Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Christl. Dichter
Band V,2 (1905) S. 16351644
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4) Blossius Emilius Dracontius vir clarissimus et togatus fori proconsulis almae Karthaginis (carm. V Subscriptio im cod. Neapolitanus) und satisfactio Dracontii ad Guthamundum regem Guandalorum (484–496) dum esset in vinculis (satisf. Subscriptio im Cod. Vat.) dazu praefatio Dracontii discipuli ad grammaticum Felicianum (praef. tit.): das ist so ziemlich alles Urkundliche, was wir über den für seine Zeit nicht unbedeutenden christlichen Dichter haben. Seine Werke allein können uns mehr lehren; über ihren Urheber wussten schon Isidor (vir. ill. 37) und Eugenius von Toledo (praef. ad Chind. pros. Dracontii cuiusdam, carm. 24 parvula praeparvi Draconti carmina libri) nichts mehr. Diese Werke sind: I Romulea (über den Titel s. u. S. 1639, gewöhnlich als carmina minora citiert), II de laudibus dei libri tres, III satisfactio. Ob die Familie des Dichters irgendwie, etwa durch Freilassung, mit der campanischen Gens Blossia zusammenhängt, ist unsicher, jedenfalls gehörte sie zu den vornehmeren Karthagos; der Knabe genoss den Unterricht des sonst nicht bekannten, aber gewiss angesehenen Grammatikers Felicianus (Rom. 1, 13 qui fugatas Africanae reddis [1636] urbi literas, barbaris qui Romulidas iungis auditorio, wo D. sich natürlich zu den Romulidae rechnet; 3, 17 de vestro fonte, magister, Romuleam laetus sumo pro flumine linguam), dem er zum Danke zwei Gedichte (Rom. 2. 4) widmet, und bildet sich zum Advocaten aus (ausser der oben citierten Subscriptio vgl. laud. dei III 643 ille ⟨ego⟩ qui quondam retinebam iura togatus, exemi de morte reos, patrimonia nudis ⟨restitui …⟩ divitias mea lingua dedit rapuitque tenenti ac servile iugum vel libertatis honorem), Rom. 7, 123 exiguum … inter iura poetam, bekommt den Rang des vir clarissimus und steht bei dem Proconsul von Africa Pacideius in Gunst. Auch ein Vermögen hat er ererbt oder erworben (laud. dei III 707 sit fortuna redux), zum Teil durch Advocatenkniffe (laud. dei III 647 ⟨non te⟩ defensor amavi, inpunitates vendens poenasque nocentum insontumque simul, pretio delicta coegi). Aus dieser seiner glücklichen Lage (laud. dei III 642 quanto cecidi de culmine lapsus) riss ihn jäh die Ungnade des Vandalenkönigs Guthamund: culpa mihi fuerat dominos reticere modestos ignotumque mihi scribere ⟨nec⟩ dominum (sat. 93; vgl. 21 ut qui facta ducum possem narrare meorum, nominis Asdingui bella triumphigera … praemia despicerem tacitis tot regibus almis. 105 te coram primum me carminis illius ausu quod male disposui paenitet et fateor; Rom. 7, 70 dederant quia carmina clades); ein Verleumder hatte die harmlose Sache noch übertrieben (Rom. 7, 123 non male peccavi nec rex iratus inique est, sed mala mens hominis, quae detulit ore maligna et male suggessit tunc et mea facta gravavit. poscere quem veniam decuit, male suscitat iras et dominum regemque pium saevire coegit), die Strafe war hartes und langes Gefängnis. Wer der Herrscher war, den D. zum Ärger seines Königs besungen, wissen wir nicht; die Vermutung Papencordts (Gesch. d. vand. Herrschaft in Africa 377), es sei Leo II. Zeno von Byzanz (474–491) gewesen, ist ganz unsicher. Erst nach langer Zeit wurde der Dichter, der vergeblich in einem demütigen Gedicht, der satisfactio, sich an den König selbst um Gnade gewandt hatte, auf die Fürsprache mächtiger Freunde, die er sogar unter Drohungen (Rom. 7, 134–136) erfleht, befreit; das Verdienst schreibt er (Rom. 6, 36ff.) dem Hause eines Victor zu. Damit verlässt uns jede Kunde vom Leben des dichtenden Advocaten; nur das eine wissen wir noch, dass er den Regierungsantritt des Königs Thrasamund (496) noch erlebt hat (s. u. S. 1639).

Werke: In das oben entworfene Lebensbild lassen sich von den erhaltenen Werken des D. leicht einfügen die drei Bücher vom Lobe Gottes und die satisfactio; beide sind im Gefängnisse verfasst, auch das ganze Werk de laudibus dei, da schon Buch I am Schlusse (743ff.) die Klage über das Unglück des Dichters enthält, ein einleuchtender Beweis für die Länge der Haft. Schwerer ist die Entscheidung über die kleinen Gedichte. Denn so, wie sie uns vorliegen, sind sie weder geordnet noch vollständig (s. u. S. 1642); jedenfalls kann die ganze Sammlung (weil carm. 7 darunter ist) erst nach des Dichters Befreiung herausgegeben sein. So müssen wir die einzelnen [1637] Gedichte betrachten. In des D. Jugendzeit fallen 2 und 4, beide mit Widmungen (1 und 3) an Felicianus versehen, in die Zeit der Gefangenschaft 7, das Epithalamium Ioannis et Vitulae (v. 25f. 69ff. 118ff. 134ff.; die letzten Verse beweisen, dass das Gedicht kurz vor dem Ende der Haft geschrieben ist), nach der Befreiung ist verfasst 6, das Epithalamium auf die Doppelhochzeit im Hause des Victor. Von der Zeit der Abfassung der übrigen wissen wir nichts; die Gründe, welche Barwinski und Lohmeyer für genauere Fixierung anführen, genügen nicht, besonders zieht der Grund nicht, dass die Declamationen 5 (controversia statuae viri fortis) und 9 (deliberativa Achillis, an corpus Hectoris vendat) in die Jugend des Dichters gehören müssten; wir haben keine Ursache zu bezweifeln, dass er carm. 5 als Mann in den thermae Gargilianae zu Karthago in Gegenwart des Proconsuls declamiert hat, wie die Subscriptio besagt, und andrerseits sind seine epischen Gedichte kaum mehr als Declamationen. Vor die Gefangenschaft fällt natürlich das uns verlorene Gedicht (s. o. S. 1636), durch welches der Dichter sich den Zorn des Königs zuzog.

Dem Inhalte nach sind die kleineren Gedichte, denen die unten zu besprechenden Orestis tragoedia (und Aegritudo Perdiccae?) sich zugesellen, teils reine Declamationen (4 verba Herculis, cum videret Hydrae serpentis capita pullulare post caedes; 5 controversia de statua viri fortis; 9 deliberativa Achillis, an corpus Hectoris vendat) , teils mit langen Reden durchsetzte (von den 1400 Versen in 2, 8 und 10 gehören 600 zu Reden) und in jeder Weise rhetorisch aufgeputzte Rührstücke aus den Sagenstoffen (2 Hylae fabula; 8 de raptu Helenae; 10 Medea und ganz gleicher Art Orestis tragoedia und Aegritudo Perdicae). Etwas anziehender als diese schulmässigen, gefühlsleeren Machwerke sind die beiden Epithalamien 6 und 7, in denen doch hie und da die Persönlichkeit des Dichters hinter den mythologischen Masken hervorschaut; persönliche Wärme merkt man 3 und noch mehr 1 (dies in trochaeischen Octonaren), den praefationes an seinen Lehrer Felicianus, an. In all diesen Gedichten ist, abgesehen von einer Stelle (7, 132, mehr, aber auch nur ganz blass in der Orestis tragoedia, vgl. 357. 470. 607. 911. 923. 949 und Barwinski II 15), von dem Christentum des Verfassers ebensowenig zu spüren wie in den meisten Gedichten Claudians; in ganz anderem Lichte zeigen ihn uns die satisfactio und sein grösstes Werk, die drei Bücher de laudibus dei. Schon die satisfactio, welche mit einem langen Gebete an Gott anhebt, das den in der Natur vorgesehenen Wechsel von Gut und Böse betont, und dann (v. 117) sich mit inständiger Bitte um Gnade an den König wendet, wird man schwerlich aus einer etwa im Gefängnisse erfolgten Bekehrung erklären können; der Reichtum des christlichen Stoffes, die Sicherheit, mit der auch abgelegenere Dinge verwandt werden, lassen christliche Lehre von Jugend auf voraussetzen. Ganz sicher wird dieser Schluss durch Betrachtung des grossen Lehr- und Bussgedichtes. Anlage wie Behandlung der Teile sind, trotz aller Benutzungen seiner heidnischen wie christlichen Vorbilder im einzelnen, so selbständig, so geschickt, so hübsch, [1638] eine solche Wärme und Kraft der Überzeugung, ein solcher Eifer und Fleiss zeigt sich fast überall, dass wir gewiss Recht haben, wenn wir meinen, erst hier den wirklichen, aufrichtig sich selbst gebenden Menschen D. vor uns zu haben. Nur schwach kann eine Inhaltsangabe die Fülle des mit grösster Liebe verarbeiteten Stoffes wiedergeben. Von Gott erhofft der Gefangene nach der harten Strafe Befreiung; iratum placidumve.. Tonantem zu singen, giebt I 1 scharf als Thema des Ganzen an. Alles in der Welt ist abhängig von den irae et pia vota dei (I 7); er straft die Bösen in seinem Zorn, aber er warnt sie vorher in seiner Gnade, zuerst durch die Propheten, dann durch die Zeichen der Natur. Ein herrlicher Beweis für seine Güte ist die Schöpfung der Welt; sie beschreibt der Dichter ausführlich nach dem Siebentagewerk (I 118–426), überall den von Gott selbst gewollten Wechsel zwischen Leid und Freude, Bösem und Gutem hervorhebend. Dann erzählt er den Sündenfall (I 437–545); aber auch hier magna dei pietas, venia qui temperat iras (I 556): der Tod, die Strafe, ist doch auch wieder eine Erlösung vom Leide der Erde. Und nicht genug: der finstere Tod ist die Pforte zum ewigen Leben, denn die Seele lebt nach dem Tode weiter (I 606–682). So durchdringt Gottes Gnade alles, wendet auch die Strafe zum Guten; ihn preist der Dichter in psalmenähnlichem Gebete (I 683–742) und bittet um Erlösung aus seiner eigenen Not (I 743–754). Psalmenartig hebt wieder Buch II an; fast unmerklich aber kehrt der Dichter zu seinem Thema zurück: Gottes Gnade offenbarte sich am glänzendsten, indem er seinen Sohn in Menschengestalt auf die Erde sandte (II 60ff.). Damit ist D. bei der grossen Streitfrage der Kirche angelangt; scharf (II 100 sic putat insipiens, omnis rationis egenus) wendet er sich von II 98 an gegen den Arianismus: Christus war Mensch und Gott zugleich, seine Gottheit beweisen seine und seiner Jünger Thaten auf der Erde (II 118–146). Das wegen der Jünger erwähnte Pfingstfest (II 147 advena sermo fidem cum spargeret ore piorum) leitet über zum Preise des heiligen Geistes. Ein neuer Hymnus beschliesst diesen Teil (II 154–240). Mit feinem Übergange (,auch die Schlangen preisen Gott ihren Schöpfer‘) gelangt der Dichter zu der Frage: wie kam denn überhaupt das Böse in die Welt? Die Antwort: data sunt per crimina nostra; Adam fehlte einmal, wir begehen täglich neue Sünden (II 360 est homo grande malum); die Natur gehorcht in allem ihrem Schöpfer, wir vergessen seiner Gebote. Aber Gott hat selbst nach der Sintflut und nach der Ermordung seines Sohnes seine Gnade von neuem über die Menschen leuchten lassen; nur Reue und Glauben verlangt er, um sie spenden zu können (II 580ff. Beispiele Paulus, Abraham u. a.). Nach einem neuen Gebete leitet der Dichter in Buch III durch passende Beispiele zu dem Satze über, diesen Gott der Gnade müsse der Mensch über alles lieben (III 92 deus omnis amor sit ante ⟨artus⟩ animamque); Abrahams Sohnesopfer und sein Lohn, die 3 Männer im feurigen Ofen u. a. beweisen, wie Gott solche Selbstverleugnung vergilt. Dem gegenüber steht die Hoffnungslosigkeit des Heidentumes (III 251–529), das trotz allen grossen Strebens (z. B. [1639] Curtius, Regulus und viele andre) nur Tod und Verderben geerntet hat. Der Christengott ist der wahre Gott, ihm soll sich jeder in Reue und Flehen nahen, dann wird er erhört. Nach dieser seiner Lehre handelt nun der Dichter selbst; im ganzen Schlusse (III 566–738) bekennt er seine eigenen Vergehen und Fehler und bittet um Vergebung, Erlösung aus seiner Haft und glückliches Leben hier und im seligen Jenseits.

Dieser klare und einfache Gedankengang ist nun im Gedichte durch die Fülle des Stoffes, besonders die Beispiele und die immer von neuem eingeschobenen Lobpreisungen Gottes, fast verschüttet, wird aber doch mit bemerkenswerter Schärfe und zum Teil höchst bewundernswerten Übergängen immer wieder aufgenommen; man merkt, dem Dichter ist an der Sache gelegen, und er weiss, dass sie wichtiger ist als aller Glanz und Schmuck der Ausführung im einzelnen. Aus der Menge dieser hier nicht zu erschöpfenden Einzelheiten seien nur die scharfen Ausfälle gegen Heidentum und Mythen besonders erwähnt (z. B. II 590 Mars cadat ex animo, pereant Saturnus et Arcas, Iuppiter atque Venus u. s. w. III 118ff. 251ff.), die freilich den Dichter nicht hindern, im Epithalamium (6) nach seiner Gefangenschaft wieder den ganzen Apparat der Mythologie spielen zu lassen.

Es erübrigt noch ein Wort über die Sammlung der kleineren Gedichte (vgl. o. S. 1636f.). Sie ist uns ohne Gesamttitel überliefert, aber das Florilegium von Verona (s. u. S. 1642) citiert drei Stellen aus ihnen unter dem Titel Blosus oder Blosus in Romulea, woraus W. Meyer (S. 267 = 11) mit Recht schloss, dass unsere Gedichte von dem Dichter selbst den auffallenden, sicher einen Gegensatz zu Christlichem betonenden Namen Romulea (scil. carmina) erhalten haben. Die Sammlung ist im Cod. Neap. nicht vollständig erhalten; ein Fragment im Flor. Veron., auch als Bloxus in Romulea citiert, findet sich nicht in unsern 10 Nummern, zudem haben Orestis tragoedia (und Aegritudo Perdicae?) sicher auch zu ihr gehört. Ich vermute, dass nur 1–5 in ihrer alten Ordnung stehen (man beachte den persönlichen Inhalt von 6 und 7), 6–10 aber nachgetragen worden sind, wohl aus einer verstümmelten Hs., in der andere Nummern beschädigt oder ganz ausgefallen waren. Dass es noch andere Gedichte von D. gab, scheint eine merkwürdige Verwechslung darzuthun. Bernardino Corio (L’Historia di Milano, In Vinegia 1554 p. 13) schreibt Transimondo Conte di Capua, à laude del quale Dracontio poeta elegantemente scrisse de l’opera del quale noi in caratteri Longobardi havendo trovata, per Giovan Cristoforo Daverio … è stata tradotta in lettere latine. Onde per dignità dell’ elegante poeta n’ è parso metter questi suoi versi, folgen zwei kurze Gedichte de mensibus und de origine rosarum (XI und XII bei Baehrens). Riese hat (Rh. Mus. XXXII 1877, 319) sicher richtig gesehen, dass in der alten Hs., die Daverio abschrieb (so richtig Baehrens Rh. Mus. XXXIII 1878, 313 gegen Riese), ein Lobgedicht auf den Vandalenkönig Thrasamund (496-523) stand, den Corio mit dem Grafen Trasimondo von Capua verwechselte. Hs. und Gedicht sind uns jetzt verloren; die [1640] beiden durch Corio erhaltenen Gedichte zeigen, dass D. auch in der Art des Luxorius und anderer Africaner der Anthologie gedichtet hatte, vielleicht gehörten auch diese kleineren Sachen zu den Romulea. Rossberg hat (Diss. p. 35) auch Anth. lat. 676 (PLM V p. 349) als Einleitung zu dem carmen de mensibus dem D. zuweisen wollen, mit ebensowenig Recht wie Baehrens als carm. XIII und XIV zwei Gedichte des Cod. Bembinus (Anth. lat. 866. 867) der Sammlung des D. angefügt hat. Auch den von Rossberg (Fleck. Jahrb. CXIII 721–726) versuchten Nachweis, dass das Gedicht in laudem solis (Anth. lat. 389) von D. sei, kann ich nicht als gelungen betrachten. Ich halte es für das Werk eines Nachahmers, der den berühmten Eingang des Hexameron (Drac. l. dei I 118–128) unter reicher Benutzung dracontianischer Flockein erweiterte und nachbildete.

Der Form nach sind alle Werke unsers Dichters, profane wie christliche, ziemlich gleichartig. Eine Unzahl von Entlehnungen, einzelner Wörter wie halber ja ganzer Verse, aus den Heiden wie Vergil, Ovid, Lucan, Statius, Iuvenal (ein wirkliches Citat, sententia prisca, z. B. aus Iuvenal laud. dei III 87) und, spärlicher, aus den Christen Commodian, Prudentius, Marius Victor, Prosper, Claudian u. a. zeugen von seiner Belesenheit und seinem Fleisse; wir werden uns hüten, ihm aus dieser Flickarbeit persönlich einen Vorwurf zu machen, da sein Dichterideal eben nicht das unsrige mehr ist. Dass des Dichters Wissen nicht ganz fehlerfrei war, zeigen besonders zwei Stellen der satisfactio; 178 scheint er von Caesars Ermordung nichts zu wissen und 188 verwechselt er Commodus mit Marc Aurel. Die Prosodie weicht von der classischen stark ab; nicht nur Eigennamen (Admětus, Phoenïcis, Romulīdas, Hēcuba, Polyxēne, Stēphanies, Tītus) werden willkürlich gebraucht, auch in andern Wörtern finden sich zahlreich Fehler (anhělantis, pǎrent, fǐant nǐtitur, adǒrande, hǒc, prōpitius, insīdet, quóque öfters, u. a.), h im Anlaut gilt meist als Consonant, in der Arsis werden oft kurze Silben gelängt, die Elision ist nicht sehr häufig, aber regellos (z. B. werden cum und dum vor Vocalen als kurze Silben gebraucht, Hiat nach Dehnung von auf m auslautender Silbe z. B. laud. dei II 60 deum ante, nach älteren Mustern laud. dei I 433 sě ubique u. a.). Auch die Sprache ist stark entartet; der Gebrauch von Casus und Praeposition (besonders de und sub), Verwendung von intransitiven Verben als transitiva (horrescere, tepescere u. a.) und umgekehrt, vel statt et, nam statt sed, die Häufung der Asyndeta bei Verben, Substantiven und Adjectiven – das ist nur weniges von all den Missbräuchen, welche die späte Zeit und die schlechte Schulung des Dichters verraten. Weniger schlecht ist der Versbau; eigentliche Fehler finden sich nicht, wohl aber ermüdende Eintönigkeit im Gebrauche der Caesuren.

Fortleben: Seinen Ruhm und seine Beliebtheit verdankt D. in erster Linie seinen christlichen Gedichten. Sie waren, wie Nachahmungen und Citate (mit Vorsicht zu benutzende Sammlungen bei Manitius Ztschr. f. öst. Gymn. 1886, 245ff.; Neues Archiv XI 553ff.; S.-Ber. Akad. [1641] Wien CXII, II. CXVII, XII. CXXI, VII) der späteren Schriftsteller beweisen, verbreitet in Africa (Fulgentius? vgl. R. Helm Rh. Mus. LIV 1889, 111ff., Corippus, vgl. Amann De Corippo … imitatore, Oldenburg 1885, 39f.), in Spanien (Isidor, Eugenius), in Gallien (Alcimus Avitus?, Venantius Fortunatus), in Italien (Ennodius?, Arator, Columban), in England (Aldhelm, Beda) und im Kreise Karls des Grossen (Alcuin, Theodulf). Alle diese Dichter kannten Laudes dei und Satisfactio in ihrer ursprünglichen, nicht der eugenianischen Fassung. Eine eigentümliche Wendung nimmt die Überlieferungsgeschichte dieser Werke von Spanien aus. Hier scheint schon früh ein verstümmeltes Exemplar der laudes dei im Umlauf gewesen zu sein; Isidor erwähnt nur die Schöpfungsgeschichte, kannte allerdings auch die satisfactio (v. 63 Isid. orig. VI 9). Auch ein Grabstein aus Leon (Bücheler Carm epigr. 720) hat einen Vers aus dem Hexameron in voreugenischer Fassung (laud. dei I 611). Dieses, wie es scheint, ihm allein bekannte Stück des grossen Werkes (I 117–754) und die ihm auch nur verstümmelt vorliegende satisfactio bearbeitete Eugenius von Toledo († 654) für den König Chindasvinth (641–652). Diese Umarbeitung ist durchaus gewaltsam und willkürlich, ganze Verse sind (zum grössten Teil wohl, weil sie dem Eugenius in seiner verderbten Hs. unverständlich waren) weggelassen, andere hinzugefügt, noch andere völlig umgeformt, meist nicht zu ihrem Vorteile; grosse Zusammenhänge hat Eugenius völlig verkannt (z. B. lässt er die Beschreibung des 6. Tages an anderer Stelle heginnen, weil er die hübsche zusammenfassende Einleitung des D. nicht als solche erkannte) und im einzelnen viel Schiefes und Falsches zugefügt, auch die Prosodie vielfach verschlechtert. Genau so steht es mit der von Eugenius gleichfalls gekürzten und stark veränderten satisfactio. Immerhin hat diese Bearbeitung das Verdienst, Jahrhunderte hindurch allein den Namen des Dichters erhalten zu haben, denn vom 10. Jhdt. bis zum J. 1791 war der echte D. für die Litteratur völlig verschollen, während die Bearbeitung des Eugenius ziemlich viel abgeschrieben und seit 1560 gedruckt wurde. Von dem Fortleben der Romulea haben wir aus der eigentlichen Litteratur nur wenige sichere Spuren (Coripp. Ven. Fort.).

Überlieferung: Die Erhaltung des nicht von Eugenius überarbeiteten D. verdanken wir zum grossen Teile dem Sammeleifer des h. Columban. Fast sicher ist das für die Romulea, jetzt nur erhalten im Cod. Neapolitanus (bibl. nat. IV E 48) saec. XV, denn diese Hs. war einst im Besitze von Ianus Parrhasius, dem Freunde von Thomas Phaedrus Inghirami, welcher nach dem Zeugnis des Raphael Volaterranus (comm. urban. lib. IV ed. [Francof.] 1603 p. 140) im J. 1494 aus Bobbio mit anderen neu gefundenen Werken Dracontii varium opus nach Rom gebracht hatte. Wohl dasselbe Werk hiess im Katalog des Klosters Bobbio vom J. 1461 nr. 164 Dyaconti (sic) cuiusdam versificatoris tractatus in versibus. in littera langobarda. medioc. vol. (Peyron Ciceronis orationum … fragmenta inedita, Stuttgardiae et Tubingae 1824 p. 45) und in dem noch ältern Kataloge (saec. X) nr. 376 [1642] librum Dracontii I (Becker Catal. antiqui p. 69, was freilich auch die laudes dei sein könnten), während es in dem Verzeichnisse der unter Merulas Führung zu Bobbio entdeckten Bücher (cod. Hannov. XLII 1845 fol. 111² nr. 4) Dracontii opus in carmine genannt wird. Siehe über dies alles O. v. Gebhardt Centralblatt f. Bibliotheksw. 1888, 357. 391. Vollständiger als der Neapolitanus war die Hs., welche der Urheber des Veroneser Florilegium (bibl. capit. CLXVIII, die flores moralium auctoritatum vom J. 1329) hatte; freilich gewinnen wir jetzt aus ihr nur ein kurzes Fragment (W. Meyer S. 267 = 11). Da Columban auch die vollständige satisfactio gekannt hat, so kann ebenfalls auf sein Kloster zurückgehen der halbe Quaternio, der uns in beneventanischer Schrift dieses Gedicht, vielleicht nicht vollständig, erhalten hat, cod. Vaticanus Reg. 1267 saec. IX. Von derselben satisfactio ist ein Stück (v. 1–80), freilich mit Correcturen nach Eugenius, erhalten im cod. Darmstadensis 3303 fol. 3. Weniger klar ist die Geschichte der Überlieferung bei den laudes dei. Vollständig erhalten sind uns die drei Bücher allein im Cod. Bruxellensis 10723 saec. XII. Aus ihr sind die jüngern Hss. abgeleitet (zunächst Vatic. 3853, aus dieser Vatic. 5884, daraus Rehdiger. 59, aus dieser Urbin. 352), wie W. Meyer (S. 263 = 7) bewiesen hat. Wertvolle Ergänzungen zu dieser Gesamttradition, nicht nur wichtige, kaum durch Conjectur zu gewinnende Lesarten, sondern auch 38 sonst verlorene Verse geben die Berliner Centones (Cod. Meermann-Philipps 1824 saec. IX), ein Moralflorilegium, darum freilich im einzelnen mit Vorsicht zu benutzen. Bemerkenswert ist noch, dass der Bruxellensis und seine Sippe das Werk nicht dem D., sondern dem Augustinus zuschreibt. Als dritter Arm der Überlieferung kommt für I 116–754 noch die Recensio des Eugenius in Betracht (sie hat wieder drei Zweige: Cod. Matr. 14. 22 saec. IX, dann Cod. Paris. 8093 saec. VIII, aus ihm 2832 saec. IX, endlich die beiden Laudunenses 273 und 279 saec. IX, Abschriften einer verlorenen Lorscher Hs.); auf sie beziehen sich alle sonstigen Erwähnungen des D. in alten Bibliothekkatalogen.

Ausgaben: Wie schon erwähnt, ist zuerst die Bearbeitung des Eugenius gedruckt worden, mit Marius Victor, Hilarius, Cyprianus Dracontii De opere sex dierum … Parisiis 1560 apud Guil. Morelium. Daraus stammen eine Reihe von älteren Nachdrucken in den Bibliothecae patrum (Verzeichnis bei Carpzov 20f.). Während Morel eine wertlose Abschrift des Laudunensis benutzt hatte, ging auf den Paris. 2832 zurück J. Sirmond (Paris 1619), der auch zum erstenmale die Satisfactio (nach Eugenius) druckte. Von andern Drucken dieser Eugeniusbearbeitung erwähne ich nur noch die Ausgaben von Lorenzana (Patr. Tolet. I p. 34ff. Madrid 1782 nach dem Cod. Matr., Abdruck bei Migne Patr. lat. 86) und von J. B. Carpzov Helmstädt 1794, der seine Vorgänger (p. 20f.) verzeichnet. Ohne dass Carpzov davon wusste, hatte schon Faust. Arevalo die echten Laudes dei, leider nur in der schlechtesten Hs., dem Urbinas, entdeckt und 1791 zu Rom mit wertvoller Einleitung herausgegeben (Abdruck Migne Patrol. lat. 60, Paris 1862); dasselbe Buch enthält die Satisfactio nach dem Reg. [1643] 1267. Vollständiger als Arevalo edierte C. E. Glaeser Buch III und II der Laudes dei (Progr. d. Friedrich-Gymn. zu Breslau 1843 und 1847) nach dem freilich auch noch minderwertigen Rehdigeranus. Eine alles Material umfassende Ausgabe des grossen Werkes giebt es noch nicht (I 1–53 als Probe bei W. Meyer 272 [16]ff.; über eine verloren gegangene Hs. des Lucas Holstenius ebd. 259 [3]), sie ist erst in Vorbereitung. Von den Romulea haben Janelli und Mai ein Stück herausgegeben (s. Duhns Vorrede S. V); vollständig erschienen sie zuerst in dem Buche von F. v. Duhn (Dracontii carmina minora Lpz. 1873), später bei Baehrens Poet. lat. min. V 126ff. Eine vollständige Ausgabe aller Dracontiana hatte R. Peiper für das Corpus scriptorum Ecclesiasticorum Vindobonense vorbereitet; zum Teil auf Grund seiner Materialien hoffe ich sie demnächst in den Mon. Germ. script. ant. XIV zu liefern. Kritische Beiträge zu den Romulea verzeichnet Baehrens 126; anderes findet sich in den unten zu nennenden Schriften über die Orestis tragoedia verstreut. Zu den Laudes dei muss genannt werden die grundlegende Arbeit von W. Meyer Die Berliner Centones der Laudes dei des Dracontius, S.-Ber. Akad. Berl. 1890, 257–296. Allgemeineres behandelt C. Lohmeyer De Dracontii carminum ordine in den Schedae philologae H. Usenero oblatae, Bonn 1891, 60–75.

Die Orestis tragoedia (Orestis ist Genetiv, vgl. Rom. 2 subscr. explicit fabula Hylae) behandelt etwa den Stoff der aeschyleischen Orestie in ausgesprochen rhetorischer Zuspitzung (eine Inhaltsangabe bei Schenkl p. 11) mit nicht unbedeutenden Abweichungen von der gewöhnlichen Sage (Schenkl p. 16. Barwinski II 6ff.; die Verwandtschaft mit Dares und dem Homerus Latinus 624ff. weist auf gute ältere Quellen). Sie wurde, nachdem Sinner und A. Mai einige wenige Verse bekannt gegeben, zuerst vollständig gedruckt von C. G. Müller (zweimal 1858 und 1859), dann in schneller Folge von Haase, Rothmaler, Maehly, Schenkl, Schwabe, Peiper (Breslau 1875), zuletzt von Baehrens (PLM V 218ff.; die Titel der früheren Ausgaben verzeichnet Barwinski 13). Was den 1000 Versen so grosses Interesse verlieh, war die Frage nach ihrem Urheber. Eine Reihe von fleissigen Sammelarbeiten haben im Laufe der Zeit die Vermutung A. Mai’s zur Gewissheit geführt, dass das Gedicht von D. sei. Denn die Gleichheit des Wortschatzes, der metrischen und sprachlichen Eigentümlichkeiten, die häufige Verwendung gleicher Versstücke und -Schlüsse, die gleiche Behandlung der Mythen lässt hier einmal einen philologischen Inductionsbeweis das fehlende äussere Zeugnis fast überflüssig machen. Die einschlagenden Schriften sind: Peipers Ausgabe (Breslau 1875). C. Rossberg In Drac. carm. minora et Or. trag, observ. crit., Stade 1878; De Drac. et Or. q. v. trag, auctore eorundem poetarum Vergilii Ovidii Lucani Statu Claudiani imitatoribus, Norden 1880. B. Westhoff Quaestiones gramm. ad Drac. carm. min. et Orest. trag, spectantes, Diss. Münster 1883. B. Barwinski Quaest. ad Drac. et Orest. trag, pertinentes. I de genere dicendi, Diss. Göttingen 1887; II de rerum mythicarum tractatione, Progr. [1644] Deutsch-Crone 1888; III de rationibus prosodiacis et metricis, Progr. Deutsch-Crone 1890. Eine reichhaltige Zusammenfassung gab C. Rossberg Materialien zu einem Commentar über die Orest. trag. des Drac., Hildesheim 1888 und 1889. Überliefert ist das Werk im alten Berner Lucan (45 saec. X) und in einem Ambrosianus (O. 74 saec. XV ex.), der vielleicht aus dem Bernensis selbst, jedenfalls aus naher Verwandtschaft desselben stammt.

Nicht so sicher ist die Antwort auf die Frage, wer die Aegritudo Perdicae verfasst habe. Es sind 290 Hexameter, zuerst herausgegeben von E. Baehrens Unedierte lat. Gedichte, Lpzg. 1877, aus dem Cod. Harleianus 3685 saec. XV (vgl. Dümmler Z. f. d. Altert. N. F. IX 84), dann PLM V 112ff. Das offenhar auf eine alexandrinische oder verwandte Quelle zurückgehende Gedicht behandelt eine uns in dieser Form neue Erzählung von dem aus Athen von seinen Studien (wohin?) heimkehrenden Perdicas (so die Hs. stets wie auch Drac. Rom. 2, 41), den Venus, weil er ihr nicht geopfert, in Liebe zu seiner eigenen Mutter Castalia entbrennen lässt. Er erkrankt, und nach vielem Raten der Ärzte entdeckt Hippokrates am gewaltig gesteigerten Herzschlage beim Eintreten der Mutter des Übels Grund und Sitz. Er kann natürlich nicht helfen, und Perdicas siecht dahin, bis er seinem Leiden durch Erhängen ein Ende macht; so nur vermag er den in ihm rasenden Amor zu vernichten, und seine Grabschrift wird: Hic Perdica iacet secumque Cupido peremtus. Die Fabel ist offenbar componiert aus Ps.-Soran im βίος Ἱπποκράτους (Westermann Biogr. p. 450), wie Rohde (Griech. Roman 54) erkannt hat; Spuren desselben Stoffes bei Lucian. quom. hist. conscrib. sit. 35. Claudian. carm. min. 8 (69). Fulgent. mythol. III 2. Anth. lat. 220 (die Unterschiede stellt fest Baehrens Uned. lat. Ged. 6ff.). Da nun aber auch Drac. Rom. 2, 41 sie erwähnt (alter erit Perdica furens atque altera Myrrha) und da Sprache und Metrik durchaus zu D. stimmt, so bin ich sehr geneigt zu glauben, dass die Aegritudo Perdicae zu den verlorenen Romulea gehört. Leider lässt sich diese Überzeugung nicht so zur Evidenz erheben, wie bei der Orestis tragoedia, namentlich weil (infolge der Stoffverschiedenheit) die Anklänge an die übrigen Dracontiana nicht so häufig und in die Augen fallend sind wie im Orestes, aber es bleiben genug auffällige Einzelheiten der Annahme günstig: v. 91 und 109 die Messung quōque wie öfter (und nur ?) bei D., v. 21 rēgreditur wie Orest. 179 rēperdere 397 rēcerpite 286 vel statt et und im letzten oben citierten Verse 290 secum statt cum eo, beides bei D. gebräuchlich. Sollte das Gedicht aber wirklich nicht von D. sein, so gehört es jedenfalls in seine Zeit und in sein Vaterland.