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Frau Oberin Stählin bei einer Zusammenkunft der Schwestern am Pfingstmontag abend 1913 nach dem Heimgang von Schwester Amalie von Stein.

 Die, welche die letzte Zeit mit uns erlebt haben, werden es gemerkt haben, daß Gott ganz besonders mit uns geredet hat, und wir sollen das herzliche Verlangen haben, zu verstehen, was Er meint. Laßt uns doch darauf achten, wie oft der Herr in Seinem Wort sagt: „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“

 Wir, die wir Schwester Amalie von Stein näher gestanden sind, wissen, daß ihr Heimgang ein Riß ist, den wir in unseren Herzen spüren. Es kommen mir so mancherlei Gedanken, die ich so gerne auch in andere Herzen hineinlegen möchte. Es ist nicht die Arbeit dasjenige, was Zeugnis gibt von einem Diakonissenleben. Manch eine hat Größeres und Ausgiebigeres geleistet in ihrem Diakonissenleben als unsere selige Schwester Amalie. Aber was der Herr an einer Diakonissenseele erreichen will, das ist doch, meine ich, dies, daß man sein Herz Ihm ergibt und Ihn machen läßt mit uns, was und wie Er’s will. Unsere Schwester Amalie hat auch viel Not und Kampf im Leben gehabt, und nun hat der Herr sie in Eile weggenommen. Wir haben seit Jahren Zeugen sein dürfen dessen, was der Geist Gottes an einer Menschenseele ausrichten kann, wenn sie ihren Willen Ihm ergibt. Ich sage: nicht so sehr die viele äußere Arbeit macht eine Dienerin Jesu zu dem, was sie sein soll, – das können andere vielleicht noch in großartigerer Weise. Aber die tiefinnerliche Barmherzigkeit, die tief in der Seele wohnende Gütigkeit, die wohltun möchte und wohltut, wo sie nur kann, das macht eine Diakonisse. Wie wohl ist uns immer bei ihr gewesen! Und wie hat sie für alles Verständnis gehabt! Die Lebhaftigkeit des Interesses für uns, für unser Haus und Werk, für ihre Familie und für einen weiten Kreis von Menschen war immer da. Das ist der Riß, der geschehen ist, denn man findet nicht überall Verständnis. Es ist bei ihr ein Echo gewesen für das, was einen in der tiefsten Seele bewegt hat. Wir denken, der Geist Gottes hat sonderlich in den letzten Jahren ohne Widerstreben an ihr arbeiten können, und das haben wir gespürt, und es ist eine Gnade von Gott, daß es das auch unter uns gibt.

Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Auf daß sie alle eins seien. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1958, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Auf_da%C3%9F_sie_alle_eins_seien.pdf/209&oldid=- (Version vom 24.10.2016)