Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Catull, Dichter im 1. Jhdt. v. Chr.
Band VII A,2 (1943–1948) S. 23532410
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123) C. Valerius Catullus,

I. Name und Herkunft. Es bestand lange Zeit ein Schwanken, ob Gaius oder Quintus der richtige Vorname des Dichters sei. Durch die maßgebenden Hss. wird lediglich das Cognomen und die Vaterstadt C.s bezeugt (Catulli Veronensis liber), während einige Codices minderer Güte das Praenomen Quintus bieten, das übrigens auch Scaliger durch eine Konjektur im 67. Gedicht, wo er v. 12 Quinte für quicque las, im Text vorfinden wollte. Daß aber Gaius der wahre Vorname C.s war, geht aus zwei alten Schrifttumsbelegen mit sicherer Gewähr hervor: Apul. apol. 10 accusent C. Catullum, quod Lesbiam pro Clodia nominarit und Hieron.chron. zum J. 1930 (= 87 v. Chr.) Gaius Valerius Catullus scriptor lyricus Veronae nascitur (p. 150 H.). Die in wertlosen Hss. erscheinende Lesung Q. Catullus poeta an einer Stelle des älteren Plinius (XXXVII 81) hat bei neueren Herausgebern keinen Anklang mehr gefunden (vgl. C. Mayhoff vol. V 417) und der Zusatz Q. wurde bereits von älteren Forschern aus einer Verwechslung mit Q. Lutatius Catulus erklärt; vgl. jetzt auch E. Stampini Il prenome di Catullo, Atti di Torino 52 (1916/17) 385. Den Sippennamen überliefern unter anderen Sueton (Iul. 73) und Porphyrio (zu Horat. sat. I 10, 18f.).

Das Cognomen Catullus deutet F. Marx (Lucil. II 268) als ein Deminutiv wie lenullus, homullus; der Dichter scherze mit dieser Deminutivbildung seines Namens in 56, 3 ride, quidquid amas, Cato, Catullum. E. Baehrens leitete den Namen vom Stamme cat her: entstanden aus Catunulus, catulus, catullus; s. N. Jahrb. 1883, 774f. u. 7191. Auch eine Ableitung von catulus (Tierbezeichnung) wurde versucht. Ein abschließendes Wort ist darüber noch nicht gesprochen.

Hieronymus nennt an der angeführten Stelle Verona als Geburtsort des Dichters und mit seiner Aussage stimmen alle antiken Erwähnungen der Heimat C.s überein, so z. B. Ovid. am. III 15, 7 Mantua Vergilio, gaudet Verona Catullo. [2354] Plin. n. h. XXXVI 48 Catulli Veronensis carminibus. Mart. I 61, 1. X 103, 5. XIV 195. Das Geschlecht der Valerier begegnet vielfach in Oberitalien und manche späteren Valerii Catulli dürften mit unserem Dichter im Verwandtschaftsverhältnis stehen; vgl. Suet. Cal. 36, 1. CIL V 7239. XIV 2095. Borghesi V 527f. Prosop. Rom. I 323f. III 354 und Thes. l. l. Nom. propr. 275. An der letztgenannten Stelle wird behauptet, des Dichters Name sei keltischen Ursprungs (vgl. auch Holder Altkelt Sprachsch. s. v. und W. Schulze Eigennamen 23, Anm. 2), eine Aufstellung, die Schule gemacht hat. Mit einer gewissen Zurückhaltung äußerte E. Norden Röm. Lit. in Gercke–Norden Einl. I 4 (1923) 29 seinen Glauben an keltischen Einfluß bei C; weiter geht H. J. Rose Catullus Class. Journ. XVI (1921) 542, der aus dieser Herkunft des Dichters feines Sprachgefühl erklären will, während K. P. Harrington C. and his influence Boston 1923, 31f. nicht zurückschreckt, aus C.s Keltenblut die Unbekümmertheit herzuleiten, mit der dieser eine Liebschaft mit einer verheirateten Dame anzuknüpfen wagte. Eine solche Annahme ist schon aus dem Grunde verfehlt, weil es den entarteten Sittenverhältnissen des damaligen Rom entsprach, daß ehebrecherische Beziehungen dem Begriffe der moralischen Reinheit (pietas) nicht stracks zuwiderliefen: vgl. in c. 76 die Ausdrücke pius (v. 2), puriter (v. 19), pietas (v, 26), ferner c. 109, 6, wo das Liebesverhältnis zu der Frau eines anderen als foedus amicitiae bezeichnet wird; Ehebruch wog eben in der römischen Gesellschaft dieser Epoche nicht schwer; vgl. auch Horat. carm. III 6, 21–32. Bedenkt man weiter, daß zu der Hypothese von C.s keltischer Abkunft jede wissenschaftlich verwertbare Handhabe mangelt, so muß die Leichtfertigkeit solcher Folgerungen füglich befremden. Sie hat denn auch Widerspruch gefunden; so wird in der Einleitung zu W. Amelungs C.–Übersetzung (Jena 1911) der Nachweis versucht, unser Dichter sei das Urbild eines Italers gewesen, was sich schon daraus ergebe daß dem Keltenstamme damals die Reife zur Herrschaft über die italische Dichtkunst abging; ferner habe die Sippe der Valerier zu den ausdauerndsten römischen Siedlern im bezwungenen keltischen Oberitalien gehört, und endlich erweise C.s tiefes Naturgefühl, das den Kelten fehle, seine rein italische Abstammung. Keines dieser Argumente vermag einer genaueren Prüfung stichzuhalten: das erste beweist nichts gegen die Art der geistigen Erbanlage, die C. dann in Rom zur Entfaltung brachte; das zweite ist eine durchaus haltlose Vermutung und das dritte läßt die Tatsache außer Betracht, daß auch Vergil und die beiden Plinier, die ebenfalls auf keltischem Boden geboren waren, einen reichentwickelten Natursinn bekundeten. Doch ist in jedem Falle die durch keinen Beleg stützbare Behauptung von C.s keltischer Herkunft in den Fabelbereich zu verweisen. Nun macht es U. v. Wilamowitz Hellenistische Dichtung II (Berl. 1924) 309 wahrscheinlich, daß C.s Vater zu dem Konsul Metellus, ,da dieser als Statthalter der Transpadana bei ihm gewohnt oder doch verkehrt hatte’, in freundschaftlichen Beziehungen stand; dies und die Tatsache, daß Caesar (nach Suet. Iul. [2355] 73) hospitio patris eius usus est, führen H. Rubenbauer Bursian 212 (1927) 169 zu der bestechenden Annahme, daß C. einer alten römischen Kolonistenfamilie entstamme, eine Vermutung, die er mit aller gebotenen Vorsicht zur Erörterung stellt.

II. Leben. Die Quellen über C.s äußere Lebensverhältnisse fließen ziemlich spärlich. Die Hauptquelle bildet sein liber, und darin vorzugsweise die kleinen lyrischen und epigrammatischen Gedichte; freilich bedürfen zahlreiche Anspielungen aufhellender Auslegung, die nicht selten mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Manche Ergänzung gewährt das spätere lateinische Schrifttum. Nach Hieronymus’ bereits zitierter Angabe, die wahrscheinlich auf Suetons Schrift De poetis zurückgeht, ist C. im J. 87 v. Chr. geboren; der gleiche Kirchenvater gibt chron. zum J. 1959 = 58 v. Chr. (nach manchen Hss. zum J. 57 v. Chr.) an: Catullus XXX. aetatis anno Romae moritur (p. 154 H.). Daß die Angabe des Todesjahres nicht richtig sein kann, erhellt aus mehreren geschichtlichen Begebenheiten, auf die C.s Verse anspielen. So setzt Gedicht 11 (v. 11f.) Caesars ersten Rheinübergang und die erste Überfahrt nach Britannien (vgl. hierzu auch Ged. 29, 20), also das J. 55, voraus; in das gleiche Jahr fällt Pompeius’ zweites Konsulat, auf das c. 113 Bezug nimmt. Gedicht 53 bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Rede, mit der Calvus im J. 55 eine Anklage de ambitu vertrat. Vielumstritten ist der zeitliche Ansatz des Gedichtes 52, das aber in jedem Falle erst nach dem J. 57 entstanden sein kann. Denn entweder ist mit dem hier v. 2 erwähnten Nonius (sella in curuli struma Nonius sedet) der Volkstribun des J. 56 Nonius Sufenas gemeint oder L. Nonius Asprenas, der erst im J. 55 die Ädilität bekleidete (G. Friedrich Komm. 238); hat unser Dichter hier an Nonius Sufenas gedacht, so könnten diese Verse erst im J. 54 geschrieben sein, weil Sufenas nicht unmittelbar nach dem Tribunat Ädil sein konnte (Mommsen St.R. I 534. W. Kroll Komm2 93). Endlich hat K. Lachmann die mehrfach gebilligte Ansicht vertreten, C. habe noch im J. 47 gelebt, da Vatinius (c. 52, 3 per consulatum peierat Vatinius) im J. 47 consul (suffectus) war. Diese Aufstellung muß aber als unerträglich erscheinen, da Caesar im J. 47 überhaupt keine kurulischen Beamten gewählt hat, so daß der ,Blähhals‘ Nonius nicht auf dem kurulischen Stuhl sitzen konnte (Dio XLII 20, 4 u. 27, 2); was aber Vatinius anlangt, so konnte er, dem die Erlangung der Konsulswürde gewiß war, sich in seiner dünkelhaften Anmaßung schon vorher beim Konsulat Meineide leisten (Cic. in Vat. 2, 6; 5, II; schol. Bob. p. 144, 15 St.): s. auch R. Ellis Commentary p. 142. Daß C. nach dem J. 57 sicher gelebt hat, erweist endlich noch die Erwähnung der porticus am Pompeiustheater (c. 55, 6 in Magni simul ambulatione), das im J. 55 geweiht wurde. Im übrigen aber findet sich in C.s erhaltenen Dichtungen keine Stelle, in der man mit Sicherheit eine Anspielung auf die Zeit nach 54 v. Chr. feststellen könnte. Wenn auch Schlüsse ex silentio im allgemeinen mit größter Vorsicht aufzunehmen sind, mag hier immerhin die Hypothese W. Krolls (in Teuffels Gesch. d. röm. [2356] Lit. I6 522) verzeichnet sein, daß C. die Zeit nach 52 schwerlich mehr erlebt habe, da die J. 54–47, namentlich aber 52 und 49 einen wahren Stoffreichtum für schlagende Spottverse dargeboten hätten. Ein zweifelsfreies Zeugnis für unseres Dichters frühen Tod bietet uns sein Verehrer und Nachahmer Ovid in den Amores (III 9, 61f.), wo er C. mit dem ebenfalls kurzlebigen Tibull Zusammentreffen läßt: Obvius huic (= Tibullo) venias hedera iuvenalia cinctus tempora cum Calvo, docte Catulle, tuo. Da sich gegen die Richtigkeit des von Hieronymus verzeichneten Geburtsjahres 87 keinerlei stichhaltige Einwände erheben lassen, ist C., wenn wir mit anderen des Dichters Tod in das J. 54 oder 53 verlegen, tatsächlich in jungen Jahren dahingegangen. Abschließend sei noch erwähnt, daß einige Forscher Hieronymus’ (bzw. Suetons) Angabe, C. habe ein Alter von dreißig Jahren erreicht, ganz wörtlich nehmen und für richtig erachten; diese lassen des Dichters Geburt in das J. 84 fallen und begrenzen seine Lebenszeit durch die J. 84–54. Völlig ungerechtfertigt erscheint uns aber B. Schmidts Annahme, der diese dreißig Jahre in den Zeitraum 82–52 verlegen will (Ausg. LXII), eine Aufstellung, für die M. Erdmann Woch. f. kl. Phil. 1888, 1405 einzutreten versuchte. – Im allgemeinen vgl. zu diesen Fragen noch L. Schwabe Quaest. Catull. lib. I p. 33ff. und B. Schmidt Rh. Mus. LXIX (1914) 267ff. R. Helm Philol. Suppl.-Bd. XXI S. 37–39.

C. entstammte einer wohlbegüterten Familie und war auch selbst wohlhabend: sein Vater, ein hochangesehener Bürger der römischen Pflanzstadt Verona, hatte unter anderem eine Villa auf der Landzunge des Gardasees zu Sirmio (in c. 31 von C. verherrlicht) und unser Dichter nannte ein Landgut mit einem Landhaus bei Tibur sein eigen (44); unsicher ist, ob er außerdem noch ein Haus zu Rom (68, 34f.) besaß. Auch die Höhe der Beträge, die C. gelegentlich verausgabte oder die von ihm gefordert wurden, beweisen seine Wohlhabenheit: vgl. 41, 2. 103, 1. 23, 26. Daß er sich bei seinem wenig gezügelten Leben hin und wieder in Geldverlegenheit befand (wenn die sprichwörtliche Redensart in 13, 8 nicht harmloser Scherz ist) und daß er darum seine Villa vorübergehend verpfändete (26, falls v. 1 nicht mit Kroll2 nostra zu lesen ist), wenn ihm sein Vater nicht beisprang, das durfte niemals zu der Hypothese verleiten, C. sei dauernd von Armut bedrückt gewesen – eine alte Fehlmeinung, die aber noch in neuerer Zeit Anhänger findet: vgl. H. J. Rose Catullus Class. Journ. XVI (1921) 553. Noch weniger darf man eine solche Vermutung aus 10, 7ff. oder 28, 7ff. gewinnen wollen, wo ja lediglich von der Erwartung, sich in Bithynien bereichern zu können, und von der dabei erlebten Enttäuschung die Rede ist.

Mag auch die lombardische Landschaft schon damals ihre lockenden Reize ausgestrahlt, mag sich der gesellige Verkehr zwischen C.s Vaterhaus und der Nachbarschaft lebhaft und anregend gestaltet haben: den hochbegabten, frühreifen Jüngling zog es offenbar bald nach dem Mittelpunkt des italischen Geisteslebens, nach der ewigen Stadt. Wann C. nach Rom kam, wissen wir nicht; schwerlich aber dürfte er damals mehr als achtzehnjährig [2357] gewesen sein. Ebenso ungewiß bleibt es, ob ihn der Vater dorthin zum Studium beorderte, da er ihn für die politische Laufbahn bestimmt hatte (v. Wilamowitz Hellenist. Dicht. II 309); immerhin aber gewinnt diese Auffassung an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, daß C. daselbst zu dem gefeierten Redner Hortensius Hortalus in Beziehungen trat (65, 2ff.), der ja als einflußreiche Persönlichkeit bekannt war: vgl. Kroll Komm.2 z. St. Indes mangelte es C. ebenso wie einem Ovid (trist. IV 10, 19f.) an jedem politischen Ehrgeiz. Ihn für einen überzeugten Republikaner (,ihm glänzte die Herrlichkeit der alten Republik in treuer SeeleO. Ribbeck) oder für einen Anhänger der Demokratie (,ein glühender Demokrat‘ H. J. Rose) zu erklären und den Beweis dafür in seiner Einstellung zu Caesar und Pompeius zu erblicken, ist durchaus abwegig: seine Gegnerschaft wider beide Machthaber hat rein persönliche Hintergründe.

Im übrigen nahm er in Rom, wo er die Genüsse der Großstadt mit Behagen kostete, Fühlung mit einem Kreise lombardischer Landsleute, die ihm die Bekanntschaft mit anderen vorwiegend dichterisch tätigen Persönlichkeiten (freilich recht ungleichen Ranges) vermittelten. Es steht außer Frage, daß dieser anregende Verkehr sowie das rauschende Leben der Hauptstadt zur Förderung seiner allgemeinen Ausbildung, vor allem auch zur Entfaltung seiner Dichtergabe nicht wenig beitrugen. Von tiefster Wirkung aber auf sein Wesen und Schaffen war die fessellose Liebesleidenschaft zu einer ebenso geistreichen wie berüchtigten Römerin, deren wahren Namen er unter dem Pseudonym Lesbia (Ovid. trist. II 427) verhüllt, das mit einer deutlichen Beziehung auf die von C. gern gelesene Sappho wohl eine Huldigung für die Geliebte sein sollte; dies macht insbesondere sein erstes Lied an Lesbia (51) wahrscheinlich, dessen erste drei Strophen die ziemlich getreue Nachbildung einer berühmten Sapphischen Ode (vgl. περὶ ὕψους c. 10) darstellen. Nach dem Zeugnisse der Alten war Lesbias wirklicher Name Clodia (Apul. apol. 10) und es darf als gesichert gelten, daß man in ihr die zweitälteste Schwester des berüchtigten Volkstribunen P. Clodius Pulcher zu erkennen habe, die mit ihrem Vetter, dem Praetor und nachmaligen Konsul (des J. 66) Q. Caecilius Metellus Celer in unglücklicher Ehe lebte. Der Begründer dieser Annahme, P. Vettori (Victorius, 16. Jhdt., in seinen Variae lectiones XVI 1), hat reiche Zustimmung gefunden; gerade die maßgebendsten Forscher, so u. a. Schwabe, Ellis, K. P. Schulze, in neuester Zeit Schanz, Kroll, Hosius, v. Wilamowitz (Hell. Dicht. II 308) sind ihm gefolgt. Diese vornehme, männersüchtige Frau zog den gutgläubigen, welt- und lebensunkundigen Jüngling aus der Kleinstadt eine Zeitlang ihren früheren Liebhabern vor, ließ ihn aber bald wieder in ihrer Gunst sinken, nachdem sie ihn seelisch völlig zugrunde gerichtet hatte. Das Bild dieser schönen Frau mit den wundervollen Augen (βοῶπις nennt sie Cicero in seinem Briefwechsel) und der anmutvollen, adeligen Gestalt (vgl. c. 43 u. 86) blieb aber in seiner Seele mit unauslöschlichen Strichen gezeichnet. Selbst nach starken Zerwürfnissen kehrte er wieder zu ihr zurück; und [2358] selbst dann noch, als er bereits klar erkannt hatte, daß Lesbia mit seiner Treue ein grausames Spiel getrieben, weiß er seinem Schmerze kaum zu gebieten und will von einer Trennung nichts wissen. Endlich siegt die Zeit und die Sehnsucht weicht, wenn auch schwer und widerstrebend, aus seinem gebrochenen Herzen. Die einzelnen Phasen und eine genaue Zeitabfolge dieses Liebesromans lassen sich freilich aus C.s Gedichten nicht mit zwingender Deutlichkeit rekonstruieren. Versuche mehr oder minder ansprechender Art liegen dazu vor von L. Schwabe Quaest. Catull. 129ff. R. Westphal C.s Gedichte Breslau 18702, 33–61 und 100–149. W. T. Lendrum Class. Rev. IV (1890) 29ff. R. Strelli Quaest. Catull. St. Paul 1906. J. Sobry Rev. Belge III (1924) 391ff.

Die Identität Lesbias mit der genannten Clodia wurde von einzelnen Gelehrten bis in die jüngste Zeit angezweifelt; man wollte in ihr entweder die dritte Schwester des Clodius, Lucullus’ geschiedene Gemahlin (M. Rothstein Philol. LXXVIII 1923, 1–34) oder eine andere nicht weiter bestimmbare Clodia jener Zeit erblicken; Bedenken dieser Art äußerten unter anderen W. Vorländer De Catulli ad Lesbiam carminibus, Bonn 1864; F. Hermes Beiträge zur Kritik und Erklärung des C., Frankf. a. d. O. 1888, 1–6 und in neuester Zeit mit besonderer Hartnäckigkeit G. Giri Se Lesbia di Catullo sia Clodia, la sorella di P. Clodio in der Riv. indo-greco-ital. VI (1922) 161ff. mit Nachträgen im Athenaeum VI (1928) 183ff., 215ff. – Zunächst sei erneut festgestellt, daß für die Gleichsetzung Lesbias mit der bezeichneten Clodia eine ganze Reihe gewichtiger Gründe spricht. Jedenfalls stimmen alle ihre kennzeichnenden Merkmale, die wir bei C. antreffen, mit der Charakteristik, die Cicero in der Rede für Caelius von ihr gibt (bes. § 18. 32. 34f. 38. 47. 49), in auffallendster Weise überein. Mag der Verteidiger Cicero auch beim Entwurf ihres Bildes die Farben allzu dunkel gemischt haben, da sie ja die Anklage gegen Caelius angestiftet hatte, dessen Buhlerin sie einst gewesen, so bleiben doch alle für uns wesentlichen Punkte aufrecht: Clodia war eine vornehme, reiche Dame von seltener Schönheit, aber auch von aufsehenerregender, stadtbekannter Sittenlosigkeit; sie war eine vermählte Frau (vgl. Cat. 68, 145), sie unterhielt aber auch – und dies ist das stärkste, durchaus beweisende Argument für jene Gleichsetzung – lasterhafte Beziehungen zu einem Lesbius (= Clodius; vgl. Cat. 79), der mit unverkennbarer Anspielung auf P. Clodius’ Beinamen hier pulcher genannt wird. Es müßte in der Tat nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn solche schlagende und zum Teil ganz eigenartige Zusammenklänge wie vor allem das Lesbius-pulcher-Argument nicht vollkommen überzeugende Belege wären. Ferner ist der Rufus des 77. Gedichtes höchstwahrscheinlich, wie zuerst Muretus annahm, mit M. Caelius Rufus identisch, der nach Ciceros Rede eine vorübergehende Liebschaft mit Clodia hatte und dem Dichter sein großes Lebensglück (Cat. 77, 4), also die Liebe Lesbias, raubte; er löste eben C. bei ihr ab (Kroll Komm.2 250). Ferner schildert Cicero (Att. I 18, 1) mit den Worten Metellus non homo, sed litus atque aer et solitudo mera das Wesen von Lesbias Gemahl [2359] in der gleichen, für diesen nicht eben schmeichelhaften Weise wie unser Dichter (83, 1–3). Und schließich passen die ungeheuerlichen Dinge, die Cicero von ihrer Zuchtlosigkeit vor Gericht offen zur Sprache brachte, sowie Clodias Spitzname quadrantaria (Caelius bei Quint. inst. VIII 6, 53. Plut. Cic. 29, 5; deutliche Anspielung darauf bei Cic. Cael. 62), der auf ihre Bereitschaft, mit ihrer Gunst bis zum niedrigsten Stand herabzusteigen, hinwies, nur allzu gut zu C.s schmerzlichem Aufschrei Lesbia: ... nunc in quadriviis et angiportis glubit magnanimi Remi nepotes (58): sie war also zur Viergroschendirne geworden; vgl. noch Catull. II, 17f. u. 37, 15; s.: Ribbeck Gesch. d. röm. Dicht. I 320 u. o. Bd. IV S. 106f. Es ist demnach nicht verständlich, wenn Giri a. O. die Schilderung ihres dirnenhaften Treibens, die Cicero (Cael. 49) gibt, nicht im Einklange mit C.s 58. Gedicht finden will. Um die Gleichsetzung Lesbias mit der jüngeren Clodia als unglaubwürdig hinzustellen, unternimmt er ferner die Beweisführung, daß der Caelius des 58. und 100. Gedichtes nicht dieselbe Person sein könne, wie der Rufus in c. 69 und 77: es könne sich nicht in beiden Fällen um Clodias Liebhaber Caelius Rufus handeln. Das ist ohne Frage richtig, beweist aber so gut wie nichts in der Lesbia-Clodia-Frage. Schon wegen c. 100, 5ff. wird man mit Kroll Komm.2 103 und anderen Gelehrten unter dem Caelius des 58. Gedichts lieber den Veronenser verstehen als mit G. Jachmann Gnom. I (1925) 201 den Liebhaber der Clodia M. Caelius Rufus: man sieht somit, daß selbst Giris Voraussetzung, der Caelius von c. 58 und 100 sei die nämliche Persönlichkeit, auf recht schwachen Füßen steht. Zur ganzen Frage vgl. die lichtvollen Ausführungen H. Rubenbauers Bursian 212 (1927), 171f.; s. noch F. Arnaldi Catullo e Clodia, Riv. filol. V (1927) 350–356. E. Cotarelo y Mori Clodia y el poeta C., Revista de la bibl., archivo y museo XII (1935) 233ff. – Es erübrigt hier noch darauf hinzuweisen, daß man auch nach dem Grunde forschte, der C. zur Wahl des Decknamens Lesbia bestimmt habe. Nun behauptet zwar Apoll. Sid. epist. II 10, 6 (p. 46 Mohr), C.s Lesbia sei selbst eine Dichterin gewesen und der Angabe dieses phrasenreichen, zopfigen Duodezschreibers hat E. Baehrens schlechthin Glauben geschenkt (Komm. zu c. 51); er meinte, C. habe mit diesem Namen ihren Versen seine Anerkennung bezeigen wollen. A. B. Weston The Lesbia of C., Class. Journ. XV (1921) 501 vertritt demgegenüber eine wohl zu weit hergeholte Ansicht: er möchte aus der Tatsache, daß c. 51 die Nachbildung eines Huldigungsgedichtes der griechischen Dichterin an eine Landsmännin war, die Folgerung ziehen, C. habe seiner Geliebten damit andeuten wollen, daß sie dem von Sappho besungenen Mädchen an Schönheit gleiche und ihn durch den Zauber ihrer Reize ebenso bestricke wie jene junge Lesberin einst die griechische Dichterin begeisterte. Die Aufstellung, Clodia habe selbst den Parnaß bestiegen, läßt sich durch keinen vollwertigen Beleg stützen, was auch Giri (S. 171) richtig erkannte. Das Ganze, was man mit ernsthafter Glaubwürdigkeit über die Wahl des Decknamens Lesbia behaupten kann, hat unseres Erachtens v. Wilamowitz a. O. II [2360] 307 mit den Worten gesagt: ,In ihm (= in Gedicht 51) hat die Geliebte diesen Namen (Lesbia) erhalten, der an Sappho erinnern soll.‘ – C.s erste Zusammenkünfte mit Clodia fallen in die Zeit, da deren Gemahl Metellus noch am Leben war: dies ergibt sich aus c. 68, 67ff. und c. 83. Als Metellus im J. 59 eines plötzlichen Todes starb, wollte ein zähes Gerücht wissen, Clodia habe den lästigen Ehegenossen durch Gift aus dem Wege geräumt.

Im Frühjahr 57 ging C. im Gefolge des Propraetors C. Memmius in die Provinz Bithynien; vielleicht hatte des Dichters Vater in guter Kenntnis von seines Sohnes zerrüttendem Nichtstuerdasein diese Reise vermittelt. Er mochte sich der angenehmen Erwartung hingeben, C. werde in der neuen gesellschaftlichen Umgebung Interesse für den Verwaltungsdienst gewinnen und so die Geldmittel zurückerwerben, um die ihn sein kostspieliges Leben in der Hauptstadt gebracht hatte. Ein Jahr verweilte er in Kleinasien; dann kehrte er zurück (Frühjahr 56), in jeder Hinsicht arg enttäuscht. Darauf deutet schon die Ungeduld, mit der er sich aus Bithynien fortsehnte (46, 4f.), und der unbändige Herzensjubel, mit dem er sein Sirmio bei der Ankunft begrüßt (31); daß er sich in der Hoffnung auf Bereicherung betrogen sah, sagt er selbst: 10, 9ff. u. 28, 75. Wohl auf Rückfahrt besuchte er in Troas die Grabstätte seines älteren Bruders (101), dessen früher Tod neben Lesbias Untreue sein schmerzlichstes Erlebnis war. C.s Bruder muß, das beweisen die Anspielungen in der Elegie an Allius (68), in der Zeit vor dem J. 60 gestorben sein: damals lebte Lesbias Gatte noch (v. 67ff.), während C. im gleichen Gedichte den Hingang des Bruders beklagt (v. 19ff., 90ff.). – Nach seiner bithynischen Reise mag C. (nach der scharfen Absage an Clodia, s. c. 11) noch manche Liebelei angeknüpft haben; wahrhaft geliebt hat er zeitlebens nur Lesbia. Und v. Wilamowitz wird recht behalten, wenn er erklärt (a. O. II 380): ,Von seinen ersten dichterischen Versuchen bis zu seinen letzten Versen hat C. die Lesbia geliebt. Wer da meint, das wäre zu lange, um glaublich zu sein – habeat sibi.‘

Sonst erfahren wir von des Dichters äußeren Lebensumständen nicht viel. Seine Gereiztheit gegen den Offizier Mamurra, der in denselben Kreisen wie er verkehrte (vgl. c. 41 u. 43) und offenbar bei der Weiblichkeit Oberitaliens und wohl auch Veronas viel Glück hatte (vgl. Krolls Komm.2 zu c. 29), ist schon dadurch hinlänglich erklärt. Da aber Mamurra ein Günstling Caesars war (der ihn durch seine ,verkehrte‘ Freigebigkeit in die Lage versetzte, den Damen gegenüber den splendiden Gentleman zu spielen), so übertrug sich C.s Verärgerung auch auf diesen und den mit ihm verbündeten Pompeius. Caesar war durch die Angriffe des Dichters schwer getroffen worden: es war ihm klar, welche Wirkung Schmähverse eines Poeten vom Range C.s auf die öffentliche Meinung haben konnten. Caesar stand mit dem Vater des Beleidigers, wie erwähnt, schon lange in gastfreundschaftlichen Beziehungen; da wir nun erfahren, daß der grimmige Invektivenverfasser später mit dem Geschmähten zum Frieden kam, so könnte die Versöhnung [2361] irgendwie durch des Dichters Vater vermittelt gewesen sein; vielleicht war sie durch einen klugen Kniff des findigen Caesar veranlaßt. Soviel wird man wohl auf Grund einer Suetonstelle im Leben Caesars (c. 73, p. 35 Ihm) vermuten dürfen, wo übrigens auch von Calvus’ Versöhnung mit dem großen Staatsmann die Rede ist; es heißt da: ,C. Calvus hatte ehrenrührige Epigramme (auf Caesar) veröffentlicht, suchte sich aber durch Vermittlung von Freunden mit Caesar auszusöhnen: da schrieb ihm dieser selbst aus freien Stücken, und zwar zuerst. Und durch die Verse des Valerius Catullus auf Mamurra fühlte er sich selbst dauernd angeprangert; doch lud er ihn am gleichen Tage, an dem sich [Catull entschuldigte, zu seiner Tafel und hielt auch nach wie vor mit seinem Vater die alte Gastfreundschaft aufrecht.‘ Vielleicht hätte sich nun der Dichtertrieb C.s, der im Sturm und Drang seiner jungen Jahre der Muse bisher meist in wirrer Zügellosigkeit gedient hatte, reiner und reicher erschlossen: da knickte ein rauhes Geschick die eben erst entfaltete Blüte. Nicht viel über dreißig Jahre alt, raffte ihn der Tod dahin. – Literatur: O. Ribbeck C. Valerius C., eine literarhistorische Skizze, Kiel 1865 (wenn auch in einzelnen Fragen überholt, so doch heute noch lesenswert). H. Macnaghten Story of C. London 1899. K. P. Harrington C. and his influence Boston 1923, worin S. 3–44 ein Lebensbild des Dichters entworfen und mehrfach der Versuch unternommen wird, aus den Begebenheiten seines Lebens Schlüsse auf die Entstehungszeit einzelner Gedicht zu ziehen. T. Frank C. and Horace, two poets in their environment New York 1928 (fesselnd geschriebene, wenn auch nicht immer zwingend bewiesene Eingliederung der psychologisch erfaßten Erlebnisse C.s in die politischen Zeitereignisse). T. Tosi C. e la sua poesia Florenz 1937. F. A. Wright Three Roman poets: Plautus, C., Ovidius London und New York 1938 (volkstümliche Darstellung für Altertumsfreunde).

III. Der Mensch und seine Wesensart. Der wahre Götterfreund und vielgeliebte Dichter C. war eine stark empfindende, leidenschaftliche Seele, die auf alle Eindrücke rasch zurückwirkte. Seine tiefe lyrische Innerlichkeit verrät uns einen Menschen nordischen Blutes und durch die Intensität seiner geradlinig-unbekümmerten Eigenheit sowie durch seine Begeisterungsfähigkeit erweist er eine gewisse Verwandtschaft mit dem einzigen überragenden Großgeiste der Römerdichtung: mit Lukretius. Obzwar C. aller Offenheit freund war, hat er doch dem gleißgoldigen Heuchlergetriebe der sog. vornehmen Welt, mit der er viel in Berührung kam, keinen Kampf angesagt. Er blieb dem Zeitgeschmack willig ergeben und der liebte in jenen ,besseren‘ Kreisen selige Schlendertage und ein um Sittlichkeitsbegriffe unbesorgtes Sichausleben. Nichtsdestoweniger erkennen wir in ihm eine vom Hauche der Genialität berührte Persönlichkeit. Wohl hat er in seinen Dichtungen nach hellenistischer Art seinen Bildungserlebnissen breiten Raum gewährt, aber selbst hier läßt er die eigene Note durchaus nicht vermissen; und in den nugae hat C. trotz allen auch hier wirksamen hellenistischen Einflüssen mit bewundernswerter Inkraft und Lauterkeit [2362] seinen Urerlebnissen freie Bahn gebrochen. Auch wenn er einmal ein Wort zum politischen Geschehen seiner Zeit fallen läßt (wie in c. 52), tut er es ohne Verblümung und wir fühlen auch hier das Walten eines schier hemmungslosen Herzens. So ist es denn verständlich, daß dieser so mutwillige und so lebensfrische Musenliebling für jeden, der die Kunst vor allem um ihres seelisch-sachlichen Gehaltes willen, aber auch, insofern sich dies davon absondern läßt, um ihrer vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten, ihrer Persönlichkeitsreize, ihrer Launen und Einfälle, kurz ihrer immer neu erblühenden und wechselnden Gewandungen willen liebt, eine der fesselndsten Erscheinungen des antiken Schrifttums werden konnte.

Liebe und Haß in deren weitestem Wortverstande wohnen in seiner Brust und in beiden zeigt er sich als Dichter wie als Mensch gleich überschäumend. Als er in jungen Jahren nach Rom kam (s. unter II.), war die einstige Heldenkraft des Römertums gebrochen. Die Zeiten, da ein kerniges Römervolk arbeitsam und tatenfroh die Hände regte, waren unwiederbringlich dahin. Roms Vormachtstellung hatte bereits Angehörige der verschiedensten Völkerschaften, darunter Asiaten, Mauretanier, Ägypter, Juden, auf die italische Halbinsel gebracht und das entstandene dekadente Rassengemenge führte nun allmählich, aber unaufhaltsam zur sittlichen Zerrüttung. So war denn der Boden bereitet, auf dem schmausende und zechende junge Herren in tollem Spiel und in zügelloser Liebe ihre Lebensaufgabe sahen und sich in modischer Geckerei, in Nichtstun und Schuldenmachen gefielen. Und dieses Treiben einer hoffnungsbaren Jugend, deren Väter unter Sulla das Gift asiatischen Wohl- und Lasterlebens in sich gesogen hatten (Sall. Cat. 11, 5), nährte ein Catilina, dem nicht bloß die jungen Leute der machtvollen Weltstadt, sondern auch die unerfahrenen Jünglinge aus den Pflanz- und Landstädten (ebd. 17, 4) in hellen Scharen zuströmten. Und da es bei den Umsturzplänen dieses Vabanque-Spielers vielfach um ein Gewinnen hoher politischer Posten ging, leisteten ihm, von seiner berückenden Eigenart berauscht, nicht die schlechtesten Köpfe unter ihnen Gefolgschaft. Es ist nun für C.s Poetennatur bezeichnend, daß er am politischen Getriebe kein Wohlgefallen fand; er trat nirgends als Politiker hervor und befaßte sich mit Staatsfragen lediglich als Privatmann. Allein von der herrschenden Sittenlosigkeit wurde auch er angekränkelt, und sie hat seinen Aufstieg zu wahrer Größe als Mensch vereitelt: in seinem Tun und Lassen war und blieb er trotz manchen edlen seelischen Regungen ein Kind seiner durchaus wurmstichigen, Erlösung suchenden Umsturzzeit. B. Mosca La psicologia politica di Catullo At. e Roma VIII (1927) 52–68. G. Funaioli Aevum II (1928) 435f.

Im Umgang mit seinen Freunden, mit denen er in Scherz und Ernst verkehrte, entfaltete sich eine der schönsten Seiten seines Charakters: der Sinn für treue Freundschaft. Den Gefährten seines Lebens und seines Kunstkreises zeigte er ein offenes, zärtlich, ja stürmisch liebendes Herz (9. 14. 35. 50. 68) und eine warme Teilnahme in guten und bösen Tagen (1. 46, 9. [2363] 47. 53. 96); doch wurde er bei seinem überlebendigen Gefühl auch leicht zu Zorn und Angriff gereizt, wenn er durch Teilnahmslosigkeit, Treulosigkeit oder Bosheit verwundet worden war (30. 38. 77 u. a.); vgl. C. Scelfo Mondo class. III (1933) 494ff. Auch wer von Fernerstehenden durch irgendeine Schwäche oder Schlechtigkeit seinen Widerwillen erregte, wußte ein Lied von dieser seiner Reizbarkeit zu singen (6. 15. 17. 25. 28. 29. 33. 36 usw.).

Daß C. bald nach Ablegung des Kinderrocks (71 v. Chr.) auf die ersten Liebesabenteuer ausging (68, 15–18) und der Frau Venus eifrig huldigte (v. 17 multa satis lusi), wird niemand wundernehmen, der das heiße Blut der frühreifen, südländischen Jugend kennt; vgl. auch Ter. Andr. 51; Prop. III 15, 3. Aber es ehrt ihn und bezeugt seine vielfach sich äußernde Bruderliebe, daß er nach des Bruders frühem Hingang so tief gedrückt und verstimmt war, daß ihm die Lust zum leichten Spiel der Liebe vergällt war: 68, 19ff.; vgl. auch 101, 2ff. Als er in die Tore der prangenden Weltstadt eingewandert war, unterhielt der glühende Jüngling manche flatterhafte Liebelei, ehe er in Lesbias ehebrecherischen Bann geriet.

Der Boden der Großstadt war es, der seinem innersten Wesen entsprach. Hier ließen sich alle Bedürfnisse eines flotten, jungen Lebemannes befriedigen, hier konnte man im Menschengewoge leicht untertauchen und war vom lästigen Klatsch, der in der Kleinstadt üppige Blüten treibt, völlig unbehelligt. Kaum in den Zauberkreis des hauptstädtischen Getriebes geraten, scheint C. verhältnismäßig rasch mit der Siebenhügelstadt verwachsen zu sein und wollte dann anderswo nicht mehr leben. Dies darf man aus den Versen des an Allius gesandten Gedichtes 68, 34f. Romae vivimus: illa domus, illa mihi sedes, illic mea carpitur aetas herauslesen; in dieser Hinsicht bekundet unser Dichter eine gewisse Seelenverwandtschaft mit dem typischen Großstadtmenschen Ovid. Wie sehr C. in Rom heimisch wurde, lehren uns unter anderem jene Verse, die auf das rus und auf die provincia mit unverkennbarer Geringschätzung herabsehen: 22, 14. 36, 19. 43, 16. Als er solche Zeilen schrieb (mögen auch die ersten zwei Stellen einen formelhaften Anflug haben), fühlte er sich offenbar bereits ganz als Großstädter.

Als Großstadtmensch jener Zeit erweist er sich auch in seinem Verhältnis zur Religion. Weder aus der feierlichen Anrufung und Verherrlichung des Hochzeitsgottes in 61 (v. 1–75) noch aus seinem Hymnus auf Diana (34), einem Kultlied von altertümlich anmutender Schlichtheit, läßt sich ein tieferes religiöses Empfinden C.s nachweisen. Er wandelt da ganz auf den Spuren der überkommenen Sagen sowie des hergebrachten Götterglaubens und erbringt hier wie in anderen bloß gelegentlichen Anspielungen auf Göttermythen lediglich den Nachweis des Eingeweihtseins in die Überlieferung; wo er aber die Kenntnis sehr entlegener Sagenstoffe offenbart, will er als poeta doctus glänzen. Fühlen wir aber auch in seinen Lobversen auf das segensreiche Wirken einer Einzelgottheit (wie Diana und Hymenaios) keine innere Saite mitschwingen, [2364] so liegen die Dinge in c. 76 doch anders: ein starkes Gottvertrauen spricht da aus den Versen (1ff., 17ff., 26) und der zuversichtliche Glaube an die hilfreiche Göttermacht lebt darin noch wie ein atavistisches Überbleibsel aus Roms gesünderen Tagen.

Dem Wesen C.s entsprach seine Freude an einem kräftigen Wort. Allerdings versteigt sich seine Rede, besonders in den kleineren Gedichten, nur allzu oft über das Maß des rechten Anstandes bis zum schmutzigen Bild, bis zur lümmelhaften Unfläterei: aber diese Roheit ist meist der frei herausplatzende Ausdruck einer augenblicklichen Entrüstung, der des Dichters Brust entladen und erleichtern soll. Manches Kraftwort verschuldet auch das heiße Blut des großsprecherischen, flunkernden Jünglings, der nun freilich an Derbheit und rachsüchtiger Bosheit zuweilen mehr leistet als an Witz. Aber fern ist es seiner Art, Zoten um ihrer selbst willen zu reißen: schamlose Lüsternheit, Vorliebe für versteckte Zweideutigkeit kennt er nicht.

Das leichtblütige Draufgängertum dieses Sanguinikers hat uns denn auch Dichtungen geschenkt, in denen der warme Herzschlag des Lebens pulst. Darum ergreifen uns seine Liebesverse, darum muten sie uns so frisch an wie Weniges aus dem Altertum. Und so wie er die herzgewinnendsten Töne zarter Liebessehnsucht anzuschlagen weiß, so lebensecht gelingt ihm der wilde, angriffsfrohe Schrillton der Fehde und Schmähung. Wußte er doch mit seinen schonungslosen Spottversen selbst einen Caesar in einer Weise zu treffen, daß sich dieser anscheinend bemühte, mit dem jungen Feuerkopf zum Frieden zu gelangen: vgl. Abschn. II (am Ende). Freilich brachte es C.s Jugendlichkeit auch mit sich, daß in seine Schöpfungen allerlei Unfertiges, Ungelenkes, ja Schülerhaftes einfloß: sie sind eben auch darin ein getreuer Spiegel seines Wesens und Treibens. Aber wenngleich es C. zur Ehre gereicht, daß sein künstlerisches Schaffen, vor allem die kleineren, leichteren Sachen, immerdar als Blüte vom Baum des wahrhaftigen Lebens erschaut und geschätzt werden wird, so vermag doch gerade unsere Gegenwart an der Gestalt dieses wenig tatenfrohen, in verweichlichenden Liebesdingen sich verzehrenden jungen Mannes keine ungemischte Freude zu haben. Auch verwehrte es ihm die mißgünstige Parze, die Schwelle der stürmischen Jugend zu überschreiten und eine ansehnliche Reihe völlig ausgereifter, geläuterter Werke zu schaffen (s. unter II.). Trotzdem hat er durch die Empfindungstiefe und innere Echtheit seiner Poesie nicht nur die mitstrebenden Neoteriker, sondern selbst die von ihm höchlich bestaunten und verehrten hellenistischen Sänger samt und sonders aus dem Felde geschlagen. – Literatur: R. v. Braitenberg Über das Verhältnis C.s zu seiner Zeit Prag 1882. E. G. Parodi Catullo At. e Roma IV (1923) 77ff. K. P. Harrington C. and his influence Boston 1923, p. 45–46 (,C. the poet‘). F. M. Debatin C., a pivotal personality Class. Journ. XXVI (1930) 207ff. J. Cousin Nature et mission du poète dans la poésie latine, 5: Catulle Rev. de cours et conf. 38, 2 (1937) 157ff. Manches auch in der Schrift von I. Schnelle Untersuchungen zu C.s [2365] dichterischer Form Lpz. 1933 (= Philol. Suppl. 25, 3), wo im Schlußkapitel ein Vergleich C.s mit Vergil versucht wird.

IV. Die Gedichtsammlung. Da die Dichtungen C.s fast durchaus die Sprache des Erlebten sprechen, ist es klar, daß sie nach rascher Veröffentlichung riefen. Anfangs gelangten sie einzeln oder in kleinen inhaltlich verbundenen Gruppen an gewisse Empfänger oder auch in weitere Kreise: eine Stelle wie 16, 12f. lehrt, daß die Gedichte 5 und 7 in die Hand stichelnder Beurteiler geraten waren, in 42 fordert C. von einem Dirnchen sein Gedichtheft als sein Eigentum zurück, an Q. Hortensius sandte er das übersetzte Kallimachosgedicht (66) nebst Begleitversen (65), an Allius eine Elegie (68); vgl. auch 16, 3ff. 43, 7. 54, 6. Über die Sammlung der Gedichte durch C. wird noch die Rede sein. Daß aber die Anordnung der Carmina in der heute vorliegenden Gestalt den Dichter selbst zum Urheber habe, läßt sich nicht mit Bestimmtheit erweisen, wenngleich dies vielfach behauptet wird. Der jetzige Bestand der Dichtungen deckt sich nicht vollständig mit dem, was die Alten von C. besaßen; dies lassen unter anderem einige erhaltene Bruchstücke erkennen: 2 a. 14 a. 58 a; vgl. auch 51, 8. 61, 78ff. u. 111ff. 62, 32ff. u. 41f. 64, 23 b, 253. 68, 46 u. 141. 78 a. 95, 3. Indes scheint nichts Wesentliches verlorengegangen zu sein; vgl. Plin. n. h. XXVIII 19; ein Priapeum (frg. 1f. Schw.) s. in Schwabes Ausg. 1886, 102. C. Pascal I frammenti dei carmi di C., Rendic. dell’ Ist. Lomb. LIV (1921) 440–446 (in der Ausgabe unkritisch).

Die uns überlieferte Sammlung enthält 116 Gedichte und gliedert sich in drei Teile. Die Anordnung ist in der Weise getroffen, daß die größeren Gedichte, d. i. die carmina docta 61–68, in der Mitte stehen und von den kleineren umschlossen sind, und zwar gehen die in melischen und iambischen Versmaßen abgefaßten Lieder voraus, während die Gedichte in elegischem Maße (Epigramme und die Kurzelegien 76 und 99) nachfolgen. Diese nach metrischen Grundsätzen vorgenommene Reihung läßt auch deutliche Übergänge der Gruppen zueinander beobachten: mit seinen lyrischen Versen schließt sich 61 gut an die kurzzeiligen Lieder an und die Elegie 68 leitet passend zu den Distichen der Schlußgruppe über. Auf die zeitliche Folge ist in keinem der drei Teile Rücksicht genommen, auch rein stoffliche Gesichtspunkte kommen im allgemeinen nur selten (zusammengehörig sind z. B. 2 und 3, ferner 88–91) in Betracht. Mit der Frage, inwieweit sich innerhalb der drei Hauptgruppen des Gedichtbuches feste Anordnungsgrundsätze ergeben, befassen sich Th. Birt Philol. N. F. XVII (1904) 470. U. v. Wilamowitz Sappho u. Simonides Berl. 1913, 292f.; vgl. auch W. Kroll Studien zum Verständnis d. röm. Lit. Stuttgart 1924, 225. Ältere Lit. bei Schanz-Hosius I4 295.

Was die Herausgabe der Gedichte in Buchform anlangt, so vertreten zahlreiche Forscher die Anschauung, daß uns in dem überlieferten liber eine Vereinigung mehrerer Gedichtsammlungen vorliege, deren erste den libellus mit den nugae bildete; und das Widmungsgedicht an Cornelius Nepos (1) beziehe sich lediglich auf die kleineren Gedichte (2–60), nicht auf das [2366] ganze Gedichtbuch. Begründet hat diese Hypothese E. v. Brunér De ordine et temporibus carminum Valerii C. Acta soc. sc. Fennicae VII (1863) 599ff., dem sich mit der überwiegenden Mehrzahl der Erklärer A. L. Wheeler Amer. Journ. philol. XXIX (1908) 197 und E. Norden (Gercke-Norden Einl. I 4, 29) anschlossen. Sie erachteten es als unwahrscheinlich, daß ein einzelner liber so ungleiche Gedichtgattungen zu einem Ganzen verbinde, sie betonten, daß die Ausdrücke libellus und nugae im Zueignungsgedicht nur auf die kleinen Sächelchen, nicht aber auf die Gedichte 61–68 passen, endlich, daß der Umfang des überkommenen Gedichtbuches mit seinen etwa 2300 Verszeilen weit über die Normalgröße eines antiken Buches hinausgehe: Th. Birt Das antike Buchwesen (Berl. 1882) 401f. Diese in mancher Hinsicht ansprechenden Vermutungen wurden indes mit gewichtigen Argumenten bekämpft. So hat J. Vahlen S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 1072ff. (= Ges. philol. Schr. II 714ff.) den Beweis erbracht, daß C. sehr wohl auch seine umfangreicheren Gedichte als nugae bezeichnen konnte (s. auch v. Wilamowitz Hell. Dicht. II 306), und überdies kannte man offenbar schon im Altertum nur den einen uns heute vorliegenden liber Catulli: wenn Martial IV 14, 14 und XI 6, 16 die Gedichte C.s mit Passer (gleichsam als Buchtitel) bezeichnete, so tat er dies in üblicher Weise unter Bezugnahme auf das Eingangsgedicht (2) der Gesamtausgabe; vgl. noch R. Reitzenstein o. Bd. VI S. 110 und Kroll Komm² IXf. Neuerdings berührt sich mit der Brunérschen Hypothese A. L. Wheeler in seinem umsichtigen, dem jetzigen Stande der C.-Forschung Rechnung tragenden Buche ,C. and the traditions of ancient poetry‘ (California 1934); nach seiner Meinung stellte sich die vom Dichter veranstaltete Urausgabe als eine Epigrammsammlung dar, die nach dem Muster Meleagers (Anth. Pal. IV 1) Gedichte in mannigfachen Versmaßen verband. Die ursprüngliche, von C. besorgte Ausgabe denkt sich Wheeler also nach Art eines Martialbuches als eine Vereinigung metrisch bunter Dichtungen von sehr verschiedenem Umfang. Aus diesem Buche nahm man später die in Distichen verfaßten Gedichte heraus und vereinigte sie in einem eigenen Bande; wenn aber C. selbst schon eine solche Sonderung vorgenommen haben sollte, so wird er, meint Wheeler, beide Gedichtgruppen in seiner Ausgabe geboten haben. Dies ist alles wohl denkbar, freilich nicht beweisbar. Als sicher erscheint uns nur, daß C. selbst bei der Gestaltung seiner Ausgabe auf die Versform wenig Bedacht nahm, da er ja dieselben Gegenstände in verschiedenen Maßen behandelt hat.

Daß der Dichter selbst seine Gedichte für die Veröffentlichung gesammelt hat, geht aus der Tatsache hervor, daß er die Ausgabe seinem Landsmann Cornelius Nepos zugeeignet hat; er tat dies, weil er seine Gedichte für Schöpfungen von Wert hielt. Offenbar fühlte C. ähnlich wie der junge Hölty sein herannahendes frühes Ende und wollte noch sein künstlerisches Lebenswerk zusammenfassen (v. Wilamowitz a. O. II 309). Daß er den Tag noch erlebte, an dem er das nett ausgestattete Geschenkstück seinem Freunde übermitteln konnte, bezeugt vielleicht die Widmung [2367] (c. 1), die nach Abschluß der Sammlung gedichtet ist. Darin gibt C. vor, ,daß er das erste Exemplar seines Buches vom Buchhändler erhalten hat und überlegt, wem er es widmen soll‘ (Kroll Komm.2 1). Es wird im J. 54, vermutlich in dessen erster Hälfte, gewesen sein. Ob aber die Anordnung der Gedichte, so wie sie uns jetzt vorliegt, vom Dichter selbst herrührt, entzieht sich, wie bereits angedeutet, aus Mangel an ausreichenden Kriterien unserer Beurteilung. Der Einwand, daß C. die heftig losfahrenden Epigramme wider Caesar und dessen Anhänger nicht hätte aufnehmen können, und daß die Gedichtsammlung darum in der uns überkommenen Gestalt erst nach C.s Ableben entstanden sein könne, wird durch des Dichters stürmisch-sorgloses Naturell entkräftet; außerdem zog er in manchen Belangen zwischen Kunst und Leben eine scharfe Grenze: vgl. z. B. 16, 5f. Endlich wollte man aus der Tatsache, daß der liber Catulli Bruchstücke und manches Unfertige aufweist, auf eine nachträgliche Erweiterung der vom Dichter besorgten Ausgabe durch einen seiner Freunde schließen: vgl. A. Klotz Rh. Mus. LXXX (1931) 347; doch der mangelhafte Zustand des Gedichtbuches erklärt sich wohl einfacher aus den Unbilden, die die Überlieferung erfuhr. Vgl. T. Frank Class. Philol. XXII (1927) 413f. F. Dornseiff Die Trümmer im C.-Buch Philol. LXXXXI (1936) 346; R. Herzog Catulliana Herm. LXXI (1936) 338; zu 58 a auch K. Barwick Herm. LXIII (1928) 66ff. In die Irre gehen die Ausführungen von G. B. Pighi Il libro di Catullo Veronese Racc. Ramorino Mailand 1927, 157ff.

A. Die kleineren Gedichte. Durch C.s kurze Gelegenheitsgedichte und Epigramme (1–60 und 69–116) fand im römischen Schrifttum zuerst jene Art der Lyrik Eingang, die des Dichters Person und des Dichters Erlebnisse zum Mittelpunkt hat. Unser Herz wendet sich sofort dem duftigen Gewinde der einfachen Lieder zu, die das Liebesverhältnis zu Lesbia betreffen. Die Tage sprossender Leidenschaft (51. 2. 3) und glutenwarmer Liebe (5. 7. 86. 107. 109) atmen die gleiche lebensvolle Empfindung, die gleiche offenherzige Natürlichkeit wie die Tage marternden Grames (8. 70. 72. 87. 75. 85. 58) und verzweifelnden Ruheverlangens (76. 11). Seine Freundschaftslieder und der Zyklus der Sinngedichte beweisen einen Gelegenheitsdichter von mehr als gewöhnlichem Schlage. In seiner Epigrammsammlung finden sich nebeneinander zwei Arten dieser Dichtungsgattung: das kurze, scharfpointierte der alten Zeit und das bereits zur kurzen Liebeselegie erweiterte Epigramm (76. 99). Das hier bestehende Fehlen einer scharfen Grenze zwischen Epigramm und Elegie hat F. Jacoby Rh. Mus. LX (1905) 38ff. und LXV (1910) 75ff. zu der freilich nicht bewiesenen Annahme geführt, daß die römische Elegie aus dem hellenistischen Epigramm durch dessen Erweiterung entstanden sei; siehe noch Knaack o. Bd. I S. 1402f. Gewiß ist, daß C. die epigrammatische Dichtung, mag in seine Schöpfungen dieses Genres auch manches Minderwertige mit eingeflossen sein, auf eine achtenswert hohe Stufe geführt hat: vgl. darüber O. Weinreich Die Distichen des C. (Tübingen 1926) 7 u. 76f. – [2368] Wohl gibt es römische Dichter, die C. an Erfindungskraft, an Versgewandtheit und Gedankenfülle übertreffen, doch so rein, so menschlich echt wie seine Kleindichtungen wirkt nur das Beste in aller Kunst auf uns. Er gießt den ganzen, mannigfachen Inhalt seiner Seele in seine Lieder und Liedchen; selbst für die harmlosesten Erlebnisse und Stimmungen weiß er ein anmutig Bildchen zu ersinnen. Kein römischer Dichter hat das Prinzip der Subjektivität schrankenloser zur Anwendung gebracht. Und darf man die Größe einer lyrischen Begabung nach der Intensität bewerten, mit der das dichterische Erleben in überzeugender Form zum Ausdruck gelangt, dann hat C. ein unverbrüchliches Anrecht darauf, als der bedeutendste Lyriker der Römer zu gelten.

Mit Recht wurde behauptet, daß kaum ein zweiter lateinischer Dichter an die Erklärungskunst so hohe Anforderungen gestellt hat und in manchen Fragen noch heute stellt wie C. Dies liegt an der vielfach unsicheren Textüberlieferung, aber auch an den gehäuften Schwierigkeiten der Sinndeutung. Es gibt eine ganze Reihe von Gedichten, die in sehr verschiedener Weise erläutert worden sind; so hat z. B. das Arriusepigramm (84) nicht weniger als sieben voneinander erheblich abweichende Interpretationen gefunden: s. M. Schuster Wien. Stud. XXXIX (1917) 76. T. Frank Racc. Ramorino (1927) 157. Große Schwierigkeit bereitet des öfteren die Feststellung, ob eine vom Dichter genannte Person als Freund oder Widersacher C.s anzusehen sei, und ob aus diesem Grunde ein Gedicht oder einige Verse eines Gedichtes in wörtlichem oder ironischem Sinne zu verstehen seien; auch was unter dem passer der berühmten Passerlieder gemeint sei, ist eine vielerörterte Frage. Es würde den hier zur Verfügung stehenden Raum beträchtlich überschreiten, wollten wir auch nur einen größeren Teil der in dieses Gebiet fallenden Probleme eingehender vorführen. Es seien darum nur einige Kernfragen berührt und im übrigen Hinweise auf die neuere einschlägige Literatur gegeben.

Die Passer-Frage. Die neueren Erklärer C.s sprechen entweder zögernd oder bedenkenlos die überkommene Ansicht aus, daß unter dem passer der zwei an Lesbia gerichteten Gedichte (2 u. 3) ein Sperling zu verstehen sei. Zögernd äußert sich Kroll (Komm.2 3): ,Der Sperling, wenn wirklich ein solcher gemeint ist, erfreute sich bei den Alten einer größeren Beliebtheit als bei uns‘, während Friedrich (Komm. 88) mit Bezug auf Lesbias passer von C. sagt: ,Jeder andere Spatz würde ihn kalt lassen, ihn bald langweilen‘; auch Lenchantin de Gubernatis Komm. 3f. denkt an einen Sperling. Die neuesten Literaturhistoriker gehen in dieser Frage gleichfalls verschiedene Wege: die einen sprechen von einem Sperling, so Schanz-Hosius I4 298 und Bickel 525; hingegen will C. v. Morawski in seiner Gesch. d. röm. Lit. im Zeitalter der Republik (Krakau 1922) 242 in dem Vogel Lesbias einen Stieglitz erkennen, wogegen V. Smialek Passer an carduelis Eos XXVIII (1925) 103f. mit Recht Einspruch erhebt. Es erscheint uns völlig ausgeschlossen, daß es sich in C.s Liedern um einen Sperling handle. Mit gutem Grund hat K. Dissel N. Jahrb. XXIII (1909) [2369] 65f. die alte Anschauung in Zweifel gezogen; er versteht unter dem passer C.s eine Blaudrossel (auch Blauamsel oder Blaumerle genannt, Monticola cyanus L., auch Turdus cyanus) und O. Keller hat sich ihm in seinem Buche ,Die antike Tierwelt‘ II 1913, 79f. angeschlossen; s. auch A. Kappelmacher– M. Schuster Die Lit. d. Römer, Potsdam 1934, 218. Zunächst ist die Gattung des Passer domesticus wenig leicht zu zähmen und gewöhnt sich auch nie dauernd oder in zutraulicher Weise an den Menschen: vgl. O. u. M. Heinroth Die Vögel Mitteleuropas, Berlin-Lichterfelde 1926, 1 173f.; in noch höherem Grade gilt dies vom Feldsperling (Passer montanus). Ferner ist es in der Geschichte der Vogelzucht eine unverändert gebliebene Tatsache, daß die Menschen stets die gleichen Vögel zähmten. Der Sperling aber verlockt weder durch die Schönheit seines Gefieders noch durch die seines Gesanges zur Domestikation; ein Schluß aus der Gegenwart auf die Vergangenheit ist hier statthaft. Weitere naturgeschichtliche Beweisgründe für die Annahme, daß es sich bei C. um die in ganz Südeuropa verbreitete Blaumerle, auch passer solitarius genannt (vgl. Vulgata Psalm 101, 8), handle, führt an M. Schuster Der passer C.s W. St XXXXVI (1928) 95–100. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß Anselm Feuerbach durch die Passerlieder, die er in Th. Heyses Nachdichtung kennenlernte, zu drei Schöpfungen angeregt wurde (s. M. Schuster a. O. 100), aber in keiner einen Sperling, sondern größere Vogelarten darstellte. – Ganz unglücklich ist der Versuch einer zotigen Deutung von passer durch Polizian und andere Humanisten: Stellen wie 2, 9f. und 3, 6ff. widerlegen eine solche haltlose Vermutung zur Genüge.

Freunde und Widersacher. Mehrere Schöpfungen C.s erfuhren, wie erwähnt, eine sehr verschiedene Auslegung, je nachdem man die darin apostrophierte Persönlichkeit als des Dichters Freund oder Gegner ansah. Da ist zunächst das vielbehandelte an Cicero gerichtete Gedicht 49. Ein Teil der Erklärer erblickt in diesen Zeilen ein wirkliches, ernst gemeintes, wenn auch launig gehaltenes Dankbillet, so O. Harnecker Philol. XLI (1882) 465. T. Frank Amer. Journ. XI. (1919) 409. W. Kroll Komm.2 88f.; ähnlich auch E. Bickel a. O. 143: ,Von irgendeiner persönlichen Gelegenheitsbeziehung C.s zu Cicero zeugen dessen flotte Verse an jenen‘; vgl. dazu S. 523. Indes scheint die hochgesteigerte Feierlichkeit und die mit Nachdruck wiederholte und schon deshalb nicht echt klingende Selbstherabsetzung des Dichters (v. 5f.) eine ironische Deutung des Gedichts nahezulegen. Offenbar handelt es sich um eine spöttisch-ulkige Danksagung C.s für ein als geringschätzig empfundenes Urteil Ciceros über ihn; vermutlich hat sich der Redner in herablassendem Tone über C.s poetische Bedeutung geäußert (etwa ,non pessimus omnium poeta‘). Durch dieses oder ein ähnliches gönnerhaftes Lob in seinem Dichterstolz verletzt, dankt nun C. dafür mit absichtlich überspannter Höflichkeit im Stil des großen Redemeisters (v. 4ff.). Auch der Ausdruck Romuli nepotum ist tönender Schwulst (vgl. 58, 5) und die gewöhnliche Anrede mit beiden Namen (Marce Tulli) steif und hochtrabend: der [2370] selbstbewußte Cicero hat sich selbst gern so angeredet (z. B. Catil. I 27); endlich entspricht die Steigerung des Superlativs in v. 2f. ganz der Redeweise Ciceros, z. B. Pompeius vir omnium, qui sunt, fuerunt, erunt, virtute, sapientia, gloria princeps (Dankrede an das Volk § 16). Schon H. Magnus Bursian LI (1887) 248 hatte an einen hechelnden Sinn der Verse gedacht und in jüngster Zeit ist die Zahl der Erklärer im Zunehmen, die das Gedicht als Persiflage auffassen; wir nennen unter anderen R. Reitzenstein (GGA 1904, 956), v. Wilamowitz (,das schnöde Verschen auf Cicero‘ Hell. Dicht. II 309), O. Weinreich (a. O. 18f.), der sehr passend darauf hinweist, daß der, der C.s Kompliment vor Cicero für bare Münze nimmt, auch glauben muß, C. habe sich im Ernst als pessimus omnium poeta gefühlt, und G. Funaioli (Riv. indo-greco-ital. V 1921, 147), der in diesem Gedicht eine Verhöhnung des eitlen, zur Selbstbespiegelung neigenden Redners erblickt; vgl. noch A. Pasoli De Catulli ad Ciceronem carmine Verona 1926 und W. Allen Class. Journ. XXXII (1937) 298. Die von B. Schmidt Rh. Mus. LXIX (1914) 273f. und I. Sajdak Eos XXIII (1918) 52f. neuerdings unternommenen Versuche, omnium zu patronus zu ziehen und daraus eine Spitze gegen Cicero zu gewinnen, sind wegen des unverkennbaren Parallelismus der Verse 6 und 7 als verfehlt zu betrachten.

Wurde das gespannte Verhältnis zwischen C. und Cicero mehrfach angezweifelt, so gab es über die feindselige Haltung des Dichters gegen Caesar und Pompeius niemals einen Meinungsstreit. Wie sich die neoterischen Dichter mit C. und Calvus an der Spitze gegen die Verehrung und Nachahmung der altrömischen Poesie (Naevius, Ennius) aussprachen und ihre eigenen neuen Ziele verfolgten, so traten sie in der Redekunst für die jungattische Richtung ein und in der Politik befehdeten sie mit Leidenschaft und ausgelassen-keckem Hohn die Staatsgewaltigen ihrer Zeit. Nun überwog freilich alles Schöngeistige in ihrem Denken und Trachten, und wenn sie dem größten römischen Staatsmann den Fehdehandschuh hinwarfen, so taten sie dies nicht aus gereifter politischer Erkenntnis, sondern aus jugendlich-übermütiger Freude an Widerspruch und an Auflehnung gegen eine allenthalben bewunderte Größe; eingehend und zutreffend handelt darüber O. Weinreich 17f. C. fährt auch gegen den verschwenderischen Emporkömmling Mamurra los, der sich unter Caesar als Zeugmeister unermeßlichen Reichtum erworben hatte (Cic. Att. VII 7, 6) und Mädchenherzen zu gewinnen verstand (s. Abschnitt II a. E.): doch will der Dichter in dem Günstling des Machthabers vornehmlich diesen selbst treffen. Gegen Mamurra, Caesar und Pompeius richtet sich das heftige, herausfordernde Gedicht 29; dabei ist es hier wie in allen diesen Angriffen nicht auf Kritik staatsmännischer Maßnahmen der Gegner, sondern auf Geißelung ihres Privatlebens und auf ihre moralische Herabsetzung abgesehen. Auf dieses Gedicht spielt C. in c. 54 an, das andere Favoriten Caesars verulkt und diesem selbst wie in 29 ein höhnisches unice imperator zuruft. Die beleidigendste Invektive gegen den großen Staatsmann stellt wohl das [2371] vermutlich in die gleiche Zeit fallende Gedicht 57 dar, worin ihm C. schändliche Unzucht vorwirft und ihn in sittlicher Hinsicht mit seinem berüchtigten Günstling Mamurra gleichstellt. Was bei diesen Spottversen auf Caesar besonders auffällt, ist die Tatsache, daß der hohe Staatsmann zum Vater des Dichters freundschaftliche Beziehungen unterhielt und in dessen gastlichem Hause verkehrte: s. Abschn. II (am Ende). Das 93. Gedicht mutet wie die Erwiderung C.s auf einen (mit Caesars Einwilligung oder auf dessen Wunsch hin erfolgten) Vermittlungsversuch zwischen den beiden Widersachern an, von dem aber C. in jugendlich-trotzigem Eigensinn zunächst nichts wissen wollte; s. o. Leben C.s Dieses Distichon hat Weinreich 16ff. analysiert; aber seine Ansicht, der Ausdruck albus an ater bezeichne ein Werturteil moralischer Art (,Engel oder Teufel‘) dürfte kaum zurecht bestehen: eine Durchsicht der von A. Otto Sprichw. II gebotenen Belege für diese Redensart rät von einer solchen Deutung ab. Diese sprichwörtliche Wendung diente lediglich zur Versinnlichung grenzenloser Gleichgültigkeit; im übrigen bezeichnete nicht ater, sondern niger einen homo malus: vgl. Cic. pro Caecin. 10. Horat. sat. I 4, 85. Schol. zu Pers. I 110.

Furius und Aurelius. Diese zwei in mehreren Gedichten (11. 15. 16. 21. 23. 26) einzeln oder gemeinsam genannten Persönlichkeiten hat man bald als Freunde C.s, bald als Individuen, die ihm lästig waren, angesehen und diese Gedichte sowie gewisse Stellen daraus dementsprechend erläutert. Besondere Gegensätze der Interpretation ergaben sich unter anderem bei der feierlich gehobenen Anrede der beiden Personen im ersten Teile des Absageliedes an Lesbia (11, 1ff.). Die Mehrzahl der Erklärer sieht in diesen Versen eine Verspottung der beiden ,zudringlichen Gesellen‘; wir stellen die Urteile zusammen: G. Friedrich Komm. 127f.: ,C. persifliert zuerst die Freundschaftsversicherungen des Furius und Aurelius, indem er sie übertreibt.‘ M. Lenchantin Komm. 26: ,due falsi amici di lui, Furio ed Aurelio, a noi noti solo dai sarcasmi del poeta‘, v. Wilamowitz a. O. II 307: ,Boten seiner Absage sind Furius und Aurelius, intime Freunde, die mit ihm bis ans Ende der Welt gehen würden. So sagt er, und wer das für Ernst hält, habe sein Vergnügen.‘ O. Weinreich a. O. 21: ,Es entscheidet der Zusammenhang, der ganze parodisch-pathetische Eingang der sapphischen Ode ... für Ironie‘; s. auch G. Jachmann Gnomon I (1925) 207. Dieser Deutung ist R. Reitzenstein Herm. LVII (1922) 363ff. mit durchschlagenden Gründen entgegengetreten und auch Kroll Komm.2 24 weist sie mit Recht als unzutreffend ab. Unseres Erachtens brächte eine solche Verspottung der beiden Angesprochenen einen geradezu unerträglichen Mißklang in das bitterernste, tiefempfundene Gedicht. Wie konnten aber Leute – so ließe sich einwenden – zu C.s Freundekreis gehören, denen er Massivitäten an den Kopf schleuderte, wie sie in 16, 21, 23 zu lesen sind? Wir meinen, man versteht C. nicht recht, wenn man in ihm den übermütigen, zu grobschlächtigen Derbheiten aufgelegten Spaßvogel übersieht: mit Furius und Aurelius war er eben so gut befreundet, daß er sich ihnen gegenüber [2372] die klumpigsten Kraftausdrücke (wie sie oft im Vordergrund seiner Seele lagen) erlauben durfte, ohne ein Mißverständnis von ihrer Seite befürchten zu müssen; ihnen konnte er getrost ein Pedicabo ego vos et inrumabo ins Gesicht sagen – denn sie beliebten ihm gegenüber einen kaum minder drastischen Ton und nannten ihn einen Lüstling (16, 4) und einen kläglich impotenten Kerl (16, 13). Die Eingangsverse des 15. Gedichtes zeigen, daß er gute Beziehungen zu diesen jungen Leuten unterhielt, die seine schamlosen Schäkereien lachend quittierten; Gedichte wie 21 und 23 lassen aber auch erkennen, daß sich C. diesen gleichgestimmten Seelen gegenüber wirklich kein Blatt vor den Mund nahm. Daß der Eingang des 11. Gedichtes hochtönend klingt, soll keineswegs geleugnet werden; nach unserem ästhetischen Urteil leidet er an rhetorischer Übersättigung. Aber dies entspricht durchaus gut römischer Kunstweise und Horaz bietet dazu in seiner Ode II 6 eine beachtenswerte Parallele. Vgl. J. Balogh Philol. LXXXV (1929) 103.

Abschließend seien in aller Kürze noch einige andere Deutungsprobleme in C.s kleinen Gedichten berührt. Ich greife sie aus der Fülle beliebig heraus. Th. Birt Philol. LXIII (1904) 428 wollte das Bruchstück 2 a als zum 2. Gedicht gehörig erweisen, ein Versuch, der ebenso gescheitert ist wie die beiden gleichartigen von A. F. Bräunlich Amer. Journ. Philol. XXXXIV (1923) 349 und R. G. Kent ebd. 353. Geistreich, aber nicht zwingend ist der Einfall R. Herzogs Herm. LXXI (1936) 338ff., die Bruchstücke 14 a und 2 a zu einem zweiten Eingangsepigramm zusammenzufassen. – Eine Reihe auseinandergehender Auffassungen besteht beim Phasellusgedichte (4). C. Cichorius’ übergelehrte Hypothese, daß es sich hier um den See von Apollonia in Bithynien handle (Festschrift für O. Hirschfeld Berlin 1903, 467), verdient keine Beachtung mehr. Es handelt sich augenscheinlich um den Gardasee und über alle Einzelfragen, die der Wortlaut des anmutigen Gedichtes sonst aufwirft, spricht klar und überzeugend v. Wilamowitz II 296ff. Eine verstiegene Auslegung bot E. Griset in seiner Schrift über das ,Rätsel‘ dieses Gedichtes (Pinerolo 1926); vgl. noch L. A. Mac Kay Class. Philol. XXV (1930) 77f., G. D. Kellogg Class. Weekly XXII (1929) 185ff. und P. Hoppes wohlüberlegte Ausführungen in der Philol. Woch. LIX (1939) 1139ff. und LXI (1941) 382. – Gedicht 8. Wheeler tritt a. O. für die zweifellos in die Irre gehende Auffassung dieser Selbstmahnung durch P. E. Morris Transact. of the Connect. Ac. XV (1909) 139ff. ein, der in diesem Gedichte launige Schilderungen eines Liebenden erblicken will, der das Herz seines zur Untreue neigenden Mädchens durch betont leidenschaftliche Drohungen zu erweichen hofft. Das Richtige hat offenbar schon M. Haupt Opusc. I 74f. gesehen, dessen Deutung H. Magnus Berl. Philol. Woch. XXXI (1911) 1023f. sinnvoll entwickelt hat. Vgl. noch H. F. Rebert Class. Journ. XXVI (1931) 287ff. (,dramatischer Monolog‘). – Das 13. Gedicht darf nicht, wie dies mehrfach geschieht, als höhnische Ablehnung ausgelegt werden; der Inhalt des Billetts ist Schäkerei, nicht Satire; vgl. dazu Anth. Pal. XI 34 und 44. G. [2373] Friedrichs Meinung (Komm. 133), Fabullus sei ein armer Teufel gewesen, verdient keine Zustimmung: M. Schuster W. St. XXXXIV (1925) 2275. Gegen die herkömmliche Annahme, daß Horaz in seiner Ode an Vergil IV 12 auf unser Gedicht angespielt und es parodiert habe, äußert begründete Bedenken U. E. Paoli At. e Roma VI (1925) 84f. – Für das Verständnis des 31. Gedichtes bietet J. Ulmann in seinem ,Führer durch die Halbinsel Sermione‘ (Arco 1896) einen wertvollen Behelf. Mit der Interpretation der vielumstrittenen Worte uterque Neptunus (v. 3) befaßt sich neuerdings L. Delatte L’Ant. class. IV (1935) 45; unseres Ermessens kann hier die Erklärung ,Neptun in beiden Weltgegenden‘, d. h. das Meer im Osten und Westen (vgl. H. Usener Rh. Mus. LIII 1898, 336) nicht in Frage kommen; gemeint ist vielmehr Neptun in seiner Doppeleigenschaft als Gott der Meere und der Binnengewässer: rückweisend auf stagnis marique (v. 2f.). Eine Deutung des Eingangsverses aus den noch heute wahrnehmbaren örtlichen Verhältnissen gibt M. Schuster Wien. Blätter I (1921) 12f. – Für die Erklärung und richtige Bewertung des schwierigen 34. Gedichtes bietet jetzt grundlegende Fingerzeige v. Wilamowitz a. O. II 287–291 (Hymnus auf Diana). – In der Studie zum 38. Gedicht (Mondo class. III 1933, 4945.) befaßt sich C. Scelfo auch mit der Erläuterung des Gehaltes dieses Briefchens. Die Frage nach der Ursache der Qualen des Dichters ist verschieden beantwortet worden. K. P. Schulze Beitr. zur Erkl. d. röm. Elegiker II 6 (Berl. 1898) will sie in dem Tod des Bruders erkennen, wogegen aber v. 3 entscheidet; an körperliches Siechtum zu denken (so alle älteren Erklärer) verbietet v. 8. Die Lösung des Rätsels gibt wohl G. Friedrich Komm. 199f., der als Leidensgrund Liebesweh (Lesbia) erweist; vgl. auch Kroll Komm.2 71. – Daß unter der moecha putida des 42. Gedichtes nicht Lesbia zu verstehen ist, wie viele Erklärer (auch O. Ribbeck Gesch. d. röm. Dicht. I 321) meinten, darf jetzt als gesichert gelten; vgl. G. Perrotta At. e Roma XII (1931) 455. und Q. Ficari Mondo class. II (1932) 331f. – In c. 44 liegt die Frage vor, ob C.s Angabe, er habe sich durch die Lektüre einer Schrift des Sestius ein fettes Mahl verdienen wollen, fingiert sei und ob der Dichter tatsächlich eine Einladung erhalten habe; vgl. darüber M. Schuster Charisma, Festgabe z. Stiftungsfeier des Vereins klass. Philol. Wien 1924, 42ff., H. Rubenbauer Bursian CCXII (1927) 202, ferner C. Murley Was C. present at Sestius’ dinner? Class. Philol. XXXIII (1938) 2065. – Eine für den Sinn und Aufbau des 45. Gedichtes wesentliche Deutung der Worte Huic uni domino usque serviamus (v. 14) hat G. Friedrich Komm. 223f. gegeben, ohne überall die verdiente Zustimmung zu finden. Die Hauptfragen dieses Gedichtes erörterte M. Schuster Mitt. d. Ver. kl. Philol. Wien VII (1930) 29–42, wozu A. Klotz Rh. Mus. LXXX (1931) 346 eine Ergänzung bot. Vgl. noch T. Frank Class. Quart. XX (1926) 202f. H. F. Rebert Virgil and those others Amherst 1930, 67ff. H. J. Rose Harv. Stud. XLVII (1936) 1ff.. und H. Comfort Transact. Amer. philol. assoc. LXIX (1938) 33. – Die Interpretation [2374] des vielbehandelten 51. Gedichts wird durch die gehaltvollen Darlegungen in v. WilamowitzSappho und Simonides (Berl. 1913) 58f. und 75f. bedeutend gefördert. Neueste Arbeiten zu diesem Gedicht: W. Ferrari Annali d. R. Scuola di Pisa II (1938) 595. F. Tietze Rh. Mus. LXXXVIII (1939) 346ff. E. Bickel ebd. LXXXIX (1940) 1945. Aus Sapphos Liede, das ein Hochzeitsgedicht ist, wurde bei C. etwas völlig anderes, ein Werbegedicht an Clodia. In der Schlußstrophe, deren Auslegung sehr umstritten ist, tritt sich C. gleichsam als Arzt gegenüber (Tietze); ebenda ist otium in volkstümlicher Auffassung lediglich von der Freizeit gesagt, in der man es sich wohl sein läßt. – Zur ästhetisch-kritischen Schätzung des 76. Gedichts vgl. E. Norden in seiner Röm. Lit. (Gercke-Norden Einl. I 4, 31): ,Dieses soliloquium mit dem auch rhythmisch überwältigenden Verse una salus haec est, hoc est tibi pervincendum, muß man in sich aufgenommen, auswendig gelernt, in deutsche Verse übersetzt haben, um zu empfinden, daß hier ein Höchstes vielleicht nicht an Kunst, aber an ergreifend schlichter, frommer Wiedergabe ewiger Gefühle geleistet worden ist‘; s. auch C. Pascal Graecia capta Florenz 1905, 435. – Die Antithese faciam ... heri in c. 85 erkannte zuerst E. Norden a. O. 30. Eine erschöpfende Analyse dieses berühmten Epigramms gab O. Weinreich 325. (dazu 95ff.), der auch eine lange Reihe alter und neuzeitlicher Parallelen des Haß-Liebe-Motivs beibringt. Grundlegend für die Auslegung dieses Distichons ist die Erkenntnis, daß hier ein Urerlebnis C.s durch ein Bildungserlebnis (gleiche Motive im hellenistischen Sinngedicht) seine künstlerisch vollendete Gestaltung fand. Weder die Vorgänger des Dichters (vgl. Theogn. 1091ff., Kallim. epigr. 28 W., Ter. Eun. 705. usw.) noch dessen Nachfolger (Ovid. am. III 11, 33ff., Auson. epigr. 22 und 23) reichen da an ihn heran. – In dem Gedicht auf des Bruders Tod (101) wird man aus den Worten multas per gentes (v. 1) wohl darauf schließen dürfen, daß es sich hier um die Heimreise des Dichters aus Kleinasien handelt. Gleichläufiges Motiv in der hellenistischen Poesie: Anth. Pal. VII 476. – Eine unseres Erachtens abschließende Auslegung des 109. Gedichts und zugleich dessen sinngemäße Einreihung in den Zykus der Lesbialieder hat R. Reitzenstein S.-Ber. Akad. Heidelb. 1912, 12. Abh. 11f. und 28ff. gegeben. – In dem schwierigen Distichon 112 nimmt O. Weinreich mit gutem Grunde Stellung gegen G. Jachmanns vergriffenen Versuch (Gnomon I 1925, 206), die Vermutung L. Schwabes homost quin te scindat wieder zu Ehren zu bringen: das Epigramm verlöre dadurch den sorgsam vorbereiteten Knalleffekt des Schlußwortes; vgl. auch A. Sonny Arch. f. lat. Ler. XI (1900) 132.

B. Die größeren Gedichte (61–68). Wohl haben C. und seine zeitgenössischen Kritiker diese großenteils unter stärkerem hellenistischen Einfluß stehenden Dichtungen ihrem Kunstwerte nach höher gestellt als seine carmina minora, denen wir heute den volleren Lorbeer reichen. Die glückliche Bewältigung einer verwickelten Kompositionsform (64. 68) oder eines schwierigen Versmaßes (63), die Erzielung einer [2375] gelungenen sinngetreuen Gedichtübersetzung aus dem Griechischen (66) oder die Meisterung einer anderen mit technischen Schwierigkeiten verbundenen Aufgabe hat ihn und seine Zeit zu solchen, vom ethischen Standpunkt immerhin verständlichen Werturteilen geführt. Wie die eigentlichen nugae sind auch diese größeren Versschöpfungen für den heutigen Leser in vielen Belangen schwerverständlich und stellen der Interpretation eine Fülle von Fragen. Neben der regen Einzelforschung haben in neuerer Zeit auch hier die Kommentare von G. Friedrich (der nur leider auch hier die griechischen Einflüsse zu wenig berücksichtigt) und W. Kroll Hervorragendes geleistet, denen sich die Arbeit M. Lenchantins freilich nur in weitem Abstande anschließen kann: vgl. H. Rubenbauer Gnomon VII (1931) 310ff. Ferner wurde das Verständnis mehrerer dieser Dichtungen durch die ebenso feinsinnigen wie tiefschürfenden Untersuchungen von Wilamowitz zu c. 61–65 (Hell. Dicht. II 277–309) wesentlich gefördert. Wir können auch hier bloß summarisch auf einige der wichtigen Probleme eingehen, die diese carmina docta stellen.

Eröffnet wird diese Gedichtgruppe von zwei sehr stimmungsvollen Hochzeitsgesängen (61 und 62). Das erste Lied gilt dem Vermählungsfest des vornehmen Manlius Torquatus und der Vinia (oder Iunia) Aurunculeia. Dem Bräutigam gegenüber schlägt C. einen sehr freien, freundschaftlichen Ton an, die jungfräuliche Braut liebkost er nur mit zartem Lob ihrer Reize. Das in lyrischem Versmaß (Glykoneen) gehaltene Gedicht setzt mit einem kletischen Hymnus auf den Hochzeitsgott ein und ein Preislied auf seine Macht folgt; er wird eingeladen, in dem Hause zu erscheinen, wo die Braut eben zur Vermählungsfeier geschmückt wird. An die Jungfrau ergeht sodann die Aufforderung, aus dem elterlichen Hause zum Hochzeitszuge nach dem Heim des künftigen Gemahls hervorzutreten. Der lustige Zug bringt sie zum Hause des Bräutigams. Unser Epithalamion, das mit den Wünschen der Freunde und Freundinnen für das Glück des neuen Paares schließt, stellt eine eigenartige, wenn auch nicht in allen Einzelheiten gelungene Verquickung des wurzelecht italischen Fescenninus mit dem ihm mehrfach wesensfremden griechischen Hymenaios dar. Unzutreffend ist jedenfalls die sehr verbreitete Annahme (z. B. Schanz-Hosius I4 296), C. habe seine Dichtung auf zwei Chöre (Jungfrauen und Jünglinge) verteilt, die abwechselnd deren Strophen vorzutragen hatten. Ohne Frage ist es v. Wilamowitz (II 282) zuzugestehen, daß man die dargestellte Feier als freie Erfindung des Dichters zu betrachten hat: ,Chöre von Mädchen und Knaben, die vor dem Hause der Braut warten und sie nachher geleiten, sind schlechthin undenkbar, und daß Torquatus die Nüsse durch seinen nun abgesetzten Concubinus ausstreuen ließ, kann vollends kein Verständiger glauben.‘ Auch an einen Vortrag des Liedes durch C. ist nicht zu denken, da es in v. 141ff. auf des Bräutigams lockeres Treiben in seinem Vorleben Bezug nimmt und man doch schwerlich meinen kann, daß ihn der Dichter durch solche Neckereien öffentlich bloßstellen wollte oder konnte. Hingegen spricht alles für eine Zusendung des Gedichtes [2376] an den Freund. Im übrigen hinterläßt die Dichtung trotz manchen hellenistischen Anklängen und sapphischen Bildern den Eindruck, daß sie eine Urschöpfung C.s sei: vgl. E. A. Mangelsdorf Das lyrische Hochzeitsgedicht bei den Griechen und Römern, Hamburg 1913; S. Hammer Ad Sapphus et Catulli carmina nuptialia, Eos XXIII (1918) 1ff.; G. Marzot Elementi della poesia nuziale romana, Vicenza 1926. A. L. Wheeler Americ. Journ. Philol. LI (1930) 205ff.

Das Epithalamion 62 stellt ein Zwiegespräch oder richtiger einen Wechselgesang zwischen Jünglingen und Jungfrauen, den Freunden des Bräutigams und den Freundinnen der Braut, dar. Strophe und Gegenstrophe dieses Streitgedichtes entsprechen einander (meist auch in der Zahl der Verse) und schließen mit einem ständigen Refrain. Mimetische und agonistische Elemente, so unter anderem die aus dem Geschlechterkontrast geborenen Differenzen der Anschauungen und Empfindungen, beleben durch witzige Dramatik diese künstlerisch und psychologisch feine Arbeit. Wiederholt wurde die Frage aufgeworfen, ob das Gedicht durch Sappho oder durch hellenistische Muster angeregt worden sei, ohne daß man zu einem überzeugenden Ergebnis gelangen konnte. Immerhin spricht manches dafür, daß C. ein griechisches, vielleicht ein alexandrinisches Vorbild (,Sappho in moderne Technik umgesetzt‘ E. Norden) hatte, das ihm das Gerüst seines Gedichtes gab; im einzelnen aber dürfte er vornehmlich Motive aus Sapphos Hochzeitsliedern frei nachgestaltet haben. Sonst aber darf man in dieser Dichtung, wie fast alle Einzelheiten der Sprache und stilistischen Kunstmittel dartun, ein gut catullisches Erzeugnis erblicken. – Die Frage, wo das Hochzeitsgelage (v. 3) stattfand, hat Mangelsdorff a. O. 30f. allem Anscheine nach richtig dahin beantwortet, daß es sich dabei um das Haus der Brauteltern handelte. Literatur: A. Fürst De C. carmine LXII, Melk 1887 mit einer Übersicht über ältere Arbeiten; G. H. Schüler De C. carmine 62, Stade I 1899, II 1900; Th. Birt Rh. Mus. LIX (1904) 407ff. Über den inneren Antrieb und die Vorbilder zu diesem Wettgesang äußert sich v. Wilamowitz a. O. 280, wie folgt: ,Der Mann in ihm (d. i. Catull) reagiert trotz aller Bewunderung gegen das Weib. Da brauchte er zwei Chöre, und für das Wettsingen wies ihm Theokrit den Weg, Er hatte beides, die klassische und die hellenistische Poesie studiert und versucht sich hier in sapphischem Stile; Theokrit hatte ja dasselbe getan.‘ Sappho und Theokrit waren offenbar auch seine Vorbilder für die Wahl des Versmaßes in dieser Dichtung.

Stark unter spätgriechischem Einfluß steht ohne Zweifel das 63. Gedicht, dessen Hintergrund und Kerngedanke jedenfalls griechischer Sphäre entnommen ist. Es führt uns in galliambischen Versen die Selbstentmannung des schönen griechischen Jünglings Attis vor, der sich in verzücktem Taumel dem Dienst der Kybele weiht. Durch diese Selbstverstümmelung hat er sich der hellenischen Kultur entrückt und zum Barbaren gemacht: die Heimat ist nun für ihn verloren, er ist exul geworden (v. 14). Auf Nachbildung einer griechischen Vorlage deuten zunächst das örtliche [2377] Kolorit der Klagerede (v. 60ff.) sowie die Erwähnung der Pasithea (v. 43); ferner war der orgiastische Dienst zu Ehren der phrygischen Göttermutter in Hellas viel geübt und auch die griechische Dichtung bemächtigte sich dieses Stoffes: s. o. Bd. XI S. 2261 und Herter Suppl. V 423; außerdem weist mit vollem Recht v. Wilamowitz II 294 darauf hin, daß im ,Attis‘ mehrfach Motive der hellenistischen Epigrammatik verarbeitet sind. Es fällt bei diesem Gedichte C.s weniger schwer als bei c. 62, zwischen unmittelbarer Nachahmung und schöpferischer Umgestaltung eine strikte Trennungslinie zu ziehen. Stofflich haben wir es offenbar mit keiner Urschöpfung zu tun: einem Römer der caesarischen Zeit konnte man einen Gedankengang, wie er hier vorliegt, sicherlich nicht als originelle Arbeit zutrauen: A. Klotz Rh. Mus. LXXX (1931) 354. Nichtsdestoweniger wird aber E. Bickel ebd. LXXXX (1941) 81ff. im ganzen recht behalten, wenn er C. für das Attisgedicht einen selbständigen Aufbau zugestehen will. In der eben angeführten scharfsinnigen Untersuchung zeigt Klotz weiterhin, daß v. Wilamowitz’ einstige Annahme (Herm. XIV 1879, 194), C. habe in diesem Gedicht ein Original des Kallimachos nachgebildet, auf schwachen Füßen steht, und daß mehrere Anzeichen, darunter die Verwendung der Femininform Gallae (v. 12) auf eine nachkallimacheische Schöpfung als C.s Vorlage hindeutet. Weitere wertvolle Studien zum Attisgedichte, das O. Ribbeck Gesch. d. röm. Dicht. I 337 mit C.s asiatischer Reise in Zusammenhang bringen möchte, boten: H. Hepding Attis, seine Mythen und sein Kult, Gießen 1903 (Religionsgesch. Vers. I) und O. Weinreich C.s Attisgedicht Mél. Cumont Brüssel 1936, 463–500; s. auch Th. Means Class. Philol. XXII (1927) 101 und W. Kroll Studien zum Verständnis d. röm. Lit. 296 Anm.

Das umfangreichste Gedicht C.s (64) ist eine in Hexametern abgefaßte Schöpfung, die Peleus’ und der Thetis Hochzeit schildert und in einer breit ausgesponnen Einlage die Liebe der Ariadne, ihren Verrat durch Theseus und ihre Auffindung durch Bacchus vorführt. Die Dichtung hat in ihrem ersten, größeren Teile (1–322) einen rein epischen Charakter, während die zweite Partie (323–408) stellenweise ein fast lyrisches Gepräge aufweist. Im ganzen ist dieses Werk, in dem unser Dichter ,sein Meisterstück machen wollte‘ (v. Wilamowitz II 298), in seiner kompositorischen Gestaltung wohl ein Musterbeispiel eines hellenistischen Kleinepos. Die Nachwirkung griechischer, zumal alexandrinischer Poesie auf diese Arbeit wird von keiner Seite in Zweifel gezogen, unsicher ist nur der Grad dieses Einflusses. G. Friedrich Komm. 314ff. und G. Ramain Rev. de philol. XLVI (1922) 135 vertreten die Meinung, C. habe in dem Gedichte ein ,Epyllion‘ nach hellenistischer Manier verfaßt, ohne ein bestimmtes Werk nachzuahmen oder gar zu übersetzen. Ein noch höheres Maß der Selbständigkeit will hier A. L. Wheeler Transact. Amer. philol. assoc. L (1919) XV unserem Dichter zubilligen: aus der Wahl des Themas und dessen Sättigung mit Liebesmotiven schließt er auf eine in der Hauptsache der damaligen modischen Gegenwartsrichtung [2378] folgende, die Formen und Regeln der hellenistischen Kunst überflügelnde Leistung; dies erweise sich vor allem durch die echt neuzeitliche Technik in der rhetorisch meisterlichen Ariadneklage (v. 132ff.). In seinem ganzen Aufbau gebe sich dieses Epos als eine eigenständige Leistung C.s zu erkennen. Hingegen hielt A. Riese Rh. Mus. XXI (1866) 498 das Gedicht für eine glatte Übersetzung aus Kallimachos, freilich ohne ein bestimmtes Werk namhaft machen zu können. An die Bearbeitung einer hellenistischen Vorlage, möglicherweise aus jüngerer Zeit, dachte R. Reitzenstein Herm. XXXV (1900) 73ff. und fand hierin die Gefolgschaft W. Krolls (Komm.2 142); dieser will übrigens in einem Verse unseres Gedichts (v. 111), der eine genaue Übertragung eines anonymen griechischen bildet (angeführt von Cic. Att. VIII 5, 1), eine Zeile aus dem von C. angeblich bearbeiteten Original erblicken (Komm.2 159), eine Annahme, zu der allerdings kein dringender Anlaß besteht. Eine weitere Frage ist es, ob die kunstvolle Vereinigung der beiden Sagenstoffe (Peleus und Thetis, Theseus und Ariadne) von C. herrührt oder hellenistische, von ihm übernommene Erfindung war. G. Pasquali Studi filol. class. n. s. I (1920) 1ff. spricht sich dahin aus, daß C. zwei alexandrinische Erzeugnisse in seinem Kurzepos mit technischem Geschick verknüpft habe, während andere Gelehrte diese Verbindung einer Rahmenerzählung mit einer Einlage als C.s selbständigen Einfall erachten, so E. Norden a. O. 30; vgl. auch G. Perrotta Arte e tecnica nell’ epillio alessandrino, At. e Roma IV (1923) 214ff., der auf die kunstmäßige, dramatisch wirkungsvolle Kontrastierung der glücklichen Liebe des Peleus mit der unglücklichen Neigung Ariadnes aufmerksam macht. Weiteren eindringenden Untersuchungen desselben Forschers (Athenaeum IX 1931, 177ff., 370ff.) über C.s Verhältnis zum Hellenismus gelingt es dabei auch, des Dichters hohen eigenen Schaffensanteil an dem Epyllion gebührend herauszuarbeiten. An eine Beeinflussung durch Werke der bildenden Kunst denkt M. Valgimigli Giorn. stor. e lett. della Liguria VII 18 (dazu E. Bignone Riv. filol. XXXVII 1909, 101), ohne für diese keineswegs verblüffende Aufstellung eine schlagende Argumentation bieten zu können. – Erwägt man, daß es Reitzenstein a. O. in überzeugender Beweisführung gelungen ist, die Behandlung des Sagenstoffes von der Hochzeit des Peleus und der Thetis durch einen alexandrinischen Dichter aufzuzeigen, so erscheint es als leicht denkbar, daß dieses Kleinepos den Veroneser anregen, vielleicht zum Wettstreit mit dem Griechen veranlassen konnte: vgl. H. Rubenbauer Bursian CCXII (1927) 207. Aber eine glatte Nachbildung oder Umprägung dieser griechischen Dichtung durch C. liegt uns in seinem Werke sicherlich nicht vor. Auch die Verquickung beider Sagenthemen geht, wenn nicht alles trügt, auf unseren Dichter selbst zurück, dem der Liebe Lust und Leid keine leeren Begriffe waren: vgl. dazu v. Wilamowitz II 299, der vom ,eigenen Herzschlag des Dichters‘ im vorliegenden Kurzepos spricht. Hingegen geht L. S. Sell in seiner Studie zu dem Gedicht (New York 1918) entschieden zu weit, wenn er verschiedene Vorkommnisse [2379] in C.s Liebesleben in allerlei Einzelheiten dieser Dichtung widerspiegelt finden will. Weitere Beiträge zur Erläuterung dieses vielbehandelten Epyllions lieferten in neuerer Zeit: A. Morpurgo Riv. filol. V (1927) 331–343, noch über Sell hinausgehend; L. Herrmann Rev. étud. lat. VIII (1930) 211–221 (Beziehungen zu Vergil; vielfach leere Vermutungen); M. Schmidt Die Komposition von Vergils Georgika Paderborn 1930, 207–212. E. Maronna Il carme 64 di C. Pesaro 1932 (langatmig und unergiebig); C. Murley Transact. Amer. philol. assoc. LXVIII (1937) 305–317 (Untersuchungen zur Kompositionstechnik). Eine weiter ausgreifende Veröffentlichung, die auch C. eingehend berücksichtigt, ist das Buch M. M. Crumps The epyllion from Theocritus to Ovid, Oxford 1931.

Das kurze Gedicht 65 an den Redner Hortensius, der C. um Zusendung von Versen gebeten hatte (v. 17), bildet gleichsam einen Vorspruch zu seiner Übersetzung von Kallimachos’ Πλόκαμος Βερενίκης (66). Dieser Geleitbrief besteht ähnlich wie c. 2 nur aus einem Satz und schließt wie c. 11 und 25 mit einem kunstreich ausgeführten Vergleich – beides nach hellenistischem, also auch nach modisch jungrömischem Geschmack. Die kleine Dichtung setzt mit wehmuterfüllten Versen ein und klingt mit eigenartig launigen Schlußworten aus, die wohl mit künstlerischer Willentlichkeit zum Gedankenkreis und Stimmungsgehalt der nachgebildeten Dichtung (66) überleiten. Unzutreffend war es, aus dem Worte carmina (v. 16) folgern zu wollen, daß C. noch anderes als die Coma Berenices an Hortensius gesandt habe, da carmina hier wie öfters (z. B. 61, 13. 64, 383) ,Verse‘ oder ,Lied‘ bedeutet. Vgl. noch v. Wilamowitz II 304f., der in dem Gleichnisse v. 19ff. eine immerhin glaubliche Nachwirkung des Apollonios vermutet.

Das 66. Gedicht bringt eine lateinische Wiedergabe der Kallimachosdichtung von den Schicksalen einer Locke, die die Gattin des Ägypterkönigs Ptolemaios Euergetes einst für die glückliche Heimkehr ihres Gemahls der Göttin Arsinoe geweiht hatte. Das ziemlich abenteuerlich-verstiegene Produkt des Hofdichters, das den Neoterikern immerhin zusagen mochte, war lange Zeit verschollen; doch konnte im J. 1929 durch G. Vitelli ein neu gefundenes Papyrusbruchstück (Pap. Ory. 1793) veröffentlicht werden (s. Stud. ital. fil. VII 1929, 1–12), das zehn nahezu vollständige und ebensoviele fragmentarische Verse der Urdichtung ans Licht brachte: ihnen entsprechen die Verse 45–64 des römischen Dichters; s. jetzt auch Kroll Komm.2 298f. Eine genaue Prüfung der C.schen Nachbildung dieser Stelle führt zu dem Ergebnis, daß unser Dichter seine Vorlage mit künstlerischem Geschick wiedergegeben hat, eine Erkenntnis, die neuerlich J. Coman L’art de Callimaque et de Catulle Bukarest 1936 vornehmlich durch Beachtung metrischer und stilistischer Details vertieft hat. Doch kann man nicht (mit Coman) von einer bewundernswerten Treue der Übertragung sprechen, da C. sich manche Änderungen, Zusätze und Weglassungen erlaubt hat. Auch andere Aufstellungen dieser Schrift verdienen keine Billigung, so z. B. die Mutmaßung, daß sich in dem Wunsche der [2380] Haarflechte, auf das Haupt der Königin zurückzukehren, die Sehnsucht Berenikes nach ihrem Gemahl ausdrücke. Mit der Frage, welche Bedeutung diese Nachformung eines griechischen Urbildes für C.s eigene Kunst habe, befaßt sich E. Bickel Rh. Mus. XC (1941) 81–146 und weist nach, daß es sich in der von C. übersetzten Sappho-Ode (51) um das Werden einer neuen Hochkunst mit Anschluß an die lesbische der großen Griechin handelte, während die Plokamosübertragung wohl in erster Linie eine philologische Leistung darstellt, die aber nichtsdestoweniger C.s echte Dichtersendung deutlich durchscheinen läßt. Blieben auch die Fragen nach C.s Übersetzertalent und Übersetzungstechnik bei diesem Gedicht naturgemäß im Vordergrund des Forschungsinteresses (s. M. Lenchantin Stud. ital. filol. VII 1929, 113ff. und G. Albini Rend. Acc. Bologna V 1931, 108ff.), so fanden doch nebenher auch die kultischen, sagen- und sternkundlichen Probleme der Dichtung Berücksichtigung: vgl. J. Coman a. O. und E. A. Barber The lock of Berenice in Greek poetry and life Oxford 1936, 343–363 (Text, freie Nachbildung, Erläuterungen); s. noch R. Pfeiffer Philol. LXXXVII (1932) 179–228 und B. Rehm Philol. LXXXIX (1934) 385f.

In c. 67 führt C. ein Zwiegespräch mit der Tür eines ihm wohlbekannten Hauses in einem oberitalischen Städtchen. Den Inhalt dieses Pasquills, das der Bescheltung einer stadtbekannten Dame und ihrer Verwandtschaft dient (Kroll Studien z. Verst. 222), bildet allem Anscheine nach ebenso böswilliger wie haltloser Provinzklatsch aus Verona und Brixia. Die Deutung der Schmähdichtung, die vermutlich eine persönliche Gereiztheit des Dichters ins Leben rief, bereitet erhebliche Schwierigkeiten, und Einzelheiten in diesen für C.s Landsleute geschriebenen und für sie hinreichend deutlichen Versen, die eine mehr andeutende als klarlegende Sprache belieben, werden in ihrer wortkargen Schwerverständlichkeit der Erläuterung weiterhin Rätselfragen stellen. Der eingehende Auslegungsversuch, den H. Magnus Philol. LXVI (1907) 296ff. unternahm, wurde in wesentlichen Punkten von K. P. Schulze Burs. CLXXXIII (1920) 35f. widerlegt. Eine befriedigende Erklärung des derzeit Erklärbaren bietet jetzt W. Kroll Komm.2 213, nachdem er mehrere Kernfragen bereits vorher (Philol. LXIII 1904, 139ff.) gelöst hatte; vgl. auch Rubenbauer S. 189f. Die Dichtung, die sich inhaltlich gut in ein Iambenbuch einreihen würde, steht formell gewiß unter dem Einfluß des hellenistischen Schrifttums, das derartige Zwiegespräche in Epigrammform kannte: W. Rasche De Anthol. Graec. epigrammatis, quae colloquii formam habent. In stofflicher Beziehung wird man aber C. hier restlose Selbständigkeit zugestehen müssen; jedenfalls ließe sich kein bestimmtes griechisches Gedicht dialogischer Komposition nennen, das ihm Modell gestanden hätte. Sonstige Literatur: E. Stampini Nel mondo latino Turin 1921, 345. G. Lafaye Rev. de philol. XXXXVI (1922) 70f. G. Perrotta Athenaeum V (1927) 160–190. Zum Römischen im Gedicht vgl. E. Burck Hum. Gym. XLIII (1932) 186ff.

Den beiden erschütterndsten Ereignissen seines [2381] Lebens, der Liebe zu Lesbia und dem frühen Verlust seines Bruders, hat C. in der vielbewunderten Elegie an Allius (68) ergreifenden Ausdruck gegeben. Es ist ein Hauptproblem dieser Dichtung, ob deren 160 Verse als poetische Einheit zu betrachten sind oder ob mit Vers 41 ein neues Gedicht anhebt. Über die Ursachen dieser alten, von J. Rode (1786) und K. Ramler (1793) begründeten und seither in dauerndem Für und Wider beantworteten Streitfrage unterrichtet jetzt bündig und klar W. Kroll Komm.2 218f. und eine geordnete Auslese aus der überreichen einschlägigen Literatur ist bei Schanz-Ηosius I4 298 gegeben. Daß die Frage von mancher Seite heute noch als solche betrachtet wird, zeigen die neuen Beiträge dazu: O. L. Richmond Class. Quart. XIII (1919) 138f. L. Jus Eos XXX (1927) 77ff. u. XXXI (1928) 63ff. G. Perrotta At. e Roma VIII (1927) fasc. 3, 4. O. Tescari Riv. filol. XIII (1935) 365ff. G. Natoli Mondo class. VIII (1938) suppl. 21ff. Wenngleich J. Vahlen Berl. S.-Ber. 1902, 1024 (= Ges. Schr. II 652) noch nicht alle stichhaltigen Kriterien beigebracht hat, die zur Begründung der Einheit des Gedichtes dienen, so ist dies im wesentlichen durch die in seinen Stapfen weiterschreitende Forschung, vor allem durch F. Nencini (L’elegia di Catullo ad Allio Rom 1907), F. Vollmer (S.-Ber. Akad. Münch. 1919, 5. Abh.), A. L. Wheeler (Amer. Journ. XXXVI 1915, 173ff.) sowie durch die neuesten Erklärer wie Friedrich, Kroll und Lenchantin geschehen. Unseres Erachtens sollte das durch sorgsame psychologisch begründete Deutung gelöste Problem nicht wieder zum Problem gemacht werden; s. auch o. Bd. V S. 2291. H. Peter Der Brief in der röm. Literatur (Lpz. 1901) 178f. sieht in unserer Elegie den ältesten unter den für die Öffentlichkeit bestimmten erhaltenen Briefen. Zum Aufbau s. unter VI.

V. Die Vorbilder. Es sei hier eine knappe Übersicht über jene griechischen und römischen Dichter angeschlossen, die C.s Kunst beeinflußt haben. Da sind an erster Stelle die hellenistischen Verskünstler und unter ihnen namentlich Kallimachos zu nennen: P. Weidenbach De C. Callimachi imitatore Lpz. 1873. W. Henkel De C. Alexandrinorum imitatore Jena 1883 (das. ältere Lit.). Über ihre Einwirkung auf die Stoffe der carmina docta (61–68) ist im vorangehenden Abschnitt, über ihre Beeinflussung der Sprache und Metrik C.s im folgenden unter V. und VII. die Rede. Die eifrige Beschäftigung mit ihnen hat unserem Dichter das als Auszeichnung gedachte Beiwort doctus eingebracht: s. C. Pascal Athenaeum IV (1916) 1ff. Wenn manche Philologen, die den Ursprung der römischen Elegie aus dem hellenistischen Epigramm herleiten (wie F. Jacoby s. o. unter IV A) oder eine Beeinflussung C.s und noch mehr des Tibull., Properz, Ovid durch eine von ihnen vermutete alexandrinische Liebeselegie nachweisen wollen, so habe ich zu bemerken, daß ich an die einstige Existenz einer subjektiv-erotischen Elegie der hellenistischen Dichter nicht glaube: s. M. Schuster Tibullstudien Wien 1930, 56f. Nach den Hellenisten sind hier zunächst die lesbischen Lyriker und unter diesen hauptsächlich Sappho zu erwähnen, der C. manche Anregungen verdankt (s. bes. zu c. 51 u. 62, vgl. [2382] W. Connely Class. Journ. XX 1925, 408ff.); hingegen erinnert bei ihm nur weniges an Alkaios. Ferner hat er wiederholt Anleihen bei Archilochos gemacht, so vornehmlich in seinen hechelnden Versen; auf ihn wird vieles in c. 40 zurückgehen: G. L. Hendrickson Archilochus and C. Class. Philol. XX (1925) 155–157; vgl. c. 56, 1 Archil. frg. 80 χρήμα τοὶ γeλοῖον ἐρέω, τέρψεαι δ’ ἀκούων, c. 50, 11ff. frg. 84 u. 85. Übrigens standen Archilochos wie Sappho bei den Alexandrinern hoch in Ehren (alle Kleindichtung erfreute sich ja ihrer Gunst) und fanden bei ihnen eifrige Nachahmung. Auch Anklänge an Euripides sind bei C. nachweisbar (G. H. Macurdy Class. Weekly XXI 1928, 129) und in seinem Kleinepos (64) gemahnen mehrere Stellen an Apollonios Rhodios: s. Ellis in seinem Komm., ferner G. Perrotta Athenaeum IX (1931) 177ff. Berührungen unseres Dichters mit Theokrit, mit Philodemos und Meleager hat K. P. Schulze aufgezeigt: vgl. dessen Schrift De C. Graecorum imitatore Jena 1871, ferner Berl. Philol. Woch. XXXVI 1916, Nr. 9–11 u. Woch. f. kl. Philol. 1916, 843. Worin sich C. als Schüler der griechischen Epigrammatik erweist, prüft O. Hezel in seiner Studie ,C. und das griechische Epigramm‘ Tübinger Beitr. z. Alt.-Wiss. 17. H. Stuttgart 1932; Gegenstand seiner Untersuchung ist lediglich die Art, wie Gehalt und Form dieser Spruchgedichte und Stachelverse bei unserem Poeten neues Leben gewinnen. Dabei wird der nicht immer geglückte Versuch unternommen, das echt Catullische und ausgesprochen Römische klar herauszuarbeiten; das Tatsächliche dieser imitatio legt Krolls Kommentar wohlgesichtet vor. Hin und wieder wird man, insbesondere bei adjektivischen Wortkompositionen, auch an Homer denken; doch scheint hier nur wenig direkt nachgeahmt zu sein; das meiste ist durch Ennius vermittelt: J. Fröbel Ennio quid debuerit C. Jena 1910; freilich hat der Verfasser den Einfluß des großen Vorgängers auf C. beträchtlich überschätzt. Endlich läßt C. auch deutliche Spuren seiner Lukrezlektüre merken, die zuerst J. Jessen Lukrez und sein Verhältnis zu C. und Späteren Kiel 1872 gesammelt hat (öfters übers Ziel schießend); vgl. T. Frank The mutual borrowings of C. and Lucretius and what they imply Class. Philol. XXVIII (1933) 249–256. Die Tatsache der Nachwirkung eines Ennius und Lukrez auf C. verdient um so mehr hervorgehoben zu werden, als die jungrömische Dichterschule, die große Epen und überhaupt umfangreiche Dichtungen ablehnte, einem Ennius fremd gegenüberstand und wohl auch für Lukrez wenig übrig hatte. Vgl. noch G. Lafaye C. et ses modèles Paris 1894. M. Haupt Opusc. II 75.

Indes darf man die Tiefwirkung der Vorbilder, und zwar auch der Griechen, auf C. doch keinesfalls überschätzen, wie dies mehrfach noch in neuerer Zeit geschieht; so meint E. Norden a. O. 29, man dürfe sich nicht scheuen, auch die eigenen und vollen Akkorde C.s ,einzuschalten in die große Symphonie griechischer Poesie‘. Eine solche Auffassung steht bereits in schneidendem Gegensatze zu unserem heutigen Wissensstande vom Römischen im Römerschrifttum und insbesondere in der Römerdichtung, einer Erkenntnis, [2383] die in jüngster Zeit vornehmlich durch L. Castigioni, J. W. Duff, Heinze, Housman, Klotz, Kroll, Stampini und v. Wilamowitz (Properz und Mimnermos) gefördert worden ist. Dazu kommt noch ein weiteres. Wie keinem zweiten römischen Dichter, auch die großen Augusteer nicht ausgenommen, war es C. gegeben, daß sich in seinem Werk trotz aller Bildungserlebnisse nahezu überall eine volle Lebensunmittelbarkeit siegreich behauptet hat (s. unter III). Alle Einwirkungen, selbst die nachhaltigen der ästhetisch geprägten, eine absolute Geistes- und Kunstangelegenheit darstellenden Erzeugnisse der Hellenisten haben es hier nicht vermocht, das Werden einer blutroten, vom Leben geforderten, fürs unmittelbare Leben geschaffenen Gelegenheitsdichtung zu unterbinden. So hat sich denn C.s Schaffen fast völlig aus dem Kreise griechischer Muster und Typen gelöst und kann neben der lebensstarken Lyrik der hellenischen Frühzeit in Ehren bestehen. Er unterscheidet sich darin ganz wesentlich von Horaz, der in seiner Oden- und Epodendichtung zwar die kunstreich geschliffenen Formen der Vorbilder voll erreichte, aber diesen lyrischen Erzeugnissen oft so wenig vom eigenen Herzblut geschenkt hat, daß uns viele davon wie willentlich gestaltete, aus Künstelei gekräuselte papierene Blüten anmuten. Nicht viel anders steht es mit der Lyrik Vergils. Überhaupt liegt ja die Schwäche der augusteischen Dichter darin, daß diese glänzenden Stil- und Verskünstler keine starken Persönlichkeiten sind. Vgl. G. Michaut Le génie latin Paris 1900, 234ff. O. Frieß Beobachtungen über die Darstellungskunst C.s Würzburg 1929. I. Schnelle Untersuchungen zu C.s dichterischer Form Lpz. 1933 (s. Philol. Woch. 1934, 565ff.).

VI. Die Sprache. Zur Zeit, da C. seine Gedichte schrieb, war die römische Literatursprache noch nicht vollentwickelt. Man wird darum seine Ausdrucksweise nicht vom Standpunkt des klassischen Sprachgebrauchs beurteilen dürfen. Hier herrscht noch ein Schwanken in den Formen und eine gewisse Unausgeglichenheit im Stil; dieser Sprache fehlt eben noch die abschließende Zucht fester Regeln. Vergleicht man sie mit der einige Jahrzehnte späteren Dichterdiktion, so springt eine vielfach bestehende größere sprachliche Freiheit in die Augen und diese Freiheit kommt auch im Versbau zur Geltung. Reste der älteren Sprachstufe treten da noch gleichsam als Spuren einer entschwindenden Zeit in Erscheinung, und es war ein entschiedener Mißgriff vieler Textkritiken, diese Überbleibsel kurzerhand zu entfernen. Hält man C.s Ausdrucksweise mit der der Inschriften und alter Hss. zusammen, so spricht ein solcher Vergleich für die Echtheit der alten Formen, die sich in manchen Codices und besonders im Thuaneus erhalten haben. Zu dem nämlichen Ergebnis führt der Vergleich gewisser Redewendungen im Wortschatze C.s mit der Sprache der römischen Komödie und der Musa pedestris des Horaz; in der Tat gemahnt ja der frische Ton volkstümlicher Redeweise in C.s eigentlichen nugae vielfach an das Lustspiel des Plautus und Terenz sowie an die Sermonendichtung des Venusiners, wenn auch C.s Sprache jünger als die der Komödie und älter als die der Sermonen des Horaz [2384] ist. Aber es fällt bei C. nicht bloß das Nebeneinander von älteren und jüngeren Formen und Redensarten auf: die Dichtung C.s zeigt auch noch aus einer anderen Ursache kein einheitliches Sprachbild. Die beiden Seelen, die in des Dichters Brust wohnen, bedingen schon an sich einen mitunter beträchtlichen Unterschied der Wortwahl in seinen nugae und in den umfangreichen Dichtungen. Die sprachliche Wiedergabe unmittelbar erlebter Empfindung verlangt ein anderes genus dicendi als das Ethos der mit schwerer Gelehrsamkeit beladenen größeren Gebilde, wenn sich auch hin und wieder selbst in das schlichte μέλος gelehrter Wortprunk als stilfremde Zutat verirrt hat, wie z. B. in c. 7, 3ff.; 11, 2ff.; 58 b; 60 (zum Teil sind hier besondere Effekte beabsichtigt). In der gelehrten Dichtung läßt C.s Ausdruck oft noch eine gewisse Steifheit und Ungelenkigkeit erkennen: der sprachliche Vollklang der Äneis, die feine Architektonik der horazischen Odenpoesie ist noch nicht erreicht. S. die Zusammenstellungen K. P. Schulzes Bursian 183 (1920) 47–72.

Die Sprache unseres Dichters macht nicht selten Anleihen beim Wortschatze und der Ausdrucksweise der Volkssprache. Da aber in dieser vielfach älteres Sprachgut fortlebt, so erklärt sich daraus der erwähnte häufige Gebrauch älterer Wortformen, von denen sich übrigens manche bis in die klassische Zeit erhalten haben. Von solchen archaistischen Formen seien beispielshalber einige herausgegriffen: quoi, quicum (alte Ablativform in 2, 2), die alten Ausgänge der o-Stämme ǒm und ǒs, die bisweilen noch später bei den Meistern des verfeinerten Stils begegnen, so novom (1, 1) aevom (1, 6), mortuǒs (3, 3), Calvǒs (53, 3), avǒs (84, 6), ferner Wortformen wie turgidolus (3, 18), sarcinolis (28, 2), iocundus (volkstümliche Form 62, 26 u. 47 im cod. T), volt (8, 9, auch bei Vergil; voltis auch bei Horaz), soluont (ältere Schreibung 61, 53), saluent (64, 350), pervoluent (95, 6), deposivit (34, 8), audibant (84, 8; vgl. Enn. Ann. 43 u. a.); alte und nach C. noch in der späteren Dichtung, besonders bei Vergil, gebräuchliche Infinitivformen sind citarier, compararier, nitier (alle in 61) und componier (in 68); altertümlicher Herkunft und dabei wohl noch der damaligen Umgangssprache angehörig sind synkopierte Verbalformen wie die Perfekta misti (= misisti 14, 14), promisti (110, 3), luxti (66, 21), tristi (= trivisti 66, 30), subrepsti (77, 3), duxti (91, 9), abstersti (99, 8), ferner die antiquierte Form recěpso (44, 19), d. i. ein altes Futurum (urspr. Konj.) des sigmatischen Aoriststammes aus recǎpso mit Vokalschwächung, in der Bedeutung eines Futur ex.; hierher gehört auch eine Form wie fecerīmus (5, 10): die im Konj. (eig. Optativ) Perf. ursprüngliche Länge des i (vgl. Enn. Ann. 194 dederītis) wurde hier, wie öfters, auf das Futur ex. übertragen, – Volkstümlicher Natur ist offenbar auch der Genetiv des Ausrufs nuntii beati (9, 5), der meist irrtümlich als Gräcismus gedeutet wird; vgl. aber Prop. IV 7, 21. – Übersicht archaischer Formen (z. B. der Gen. Plur. cymbalum in 63, 21 u. a.) und Wörter bei Kroll Komm.2 291.

Eine besondere Vorliebe bekundet C. für volkstümliche Redewendungen (vgl. Friedrich [2385] Komm. 91. 308. 456); hierher gehören z. B. das formelhafte ibi tum (8, 6) und hodie atque heri (61, 137), uni (vulgär = unius,) pili facere (17, 17), nummi (für pecunia) in 103, 3; ferner die zahlreichen derbvulgären Ausdrücke irrumare (16, 1. 28, 10), suppernatus (17, 19), verpa (28, 12), diffututa mentula (29, 13), fututiones (32, 8): Baehrens 48; auch salaputium (53, 5) fällt in diese Gruppe volkstümlicher Kraftwörter sowie die dem Griechischen entlehnten, mehrfach begegnenden Ausdrücke cinaedus (auch cinaedior 10, 24), moecha, moechus (auch moechari 94, 1), pathicus.

Volkstümlichen Ursprungs sind auch die bei C. überaus beliebten Deminutiva, die zwar vorzugsweise in den nugae, aber hin und wieder auch in den Dichtungen höheren Stils erscheinen. Sie bezeichnen nicht nur das Kleine, sondern lassen oft die seelische Anteilnahme des Dichters hervortreten. Die Wirkungen die C. durch solche Wörter (substantivische und adjektivische Bildungen) erzielt, sind äußerst mannigfach (vgl. O. Ferrari Athenaeum 1915, 448ff.); dieselben Ausdrücke haben darum auch je nach dem Zusammenhange, in dem sie vorkommen, verschiedene, bisweilen (bei ironischer Verwendung) gegensätzliche Bedeutung. Sie versinnlichen bald die zärtlichen Regungen der Zuneigung und Liebe (solaciolum 2, 7; ocellus 3, 18) oder Freude (ocellus 31, 2), bald das herzliche Mitleid oder Mitgefühl (misellus 3, 16; turgidolus 3, 18), gemütlichen Scherz (sacculus 13, 8; ponticulus 17, 3; lapillus 23, 21; versiculus 50, 4), vielleicht die Feinheit oder edle Vornehmheit (palmula 4, 4; gemellus 4, 27; tenellulus 17, 15; zonula 61, 53; hortulus 61, 92), spöttisches Bedauern (misellus 40, 1), Geringschätzigkeit (bimulus 17, 13). Im übrigen hat Th. Cutt Meter and diction in C.’ hendecasyllabics (Chicago 1936) nachgewiesen, daß manche dieser Verkleinerungswörter nicht vom Gedanken der Stelle gefordert waren (z. B. integellus 15, 4) und daß auch das Versmaß sowie der Wortklang für die Wahl gewisser Deminutivformen (z. B. für salillum 23, 19) wesentliche Bedeutung hatte. – Über die Verkleinerungswörter bei C. handeln ferner R. Ellis Ausg.2 praef. XXX, M. Haupt bei Ch. Belger 242f. S. B. Platner Diminutives in C. Amer. Journ. XVI (1895) 1866. P. de Labriolle L’emploi du diminutif chez C. Rev. de philol. XXIX (1907) 277ff.

Neben Ausdrücken der Umgangssprache, die sich namentlich in den nugae finden, erscheinen in den Dichtungen gehobenen Stils gleichbedeutende Wörter, die der Kunstpoesie eigen sind: so liest man bellus (z. B. 3, 14f. 8, 16. 22, 9) neben pulcher (z. B. 61, 88. 64, 28); usque neben semper; minutus neben parvus; puella neben virgo. Bisweilen verfällt C.s Sprache, besonders in den kleinen Gedichten, in den Ton der ungebundenen Rede, und dann begegnen Wörter wie quandoquidem (33, 6), ecquisnam (10, 8. 28, 6), eius (84, 5), cuius (102, 2), sane (10, 4. 43, 4): s. Kroll Komm.2 293 (,Prosaisches‘).

Auch gallokeltische Mundartwörter sind seiner Dichtung eingestreut, so z. B. basium (5, 7), basiare (7, 9. 8, 18 u. ö.), basiationes (7, 1; s. aber Walde-Hofmann Et. Wb. 97f.); desgleichen ploxenum (97, 6); manche, wie basium und basiare, führten im römischen [2386] Schrifttum – so bei Martial. Petron. Iuvenal – ein Weiterleben; vgl. M. Haupt Opusc. II 108; ein iberisches Wort ist cuniculus (25, 1).

Neben der Vorliebe für volkstümliche Redeweise ist für C.s Sprache auch ein Reichtum an sprichwörtlichen Wendungen kennzeichnend (wie sie übrigens auch der Volksmund liebt), die sogar in seinen Dichtungen höheren Stils begegnen; manche dieser Redensarten haben griechische oder vielleicht noch ältere Ahnen. So spricht er von Küssen, zahllos wie die Sandkörner der Wüste und wie die Sterne am Himmelszelt (7, 36., s. auch 61, 206f.; vgl. A. Otto Sprichw. 159 u. 321f.), er spricht vom Geldsäckchen, das voll Spinnweben ist (13, 8; vgl. Otto 34), von Midas’ Schätzen (24, 4; Otto 222), von herkulischer Mühe (55, 13; Otto 162), von harpokratischer Verschwiegenheit (102, 4; Otto 160). Und häufig stößt man auf Ausdrücke dieser Art; z. B. unius assis aestimare (5, 3), delicatior haedo (17, 15), adservanda diligentius nigerrimis uvis (17, 16), vel silicem comesse posse (23, 4), mollior cuniculi capillo (25, 1), densior aridis aristis (48, 5), linquens promissa procellae (64, 59; vgl. 30, 9f. u. 70, 4), tria notorum savia (79, 4; F. Marx Lucil. II 150f.) usw. – Gelegentliche Pleonasmen bei C., so 93, 1 und 116, 1 (weitere s. bei Kroll 293), wird man gleichfalls aus dem Einflusse der Volkssprache zu erklären haben.

C. zeigt sich aber auch mit den Künsten der Rhetorik vertraut, wenngleich er sie im Gegensatz zu späteren Dichtern nur mit Maß verwendet. Dabei sind es vorzugsweise die einfachen phonetischen Figuren, wie die Alliteration und Paronomasie, sowie die Wiederholungsfiguren, wie die Anapher, Traductio und Epanalepsis, die bei ihm häufiger begegnen: vgl. J. van Gelder Woordherhaling bij Catullus Diss. Leiden 1933, 32 (Tabelle). Doch weist der Anwendungsbereich dieser dichterischen Kunstmittel für die verschiedenen Gedichte der nugae und der docta carmina recht beträchtliche Unterschiede auf. Und wenn beispielsweise die Wortwiederholung auch ein kennzeichnendes Element der künstlerischen Ausdrucksweise C.s darstellt, so läßt sich doch keine gleichförmig-handwerkliche Verwendung dieser Figuren beobachten: vielmehr ist sie überall durch des Dichters starkes Empfinden für Klangwirkung veranlaßt. Oft wiederholt C. das gleiche Wort in gleicher Form, bald stellt er zwei gleichartige oder stammverwandte Ausdrücke nebeneinander: non non 14, 16; magis magis 38, 3 und 64, 274; huc huc 64, 195. Wiederholung zu Versbeginn: passer 3, 3f.; renidet 39, 2, 4, 6. Wiederholung innerhalb desselben Verses: gemelle 4, 27; taedet 73, 4; Wiederholung am Versschluß: meae puellae 3, 3f. Wiederaufnahme eines Wortes des vorangehenden Verses: 76, 13f. und 107, 4f. Verschiedene Formen des nämlichen Wortes: 3, 13 male – malae; 22, 14 infaceto – infacetior; 27, 4 ebrioso – ebriosioris; 30, 11 meminerunt meminit; 45, 3 amo amare; 45, 20 amant amantur; 99, 2 dulci dulcius; 99, 14 tristi tristius; vgl. 3, 1f. Veneres – venustiorum (B. Schmidt p. LXXIII). Hierher gehört auch die sog. etymologische Figur, die sich bei C. fast ebenso häufig findet wie bei den Lustspieldichtern: basia basiare 7, 9; gaudia [2387] gaudere 61, 117ff.; facinus facere 81, 6 u. 110, 4; ähnlicher Art sind it per iter 3, 11; odissem odio 14, 3; sectam exsecutae 63, 15; iuncta iuga 63, 76; messor demetit 64, 353 (die Lesart cultor in GR ist offenbar Randbemerkung); vgl. noch Cato Catullum 56, 3 Rufa Rufulum (Konj.) 59, 1. Das lebhafte Klangempfinden unseres Dichters findet auch in dem reichen Gebrauch von Alliterationen seinen Ausdruck. Von diesem alten nationalen Kunstmittel, das die Kunstpoesie der volkstümlichen Dichtung entnommen hatte, machte zuerst Ennius weitgehendst Gebrauch, bei dem besonders häufig begrifflich zusammenhängende Wörter am Versanfang oder Versende durch den Stabreim gebunden erscheinen. Bei C. stellen sie sich nicht selten an Stellen ein, wo eine heftige Erregung seinen Worten ein überaus lebendiges Gepräge verleihen will, und erstreben sehr verschiedene Wirkungen: 4, 12 saepe sibilum; 5, 2 senum severiorum; 11, 17 vivat valeatque; 11, 18 tenet trecentos; 14, 10 bene ac beate; 36, 6 u. 9 pessimi poetae und pessima puella; 44, 13 frigida et frequens; 84, 8 leniter et leviter. Beachtenswert ist auch die Nebeneinanderstellung alliterierender Pronominalformen: 44, 4 mihi meus; 95, 9 mei mihi; vgl. 68, 146. Auch einzelne Beispiele für Lautmalerei lassen sich aufzeigen: 4, 12. 45, 15f. 46, 3. 68, 59. Vgl. W. J. Evans Allitteratio Latina London 1921 mit Belegen für C., Horaz u. a., ferner U. Nottola La funzione stilistica delle consonanze in C. Bergamo 1899.

Auch das Asyndeton findet sich bei C., und es ist namentlich in der kraftvollen Form des asyndeton bimembre meist bei sinnverwandten Begriffen vertreten (8, 11. 14, 21. 32, 10. 36, 10. 64, 57 und vielleicht 46, 11, falls variae die richtige Schreibung ist), wie es schon in altrömischen Gebeten (vgl. Cato agr. 141) und überhaupt in ritueller Sprache erscheint. Aber die Alliterationen, Anaphern und asyndetischen Fügungen sowie C.s vielbeobachtete Vorliebe für Parallelismus der Satzglieder sind echt lateinische Mittel der gehobenen Redeweise und drücken auch den gelehrten Dichtungen (man denke etwa an die Stabreime und Asyndeta in 63) sprachlich ein stark lateinisches Gepräge auf. – Besondere Wirkungen erzielt C. mitunter durch das bei ihm mehrmals erscheinende Hyperbaton, z. B. 44, 9. 57, 8. 60, 3. 65, 5; daß bei solchen künstlichen Wortstellungen gelegentlich griechischer Einfluß (z. B. 66, 18) oder auch metrische Gründe (64, 170) mitspielen können, wird man kaum in Abrede stellen dürfen; vgl. Boldt De liberiore collocatione verborum, Göttingen 1884, 153f. Über die Wortstellung ἀπὸ κοινοῦ s. am Ende dieses Abschnittes.

Eigenartig sind ferner die zahlreichen Selbstapostrophen des Dichters (8, 1 u. 19. 46, 4. 51, 13. 52, 1 u. 4. 76, 5. 79, 2). Diese fast naiv anmutende Selbstanrede gebraucht C. wiederholt, wo er mit seiner Leidenschaft ringt (in 8 und 76), und sie klingt gelegentlich (51, 13) wie eine Warnung seines besseren Ichs. Diese Selbstnennungen erklären sich ausreichend aus der lebhaften, stets zum Dialog neigenden Natur des Dichters und brauchen keinesfalls mit Th. Birt Philol. LXIII (1904) 436ff. als Anrede von Seiten des Genius des [2388] Dichters aufgefaßt zu werden; vgl. auch O. Weinreich Die Distichen des C. (Tübingen 1926) 44. Unzutreffend ist es, diese Selbstapostrophen aus dem Vorbild Sappho herzuleiten (Riese Komm. XXIX), abwegig der Einfall E. Kalinkas (Wien. Eranos 162f.), C. habe die Schlußstrophe des 51. Gedichtes Lesbia in den Mund gelegt; s. auch O. Immisch S.-Ber. Akad. Heidelb. 1933/34, 2. Abh., der diese Strophe für eine Entgegnung Lesbias hält. Zutreffend N. Vulić W. St. XXXII (1910) 316ff.

Von anderen Figuren fällt am meisten die Nebeneinanderstellung gegensätzlicher Begriffe auf: 5, 3 omnes unius; 5, 5f. lux, nox; 8, 3f. perisse, fulsere; 14, 14f. periret Saturnalibus; 22, 9f. bellus et urbanus ... caprimulgus aut fossor; 36, 6 electissima pessimi; 76, 13 longum subito. Daß der poeta doctus recht gern mit Antonomasien prunkt (z. B. 36, 7 'tardipedi deo, 61, 18f. ad Phrygium iudicem), die er auch in der Form des Patronymikons (Nereides usw.) anwendet, kann nicht verwundern; übrigens war ja dieser Tropus ein beliebtes Requisit der Alexandriner. Gelegentlich erscheint auch ein Oxymoron (64, 83). Vgl. C. Pascal Elementi retorici nella poesia Catulliana Rendic. dell’ Ist. Lombard. III. (1915) 424ff.

Aber diese Kunstmittel erwecken nahezu nirgends den Eindruck des Gemachten, Bedachten, Beabsichtigten. Sie dienen vielmehr zum größten Teil der spontanen Äußerung verschiedener Bewegungen des Dichtergemütes und lassen sich, da man meist die psychologischen Wurzeln dieser sprachlichen Erscheinungen aufzudecken vermag, zu einer vertieften Interpretation des Dichters auswerten. Im Einleitungsgedicht, der Widmung an Cornelius Nepos, spricht C. vom Werke des Freundes chartis doctis, Iuppiter, et laboriosis (6f.). Der rhetorische Ausruf ,Iuppiter‘, ein echter Temperamentsausbruch, zeigt C.s große Achtung vor fremder Arbeit, seine willige Anerkennung der Tüchtigkeit eines Nebenmenschen und beleuchtet (wie auch v. 4) seine eigene Bescheidenheit. Im 3. Gedichte ist durch den anaphorischen Gebrauch des Wortes passer (v. 3f.) nicht bloß die Trauer um das tote Vöglein ausgedrückt, sondern auch das Mitgefühl mit dem Leide seiner Herrin Lesbia: und dadurch indirekt die Liebe des Dichters und seine Sehnsucht nach der Geliebten. In der alliterierenden Zusammenstellung von perisse perditum (8, 2) liegt die Strenge der Selbstmahnung zu standhaftem Beharren; sie enthüllt, wie schwer dem Dichter die Stetigkeit des Fernbleibens von Lesbia fiel und wie tiefwurzelnd und unüberwindlich diese Liebe war (Vorstufe zum vollen Verständnisse von 76 und 11). In der Häufung von rhetorischen Fragen in 8 (v. 16–18) verschleiert sich der Wunsch nach schwerem Vermißtsein. In 9 wiederholt C. in v. 5 das Wort venisti (,du bist da!‘), um sich gleichsam an der Tatsache der Wiederkehr seines Freundes zu berauschen; aber in dieser Anapher drückt sich auch die Wertschätzung des Wiedergekehrten und C.s treue Freundesgesinnung aus. In 31 versinnlicht die Zusammenstellung gaude gaudete (12f.) den mächtigen Eindruck, den die Natur auf den Dichter ausübt: C.s Naturgefühl. Das unbeirrbare Einverständnis der Liebenden [2389] malen die Worte amant amantur (45, 20), auf fiebernde Reiselust deuten die viermal gesetzten iam in 46 (v. 1f.; 7f.). Diese Beispiele mögen genügen.

Abschließend sei hier noch auf eine besondere Eigentümlichkeit der Dichtung C.s hingewiesen, auf den Refrain, der nicht bloß die kurzzeiligen Gedichte belebt (29, 5. 9; 45, 8f. und 17f.; vielfach in 61; vgl. auch 8, v. 3 und 8), sondern auch in 62 (v. 5, 10 usw.) und 64 (v. 327, 383 usw.) wirkungsvoll verwendet wird. Das Erscheinen des Kehrreims steht mit den starken volkstümlichen Einflüssen auf C.s Kunst in natürlichem Einklang und läßt an die gleiche Erscheinung bei Theokrit, in den deutschen Volksliedern, bei den Bänkelsängern und in volksnaher französischer Lyrik (z. B. bei A. Béranger) denken.

Die Sprache unseres Dichters zeigt aber auch den Niederschlag seines eifrigen Studiums der lateinischen Vorgänger sowie der Griechen und insbesondere der hellenistischen Poesie. Eine Frucht dieser Beschäftigung ist zunächst der verhältnismäßig reiche Gebrauch der Nominalkomposita. Daß bei dem merklichen Widerstreben der lateinischen Sprache gegen Komposition beim Nomen C. hierin ähnlich wie Ennius und Lukrez die Griechen nachzubilden bestrebt war, liegt auf der Hand; in dieser Hinsicht wichen die Neoteriker von dem sonst verpönten Epiker Ennius nicht ab. Die meisten dieser nicht immer glücklichen Wortbildungen begegnen in der dem Hellenismus nachstrebenden Dichtung; eine Zusammenstellung bietet Riese Komm. XXVII. Wenn solche zusammengesetzten Nomina in den nugae erscheinen, so ist dies vorwiegend an Stellen der Fall, wo sich ein Einschlag gehobener Redeweise findet: z. B. buxifer 4, 13, lasarpicifer 7, 4, sagittifer 11, 6, septemgeminus 11, 7, aurifer 29, 19, unanimus 80, 1, caelicolae 30, 4 usw.; andere dieser Wortkompositia dienen verulkenden oder scharf persiflierenden Zwecken, so pinnipes 58 a, 3, plumipes 58 a, 5, magnanimus (auch bei Lukrez) 58, 5. Manche dieser Bildungen grenzen an Überkühnheit wie etwa propenpes, nemorivagus und silvicultrix, die in dem hochkünstlichen Attisgedichte (v. 34, 72) erscheinen. Im übrigen verdient die Tatsache Erwähnung, daß man C. zu den an Neologismen reichsten Dichtern lateinischer Zunge zu zählen hat. Vgl. J. H. Grashoff Beobachtungen zur Stiltechnik der Dichter Cicero, C. und Tibull. Auszug im Jahrb. d. philos. Fak. Göttingen 1922, 2, 58. A. Ronconi Stile e lingua di C. At. e Roma VI (1938), 144ff.

Der Gebrauch griechischer Fremdwörter, vornehmlich in den docta carmina 63, 64, 66, sowie griechisch flektierter Eigennamen (ebd. und in 68) weist einen beträchtlichen Umfang auf; mitunter begegnen auch ganze Versgruppen, die mit solchen Ausdrücken und anderen Gräzismen geradezu angefüllt sind, wie z. B. 68, 103–112. Hingegen sind in den kleineren Sächelchen griechische Lehnwörter in unerwarteter Fülle anzutreffen, z. B. ambrosia, carpatinus, catagraphus, charta, crepida, elleborus, grabatus, hendecasyllabus, mimice, mnemosynum, palimpseston, papyrus, phasellus, poema, raphanus, zona (vgl. darüber M. N. Wetmore Index verborum Cat., s. unter XI., auch in den Ausg. von Ellis [2390] und von Schwabe). Über die tieferen Ursachen dieser Gepflogenheit klärt uns Quintilian auf, der (inst. XII 10, 27ff.) über die Vorzüge und besonders die höheren Klangschönheiten der griechischen Sprache gegenüber der lateinischen handelt und dann zusammenfassend sagt (§ 38): ,So klingt denn Hellas’ Sprache viel angenehmer als die lateinische und darum schmücken unsere Sänger ein Gedicht, wenn sie ihm Anmut verleihen wollen (quotiens dulce carmen esse voluerint), mit griechischen Wörtern aus‘; vgl. dazu Verg. eclog. VII 37f. u. 41f. (gegensätzliche Ausdrucksformen). Hin und wieder hat Hellas’ Sprache unseren Dichter auch zur Nachgestaltung einer spezifisch griechischen Wortprägung im Lateinischen angeregt, so z. B. bei den gewagten bildlichen Ausdrücken nutrices (64, 18 im Sinne von mammae) nach τίτθαι und cachinni undarum (31, 13) nach κυμάτων γέλασμα.

Auch Gräzismen syntaktischer Art sind bei C. nichts Seltenes. Beispielsweise rechnen wir hierher den Dat. duobus in 62, 64, den griech. Akk. in 64, 64 u. 65, eine Fügung wie ait fuisse navium celerrimus in 4, 2; hingegen liegt in 4, 10 iste post phasellus vielleicht der adjektivische Gebrauch eines Adverbs vor, der auch sonst belegbar ist: sehr ähnlich Enn. Euhem. IX 113 (p. 227 Vahlen). Weitere Belege für syntaktischen Gräzismus s. bei Kroll Komm.2 292 u. Schulze a. O.

Die Gedichte nach hellenistischer Weise machen natürlich bei den Alexandrinern zahlreiche Anleihen hinsichtlich der verwendeten Kunstmittel und manches davon hat sich auch auf die nugae abgefärbt. So treffen wir bei C. zunächst die hellenistische Ziererei an, den gelehrten Leser – denn an ihn richtete sich diese L’art pour l’art-Dichtung – durch Anspielungen auf Gegenstände, Tatsachen, Begebenheiten der Sagenkunde, Erdforschung, Geschichte und Literatur anzuregen oder das Allgemeine individualistisch zu gestalten. Gerade solche Anspielungen sind in die kleineren Gedichte merkwürdigerweise recht häufig eingeflossen. Wir lesen da z. B. von: Arabes molles (11), Syrium olivum (6), septemgeminus Nilus (11), Cytorus buxifer (4), Libyssa arena(7), lasarpiciferae Cyrenae (7), sudarium Saetabum (12 u. 25), catagraphi Thyni (25), Lydiae lacus undae (31), pinnipes Perseus (58 a), Pegaseus volatus (58 a). Zur Ausmalung üppigen Reichtums wird Syrien und Britannien genannt (45), Beispiele tiefster Einsamkeit geben die Wüstenstätten Libyens und Indiens (45). Nicht selten ist es dabei der Wohllaut eines volltönenden Namens, der diese Zutaten heranschafft. Großenteils bedeuten sie keine Erhöhung der Anschaulichkeit, also keine Steigerung der rein dichterischen Gestaltung, meistens stellen sie nur ein Ausbreiten von Wissensschätzen durch den poeta doctus dar. Dies tritt an manchen Stellen besonders deutlich in Erscheinung, so wenn z. B. 64, 105f. der vom Sturm entwurzelte Baum just auf das Taurusgebirge versetzt wird, oder wenn es von einem plumpen, stumpfsinnigen Tropf heißt, er liege da wie ein Erlenstamm, der von ligurischer Axt umgehauen wurde (17, 19).

Die Einflüsse der hellenistischen Dichtung zeigen sich ferner im Aufbau einiger größerer Gedichte C.s, vornehmlich in der Elegie an Allius [2391] (68) und in dem Kurzepos 64. Beiden Dichtungen ist die Kompositionstechnik der Hellenisten eigen, in ihren Epyllien und elegischen Dichtungen (wir denken hier vor allem an das von C. in 66 übersetzte Gedicht des Kallimachos) mit wohlberechneter Absicht von dem jeweiligen Hauptthema in Seitenthemen abzuschwenken, die mit jenem nur in Ioser inhaltlicher Berührung zu stehen brauchten; mitunter auch in gar keiner, wenn sich an das Nebenthema, ebenso lose und äußerlich angestückt, ein zweiter und dritter Seitengedanke anschloß. Manchmal machte dann der Künstler bei einem dieser Vorwürfe halt und ließ die ganze Themenreihe in umgekehrter Folge und in gleicher künstlerischer Verbindung Revue passieren, bis er beim Eingangsthema anlangte. Ein besonders anschauliches Beispiel dieses poetischen Betriebes besitzen wir im 68. Gedichte C.s, einer gerade in Gestaltung des Aufbaues den Hellenisten, wahrscheinlich dem Kallimachos, nachgeformten Dichtung. Die eigentliche Digression nach hellenistischer Manier hebt mit v. 51f. an (Nam, mihi quam dederit duplex Amathusia curam, scitis) und endigt mit v. 140. Der Kerngedanke, Allius’ Verherrlichung, umsäumt diese Elegie als Eingang und Schluß; die Seitenthemen sind wie konzentrische Kreise ineinander gelegt: C.s Liebe zu Lesbia (v. 51–72); Laodamia (v. 73–86); Troia (v. 87–90); Tod des Bruders (Mittelstück: v. 91–100); Troia (v. 101–104); Laodamia (v. 105–130); C.s Liebe zu Lesbia (v. 131–140). Eine ganz ähnliche Tektonik wie die hellenistisch komponierte Partie des 68. Gedichts zeigt die Schilderung des Teppichs in C.s Kurzepos 64 (v. 50–266): v. 47–51 die Purpurdecke des Brautlagers; 52–70 Beschreibung des Ariadnebildes; 71–250 Erzählung von Theseus und Ariadne, und zwar 71–131 Theseus und Ariadne, 132–201 Einschaltung der Ariadneklage, 202–248 Aegeus’ Ende; 251–264 Beschreibung des Ariadnebildes; 265–266 die Purpurdecke des Brautlagers. Über ähnliche Kompositionstechnik bei Kallimachos s. M. Schuster Tibullstudien (Wien 1930) 38ff.; s. auch O. Frieß Beobachtungen über die Darstellungskunst C.s (Würzburg 1929) 12 u. 17; vgl. ferner die Digressionen bei Apoll. Rhod. I 721ff. und in dem Callimacheum 66 (v. 15–18; 42–50 gelehrter Exkurs; 79–88). Auf hellenistische Vorbilder scheint auch C.s Neigung zurückzugehen, Dichtungen mit breitem Satzbau einzuleiten (64. 67. 68) u. Gedichte mit Bezugnahme auf einen Sagenstoff oder mit Vergleichen ausklingen zu lassen: 2. 11. 25. 65. Alexandrinische Nachwirkung spiegelt sich wohl auch in den meist von Interjektionen eingeleiteten Ausrufen, wie sie uns im 64., 66. (neun Ausrufe) und 68. Gedichte, ähnlich wie in Ovids Herolden und Amores, begegnen. Wir meinen hier also nicht Ausrufe voll urwüchsig-kräftiger Echtheit (man denke an 1, 7. 3, 16. 8, 15. 9, 5. 26, 5 usw.), sondern jene kunstmäßigen Exklamationen, die einer tieferen inneren Anteilnahme entbehren. Die Grenzlinie zwischen beiden Ausrufsarten zu ziehen, fällt bei einem Dichter wie C., der seinen eigenen Gefühlen stets unmittelbar durchschlagenden Ausdruck verleiht, nicht schwer: fremde Empfindungen sinnenhaft-ursprünglich zu gestalten, hat er zu wenig Kunst und zu viel überschäumenden [2392] Schwung. Auch die in den docta carmina reichlich auftretenden poetischen Fragen haben hellenistische Wurzel und erscheinen bei Kallimachos häufig: vgl. Cat. 63 v. 55. 58–60. 62. 68–72. Cat. 64 v. 28. 116ff. 132–138. 154ff. 164ff. 177–183; das übersetzte Gedicht 66 enthält sieben solcher poetisch-rhetorischer Fragen. Von anderen dichterischen Kunstmitteln hat man die mehrfach erscheinende Metonymie (B. Schmidt LXXIV) sowie die figura ἀπὸ κοινοῦ (z. B. 30, 3. 56, 2. 64, 119 u. 336. 68, 68, vgl. E. Baehrens Komm. 46, Kroll Komm.2 293) als hellenistische Nachwirkung gedeutet. Ohne Zweifel aber werden die Sprünge und Risse in der hastig vorwärtsstrebenden Erzählungsweise (z. B. 64, 31. 116. 251), die mit umständlicher Einzelmalerei in eigenartigem Wechsel stehen (ebd. 38–42. 61–67. 256–260. 295ff.), hier zu buchen sein; vgl. in der Attisdichtung v. 1–5 und 84–90. O. Aken De figurae ἀπὸ κοινοῦ usu apud C., Tib., Prop. Schwerin 1884. A. Dubois Grammaticae in C. observationes, potissimum ad ea pertinentes, quae archaismi et hellenismi dicuntur, Paris 1903. Index gramm. bei B. Schmidt Ausg. 83. J. Smereka De Catullianae vocabulorum copiae certa quadam lege Eos XXXVI (1935) 275–284; s. auch Schanz-Hosius Gesch. d. röm. Lit. I4 302.

VII. Versmaße und Verstechnik. In prosodischer und metrischer Hinsicht gestattet sich C. weit mehr Freiheiten als die Dichter der augusteischen Zeit und seine Versbehandlung weist noch zahlreiche Merkmale unvollkommener Technik auf. Nichtsdestoweniger haben die Jungrömer durch mühevolle Nachahmung hellenistischer Muster insbesondere auf dem Gebiet der Metrik den späteren Dichtern wertvoll vorgearbeitet. C. und sein Kreis bilden solcherart den Übergang von der älteren Technik zur formvollendeten Hochkunst der Augusteer. Über einzelne prosodische und allgemeine verstechnische Erscheinungen gibt einen guten Überblick K. P. Schulze Bursian CLXXXIII (1920) 69ff. nebst weiteren Literaturangaben; s. auch M. Haupt bei Chr. [Belger M. H. als akad. Lehrer (Lpz. 1879) 243f. F. Brenner Primitiae Czernovic. I (1909) 46ff. A. Siedow De elisionis, aphaeresis, hiatus usu Greifswald 1911 sowie Riese Komm. XLIIf. und Kroll Komm.2 291–293.

1. Der daktylische Hexameter. Ennius war es, der einst die erste Hand an einen fast völlig rohen Block gelegt und in der damals noch recht ungefügen römischen Sprache Hexameter (,versus longi‘ Frg. inc. 20) zu formen gewagt hatte. Dieser bahnbrechende Meister hatte sich die Verse Homers und Hesiods zum Vorbild genommen, obschon die hellenistischen Versziseleure dieses Metrum bereits auf eine wesentlich höhere Formstufe gehoben hatten Ennius gebrauchte den Hexameter in seinen Annales und zum Teil in den Saturae und die oft noch sehr harten, holprigen Versgebilde lassen die ganze Größe dieses wahrhaft kühnen Unternehmens erst völlig deutlich werden. Dann hat auch Lucilius ein Buch seiner Saturae in Hexametern gedichtet, freilich tat er es ohne große Sorgfalt. Eine gewisse Glätte dieses Versmaßes bahnten allmählich erst die Neoteriker an; in dessen technischer [2393] Handhabung folgte C. mit ihnen der hellenistischen Poesie, und zwar allem Anscheine nach vorzugsweise den jüngeren nachkallimacheischen Dichtern (bes. Apollonios): vgl. E. Norden Aen. VI S. 377 und E. H. Sturtevant Wort ends and pauses in the hexameter Amer. Journ. XLII (1921) 304f. Man stellte jetzt strengere Anforderungen an einen wohlgebauten Hexameter als Ennius und selbst als Lukrez. So bewirkt nunmehr auslautendes s nach kurzem Vokal mit folgendem konsonantischen Anlaut regelmäßig Positionslänge; die jungrömische Schule hatte dies verlangt (Cic. orat. 161) und C. gestattet sich im Hexameter nirgends ein Abgehen von dieser neuen Regel (anders einmal in einem Pentameter 116, 8). Während Ennius, Lucilius und Lukrez noch häufig ohne eine künstlerische Absicht im Hexameter ein einsilbiges Schlußwort verwenden, gebraucht dies C. zur Erzielung besonderer Wirkungen: so malt dens in 64, 315 das rasche Abbeißen und mors in 68, 19 das plötzliche Abbrechen einer Tätigkeit; wo sonst der Hexameter auf Monosyllabon ausgeht, handelt es sich um enge Wortverbindungen, wie apud me (68, 33), in re (68, 41), par est (62, 9), tradita nunc sum (67, 9); vgl. noch 83, 5. 89, 5. 107, 5. Ferner gebrauchen C. und die jungrömischen Dichter im bewußten Gegensatz zur früheren Praxis den Spondeus im fünften Fuße nur noch in besonderen Fällen als Versschmuck (oft nach einem Spondeus im vorangehenden Fuß), wobei nicht selten griechische Wörter in Verwendung kommen. Die Zahl der versus spondiaci in C.s Epyllion (64) ist auffallend groß (27 in 408 Versen): vgl. H. de la Ville de Mirmont De l’hexamètre spondaïque dans C., Ann. de la fac. des l. de Bordeaux 1884, 118ff. Im allgemeinen zeigt C. ein offensichtliches Streben, Satz und Vers zusammenfallen zu lassen, ein weiterer Fortschritt gegenüber den älteren Dichtern, der freilich bei beharrlicher Anwendung die Gefahr der Eintönigkeit in sich birgt. Daß sich unser Dichter hinsichtlich der Wortstellung im Hexameter nicht mehr mit den Altrömern (samt Lukrez), sondern bereits mit den Augusteern aufs engste berührt, darf als eine vielsagende Tatsache gelten, die F. Marx Abh. Sächs. Akad. Phil.-hist. Kl. XXXVII 1922, 1ff. nachzuweisen vermochte. Sein metrisches Meisterstück in diesem Versmaß hat C. in dem Kleinepos 64 geliefert (v. Wilamowitz Hell. Dicht. II 298); mancher Vers dieses Gedichts beleuchtet, wie weit die künstlerische Beherrschung des Maßes bereits entwickelt ist, so z. B. 115 tecti frustraretur inobservabilis error, wo die schwerfälligen, ermüdenden Worte und der unzureichende, absichtlich wirkungsbare Einschnitt nach dem dritten Trochäus in ganz meisterlicher Weise die verwirrende Weitschweifigkeit des Riesenbaues veranschaulichen; kunstvolle Bauweise zeigt auch der vorangehende Vers, in dem der Schluß mit dem fünfsilbigen Worte (hier des Weges Endlosigkeit malend), ähnlich wie in v. 205, besondere Beachtung verdient. Vgl. auch F. Vollmer Röm. Metrik, Lpz. 1923, 11ff.

2. Der Pentameter und das elegische Distichon. Auch hier wandelt C. auf hellenistischen Spuren und läßt gegenüber Ennius, der übrigens den Hexameter und Pentameter [2394] durch entsprechende Satzbildung bereits gewandt zu vereinigen wußte, manchen Fortschritt erkennen. Die Silbenzahl des Schlußwortes ist im Pentameter bei C. zwar im allgemeinen noch frei, doch liegt bei ihm schon eine etwas strengere Technik vor, da er sich hier nur ausnahmsweise Monosyllaba erlaubt; hingegen wird dieser Vers auch bei ihm noch des öfteren mit einem kurzen Vokal geschlossen (67, 2. 76, 16 usw.), was spätere Dichter tunlichst mieden: P. Kessel De pentametro inscr. Lat. Bonn 1908, 19. Im Verseinschnitt des C.schen Pentameters findet sich zuweilen Hiatus: E. B. Lease Elision in the diaeresis of the pentameter of C. Class. Rev. XV (1901) 362ff. Hin und wieder trifft man freilich noch ein Versgebilde von einer seltenen, den Augusteern fremden Härte an, z. B. 92, 2 de me: Lesbia me dispersam nisi amat; vgl. 76, 8. A. Platt On the latin Pentameter Class. Rev. XXXIV (1920) 168. – Im elegischen Distichon behandelt unser Dichter den Hexameter bisweilen mit geringerer Sorgfalt, als man sie in seinem Kurzepos findet; über gewisse Schwächen im Bau des Distichons bei C. vgl. Kroll Komm.2 zu 68, 107 (Überhängen eines Wortes von einem Distichon ins andere). Auch einen Holospondiacus hat er sich einmal im Hexameter eines Distichons (116, 3) gestattet, und es läßt sich keineswegs mit sicherer Gewähr sagen, daß er dies in scherzender Absicht tat; gewiß ist nur, daß Kallimachos für den Hexameter des Distichons in diesem Punkte keine strafferen Forderungen stellte: s. R. Pfeiffer Callimachi fragmenta nuper reperta Bonn 1923 zu frg. 5, 27. Über das Monodistichon bei C. und dessen Bedeutung im Rahmen des antiken Schrifttums s. O. Weinreich a. O., besonders 1–7; 82f.

3. Der iambische Trimeter. Ihn verwendet C. in drei Gedichten (4. 29. 52). In c. 4 und 29 legt er bewundernswert reine Iamben hin, von denen er nur an zwei Stellen (29, 3 und 20) im ersten Fuße abweicht; das in c. 4 geleistete ,Überkunststück, das wir bei den Griechen κατὰ στίχον nicht nachweisen können’ (Vollmer 15), fand Nachahmung durch Vergil. Aber in c. 52 behält dieses Metrum, das zur Zeit der Neoteriker den alten Senar ablöste, noch die ältere Bauweise (,archilochischer iambischer Trimeter’), die im ersten und dritten Fuße Spondeen zuläßt; indes ist der am Gedichtschluß wiederholte Eingangsvers spondeenfrei. Monosyllabon am Versschluß nur in 29, 16. Vgl v. Wilamowitz Griechische Verskunst, Berl. 1921, 128. J. P. Postgate The pure iambic trimeter Class. Rev. XXXIX (1925) 161–166 (über Wortakzent und Versiktus, eine wenig ergiebige Untersuchung).

4. Der choliambische Vers. Der in der Römerdichtung frühzeitig heimisch gewordene Hinkiambus wurde hier nicht nach Hipponax' Muster gestaltet (A. Klotz Glotta III 1913, 237f.), sondern im Anschluß an die hellenistische Metrik. Der Spondeus wird da wie beim iambischen Trimeter nur im ersten und dritten Versfuß zugelassen; die Auflösung einer Hebung entbehrt bei C. fast niemals einer durch den Inhalt der Stelle gegebenen künstlerischen Begründung (22, 19. 37, 5. 59, 3) Eine Zäsur erscheint am häufigsten [2395] nach der dritten Senkung. Der für die Skazonten so charakteristische Akzentwiderstreit im Versschluß, der gewissen Empfindungen besonders kräftigen Ausdruck verleihen kann (vgl. c. 8, 2; 5; 11–13; 19 und c. 31, 6; 9; 11), hat bei C. sichtlich dazu geführt, daß er dieses Metrum, das ursprünglich in Schelteliedern erscheint (anders erst bei Babrios), auch zur Versinnlichung anderer Gefühle verwendete. Daß der Choliambus, dessen sich Laevius, Cn. Matius, Varro bedient hatten (Matius’ Mimiamben schlossen sich an Herondas an), auch sonst bei den Neoterikern beliebt war, erweist seine Verwendung durch Calvus und Cinna. Vgl. F. Bücheler Kl. Schr. I 551f. und v. Wilamowitz Gr. Versk. 296, ferner J. Pelckmann Versus choliambi apud Graecos et Romanos historia Kiel 1908. G. A. Gerhard Phoinix von Kolophon Lpz. 1909.

5. Der iambische Septenar. Dieses Maß, das C. bloß einmal verwendet hat (25), weist bei ihm eine gezügeltere Form als in der dramatischen Dichtung Roms auf: der Spondeus erscheint lediglich im ersten und fünften Versfuß zugelassen, der Einschnitt hat seine regelmäßige Stelle nach dem vierten Fuße. Schon diese strenge Bauweise läßt erkennen, daß der Dichter auch hier Anschluß an die alexandrinische Technik gesucht hat. Vgl. A. Beltrami C. e la poesia giambica Atti d. soc. Ligustica di sc. I (1922) 11–27.

6. Der phaläkische Vers. Dieses dem damaligen Zeitgeschmack besonders zusagende, von den jungrömischen Poeten überaus gepflegte metrische Gebilde darf man als C.s Lieblingsversmaß ansprechen. Im Grunde ist es nichts anderes als eine Sonderart des sapphischen Verses (v. Wilamowitz Gr. Versk. 105 u. 251); schon die aeolische Lyrik (Sappho) bediente sich seiner und unter den Alexandrinern ist es bei Kallimachos, Theokrit. und Phalaikos (Anth. Pal. 13, 6) nachweisbar. C. nennt es hendecasyllabus: 12, 10. 42, 1. Vor ihm gebrauchten es von den Römern bereits Varro und Laevius; dann ist es bei Bibaculus, Calvus, Cinna, späterhin nicht bloß bei Statius und Martial, sondern auch bei allerlei Sonntagsdichtern (Priapeen, Plin. epist. IV 27, 4) zu finden: sie und Martial stehen in gewisser Abhängigkeit von C., die aber bei Martial in verstechnischer Hinsicht nicht mehr zu voller Geltung kommt. Unser Dichter bekundet selbst beim Gebrauch dieses Elfsilblers im ersten Fuße größere Freiheit, wo, wie bei den Griechen, meist der Spondeus, weniger häufig der Trochäus oder Iambus begegnet; die spätere Römerlyrik (Martial u. a.) kennt nur spondeischen Eingang. Der hellenistischen Metrik entsprechend, weist der Hendecasyllabus C.s entweder nach der dritten Hebung oder nach dem Daktylus einen Einschnitt auf; nur 11 Verse von 495 entbehren der Zäsur. Mit Recht betont F. Vollmer a. O. 15 die merkliche Latinisierung dieses Maßes durch C., die namentlich durch Festlegung des Akzentspieles erfolgte: es läßt sich eine ausgesprochene Vorliebe für den Wortschluß in der dritten Hebung beobachten sowie ein glattes, dem Wortton Rechnung tragendes Auslaufen der Verszeilen; wo man ein Abweichen von der zuletzt erwähnten Erscheinung wahrnehmen kann (5, 5. 7, 7. 24, 7), liegt künstlerische [2396] Absicht klar zutage (50, 20 aber erklärt sich durch die vorliegende Wortgruppe). Eigenartig ist die Behandlung dieses Versmaßes in c. 55, wo in zahlreichen Versen statt des Daktylus ein Spondeus erscheint. Vgl. E. Norden Ind. lect. Greifswald 1895, XII (über die ,Basis‘ dieses Versmaßes). A. W. Verral A metrical jest of C., collected studies Cambridge 1913, 249ff. Th. Cutt Meter and diction in Catullus’ hendecasyllabics Univ. of Chicago 1936 (Beeinflussung des Stils durch dieses Metrum); s. auch v. Wilamowitz Gr. Versk. 139ff. und K. Münscher Herm. LVI (1921) 73ff.

7. Die sapphische Strophe. Nicht ohne Grund hat C. das Versmaß seines ersten Lesbialiedes (51) für die endgültige Absage an die Geliebte (11) verwendet: nur in diesen zwei Gedichten begegnet es. Diese Lieblingsstrophe der Sappho, bei der sie zuerst bezeugt ist, haben die übrigen Neoteriker scheinbar nicht gebraucht. In die Römerpoesie hat sie wohl C. eingeführt und dann findet sie sich erst von Horaz an, der sie formell verfeinert und ihr ein scharfbestimmtes Schema gegeben hat. C. scheint hier in metrischer Hinsicht Sappho vor Augen gehabt zu haben. Der zweite Versfuß weist bei ihm, wie bei den Griechen, überwiegend spondeische Form auf, selten (11, 6 u. 15, 51, 13) tritt der Trochäus ein. Die Zäsur verlegt er meist nach der fünften oder sechsten Silbe. Die Verszeilen der einzelnen Strophen stehen – in Übereinstimmung mit der bei den Griechen und später auch bei Horaz herrschenden Technik – zwar in Synaphie, wie auch ein gelegentlicher Versus hypermeter (11, 19 u. 22; vg. 11, 11f.) deutlich macht, doch ist diese nicht sonderlich streng gehandhabt, da in den Elfsilblern sowie im Adonius die Syllaba anceps zugelassen ist: 11, 7 u. 19. 51, 1 u. 10. Daß Horaz (carm. III 30, 13) C.s zeitliches Vorrecht hinsichtlich der Einführung des Aeolium carmen außer acht läßt, suchte man damit zu rechtfertigen, daß erst der Venusiner in grundsätzlichem Streben und in grundlegender Weise die Versformen der lesbischen Lyrik in ihrem vollen Ausmaß wiederbelebt hat: vgl. U. E. Paoli At. e Roma VI (1925) 85f. R. Heinze Die lyrischen Verse des Horaz, Lpz. 1918, 28f. 63–73.

8. Glykoneische Strophen. Eine vierzeilige glykoneische Strophe, deren letzter Vers ein Pherekrateus (mit dem Daktylus an zweiter Stelle) ist, verwendet C. in seinem Hymnus auf Diana (34). Im ersten Fuße besteht noch die freie Wahl zwischen einem Trochäus und Spondeus (od. Iambus, v. 1 u. 3), eine Bequemlichkeit, die sich Horaz nicht mehr gestattet. Im übrigen erschienen die vier Kola metrisch als eine Einheit (Synaphie): darum darf am Ende eines Kolons ein Wort in den Anfang des nächsten Kolons überragen (vgl. v. 11 u. 22), während am Kolonschluß weder Hiatus noch Syllaba anceps zugelassen ist. Im übrigen fällt an der technischen Gestaltung der Glykoneen auf, daß sie meist vollen Wortschluß zeigen. – Auch sein Hochzeitsgedicht 61 verfaßte C. in glykoneischen Strophen; doch sind dieses fünfzeilig. Er verbindet darin stets vier Glykoneen mit einem abschließenden Pherekrateus. Die Verse sind im allgemeinen in gleicher Art wie in c. 34 gebaut; kleinere Freiheiten zeigen [2397] v. 25 nutriunt umore, wo ein Spondeus im zweiten Versfuß auffällt, und v. 223, wo am Kolonende eine Syllaba anceps erscheint (Aufhebung der Synaphie). Die hier vorliegende Strophenform hat vielleicht auch C.s Freund Ticidas in seinem Hochzeitslied (W. Morel Frg. poet. Lat., Lips. 1927, 90) verwendet. – In c. 17 und frg. 1 ist stets ein Glykoneus mit einem Pherekrateus zu einer Einheit (versus Priapeus) verbunden; die Zäsur liegt hier regelmäßig nach dem Glykoneus. Vgl. L. J. Richardson Greek and latin glyconics Univ. California publ. class. philol. II (1915) 257ff. R. Heinze a. O. 61–63. K. Münscher Herm. LVI (1921) 79f.

9. Der größere asklepiadeische Vers. In diesem kunstreichen Maß, dessen sich schon Alkaios und Sappho, später auch Kallimachos und Theokrit bedienten, hat C. nur c. 30 gedichtet. Die Peinlichkeit in der Handhabung der Zäsuren sowie die Regelmäßigkeit des spondeischen Versbeginnes läßt auf Beeinflussung durch die Hellenisten schließen; s. R. Heinze a. O. 33f., 58–61.

10. Der galliambische Vers. In seinem ,Attis‘ (63) verwendet C. dieses künstliche Versmaß, einen eigenartig gestalteten ionischen Tetrameter mit zahlreichen Kürzen (Kroll Komm.2 130), in dem sich schon Laevius nach hellenistischen Vorbildern geübt zu haben scheint. In der gewandten Handhabung dieses ebenso seltenen wie schwierigen Verses gab C. eine geglückte metrische Verwegenheitsleistung: in der Anpassung der verschiedenen Möglichkeiten der Versgestaltung an die wechselnden Stimmungen liegt besondere Kunst, vgl. v. 22. 35. 73. 86. Vielleicht liegt hier ein Anschluß an Varro vor, der sich in seinen Satiren auch der Galliamben bedient hatte: F. Bücheler Kl. Schr. I 561. Vgl. noch C. G. Allen Attin annot. illustr. London 1892 (Ausg. des Gedichts mit Anm. auch zu dessen Metrik und engl. Übersetzung). R. Heinze a. O. 328., bes. 35. v. Wilamowitz Hell. Dicht. II 293. Th. D. Goodell Transact. Amer. philol. assoc. XXXIV (1903) 27ff. (über den Wortakzent in C.s Galliamben) und Ph. B. Whitechead Transact. and Proc. LVII (1926) XXVIIf.

Im allgemeinen läßt sich hinsichtlich der Verwendung dieser rhythmisch so verschiedenartigen Versgebilde feststellen, daß ihre Vielfalt dem Reichtum der dichterisch fruchtbaren Augenblicksstimmungen C.s im ganzen entspricht. Die dichterische Seele der einzelnen Gedichte schuf sich meist den ihr geeignetsten Körper. So drücken z. B. die Choliamben in 31 das Gefühl endlichen Ruhens nach langen Reisemühen aus, die Skazonten in 8 die Selbstaufforderung zu energischer Tat, der größere asklepiadeische Vers in 30 die seelische Erregung des Getäuschten; die Galliamben in 63 eignen sich mit ihrem fieberhaft aufgeregten Gewoge ganz vortrefflich für den bresthaften Gegenstand des Gedichtes, das Kleinepos 64 mit seinem abwechslungsreichen Inhalt rief nach dem vielgestaltigen erzählenden Hexameter. Viele feinsinnige Bemerkungen über die ästhetische Wirkung der Versmaße bei C. enthält T. Franks Buch ,C. and Horace‘, s. Abschn. II (am Ende). Doch kann eine übersteigerte Feinhörigkeit [2398] hier leicht in die Irre führen; so bleibt es besser dahingestellt, ob die flotten Iamben in 4 tatsächlich das gleichmäßig rasche Vorwärtsstreben des Schiffes malen, ob die sapphischen Verse ,mit dem müde verklingenden Adonius‘ wirklich in 51 die innere Erschöpfung widerspiegeln und in 11 auf bitteres Entsagen hindeuten. Es ist eben nicht überall gegönnt, einen Blick in die Geheimnisse künstlerischen Gestaltens, in die Tiefen des Bewußten und Unbewußten zu tun. – Allgemeine Literatur zu C.s Versbau: C. Ziwsa Die eurhythmische Technik des C. I (Wien-Hernals) (1879), II 1883; ders. Der Intercalar bei C. W. St. III (1881) 298ff. u. IV (1882) 271ff. J. Baumann De arte metr. Catulli Progr. Landsberg a. W. 1881. B. Maurenbrecher Philol.-hist. Beiträge C. Wachsmuth zum 60. Geburtstag überreicht, Lpz. 1897, 85ff. (über den Strophenbau). E. Stampini La metrica di Orazio, Turin 1908, wo anhangsweise C.s Versmaße behandelt werden.

VIII. Überlieferungsgeschichte, Handschriften, Textkritik. Die erste Erwähnung von C.-Ausgaben findet sich bei Gellius, der (VI 20, 6) von Editionen spricht, die den Wortlaut der Gedichte aus bereits entstellten Textabschriften (de corruptis exemplaribus) geschöpft hatten. Nur selten wird der Dichter in den Glossarien herangezogen: L. Schwabe C. in den Glossarien N. Jahrb. 131 (1885) 803ff. W. A. Lindsay Class. Rev. ΧΧΧIΙΙ (1919) 105. In C.s Geburtsorte fand sich im 10. Jhdt. ein Exemplar seiner Gedichte (s. Abschn. IX), dem C. den Fortbestand seiner Werke verdankt. Das Mittelalter hat dann vom liber Catulli lange Zeit keine Kenntnis mehr genommen: s. unter IX (Nachleben); erst zu Beginn des 14. Jhdts. wurde die genannte Veroneser Hs. wieder aufgefunden und nun entstanden zahlreiche Abschriften davon. Der italienische Humanist Guarino von Verona (gest. 1460) besorgte eine Ausgabe: E. Abel Z. öst. G. XXXIV (1883) 161 C. T. Sorbelli Della fortuna del c. III di Catullo presso gli Umanisti, Classici e neol. VIII (1912) 120f. R. Sabbadini Storia e critica di testi latini (Catania 1915) 173f. mit weiteren Literaturangaben. Indes geriet dieser wertvolle Codex alsbald wieder in Verlust und seine Wiederherstellung aus den vorhandenen Abschriften ist die Hauptaufgabe der Textkritik.

Abgesehen von einigen Sprengseln, über die am Schlusse dieses Abschnittes die Rede sein soll, muß man die vorhandenen Hss. der Dichtungen C.s als jung bezeichnen. Die wertvollsten davon sind der Sangermanensis (Paris. 14137), jetzt allgemein mit G bezeichnet, und der Oxoniensis (Bodleianus 30), mit O bezeichnet: jener erhält am Schlusse eine Angabe seiner Entstehungszeit (1375 mense Octobr.), dieser ist fast gleichzeitig, jedenfalls nicht viel später angefertigt. Alles in allem ist aber O dem Sangermanensis an Güte überlegen und G bietet für ihn eine sehr schätzenswerte Ergänzung. Den Wert von G hat erstmalig J. Sillig (Jahns Jahrb. XIII 1830, 262ff.; vgl. A. Roßbach Codicum Catull., quos Silligius descripsit, collationes Breslau 1859) erkannt, den von O insbesondere E. Baehrens Analecta Catulliana Jena 1874, 27ff. betont (schon von R. Ellis [2399] Ausg. 1867 herangezogen); jenen hat L. Schwabe in seiner ersten Ausgabe (1866) am klarsten gekennzeichnet (Faksim. von E. Chatelain Paris 1890, Tafel XV), diesen R. Ellis (Ausg. 1878, 146, s. Chatelain ebd. Tafel XV a). Daß sich eine zeitgemäße Textgestaltung vornehmlich auf diese beiden Hss. zu gründen hat, ist gegenwärtig außer Frage; indes besteht in den Ansichten über das Verhältnis dieser besten Codices zu einander sowie über die Beziehungen der übrigen Hss. zu ihnen keine Einigkeit (s. im folgenden).

Was die etwa siebzig Hss. minderer Güte anlangt, die aus dem 15. Jhdt. stammen und von den Itali (bisweilen mit feinem Raffinement) interpoliert sind, so haben verschiedene Forscher den Nachweis zu erbringen versucht, daß diesem oder jenem cod. det. für die Textgewinnung hervorragende Bedeutung zukomme; ein stichhaltiger Beweis hierfür ist nirgends geglückt. So hat W. G. Hale für den von ihm 1896 gefundenen cod. Romanus (Vatic. Ottobon. 1829), R genannt, die Behauptung aufgestellt, er verdiene die gleiche Beachtung wie G, mit dem er die Herkunft aus derselben Abschrift des Veronensis gemeinsam habe (Hale The manuscripts of Cat. Class. Phil. III 1908, 2336.); K. P. Schulze Herm. XXIII (1888) 5676. trat besonders für den Venetus Marcian. 12, 80 aus dem 15. Jhdt. (M) ein, dessen Lesungen er in seiner Neuauflage der Ausgabe von E. Baehrens (Lpz. 1893) heranzog; G. Friedrich beobachtete im cod. Berol. (D) vom J. 1463, den bereits K. Lachmann bevorzugt hatte, mehrfach Spuren ursprünglichen Textes, die er in seiner Ausgabe (1908) verwertete: s. aber A. Morgenthaler De Catulli codicibus Straßburg 1909, 55.; E. Stampini wollte an einer Hs. aus Brescia (Il codice Bresciano di C., Atti di Torino LI 1916, 1495., 2396.) den Vorzug entdecken, daß sie zahlreiche gute, von G und O unabhängige Lesarten biete: vgl. dagegen Hale Transact. Amer. philol. assoc. LIII (1922) 1036., wo dieser freilich gleichzeitig seine eigenen Irrtümer geißelt. Gewiß aber ist, daß unter den minderen Hss. die drei genannten (DRM) wiederholt gute, hin und wieder sogar die allein richtige Schreibung enthalten und daher beachtenswerte Beigaben zu OG darstellen; für D und M s. besonders die eingehenden Verzeichnisse und Ausführungen bei Baehrens-Schulze a. O. Proleg. XLIX–LX.

In das innere Verhältnis der Hss. zueinander suchte vor allem Morgenthaler a. O. Licht zu bringen. Er prüft namentlich auch die Quellenfrage der geringeren Hss. und gelangt zu dem im wesentlichen zutreffenden Ergebnis, daß uns der beste Wortlaut des liber Catulli in 0 vorliege, dem G am nächsten steht. Mit vollem Recht wird Hales Annahme bekämpft, der sämtliche codd. dett. als Abschriften aus R bewerten will. Diese Hypothese verdient im übrigen die gleiche Mißbilligung wie Hales Versuch, alle dett. für die Kritik als wertlos beiseite zu schieben; denn ohne Frage enthalten auch sie, wie erwähnt, bisweilen ein Edelkorn. Seine im ganzen ansprechende Ansicht über die Beziehung der Hss. zueinander veranschaulicht Morgenthaler durch nachstehenden Stammbaum: [2400]

Nach Hale Class. Rev. XX (1906) 160f. und Class. Philol. V (1910) 565. ist O direkt aus V geflossen (was uns möglich erscheint), während G und R über ein Zwischenglied (a) aus V stammt; M aber wie alle minderen Hss. leiten ihren Ursprung aus R her (was wir nicht billigen können). Endlich sei erwähnt, daß K. Lachmann den freilich allzu kühnen Versuch wagte, ein Bild der verlorenen Urhandschrift zu zeichnen (Ausg. Berl. 1829); vgl. auch M. Haupt Opusc. I 35 und M. Lenchantin Ausg. XLI–LI.

Älter als unsere Haupt-Hss. ist die Blumenlese des cod. Thuaneus (Paris. 8071), mit T bezeichnet, die aus dem Ausgang des 9. Jhdts. stammt: sie enthält das 62. Gedicht. Dieser Codex geht zwar auf die gleiche Urschrift wie der Veronensis zurück, mit dem er die Lücke nach v. 32 gemeinsam hat; doch stellt er keine Abschrift aus V dar, da er den in V fehlenden v. 14 enthält: vgl. darüber H. Schenkl N. Jahrb. Suppl. XXIV (1898) 400. Ein Faksimile bietet E. Chatelain T. XIV. – Als Fälschung erkannt ist ein in Uncialschrift gebotenes Bruchstück eines angeblich dem 6. Jhdt. angehörigen Palimpsests, das A. Malein und A. Truchanow CR. Acad. Leningrad 1928, 293–297 veröffentlichten; vgl. dazu B. L. Ullman Class. Philol. XXIV (1929) 294; Gnomon V (1929) 415; s. ebd. 171. M. Lenchantin Stud. It. fil. N. S. VII (1929) 125. – Weitere Literatur zur Überlieferung und Textkritik: K. P. Schulze Herm. XXXIII (1898), 5116.; Berl. Phil. Woch. XIX (1899) 442f. W. G. Hale Class. Rev. X (1896) 3146. u. XX (1906) 1605. B. L. Ullman The identification of the mss. of Cat. cited in Statius’ édition of 1566, Chicago 1908. R. Sciava Athenaeum VI (1918) 725. (über eine C.-Hs. in Pesaro). H. W. Garrod Class. Quart. XIII (1919) 51f. (zu Scaligers Annahme über die Schriftart des verlorenen Archetypus der Hss.). Vgl. noch A. L. Wheeler a. O., der sein Buch mit einem Abschnitt ,History of the poems‘ einleitet.

IX. Nachleben. Es ist für den Wert der Dichtungen C.s von Bedeutung, daß ihr Schöpfer sehr wohl wußte, wer er als Künstler war. Daß er an die Unvergänglichkeit seines Schaffens glaubte, lassen zwei Stellen (c. 1, 10 u. c. 68, 43–50) deutlich durchschimmern. Der alternde Cicero, dieser begeisterte Schätzer des Ennius (Tusc. III 45), hat ihn zwar nicht gemocht; doch das hängt mit dessen Abneigung gegen die ganze Richtung der jungrömischen Dichterschule zusammen (orat. 161; Att. VII 2, 1). Wie rasch sich C.s Ruhm verbreitete, lehrt vielleicht eine Anführung aus seinen Gedichten bei Varro l. l. VII 50, [2401] doch wohl mehr, daß bereits Asinius Pollio über ihn schrieb (bei Charis. GL I 97, 10). Cornelius Nepos (Attic. 12, 4) rühmt einen Dichter namens L. Iulius Calidus mit den vielsagenden Worten: quem post Lucreti Catullique mortem multo elegantissimum poetam nostram tulisse aetatem vere videor posse contendere. Von den Dichtern der folgenden Zeit waren es vornehmlich der junge Vergil, ferner Properz und Ovid, bei denen er hoch in Ansehen stand. Die unter dem Namen des Mantuaners gehende Sammlung Catalepton, von der manche Gedichte auf den großen römischen Epiker zurückgehen, zeigt ebenso deutlich C.s Einfluß (bes. Catal. 6 u. 10, vgl. F. Zimmermann Philol. Woch. LII 1932, 1119S., ferner W. Wili Vergil München 1930, 14–19) wie der wahrscheinlich vergilische Culex und die pseudo-vergilische Ciris, in der reichlich viel aus C. abgepflückt ist: A. R. Bellinger Transact. Amer. philol. assoc. LIII (1922) 73ff.; s. auch R. F. Thomason Class. Phil. XVIII (1923) 239ff., 3345. und XIX (1924) 1475. Vorzugsweise war es das Kurzepos 64, das nicht bloß in den beiden letztgenannten Dichtungen immer wieder anklingt, sondern auch manches auf Properz und Ovid abgefärbt hat. Daß dieser an dem Dichter der Küsse seine Freude hatte, wird nicht wundernehmen: A. Zingerle Ovidius und sein Verhältnis zu den Vorgängern, Innsbruck 1871, I 42, 49–54; II 21f. 65. C. Ganzenmüller Philol. N. F. XXIV (1911) 2795., der zeigt, daß Ovids C.-Reminiszenzen fast ausschließlich aus c. 64 und 68 stammen; indes fällt es immerhin auf, daß Ovid nicht in C., sondern in Gallus den Begründer der Elegie sah (trist IV 10, 53). Ovid. amor. II 6 ist zweifellos beeinflußt von c. 3. Im übrigen stehen nicht wenige Dichtungen der Augusteer mit den Werken der von den Jungrömern nachgeahmten hellenistischen Poeten in Berührung. Als Horaz sein erstes Satirenbuch schrieb, waren C. und Calvus noch immer erklärte Lieblinge der Allgemeinheit; das bezeugt Horat. sat. I 10, 19 (27), wo der Ausdruck cantare (,nachleiern‘) durchfühlen läßt, daß der Venusiner nicht eben besonderes Wohlgefallen an den Werken des Veronesers hatte. Mit Recht weist T. Frank in seinem Buche ,C. and Horace‘ (s. Abschn. II a. E.) darauf hin, daß Horaz, der den Hellenismus ablehnte, in einem inneren Gegensatz zu seinem großen lyrischen Vorgänger stand, gegen dessen Nachwirkung er ankämpfte; s. auch Kießling-Heinze zur erwähnten Horazstelle. Freilich ist Horaz auch ohne sein Wollen in mancher Hinsicht von der alexandrinischen Kunst beeinflußt worden und selbst dem Weiterwirken der Poesie C.s auf sein eigenes Schaffen ist er nicht entgangen; R. R. Hack C. and Horace Class. Journ. VI (1910) 3245. C. Brakman Horatiana Mnemos. IL (1921) 209ff. U. E. Paoli At. e Roma VI (1925) 815. C. W. Mendell Class. Phil. XXX (1935) 2895. (C.sche Nachklänge in Horaz’ Odendichtung). Daß C. das sapphische Maß und auch die kampflustigen Iamben bereits in die römische Dichtung eingeführt hatte, will Horaz nicht wahrhaben und nimmt es einfach nicht zur Kenntnis: Horat. carm. III 30, 13 (s. o. Abschn. VII 7) und epist. I 19, 23f. Immerhin mag sich C.s Iambendichtung mehr mit den hellenistischen Mustern [2402] als mit Archilochus berührt haben. Daß sich unser Dichter auch zur Zeit des Tiberius und Nero hoher Schätzung erfreute, läßt Velleius Paterculus erkennen, der ihn II 36, 2 neben Lukrez nennt und seiner Kunst (wenn auch vielleicht bloß auf Grund allgemeinen Hörensagens) größte Anerkennung zollt, ferner Petronius, der ihm in seinen lyrischen Einlagen verpflichtet ist: R. B. Steele Class. Journ. XV (1920) 2795. Quintilian spricht von der Schärfe der Iamben C.s (inst. X 1, 96), stellt ihn daselbst mit Bibaculus und Horaz zusammen und kommt des öfteren auf ihn zu sprechen: Ausg. v. Radermacher vol. II, Index. Mit Verehrung blickte Martial auf den Sänger aus Verona, dessen carmina minora das Schaffen dieses bedeutendsten Epigrammatikers der Weltliteratur wohl unmittelbar angeregt haben; seine Beeinflussung durch C., dem er neben Ovid die Palme der römischen Dichtkunst zuerkennt, ist demgemäß ganz beträchtlich: R. Paukstadt De Martiale Catulli imitatore Halle 1876 mit Ergänzungen von K. P. Schulze N. Jahrb. CXXXV (1887) 6375.; s. auch noch C. W. Mendell Class. Philol. XVII (1922) 15. u. O. Weinreich Distichen des C. 109f. Auch die Priapeendichtung steht in gewisser Abhängigkeit von C.s nugae, sie verwendet vielfach einen ähnlichen Wortschatz. Aus der Epistolographie des jüngeren Plinius, der ihn und Calvus wie ein zusammengehöriges Dichterpaar nennt (epist. I 16, 5. IV 27, 4; vgl. Ovid. amor. III 9, 62), läßt sich ersehen, daß es in dieser Zeit bei allerlei Dichterlingen modern wurde, Verse und ganze Versbüchlein nach dem Vorbilde der kleinen Dichtungen C.s und des Calvus herauszugegeben, wobei man das Versmaß des Hendecasyllabus bevorzugte; auch Plinius hat nach seinem eigenen Geständnis ein solches Büchlein verbrochen: epist. VII 4, 8f. Sieht man von einer gelegentlichen Erwähnung bei Cornelius 395 (ann. IV 34) und bei Sueton (s. o. Abschn. II a. E.) ab, so kommen zunächst die Bezugnahmen bei Gellius (ed. Hosius vol. II p. 325) in Betracht, der ihn elegantissimus poetarum (VI 20, 6) nennt; ob dieses Lob zur Annahme einer tieferen Kenntnis des Dichters bei Gellius berechtigt, muß freilich dahingestellt bleiben. Einzelne Erinnerungen aus C. sind bei Ausonius und bei Claudianus anzutreffen: über jene gibt K. Schenkl in seiner Rezension Bescheid (vgl. auch Weinreich 79ff.), über diese Th. Birt Ausg. CCI Anm. I. Sein Versinken in die Vergessenheit kündigt sich deutlich an in den bezeichnenden Worten eines Mart. Cap. III 229 (p. 85 D.) hoc etiam Catullus quidam, non insuavis poeta, commemorat. Einige, zum Teil matte C.-Reminiszenzen bei Cyprianus Gallus, Paulinus Petric. und Dracontius verzeichnet C. Weyman in seinen ,Beiträgen zur Gesch. der christl. lat. Poesie‘ München 1926, 114–117; 140f.; 159f. (mit textkrit. Notizen); vgl. auch B. Barwinski Rh. Mus. XXXXIII (1888) 3105. (Anklänge bei Dracontius). Die Erwähnungen unseres Dichters bei Apoll. Sidonius (s. Abschn. II, Lesbiafrage) und bei Isidorus von Sevilla können nicht mehr als Beweis einer unmittelbaren Kenntnis des Dichters bei diesen Schriftstellern gelten. Bezugnahme auf C.s Gedichte in den carm. epigr. und in der Anth. Lat. stellt C. Pascal im Anhange seiner Ausgabe (Turin 1916) zusammen; die [2403] Zitate bei Grammatikern und Rhetoren, z. B. Ter. Maur. 2899, Mar. Victor. p. 154, 23 K., sind in der Ausgabe von Baehrens - Schulze Berl.2 1893 unter dem Text übersichtlich geboten. Über die Heranziehung C.s in den Glossarien s. Abschn. VIII (am Anf.); vgl. noch L. Schwabe Ausg. 1886, VII–XIII, K. P. Harrington a. O. 67–93 ,C. in the Roman empire‘ und E. Lißberger Das Fortleben der röm. Elegiker in den carm. epigr. Stuttgart 1934.

Da sich C.s Gedichte zur Lesung in den Schulen nicht eigneten, ging mit deren allmählichem Vergessenwerden ein Nachlassen der Vervielfältigung Hand in Hand und schließlich wurde ein Exemplar seiner Werke zur Seltenheit. Vom Ende des 6. Jhdts. an lassen sich nur ganz spärliche Anspielungen und Hinweise auf unseren Poeten feststellen. So zeigt z. B. der sonst vornehmlich von Vergil und Persius beeinflußte Eugenius von Toledo in seinem Gedicht über die Mühsale des hohen Alters (c. 14, 8f.) eine gelegentliche Anlehnung an eines der Passerlieder (c. 3, 13L), worauf F. Vollmer in seiner krit. Ausgabe (Mon. Germ. A. A. 14) aufmerksam machte, und auch bei Iulianus von Toledo findet sich einmal in seiner Ars (gramm. suppl. p. CCXX 12) eine Bezugnahme auf C. (c. 5, 4): vgl. M. Haupt Opusc. II 641; s. weitere Belege bei L. Schwabe XIIIf., P. Harrington a. O. 94–122 ,C. in the middle age‘ und bei H. Rubenbauer 177.

Fast hätten wir von C. nicht mehr als das 62. Gedicht erhalten, das, wie erwähnt, in eine Blütenlese des 9. Jhdts. Aufnahme gefunden hatte. Doch im 10. Jhdt. fand der gelehrte Bischof Rather von Verona daselbst eine Hs. mit C.s Gedichten (s. Abschn. VIII). Er las darin mit Eifer und beschuldigte sich selbst in einer zu Verona 965 gehaltenen Predigt, daß so wenig fromme Bücher wie die Werke eines Plautus und C. seine Lektüre bilden (Catullum numquam antea lectum ... lego p. 639 ed. Ballerin.): s. M. Manitius Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalt. II (München 1923) 35, 45, 51; vgl. ders. Philol. N. F. XV (1902) 458f. Allein der Fund dieser Hs. schenkte unserem Dichter kein neues Leben: sie wurde nachher nicht weiter benützt und geriet in Vergessenheit. Ob der Archetypus unserer Hss. mit dem Exemplar Rathers identisch ist, bleibt zweifelhaft. Als im 14. Jhdt. zu Verona neuerdings eine C.-Hs. ans Licht kam, hat C. zwar in einigen Humanisten, darunter in Petrarca, Leser gefunden, aber eine ausgesprochene Wirkung blieb ihm anfangs noch versagt; vgl. D. R. Stuart Transact. Amer. philol. assoc. XLVIII (1917) 3ff. (Petrarcas Verhältnis zu C.). Erst als auf Betreiben des für die Antike begeisterten Handschriftensammlers Coluccio Salutati auch von dieser Veroneser Hs. (seit 1375) zahlreiche Abschriften angefertigt wurden, begann sich ein stärkeres Interesse für den Dichter zu regen: L. Schwabe Die Wiederauffindung und erste Verbreitung C.s im 14. Jhdt., Verhandl. der 22. Vers. deutscher Philol. u. Schulm. in Meißen, 1863, 110ff. R. Ellis C. in the XIVth Century Oxford 1905. Nun traten allmählich auch die Nachahmer C.s auf den Plan. Der von Petrarca beeinflußte italienische Lyriker Benedetto Cariteo (eig. Gareth, um 1450 zu Barcelona geboren) verdankte den Inhalt vieler seiner [2404] Lieder C. sowie den römischen Dichtern der augusteischen Zeit, sein Zeitgenosse Giov. Antonio Petrucci streute in seine Sonette Anspielungen auf C., Horaz und Ovid (Tristien) ein, und der Neulateiner Giovanni Cotta (1481–1509) wußte seine Lesefrüchte aus C. in seinen Dichtungen und besonders in seiner Liebeslyrik geschickt zu verwerten, für deren Form unser Dichter das Vorbild abgab; vgl. B. Wiese u. E. Pèrcopo Gesch. der ital. Lit. (Lpz. u. Wien 1899) 250, 326. L. Schwabe Ausg. 1886, XIV–XVII. A. Alfio C. e l’umanesimo Acireale 1919. K. P. Harrington a. O. 123–135 ,C. on the continent since Renaissance‘.

Die Nachwirkungen C.s in der Spätrenaissance und in der Neuzeit sind, was die Literatur der führenden Kulturvölker anlangt, bisher noch wenig erforscht worden. Tiefer eindringende Untersuchungen und brauchbare Stoffsammlungen liegen derzeit lediglich für das Fortleben des Dichters im englischen Schrifttum vor, worüber noch die Rede sein wird.

Für das Weiterleben C.s bei deutschen Dichtern besitzen wir kein den gesamten Stoff überschauendes Werk. Unter den Humanisten zeigt vornehmlich U. v. Hutten, der vielbelesene, durch C.-Citate in seinen Dialogen von 1519/20 gute Bekanntschaft mit dem Dichter: P. Held Ulrich von Hutten, Schriften des Vereins für Reformationsgesch. Jahrg. 46 (Lpz. 1928) bes. 47ff. Von den lateinisch schreibenden deutschblütigen Poeten des 17. Jhdts. läßt der Oberelsäßer Jakob Balde (gest. 1668) in seiner Lyrik neben starken Anlehnungen an sein Hauptvorbild Horaz unverkennbare Erinnerungen an die Passerlieder C.s merken: M. Schuster C. und Tibull bei J. Balde Philol. Woch. LVI (1936) 173f. Auch der ostmärkische Neulateiner Simon Rettenbacher (gest. 1706) bekundet in seiner Odendichtung die Kenntnis C.scher Poesie, so der Gedichte 51, 61 und 96; dreimal spielt er auf das berühmte Lesbialied 51 an, wobei er einmal an Stelle der Wirkungen des Liebesrausches bei C. von der bacchischen Berauschung singt: Sed labant vino digiti repente, lingua torpescit, nebulis teguntur lumina, obscurum gemina refulget luce cubile (Silv. II 6, 5f. ed. T. Lehner): M. Schuster Simon Rettenbacher und seine Beziehungen zur Antike, Ztschr. f. deutsche Geistesgesch. III (1937) 127f. Lohnendes Material bei den deutschen Anakreontikern, besonders bei W. L. Gleim, J. P. Uz, J. N. Götz, ferner auch bei den Mitgliedern des Göttinger Dichterbundes, namentlich bei L. Hölty, harrt der Bearbeitung. Hervorzuheben sind ferner die an C. gemahnenden Gedanken und Wendungen bei Lessing, die P. Albrecht in seiner weitausgreifenden Arbeit ,Lessings Plagiate‘ Hamburg u. Leipzig 1890f. mit Bienenfleiß gesammelt hat; freilich wird man bei diesen Parallelen im Gegensatz zu Albrecht nur hin und wieder an eine unmittelbare Beeinflussung denken dürfen. Mehr als in seinen ,Sinngedichten‘ ist Lessing dem römischen Lyriker in seinen ,Liedern‘ verpflichtet (vgl. ,Die Küsse‘, beide Gedichte mit dieser Aufschrift, u. a.), von denen er im J. 1751 einen Teil unter dem Titel ,Kleinigkeiten‘ (C.s nugae!) erscheinen ließ. In der neueren Zeit war vorzugsweise Mörike ein begeisterter Verehrer [2405] C.s; er übertrug eine Auslese aus dessen Gedichten in deutsche Verse (E. Mörike Classische Blumenlese I. Bd. Stuttgart 1840, 162ff.) und nahm auch zwei von ihm übersetzte Gedichte (84 u. 85) in seine eigene Liedersammlung auf; einige seiner kurzen Gedichte sind von C. inspiriert, natürlich ohne irgendwie geistlose Abhängigkeit von dem römischen Dichter zu zeigen. Auf eine gewisse innere Verwandtschaft Mörikes mit C. wollte Hille in seinem Buche ,Gestalten und Aphorismen‘ Ges. Werke Berl. u. Leipz. 1904, II 120 hindeuten, als er für den schwäbischen Sänger den Porträtaphorismus prägte: ,Eduard Mörike: Vikar Catull‘. Die Nachwirkungen C.s bei Mörike deckte im einzelnen auf M. Schuster Ztschr. f. öst. Gym. LXVII (1916) 385–416; vgl. ders. Altertum und deutsche Kultur Wien 1926, 81 u. 135. Ferner hat O. Weinreich dem im 85. Gedichte C.s erscheinenden Motiv eine tiefschürfende Untersuchung (a. O. 32–83) gewidmet, die auch auf das deutsche Schrifttum Bezug nimmt, G. Herrlinger Totenklage um Tiere in der antiken Dichtung Stuttgart 1930 behandelte den Tod des Passer der Lesbia (c. 3), und A. Ramminger gab in dem ausführlichen Anhang seiner sorgfältigen Schrift ,Motivgeschichtliche Studien zu C.s Basiagedichten‘ Würzburg 1937 einen Überblick über das Nachleben der drei Kußgedichte (5. 7. 48) in der Weltliteratur. Daß C.s Gedichte weit mehr lyrischen Gehalt im Geiste Goethes bekunden als die horazische Poesie, ergibt sich aus der Studie F. Klingners Horazische und moderne Lyrik, Die Antike VI (1930) 65–84.

Im englischen Schrifttum tritt die Nachwirkung C.s hauptsächlich seit dem 16. Jhdt. deutlicher in Erscheinung. Den Einflüssen, die sich durch das Interesse für das Altertum und durch die italienische Lyrik auch für die englische Dichtung geltend machten, konnten sich von namhafteren Dichtern dieser Zeit nur wenige entziehen; nicht einmal der sonst so selbständige politisch-satirische Pamphletschreiber und volkstümliche Dichter John Skelton (gest. 1529) darf da als vollkommene Ausnahme gelten: bei ihm lassen sich die ersten Spuren einer Beeinflussung durch C. aufzeigen (s. im folgenden). Im 17. Jhdt. ist es zunächst die meist von Künstelei strotzende Lyrik John Donnes (gest. 1631), die ein Studium des Veronesers verrät. Wesentlich nachhaltiger und ausgebreiteter sind dessen Einflüsse auf Shakespeares Zeitgenossen Ben Jonson, einen gründlichen Kenner der Antike, der mit Vorliebe und öfters um mit seiner Gelehrsamkeit zu prunken, einen oder einige Verse aus Anakreon, Euripides, Horaz, Iuvenal oder einen Witz aus Petron in engster Anlehnung an das Vorbild in seine Werke einflicht. Allerdings offenbart er bei solchen Entlehnungen mitunter wenig Geschmack, so, wenn er beispielsweise einem widerlichen alten Knauser und Verführer, dem Helden im ,Volpone‘ (II 2), eine ziemlich mißglückte Nachbildung von C.s 5. Gedichte als Liebeserklärung an eine edle Frau in den Mund legt. Der Nachahmung unseres Dichters bei englischen Literaten des 17. Jhdts. ist E. S. Duckett in der Abhandlung ,Some English [2406] echoes of C.‘ Class. Weekly XV (1922) 177–180 nachgegangen; vgl. ferner E. Engel Gesch. der engl. Lit. Lpz. 19153 187. Auch das folgende englische Schrifttum erfuhr künstlerische Anregungen durch C.s Werk, und zwar bis in die jüngste Gegenwart; abgesehen von freien Nachbildungen, Parodien und von mancher platten Nachtreterei, begegnen uns da Inspirationen zu Eigenschöpfungen und überaus zahlreiche mehr oder minder deutliche Anklänge, wohl großenteils unbeabsichtigter Art. Eine reiche Sammlung dieser imitatio Catulliana in England legt K. P. Harrington a. O. 136–218 vor. Seine Darlegungen nimmt E. S. Duckett zur Grundlage für eine weiter ausgreifende Behandlung des Themas in dem Buche: ,C. in English poetry‘ Northampton 1925 (= Smith College Class. Stud. Nr. 6). Diese den Stoff bis zum Erscheinungsjahr wohl abschließend behandelnde Veröffentlichung hebt mit John Skelton an und reicht bis auf ein aus dem J. 1923 stammendes Preislied auf unseren Dichter; freilich hat in dieser Schrift das Streben, den Gegenstand tunlichst erschöpfend vorzuführen, sichtlich dazu verleitet, viele Stellen als C.-Nachahmung zu erklären, wo offenbar nur indirekte Weiterwirkung besteht; auch hat allerlei ganz fragwürdiges Detail in das Buch Eingang gefunden. Mit Recht wird der liebenswürdige anakreontische Dichter Robert Herrick, der C. in mancher Hinsicht innerlich verwandt ist, eingehender behandelt, desgleichen aus jüngster Zeit der Hofdichter A. Tennyson und der große Verskünstler A. Ch. Swinburne. Meistens sind es C.s nugae und darunter vorzugsweise die Lesbialieder (bes. 3. 5. 7. 51), deren Nachhall hier immer wieder zu vernehmen ist. Hingegen wird man so gut wie nichts von dem, was Shakespeare nach Duckett dem Veroneser abgelauscht hat, als eine tatsächliche, jedenfalls nicht als eine direkte Entlehnung aus C. anzusehen haben. Vgl. noch J. B. Emperor The Catullian influence in English lyric poetry ca. 1600–1650 Columbia, Univ. 1928 (Univ. of Missouri Studies III 3), worin mehr als dreißig Autoren, auch mit ihren Prosaschriften, behandelt sind, ferner D. Crane Johannes Secundus, his life, work and influence on English literature, Beiträge zur engl. Philol. XVI Lpz. 1930 (die Ausg. der Basia von G. Ellinger 1899 hatte schon auf C. als eine der antiken Quellen dieser Dichtung hingewiesen).

Klagegedichte englischer und französischer Herkunft stellt P. Barnds Class. Journ. XXXIII (1937/38) 88ff. mit Cat. 65. 68. 101 zusammen; mit dem Nachleben C.s bei der amerikanischen Schriftstellerin Ellen Glasgow befaßt sich H. C. Lipscomb Class. Journ. XXIX (1933/34) 453. Einflüsse des Dichters auf die rumänische Literatur untersucht T. A. Naum Anuarul Instit. stud. clas. (Univ. Klausenburg) II (1936) 78–97 mit französ. Auszug. Vgl. noch R. Newald Nachleben der Antike Bursian CCI (Suppl.-Bd.) 1935, 65, 88. 98f. 120. 122.

X. Ausgaben, Kommentare, Übersetzungen. Über die ältesten Ausgaben, von denen die von Parthenius (1486) und Palladius (1492) hervorgehoben seien, handelt eingehend R. Ellis in der zweiten Auflage seiner kritischen Ausgabe (Oxford 1878) p. LIX; die [2407] von H. Avantius besorgte Aldina erschien zu Venedig 1502 und 1515. Über die nun zunächst folgenden Editionen s. im folgenden unter Kommentare. Wenn auch J. Scaligers Rezension (Paris 1577) mit ihrer zu hohen Bewertung des cod. Cuiacianus und J. Vossius’ Ausgabe (London 1684) in kritischer Hinsicht noch bedeutungslos waren, so mangelt es ihnen doch nicht an scharfsinnigen Emendationsversuchen; auch die Arbeiten von A. Vulpius (Padua 1710 u. 1737) sowie von F. W. Döring (2 Bde. Lpz. 1788–1792) verdienen in dieser Hinsicht Erwähnung. Einen festen Boden für eine kritische Ausgabe zu legen versuchte erstmalig K. Lachmann Berl. 1829 (18743), doch mißglückte dieser Versuch, da er seinen Text auf einer minderwertigen, durch Interpolationen entstellten Hs. (cod. Datanus) aus dem J. 1463 aufbaute. Die ersten kritischen Ausgaben lieferten L. Schwabe Gießen 1866, Berlin 18862 und E. Baehrens Lpz. 1876 (neu bearbeitet von K. P. Schulze Lpz. 1893): jener zog für die Textgestaltung vor allem G heran, während dieser den Wortlaut der Gedichte vornehmlich aus O gewann; leider hat Baehrens seinen handschriftlich gut basierten Text durch eine Überfülle eigener Vermutungen verunstaltet. Die neueren Ausgaben haben die Erkenntnisse von Schwabe und Baehrens verwertet; an erster Stelle seien die Neubearbeitungen von M. Haupts Ausgabe (Lpz. 1853) durch J. Vahlen und zuletzt durch R. Helm (7. Aufl. Lpz. 1912) genannt; weitere Rezensionen besorgten: B. Schmidt Lpz. 1887 (zwei Ausgaben, von denen die ed. maior wertvolle Prolegomena enthält), J. P. Postgate London 1889 (unmethodisch), J. Davies Lond. 1898, R. Ellis Oxford 1867, 18782, 19063 (bedeutsam), F. Ramorino Florenz 1912, C. Pascal Turin 1916, E. Stampini ebd. 1921 (sorgfältig), E. T. Merrill Lpz. 1923 (unübersichtlicher Apparat, oft verfehlte Textgestaltung), W. B. Mac Daniel New York 1931 (unbefriedigend), G. Bonazzi Rom 1936 (kritisch mangelhaft). Für die kritische Sichtung des Textes haben auch die erklärenden Ausgaben, namentlich die im nachstehenden erwähnten Kommentare von R. Ellis, E. Benoist-E. Thomas, A. Riese, G. Friedrich, M. Lenchantin und besonders W. Kroll tüchtige Arbeit geleistet und der von Kroll in der zweiten Auflage seines Kommentars gebotene Wortlaut des liber Catulli darf im großen ganzen als der gegenwärtig maßgebende Text bezeichnet werden; einige Verbesserungen gibt dazu A. Klotz Rh. Mus. LXXX (1931) 342ff.

Die ersten bescheidenen Versuche der Erklärung C.s begegnen in den erwähnten Ausgaben von Parthenius und von Palladius. Einer ausführlichen Kommentierung befleißigen sich bereits A. Guarinus (Venedig 1521), A. Muretus ebd. 1554 und vorzugsweise Achilles Statius (ebd. 1566); auch die bereits genannten C.-Herausgeber Vossius, Vulpius und Döring leisten ihr Bestes in einer eifrigen Deutung des Veronesers. Grundlegend für eine vertiefte Auslegung des Dichters wurden hauptsächlich folgende Werke: L. Schwabe Quaest. Catullianarum lib. I Gießen [2408] 1862. R. Westphal Catulis Gedichte in ihrem geschichtlichen Zusammenhänge Breslau 1867, 18842 (trotz vieler Kühnheiten ein anregungsreiches Werk). R. Ellis A commentary on Catullus Oxford 1876, 18892 (trotz mancher gekünstelten Interpretation ein scharfsinniges, reichhaltiges Buch). A. J. Munro Criticisms and elucidations of C. London 1878 (19052 von W. Duff). Diese Werke und die Einzelforschungen von O. Harnecker, H. Magnus, O. Ribbeck, F, Schöll, K. P. Schulze ermöglichten sodann das Erscheinen der neueren, wissenschaftlich gut fundierten Kommentare von: E. Benoist u. E. Thomas mit metrischer französ. Nachbildung von E. Rostand Paris 1882–1890, 2 Bde (von Ellis und der deutschen Forschung wesentlich beeinflußt), A. Riese Lpz. 1884 (mit umsichtiger Beachtung des bisherigen Forschungsmaterials), E. Baehrens Lpz. 1885 (in lat. Sprache, oft geistvoll, mitunter waghalsig und fehlgreifend). Etwas ganz Eigenartiges und durchaus Selbständiges hat G. Friedrich in seinem breit angelegten Kommentar (Lpz. u. Berl. 1908) geboten; dieses lebensfrische Werk sucht vorzugsweise alles Menschliche an C. voll zu erfassen und gründet sich nicht bloß auf genauer Kenntnis des einschlägigen Schrifttums, sondern auch der der Heimat und der Lieblingsorte des Dichters; freilich ist es hin und wieder in Langatmigkeit verfallen und der phantasiereiche Verfasser scheut auch gelegentlich nicht vor gewagten Vermutungen zurück. So bildet denn die neueste erklärende Ausgabe C.s von W. Kroll Lpz. 1923, 19292 (die Neuauflage bringt wichtige Berichtigungen und Zusätze) in gewisser Hinsicht ein Gegenstück und gleichzeitig eine gediegene Ergänzung zu Friedrichs Buch; Krolls Kommentar, eine philologisch hervorragende Leistung, faßt alle Fragen der Deutung und Kritik mit kühler, nüchterner Sachlichkeit an, geht keiner Schwierigkeit aus dem Wege, übersieht keinen Forschungsbeitrag und verwertet auch weit gründlicher als dies bisher geschah, die griechische Literatur für die Gedichtauslegung: vgl. G. Jachmann Gnomon V (1925) 200, R. Helm Philol. Woch. L (1930) 233. Mit knappen, oft unzureichenden Angaben begnügen sich: C. Stuttaford London 1912 und G. A. Piovano Turin 1916; G. Lafaye Paris 1922 versieht seine mit einer französischen Übersetzung versehene sorgsame Textrezension fast ausschließlich mit Angaben zur Sacherklärung. Endlich hat M. Lenchantin de Gubernatis einen C.-Kommentar Turin 1928, 19332 (die 2. Auflage mit erweiterter Einleitung) erscheinen lassen, dessen starke Abhängigkeit von der neueren deutschen C.-Literatur auffällt und der auch sonst wenig befriedigt: s. H. Rubenbauer Gnomon VII (1931) 310.

Von erklärenden Schulausgaben ausgewählter Gedichte seien genannt: K. P. Schulze Röm. Elegiker Berl. 1879, 19105, K. Jacoby Lpz. 1882, 19173, P. Hoppe und W. Kroll Breslau 1924, E. Gaar und M. Schuster (in: Auswahl aus röm. Dichtern) Wien 1924, 19375; ferner F. Cantarella Mailand 1897, 19032. K. P. Harrington The Roman elegiae poets New York 1914. P. J. Enk Elegiaci Romani [2409] Zütphen 1914; P. Giardelli (Liriche scelte) Florenz 1931. Über die Behandlung der Schullektüre C.s handelt M. Schuster in A. Scheindlers Methodik des Unterrichts in der lat. Sprache Wien 1913, 2835.

Von deutschen Übersetzungen C.s ist an erster Stelle die Nachbildung fast sämtlicher Gedichte von Th. Heyse Berl. 1855, 18892 (die 2. völlig umgearbeitete Auflage gab A. Herzog aus dem Nachlasse des Verfassers heraus), zu nennen, die die Versmaße der Urschrift beibehält; sie wurde neuerdings zum Teile neu bearbeitet von W. Schöne, der auch Verdeutschungen anderer Übersetzer in sein Buch ,C.s Sämtl. Gedichte, Urtext u. deutsche Übersetzung‘, München 1925, 19402 aufgenommen hat. R. Westphal bot in seinem bereits genannten Werke eine Auswahlübersetzung in geschmackvollen Reimversen. Eine Auslese gaben auch F. Pressel Berl. 1882, 19096 (Originalversmaße) und W. Amelung Jena 1911 (schöne, meist gereimte Verse). Eine vollständige Übertragung (vorwiegend in den Versformen C.s) nebst ausführlichen Erläuterungen gab M. Schuster Wien 1906, 19102; aus jüngster Zeit stammen die Wiedergaben von E. Hohenemser Berl. 1920, P. Mahn Berl. 1925 (vgl. R. Holland Philol. Woch. 1925, 1149), E. Saenger Lpz. 1926 und H. Sternbach München 1927. Eine reiche Auslese hat J. M. Stowasser Römerlyrik Heidelberg 1909, 7–41 in flotte deutsche Reimverse umgegossen. – Umdichtungen in andere Sprachen verfaßten unter anderen die Italiener E. Stampini (Turin 1921), G. Lentini (Lanciano 1926, gelobt), C. Saggio (Mailand 1928), C. Scelfo (Bronte 1931), G. F. Gobbi (Mailand 1936), G. Bonazzi (Rom 1936, vgl. Philol. Woch. 1937, 601); der Franzose G. Lafaye (Paris 1922), s. o.; vgl. auch das ohne Verfassernamen erschienene Werk ,Catulle et Tibulle: Oeuvres, trad. nouvelle‘ Paris (Garnier) 1932; die Engländer W. Morris (Oxford 1924), H. Macnaghten (Cambridge 1925), F. A. Wright (London und New York 1926, vollständige Übertragung), F. C. W. Hiley (London 1929), A. S. Way (London 1936, mit Tibull); der Amerikaner H. Gregory (New York 1902); der Ungar G. Devecseri (Budapest 1938, mit Einl. von K. Kerényi) und der Spanier J. Verges (Barcelona 1928).

XI. Allgemeine Literatur (darunter einige Ergänzungen). Von älteren verdienstlichen Arbeiten seien genannt: W. Th. Jungclaussen Zur Chronologie der Gedichte des C. Meldorf 1857. B. Richter Comment. de Val. Catulli vita et carminibus Freiberg 1865. Ch. Belger Moriz Haupt als akad. Lehrer Berl. 1879, 2385. K. P. Schulze Beiträge zur Erklärung der röm. Elegiker Progr. Berlin I (1893), II (1898). S. Piazza L’epigramma latino, parte prima Padua 1898. – Aus neuerer und jüngster Zeit seien (zum Teil ergänzend) hervorgehoben: M. N. Wetmore Index verborum Catullianus, New Haven, Yale University Press 1912 (dieses brauchbare Wörterverzeichnis berücksichtigt auch die Varianten der führenden Ausgaben). D. A. Slater The poetry of C. Manchester 1912. U. v. Wilamowitz Sappho und Simonides Berl. 1913, 292ff., ders. Reden und Vorträge I4 (Berl. [2410] 1925) 2180. A. Kurfeß Die Invektivenpoesie der sullanisch-caesarischen, augusteischen und nachaugusteischen Zeit Wohlau 1915. C. Pascal Poeti e personaggi Catulliani Catania 1916. A. M. Fazio La lirica erotica in C. ed Orazio Palermo 1930. S. Gaetani La poesia di C. Rom 1933. J. Schnelle C.-Interpretationen Gräfenhainichen 1933 (viel Fadenscheiniges und Fragwürdiges). E. A. Havelock The lyric genius of C. Oxford 1939 (leidet an unfruchtbarer Krittelei und überkühnen Vermutungen). – Teuffel-Kroll Gesch. d. röm. Lit. I6 1916, 520–529. Schanz-Hosius Gesch. d. röm. Lit. I4 292–307. A. Kappelmacher M. Schuster Die Lit. der Römer Potsdam 1934, 212–221. E. Bickel Lehrbuch d. Gesch. d. röm. Lit. Heidelberg 1937, 139f.; 523–530; vgl. noch Mommsen Röm. Gesch. III11 Berl. 1917, 600ff. – Jahresberichte zuletzt: K. P. Schulze 183 (1920) 1–72 über die Literatur der J. 1905–1920; H. Rubenbauer 212 (1927) 169–214 für die Zeit von 1920–1926 mit Nachträgen zu Schulzes Bericht.