Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Literaturgattung im klassischen Griechenland
Band V,2 (1905) S. 25812583
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Enkomion (ἐγκώμιον). I. Ursprünglich ist zu ergänzen μέλος oder ποίημα, s. Pind. Nem. I 7 ; Ol. II 47 πρέπει τὸν Αἰνησιδάμου ἐγκωμίων τε μελέων λυρᾶν τε τυγχανέμεν; ähnlich Pind. Pyth. X 53 ἐγκωμίων .. ὕμνων; Ol. X 75 ἀείδετο δὲ πᾶν τέμενος .. τὸν ἐγκώμιον ἀμφὶ τρόπον . So mag der Titel ἐγκώμιον εἰς Ὀρσίλαν, unter dem ein Epinikion des Simonides zitiert wird (Crusius Philol. LIV 565; Anthol. lyr. praef. p. LVIII), gleichfalls auf einer Äußerung des Dichters beruhen; dieser guten alten Terminologie, die für ἐπινίκιον vielmehr ἐγκώμιον setzt, folgte auch Chamaileon bei Athen. XIII 573 F. Der Terminus ἐπινίκιον, der sich später durchsetzt, ist genauer (εἶδος für γένος), hat aber weniger Anhalt in dem Sprachgebrauch der alten Poeten, doch s. Nem. IV 78 und den Art. Epinikion. Seinem Wortsinne nach ist das E. ein Loblied, welches der Festzug (κῶμος) auf den heimgekehrten Sieger zu singen pflegte, s. Bakchylides XI 12 καὶ νῦν Μεταπόντιον εὐγυίων κελαδοῦσι νέων κῶμοι ... ὑμνεῦσι δὲ Πυθιόνικον παῖδα .. Φαΐσκου (vgl. XIII: 41). Pind. Ol. VIII 10 ὦ Πίσας .. ἄλσος, τόνδε κῶμον καὶ στεφανηγορίαν δέξαι ähnlich Ol. IV 8. VI 78; Pyth. III 73. V 22 u. ö. Dementsprechend steht auch κῶμος für ἐγκώμιον Pind. Nem. III 5 μελιγαρύων τέκτονες κώμων νεανίαι; Isthm. V 58 ταμίας .. κώμων (der Dichter), ähnlich Pyth. V 104; Isthm. II 31 οὐκ ἀγνῶτες .. δόμοι οὔτε κώμων ... ἐρατῶν οὔτε μελικόμπων ἀοιδῶν (wo aber auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes zurückgegriffen wird).

II. Die Dichter selbst weisen mit diesen Zeugnissen darauf hin, daß ihre feierlichen Lieder in alter volkstümlicher Festsitte einen Rückhalt haben (s. Pind. Ol. XI 118). Auch das aeolische Lied besang die κλέα ἀνδρῶν (Alkaios πρὸς Ἀντιμενίδαν frg. 33 u. ä.) und hatte ein besonderes μέτρον ἐγκωμιολογικόν (Alk. frg. 94, vgl. Hanssen Philol. LI 231), das seinen Namen nur von ἐγκώμια λέγειν haben kann; der Ausdruck κωμάζειν ist nachweisbar bei Alkaios frg. 56. In volkstümlichen, skolienartigen Improvisationen scheint Arist. Rhet. I 9 p. 38 die ersten ἐγκώμια gesehen zu haben: καὶ εἰς ὃν πρῶτον ἐγκώμιον ἐποιήθη, οἷον εἰς Ἱππόλοχον καὶ Ἁρμόδιον καὶ Ἀριστογείτονα (was auf die σκόλια Ἀττικά gehen wird, s. auch Anthol. lyr. carm. pop. 49f. p. 326. Skol. 10. 13 p. 330; anders Bergk Gr. Lit. II 168). Wie man in diesen Fällen (Antimenidas, Harmodios usw.) den in ernster Gefahr bewährten Helden einholte, bejubelte und besang, so auch den tüchtigen Menschen, der im ἀγὼν κάλλους siegte oder den Preis in den nationalen Wettkämpfen davontrug. Sapphos Lieder auf ihre Freundinnen und weiterhin Alkmans Parthenien (Bd. I S. 1569), ferner die Gesänge des Ibykos auf seine καλοί (Pind. Isthm. II 1ff. mit Schol.) und Anakreons ἔπαινοι der Edelknaben (Bd. I S. 2044) sind weitere Vorläufer jener typischen Art des E., deren Hauptvertreter Simonides, Pindar, [2582] Bakchylides sind (s. die Einzelartikel, für Bakchylides das Supplement).

III. Vor allem bei Bakchylides, vereinzelt auch bei Pindar, begegnen uns schlicht gehaltene ,Kurzlieder', die noch an jene einfachen αὐτοσχεδιάσματα des κῶμος erinnern mögen (Crusius Philol. LVII 158). Aber in weitaus den meisten Fällen trägt das chorische E. ein ernst-feierliches, fast sakrales Gepräge. Es entlehnt seine Mittel zum großen Teil aus der Technik der alten Hymnen- und Nomendichtung: daher der Mythos als Mittel- und Hauptteil, daher auch der wiederholt zu beobachtende jähe Übergang zu persönlichen Bemerkungen unmittelbar nach dem Mythus (s. Crusius Verh. der Philologenversamml. in Zürich 1887, 258ff.; Westphals und Mezgers gewaltsame Versuche, ihr willkürlich zugestutztes Nomosschema auf die Lyrik anzuwenden, haben den an sich berechtigten Gedanken völlig in Mißkredit gebracht). Genaueres über die Gliederung und die Kunstmittel dieser Epinikien-E. außer in den Pindarausgaben bei Th. Bergk Gr. Litt. II 169ff. Mit allerlei alten Vorurteilen hat die kritische Arbeit der Neueren (besonders von U. v. Wilamowitz, Drachmann und O. Schröder) gründlich aufgeräumt; eine exegetische Einführung hat Ο. Schröder in Aussicht gestellt.

IV. Zwar spricht in diesen E. durchweg der beauftragte Dichter selbst (so Ο. Schröder gegen Studniczka Kyrene 75ff. im Sinne Boeckhs Wochenschr. f. klass. Philol. 1893, 705; s. Heidelberger Professoren aus dem 19. Jhdt., Festschr. Heidelberg 1903, 392, 1). Aber immer wieder weist er auf τόνδε κῶμον hin, der sein Mund ist. So gewinnt κωμάζειν schon bei Pindar den Sinn ‚loben, preisen‘ (Isthm. III 90. VI 20; Nem. X 35), wie umgekehrt βουκολιάζειν, κωμῳδεῖν necken, spotten bedeuten kann; im selben Sinne ἐγκωμιάζειν bei den Attikern (Plat. symp. p. 198 E; Gorg. p. 198 E. Isocr. XII 253 usw.). Ebenso wird ἐγκώμιον nicht nur auf jedes Loblied (Simonid. frg. 4, PLG III 383), sondern (wohl durch die sophistische Rhetorik) auch auf die prosaische Lobrede übertragen, s. Gorg. Hel. 21 Ἑλένης μὲν ἐγκώμιον, ἐμὸν δὲ παίγνιον. Darin liegt zugleich das Bekenntnis, daß das rhetorische E. im poetischen wurzelt. Weiteres über die literarische Entwicklung geben die lichtvollen Ausführungen von Fr. Leo Die griech.-röm. Biographie 90f.: Xenophon und die Älteren als Vorläufer, Isokrates als Begründer des rhetorischen εἶδος.

V. Die Rhetorik fand, ohne sich von dem alten Stil gleich völlig loszulösen, besonders für den Hauptteil neuen Inhalt und neue Ordnung. Seit der Hellenistenzeit dringt nun die rhetorische Technik auch in die poetischen Hymnen und Enkomien ein; insbesondere wird sie vielfach maßgebend für die Topik des Hauptteils. So ist Kallimachos Apollonhymnus zwar noch streng nomenartig gegliedert (die von Couat La poésie Alex. 506. 512. Merkel Proleg. Apoll. Rhod. XIX u. a. ausgeschiedenen Verse 105—112 sind die Sphragis, s. Züricher Verhandl. 269f.). aber der ‚Omphalos‘ mit seiner nüchtern disponierten Aretalogie trägt rhetorischen Charakter (die andern Hymnen bleiben auf dem alten Standpunkt); ähnlich Theokrits Ptolemaeer-E. und Verwandtes. Vgl. auch die Ehreninschrift auf Dioskurides (Dittenberger[2583] Syll.2 722; vgl. oben Bd. IV S. 1125, wo auf B. Keil Athen. Mitt. XX 441 zu verweisen war) συνταξάμενος ἐγκώμιον κατὰ τὸν ποιητὰν (Homer) ὑπὲρ τῶ ἁμῶ ἔθνιος; Dioskurides schickt nach Knosos seinen Schüler Μυρῖνον Διονυσίω Ἀμισηνὸν ποιητὰν ἐπῶν καὶ μελῶν διαθησιόμενον τὰ πεπραγματευμένα ὑπ’ αὐτῶ, und diese Akroasis trägt ihm die üblichen Privilegien sein.

Die innige Umbildung des alten poetischen γένος durch die neue rhetorische Spielart versteht sich um so leichter, als bei den Festen rhetorische und poetische Enkomien hintereinander vorgetragen wurden. S. beispielsweise Dittenberger Syll.² 671 (Larisa) ἐγκωμίῳ λογικῷ ἐνκωμίῳ ἐπικῷ. Für die berufsmäßigen Verfasser von ἐγκώμια, die in der Zeit kleinstädtischer φιλοτιμία (Buresch Aus Lydien 19) alle Hände voll zu tun hatten (τυχὼνἐγκωμίου) Dittenberger Syll.² 325, 41), findet sich inschriftlich und literarisch der Terminus ἐγκωμιογράφος (Boeckh CIG I p. 767 ἐγκωμιογράφος εἰς τὸν αὐτοκράτορα, ἐγκώμιον εἰς Μούσας. Artemid. I 56 p. 82 R. Marc Aurel bei Fronto p. 31, 6 N.).

VI. Die späthellenistische Poetentechnik wird vor allem Parthenios in Rom heimisch gemacht haben (s. d. Art. Elegie o. S. 2287f.). Jedenfalls setzt um jene Zeit, wie auf dem Gebiet der Elegie, so auf dem der Enkomiendichtung die Bewegung erst recht ein (Catull. 68. Vergil Ecl. IV und allerlei in den κατὰ λεπτόν, später im Corpus Tibullianum, s. d. Art. Elegie o. S. 229lff.); Catull 68 steht für sich, die übrigen Lobgedichte (auch Verg. Ecl. IV gehört hierher) haben eine ausgeprägt rhetorische Haltung.

VII. In der rhetorischen Theorie ist für uns Aristoteles der Ausgangspunkt (Rhet. I 9, mit feiner Ableitung der ἐγκώμια aus den συμβουλαί); neben das γένος δικανικόν und συμβουλευτικόν stellten vor allem die Stoiker (Volkmann Rhetorik 21) das ἐγκωμιαστικόν, s. Diog. Laert. VII 42. Rhet. Lat. p. 81 H. Ältere Theorien ausnutzend und weiterführend hat die zweite Sophistik in der römischen Kaiserzeit gerade dies γένος aufs eingehendste behandelt, so Hermogenes περὶ ἐγκωμίου (Rhet. I p. 35 W.), Aphthon. progymn. 8 (Rhet. I p. 86 W., vgl. p. 226), und besonders Menandros περὶ ἐπιδεικτικῶν Rhet. IX p. 131. 158. 174f. W. Im einzelnen können diese Theorien hier nicht entwickelt, noch ihre Wirkung in der Praxis verfolgt werden. Eine summarische (auch geschichtlicher Betrachtung gelegentlich Rechnung tragende) Übersicht bei Volkmann Rhetorik 322ff. Dazu Westermann Geschichte d. Beredsamkeit I § 106 S. 267. Leo Die griechisch-römische Biographie 207, auch Gudeman Tacitus Agricola 2f. Auf eine Aufzählung der einschlägigen Literaturwerke müssen wir verzichten. Die wichtigsten Daten bei Westermann Gesch. d. Beredsamkeit Ι § 106 S. 265. 320. 324. 328. 338. Weiteres in den Artikeln Laudatio und Panegyrikos.