Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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bukolischer Dichter aus Syrakus 280 v. Chr.
Band V A,2 (1934) S. 20012025
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Theokritos. 1) T. von Syrakus, der bukolische Dichter.

Inhalt: A. Wichtigste Literatur. B. Leben. C. Werke. D. Pseudepigrapha. E. Überlieferungsgeschichte. F. Metrik. G. Sprache. H. Gesamtcharakteristik der Kunst des T.

A. Wichtigste Literatur.

Über T. im Rahmen der bukolischen Dichtung vgl. Knaak o. Bd. III S. 998–1012, dort auch die vor 1899 erschienene Literatur. An unentbehrlichen Hilfsmitteln ist seither hinzugekommen:

1. Ausgaben a) Text: Bucolici Graeci ed. v. Wilamowitz2 Oxonii 19.., Two Theocritus Papyri edited by Arthur S. Hunt and J. Johnson, Lond. 1930 (Egypt Exploration Soc.). The greek Bucolic poets with an engl. translation by S. M. Edmonds, New York 1913, dazu textkritische Ergänzungen Class. Rev. XXV 37ff. 65ff. XXVI 241ff. XXVII 1ff. The Idylls of Theocritus, edited with introduction and notes by R. S. Cholmeley New Edition, London 1919 (abgeschlossen 1915); Bucoliques Grecs ed. Ph. E. Legrand 2 Bde, Paris 1925–27 mit Einl., franz. Übers. und kurzen Erläuterungen (vgl. Philol. Woch. 1928, 481ff.).
b) Scholien: Scholia in Theocritum vetera ed. C. Wendel 1914.
2. Zusammenfassende Behandlungen: Ph. E. Legrand Étude sur Théocrite, Paris 1898. v. Wilamowitz Die Textgeschichte der griech. Bukoliker (= Phil. Unters. XVIII), Berl. 1906. A. T. Murray The Bucolic Idylls of T. in Transactions and Proceedings of the Amer. Philol. Assoc. XXXVII (1906) 135–52. Augusto Rostagni Poeti alessandrini, Turin 1916, 1ff. August Oehler Der Kranz des Meleagros von Gadara, Berl. 1920 (Vorwort). Carl Wendel Überlieferung und Entstehung der T.-Scholien, Abh. Akad. Gött. N. F. XVII 2 (1921). Weiteres Christ-Schmid Gr. Lit. 6II 1, 196f. Sitzler Bursian CLXXVIII 109ff. (für 1905–1917). CXCI 64ff. (für 1917–1920).

B. Leben.

T. hat als seine Vaterstadt selber Syrakus angegeben XXVIII 17: πατρίς, ἃν ὡξ Ἐφύρας κτίσσε ποτ’ Ἀρχίας (vgl. XI 7: ὁ Κύκλωψ ὁ παρ’ ἁμῖν). Weitere Nachrichten, die wir anzuzweifeln keinen Grund haben, bieten die Scholien, wohl im Anschluß an eine Chronik nach Art der apollodorischen (Wendel Überlief. 106): die Namen der Eltern Πραξαγόρας und Φιλίνα nennen die Viten der Scholien und des Suidas, vor allem aber das zur Einführung der Sammlung des Theon bestimmte, wahrscheinlich unter einem Bilde des Dichters zu denkende (Immisch Herm. XLVI 484, 1. Bethe Rh. Mus. LXXI 415f.) Epigramm p. XVI Wil., das später in die Anthologia Palatina (IX 434) überging:

ἄλλος ὁ Χῖος· ἐγὼ δὲ Θεόκριτος ὃς τάδ' ἔγραγα

εἰς ἀπὸ τῶν πολλῶν εἰμὶ Συρηκοσίων,

υἱὸς Πραξαγόραο περικλειτῆς τε Φιλίνης·

μούσαν δ’ ὀθνείην οὔτιν’ ἐφελκυσάμην,

wo Χῖος von v. Wilamowitz Textg. 125f. auf Homer gedeutet ist, von anderen der homonyme Historiker T. von Chios verstanden wird (Lit. über die Frage bei Christ-Schmid6 II 185, 6). Daß der Vater Σίμιχος (Schol. VII 21 a), Σίμμιχος (Suid.) oder Σιμιχίδας (Schol. [2002] prol. A a. Schol. VII 21 C) geheißen hätte, ist aus eid. VII, wo T. sich selbst mit dem Decknamen Σιμιχίδας nennt, falsch erschlossen, ebenso Kos als Geburtsort. Die Erklärung des erweiterten Serv. Verg. ecl. 5, 55: nonnulli Stimichonem patrem Theocriti dicunt ist wohl nur aus dem Anklang der Namen gewonnen. Die Namen T., Praxagoras, Philina haben nichts spezifisch koisches, Praxagoras ist sogar nur einmal für Kos bezeugt (Paton-Hicks Insc. of Kos. S. 356). Die Angabe des verdorbenen Schol. VII 21 a über Herkunft der Familie aus Orchomenos ist nicht sicher verständlich und darf keinesfalls zu weitreichenden Kombinationen benutzt werden (Legrand Ét. 48). Die Akme des Dichters setzte man unter Ptolemaios Philadelphos (285–47) nach Schol. prol. A a b; arg. XVII a; arg. Syrinx b, in die 124. Olympiade (arg. IV c), also 284–80, was reichlich früh sein dürfte. Er soll Schüler des Philitas und Asklepiades von Samos (Schol. prol. A a, wohl erschlossen aus eid. VII 40; vgl. v. Wilamowitz Hellenist. Dicht. II 139. Oehler Kranz d. Mel. 25ff.) und Zeitgenosse des Aratos, Kallimachos und Nikandros (Schol. prol. A b) gewesen sein, was zu der Zeitangabe paßt.

Den nächsten festen Punkt der Biographie bietet die Hypothesis b der Thalysien (p. 76 W.): τὰ πράγματα διάκεινται ἐν Κῷ. ἐπιδημήσας γὰρ ὁ Θεόκριτος ἐν τῇ νήσῳ, καθ’ ὃν χρόνον εἰς Ἀλεξάνδρειαν πρὸς Πτολεμαῖον ἐπορεύετο, φίλος κατέστη Φρασιδάμῳ καὶ Ἀντιγένει Λυκωπέως υίοῖς. In welchen Jahren haben wir uns diesen Aufenthalt etwa vorzustellen? v. Wilamowitz hat Textg. 156 in Weiterführung der Untersuchungen Vahlens Ges. Phil. Schr. II 202ff. und Legrands Ét. 29ff. (weitere Literatur bei Christ-Schmidt6 II 189, 4) das an Hieron II. von Syrakus gerichtete XVI. Gedicht schlagend auf das J. 276/75 datiert, ein Ansatz, der auch von Herzog Philol. LXXIX (1924) 423 nicht erschüttert worden ist: wir besitzen keinerlei Sicherheit, daß T., dessen Kunst überall durchtränkt ist von sizilischen Erinnerungen, bis zu diesem Zeitpunkt seine Heimat und deren nähere Umgebung für längere Zeit verlassen habe und dann dorthin zurückgekehrt sei, wie es Eduard Schwartz will (Charakterköpfe aus der antiken Literatur, zweite Reihe 57). Denn ὁπόσοι γλαυκὰν ναίουσιν ὑπ’ ἠῶ in v. 5 des Hieron bedeutet nicht wie Christ-Schmid6 II 188 meint ,im Osten‘, sondern die ,jetzt Lebenden‘ (Vahlen 204; vgl. Hom. Il. V 267). In jedem Falle können die Χάριτες nur in der Heimat entstanden sein, wie Vahlen 224 gesehen hat, ähnlich v. Wilamowitz 159. Mit Recht lehnt auch Vahlen 223 ab, in den v. 104ff. persönliche Anspielungen zu suchen (vgl. Christ-Schmid6 II 186). Also: zur Zeit der Entstehung des XVI. Gedichtes 276/75 ist T. noch im Westen.

Die Entstehungszeit des Enkomions auf Ptolemaios Philadelphos (XVII) wird durch die Erwähnung der noch lebenden Schwestergattin (v. 130), der Arsinoe, und der Vergöttlichung der Eltern des Königs zunächst auf die Jahre 276 bis Juni 270 eingegrenzt (v. Wilamowitz Textg. 152, 1; Hellen. Lit. II 130. Cholmeley [2003] Idylls of T. 3), durch die politischen Anspielungen v. 77ff. in das Ende des ersten syrischen Krieges, also in die letzten siebziger Jahre verwiesen (Buecheler Rh. Mus. XXX 55ff., weitere Literatur: Christ-Schmid6 II 188, 6). Daß dieses Gedicht, wie wohl auch das Bruchstück der Berenike 89 Wil., in Alexandria entstanden ist, beweist die reiche Durchsetzung mit Anspielungen auf dortige Bräuche und Kulte (v. Wilamowitz Textg. 152). Nun wird aber auch (v. 58ff.) Kos als Geburtsinsel des Ptolemaios besonders gefeiert und in kaum verhüllter Anspielung zusammen mit den anderen Städten der dorischen Pentapolis der Gnade des Königs besonders empfohlen. Mithin dürfte das zitierte Scholion recht haben: wir können einen Aufenthalt des T. in Kos zwischen Charites und Ptolemaios, d. h. etwa zwischen 275 und 271 für sicher beglaubigt ansehen, vorher war er in Syrakus, nachher in Ägypten (vgl. auch Legrand Bucol. Grecs I p. VIIff.).

In den so gewonnenen Rahmen lassen sich noch einige weitere Züge einfügen. Das XV. Gedicht, in dem zwei die Adonisfeier der Königinschwester (v. 24. 110) Arsinoe besuchende Syrakusanerinnen im Anschluß an die θάμεναι τὰ Ἴσθμια des Sophron (S. 155 Kaib., S. 181 Olivieri) geschildert sind, würde sich durch den Kontrast von alexandrinischem Leben und dorischem Mimosgebaren auch dann in die gleiche Zeit wie das Enkomion auf Ptolemaios datieren – Ptolemaios Soter und Berenike sind schon vergöttlicht (v. 47 und 106ff.) –, wenn die Hypothesis nicht ausdrücklich angäbe, T. habe es verfaßt ἐπιδημήσας ἐν Ἀλεξανδρείᾳ χαριζόμενος τῇ βασιλίδι. Die metrischen Beobachtungen Legrands Ét. 341 scheinen den Ansatz zu bestätigen. Vgl. P. Maas in Gercke-Norden Einl. i. d. Altertumswiss. I 7, 34. Das eid. XIV (Κυνίσκας ἔρως) beschließende Lob des Ptolemaios dürfte den – abgeschlossenen – ägyptischen Aufenthalt des Dichters zur Voraussetzung haben: Die Szene ist jedenfalls irgendwo im griechischen Gebiete zu denken, wenn auch schwerlich in Sizilien, wie manche mit den Scholien (arg. C) meinen, sondern eher in Rhodos (v. Wilamowitz Textg. 255. Legrand Ét. 40 Ausg. I 107. Über die Schwierigkeit bei solchen Lokalisierungen s. Gow Class. Quarterly XXIV 146ff.). Darf man aus der Nichterwähnung der Arsinoe schließen, daß sie bereits gestorben war? Weiter eid. VII, die Thalysia. Wir dürfen der Hypothesis ruhig glauben, daß T. den vornehmen Rhodiern während seines Aufenthaltes – ca. 275–73 – bekannt wurde: rückschauend – ἧw χρόνος ἁνίκ' ἐγώ (v. 1), vgl. v. Wilamowitz Hellen. Lit. II 142 – spiegelt er die damaligen Zustände, nicht ohne noch sehr gegenwärtige persönliche Verhältnisse zu berühren (v. Wilamowitz a. O.). Wenn, wie ich mit v. Wilamowitz glaube, v. 93 eine Anspielung auf Ptolemaios enthält (Legrand Ét. 42–XVII 13ff. legt die Annahme sehr nahe), so fällt das Gedicht sicher in die nachägyptische Zeit. In v. 45ff.:

ὥς μοι καὶ τέκτων μέγ’ ἀπέχθεναὶ ὅστις ἐρευνῇ |
ἴσον ὄρεος κορυφᾷ τελέσαι δόμον Ὠρομέδοντος |
καὶ Μοισᾶν ὄρνιχες ὅσοι ποτὶ Χῖον ἀοιδόν |
ἀντία κοκκύζοντες ἐτώσια μοχθίζοντε

hat man von jeher mit [2004] Recht Parteinahme für Kallimachos gegen Apollonios Rhodios in dem Streite um Epyllion oder Epos gesehen: die Argonautica werden demnach schon bekannt gewesen sein. Da weder die Decknamen des Gedichtes bis auf Simichidas = T. und Sikelidas = Asklepiades von Samos (v. 40) sicher auflösbar noch die unverstellten Namen mit historischen Personen bestimmt identifizierbar sind – wenn nicht der Aratos von v. 98ff. doch der Dichter der Phainomena ist, s. A. T. Murray The bucol. Id. 146ff. –, ist eine exakte chronologische Fixierung unmöglich, das Gedicht mit Cholmeley 12ff. in die Jugend des T. zu setzen und daraus weitreichende Schlüsse ziehen zu wollen, ist abwegig, weil man dazu die weniger überlieferten Angaben und die Aussagen des Dichters vergewaltigen muß. Die in dem Gedichte vorkommenden koischen Örtlichkeiten haben sich großenteils identifizieren lassen (Paton-Hicks Inscr. of Cos S. 213). Die Selbstbezeichnung Σεμιχίδας kehrt wieder in der Syrinx: sie wird also in die gleiche Zeit gehören. Da T. diesen Decknamen dort v. 12 noch ,verdeutlicht‘, mag sie etwas früher geschrieben sein als die Thalysien.

Ebenfalls auf Kos spielt das im Tone den Thalysien sehr ähnliche eid. I, der Thyrsis, wie v. Wilamowitz Textg. 37 durch Wiedereinsetzung der richtigen Lesart Καλυδνίῳ (v. 57) bewiesen hat. Daß es in der gleichen Zeit wie eid. VII entstanden ist, würde man auch dann annehmen, wenn man nicht den musischen Wettkampf des Thyrsis – ὅδ’ ὡξ Αἴτνας, was wohl nur in der Fremde gesagt sein kann: Legrand Ét. 67 – mit dem Libyer Chromis, der v. 24 erwähnt wird, auf Wetteifern des T. mit Kallimachos deuten dürfte (vgl. Reitzenstein Epigramm und Skolion 238ff.), was wiederum den alexandrinischen Aufenthalt zur Voraussetzung hat (v. Wilamowitz Textg. 162).

Das VI. Gedicht, welches die Liebe des Polyphem zur Galateia schildert, wird durch die Widmung an den VII 98 als ὁ τὰ πάντα φιλαίτατος bezeichneten Aratos gleichfalls in Zusammenhang mit dem koischen Freundeskreise gebracht, v. Wilamowitz Textg. 162 meint, es müsse später als eid. I abgefaßt sein: ,Da in ihm Daphnis eine konventionelle Figur ist, muß das erste Gedicht früher fallen, das den Erfinder des Hirtenliedes in unübertrefflicher Weise entführt.‘ Das ist möglich, aber nicht sicher, weil Daphnis längst ,eine volkstümliche Figur‘ war (Textg. 235).

Durch eine Widmung wird der Κῶμος (eid. III) ebenfalls an den koischen Kreis geschlossen, da der Deckname Tityros, der uns aus den Thalysien v. 72 bekannt ist, hier v. 3 als Τίτυρ' ἐμὲν τὸ καλὸν πεφιλημένε wiederkehrt (v. Wilamowitz Hellen. Dicht. II 139; Textg. 165. Herm. XXXIV 615).

Die Idyllen IV und V spielen beide in Unteritalien: Gleichheit von Szene und Stil lassen dieselbe Entstehungszeit vermuten (v. Wilamowitz Textg. 166). Trotz ihrer Lokalisierung sind sie im Osten, vermutlich in Kos, entstanden. Im IV., bei Kroton spielenden Gedichte werden v. 31 Lieder einer Glauke erwähnt, wozu das Schol. 31 a: ἡ Γλαύκη Χία τὸ γένος, κρουματοποιός. b: γέγονε δ' ἐπὶ Πτολεμαίου τοῦ Φιλαδέλφου [2005] (das folgende ist verdorben). Der im gleichen Vers genannte Πύρρος wird vom Scholion als Ἐρυθραῖος ἢ Λέσβιος μελῶν ποιητής bezeichnet, ersteres nach Lynkeus (Schol. 31 c): beide Anspielungen weisen nach dem Osten, in die Weltstadt Alexandreia. Die Szene des V. Gedichtes ist nach Thurioi-Sybaris gelegt, aber – wie v. Wilamowitz Textg. 167 mit Recht bemerkt – die Erwähnung der dorischen Karneen (v. 83), die in Thurioi nicht statthaben konnten, nebst verslichen Übereinstimmungen mit dem Thyrsis weist auf Entstehung des Gedichtes in Kos, was vielleicht durch die Nennung des Praxiteles (v. 105), dessen Söhne in Kos wirkten, bestätigt wird (vgl. Herodas IV 23. Legrand Ausg. I 45). Da IV und V gleichzeitig zu sein scheinen, werden wir sie uns beide also in Kos entstanden denken dürfen.

Im Osten gedichtet ist ohne Zweifel eid. X: τῶ θείω Λιτυέρσα (v. 41) Σύραν (26) und der in Kos vorkommende Name Πολυβώτας (v. 16) (Cholmeley The id. of T. 258) können als Beweis dafür gelten. Für den zeitlichen Ansatz fehlen direkte Indizien.

Nicht minder sicher ist es, daß die Pharmakeutriai (eid. II) östliches Kolorit tragen, wenn sie auch im ganzen und einzelnen (vgl. die Hypothesis) manches Sophron verdanken und sizilische Erinnerungen nachklingen (v. 133) wie in III, IV, die unteritalischen. Auf die Nähe Asiens weist der Ἀσσύριος ξένος (v. 162), nach Kos ὁ Μύνδιος v. 29. 96 (v. Wilamowitz Textg. 163), auch der Schwur ναὶ Μοίρας (v. 160), der bei den koischen Weibern des Herodas wiederkehrt (Legrand Ausg. I 94). Andererseits paßt der Name Timagetos (97) eher nach Rhodos, der Artemiskult ist nichts spezifisch koisches (v. Wilamowitz Textg. 163) und wenn die Löwin in der πομπή (v. 68) als Realität zu nehmen ist, wird man lieber an eine große Stadt wie Rhodos denken. Daß man auf die Nennung eines Läufers Philinos (v. 115) keine chronologischen Schlüsse bauen darf, hat Cholmeley The Id. of T. 389ff. gegen v. Wilamowitz (Arat. 184) ausführlich dargetan. Wenn A. Körte Hellenist. Dicht. 257 sagt: ,das Gedicht spielt, wie einzelne Züge sicher erkennen lassen, auf der Insel Kos‘, so hat das nur mit der obigen Einschränkung Gültigkeit.

Von einer bestimmten gleich zu besprechenden Gruppe und den Epigrammen abgesehen, fehlen noch die beiden Kleinepen Herakliskos (XXIV) und der Hymnos auf die Dioskuren (XXII): zeitliche Anhaltspunkte haben wir keine. Glaubt man, daß T. in dem Streit zwischen Kallimachos und Apollonios Rhodios sich auf des ersteren Seite geschlagen hat, wie man den Thalysien entnehmen kann, so wird man diese beiden Gedichte gerne in jene Zeit der Berührung mit dem Verteidiger des Kleinepos setzen, also am besten in die ägyptische Zeit oder bald nachher. Zu diesem Ansatze paßt es gut, daß der Herakliskos sich metrisch am meisten Kallimachos nähert (Legrand Ét. 340).

Endlich die letzte Gruppe, von der eid. XI, XIII, XXVIII, ep. VIII durch die gemeinsamen Widmungen an Nikias zusammengehalten werden, eid. XII, XVIII, XXIX, XXX sich aus anderen [2006] Gründen anschließen lassen. Aus der Hypothesis zu eid. XI erfahren wir, Nikias sei Milesier von Abkunft und als Arzt συμφοιτητής des Erasistratos gewesen. Dieser war Schüler des Metrodoros, der des Aristoteles Tochter geheiratet hatte, und war selbst einer der berühmtesten Ärzte der koischen Schule. Es liegt also die Annahme am nächsten, T. sei mit Nikias ebenfalls in Kos bekannt geworden (Legrand Ét. 52). Vielleicht ist VII 115 darauf angespielt. Der Kyklops (XI), das rhythmisch und sprachlich am wenigsten durchgearbeitete Gedicht der Sammlung (v. Wilamowitz Textg. 159. 255) ist wohl das früheste der Nikiasgedichte. Es dürfte vor eid. VI entstanden sein (Legrand Ausg. I 56): Da sich Kallimachos ep. 46 auf den Kyklops bezieht, dieses Epigramm aber in die Jugend des Dichters gehört, führt auch dies auf eine nicht zu späte Zeit (Legrand Ausg. I 73). Nichts spricht gegen die Entstehung des Kyklops in Kos. Mit Recht bemerkt Legrand Ét. 50, daß ὁ Κύκλωψ ὁ παρ' ἁμῖν (v. 7) im Auslande gesagt besser verständlich sei als in Syrakus. Nikias antwortet dem Freunde mit einem Gedichtchen, dessen Anfang die Hypothesis erhalten hat.

Das zweite Nikiasgedicht, der Hylas (eid. XIII) gilt der Knabenliebe, wie jenes der Frauenliebe, beidemale in mythologischer Einkleidung. Wir werden sie in zeitlicher Nähe voneinander entstanden denken, etwa im Beginn des ersten koischen Aufenthaltes. Mit Chariten und Ptolemaios hat der Hylas den in Distichen gegliederten Eingang gemeinsam. Nichts weist darauf hin, daß Nikias schon in seine Heimat zurückgekehrt wäre. Das ist anders geworden in der Ἠλακάτη (eid. XXVIII) und im VIII. Epigramme. Das letztere geht davon aus, daß Nikias in Milet als Arzt lebt, er hat dort dem Asklepios ein Bild geweiht und opfert ihm täglich. Wir werden ihn uns also schon längere Zeit am Orte tätig denken dürfen. Das XXVIII. an die Gattin des Nikias gerichtete Gedicht setzt die gleichen Lebensverhältnisse voraus: T. wird den Nikias in Milet (v. 3. 21) aufsuchen und dessen Gattin eine sizilische Spindel – mehr sagt v. 16 nicht aus, Legrand Ét. 50 – zum Geschenke machen.

Die ,Spindel‘ ist in aeolischem Dialekte und Versmaße abgefaßt: man wird kaum fehlgehen, wenn man die beiden aeolischen παιδικά eid. XXIX und XXX sowie die Reste eines weiteren aeolischen Gedichtes Ant. Pap. p. 59 der gleichen ,aeolisierenden‘ Epoche des Dichters zuschreibt und ihnen den ionischen Αἰτης (eid. XII) mit seinem Sappho nachgebildeten Anfange (v. Wilamowitz Textg. 179) ebenso beigesellt wie den dorischen Ἑλένης Ἐπιθαλάμιος (XVIII), für den Kaibel Herm. XXVII 249ff. Einwirkung sapphischer Lieder überzeugend nachgewiesen hat.

Im zweiten παιδικόν nennt sich der Dichter selbst schon ergraut (v. 12ff.). Wir hätten also wohl folgende Entwicklung anzunehmen: Auf die höfischen Enkomia und die Kleinepen im Sinne des Kallimachos folgt eine Zeit, wo T. unter dem Einflusse heimischer Vorbilder das bukolisch-mimische γένος besonders pflegt, während im Alter dieser Einfluß durch den der lesbischen Dichtung abgelöst wird. Die antiken Zeugnisse [2007] zum Leben T.s sind gesammelt bei Ahrens Bucolicorum Graecorum reliquiae II 1ff. Ein antikes, den T. darstellendes, Bildwerk hat sich nicht erhalten, über spätantike Nachklänge s. Studniczka Philol. Woch. 1924, 1276 mit weiterer Literatur.

C. Werke.

1. Χάριτες ἢ Ἱέρων (eid. XVI).

Nach dem Abzuge des Pyrrhos aus Sicilien wurde Hieron 276/75 zum Befehlshaber der Kontingente aller Staaten für den Krieg mit Karthago gewählt, ohne annoch König zu sein (Iustin.-Trog. XXIII 4, 1): Das ist die für die Charites vorauszusetzende Lage (Alexander Schenk Graf v. Stauffenberg Hieron II., Stuttgart 1933, passim). Nach zwei einleitenden, den Musen geltenden Distichen stellt T. die Frage: Wer bei der allgemeinen Geringachtung der Dichter seiner Kunst willig das Haus öffnen werde? (v. 5–21). Auch früherer Fürsten Reichtum, ja der Heroen Taten lebten nur durch die Sänger (v. 22–57). Er suche einen Helden, den er verherrlichen könne (v. 58–73). Das werde Hieron in dem eben mit Karthago entbrennenden Kriege sein. Möchten die Götter Sieg und Frieden geben (v. 74–97). Dann würden die Dichter, T. unter ihnen, Syrakus und Hieron preisen (v. 98–103). Ein aus dreimal zwei Versen bestehender Anruf der Chariten, der Göttinnen von Orchomenos, mit dem Dichter nicht ungeladen in ein Haus zu gehen, schließt das Werkchen. Es ist zu einseitig betont worden, daß sich T. mit diesem Gedicht um Gunst und ,Milte‘ eines Fürsten bemühe: was heut daran noch rührt, ist die Sorge, daß in einer ganz auf Erwerb gerichteten Zeit das Wort des Dichters nicht mehr den Helden finde, den es preisen könne, nicht mehr ein Ohr, das es willig vernehme (v. 68) –, zweifellos ein Zeugnis, daß wir ein Werk der Frühzeit vor uns haben, ehe T. im koischen Kreise Widerhall gefunden hatte. Literatur s. o. S. 2002.

2. Ἐγκώμιον εἰς Πτολεμαῖον (eid. XVII).

Der in 6 Distichen gegliederte Eingang nennt nach Anrufung der Musen die Schwierigkeit der Aufgabe (v. 1–12). Der Preis des Königshauses beginnt ἐκ πατέρων (v. Wilamowitz Textg. 142): Ptolemaios Lagu hat mit Alexander Sitz im Olymp neben dem Ahnherrn Herakles (v. 13–33), Berenike ist von Aphrodite in ihren Tempel aufgenommen (v. 34–52). Wie die Mütter der Heroen die Helden, so gebar sie den αἰχμητμὴς Πτολεμαῖος in Kos, die Insel begrüßte den Neugeborenen wie Delos den Apollon und der Adler des Zeus kündete ihm Macht (v. 53–76). Des gegenwärtigen Fürsten, des Ptolemaios Philadelphos, Untertanenschaft, seine Bedrohung der Grenzprovinzen des Seleukidenreiches (v. Wilamowitz Textg. 152), seine Seeherrschaft werden gepriesen (v. 77–94). In dem befriedeten Ägypten waltet Ptolemaios freigebig wie gegen jeden so auch gegen die Sänger (v. 96–120). Er allein unter allen, die lebten und leben, hat seinen Eltern göttliche Ehren erwiesen, mit ihm die Schwestergattin Arsinoe (v. 121–134). Eine dreizeilige Anrede an Ptolemaios bildet den Schluß. – Die Bedeutung des eleganten Stückes, dessen ,episches Dorisch abgetönt ist‘ (v. Wilamowitz Textgesch. 52) ist wesentlich kulturgeschichtlich. Für Ägyptisches hat er Hekataios [2008] v. Teos (oder Abdera) benutzt (v. Wilamowitz Textg. 152, 2), manches zeigt lebendige Anschauung, so v. 129, wo die für die bildliche Darstellung der Ehegatten in Ägypten typische Gebärde beschrieben ist (Zschietzschmann brieflich). Literatur s. o. S. 2002f. und Vahlen Opusc. acad. I 303ff.

3. Συρακόσιαι ἢ Ἀδωνιάζουσαι (eid. XV).

Der in Anlehnung an Sophron während des alexandrinischen Aufenthaltes (s. o. S. 2002) dorisch gedichtete Mimos – die von Herzog Philol. LXXIX 429 behauptete Anregung durch Herondas ist unwahrscheinlich, jedenfalls unbeweisbar – zeigt erst das kleinbürgerliche häusliche Milieu einer Syrakusanerin mit Kind, Magd und besuchender Freundin in Alexandreia (v. 1–43), dann beim Ausgang das großstädtische Straßengedränge und den Festprunk der Adonisfeier am Hofe der Königin Arsinoe (v. 44–99) und bringt weiter aus dem Munde einer Sängerin einen Hymnos auf Adonis und Aphrodite (v. 100–44), um zuletzt in die Sphäre des Anfangs zurückzulenken (v. 145–49). – Der mimische Teil hebt sich rhythmisch durch zwölfmalige Vernachlässigung der bukolischen Brücke hinter einsilbigem 4. biceps (z. B. 23: θασόμεναι τὸν Ἄδωνιν· ἀκούω | χρῆμα καλόν τι) scharf von dem Hymnos ab, wo nur v. 131 dagegen verstößt – eine Differenzierung des Stiles wie zwischen komischem und tragischem Trimeter (P. Maas). Literatur s. o. S. 2003. v. Wilamowitz Textg. 152.

4. Κυνίσκας ἔρως (eid. XIV).

In einen Rahmendialog (v. 1–11, 57–60) eingelegt ist die mimisch bewegte Erzählung einer Eifersuchtsszene beim Symposion (v. 13–56) – einem ἀνδρεῖος μῖμος des Sophron nachgebildet (Immisch Rh. Mus. LXXVI 337ff., falsch v. Wilamowitz bei Kaibel FCG zu Sophron 145. 171 und Textg. 161), während der Schluß in unauffälligem Übergang in einen Preis des Ptolemaios von echtem, gar nicht höfischem Tone ausklingt (v. 61–70). Literatur s. o. S. 2003 und Vahlen Opusc. acad. I 16ff. 289ff. Bignone Riv. di filol. e di istruz. class. LIV 198ff.

5. Θαλύσια (eid. VII).

Sommerliche Sättigung der Farben und reife Abgewogenheit der Teile wie des Ganzen, Gewißheit eigenen Könnens und selbstverständliche Huldigung für die Wegbereiter Asklepiades und Philitas, sichere Zeichnung der Grenzen des damals Möglichen gegenüber den von Homer auf Irrwege gelockten Mitlebenden weisen das Gedicht in die Reifezeit des theokritischen Dichtens. Mit zwei Begleitern, so erzählt er, war Simichidas (= T.) auf dem Wege zum Landgut vornehmer koischer Freunde, um dort die Thalysien zu begehen (über die Jahreszeit s. Gow Class. Quart. XXIV [1930] 148), als er den ,Lykidas‘ traf, hinter dem man wegen seines Namensanklanges wohl fälschlich Leonidas von Tarent gesucht hat. Simichidas forderte ihn zum bukolischen Wettgesang heraus, und Lykidas beginnt nach kurzer, die Ependichter ablehnender Zustimmung (v. 1–51). Sein Lied gleitet von einem Propemptikon für den nach Lesbos segelnden Geliebten (v. 52–62) über zu der Schilderung eines als Dank für dessen glückliche Fahrt zu feiernden ländlichen Symposions und zum Mythos von der Liebe des Daphnis [2009] zur Xenia, dann von der wunderbaren Rettung des Komatas durch die nährenden Bienen, die ,Tityros‘ – ein unbekannter, von T. auch eid. III. widmend angeredeter Freund – den Teilnehmern vortragen wird (v. 63–89). Die nur andeutende Behandlung der Daphnissage zeigt, daß sie allbekannt war; daß T. eine Dichtung des Stesichoros voraussetzt, hat v. Wilamowitz (Reden und Vortr.4 I 264f.) gezeigt. Für die Komatas-Sage zitieren die Scholien zu 79 b den Historiker Lykos von Rhegion, einen wohl älteren Zeitgenossen des T. Simichidas singt antwortend von des Aratos – vielleicht des Dichters s. o. S. 2004 – vergeblicher Werbung um den schönen Philinos (90–127), Lykidas geht ab, den Simichidas als Sieger beschenkend. Auf dem Landgute feiern dann die Freunde unter ländlichen Opfern die Thalysien. – Unsere Unkenntnis der persönlichen Verhältnisse nimmt uns so manches von dem Reize dieser Gesellschaftsdichtung, über die der bukolische Schleier dünner als sonstwo gebreitet ist; was aber unvergeßlich bleibt, ist die Glut der südlichen Sommerlandschaft, in der die verschlungenen Wege der dichterischen Gespräche mit fast platonischer Anmut geführt sind. Literatur s. o. S. 2003; v. Wilamowitz Herm. XXXIV 615ff.

6. Σύριγξ (p. 150 Wil.).

Spielerische, der Form sich anpassende Aufschrift einer dem Pan geweihten Syrinx in daktylischen Distichen, die von sechs bis zu zwei katalektischen Daktylen jedesmal um einen halben Daktylos kürzer werden. Beste Erklärung des schwierigen γρῖφος ist die Paraphrase bei v. Wilamowitz 151. 170 der Ausgabe. Literatur: Häberlin Carmina figurata (Diss. Gött. 1886) 10ff. 40ff. v. Wilamowitz Textg. 247f.

7. Θύρσις (eid. I).

Dieses Gedicht, dessen einschmeichelnder Melodik T. vorzüglich seinen Ruhm als bukolischer Dichter verdankt, und das deshalb in allen Hss. die erste Stelle einnimmt, ist ähnlich den Thalysien ein in Kos spielendes (s. o. S. 2004) Gesellschaftsgespräch, wenn auch die Hirtenmasken hier etwas mehr ländliche Wirklichkeit vorspiegeln als dort, wo die Illusion dauernd durchbrochen ist (Gow Class. Quarterly XXIV 151f.). Im ersten Teile (v. 1–63) verspricht ein namenloser αἰπόλος dem Thyrsis eine Ziege mit zwei Lämmern und eine in langer Ekphrasis (v. 27–56) beschriebene geschnitzte Holzschale, wenn er ihm so singen wolle wie bei seinem Siege über den Libyer Chromis (= Kallimachos, v. Wilamowitz Textg. 163). Daß die von T. beschriebene Schale sich durch erhaltene Stücke hellenistischer Metallarbeit illustrieren und gut rekonstruieren läßt, zeigt Gow Journ. hell. stud. XXXIII 207ff.; s. auch Könnecke Philol. N. F. XXVIII 283ff. Campbell Annals of archaeol. and anthropol. XVIII (1931) 19ff.; Class. Quart XXV 90ff. Die Umsetzung in Holzarbeit gehört zum Hirtengerät. Wenn T. ein existierendes Stück so ausführlich schilderte, mag dafür ein aktueller Anlaß vorgelegen haben: vielleicht war die Schale der Lieblingsbesitz eines der koischen Freunde. Auf die Beschreibung folgt (v. 64–142) der nach Volksliedart durch allmählich sich verschiebende Schaltverse in kurze Abschnitte gegliederte Gesang des Thyrsis [2010] vom Tode des Daphnis, des mythischen Archegeten der sizilischen Bukolik, von dem schon Stesichoros gesungen hatte (frg. 63 Bgk. s. o. nr. 5), von dem das Volk die Liebeslegende erzählte, die dem Timaios bekannt war (Ailian. var. hist. X 18. Parthen. 29. Diod. IV 84. v. Wilamowitz Textg. 234. Reitzenstein Epigramm und Skolion 197ff.) und von T. hier die für die Folge bestimmende Formung erhielt. Mit einem Abschluß des Rahmengespräches endet das Werkchen (v. 143–52). Literatur s. o. S. 2004. v. Wilamowitz Reden und Vorträge4 I 264ff.

8. Βουκολιασταί (eid. VI).

Zwei Hirten, ein wenig älter Damoitas, jugendlicher Daphnis, singen einen Sommermittag von Galateia und Polyphemus. In Umkehrung der von Philoxenos erfundenen (Hermesianax frg. 2, 71 D. Schol. VI arg. f; vgl. Kappelmacher Wien. Stud. XLVII [1929] 97f.) und durch die alexandrinischen Dichter berühmt gewordenen Situation (Rohde Gr. Rom.3 83) sucht Galateia den spröden, aber auf seine Schönheit stolzen Polyphemos sich zu gewinnen: καὶ ὁ μὲν Δάφνις μιμεῖταί τινα διαλεγόμενον πρὸς τὸν Κύκλωπα περὶ τῆς Γαλατείας, ὁ δὲ Δαμοίτας τὸν Κύκλωπα ὑποκρινόμενος ἀποκρίνεται οἷους ἃν Πολύφημος λόγους ἔφη πρὸς τοὺς ὑπ’ ἐκείνου εἰρημένους (arg. b). Daß in dem Gedichte sich Lebensbeziehungen spiegeln, zeigt sich nicht nur in der Widmung (v. 2) an den Aratos der Thalysien, sondern vor allem darin, wie deutlich dem Dichter Situation (v. 1–5. 42ff.) und Personen (v. 3. 5. 42) vor Augen stehen. Zweifellos ist auch im Polyphemos ein, wenn nicht mißliebiger, so doch gern belächelter Zeitgenosse zu suchen: καλὰ δὶ μοὶ ἁ μία κώρα ὡς παρ’ ἐμὶν κέκριται. Man könnte an Apollonius Rhodios und seine Argonautica denken und bei Galateia an dessen vermeintliche Geliebte: die Poesie. Das Eidyllion ist später als der Kyklops, da es die Heilung der Liebe des Polyphemos durch den Gesang voraussetzt (v. 8f.). Literatur s. o. S. 2004.

9. Κῶμος (eid. III).

Gleich den Thalysien ist der Komos in erster Person gehalten und der in jenem Gedichte (v. 72) genannte Tityros soll hier des Sängers Ziegen weiden, während er selbst zu der Geliebten geht, mit dem Liede ihre Gunst zu suchen, das dem fünfzeiligen Eingange folgt und in anmutigen Variationen das liebende und drohende Werben des Verschmähten um die spröde Amaryllis zeichnet. Wenn Tityros – Τίτυρ' ἐμὶν τὸ καλὸν πεφιλημένε – ermahnt wird: καὶ τὸν ἐνόρχαν, τὸν Λιβυκὸν κνάκωνα, φυλάσσεο μή τε κορύψῃ – ob wir uns sehr irren, wenn wir darin eine launige Warnung vor dem leichtentzündlichen Kyrenäer Kallimachos sehen? (Kall. ep. 41ff. Wil.). Literatur s. o. S. 2004.

10. Νομεῖς (eid. IV).

Mimischer Dialog zweier Hirten Battos und Korydon in der Gegend von Kroton. Aigon, der Bukolos, ist mit Milon als Faustkämpfer nach Olympia gezogen; seine Herde übergab er Korydon und hinterließ ihm seine Syrinx (v. 1–28). Korydon gibt (v. 29–37) eine Probe seiner Kunst – denn er kennt Lieder der damals offenbar allbekannten Glauke und des Dithyrambikers (Schol. IV 31 d) Pyrrhos (v. Wilamowitz Textg. 166). Merkwürdigerweise hat man die Parodie nicht bemerkt. T. setzt, genau [2011] wie es Aristophanes zu tun pflegt, einen echten – oder halb echten – Anfang auf seine Weise fort. Die Interpunktion verdeutlicht es sofort (v. 32):

αἰνέω τὰν τε Κρότωνα· καλὰ πόλις, ἅ τε Ζάκυνθος
καὶ τὸ ποταῷον τὸ Λακίνιον–ἇπερ ὁ πύκτας
Αἴγων ὀγδώκοντα μόνος κατεδαίσατο μάζας.

Battos antwortet, zweifellos gleichfalls parodierend, mit einer Nänie auf den Tod der Amaryllis (v. 38–40), Korydon tröstet ihn, das Gespräch wendet sich wieder der Herde zu und mit einer herzhaften Obszönität schließt das Gedicht. – Hat man die parodistische Absicht der Einlage einmal erfaßt, so wird man nicht mehr die Frage stellen, ob Battos und Korydon ,echte Hirten‘ sind – oder fragt man, ob die Acharner ,echte Kohlenbrenner‘ seien? Die Parodie liegt über die Verdrehung des Wortlautes hinaus in der Situation, in der die Verse erklingen. Damit wird aber das ganze Rahmengespräch über den olympischen Ehrgeiz des Aigon höchst eigentümlich – hat man doch auch in dem schönen Philinos der Thalysien, dem Geliebten des Aratos, vielleicht mit Recht einen berühmten koischen Olympioniken sehen wollen. Mehr vielleicht als sonst sind hier persönliches, weltmännisches, literarisches so mit dem Bukolischen übersponnen, daß man gerade dieses Gedicht zu den mere rustica zu rechnen pflegt. Literatur s. o. S. 2004. Edmonds Class. Rev. XXV 243.

11. Αἰπολικὸν καὶ ποιμενικόν (eid. V).

Zwei Hirten, der Thurier Komatas und der Sybarit Lakon werfen einander in raschem, mimischem Wechselgespräch allerhand Schändlichkeiten vor, bis sie einen Schiedsrichter herbeirufen, der entscheiden soll, ὅστις ἀρείων βουκολιαστάς ἐστι (v. 67). Es folgt aber nicht, wie sonst, ein Wettgesang, sondern in langer Distichomythie (v. 80–137) sucht immer einer den anderen zu übertrumpfen, bis Morson, der Kampfrichter, plötzlich den einen zum Sieger erklärt, ohne daß wir erfahren, warum, und seinen Opferanteil verlangt. Komatas schließt triumphierend. – Von allen Gedichten des T. verläuft dieses am reinsten in der Hirtensphäre, und doch wird auch hier die Illusion, wie oft bemerkt worden ist, durchbrochen. Komatas besitzt einen Krater von der Hand des Praxiteles (v. 104, vgl. die Schale im Thyrsis). Was aber nicht beachtet ist – das ganze Streitgespräch ist die Parodie eines alten volkstümlichen (v. Wilamowitz Die Ilias und Homer 401ff.), später literarischen Typus, von dem noch das Certamen Hesiodi et Homeri übrig geblieben ist – allbekannt aus dem Agon der Komödie, der mit wenig Umformung dorther übernommen ist. Man vergleiche etwa, wie sich Kleon und der Wursthändler dem Demos in den Rittern zu empfehlen suchen, oder den Dikaios und Adikos Logos in den Wolken, Aischylos und Euripides in den Fröschen (dies auch in der Technik – Fortsetzung der Verse – ganz zum Certamen stimmend) und verbinde damit das Certamen, so hat man die Art des Vorbildes, welches T. hier komisch in das Bukolische verschiebt, wenn wir auch das Urbild selbst nicht mehr nachweisen können. So verstanden schließt sich das Gedicht auch als Genos dem vorigen an, mit dem es das szenische Lokal gemeinsam hat Literatur s. o. S. 2004. [2012]

12. Ἐργατῖναι ἢ Θερισταί (eid. X).

Boukaios und Milon, zwei Schnitter, sind bei der Ernte. Boukaios, von seinem Gefährten wegen Trägheit getadelt, gesteht seine Verliebtheit in die Flötenspielerin Polybota (v. 1–23) und singt zur gemeinsamen Arbeit in sieben Distichen (v. Wilamowitz Textg. 143f.) ihren Preis (v. 24–37). Milon antwortete mit einem gleichlangen Schnitterliede ,des göttlichen Lityerses‘, wie es zur Erntearbeit passe (v. 42–58). Es ist kaum begreiflich, daß man in den beiden eingelegten Liedern die parodistische Absicht verkannt hat: im ersten die Verspottung zeitgenössischer Sentimentalität, im zweiten die gesuchte Rusticität der Hesiodnachfolger. Daß dieses leztere auf den Namen des phrygischen Unholdes Lityerses getauft ist (über den Mythos s. o. Bd. XIII S. 806), soll einmal ein hohes Alter vortäuschen (vgl. Apollodor im Schol. 42 c καθάπερ ἐν μὲν θρήνοις Ἰάλεμος, ἐν δὲ ὕμνοις Ἴουλος, ἀφ' ὧν καὶ τὰς ᾠδὰς αὐτὰς καλοῦσιν, οὕτω καὶ τῶν θεριστῶν ᾠδὴ Λιτυέρσας), vor allem aber den parodierten Dichter als roh und altmodisch brandmarken. Man könnte auf Sminthes raten, der ein Gedicht über den Landbau geschrieben haben soll, weil dessen Name auf Phrygien weisen dürfte. Aratos scheint ihn benutzt zu haben (vit. p. 324 Maass, vgl. Aratea [Phil. Unters. 12] 162). Wer das Dargelegte berücksichtigt, wird in v. 38f. – καλὰς ἄμμε ποῶν ἐλελάθει Βοῦκος ἀοιδάς. ὡς εὖ τὰν ἰδέαν τᾶς ἁρμονίας ἐμέτρησεν – sogleich einen ironischen Angriff heraushören und sich dies von 57f. gerne bestätigen lassen: τὶν δὲ τεὸν Βουκαῖε πρέπει λιμηρὸν ἔρωτα μυθίσδεν τᾷ ματρὶ κατ’ εὐνὰν ὀρθρευοίσᾳ; denn das heißt doch: nicht in der Dichtung, sondern im Bett bei der Mutter klage dein Leid. Wer der im ersten Liede Angegriffene ist, läßt sich nicht erraten. Literatur s. o. S. 2005.

13. Φαρμακεύτριαι (eid. II).

Die literarische Anregung zu diesem Stücke war des Sophron Mimos ταὶ γυναῖκες αἳ τὰν δεόν φαντι ἐξελᾶν (frg. 3–9 Kb.), in dem Weiber die durch das Geheul der Hunde (frg. 6) sich ankündigende (T. v. 12) Fürstin der Unteren (frg. 7), Hekate, durch Zauber vom Hause abzuwehren suchten. T. übernahm von ihm das Zaubermotiv im allgemeinen (frg. 4) sowie Figur und Namen der zerstreuten Magd Thestylis (frg. 5), gab aber etwas ganz anderes durch Verwandlung des Motives in einen Liebeszauber. Simaitha, von ihrem Liebhaber Delphis verlassen, sucht diesen zurückzugewinnen, indem sie ihn mit Hilfe ihrer Magd verzaubert. Nach kurzer Exposition und Anrufung von Selene und Hekate (v. 1–16) folgen in je vier Zeilen die einzelnen Zauberhandlungen (v. 17–63), immer unterbrochen durch den Schaltvers: ἴυγξ ἕλκε τὺ τῆνον ἐμὸν ποτὶ δῶμα τὸν ἄνδρα. (Über die ἴυγξ s. o. Bd. X S. 1385, Frazer zu Ovid Fasten Bd. II S. 449). Zuletzt wird die Magd fortgeschickt, die Schwelle des Ungetreuen zu salben. Allein gelassen erzählt Simaitha in Fünfzehnzeilern den Verlauf ihrer Passion, ein neuer Schaltvers erhellt die veränderte Lage: φράζεό μεν τὸν ἔρωθ' ὅθεν ἵκετο, πότνα Σελάνα (v. 64–135), doch schweigt dieser bei der Erzählung von ihrer Hingabe und seiner Untreue (v. 136–58). Nach einer Drohung gegen den Geliebten für den Fall, [2013] daß der Zauber wirkungslos bleibe, wird die gebannte Göttin entlassen (v. 159–66). – Es ist ein nie und nirgends aussterbender Glaube, daß die Gottheit durch magische Künste gezwungen werden könne, Wirkungen auszuüben, welche die eigene Kraft des Zauberers nicht erreichen kann, und der Gott weder dem Gebet noch dem Opfer gewährt. Die Gestalten der Kirke und der Medea verdeutlichen Alter und Macht dieser Sucht. Rache und Liebe sind die häufigsten Anlässe, wie die Fluchtafeln und Zauberpapyri allerorten bezeugen. Die erschreckende Vergegenwärtigung solcher Begegnung zeigt, daß T. in diesen dunklen Regionen des Volkes (und wohl nicht nur des niederen Volkes) heimisch war, mögen auch Sophron (und vielleicht Sophokles) den Anstoß zur literarischen Formung gegeben, mögen Zauberbücher ihm Einzelheiten geliefert, mag der Wunsch, des Apollonius Medea durch ein wirkliches Bild zu ersetzen, ihn mitbestimmt haben. Die Pharmakeutriai sind das einzige Gedicht des T., in dem ein Lebensvorgang gesehen und ohne die Umwege einer Kotteriesprache, ohne die Winke und Bezüge auf persönliche Verhältnisse und literarische Absichten zur Darstellung gebracht ist, wovon die Adoniazusen so wenig frei sind wie Kyniskas Eros oder die Theristai. Literatur s. o. S. 2005, für das Zauberritual besonders R. Wünsch Hess. Blätt. f. Volksk. VIII 111ff.

14. Ἡρακλίσκος (eid. XXIV).

Wie der zehn Monate alte Herakles die von Hera gesandten Schlangen erwürgt, während sein Bruder Iphikles furchtsam davonlaufen möchte (v. 1–33), das Erschrecken der Eltern (v. 34–63), die Weissagung des Teiresias von der künftigen Größe des Knaben (v. 64–102), seine Erziehung in Künsten und Waffenhandwerk (v. 103–33), seinen gewaltigen Hunger (v. 134–40), schließlich Apotheose und Vermählung mit Hebe (Antinoe Pap. S. 24) schildert das dorisch gefärbte Epyllion in stofflichem Anschlusse an Pind. Nem. I 33ff. und vielleicht an das sophokleische Satyrspiel Ἡρακλεΐσκος (v. Wilamowitz Textg. 238, s. o. Bd. III A S. 1059), durch sein anmutiges Spielen an den Hermeshymnos erinnernd, auch an den Anfang des Apollonhymnos denkt man, nur daß die Tönung bei T. familiär-behaglicher und zugleich humorvoller gewählt ist v. Wilamowitz hat Textg. 222 mit Recht den ps.-theokritischen Herakles (eid. XXV) aus der lebendigen Rezitationspraxis der hellenistischen Zeit erklärt und den Herakliskos dazu gestellt. Das hat durch das Schol. Ant. Pap. S. 55 seine Bestätigung erfahren. Gerne wüßte man die Gelegenheit, bei der T. aufgetreten ist. Vielleicht waren es die Charitesien von Orehomenos, deren musische Agone noch im 1. Jhdt. blühten (IG VII 3195ff.). Es wäre denkbar, daß die Schlußverse der Χάριτες (eid. XVI) erst für eine Rezitation in Orchomenos hinzugefügt sind (v. 103 gäbe einen guten Abschluß; vgl. Ptolemaios v. 135–37). Glaubt man an eine solche Beziehung zu Orchomenos, so ließe sich das oben S. 2002 besprochene Scholion VII 21a folgendermaßen wiederherstellen: φασὶ δὲ ⟨αὐ⟩τὸν τοιούτως (Hicks, sc. Σιμιχίδαν) ἀπὸ πατρῴου ⟨ξένου⟩ κληθῆναι, ἀπὸ Σιμιχίδου τοῦ Περικλέους τῶν Ὀρχομενίων, οἶτινες [2014] πολιτείας παρὰ Κῴοις τετυχήκασιν (s. v. Wilamowitz Textg. 151). Aus Serv. Dan. Verg. ecl. 10, 50: alii volunt ipsum Theocritum de Sicilia ad Chalcidem postea migrasse darf kein Aufenthalt im benachbarten Euboia gefolgert werden, da die Angabe offensichtlich zur Erklärung der schwierigen Vergilstelle erfunden ist. Literatur s. o. S. 2005. Taccone Bollettino di Filol. class. XX (1914) 231ff.

15. Ὕμνος εἰς Διοσκούρους (eid. XXII).

Dieses in epischer Sprache gehaltene längste der Gedichte des T. zerfällt in vier Teile. Das Prooimion, dem homerischen Hymnos XXXIII ähnlich, feiert beide Tyndariden als Retter in Seenot (v. 1–26), es folgt (v. 27–134) die Überwindung des Bebrykerkönigs Amykos während der Argonautenfahrt durch Polydeukes, z. T. in dramatischem Gespräche das Epische durchbrechend (v. 55–73), dann die aus Pindar Nem. X und den Kyprien bekannte Aristeia des Kastor beim Kampfe der Brüder mit den messenischen Apharetiden (v. 135–211) und ein persönlicher Schluß, in dem der Dichter ablehnt, mit Homer zu wetteifern (v. 212–23). – Längst hat man geschlossen, daß T. hier ein Musterstück hat geben wollen, wie ihm die Behandlung epischer Stoffe noch möglich schien: als kurze, episodenhafte, mimisch-bewegte Erzählung. Daß der erste Teil die den gleichen Stoff behandelnde Darstellung des Apollonios Rhodios im II. Buche der Argonautika übertreffen will und übertrifft, ist bekannt; daß die Schilderung des Apharetidenkampfes gegen die gleiche Schule gerichtet ist, indem sie in Wettbewerb mit deren kyklischen Vorbildern, hier den Kyprien, tritt, hat Ed. Schwartz Antike Charakterköpfe 2. Reihe 63 betont. Literatur: v. Wilamowitz Textg. 182–99.

16. Κύκλωψ (eid. XI).

Kein Heilmittel gegen die Liebe gibt es außer den Pieriden: das erfuhr auch der Kyklops bei seinem Sehnen nach Galateia – sagt die Einleitung des frühesten (s. o. S. 2006), rhythmisch noch nachlässigen Nikiasgedichtes (v. 1–18). Es folgt der Liebes- und Werbegesang des Kyklops an die Galateia (v. 19–71), eine Mahnung an ihn, sich anderen Mädchen zuzuwenden, die er aufnimmt (v. 72–79) und ein zweizeiliger, an die Einleitung anknüpfender Abschluß (v. 80f.). – Zweierlei ist deutlich: der Kyklops hat mit dem mythischen Urbilde nichts gemein, sondern der Dichter nutzt die gegebene und bekannte Situation (s. o. nr. 8) zu einer epistula ad Niciam de remediis amoris, wobei ihm Naturell und Konvention die bukolische Tönung wenn nicht vorschreiben, so doch empfehlen. Andererseits aber darf man auch keine Travestie des Mythos darin sehen, vielmehr ist es eine Verspottung des zeitgenössischen Gefühlsausdruckes, ohne daß wir es – vgl. die Ἐργατῖναι nr. 12 – auf eine bestimmte Person beziehen könnten (Legrand Ét. 111ff.). Gow Class. Quart. XXIV (1930) 150f. läßt wegen des sinnlos vorwegnehmenden ἀείδων in v. 13 das Prooimion nachträglich dem Galateiagesange vorgesetzt sein. Die leichte Änderung ἀεὶ λῶν (,gierig blickend‘ nach Hom. Od. XIX 229. Hymn. Herm. 360. Anth. Pal. V 236, vgl. v. Wilamowitz Herm. LIV 63) wahrt die offensichtliche Einheit des Gedichtes. Literatur s. o. S. 2006. [2015]

17. Ὕλας (eid. XIII).

Nicht nur uns – beginnt das zweite Nikiasgedicht in drei Distichen – sondern auch Herakles bezwang der Eros, der Eros zum schönen Hylas, den er alles lehrte, was ihm selber Größe verlieh (vgl. XXIV 103ff.), von dem er sich niemals trennte (v. 1–15), so daß ihn Hylas auch mit den Argonauten bis nach Mysien begleitete (v. 16–31). Wie der wasserholende Knabe von Nymphen in die Tiefe gezogen wird (v. 32–54), Herakles auf vergeblicher Suche die Abfahrt der Genossen versäumt (v. 55–75), füllt den zweiten Teil. Die Bedeutung des Gedichtes liegt nicht so sehr in der schönen Erzählung der Legende, deren Wahl mitbestimmt gewesen sein wird durch des Dichters Wetteifer mit Apollonios Rhodios (Arg. I 1234ff.; vgl. Rannow Berl. Phil. W. 1906, 709ff.), als in der Schilderung der heroischen Freundschaft, wo das Grundgesetz aller hellenischen Paidagogeia – voran der dorischen – zum letzten Male von einem griechischen Dichter verkündet wird. Literatur v. Wilamowitz Textg. 174. B. Vallentin Winckelmann 97ff.

18. Ἠλακάτη (eid. XXVIII).

In Dialekt und Versmaß (großen Asklepiaden) der aeolischen Dichter abgefaßt, kündigt dies Begleitgedicht einer syrakusischen, für Theugenis, die Gattin des Nikias bestimmten Elfenbeinspindel die bevorstehende Ankunft des T. in Milet an (v. 6): ὅππως ξέννον ἐμὸν τερψομ’ ἰδὼν κάντιφιλήσομαι, | Νικίαν, Χαρίτων ἰμεροφώνων ἱερὸν φυτόν. Es ist zusammen mit ep. 8 (s. u. S. 2017) das letzte der Freundschaftsgedichte an Nikias und das einzige, welches eine unmittelbare Huldigung an ihn enthält, eine Huldigung, die dadurch nicht gemindert wird, daß sie zunächst des Freundes Gattin zu gelten scheint. Denn daß die angeführten Verse der dichterische Keim des Gedichtes sind, zeigt ihre fast archaische Heroisierung neben dem schönen ornamentalen Rankenwerke des übrigen Gedichtes. Literatur s. o. S. 2006. v. Wilamowitz Textg. 137f.

19. Ἑλένης ἐπιθαλάμιος (eid. XVIII).

Zur Hochzeit des Menelaos und der Helena sangen die zwölf vornehmsten Mädchen von Sparta den Hymenaios (v. 1–8): Verspottung des Bräutigams (v. 9–15), Preis der Braut (v. 16–37), Sehnsucht der Gespielinnen (v. 38–48) und Segenswünsche (v. 49–58). – Einzelne Motive übernahm der Dichter aus der Helena des Stesichoros (Hypothesis), anderes war ihm durch die volkstümlichen Hochzeitsbräuche gegeben, die auch Sappho spiegelt; unmittelbare Anregung durch die lesbische Dichterin vermutete Kaibel Herm. XXVII 249ff. wohl mit Recht (vgl. das seither gefundene frg. 55 Diehl), während seine Konstruktionen des Kultischen abzulehnen sind (Sitzler Bursian XCII 159f.). – Aber ist das anmutig gefügte und über die Konvention hinaus herzliche Gedicht wirklich nur die Verherrlichung einer mythischen Hochzeit, oder ist es für einen besonderen Anlaß gedichtet? Die Verse 49–58 (vgl. auch 9–14) sind so allgemein gehalten, daß sie für jede Hochzeit passend erscheinen. Dazu kommt ein Weiteres: v. 50 wird die Λατὼ κουροτρόφος um εὐτεκνία angerufen – im griechischen Mutterlande wurde aber Leto so gut wie ausschließlich nur in Verbindung mit ihren Kindern [2016] verehrt, so auch in Sparta (Wehrli Suppl.-Bd. V S. 573), hingegen war ihr eigener Kult in Kleinasien sehr verbreitet, es gab ihn z. B. auch in Didyma (Wehrli 557). Das führt also auf eine Beziehung nach Kleinasien. Vielleicht ist das Gedicht der Epithalamios für Nikias, den Milesier, und seine Gattin Theugenis. T. nennt sich selbst in der Syrinx, mit der Wortbedeutung des eigenen Namens spielend, Paris – haben wir hier eine ähnliche Übertragung? Denn Helena ist zweifellos von göttlicher Abkunft, also eine Θεύγενις. Wohl absichtlich sind alle Hindeutungen auf das spätere Schicksal von Helena und Menelaos vermieden, indem die Begnadung, welche in der Ehe mit dieser Zeustochter für den Bräutigam liegt, in den Mittelpunkt gerückt ist.

20. Παιδικόν α’ (eid. XXIX).

Dieses zweite der aeolischen Gedichte ist ein Skolion, in dem gleichen sapphischen Vierzehnsilbler wie Alkaios frg. 73 D. (Über das Verhältnis zu den Vorbildern vgl. v. Wilamowitz Textg. 138f.). Es mahnt einen wankelmütigen Schönen, der Vergänglichkeit jugendlicher Blüte eingedenk zu sein und sich dem ohne Hinterhalt Liebenden zuzuneigen, damit sie, wenn der Schöne in die Mannheit eingetreten sei, einander Ἀχιλλέιοι φίλοι würden. Sonst werde der jetzt noch opferbereite Liebende sich unwiderruflich abkehren. – Die reichliche, wenn auch im einzelnen nicht nachweisbare Verwendung alkäischer und sapphischer Prägungen, die breite Ausspinnung des τόπος von der Vergänglichkeit der Hora, der nach Skolienart mit dem Scherze spielende Verlauf des Ganzen lassen schwer den Seelenton, der mitschwingt, vernehmen, es sei denn in dieser einen Stelle (selbst wenn auch sie imitatio sein sollte) v. 13f.: ὅππως, ἁνίκα τὰν γένυν ἀνδρεΐαν ἔχῃς, | ἀλλάλοισι πελώμεθ' Ἀχίλλειοι φίλοι. Literatur: Vahlen opusc. acad. I 312ff. Edmonds Class. Rev. XXV 37f.

21. Παιδικόν β’ (eid. XXX).

Das durch den Dichter selbst (v. 13) für sein Alter beglaubigte, von den sprachlich und metrisch gleichartigen aber früheren ,Spindel‘ sich charakteristisch abhebende Gedicht meldet eingangs T.s Liebe zu einem Schönen (v. 1–10), dann in Wechselrede mit seinem θυμός die Beschwernis des Eros im Alter (v. 12–23), die Vergeblichkeit des Widerstandes, selbst für die Götter (v. 24–32). Durch die sinnliche Schilderung des Geliebten im Anfange, aus der die Betroffenheit des Alternden und seine Widerstandslosigkeit unmittelbar entfließt, ist es leichter als im vorigen Gedichte – trotz der Entstellungen der einzigen Hs. C – den Klang einer verzehrenden Leidenschaft, einer vielleicht tötlichen Ergriffenheit zu vernehmen. Literatur: Edmonds Class. Rev. XXV 65ff.

22. Ἀΐτης (eid. XII).

Mit einem sapphischen Anklang eröffnet das spielende Werkchen in ionischer Mundart die Feier der Rückkehr des ersehnten Geliebten (v. 1–9). Ihre Freundschaft, wünscht der Dichter, möge von allen Künftigen gepriesen werden (v. 10–21). Zwist weiß der Geliebte doppelt zu vergelten (v. 21–26). Selig die Megarer, die das Grab des Diokles ehrten durch einen Wettkampf im Küssen (v. 27–37). Hinter scherzend gehäuften Vergleichen, parodierter alexandrinischer Gelehrsamkeit und literarischer [2017] Reminiszenzen wird man schwer noch den Ton der Leidenschaft hören, der in dem sapphisch getönten Eingange: ἤλυθες ὧ φίλε κοῦρε τρίτῃ σὺν νυκτὶ καὶ ἠοῖ und vielleicht in v. 20f. ἡ σὴ νῦν φιλότης καὶ τοῦ χαρίεντος ἀίτεω πᾶσι διὰ στόματος wohl nicht nur den lesbischen und ionischen Vorbildern verdankt wird. Literatur s. o. S. 2006. Vahlen Opusc. acad. I 297ff. II 1ff.

23. Ἐπιγράμματα.

Unter den Epigrammen zeichnet sich besonders eine Gruppe in verschiedenen Rhythmen ab, die als Inschriften unter Statuen von Dichtern gestanden hat oder wenigstens dafür gedacht ist. Es sind dies ep. 18 auf Epicharmos, bestehend aus abwechselnden trochäischen Tetrametern und iambischen Trimetern, zwischen die jeweils ein Reizianum geschoben ist. Es wird für ein Ehrenmal des Epicharmos in Syrakus von T. bestimmt gewesen sein. Ep. 22 geht auf den rhodischen Epiker Peisandros aus Kameiros in sapphischen Elfsilbern, ep. 21 auf Archilochos in zwei gleichgebauten Strophen zu 3 Versen aus 4 da. + ithyph. (solvitur acris hiems), ia. trim., ia. trim. kat. (Münscher Herm. LIV 36, 1. v. Blumenthal Die Schätzung des Archilochos im Altertum 16), ep. 17 auf Anakreon (ia. trim. + Phalaec.). Sie sind gleichfalls als Statuenunterschriften für die Geburtsorte Kameiros, Paros, Teos verfaßt, wie es ep. 17 und 22 ausdrücklich selbst bezeugen. Auch rhythmisch stellen sie z. T. Huldigungen an die Dichter dar: (v. Blumenthal a. O.). Das gilt auch für die fingierte vierzeilige Grabschrift auf Hipponax in Skazonten (ep. 19). Alle diese – auch ep. 18 – wird man sich während T.s östlichem Aufenthalte entstanden denken. Wegen seiner Form – 3 iambische trim., dact. hexam., iamb. trim. – und seiner Stellung hinter theokritischen Gedichten in der Anthologie gehört T. auch ep. 24 von der erneuerten Basis älterer Weihgeschenke eines Apollontempels, ebenso wird man das polymetrische Grabgedicht auf Kleita (ep. 20) – phalaec. + solviter aeris hiems – dem gleichen Dichter zutrauen. Zu ep. 8 auf das Asklepiosbild des Nikias (s. o. S. 2006) stellt sich durch Art und Stil ep. 13 auf die Aphrodite im Hause des Amphikles und der Chrysogona – der Name Amphikles ist in Kos belegt (Paton-Hicks Inscr. of Cos 404) und wenigstens auch Χρυσώ (273). Die zusammengehörenden ep. 7. 15 auf das Grab des Eurymedon aus dorischer Gegend, ep. 14 auf die τράπεζα des Kaikos, ep. 9 auf den Syrakusaner Orthon, ep. 10 mit der Weihung eines Musenreliefs durch Xenokles, ep. 11 auf den Physiognomen Eusthenes sind gute hellenistische Gedichte, die von T. sein könnten, ohne daß sich Sicherheit gewinnen ließe. Legrand hat sie bis auf ep. 10 von seinem ersten Bande ausgeschlossen. Von den ,bukolischen‘ Epigrammen sind nr. 1 und 3 Bildunterschriften durchaus theokritischer Einfühlung und dürfen als echt gelten – Legrand schließt auch ep. 3 aus – während ep. 5. 6 offenbar Nachahmungen sind: ep. 5 variiert den Thyrsis, ep. 2 klingt an den epideiktischen Stil der Leonidasschule an. Das wichtige ep. 4, aus neun Disticha bestehend – kaum von T. selbst –, stellt den Typus der hellenistischen Elegie dar, aus dem die Elegie des Propertius hervorging (v. Wilamowitz [2018] Textg. 199–202). – Außer den ep. 2. 4–6 sind zweifellos nicht von T. das prosaische Weihgedicht (ep. 12) des Choregen Demomeles von Paiania (Prosop. Att. 3554), das konventionelle Klagegedicht auf ein siebenjähriges Kind (ep. 16) und das belanglose Distichon auf Glauke (ep. 23), dem T. nur zugeteilt, weil er eid. IV 31 eine damals berühmte Kitharödin Glauke erwähnt hat.

Völlig verloren sind die nur in der Suidasvita genannten Werke Προιτίδες (von den Sagenvarianten – s. Robert Heldens. I 247 – käme am ersten die von Verg. ecl. VI 48 befolgte in Frage), Ἐλπίδες (Birt Ἐλπίδες Marb. 1881), Ὕμνοι (= eid. XVI. XVII. XXII?) Ἡρωῖναι (eid. XVIII und Ps. T. Λῆναι könnten gemeint sein), ἐπικήδεια μέλη, ἐλεγεῖαι, ἴαμβοι. Reste eines bisher unbekannten vierten aeolischen Gedichtes sind im Antinoe Pap. (S. 59) zum Vorschein gekommen, ebenso vom Schlusse des Herakliskos, der in unseren Hss. verstümmelt ist. Nur aus einem Athenäusfragmente bekannt ist die Huldigung an Berenike, die als (Aphrodite) Leukothea göttlich verehrt wurde: ταύτῃ θεῷ ἱερὸν ἰχθύν, ὃν λεῦκον καλέουσιν ist Anspielung auf den Namen der Göttin. Vielleicht dürfen wir in der sog. Aphrodite von Kyrene ein von ihrem Sohne Magas, dem Könige von Kyrene, gestiftetes Bild seiner vergöttlichten Mutter erkennen.

D. Pseudoepigrapha.

Legrand hat als echt in den ersten Band seiner Ausgabe aufgenommen die Eid. I–VII, X–XVIII, XXII, XXIV, XXVIII–XXX nebst Berenike und Syrinx, ausgeschlossen also VIII, IX, XIX–XXI, XXIII, XXV–XXVII, was sich genau mit den Athetesen von v. Wilamowitz deckt. (Über die Epigramme s. o. S. 2017.) Cholmeley 249. 255 hält von den ausgestoßenen VIII, IX für echt und möchte auch XXV zusammen mit Megara für theokritisch erklären (57f.).

1. Βουκολιασταί β' (eid. VIII).

Von der Liebe des Daphnis zu Menalkas hatte schon Hermesianax gesungen, hatte aber die Erzählung auf Euboia spielen lassen (Schol. VIII 56 d), bei Sositheos war Menalkas dem Daphnis nach dem Entscheide des Pan im Wettgesange unterlegen, Daphnis vermählte sich der Nymphe Thaleia (Hyp. C, Schol. VIII 93 a). Soviel war dem Verfasser des in ein Rahmengespräch (1–32. 61–62. 81–93) eingelegten Wettgesanges von Daphnis und Menalkas gegeben. Chronologisch könnte das Stück also von T. sein. Gegen die Echtheit sprechen einmal die v. 33–60 eingelegten ,elegischen‘ Distichen – eine Durchbrechung des Stiles, für die es bei T. kein Beispiel gibt –, dann auch die metrischen Härten, die v. Wilamowitz Textgesch. 122 hervorgehoben hat. Durchschlagend aber ist, daß der Verfasser das Dorische nicht als Muttersprache gesprochen hat, sondern sich nur des von T. geprägten Materials bediente, wie v. 14f. ἰσομάτορα ἀμνόν und πόκα ἀμνόν zeigen, ,wo das Vau von ἀρήν auf das Synonym übertragen ist, wie Bakchylides ἰός den Pfeil mit dem Vau von ἰός das Gift ausstattet; das alles wäre bei T. undenkbar, der doch das Dorische zur Muttersprache hatte‘ (v. Wilamowitz a. O.). Vorbild für den Dichter waren T.s Θερισταί. Witte, der dies erkannt hat (Rh. Mus. [2019] LXXIII 240ff.), wollte nachweisen, daß die auch v. Wilamowitz athetierten, aber schon Vergil bekannten Verse 57–60 = ecl. III 80f. doch zu dem Gedichte gehörten und dahinter zwei Distichen ausgefallen seien, wie auch die Nachahmung des Vergil ecl. VII beweise. Diese bestechende Vermutung hat aber keine Stütze an Pap. Oxy. 2064. Vgl. auch v. Wilamowitz Herm. LVIII 70ff.

2. Βουκολιασταί γ' (eid. IX).

Wieder ein Wettgesang von Daphnis und Menalkas (v. 7–13. 15–21): προλογίζει νομεὺς τις ὁ καὶ κριτής (v. 1–6), der beide beschenkt (v. 22–27) und mit einem eigenen Boukoliasmos epilogisiert (v. 28–36). Vergil hat es nachgeahmt (v. Wilamowitz Textg. 202. 111): damit ist der terminus ante quem gegeben. Es ist die Arbeit eines mit dem Landleben nicht vertrauten, dichterisch unbegabten, aber verslich geschulten Dilettanten des späteren Hellenismus. Literatur: v. Wilamowitz a. O. Legrand Étude 14f.

3. Κηριοκλέπτης (eid. XIX).

gehört nach Motiv – Tierfabel – und Stimmung zu den Anakreonteen, wo es in nr. 35 eine Parallele hat. T. eid. IV 55 hat dem ganz untheokritischen Dichter eine Einzelheit geliefert. Literatur: v. Wilamowitz Textg. 79f.

4. Βουκολίσκος (eid. XX).

Das Vorbild dieses Gedichtes ist T.s Kyklops, aber die Situation ist hinabgezogen in die vita cotidiana. Der um eine städtische Hetäre vergeblich werbende Hirte macht sich durch die Selbstschilderung seiner vermeintlichen Schönheit lächerlich wie dort Polyphemos. Den großstädtischen und landfremden Verfasser wird man wegen seiner mythologischen Anspielungen (Kybele, Attis) für einen Ostgriechen, wegen seiner dem Adonis des Bion ähnlichen Verstechnik etwa für einen Smyrnäer halten. Der dorische Dialekt ist im βουκολικὸν γένος nun schon obligatorisch. Literatur: v. Wilamowitz Textg. 80ff.

5. Ἁλιεῖς (eid. XXI).

Als einziges der bukolischen Sammlung dient dieses Werkchen, einen moralischen Spruch aus dem Volksleben als wahr zu erweisen: πενία, Διόφαντε, μόνα τὰς τέχνας ἐγείρει (v. 1). Die Schilderung des Fischerlebens, die Erzählung des Traumes und seine moralische Auslegung, dazu die Vulgarismen der Sprache weisen es in späthellenistische Zeit, etwa ins 1. Jhdt n. Chr. Das Thema läßt an die Kyniker vor der klassizistischen Reaktion des Dion v. Prusa denken, leider ist der nach theokritischer Art widmend angeredete Diophantos sonst unbekannt. Bemerkenswert ist, daß die Vorschrift des Artemidoros (Oneir. I 12 p. 16, 16): ὅθεν φημὶ δεῖν οἴκοθεν παρεσκευάσθαι καὶ οἰκείᾳ συνέσει χρῆσθαι τὸν ὀνειροκρίτην sich berührt mit v. 12: οὗτος ἄριστός | ἐστιν ὀνειροκρίτας, ὁ διδάσκαλός ἐστι παρ’ ᾧ νοῦς. Der t. t. ὀνειροκρίτης kommt hier – von Theophr. Char. 16, 11 und einer Diogenesanekdote bei Diog. Laert. VI 2, 24 abgesehen – zum ersten Male vor. Für die Zeitbestimmung vgl. v. Wilamowitz Textg. 82f.

6. Ἐραστής (eid. XXIII).

Ein altes Märchenmotiv (Rohde Griech. Roman 84f.): die Rache der Bildsäule an einem hartherzigen, den Tod des Liebhabers verspottenden Knaben ist hier [2020] aus der mythischen Sphäre in den Bios von einem an Moschos und Bion geschulten Verfasser übertragen, der dem Dichter des Bukoliskos nahesteht, ja mit ihm identisch sein könnte (v. Wilamowitz Textg. 81f., besonders 82, 1).

7. Ἡρακλῆς λεοντοφόνος (eid. XXV).

In Anlehnung an die Rhapsodenpraxis, Teile des alten Epos als selbständige Einheiten für die Rezitation zu behandeln, hat der Dichter vor dem allgemeinen Hintergrunde des Augeiasabenteuers drei Bilder des jugendlichen Herakles gegeben und deren besondere Situation durch Überschriften bezeichnet: Ἡρακλῆς πρὸς ἀγροῖκον gibt Gelegenheit, den Land- und Herdenreichtum des Augeias zu schildern, ebenso die Ἐπιπώλησις – die Inspektion der Herden durch Augeias. Beide Stücke sind aber nicht um dieser Beschreibung willen da, sondern jede gipfelt in einer besonderen Situation, in der Herakles sich zeigt: im ersten Teile die auf ihn einstürmenden Hunde, im zweiten die Bändigung des anrennenden Stieres. Vom dritten ist die Überschrift verloren; auf dem Wege zur Stadt berichtet Herakles dem Augeiassohne Phyleus die Tötung des nemeischen Löwen. Die Steigerung der Motive ist deutlich, ebenso deutlich, daß diese Bilder nicht aus größerem Zusammenhange gerissen sind – wie F. Schlegel glaubte –, sondern von einem hellenistischen Epiker kallimacheisch-theokritischer Schulung so für den Vortrag aufeinander abgestimmt wurden. Das ionisch geschriebene Werkchen – kaum von T. selber – dürfte doch noch ins 3. Jhdt. gehören, als der Streit Epos-Eidyllion in Theorie und Praxis lebendig war. Literatur: v. Wilamowitz Textg. 218ff. E. Frohn De carmine XXV Theocriteo quaestiones sel., Diss. Halle 1908, stellt die homerischen Anklänge zusammen.

8. Λῆναι (d. h. Βάκχαι, eid. XXVI).

Die Erzählung des Pentheusmythos (v. 1–26) berührt sich mehrfach mit Ovid. met. III 702ff., so daß man eine gemeinsame alexandrinische von Euripides abhängige Quelle ansetzen darf (Korn-Ehwald zu Ovid a. O.). Es folgt v. 27f. eine Abweisung der Dionysosgegner; v. 29/30 lautet: εἴη⟨ν⟩ δ' ἐνναέτης ἢ καὶ δεκάτω ἐπιβαίην, αὐτὸς δ' εὐαγέοιμι καὶ εὐαγέεσαιν ἅδοιμι (vgl. Pap. Ant. p. 50), von Cholmeley 364. 409 mit dem oft jugendlichen Alter der Dionysosfolger erklärt (Anth. Pal. XI 40; hinzuzufügen Liv. XXXIX 10: iam biennio constare neminem initiatum ibi maiorem annis viginti; 13 am Ende: biennio proximus institutum esse, nequis magis viginti annis initiaretur): ,wäre ich doch neun Jahre oder begänne das zehnte, und wäre ich selbst rein und gefiele den Reinen‘ (αὐτὸς nicht im Gegensatze zum Vorigen, was die alte Lesart ἐπιβαίνοι erzwänge, sondern auf εὐαγέεσσιν vorausweisend). Nach einem Übergange folgt der Preis der Dionysos. v. Wilamowitz Textg. 213 glaubte, es sei v. 29 auf die zeitgeschichtliche Ermordung eines Kindes angespielt: die neue Lesart ἐπιβαίην verbietet das; das Gedicht ist ein allgemein gehaltener Protest gegen die Gegner des Dionysos und läßt sich damit auf eine bestimmte historische Situation beziehen: auf das Verbot der Bacchanale durch die Römer im J. 186: Bacas vir nequis adisse velet ceivis Romanus neve nominus [2021] Latini neve socium quisquam. Das Gedicht wird also in Westgriechenland entstanden und deshalb dorisch getönt sein; denn theokritische Nachahmung ist nirgends zu spüren, es sei denn, die verlorenen Προιτίδες hätten das Muster abgegeben. Wegen dieser dorischen Tönung kam das Epyllion in die Sammlung der Bukoliker. Daß man aus dem gelehrter Tradition entstammenden Namen Δράκανον (v. 33, ὄρος τῆς Καρίας Schol. P. Anton.) nicht auf ein bestimmtes Lokal schließen dürfe (Maass Herm. XXVI 178ff.) betont v. Wilamowitz Textg. 210 mit Recht.

9. Ὀαριστύς (eid. XXVII).

Die Unechtheit des am Anfang verstümmelten Gedichtes – es fehlt eine dem erotischen Zwiegespräch zwischen Daphnis und dem Mädchen vorangehende Beschreibung der Situation – hat v. Wilamowitz durch Aufdeckung der Anspielung von v. 4 auf Theokrit. III 20, Textg. 93, 1, erwiesen. Wie Bukoliskos und Erastes dürfte die Oaristys im Osten entstanden sein, wenigstens ist dort die Bezeichnung Paphia für Aphrodite ursprünglich zu Hause, die in unserem Bruchstücke ausschließlich angewandt wird.

10. Ἐπιτάφιος Βίωνος (Mosch. III)

ist zusammen mit Echttheokritischem überliefert, Zitate oder Nachahmungen aus dem Altertume gibt es nicht (v. Wilamowitz Textg. 68). Der Verfasser nennt sich v. 94f. selbst einen Italiker und Schüler des Bion. Vorbild war ihm offenbar Bions Ἀδώνιδος Ἐπιτάφιος. Zu seiner ausonischen Abkunft stimmt der von v. Wilamowitz 68, 1 beobachtete auffällige Gebrauch von ποτί, der offenbar beeinflußt ist von ,ausonischem‘ Substrat: ποτί dürfte die Praeposition wiedergeben, der Umbrisch prae- und postpositionelles com entspricht (vgl. v. Planta Gramm. des osk.-umbr. Dial. II 446f.). Die literarisch tätigen Italiker schreiben entweder Latein wie Ennius und Pacuvius oder Griechisch wie dieser Dichter und der Verfasser von eid. XXVI – wenigstens bisher ist eine oskische Literatur nur ein wenn auch nicht unwahrscheinliches Postulat Mommsens.

11. Μεγάρα (Mosch. IV).

Sehnsüchtige Klagen in langen Wechselreden zwischen Megara, dem Weibe des Herakles, und seiner Mutter Alkmene um den abwesenden Helden – in die Bukolikersammlung wohl durch die stoffliche Berührung mit dem Herakliskos geraten. Wir haben den Reflex hellenistischer Lyrik in Hexametern vor uns. Der Dialekt ist der epische. Mit den sonstigen Stücken der Bukolikersammlung besteht keine Verwandtschaft. Literatur: v. Wilamowitz Textg. 79.

12. Εἰς νεκρὸν 'Ἄδωνιν

stammt aus frühbyzantinischer Zeit: v. Wilamowitz Textg. 71. Es ist durch Bions Adonis in die Sammlung gekommen.

13. Ἐπιθαλάμιος Ἀχίλλεως καὶ Δηιδαμείας (Bion II.).

Myrson fordert seinen Mithirten Lykidas auf, von Achills Jugend auf Skyros unter den Töchtern des Lykomedes zu singen. Das Bruchstück wird von einem Dichter aus der Nachfolge Bions stammen, v. Wilamowitz Textg. 79.

E. Überlieferungsgeschichte.

T. hat seine Gedichte einzeln herausgegeben. Die [2022] erste bukolische Sammlung brachte in sullanischer Zeit der Aristophaneer Artemidoros zusammen wie Meleagros seinen Epigrammenkranz. Auf sie geht unser Bestand mit Ausnahme der Technopägnien, Epigramme und des Berenikefragmentes aber mit Einschluß der meisten Pseudepigrapha zurück. Alsbald fand eine Gruppe theokritischer Gedichte ihren Erklärer in Asklepiades von Myrleia, dessen Arbeit aber rasch durch den Kommentar aller Theokritgedichte von Artemidoros’ Sohn Theon verdrängt wurde. Diese enthielt in unbestimmbarer Reihenfolge – eid. I machte sicher den Anfang – I–XVIII, XXII, XXIV, XXV, XXVIII–XXX (und wohl auch das vierte Aeolicum). Im 2. Jhdt. machte Munatios von Tralles eine Ausgabe mit wesentlich paraphrastischem Kommentare, in den sein jüngerer Zeitgenosse Theaitetos die Theonischen Erklärungen hineinarbeitete. Als letzter antiker Herausgeber fügte Amarantos, Zeitgenosse Galens, die carmina figurata hinzu. Literatur: v. Wilamowitz Einleitung in d. griech. Trag. 187; praefatio der Ausg. IIIff.; Textg. 106ff. Wendel Überlief. u. Entst. der T.-Scholien 164.

Von Hss. sind am wichtigsten der 1914 gefundene große Papyrus des 5./6. Jhdts. aus Antinoe (π), veröffentlicht von Hunt und Johnson Two Theocritus Papyri (London 1930), von mittelalterlichen der nur I–XVII, XXIX enthaltende Ambros. 222 (K, 14. Jhdt.), der zusammen mit dem Archetypus der übrigen Hss. auf ein Buch des 6.–9. Jhdts. (β) zurückgeht, β und π fließen aus einer gemeinsamen Quelle etwa des 3. Jhdts. n. Chr. Übersichtliche Darstellung bei P. Maas Gnomon VI 561ff. Hunt-Johnson 19ff. v. Wilamowitz praef. VΙff. Die sehr komplizierten Einzelabhängigkeiten der mittelalterlichen Hss. sind ausführlich analysiert bei v. Wilamowitz Textg. 1–106; die Entstehung unserer Scholien ist beschrieben bei Wendel, für die Hss. vgl. die praefatio seiner Scholienausgabe.

F. Μetrik.

a) Zum Hexameter.

Die Hexameter der von mir aus anderen Gründen zeitlich zusammengerückten eid. I–VII zeigen bemerkenswerte rhythmische Übereinstimmungen entgegen den übrigen Stücken: ausnahmslose Wahrung der bukolischen Brücke hinter einsilbigem vierten Biceps, Streben nach bukolischer Diaerese, d. h. Wortschluß hinter zweisilbigem vierten Biceps (P. Maas bei Gercke-Norden Einl. I 7, 34), das auch in eid. X sehr auffällig ist, kein schweres einsilbiges Wort im Verschluß. Von Enklitika natürlich abgesehen, kommen in I–VII vor: I 2 ἁδὺ δὲ καὶ τύ. III 32: οὕνεκ’ ἐγὼ μέν. II 60 χαθυπέρτερον ἇς ἔτι καὶ νῦν oder καί νυν (Text gerechtfertigt durch v. Wilamowitz Herm. LXIII 375f., vgl. auch Ovid. fast. II 573). In diesen drei Fällen geht entsprechend der Praxis des Kallimachos (Maas 22f.) bukolische Diaerese voraus. Das ist auch der Fall in XI 51, XIII 22, 57, 62, XVIII 84, XXII 171 und bei den leichteren XIII 25, XXII 112 (δέ), XI 28, XXII 169 (νῦν, wenn nicht enklitisch). Sehr bemerkenswert ist die Vernachlässigung (s. o. S. 2008) im mimischen Teil der Adoniazusen 29: ὕδατος πρότερον δεῖ, 36: πλέον ἀργυρίω καθαρῶ μνᾶν, 66: τὰν χέρα μοι: λάβε καὶ τύ (da μοι [2023] enklitisch, keine Diaerese!), im Herakliskos XXIV 18: ἀπ' ὀφθαλμῶν δὲ κακὸν πῦρ, im Kyklops (über dessen nachlässige Verstechnik s. v. Wilamowitz Textg. 159, 1. 255) XI 74: τάχα κα πολὺ μᾶλλον ἔχοις νῶν (und vielleicht 13: ὃ δὲ τὰν Γαλάτειαν ἀεὶ λῶν s. o. S. 2014). XIV 21: τίν' ἔχειν με δοκεῖς νῶν, XXII 89: ὀρίνθη δὲ πλέον ἢ πρίν. Daß sich in den ,bukolischen‘ Gedichten die Strenge der Verstechnik dem kallimacheischen Vorbilde nähert, während alle übrigen lässiger gearbeitet sind, ist auch ein charakteristischer Hinweis, wie man gerade hier am wenigsten nach Volkstümlichem suchen soll. Literatur: P. Maas bei Gercke-Norden Einl. I 7, 34. Legrand Étude 314ff.

b) Iamben und Trochäen.

Die in den polymetrischen Epigrammen vorkommenden Iamben und Trochäen haben wenig auffälliges: ep. 19, 2 (Choliamben) und ep. 18, 9 (troch. tetr.) vernachlässigen die Porsonsche Regel.

c) Andere Maße.

Für diese Zeit der verfallenden Polymetrie ist T. noch auffallend reich, wenn auch die hellenistische Auswahl, d. h. Verarmung, sich schon fühlbar macht. Das erste aeolische παιδικόν ist in den Vierzehnsilblern gedichtet, die das zweite Buch der Sappho füllten, und mit der alten Freiheit des Anlautes, die auch bei dem zweiten und der Ἠλακάτη in sog. großen Asklepiadeen (die bekanntlich schon bei Alkaios vorliegen) gilt, ebenso in dem verlorenen vierten Aeolicum (v. 4) gegolten hat. Bemerkenswert ist der Unterschied in der Behandlung des Asklepiadeus zwischen Paidikon II. und Elakate: in ersterem ist die aus Horaz bekannte Isolierung des ,Choriambus‘ durch Caesur sichtlich angestrebt (15mal in 32 v.), in den übrigen Versen ist wenigstens vorher oder nachher Wortschluß (mit Ausnahme von v. 18). Die Elakate dagegen hat in 25 Versen nur viermal isolierten Choriambus und sechsmal ist er nach beiden Seiten gebunden (Enklitika als Wortverschmelzung nach rückwärts, Elisionen nach vorwärts verstanden). Zweifellos ist das Paidikon (s. o. S. 2016) das jüngere Stück. Man sieht, daß im 3. Jhdt. die Freiheiten der klassischen Metra immer mehr eingeschränkt werden, wie es besonders der kallimacheische Hexameter zeigt.

G. Sprache.

Im Hellenismus herrscht die auf dem Attischen aufgebaute Koine als die Sprache der gebildeten Gesellschaft und die Sprache der wissenschaftlichen Prosa mit den bekannten Ausnahmen. Es ist nirgends herausgehoben worden, daß T. sich aller griechischen Mundarten von literarischer Geltung – der heimischen Doris, des epischen Ionisch, des lyrischen Aeolisch – bedient, nie aber des Attischen, das in der Dichtung nur für das jetzt gänzlich verbürgerte Drama kanonisch war, in den anderen Gattungen aber von Nichtattikern offenbar als vulgär verschmäht wurde, selbst für das Epigramm. T.s Praxis lehrt uns damit eine hellenistische Kunsttheorie.

Für das bukolische und mimische Genos wendet T. das Dorische seiner heimatlichen, von Epicharm und Sophron bestimmten Tradition an, dabei aus der lebenden Mundart schöpfend, in welche Elemente anderer Dialekte nicht erst durch die Koine eingedrungen waren. Auch war [2024] er natürlich nicht Barbar genug, Dialektpurist zu sein und verschmähte, wo es am Platze war, epische Wendungen nicht. Daher die Schwierigkeiten sowohl der Wiederherstellung der in den Hss. entstellten Formen wie der Einordnung seines Sprachgebrauches im Ganzen.

In den Dioskuren, die im Wetteifer mit Apollonius Rhodios gedichtet sind, wendet er den epischen Dialekt an, dem Stile entsprechend und wohl auch, um seine Meisterschaft zu zeigen. Der Herakliskos dagegen ist dorisch, weil der Gehalt unter der Lage des Heroischen ist und dem Mimischen nähersteht. Die Mischung von Epischem und Dorischem in Charites und Ptolemaios mag durch die Unfreiheit gegenüber der Konvention, in letzterem Falle mitbedingt sein durch die Sprachgepflogenheit des makedonischen Herrschergeschlechtes. Die ionische Sprache des Aites wird ihren Grund schwerlich nur in einem literarischen Vorbilde haben.

Die Aeolica wetteifern mit Sappho und Alkaios, die in ihrer Mundart die Vorbilder der Liebesdichtung schufen. Daneben treten Anakreon, der Ionier – so wurde T. traditionsmäßig trotz sapphischer Anklänge der ionische Aites möglich – und Alkman, der Dichter der Partheneia – darum das dorische Ἑλένης Ἐπιθαλάμιος, dem doch ebenso wie dem Aites Sapphisches zugrunde liegt.

Literatur: Cholmeley The Idylls of T. 37ff. 412 (Appendix on Dialect mit ausführlicher Bibliographie). Vollgraf Mnemosyne N. S. XLVIII (1919) 333ff. Legrand Étude 234ff. 255ff. 288ff. 343ff.

H. Gesamtcharakteristik der Kunst des Theokrit.

Es ist viel darüber gestritten worden, ob die Dichtungen T.s echte volkstümliche Hirtenpoesie darstellen oder ob in ihnen nur bukolische Maskerade, wie in der Rokokodichtung, zu sehen sei. Die Fragestellung schon ist falsch. Wahre Dichtung nährt sich von drei Dingen: von den Urstoffen – Natur, Volk, Sprache –, von den Begebnissen – dem ganzen Zirkel der Leidenschaften –, von der Bildungswelt. Im größten Dichter wirkt das Maximum von allen dreien. T. ist Dichter genug, an allen drei Welten teil zu haben, aber eine neue welthaltige Sprache vermag er dem zivilisierten hellenistischen Idiom nicht abzugewinnen; so hält er sich an die minder vernutzten Dialekte, die der Weltstädter verachtet (eid. XV 87). So wenig wie das Ganze der Sprache umfaßt er das Ganze von Natur und Volk: sein Bilderlebnis ist das farbige Gewimmel der Menge bis hinab in die dunklen Regionen des Zaubers, wo die Gottheit noch wirkend gefühlt, wenn auch nicht geschaut wird; ist das nichtstädtische Volk, zumal der Hirt, in den mannigfachen Gegebenheiten naturhaft bestimmten Daseins. Aber sein menschliches Erlebnis – die bestaunten und allumschmeichelten Fürsten – der Kreis seiner Mitstrebenden und Mitliebenden – seine dem Dichter unentbehrliche Hörerschaft – hat keine Verbindung zu irgendeiner dieser Welten außer vielleicht dieser: daß sie, vom Dichter verzaubert, sich nun selbst als Hirten fühlten und den Spott der abseits Stehenden herausforderten (des Herondas: Herzog Philol. LXXIX 422ff.; LXXXII 59f.). So geschieht es, [2025] daß all sein Dichten – mehr oder minder – die Farbe seines wirklichen Ursprungs trägt, während seine Erlebnisse in der Zeitgebundenheit verlaufen, die zu zerreißen seine Person nicht mächtig genug ist. Das war der Grund, weshalb man über echte und unechte Volkstümlichkeit gestritten hat – ein Zeitschicksal, dem nur der Heros siegreicher Widerpart sein kann. T., ihm verfallen, weiß aber immer noch der Sprache so süße Klänge zu entlocken, wie sie weder den von ihm selber gepriesenen Vorbildern Philitas und Asklepiades noch dem geschliffenen Geiste des Kallimachos oder dem erweichten Gemüte des Apollonios, nicht einmal dem Beschreiber des gestirnten Himmels Aratos geschweige der raffinierten Vulgarität des Herondas gelungen sind – Klänge, wie sie nach ihm kein altgriechischer Mund hat ertönen lassen. Die wahrhaft dichterische Einschmelzung dieser so verschiedenen Stoffe hat dem ,Bukolischen‘ seine ungeheure Wirkung gesichert: über Bion, Moschos, Longus bis zu den Byzantinern, über Vergil und seine zahllose Nachkommenschaft bis zum jungen Goethe und dem einzigen dichterischen Übersetzer T.s: bis Eduard Moerike. Aber die Hirtengedichte Georges, aus ursprünglichem Volkstume in überzeitlichem Augenblicke hervorgebrochen, lassen die dichterische, menschliche und soziale Bedingtheit des Syrakusaners in erschreckender Schärfe, seiner großen Wirkung zum Trotze, unwiderleglich erkennen.