Und alle wollet Ihr für einander betend und liebend einstehen, alle für eine und eine für alle: „Die eines Herren Leib gegessen, die stehen auch für einen Mann.“

 Gott behüte Euch, Er lasse keine fehlen, wenn uns Sein barmherziges Auge sucht an Seinem Tische im Himmelssaal!

In herzlicher Gemeinschaft Eure Therese.


An Schwester Johanna Willhalm.
Neuendettelsau, 8. November 1912
 Liebe Schwester Johanna, wenn ich mich nach Deinem Befinden erkundige, darf ich immer hören, daß es doch vorwärts geht. Darüber sind wir sehr froh, und in der Voraussetzung, daß dem so ist, richte ich an Dich die Frage, ob wir etwa daran denken dürften, daß Du den kleinen Haushalt übernimmst für die Kinder, die im Magdalenium waren. Schwester Emilie wäre es ein sehr lieber Gedanke, wenn die Möglichkeit bestünde, daß wir es Deiner Gesundheit wegen wagen dürften.| Es wird das nette Häuschen neben Herrn Kantor Klein gemietet, und 10–12 Kinder sollen hinaus mit einer Lehrerin, nur daß im Magdalenium etwas Luft würde. Es wird eigener Haushalt geführt. Besprich die Sache und gib uns ganz einfach Antwort, daß wir auch wissen, ob wir uns auf jemand anderen besinnen sollen. Natürlich sollst Du die nötige Hilfe haben.

 In herzlicher Liebe wünscht Dir Friede und Freude und Deinem vielgeplagten Leibe Gesundheit.

Deine Therese.
An die Schwestern in Bamberg.
Neuendettelsau, 19. Dez. 1912, am Tag der Beisetzung des lieben Herrn Prinzregenten Luitpold.

 Meine lieben Schwestern, ich danke halt recht schön für das reizende Körbchen mit dem mannigfaltigen weihnachtlichen Inhalt. Als ich ein Kind war, durfte ich in meines Vaters Studierstube Brote austeilen an die Armen – das war eine Stiftung für den Thomastag. Und nun darf ich um diese Zeit so viel austeilen und bin so reich geworden, wie ich’s nie ahnen konnte. Und wir sind alle so reich, weil wir Erben sind, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi. Ich danke Euch allen und wünsche Euch, daß Ihr Euren Reichtum erkennt und durch immerwährendes Danken ihn etwas verstehen lernt.

Eure Therese.


An die Einsegnungsreihe vom 9. Mai 1893.
Augsburg, 31. Mai 1913

 Meine lieben Schwestern, Ihr seid noch alle beisammen bis auf die eine, die das beste Teil erwählt hat und in die himmlische Heimat Euch vorangegangen ist. Der 9. Mai! Wie ist er vor andern Tagen ausgezeichnet, und wie seid auch Ihr deshalb mit sonderlichen Banden unserem Hause verbunden! Wie wert ist uns auch der Unterricht[3] der damals Euch sonderlich vermeint war: Ich schreibe diese Zeilen am hohen Fest der heiligen Dreieinigkeit.

 Was alles in Neuendettelsau in letzter Zeit gewesen ist, habt Ihr schon erfahren. Eine sonderliche Freude war für die Gemeinde die Brüdereinsegnung am Trinitatisfest. Herr Pfarrer Götz legte seiner Ansprache die Worte zugrunde:| „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen.“ Gewiß kommt die Zeit immer näher, da wir sehen dürfen, was ich so innig ersehnt, daß ein richtiger Brüderstamm ersteht. Als große Wohltat wird es schon empfunden, daß ein richtiger Oberbruder im Brüderheim ist. Einmal steht im Buch Josua: „Es kam alles.“ Das dürfen gewiß auch wir uns aneignen. Aber zweierlei – das liegt mir in letzter Zeit so besonders im Sinn – wird von uns verlangt: Wir müssen glauben und warten können. Das schenke Gottes Geist Euch und mir, dann werden wir Gottes Herrlichkeit schauen.

 Es ist mir, als hätte Gott in besonderer Weise in der letzten Zeit bei uns „angeklopft“. Wir mußten so Erschütterndes und Erschreckendes erleben und erfuhren daneben so viel Trost und Gnade. Daß man alles, was Gott unter uns tut in Gericht und Gnade, recht erlebt, daß man mit aufgetanen Augen, mit aufgeschlossenem Herzen, mit betender Seele Gottes Tun und Walten zu erkennen sucht, das erscheint mir von so großer Bedeutung für unsere Genossenschaft und für unser Einzelleben. Ach, daß nur keine Gleichgültigkeit, keine Sicherheit, keine Lauheit unter uns Raum gewinnt! Ich habe in letzter Zeit mit den Blauen die Geschichte Sauls durchgenommen. Ich kann gar nicht sagen, wie mich immer wieder dies Leben bewegt. Wie konnte es aus dieser Höhe zu einem solch jähen Sturz in die Tiefe kommen! Lest und betrachtet selbst die Geschichte. Es sind auch sehr die Predigten des Herrn Pastors Disselhoff über Saul zu empfehlen. Die Sünde fing scheinbar klein an. Aber der Mangel an wahrhaftiger, aufrichtiger Buße, das halbe Bekennen ließ die Sünde immer weiter und weiter sich entwickeln, bis das Leben in Nacht und Grauen endete.

 Und nun wünsche ich einer jeden von Euch, daß der heilige Geist, ungehemmt durch Widerstand von Eurer Seite, Sein Werk an Euch tun könne zur Ehre des dreieinigen Gottes und zu Eurem ewigen Heile.

 In fünf Jahren feiert Ihr Jubiläum. Wie schnell wird die Zeit da sein!

In herzlicher Liebe Eure Therese.


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Frau Oberin Stählin bei einer Zusammenkunft der Schwestern am Pfingstmontag abend 1913 nach dem Heimgang von Schwester Amalie von Stein.

 Die, welche die letzte Zeit mit uns erlebt haben, werden es gemerkt haben, daß Gott ganz besonders mit uns geredet hat, und wir sollen das herzliche Verlangen haben, zu verstehen, was Er meint. Laßt uns doch darauf achten, wie oft der Herr in Seinem Wort sagt: „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“

 Wir, die wir Schwester Amalie von Stein näher gestanden sind, wissen, daß ihr Heimgang ein Riß ist, den wir in unseren Herzen spüren. Es kommen mir so mancherlei Gedanken, die ich so gerne auch in andere Herzen hineinlegen möchte. Es ist nicht die Arbeit dasjenige, was Zeugnis gibt von einem Diakonissenleben. Manch eine hat Größeres und Ausgiebigeres geleistet in ihrem Diakonissenleben als unsere selige Schwester Amalie. Aber was der Herr an einer Diakonissenseele erreichen will, das ist doch, meine ich, dies, daß man sein Herz Ihm ergibt und Ihn machen läßt mit uns, was und wie Er’s will. Unsere Schwester Amalie hat auch viel Not und Kampf im Leben gehabt, und nun hat der Herr sie in Eile weggenommen. Wir haben seit Jahren Zeugen sein dürfen dessen, was der Geist Gottes an einer Menschenseele ausrichten kann, wenn sie ihren Willen Ihm ergibt. Ich sage: nicht so sehr die viele äußere Arbeit macht eine Dienerin Jesu zu dem, was sie sein soll, – das können andere vielleicht noch in großartigerer Weise. Aber die tiefinnerliche Barmherzigkeit, die tief in der Seele wohnende Gütigkeit, die wohltun möchte und wohltut, wo sie nur kann, das macht eine Diakonisse. Wie wohl ist uns immer bei ihr gewesen! Und wie hat sie für alles Verständnis gehabt! Die Lebhaftigkeit des Interesses für uns, für unser Haus und Werk, für ihre Familie und für einen weiten Kreis von Menschen war immer da. Das ist der Riß, der geschehen ist, denn man findet nicht überall Verständnis. Es ist bei ihr ein Echo gewesen für das, was einen in der tiefsten Seele bewegt hat. Wir denken, der Geist Gottes hat sonderlich in den letzten Jahren ohne Widerstreben an ihr arbeiten können, und das haben wir gespürt, und es ist eine Gnade von Gott, daß es das auch unter uns gibt.

|  Nun gehen viele von euch wieder hinaus in die Arbeit, nachdem wir Pfingsten noch im Frieden haben feiern dürfen. Nun soll doch jede etwas mit hinausnehmen und eine jede von uns die brünstige Bitte an den Herrn haben, Er möge das Werk Seiner Hände nicht lassen. Wir sollen Geduld miteinander haben, auch wo es durch Kampf und Sünde hindurchgeht, wenn wir nur immer im tiefsten Grunde doch wahrnehmen dürfen, daß die Seele zu Gott gerichtet ist und sich heilen und vollenden lassen möchte.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 26. Aug. 1913

 Meine liebe Frieda, ich sage Dir zu Deinem Geburtstag das Wort: „Wie mich mein Vater liebet, so liebe ich euch auch. Bleibet in meiner Liebe.“ Das kann Dir genug, übergenug sein. Oder begehrst Du noch etwas darüber hinaus?

 Meine Schwester, ich möchte so viel besser danken können. Wie hat uns Gott so freundlich und gnädig geführt, Dich und mich. Ach, wär’ ein jeder Puls ein Dank und jeder Odem ein Gesang!

 Heut hat der liebe Herr Präsident in seiner großen Freude mir allerlei geschickt von der Festlichkeit auf der Befreiungs-Halle in Kelheim[4]. Er hat auch den Kaiser gesprochen. – Unser liebes Prinzeßchen Salm ist krank und schwach. Herr Rektor ist in Gastein. Wir freuen uns des schönen Wetters, wie man sich freuet in der Ernte. Das Feierabendhaus wird sehr schön.

 Bete für mich um einen starken Glauben.

Deine alte Freundin Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 7. Juni 1914
 Meine liebe Schwester, laß mich Dir gleich zu Anfang das Dir längst bekannte Wort Augustins in die Seele legen: „Du, Herr, hast uns zu Dir hin geschaffen, und unser Herz ist ruhelos,| bis es Ruhe findet in Dir.“ Einmal, als ich jung war und alles so wirr in mir und um mich, da klagte ich Herrn Pfarrer meine Not. Er sagte mir dann den Vers: „Seele, willst du dieses finden, such’s bei keiner Kreatur.“ Damals schien mir das eine zu geringe Hilfe und Arznei für meine Not. Jetzt erst weiß ich, was mir damals not tat und noch zur Stunde nottut. Es ist alles einfach, wenn wir alles auf den Herrn beziehen, und es wird alles wirr und schwer, wenn wir die Dinge losgelöst von Ihm, im Verhältnis zu uns und zu den Kreaturen auf uns wirken lassen. Das scheint mir jetzt für Dich das Wichtigste und Nötigste, alles auf Eines, will sagen auf Einen, zu beziehen.

 Werde Du eine recht treue Dettelsauer Schwester, werde eine Stammhalterin und nimm alles so treu und fest in Dich auf, daß Du es auch andern überliefern kannst. Wir Alten sind Davoneilende, unseres irdischen Lebens Tag neigt sich zum Ende, aber die geliebte Sache bleibt. Die soll in treue Hände vertrauend gelegt werden können. Sei Du, mein Kind, auch eine von den Getreuen, die Herz und Hände willig darbieten zum „heiligen Dienst“. Und nun werd auch wieder froh.

In treuer Liebe Deine Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, 30. Sept. 1914

 Meine liebe Schwester Regine, Gott sei Dank, daß es Euch gut geht und daß Ihr auch dem Vaterlande dienen dürft, wenngleich Eure Babys nicht in die Schlacht ausziehen. Es ist ganz recht, wenn Eure rückständigen Schwestern noch Ferien machen, wenn’s auch nicht gerade drei Wochen sind.

 Ach, alle sollen wir immer wieder innig danken, daß der Krieg nicht ins Land gekommen ist. Aber das arme, arme Frankreich! Wie haben sie sich selbst so schwer geschädigt! Als ich vorige Woche in Nürnberg die Lazarette besuchte, sprach ich auch etliche Franzosen. Einer hatte durch Zeichen seiner Umgebung zu verstehen gegeben, daß er einen Pfarrer wolle, ehe ihm sein Bein abgenommen wird.

 Es ist eine ungeheure Tätigkeit in Nürnberg entfaltet. Tausende von Verwundeten liegen in den Lazaretten, und| unsere Schwestern helfen treulich mit, aber auch viele, viele Damen. Und geopfert wird in unglaublicher Weise.

 Ja, es ist eine große Zeit. Aber der Herr sieht in die Tiefe, und wir sollen bei uns selbst Einkehr halten, daß auch für uns eine Zeit der wahrhaftigen Bekehrung gekommen sei. Es ist ja alles so ernst und vielleicht die letzte Zeit nicht mehr weit. Laßt uns beten um wahrhaftigen Glauben und daß die Liebe nicht erkalte.

Allen herzlichen Gruß. Deine Therese.


An die Einsegnungsreihe vom 12. Okt. 1903.
Neuendettelsau, 4. November 1914

 Meine lieben Schwestern, wie beweglich ist es, wenn ich Eure Schar überblicke, daß sechs der Einsegnungsschwestern gegenwärtig in ernster Arbeit unter schweren Eindrücken in der Ferne weilen. Gott schütze sie und alle unsere Schwestern! Morgen sollten sieben ausgesandt werden. Da kam gestern abend ein Telegramm, sie sollten gegen Typhus geimpft sein, ehe sie ausziehen. Das verzögert nun ihren Weggang.

 Wir sind aber in der gegenwärtigen Zeit aus unserer kleinen, engen Welt recht hineingestellt in die große, mächtige Bewegung, von der alle Seelen jetzt erfüllt sind. Meine geliebten Schwestern, wie durchleben wir diese große Zeit? Wir müssen doch alle diese Frage an uns richten. Es ist ein starkes, mächtiges Anklopfen unseres Heilandes an jede einzelne Seele gemeint. Das wollen wir nicht überhören. Wir vermögen aber selbst gar nichts. So laßt uns ernstlich und anhaltend den heiligen Geist anrufen, daß Er Sein Werk tue an den einzelnen unter uns, an der Gemeinschaft, der wir angehören, an der Kirche, an der ganzen Welt. Jetzt hat alles, das werdet Ihr mit mir empfinden, noch einen anderen Klang als sonst: die Lektionen, die wir in der Kirche hören, die Kreuz- und Trostlieder, die Psalmen. Gestern hat uns Herr Rektor wieder eine Schwesternstunde gehalten und vom Krieg im Lichte des göttlichen Wortes geredet.

 In aller Not und Drangsal, die uns umgibt, laßt uns doch des Dankes nicht vergessen, wie viel, wie viel haben wir zu danken! „Die Güte des Herrn ist es, daß wir nicht gar aus sind.| Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und seine Treue ist groß.“ Gott hat uns viel Segen im Leiblichen und Geistlichen gegeben, auch wunderbar geholfen, daß wir die nötigen persönlichen Kräfte doch stellen konnten. Einige Lücken, die wir freilich reißen mußten, werden wir auch in nicht allzuferner Zeit mit Gottes Hilfe wieder ausfüllen können. Wir haben eine volle Blaue Schule, die uns Gutes hoffen läßt. Ich grüße jede Einzelne, an die der Brief gelangen mag. Der Herr schenke einer jeden die Gabe und die Kraft, die sie bedarf.
Eure Therese.


An Schwester Berta Wieland an der Zeltnerschule.
Neuendettelsau, 13. Dezember 1914

 Liebe Schwester Berta, in bezug auf den Eintritt ins Diakonissentum bin ich jetzt gerade nicht so zaghaft wie Du. Ich bin zu sehr überwältigt von der Hilfe Gottes, die ich erlebt. Die Notzeit diesen Sommer ist mir tief eingeprägt. Ihr konntet es ja nicht wissen, wie unsere Bedrängnis war. Ich habe viel zu Gott gerufen. Nun kam der schreckliche Krieg, und auf einmal hatten wir nicht bloß Menschen, sondern Persönlichkeiten. Daß wir demnächst zweiundsechzig Schwestern im Felde haben und doch einigermaßen die Arbeit in der Heimat bewältigen können, das ist ein Gotteswunder. Und diese Schwestern haben, indem sie so freudig bereit waren, doch ihr Leben gewagt.

 Ach, wir haben so etwas Schauerliches gelesen, wie es Königsberger Schwestern ergangen ist. Und nun liegen Augsburger Schwestern in Metz, zum Teil schwer krank. – Herr von Stein in Straßburg schrieb mir die Tage, es gehe seiner Schwester Luise ordentlich, nur leide sie unter der Kälte. Da habe er gleich für warme Sachen gesorgt; aber weil andere Schwestern auch frieren könnten, schickt er mir 250 Mark. Wie freundlich ist das! Aber wir haben ja viele schöne und gute Sachen der zweiten Reihe geschickt, und sie sind nicht an sie gelangt. Nun sinne ich, wie wir sicher etwas hinbringen könnten. Es sind doch, um nochmals das Vorige zu berühren, viel gereifte und ernste Persönlichkeiten unter der ausgesandten Schar.

|  Gott schenke Euch fromme, gewichtige Männer in den Ausschuß!
Ich grüße Euer ganzes Haus. Deine Therese.


An Schwester Marie Winterstein, Mutterhaus.
München, 11. Februar 1915

 Liebe Schwester Marie, nun möchte ich doch an Dich ein paar Worte extra schreiben. Du weißt, daß Herr Rektor gütiger Weise eine Schwester zu meiner Pflege in der Klinik senden will. Nun dachte ich halt an Dich und Schwester Babette Dietrich. Ich weiß, daß Ihr gern dies Opfer bringt. Ich weiß aber nicht, welcher von Euch beiden man es am ersten zumuten kann. Deine Arbeit ist schwerer zu besetzen. Und wenn Du doch noch fort müßtest? Ich bitte, daß es in Dettelsau entschieden wird. Ich meine, ich könnte am Montag in die Klinik. Da wäre es vielleicht gut, wenn Du oder Schwester Babette schon am Samstag hieher kämt. Aber die wichtige Konferenz! Soll ich lieber noch warten? – Liebe Schwester Marie, lies doch die schöne Geschichte, wie der junge Tobias dem alten Tobias eine halbe Stunde lang mit der Fischgalle die Augen bestrich. Und dann ward er sehend. Aber schöner noch ist das Erbarmen Jesu mit den Blinden.

Grüße alles schön. Gott behüte Dich. Deine Therese.


An ihre Schwester Marie nach einer Augenoperation.
München, 13. März 1915
 Liebe Marie, wir sind noch in der Klinik. Herr Professor, der Herrn Geheimrat vertritt, wollte mich vor Montag nicht ziehen lassen, und auch dann muß ich mich nächste Woche noch einigemale zeigen. Das zuerst operierte Auge macht zwar keine Sorge, wie mir versichert wird, aber die Heilung verläuft nicht so schnell und ungestört, wie die des rechten Auges. Heute kommen die Herrn noch einmal über mich, und ich mußte mich über meine Angst recht schämen. Die lange Ruhe ist ja für mein übriges Befinden recht wohltätig, es ist ein wunderlicher Kontrast: daheim geizt man mit jeder Minute,| und hier füllt man den Tag aus, so gut es geht. Katterfelds Leben haben wir sehr gerne gelesen.

 Nun grüße mir alles recht schön. Herrn und Frau Rektor bitte ich auch bestens zu grüßen.

Deine Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 3. Juni 1915

 Meine liebe Schwester, ich bin neulich ein wenig erschrocken, weil ich aus Deinen Reden etwas wie Mißtrauen gegen Deine Umgebung herausgehört habe. Ach, sei nicht mißtrauisch, meine Schwester! Laß uns harmlos, arglos leben – wir sollen umkehren und werden wie die Kinder. Die kennen kein Mißtrauen. „Ach lieb, so lang du lieben kannst!“ Wie schnell wurde Schwester Elise Bühler dahingerafft! Habt auch Ihr gestern morgen das Erdbeben gespürt? Welche Mahnungen!

 Und nun der Sieg am Skagerak! Morgen soll geflaggt werden. In der gestrigen Kriegsgebetstunde sprach Herr Pfarrer Götz über das Wort: „Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.“

 Am Sonntag weihen sie in Schwabing ihr neu erworbenes Haus ein. – Herrn Rektor bewegt der Gedanke, die Schwestern im Feindesland zu besuchen.

Ich grüße Euch alle. Deine alte Freundin Therese.


An eine Schwester.
Neuendettelsau, 23. Juli 1915

 Meine liebe Schwester, Gott schenke Dir viel Weisheit und große Freiheit von Dir selbst! Wenn Du mir erlaubst, das zu sagen, möchte ich Dich fragen, ob Du nicht doch zu viel noch von der Gunst der Menschen abhängig bist, ob Du nicht zu gern Dich sonnen möchtest in dem fröhlichen Gedeihen Deiner Arbeit? Ach, wie leicht schleicht sich da etwas ein, was der Dienerin Jesu nicht wohl ansteht! Es liegt ja so nahe und ist so versuchlich...

Deine Therese.


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An die Einsegnungsreihe vom 25. Juli 1909.
Neuendettelsau, den 26. August 1915

 Meine lieben Schwestern, ich danke für Euer Opfer in der lieblichen Fassung, das von einem prächtigen Blumenstock und schön geschriebenen Spruch begleitet war. Ich fragte, ob es wohl den Spenderinnen recht wäre, wenn ich die Gabe zu etwas Bleibendem verwenden würde. Ich habe nämlich seit Jahren in aller Stille etwas gesammelt, was einmal eine Stiftung für eine Freistelle in unserm Schulhaus werden sollte, die dann einer bayerischen Pfarrerstochter zu gut käme. Nun bin ich ganz nahe am Ziel und habe eine große Freude darüber, und Ihr habt auch dazu geholfen. Gott wolle es segnen.

 Zwei Ereignisse aus der allerletzten Zeit laßt mich Euch gegenüber in diesem Brief erwähnen und mit der Erzählung davon besonders diejenigen grüßen, die in der Ferne weilen.

 Den 16. August werden diejenigen nicht vergessen, die diesen Tag mit erlebt haben. Da wurde der einzige geliebte Sohn unsers seligen Herrn Rektors, Herr Pfarrer Ernst Meyer, hier begraben. Wir holten die Leiche früh 9 Uhr an der Bahn ab. Dann wurde der Sarg nach dem Wunsch des Entschlafenen in unsere Kirche gebracht, wo vor 24 Jahren auch die sterbliche Hülle des Vaters gestanden. Man sang das Lied: „Herzlich lieb hab ich Dich, o Herr“, Herr Rektor las die Lektion 1. Kor. 15 und betete mit uns. Dann wurde der Sarg ins Leichenhaus gefahren. Nachmittags fand die Aussegnung in der gewohnten Weise statt, und dann umstanden wir mit den betrübten Angehörigen die beiden Gräber. Man spürte es, wie das tiefe, große Weh vom weiten Kreis mitempfunden wurde. Wir standen um das geöffnete Grab wie eine große Familie. Herr Rektor las den vom Seligen selbst bestimmten Text: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde“ und hielt die Grabrede, die sich voll Ernst und Trost in die Gemüter legte. Am Schluß sang die große Gemeinde, gleichfalls auf Wunsch des Entschlafenen: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt.“ Die Sonne leuchtete freundlich über dem stillen Gottesacker, der so viele sterbliche Hüllen von geliebten Menschen birgt, und es war| unter dem Gesang, wie wenn ein Stück Ewigkeit zu der hoffenden, sehnsuchtsvollen Gemeinde hereinragte, der auch ihr Heimweh zur rechten Zeit gestillt wird wie unsern vorangegangenen Lieben.

 Ein Erlebnis ganz anderer Art sei noch kurz erwähnt. Am 20. August waren es 25 Jahre, daß unser Magdalenium eingeweiht ist. Auch bei dieser Feier wurden unsere Gedanken in die andere Welt gelenkt. Noch ist’s kein Jahr, daß unsre geliebte Schwester Emilie Lachmann von uns genommen ist, und am 20. August 1890 stand die liebe Schwester Amélie von Brück voll Glück und Freude und Dank unter uns. Aber noch stehen wir in ernster, heißer Arbeit, sonderlich in dem Hause, dem ein Jubiläum in schwerer Kriegszeit beschieden war. Es waren aber doch gesegnete Stunden am vorigen Freitag nachmittag, in denen Herr Konrektor der Hausgemeinde und ihren Festteilnehmern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft inbezug auf dieses Werk vorführte. Herr Rektor konnte leider nicht persönlich teilnehmen, weil er gegenwärtig in Reichenhall weilt. Allerlei Überraschungen, liebliche Ideen, frohe, dankbare Gesänge ließen die Zeit schnell verstreichen, bis man im Abendgottesdienst sich noch einmal in Stille und Dankbarkeit sammeln durfte.

 Gott behüte Euch alle, Er sei Euch nahe in der Arbeit und im Leiden und erhalte uns alle bei dem Einigen, daß wir Seinen Namen fürchten.

Eure Therese.


An ihre Schwester Marie.
Himmelkron, 21. Nov. 1915
(25jähriges Jubiläum des Marienheims)
 Liebe Schwester, ist das ein reichbewegtes Leben in diesem Himmelkron! Ich freue mich, daß ich die Reise machen durfte. Die 25 Jahre – wie sind sie dahingeeilt! Freitag um 2 Uhr war die Feier im Kinderschulsaal im Marienheim. Darnach war Kaffee im Blödenhaus. Frau Kirchenrat Langheinrich saß neben mir. Unter anderem las Herr Pfarrer Zinck aus den Puckenhofer Blättern die zusammenfassende Darlegung der Himmelkroner Geschichte von Langheinrich vor. Auch aus Elise Bühlers sorgsam geführter Chronik wurde gelesen. Der gestrige Tag verging auch schnell. Heute erwähnte Herr Pfarrer| Ruf in der Predigt noch einmal den bedeutungsvollen Anfang der Neugestaltung Himmelkrons am 19. November 1890. Nachher war Betstunde, da wurde der Gefallenen gedacht. Nachher kamen wir wieder im Blödenhaus zusammen. Schwester Klara Frommann las vor, was Schwester Emilie Burger seinerzeit gedichtet; sie hatte Herrn Pfarrers Beschreibung von Himmelkron in Reime gebracht. Ich kann’s ja nicht sagen, wie tief innerlich mich die Geschichte Himmelkrons bewegt. Nachher ist Vesper in der „Kapelle“. Morgen will Herr Pfarrer mit uns die baulichen Wünsche der Industrieschule durchsprechen.

 Ich habe noch viel vor morgen. Abends fahre ich mit Schwester Elisabeth nach Kulmbach, Dienstag kommen wir, so Gott will, abends 8 Uhr heim. Nicht wahr, es kommt niemand auf den Gedanken eines Wagens!! Ich mache auch hier Wege, wie schön gelegen ist der neue Friedhof, schon reich besiedelt. Als ich gestern am Grabe Langheinrichs stand, läutete es gerade 11 Uhr. Wie schön ist das Kruzifix! Ich hoffe, es kommt das gleiche nach Polsingen.

 Nun ist ja wieder allerlei. Aber Jesus ist schon unterwegs, um zu helfen, hat’s neulich in der Predigt geheißen. Wieviel Elend bergen die Asyle! Aber eine Kranke erzählte mir sehr zufrieden, es gäbe Milchsuppe und es gäbe auch Klöße bei ihnen.

 Ich glaube, das neue Haus ist praktisch und schön. Und hier allenthalben elektrisches Licht! So wenn wir’s hätten! Grüße auch Deine Fräuleins.

Deine Therese.


An die Einsegnungsschwestern vom 25. November 1906.
Neuendettelsau, 1. Dezember 1915

 Meine lieben Schwestern, ich möchte Euch in herzlicher Liebe einen Gruß und Dank senden.

 Es war der letzte Sonntag im Kirchenjahr, als Ihr vor neun Jahren eingesegnet wurdet, und jetzt stehen wir in der lichten, lieben Adventszeit. Damals ahnte man noch nichts von dem schweren, blutigen Krieg, in dem wir jetzt schon so lange stehen.

|  Wir sind wohl seit jenem 25. November dem letzten Ende um ein Merkliches näher gekommen, und alles hilft dazu, uns zu mahnen: „Wachet und betet und gürtet die Lenden, tragt brennende Lampen in euren Händen.“ Gewiß ist bei uns allen der Unterricht über den „Knecht Gottes“ der Hauptsache nach unvergessen. Herr Präsident selbst sagte wiederholt, es sei ihm der liebste Unterricht gewesen. Er will ihn „umarbeiten“, dabei die Pfarrer hauptsächlich im Auge haben und ihn drucken lassen.

 Wir haben viel kranke Schwestern unter uns.... Herr Rektor hat in zwei Tagen vier auswärtige Stationen besucht. Ich war in Himmelkron und Kulmbach. Nach Himmelkron zog’s mich mit Macht zu dem Tage, an dem ich vor fünfundzwanzig Jahren die ersten Schwestern hingeleiten durfte. Schwester Elise Bühler hat mit Henriette Kalbskopf die ersten Zeiten in Himmelkron durchlebt. Jetzt ist so vieles anders und neu geworden dort. Es war mir wie eine Vorahnung von dem, was wir einst erschauen werden, wenn ich die alte Zeit in Himmelkron mit der gegenwärtigen vergleiche. „Siehe, ich mache alles neu“, das durchklang auch die Predigt von Herrn Pfarrer Ruf am letzten Sonntag im Kirchenjahr, in der er der dortigen Gemeinde auch etwas von dem Sonst und Jetzt sagte am fünfundzwanzigjährigen Gedenktag des Marienheims.

 Aber was wir hier im kleinsten Maß auf engem Raume vielleicht schon schauen dürfen, wenn irgendwo der Geist Gottes weht und wirkt und der Same des Evangeliums aufgeht und eine Liebesmacht sich entfaltet und die Verhältnisse umgestaltet, das werden wir einst in ungeahnter Weise in der Vollendung schauen. „Siehe, ich mache alles neu!“ Auch diese Verheißung wird erfüllt wie alle Seine Verheißungen. Das ist unser fester Trost mitten im großen Leid des Lebens. – Für Eure Opfer recht herzlichen Dank. Die Kirche sollte mit Windeseile erweitert werden.

Gott behüte Euch! Eure Therese.


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An eine Schwester.
Polsingen, 21. Juli 1916

 Meine liebe Schwester, wir durften gestern einen wunderschönen Tag erleben, das fünfzigjährige Jubiläum unserer Arbeit hier. Es ist die Geschichte Polsingens mit viel Leid und Weh gemischt, aber stärker als Wehmut und Leid über hinterlegten Schmerz muß doch der Dank sein. Ach, was hat Gott für Wunder auch an diesem Ort getan! Es ist über dieses Polsingen eine solche Lieblichkeit ausgegossen, und man muß so erkennen, wie viele treue Menschen ihr Bestes hier eingesenkt haben, so daß allmählich diese jetzige Ausgestaltung zustande kommen konnte.

 Eine besondere Freude war es uns gestern, daß uns die Gemeinde einen so lieblichen Morgengruß brachte. Pfarrer und Lehrer kamen mit den Schulkindern, die sich mit Blumen geschmückt hatten. Sie sangen, und die weißgekleidete Tochter des Lehrers deklamierte und überreichte einen Strauß mit einer Gabe für das zu errichtende Kruzifix auf dem neu angelegten Gottesacker. Die Schwestern empfingen das hl. Abendmahl. Nachmittags zwei Uhr war Festgottesdienst, den Herr Rektor hielt: Ps. 103, Lied Nr. 2 wurde gesungen, drei Lektionen gelesen und eine Ansprache gehalten über Worte aus dem 77. Psalm: „Ich gedenke der alten Zeit, der vorigen Jahre.“ Dann war im Eßsaal ein Kaffee gerichtet, dabei las Herr Rektor einen Auszug aus der Chronik vor. Herr Pfarrer Ries erzählte aus der alten Polsinger Geschichte...

Deine Therese.


An Schwester Babette Dietrich, Hausmutter auf der Jakobsruhe.
Neuendettelsau, 24. Juli 1916

 Meine liebe Schwester Babette, ich schicke Dir 999 Grüße zu Deinem Geburtstag (1000 sind mir zu viel). Gott schenke Dir eine rechte Gebetskraft und eine große Liebeskraft und eine große Glaubenskraft. Mit diesen drei Kräften könntest Du ein gutes Jahr für Dich und andere haben...

Deine Therese.


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An eine Schwester.
Neuendettelsau, 4. Aug. 1916

 Liebe Schwester Emilie, laß Dir auch von mir einen herzlichen Segenswunsch zum Geburtstag gefallen. Der 4. August ist mir tief eingeprägt durch eine eingreifende Begebenheit in vergangenen Tagen. Da kam unser lieber seliger Herr Rektor Meyer zu uns, um hier zu predigen, damit wir ihn kennen lernen sollten. Ach, was waren das für Zeiten, alles anders als jetzt! Was urteilt wohl der Heiland über die Dettelsauer Gemeinde? Laß uns nur immer beten: Herr, bleibe bei uns! Das soll auch mein Geburtstagswunsch für Dich sein, daß der Herr Jesus immer bei Dir sei und Du immer bei Ihm bleiben möchtest. „Ich laß dich nicht, du mußt mein Jesus bleiben.“

Deine Therese.


An die Einsegnungsreihe vom 25. Juli 1909.
Neuendettelsau, 12. August 1916

 Meine lieben Schwestern, wie gerne möchte ich Euch einen Gedanken in die Seele legen, der Euch von Nutzen sein könnte! Was soll ich sagen, liebe Schwestern, da ein gar zu nüchterner Geist, ein aus der Diesseitigkeit geborener, in die Alltäglichkeit sich verlierender Geist auch an die Pforten der Diakonissenhäuser herantritt? Ich möchte Euch und mich mahnen, die großen Gedanken, die unserem Hause eingestiftet sind, ja daß ich es besser sage, denen Ihr allenthalben im Worte Gottes begegnet, festzuhalten und das Leben beherrschen zu lassen. Ich möchte uns zurufen: Laßt die erste Liebe nicht! Laßt uns vor einem begeisterungslosen Leben fliehen! Wir sind zu großen und hohen Zielen berufen. Wir können uns nicht genug wundern, daß wir armen, verlorenen Sünder voll Elend und Niedrigkeit gewürdigt sind, in Gottes Gemeinschaft zu leben. O wer kann das fassen! Betet fleißig – wenn es sein kann, auch laut, wenn es möglich ist, auch im Freien in einsamer Stille – die Auslegung des 2. Artikels. Da ist alles enthalten, was uns demütigt und was uns erhebt.

 Gott behüte Euch alle, Er erhalte eine jede von Euch in der seligen Gottesgemeinschaft und auch in der Gemeinschaft, der Ihr am 25. Juli 1909 eingegliedert worden seid!

Eure Therese.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen.
Neuendettelsau, 18. November 1916

 Meine liebe Schwester Elisabeth, nun möchte ich mich noch einmal über das aussprechen, was uns beiden mehr als die vielen äußeren Dinge am Herzen liegt.

 Wir haben doch beide das gleiche Verlangen, es möchte die vielleicht noch kurze übrige Zeit von uns doch recht ausgenützt werden.

 Zweierlei liegt mir da im Sinn: ich möchte mehr noch in Gottes Wort lesen und möchte, daß das Gelesene umgestaltend auf mich wirkte. Wir müssen trachten, das Wort noch mehr unmittelbar ins Leben umzustellen. Ich habe z. B. heute morgen gelesen: „Daß ihr prüfen möget, was das Beste sei.“ Es fiel mir dabei ein, daß ich das doch auf die vielen Stellenbesetzungen und die damit verbundene Verantwortung beziehen soll. Wir sollen prüfen, und Gott wolle uns seinen Willen zeigen.

 Dann liegt uns beiden so das Verlangen im Herzen, es möchte doch zu einer größeren Einheitlichkeit im Innenleben kommen. Ich möchte, daß meine Seele direkter, ausschließlicher, geradliniger auf Gott gerichtet wäre. „Nach Dir, Herr, verlanget mich.“ Es werden uns ja wohl immer, solange wir im Fleisch leben, die zersplitternden und gottwidrigen Gedanken anhaften. Aber das widerstrebende soll nur „das Gesetz in den Gliedern“ sein. „Das Gesetz im Gemüte“, im Zentrum unseres Wesens, soll das Herrschende sein, das andere nur Versuchung, die wir in der Kraft Gottes zurückweisen.

 ...Herr Rektor wünscht nicht, daß so viel von einer Oberin an meiner Stelle geredet würde. Wenn die Zeit kommt, wird es schon klar werden. Vorderhand sagt er, ich solle noch zumachen.

Deine Therese.


An Schwester Marie Siebenbürger.
Neuendettelsau, Montag nach Lätare 1917
 Liebe Schwester Marie, ich sinne jetzt oft über das Thema, das vielbesprochene, von den „großen Mutterhäusern“ nach.| Es ist eben nicht mehr möglich, allem so nachzugehen, wie man sollte. Auch wenn jüngere Kräfte an der Spitze

stehen, wird man doch nicht um die Frage herumkommen: Wie ist den großen Mutterhäusern zu helfen? Ihr werdet da auch noch in vieles hinein müssen, wenn ich längst nicht mehr „mittun“ kann. Gott aber weiß alles.

 Allen recht schönen Gruß.

Deine Therese.


An Schwester Frieda von Soden, die mit ihrer Schwester Emma zu den von der Schwesternschaft fürs Feierabendhaus II gestifteten Abendmahlsgefäßen die Edelsteine nach Offenb. 21 gegeben hatte.
Neuendettelsau, Gründonnerstag 1917

 Meine liebe Schwester, das war gestern ein wunderschöner Tag. Ich habe wirklich gemeint, man würde an den 4. April nicht extra denken[5]. Und nun habt Ihr Lieben schon lang daran gedacht, und Gold und Edelsteine grüßten mich an diesem Tag wie aus dem himmlischen Jerusalem. Und die lieben Sodenschwestern haben ihre Hand zu dieser Verbindung zwischen Himmel und Erde geboten. O ich danke Dir und danke allen Schwestern und danke Herrn Rektor! Es war wirklich gestern ein schöner Tag voll Licht und Harmonie. „Ich kann es nur Erbarmung nennen, so ist mein ganzes Herz gesagt.“

 Gott segne Euch an Karfreitag und Ostern!

Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
München, 17. April 1917

 Meine liebe Frieda, Du weißt, daß ich hieher geeilt bin auf die schmerzliche Nachricht hin über unsern lieben Herrn Präsidenten. Aber ich bin noch nicht bei ihm gewesen. Er ist sehr schwer krank. Ach, wie wunderbar sind Gottes Wege!

 Ich bin immer so voll Dank, daß Du einen so schönen Gedanken in die Erscheinung treten lassen konntest: das heilige Sakrament – das himmlische Jerusalem:

 Ich grüße jede einzelne Schwester. Der heilige Geist tue an einer jeden, was ihr not ist.

Deine Therese.


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An Schwester Elisabeth von Oldershausen zum 70. Geburtstag.
Neuendettelsau, 1. Mai 1917

 Meine geliebte Schwester, was soll ich Dir wünschen zu diesem besonderen Tag? Du weißt ja, daß ich Dir alle Tage das Beste wünsche. Aber was soll ich aussprechen an diesem besonderen Tage? Es müßte Dir geschenkt werden, daß Dein innerstes Verlangen auf Jesum gerichtet ist, daß Du eine Scheu und Furcht hast, Ihn zu betrüben, daß alle irdischen Sorgen und Angelegenheiten in heiliger, gottgewollter Unterordnung stehen unter der einen großen Hauptsache, Seinen Willen zu tun und im Gehorsam Seinen Fußstapfen nachzufolgen.

 Der schreckliche Krieg! So seufzen wir. Aber ich habe es schon im Schwesternkreis angeregt, zu sinnen, was der Krieg schon für Segnungen gebracht und wie er noch mehr bringen soll und kann. Ich möchte Dir die Schrift von Zöllner schenken. Vielleicht kann manches im Kapitel verwertet werden und zum Nachdenken und zur Aussprache anregen.

 Als ich von der Jubiläumsfeier in Bruckberg zurückkam, war eine Karte von Selma Trautwein da, die von einer Besserung bei Herrn Präsident sagte, wir wollen weiter hoffen und im Gebet nicht laß werden. Gottes Wille soll geschehen. Ich habe einmal eine große Freude gehabt, als ich das Wort fand: „Er hilft den Elenden herrlich.“ Ach, wenn man siebzig Jahre alt ist, hat man viel erlebt von Gottes Wunderhilfe. Wir sollen immer Größeres und Herrlicheres von Ihm erwarten. Nur daß wir in der Buße stehen und im Wachen erfunden werden.

 Gott segne Dir den Tag und alle noch hinterstelligen Deines Lebens.

Deine alte Freundin Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, Pfingstwoche 1917

 Meine liebe Frieda, der Tröster, der heilige Geist, suche Dich pfingstlich heim!

 Nun sind die heiligen Gefäße geweiht – am Sonntag Exaudi.

|  Hab ich Euch schon geschrieben, daß Ihr den Schluß der Evangelienpredigt an Exaudi von Bezzel lesen sollt? Wie ist das so gar merkwürdig: Ach, was erleben wir zusammen! Das Ende von allem Erleben wird aber Lob und Preis und Dank sein. Für den geliebten Kranken können wir nur noch um eine selige, heilige, wenn es sein kann, fröhliche Sterbestunde beten.
Deine Therese.


An Schwester Babette Dietrich.
Neuendettelsau, 24. Juli 1917

 Meine liebe, liebe Schwester Babette, Du weißt, daß ich Dein gedenke, heut sonderlich. Gott vergelte Dir all Deine Treue. Du bist mir ein Herzenstrost. Pfleg Du noch viele Schwestern gesund, und der Heiland schenke Dir und mir eine selige Heimfahrt und lasse uns Ihn schauen und unsere Väter sehen, und mit ihnen und allen Vorangegangenen wolle Er uns ewig froh sein lassen, wenn ausgelitten und ausgestritten ist...

Deine dankbare Freundin Therese.


An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 29. Aug. 1917

 Meine liebe Schwester, am 22. waren wir, viele Verwandte, ein letztes Mal in der Wohnung meiner Schwester Berta zusammen und haben ihr dann ein letztes Geleite gegeben...

 Meinst Du nicht, daß wir beten dürfen, der Herr wolle uns einen kleinen Blick gönnen in die Unermeßlichkeit Seiner Liebe?

 Wir sind so arg in Nöten. So heißt es seit Jahrzehnten!!

Deine Therese.


An Schwester Regine Meisinger.
Neuendettelsau, Samstag vor Palmarum 1918

 Meine liebe Schwester Regine, es ist stiller Samstag. Heut hat Bruder Karl Lang sich verabschiedet, er muß an die Front, sieht sehr kümmerlich aus. Wie hart, wie hart ist der Krieg! Und dabei sproßt es im Garten und in den Anlagen. Und die Schneeglöckchen blühen, und die Krokusblüten wissen ihre Zeit, welch ein Leben: Und draußen bringen sich die Menschen um...

Deine gute Freundin Therese.


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An Schwester Frieda von Soden.
Neuendettelsau, 28. Aug. 1918

 Liebe Schwester Frieda, gestern abend war Abschiedsfeier für Herrn Rektor im Schulhaus. Schwester Auguste Hensolt hat ein schönes Gedicht gemacht; Reden und Gesänge verschönten den wehmütigen Abend. Vorgestern hielt Herr Rektor die letzte Schwesternstunde. Er sagte zum Anfang: „Nicht willkürlich bin ich zu dem Entschluß des Rücktritts gedrängt. Der Weg ist mir sehr deutlich von Gott gewiesen worden.“ Dann sprach er ausführlich vom Geist Neuendettelsaus, vom gegenwärtigen Stand Neuendettelsaus und von seinen Aufgaben in der Zukunft.

Ich bin alt und müde. Deine Therese.



  1. Das südöstliche Eckzimmer im Erdgeschoß des Mutterhauses.
  2. Am 31. Januar 1892 hielt Herr Rektor Bezzel die erste Einsegnung, Predigttext war Jes. 33, 17a.
  3. [206] Das Charisma der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Barmherzigkeit.
  4. Die deutschen Fürsten versammelten sich dort anläßlich des 25jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms  II.
  5. 60. Einsegnungstag von Frau Oberin.


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Auf daß sie alle eins seien
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