Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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A. von Stageira, Philosoph im 4. Jh. v. Chr.
Band II,1 (1895) S. 1012 (IA)–1054 (IA)
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Leben

18) Der Philosoph. I. Leben. Er war geboren 384 v. Chr. in Stagiros (spätere Form: Stageiră), einem griechischen Städtchen der Chalkidike am strymonischen Meerbusen, das seinen Ursprung auf eine Besiedelung von Andros oder (und?) Chalkis zurückführte, heute Stavro. Seine Vorfahren waren Asklepiaden, auch sein Vater Arzt, und A. selbst gewiss bestimmt, die Kunst und Praxis seines Vaters zu erben. Die Familie lebte vielleicht zeitweilig in Pella am makedonischen Hofe, war aber in Stagiros alteingesessen und begütert; auch nach dem Tode seiner Mutter Phaisti(a)s veräusserte A. das Elternhaus mit Garten nicht. Der Vater Nikomachos, Arzt und Freund des Königs Amyntas II. von Makedonien, starb früh, und die Mutter kehrte vermutlich mit ihren drei (?) Kindern (ausser A. werden uns Arimnestos und Arimneste genannt) in die Heimat zurück. Ein jüngerer Freund des Vaters oder Verwandter, Proxenos aus Atarneus in Mysien stammend, soll damals die Vormundschaft übernommen haben, und auch seine Gattin nahm sich des Knaben vermutlich liebevoll an; ihnen wie seiner Mutter hat A. eine lebenslängliche treue Anhänglichkeit und Dankbarkeit bewahrt und den nach seinem Fortgange (?) in Stagiros geborenen Sohn der Pflegeeltern, Nikanor, später zu seinem Eidam ausersehen. A. erhielt die übliche griechische Erziehung, lernte auch vielleicht etwas genauer bereits die Natur kennen und ihre Wissenschaft, die atomistischen Lehren des nahen Abdera wie die praktische Kunst der Asklepiaden.

Ehe er noch dem heimatlichen Unterrichte ganz entwachsen war, wandte der wissbegierige Jüngling, nachdem er 17 Jahre alt geworden war, sich nach Athen, wahrscheinlich im Frühjahre 367 (unter dem Archon Nausigenes 368/7, kaum unter Polyzelos 367/6), und fand hier bald die gesuchte [1013] Anregung bei den Männern der Akademie, deren Leiter selbst zunächst auf seiner zweiten Reise nach Syrakus abwesend war. Zwanzig Jahre blieb er hier bei stiller Arbeit, zuerst nur lernend, nach wenigen Jahren aber auch selbst lehrend, schreibend und namentlich Material sammelnd. Dass Platon selbst erst nach drei Jahren zurückkehrte und A. bis dahin Xenokrates oder Isokrates hörte, ist unsicher; doch mag er erst allmählich festeren Anschluss gefunden und sich ganz dem βίος θεωρητικός hingegeben haben. Allerdings das Getümmel der kleinstädtischen Parteiwirren und Parteileidenschaften des souveränen attischen Volkes, das Geschrei nach freiem Theatereintritte und nach Revanche, die halben Massregeln in der unsicher schwankenden Staatsleitung und die ohnmächtigen Versuche, Grossmachtspolitik zu treiben, all dies musste A. von dem praktischen Leben abschrecken, zumal er als monarchisch gesinnter Metoeke geringen Anteil an der attischen Politik nahm; so versuchte er sich einzuleben in Platons Philosophenstaat, an den der Meister gerade die letzte Hand legte oder gelegt hatte; aber mehr noch mehr werden ihm die Νόμοι zugesagt haben, und sogar die graue Theorie und Buchgelehrsamkeit des Isokrates, dessen Staatskunst den Kreis der Akademie beschäftigte, auch nachdem Platon sein günstiges Prognostikon über den Rhetor längst zurückgenommen hatte. Aber mehr noch fesselte ihn die isokrateische Redetechnik, die er vielleicht durch Theodektes von Phaselis bis ins einzelne kennen lernte: ihm lernte er die Regeln seiner Kunst ab und vergeistigte sie in einem eigenen Systeme. Die Structur des Kürbisses zu ergründen, die Daten der dramatischen Aufführungen bis ins einzelne festzustellen, war ihm nicht zu niedrig, in die schwierige Kyklentheorie des Eudoxos und des Kallippos einzudringen und sie fortzubilden und die letzten Gründe der pythagoreischen Mystik zu erforschen, war ihm nicht zu hoch. Er versenkte sich in die tiefsinnige Ideenlehre Platons und sogar in die pythagorisierenden Speculationen seiner letzten Jahre, er liess den ganzen poetischen Zauber der bei seinem Eintritte bereits erschienenen kunstvollen Dialoge auf sich wirken und überwand seine angeborene Nüchternheit, sich mit Geschick in ihrer Nachbildung zu versuchen. Er hörte die systematischen Vorträge Platons und der älteren Schulgenossen, arbeitete auch die plastischen Schriften und die polemischen Streitigkeiten nach und machte sich dabei die Ansichten und Absichten der Gegner Platons klar, den Kern ihrer Lehren und ihre Beweise; so lernte er die Geschichte der Philosophie und ihrer einzelnen Zweige kennen, aber auch die Grundlage aller Wissenschaft, die Methoden des Denkens. Er las und hörte und disputierte eifrig, zunächst wegen seiner umfassenden Wissbegier und seiner Fassungsgabe anerkannt, vielleicht auch von Platon als sein persönlicher Vorleser verwendet, bald aber wegen seiner Schärfe im systematischen Denken und im Disputieren bekannt und auch gefürchtet. Nicht nur den eigenen Bienenfleiss konnte er nutzen für die einstige Herstellung eines grossen Gebäudes, er wusste sich auch andere mit der Zeit vermöge seines einzig dastehenden Organisationstalentes unterthan zu machen und zu Mitarbeitern seiner riesigen Lebensaufgabe zu gewinnen; [1014] selbst ältere Genossen, wie Herakleides Pontikos, Platons Vertreter im J. 361, ordneten sich ihm willig unter, und jüngere wie Theophrastos von Eresos standen bald ganz in seinem Banne. Als Platon 348/7 starb, hatte der fast Achtunddreissigjährige ohne Zweifel die Grundlagen seines Systemes gelegt, mehrere kleinere Werke erscheinen lassen, viel mehr Material gesammelt, gesichtet und durchgedacht; wenn auch einzelnes erst später hinzugebracht ist, was sich selten erweisen lässt, wenn die Kluft, die A. von Platons Anhängern trennte, auch mit dem Verluste des einigenden Bandes erweitert wurde, so darf man doch sagen: 347 war A. bereits ein fertiger Mann, noch Akademiker, aber befähigt, selbst einer Schule vorzustehen, selbständig den Lehren seines Meisters und mehr noch seinen Nachtretern gegenüber, dagegen abhängig von den feindurchdachten logischen Principien und einem bereits aufgespeicherten umfassenden empirischen Materiale. Die Akademie wählte zu Platons Nachfolger in der Schulleitung wohl in seinem Sinne denjenigen Schüler, der am treuesten den Ideen des Greises gefolgt war, seinen ebenfalls schon bejahrten Neffen Speusippos. Damit wurde auch das äusserliche weitere Zusammenleben und die Unterordnung unter diesen inferioren Genossen für die selbständigen Forscher unmöglich: mochten der alte Herakleides und der junge Theophrastos sich noch nicht veranlasst fühlen, die Akademie zu verlassen, A. und mit ihm Xenokrates aus Chalkedon scheuten den Bruch nicht. Politische Gründe haben schwerlich mitgewirkt, wenn auch kurz vor Platons Tode die Chalkidike von Philipp erobert war; wenn die Athener infolge davon den A. mit anderen Augen angesehen hätten, so wären es höchstens Augen des Mitleids gewesen.

Die beiden Genossen wendeten sich nach Mysien, wo in Skepsis Koriskos (und Erastos?) als ‚Sokratiker‘ lebte(n) und in Atarneus und Assos Hermeias unter persischer Oberherrschaft gebot, zu dem A. wohl durch Proxenos nahe Beziehungen hatte. In Assos fanden beide für drei Jahre ein Asyl, bis der Dynast in einem Aufstande umkam. A. rettete dessen Nichte (ἀδελφιδῆ) und Adoptivtochter Pythias aus dem persischen Machtbereiche nach dem Atarneus gegenüber liegenden Mytilene (345, Archon Eubulos) und verband sich mit ihr zu einer glücklichen Ehe, die in ihrem zweiten Jahrzehnt durch den Tod gelöst wurde. Dieser Aufenthalt bot dem A. schwerlich viel Hülfsmittel, aber er fand Musse, viele Gedanken schriftlich niederzulegen und sein System auszubauen. Vielleicht kehrte er von Lesbos aus auf kurze Zeit nach Athen zurück und eröffnete (etwa mit Xenokrates, Theodektes und Theophrast?) eine Schule im Lykeion. Dies ist von den Biographen allerdings nicht überliefert, aber Isokrates, den er gewiss auch aus der Ferne befehdet hatte, setzt es nach einer neuerdings geäusserten Vermutung voraus. Der 343/2 begonnene, 340/39 vollendete Panathenaikos wendet sich im Anfange gegen die drei oder vier Herdenphilosophen im Lykeion, die alles zu wissen behaupten, schnell überall sind, und deren Haupt den Rhetor unwürdig verläumde, d. h. der ihm ungeschminkte Wahrheit vorhielt (Isokr. XII 18f.); das kann sehr wohl A. sein, der danach sich gerade mit litterarhistorischen [1015] Arbeiten vorzugsweise beschäftigte. Doch kann er auch damals seine Rhetorik abgeschlossen haben, deren Buchausgabe Theodektes von Phaselis, der frühere Schüler des Isokrates, besorgte. Dem 94jährigen Isokrates wurde noch eine bittere Enttäuschung zu teil: nachdem er drei Jahre zuvor in einem Sendschreiben an Philippos von Makedonien ihm grosse politische Ideen unterbreitet hatte, erhielt sein rücksichtslosester Gegner, Α., einen Ruf an den Königshof. Darüber musste A. jeden Versuch einer Schulgründung vorläufig aufgeben; im J. 343/2 (Archon Pythodotos) siedelte er nach Pella über mit seiner Familie und Theophrastos.

Wie Platon in der Blüte seiner Jahre, so setzte auch A. seine Hoffnungen auf einen kraftvollen, einsichtigen Herrscher; aber während Platon von Dionysios die Einrichtung eines kleinen Musterstaates erhofft hatte, hielt sich A. an die realen Verhältnisse; er wünschte sich ein einiges, grosses Griechenland (Pol. VIII 6) unter energischer Leitung und erwartete davon nachhaltige Förderung der Wissenschaft. Schon in seinen frühen Lehrjahren hatte er sich an den Tyrannen Themison von Kypros gewendet, nicht um ihm einen Fürstenspiegel vorzuhalten, wie Isokrates dem Nikokles, sondern um ihn für die Ideale zu begeistern, die seine Brust erfüllten; und vor kurzem war seine Freundschaft mit Hermeias durch den Tod getrennt worden. Aber beide Fürsten waren Duodezfürsten. Es gab nur einen König, auf den ein einsichtiger Mann seinen Blick richten konnte, und dieser rief ihn zu einer doppelten Aufgabe, den Thronfolger in hellenischer Bildung und fester Geisteszucht zu erziehen, und daneben dem Könige selbst mit seinem Kopfe und seiner Feder zu dienen. A. folgte dem Rufe freudig; wenn er auch alle seine gegenwärtigen Arbeiten und Pläne aufgab, so konnte er sich versprechen, das Versäumte doppelt und dreifach einzubringen. Für den Unterricht kamen ihm jetzt seine litterarhistorischen und ästhetischen Studien sehr zu statten, da er natürlich die griechischen Dichter seinem Zöglinge vor allem zu erklären hatte: das erforderte der Lehrplan der Zeit und entsprach seiner Anschauung von dem philosophischen, allgemeingültigen Werte echter Poesie. Aber es konnte nicht ausbleiben, dass er dem künftigen Herrscher auch historische und geographische Bilder entrollte als Einführung in seine künftige Thätigkeit als Politiker und Gesetzgeber (vgl. Pol. V 9), und man müsste die ganze Art des A. verkennen, wenn man in Abrede stellen wollte, dass A. die Grundlagen einer encyklopädischen Bildung, wie sein universaler Geist sie verstand, dem jungen Alexander zu geben versucht habe. Ob er an ihm einen empfänglichen Zuhörer hatte, kann fraglich sein; der lebhafte Prinz hat in den vielen Zerstreuungen seiner Stellung gewiss sehr ungleichmässig Zeit und Sinn gehabt für die abstracte Belehrung, sicher gar nicht für die Höhe philosophischer Gedankengänge und wahrscheinlich auch nicht für das Gebiet, worin er sich selbst mit Recht frühzeitig ein Urteil zutraute, für die politische Kathederweisheit des A. Die Naturen des Lehrers und des Schülers waren sehr verschieden, die höchste Achtung konnten sie sich nicht versagen, ein innigeres Verhältnis hat zwischen [1016] ihnen schwerlich je bestanden, schon deshalb nicht, weil A. mit Philippos gut stand, der Sohn schlecht. Alexander verwarf als König die Politik seines Vaters und eröffnete, wovon A. dem Philipp mit Erfolg abgeraten hatte (Philodem, Rh. Mus. XLVIII 557), den Kampf gegen die Perser; das war der Rat des Isokrates. Und alles, was Alexander im einzelnen that, that er nach seinem freiem Ermessen und oft in schroffem Gegensatze zu den akademischen Regeln des grossen Theoretikers; wie eindringlich hatte dieser ihn belehrt, dass den Hellenen von Natur kein Barbar gleichstände, und doch stellte der Beherrscher des Weltreiches die persischen Grossen den makedonischen gleich. A. war natürlich so einsichtsvoll, den König nicht mehr schulmeistern zu wollen; was uns aus der letzten Epoche von politischen Briefen des A. an Alexander berichtet wird, kann nicht auf Echtheit Anspruch machen. Nur das ist möglich, dass der grosse Eroberer seinen früheren Lehrer um Abfassung einer Denkschrift ersuchte, aber dazu forderte er auch den Isokrateer Theopomp und den Akademiker Xenokrates auf (Cic. ad Att. XII 40, 2. Plut. adv. Col. 32, 9. Diog. Laert. IV 14), falls die betreffenden Schriften nicht alle spontan ohne Aufforderung, geschrieben und veröffentlicht sind; jedenfalls wusste der König, was er wollte auch ohne derartige Belehrung und bat darum nur, wenn die Berufung auf Autoritäten ihm ratsam schien. Und so wird es wohl auch Pbilipp gehalten haben, der unbequeme Ratschläge über δικαιώματα oder sonstige Regierungsmaximen von einem Mitgliede seines Hofstaates sich verbeten haben würde. Natürlich bezeugten Philipp und später auch Alexander dem A. ihr Wohlwollen mannigfaltig und reichlich; die Vaterstadt des A. die bei der Einnahme 348 gelitten hatte, wurde auf königliche Kosten ganz hergestellt, Eresos auf Lesbos, die Heimat Theophrasts, von Alexander verschont. Vielleicht wurden auch grössere Geldmittel, Materialien und Menschenkräfte dem Forscher zur Verfügung gestellt, was die Legende sorgsam ausgeschmückt schildert; sogar die Höhe der königlichen Unterstützungen wird uns genau angegeben, die märchenhafte Summe von 800 Talenten, die ohne Zweifel ganz aus der Luft gegriffen ist. Aber grösser war vielleicht die Förderung, die A. persönlich durch den Umgang mit so bedeutenden Männern wie Philipp und dem bald ihm eng befreundeten Antipater erhielt, sowie durch den Einblick in die kraftvoll geleitete Begierung eines grossen Reiches, wo nicht philosophische Constructionen und die praktische Anwendung der begrifflich festgestellten Gerechtigkeitsidee Geltung hatten, sondern der in der Schule des Lebens gereifte Wille eines Monarchen, der im Interesse seines Staates lieber Unrecht thun als Unrecht leiden wollte. Vielleicht lernte A. hier, dass man mit den ethischen Grundsätzen des frommen Privatmannes einen Staat höchstens auf der Atlantis leiten könne, dass aber in der realen Welt das grösste Recht, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt, verachtet und verletzt werden und unbeschützten Bürgern das grösste Unrecht bringen kann. Jetzt erst wendete sich A. eingehend, zusammen mit Theophrast, politisch-historischen Studien zu, wie Philodemos ausdrücklich bezeugt; jetzt erst legte A. den Grund zu den weitschichtigen Arbeiten, [1017] die die letzte Epoche seines Lebens ausfüllten. Aber wie er alles seinem Systeme einzuverleiben und dieses dadurch zu erweitern und zu vertiefen wusste, so kam auch die Teilnahme an dem praktischen Leben seinem gesunden Menschenverstande und seiner Philosophie zu gute. Gewiss konnte er manche Monate ganz für sich und seine Studien verwenden und konnte das Schloss bei Mieza südlich von Pella, das Nymphaion, wo er mit Alexander lebte, vertauschen mit seiner Heimatstadt, in der auch Theophrast sich angesiedelt hatte. Und immer lockerer wurde die Verbindung, als sein Zögling seit seinem 17. Lebensjahre (340) anfing, sich um die Regierungsgeschäfte zu kümmern. Bis zum J. 338 mag der eigentliche Unterricht noch sporadisch fortgesetzt worden sein, und bis zur Ermordung Philipps blieb A. in Stagiros oder am Hofe. Als aber Alexander den Thron bestiegen hatte und den Perserzug plante, war des A. Mission erfüllt und der lange zurückgedrängte Plan, eine eigene Schule in Athen zu gründen, konnte wieder aufkommen und greifbare Gestalt annehmen. A. liess bei Alexander einen Verwandten zurück, den heissblütigen Kallisthenes, eine unglückliche Wahl, da dieser es zum offenen Bruche mit dem Könige brachte und als angeblicher Verschwörer hingerichtet wurde; das Verhältnis des A. zu Alexander wurde dadurch wohl noch mehr beeinträchtigt; kühl war es schon bei ihrer Trennung gewesen; aber andererseits blieben die Formen weltmännischer Höflichkeit und einer Art von Pietätsverhältnis weiter bestehen. Nach meiner Ansicht zeigte sich das nicht zum wenigsten darin, dass A. es vermied, dem eigenwilligen Könige Ratschläge vom Schreibtische aus aufzudrängen, wenn auch unechte Schriften solche enthielten. Theophrast mochte dem Andenken des früh verstorbenen Genossen einen warmen Nachruf und tiefsinnige Betrachtungen widmen; A. selbst schrieb seine Politik ohne Rücksicht auf die persönlichen Ansichten des grossen Eroberers wie des attischen Demos. Er galt als Makedone und verleugnete seinen einstigen Zögling und jetzigen Herrn nicht, aber er blieb unabhängig von ihm; und Alexander ging seine eigenen Wege, so viele Anregungen er auch einst von dem Lehrer erhalten hatte.

Im 50. Lebensjahre kehrte A. Ende 335 (Archon Euainetos) mit seiner Familie und Theophrastos nach Athen zurück. Nicht nur Isokrates war inzwischen gestorben, auch in der Akademie war Xenokrates auf Speusippos gefolgt. Aber auch dem Freunde konnte er sich jetzt nicht mehr anschliessen: er war diesem zu sehr überlegen, und vor allem waren die Bestrebungen der Akademie ihm zu fremd geworden. Den Wunsch, eine eigene Schule zu gründen, hatte er seit langem gehegt, vielleicht ihn schon einmal acht Jahre vorher zu verwirklichen gesucht; der Personenwechsel in der Akademie konnte ihn nicht umstossen. Er wählte für seine öffentlichen Vorträge den dem Apollon Lykeios heiligen Hain nordöstlich vor der Stadt, wo Lykurgos vor kurzem ein stattliches Gymnasion gebaut hatte. Als Metoeke konnte A. selbst kein Grundeigentum erwerben, er musste also für seine und seiner Genossen und Schüler Arbeiten, zugleich wohl auch für seine Wohnung, geeignete Räumlichkeiten mieten; das war ein kleiner, zu einem Musenheiligtum gehöriger Complex, ein [1018] περίπατος, vermutlich dasselbe Gebäude, das später durch Demetrios Phalereus Eigentum der Schule wurde. Dies bestand aus zwei, vermutlich senkrecht aufeinander stossenden Hallen, einer kleineren unmittelbar am ‚Museum‘ herlaufenden und einer grösseren, tiefer gelegenen (Theophr. Testament bei Diog. Laert. V 51), hinter der vermutlich einige Zimmer sich befanden. In diesen Räumen gründete A. die erste Sammlung von Büchern und anderem Lehrmateriale, und nach ihrem Muster liess später Demetrios das Museion in Alexandreia herstellen, wonach wieder die durch die Ausgrabungen genau bekannte Bibliothek von Pergamon erbaut wurde; die Einrichtung des A. wurde damit das typische Vorbild aller ähnlichen Anlagen im Altertume. Die Schule selbst nannte sich anfänglich nur die Schule, περίπατος oder διατριβή, wie der ‚Kreis‘ in Bonn; die im Lykeion oder ἐκ (ἀπὸ) τοῦ περιπάτου (τῶν περιπάτων) nannten sie die andern, auch wohl kurzweg den Peripatos, analog der Stoa in Athen und dem Museion von Alexandreia; und da A. und seine Genossen gelegentlich im Umhergehen wissenschaftliche Gegenstände behandelten (die späte Legende kennt davon Einzelheiten), wie übrigens auch die Angehörigen anderer Schulen mindestens seit Protagoras, so kam auch bald der Name Peripatetiker auf (von περιπατεῖν, zuerst nachweisbar bei Hermippos um 200 v. Chr.), und diese nichtssagende Bezeichnung wurde die üblichste für die eine Schule des A. Das Museion enthielt den Lehrapparat, vor allem die verschiedenartigen Bücher, deren Anzahl man auf mehrere Hunderte von Rollen wird veranschlagen dürfen, daneben Anschauungsmaterial wie die (wohl steinernen) Tafeln mit Landkarten (περίοδοι γῆς, Theophr. Test., vgl. Meteor. I 13, 5. Müllenhoff D. A.-K. I 226, 1) und vielleicht auch ein kleines Naturaliencabinet. Wir sind meist auf Vermutungen angewiesen, weil schon das spätere Altertum keine Vorstellung geschweige Überlieferung hiervon hatte. Nach einer Nachricht müsste A. über unglaubliche Mittel verfügt haben; von Makedonien aus der königlichen Schatulle soll er 800 Talente, d. h. nach unserem Geldwerte über 8 Millionen Mark, für seine zoologischen Studien erhalten haben, eine selbst für die modernen Kliniken und Institute märchenhafte Summe, und es sollen einige tausend Mann des königlichen Gesindes in Asien und Europa von Alexander angewiesen worden sein, an A. zu berichten und seine Befehle entgegenzunehmen. Nach der entgegengesetzten Auffassung wurde nach dem Tode des A. und seines Nachfolgers das ganze Inventar der Schule in eine alte Kiste gepackt und diese in einem Keller versteckt. Beide Erzählungen richten einander. Die Schriften des A. und seiner Schüler lehren, dass ihnen viel gelehrtes Material zur Hand war; sie brauchten nicht, obwohl sie es nicht selten dennoch thaten, aus dem Gedächtnisse zu citieren. Ob sie die vielen feinen Beobachtungen über Tier- und Pflanzenanatomie selbst angestellt und nicht vielmehr meist aus zweiter oder dritter Hand erhalten haben, ist mehr als fraglich; sie hatten gelernt, zu beobachten, zu sammeln und zu ordnen, aber sie mussten sich vielfach auf Autoritäten verlassen, darunter auch falsche. Und von der durch die Alexanderzüge erschlossenen Wunderwelt haben sie kaum Notiz genommen; das Material [1019] war noch nicht verarbeitet, als die grossen Werke im Peripatos fertiggestellt wurden. Nicht einmal der Bericht ist sicher, dass Kallisthenes dem A. chaldaeische Ziegelsteine mit astronomischen Aufzeichnungen zugesendet habe, denn A.s Schriften schweigen von solchem urkundlichen Materiale. Selbst die attischen Komiker und die giftigen Gegner haben nichts bemerkt, was einen unerhörten Aufwand von Lehrmitteln verriete, obwohl sie nicht versäumt haben, zu notieren, dass A. sich den Luxus von 74 oder 75 Schüsseln und von warmen Ölbädern geleistet habe. Die Bibliothek konnte wohl in wenigen Zimmern untergebracht werden, ein Raum mag für die Bearbeitung von Gesteinen, Mineralien, Tieren und Pflanzen gedient haben, und in irgend einem Raum mag Straton für sich allein mit Feuer und Wasser experimentiert haben. Diese Räumlichkeiten eröffnete A. seinen Mitforschern und Schülern.

Nach dem Muster der platonischen Schule stiftete er einen Verband, der sich in der Form eines religiösen θίασος darstellte und das Museion und den Musenkult zum Mittelpunkt hatte; unter den im Peripatos aufgestellten Statuen der Musen fehlte der Eros der Akademie allerdings, aber Platon selbst hatte im Symposion die erotischen Anschauungen vertieft und die Liebe zur Wissenschaft, den Drang des Forschens höher gestellt als Freundschaft und irdische Liebe; ‚Freunde‘ und ‚Freunde der Weisheit‘ nannten sich die Peripatetiker wie die Akademiker. Platons Symposion war auch das Programm für die geselligen Zusammenkünfte des Peripatos, die am letzten Tage jeden Monates stattfanden, und A. selbst soll den Comment (νόμος συμποτικός) dazu geschrieben haben. Unter der Leitung eines Praeses fanden die Trinkgelage statt, wo jeder der activen Teilnehmer einen kleinen Beitrag (ἔρανος oder συμβολή) von neun Obolen zu liefern hatte, während der Rest von dem alle Monate wechselnden Praeses als eine Art Leiturgie aufzubringen war. Eingeladen wurden dazu auch öfter Ehrengäste, und selbstverständlich nahmen auch die Lehrer und alten Herrn des Vereins, die πρεσβύτεροι, daran teil. Der Praeses hatte sonst die Aufsicht über die Studenten, die ἐπιχειροῦντες, zu führen und hiess daher ὁ ἐπὶ τῆς εὐκοσμίας. Ausserdem gab es die Ämter der ἱεροποιοί und des ἐπιμελητὴς τῶν Μουσῶν, die den Musenkult vielleicht auch am Tage des Monatsfestes zu versehen hatten als würdige Einleitung des Feiertages, und die Kosten dafür aus eigener Tasche bestritten, eine Art von Choregie. Das passive Wahlrecht für diese zum Teil kostspieligen Ehrenämter scheinen die πρεσβύτεροι allein gehabt zu haben, und die damit verbundene Ehrenpflicht gestattete Unvermögenden schwerlich ein längeres Verbleiben in der Schule nach Beendigung der Studienzeit. Dagegen beanspruchte keinerlei Honorar der an der Spitze des Vereins stehende ἄρχων, der nach A.s Tode auf Lebenszeit gewählt oder von seinem Vorgänger bereits ausgewählt wurde. Das ist die Schuleinrichtung, wie wir sie genau aus der Mitte des 3. Jhdts. kennen, die aber in ihren Grundzügen ohne Zweifel auf A.s Einrichtungen zurückgehen wird.

Leider sind wir nicht so genau über die Hauptsache unterrichtet, die Schulleitung und die Organisation [1020] der wissenschaftlichen Arbeit. So wissen wir nicht, ob A. und seine Genossen nur in ihrem Vereinslocale Vorlesungen abgehalten und Übungen veranstaltet haben, oder ob sie auch in dem öffentlichen Gymnasion des Lykeion sich hören liessen; in den erhaltenen Lehrschriften deutet nichts auf ein grösseres Publicum, wohl aber spricht A. zu seinen Hörern (nicht Lesern) am Schlusse der Soph. elenchi. Vermutlich zeigte er sich, nachdem er die geeigneten Räume gemietet hatte, nur noch wenig ausserhalb, und die eigentliche Arbeit konnte ja auch nur in der Stille der Privaträume vorgenommen werden. Und die Forschung der πρεσβύτεροι war natürlich die Hauptsache, die Vorträge und Disputationen können nur einen kleinen Teil der Zeit in Anspruch genommen und nur den Zweck gehabt haben, die Jünglinge einzuführen in die verschiedenen Wissensgebiete und in die Methode der Forschung und im günstigen Falle zum συμφιλοσοφεῖν anzuregen. A. arbeitete die längst durchdachten und ausgeführten systematischen Zusammenfassungen aufs neue wieder und wieder durch und konnte sich nicht genug thun in fortwährender Prüfung der Probleme und ihrer Lösung, auch in der Form der Darstellung wich er bisweilen ganz von seinen früheren Darlegungen ab und führte aufs neue seine Vorträge aus, indem er bald vorwärts, bald rückwärts auf die verwandten Materien und die verwandten Probleme hinwies. Einzelne Fächer überliess er ganz den Freunden und stellte ihnen seine Vorarbeiten und alten Hefte zur Verfügung, wie z. B. dem Theophrast die von ihm selbst gelegentlich schon erwähnten Aufzeichnungen über Botanik, die dieser ganz wie eine eigene erste Niederschrift behandelte und völlig selbständig ausarbeitete. Alle die Genossen arbeiteten gemeinsam, ohne Eigentumsrechte für sich zu beanspruchen. Die Hörer schrieben ohne Zweifel vieles nach, vielleicht bisweilen ganze Colleghefte, wie A. selbst und andere Akademiker Vorlesungen Platons aufgezeichnet hatten; und die Lehrer hatten oft kein ausgeführtes Heft vor sich, sondern trugen nach wenigen Notizen vor, anderes reizte sie zu einer sorgsamen, gefeilten Darstellung. Die erhaltenen Schriften in ihren wunderbar verschiedenen Bestandteilen verraten uns noch deutlich ihre Entstehung; ihren Abschluss haben sie zum Teil wohl erst nach dem Tode des A. erhalten, dessen Aufzeichnungen, auch sich widersprechende Stücke und Parallelversionen, die getreuen Schüler zusammenfassten und aus eigenen Nachschriften der Vorträge, bisweilen auch aus eigenen Untersuchungen ergänzten. Für die Öffentlichkeit hatte A. selbst diese Vorträge sicherlich nicht bestimmt, er legte selbst als echter Hellene einen viel zu grossen Wert auf äussere Formvollendung; und auch in den nächsten Decennien werden die Schulgenossen nur weniges davon herausgegeben haben, etwa wie Philippos von Opus die Gesetze Platons. Und doch waren einige aus Vorträgen entstandene Werke, die diesen Ursprung, einen hypomnematischen Charakter, nicht verleugneten, für die Veröffentlichung bestimmt, vielleicht von ihm selbst herausgegeben, vor allem die grosse Sammlung der Politien, die die letzten Jahre seines Lebens ausfüllte.

So alterte A. lehrend und ἀεὶ πολλὰ διδασκόμενος. [1021] Seine Gemahlin Pythias war gestorben und in Athen oder in Chalkis beigesetzt, wo A. auch ein Haus besass und die Familie vielleicht auch in den heissen Sommermonaten sich bisweilen aufhielt; Pythia hatte ihm eine bei seinem Tode noch nicht mündige gleichnamige Tochter hinterlassen. Noch einmal heiratete Α., Herpyllis aus Stagiros, die seiner ‚durchaus würdig‘ war, obwohl er sie der Pythias nicht gleich gestellt, sondern die Form des gesetzlich anerkannten Concubinats, eine Art von Civilehe, vorgezogen zu haben scheint. Aus dieser Ehe stammte ein Sohn Nikomachos, bei A.s Tode ein παιδίον, der als Jüngling starb, nachdem er die Ethik seines Vaters (um 310/300?) herausgegeben hatte.

Als die Nachricht vom Tode Alexanders nach Athen gelangte, wurde das Verbleiben des Metoeken von Stagiros wie aller makedonisch Gesinnten in Athen lebensgefährlich. Er wusste, dass hier ‚Feige an Feige‘ wuchs, und konnte keine Lust verspüren, den Sykophanten Athens Gelegenheit zu geben, sich ein zweites Mal an der Philosophie zu versündigen, wozu diese sich anschickten: auf Betreiben eines Hierophanten Eurymedon reichte Demophilos, vielleicht der Sohn des Isokrateers Ephoros, eine Klage wegen ἀσέβεια gegen A. ein. Dem Processe entzog sich A. und flüchtete im Spätsommer 323 nach Chalkis auf Euboia. Eine grössere Lehrthätigkeit konnte er hier nicht mehr entfalten, denn bereits im nächsten Jahre, 322/1, erlag er hier einem Magenleiden, rund 63 Jahre alt, nachdem er für seine Angehörigen in einem noch erhaltenen Testament rührend gesorgt hatte. Für seine Schule und den Musenverein brauchte er nicht zu sorgen, denn hier war alles so wohl gefügt, dass die Arbeiten auch ohne ihn fortgesetzt wurden. Dass Theophrast von Eresos auf Lesbos an die Stelle des κτίστης trat, war selbstverständlich, auch wenn die Genossen das Recht der Wahl hatten; A. wird nicht so kindisch geworden sein, dass er ihnen den Vorzug des Lesbiers vor Eudemos von Rhodos klar machte durch Verweis auf den lesbischen Wein, der süsser sei als der rhodische, wie eine späte Anekdote will; nicht das ἡδύ und die göttliche Sprache des ehemaligen ‚Tyrtamos‘ konnte für die Nachfolge bestimmend sein, sondern Theophrast war der älteste und vielseitigste Schüler und Freund des A. Pietätvoll suchte dieser im Geiste des A. weiter zu wirken, und noch nach seinem Tode lebte und wirkte der ἥρως ἀρχηγέτης in seiner Gemeinde.

Das Äussere des A. wird uns in einem Spottepigramme geschildert, danach soll er klein gewesen sein mit dickem Bauch und dünnen Beinen, kleinen Augen und einer Glatze, worauf wenig zu geben sein wird, abgesehen von der auch sonst bezeugten Kahlköpfigkeit. Um seinen Mund spielte ein mokanter Zug (μωκία), und der feine Attiker bemerkte, dass er das ρ nicht scharf aussprach sondern mehr wie λ (τραυλότης), vielleicht eine dialektische Angewöhnung, die gleichwohl einige übereifrige Schüler ihm ablernten. Er legte auf die äussere Erscheinung Wert, ging gutgekleidet einher, verschmähte auch das Tragen von Ringen nicht und trug den Bart (und, soweit er Haupthaar besass, auch dieses) kurz geschoren und wohl gepflegt. Statuen und Porträthermen von ihm waren nicht selten, eine stand im Museion der [1022] Schule, eine zweite (?), deren Inschrift noch erhalten ist, liess Alexander in Athen aufstellen; auch in Delphi soll eine Statue gestanden haben, und noch im 6. Jhdt. befand sich ein Standbild mit gefalteten Händen im Zeuxippos zu Constantinopel, vielleicht dem seines Altersgenossen Demosthenes gleichend; dass Philippos und Olympias neben ihren eigenen Statuen auch eine des A. aufstellen liessen, ist eine apokryphe Nachricht. Nachgewiesen ist bisher unter den erhaltenen Porträts keines des Α., denn die herrliche Statue im Palazzo Spada zu Rom stellt nach der seitwärts angebrachten, verstümmelten Inschrift ΑΡΙΣΤΕ[ΙΔΗ]Σ oder ΑΡΙΣΤΙ[ΠΠΟ]Σ dar, und ausserdem ist ihr Kopf nicht zugehörig. Es wäre merkwürdig, wenn unter den vielen erhaltenen Bildnissen nicht auch mehrere des A. sich befänden, aber uns fehlen bestimmtere Erkennungsmerkmale; und z. Β. den mit Sokrates verbundenen Glatzkopf der kleinen Berliner Doppelherme nr. 299, der entfernt an den sog. Aischylos auf dem Capitole erinnert, wird man ungern auf A. zurückführen, weil andere Repliken fehlen, die aller Analogie nach bei einem so berühmten Schulstifter sich erhalten haben werden.

Die Lebensgewohnheiten des wohlhabenden und vornehmen Mannes entsprachen mehr den am Königshofe herrschenden, als denen des immer mehr verarmenden Athens; so konnte der Pythagoreer Lykon von Iasos einige Züge zusammenstellen, die einen gewissen Luxus des A. verraten mochten, und die sonstigen Feinde des Α., Theokrit von Chios, der Isokrateer Kephisodor und der schmähsüchtige Timaios, hatten gewiss einen Rückhalt, wenn sie ihn einstimmig als Feinschmecker oder Schlemmer bezeichneten. Das war A. auch in übertragener Bedeutung und edlem Sinne: sehr wählerisch in seinem Umgange; im Urteile scharf, ja rasch, rücksichtslos; etwas vorlaut in seiner Jugend, zum Spotte geneigt im Alter: so wird er geschildert, und es liegt kein Grund vor, gegenüber dem Schweigen seiner Anhänger die Züge nach einem erfundenen Idealbilde wegzudeuten; selbst intrigant mag ihn Timaios vielleicht nicht ganz ohne Grund genannt haben. Freilich hatte er viele Feinde, die seinen Charakter ungebührlich angriffen, weil sie seiner Lehre gegenüber ohnmächtig waren, und daneben viele Bewunderer seines Geistes und seiner Gelehrsamkeit; Herzensfreundschaften hat er vielleicht nur selten aber dann um so innigere und dauerndere geschlossen. Seine Werke machen bis auf wenige Stellen den Eindruck, als ob er ein nüchterner Verstandesmensch durch und durch gewesen sei, und ebenso nüchtern und gerecht konnten ihn seine Anhänger wie Aristoxenos beurteilen. Und doch war manches nur die rauhe Schale, in seinem Innern war ein Platz für tiefere Gemütsempfindungen vorhanden; dem Hermeias und der Pythias hat er weit über ihren Tod hinaus dankbare Liebe bewahrt, und rührend ist die Art, wie er in seinem Testamente seiner Mutter und des Proxenos nebst Frau gedenkt und für deren Sohn Nikanor väterlich sorgt. Auch theoretisch hat er die Ehrfurcht vor Eltern und Lehrern als Forderung neben die Gottesfurcht gestellt, die Φιλία verherrlicht und seinem Lehrer Platon in dem erhaltenen Bruchstücke einer Elegie auf Eudemos ein herrliches Denkmal gesetzt mit dem Verse ἀνδρός, ὃν οὐδ' αἰνεῖν τοῖσι κακοῖσι θέμις. Trotzdem ist sein [1023] Verhältnis zu Platon viel besprochen und viel bemängelt worden, man wusste im späteren Altertume die wunderlichsten Anekdoten von seinem Neid und Undank zu erzählen, die völlig erlogen sind. Diese Charakterfehler waren ihm offenbar ganz fremd, nur eine gewisse Eigenwilligkeit, Rechthaberei und Sicherheit des Auftretens mag dem jungen Forscher bereits eigentümlich gewesen sein und seinen alten Lehrer bisweilen nicht angenehm berührt haben; aber einem alten Manne musste auch die rücksichtslose Energie und Verstandesschärfe äusserst schmerzlich sein, womit sein eigentlichstes Eigentum, seine Lehre von den realen Ideen, von A. angefochten wurde. So mag in der That Platon bei seinem Lebensende mehr Hochachtung vor dem scharfsinnigen logischen Denker als persönliche Zuneigung zu ihm gehegt haben. A. selbst schied mit der ihm eigenen logischen Schärfe zwischen der Person des verehrten Meisters und der Sache, und von diesen beiden Freunden erklärte er noch später, die Sache vorziehen zu müssen, nämlich die neu erschlossene Wahrheit (Eth. Nik. I 4). So zog er die Consequenz der platonischen Lehre. A.s ganzes Leben und sein philosophisches System zeugt dafür, wie er sich versenkt hat in die Gedanken des Meisters, wie er auch die ihm weniger verständlichen Seiten sich anzueignen, die bestrittenen Ansichten zunächst zu verstehen bemüht war, ja sogar nicht einwandsfreie Lehren ganz oder als rudimentäre Reste in sein System aufgenommen hat. Überall können wir verfolgen, wie A. auf platonischen Lehren fusst, wenn er sie auch bisweilen nach einer ganz andern Seite fortgebildet hat; das ist freilich erst an wenigen Punkten genauer nachgewiesen, wie an der Kunstlehre, an anderen ist der Nachweis nur mühsam zu führen, wie für die in Platons Dialogen nur gelegentlich gestreifte Kategorienlehre. Dass A. für seine Zoologie die platonischen διαιρέσεις zu Grunde gelegt hat, lässt sich ebenfalls wahrscheinlich machen; die Widerlegung der sophistischen Trugschlüsse der Megariker entspricht genau dem Euthydemos, wie eine systematische Darstellung einem kunstvollen Dialoge entspricht. Selbst in die Ideenlehre hatte A. sich soweit eingelebt, dass er die ἰδέαι nicht einfach strich, sondern mit einiger Abänderung als εἴδη aufnahm, und das εἶδος wurde ein wesentlicher Factor seiner philosophischen Überzeugung. Selbst das, wodurch A. am meisten von Platon abzuweichen und über ihn hinauszugehen scheint, die erste systematische Zusammenfassung des ganzen Wissensgebietes, ist vielleicht auf manchem Gebiete nur ein scheinbarer Unterschied, der durch unsere mangelhafte Kenntnis der platonischen Lehre veranlasst ist. Da Platon, abgesehen von Staat und Gesetzen, nur kleinere Gebiete für das grosse Publicum bearbeitet hat in Form von Kunstwerken, die, durch polemische Anlässe hervorgerufen, oft mehr die Grundlagen seiner Anschauung sichern und den aussen Stehenden Methode lehren sollten, die aber bis zur Entwicklung der eigenen Ansichten häufig nicht fortgeführt waren oder sie nur in der Form von Mythen andeuteten, bisweilen sogar nur die Schwierigkeiten ausführten und seine eigensten Lehren zu negieren schienen, so kann man aus ihnen nur schwer ein Ganzes herstellen. Und doch muss er seinen Schülern die eigenen Ansichten in geschlossener [1024] Form vorgetragen haben, wenn auch seine Ansichten infolge des rastlosen Forschens und Zweifelns an den eigenen Theorien im Laufe seines langen Lebens sich veränderten. A. selbst berichtet Lehren Platons, welche in den Dialogen nicht niedergelegt sind, die ἄγραφα δόγματα, und im Hinblicke namentlich auf diese Vorarbeiten konnte er sogar glauben, die Philosophie werde bald abgeschlossen sein. So dürfen wir den Anschluss des A. uns enger denken, als die Zeugnisse es direct aussprechen, selbst da, wo seine Lehren, zum zum Teil schon in den Dialogen seiner ersten Periode, zu widersprechen scheinen. Auch in der Form seiner Publicationen hat A. sich an Platon anzuschliessen versucht und nicht nur positiv in Dialogdichtungen sondern auch negativ im Zurückhalten der für die engere Schule bestimmten Lehrschriften. Er fühlte sich als Platoniker nicht nur in den zwanzig Jahren seiner Zugehörigkeit zur Akademie: auch später als Haupt der neuen Schule führte er die den Collegen der Akademie gemeinsamen Lehren gern mit ‚wir lehren‘ ein. Es ist also müssig, einen Gegensatz zu Platon betonen und damit auf A.s Charakter ein ungünstiges Licht werfen zu wollen, mag er immer in manchen Stücken abgewichen sein und z. Β. Homer und die attischen Tragiker gerechter beurteilt und wieder zu Ehren gebracht haben.

Bedeutung und Wirkung

II. Die Bedeutung des A. und die Wirkung seiner Arbeit. Wenn A. auch die Arbeit Platons fortsetzte, so überragt er ihn doch in vieler Beziehung; A. bildet den Höhepunkt universaler hellenischer Wissenschaft. Im einzelnen wahrte er sich Selbständigkeit. Die Methode seiner Lehrvorträge entwickelte er zu einer rein deductiven, während Platon nach dem Zeugnisse des Aristoxenos, d. h. nach mündlichen Angaben des Α., bis zu einem gewissen Grade an der sokratischen Empirie festgehalten und der Denker den Dichter nie ganz verleugnet hatte. A. gestaltete die platonischen Lehren aus, indem er den Sprachgebrauch wie die Entwickelung der griechischen Philosophie stetig berücksichtigte und aus der Geschichte der Probleme ihre Natur zu erkennen suchte, und indem er streng systematisch die verschiedensten Wissensgebiete ordnete und gliederte. Vor allem aber übertraf er Platon darin, dass er das durchführte, was jener begonnen, eine grossartige Organisation der wissenschaftlichen Arbeit. Darin hatte Platon kein Glück gehabt, dass ausser A. keiner seiner Schüler und Mitarbeiter den Anregungen zu universaler Forschung folgte; die Büchertitel von Speusippos und Xenokrates verraten nichts von irgend welcher Beschäftigung mit den Naturwissenschaften, und auch wo sie von Tiergattungen und Arten handelten, war ihr Interesse lediglich das des logischen Einteilens; Philippos von Opus war einseitiger Astronom und Mathematiker, und selbst der auch von A. angeregte Herakleides hat die φυσικά nicht mehr als angerührt. Diese Thatsachen und die weitere, dass man nach Platons Tode wohl an Herakleides, aber nicht an seinen universalsten Schüler als Nachfolger in der Leitung der Akademie dachte, lehren vielleicht, dass Platon selbst wie seine Genossen auf die Naturwissenschaften an sich und die Universalität keinen so grossen Wert gelegt haben können, wie wir nach den neuesten Forschungen anzunehmen geneigt sind, und dass wohl nur ein [1025] Teil der wissenschaftlichen Arbeit in der Akademie organisiert war. Aber gerade in dem von Sokrates und auch von Platon stiefmütterlich behandelten Gebiete sah A. den Hebel, über die Begriffsphilosophie und die philosophischen Constructionen hinaus zu einer festen Grundlage von Thatsachen vorzudringen, und so verschmolz er die naturwissenschaftliche Richtung eines Demokritos mit der Platons, dessen Andeutungen Tim. 75ff. er z. B. nicht als (natur)wissenschaftliche Untersuchungen gelten liess (de gen. I 2, 315 a 31); er ging aber auch über Demokritos erheblich dadurch hinaus, dass er auch die beschreibenden Naturwissenschaften heranzog, womit sich bis auf die Zeit Platons nur Praktiker abgegeben hatten. Erst dadurch wurde der Kreis geschlossen zu einem gewaltigen encyklopädischen Forschungs- und Wissensgebiete, worin selbst scheinbar entlegene Fächer wie die rhetorische Technik einen Platz fanden. Und nicht nur die einzelnen Zweige auszuarbeiten oder durch geeignete Kräfte bearbeiten zu lassen galt es, sondern es musste zunächst für viele von ihnen das empirische Material beschafft werden, Beschreibungen von Tieren, Pflanzen und Mineralien, litterarhistorische und politischhistorische Collectaneen, Auszüge aus Dichtern, Historikern, Philosophen, Fachschriftstellern und den steinernen Urkunden Athens. Vieles davon mochte A. selbst als Akademiker und später in Makedonien gesammelt haben, aber alles zusammenzubringen hätte bei weitem die Kraft eines einzigen Menschen überschritten. So gewann er denn thatkräftige Mitarbeiter, die unter seiner Leitung excerpierten und beobachteten, ordneten und combinierten und gemeinsam mit ihm das Rohmaterial bearbeiteten. Obwohl er selbst sich die Mühe genommen, schon in seiner Jugendperiode, die Materialien der Rhetorik zusammenzubringen, überliess er dem Theodektes von Phaselis, der hierin ihn vielleicht zuerst angeregt hatte, aber offenbar durch A. über die blosse Empirie hinausgehoben war, seine zusammenfassenden Arbeiten, die erste wissenschaftliche Behandlung der Rhetorik, zur Herausgabe und berief sich auf dieses Werk später unbefangen (τὰ Θεοδέκτεια), wie seine späteren Vorträge über Rhetorik wieder von Theophrastos vorausgesetzt und ausgeführt wurden. Die Ethik ist uns in dreifacher Gestalt überliefert, weil ausser A. mindestens zwei Genossen daran mitgearbeitet haben, Eudemos und ein ungenannter Schüler Theophrasts, vielleicht Phainias von Eresos: grosse Partien dieser Werke stimmen fast wörtlich überein, in anderen haben die späteren Bearbeiter sich zu eigener Auffassung durchgerungen und bekämpfen stillschweigend die Ansichten ihrer eigenen Schulgenossen. Die Botanik hat A. als einen bereits fertigen Entwurf dem Theophrast überlassen, wie dieser auch die Mineralogie schrieb. Die physikalischen Lehren bearbeitete er selbst und aufs neue Eudemos, Theophrast lieferte wichtige Nachträge, Straton suchte die Wissenschaft auf ganz neuer Grundlage mit Hülfe exacter Experimente aufzubauen, und Theophrast lieferte die grundlegende Geschichte der Physik. A. schuf die Grundlagen der Logik, Theophrast und andere führten sie aus und änderten sie ab. Wiederholt behandelte A. die Metaphysik, und doch fand Theophrast eine abermalige [1026] Bearbeitung nicht überflüssig und vorsichtige Zweifel an den Grundlagen nicht unerlaubt. Die Autorschaft der Ökonomik und der ‚Politik der freien Hand‘ war zwischen A. und Theophrast schon im Altertum strittig. Die litterarhistorischen Vorarbeiten und die Theorie der Poetik veranlassten eine ganze Anzahl von Specialuntersuchungen im Peripatos. Für die Geschichte der Mathematik und Astronomie und ebenso für die der Theologie gewann A. einen ausgezeichneten Bearbeiter in Eudemos, für die der Medicin in Menon. Der Begründer der Musik-(Harmonie-)Wissenschaft wurde Aristoxenos, der der physikalischen Geographie Dikaiarchos, welcher auch der materialistischen Kulturgeschichte seinen βίος Ἑλλάδος entgegenstellte. Für die grosse Sammlung der Staatsverfassungen von 158 Staaten müssen viele thätig gewesen sein neben Α., das Wichtigste wie die Verfassung und Geschichte Athens scheint er selbst ausgearbeitet zu haben; und das Resultat zog er selbst daraus, längst ehe das Riesenwerk fertig gestellt war, in der theoretischen Behandlung der Politik. Zur Ergänzung lieferte Theophrast ein Werk in 18 Büchern über die Gesetze und Weistümer der griechischen Staaten, dazu die in schroffem Gegensatze zu Platon stehenden πολιτικὰ πρὸς τοὺς καιρούς. Zahllose kleinere Monographien kamen dazu, von der Hand des A. namentlich solche psychologischen und physiologischen Inhalts. So führte eine einzige Schule in wenigen Jahrzehnten das stolze Gebäude der griechischen Gesamtwissenschaft auf unter der Leitung des eminenten Organisators A.

Die Principien waren bei den verschiedenen Mitarbeitern wesentlich dieselben, wenn auch Theophrast in seiner historischen Betrachtungsweise mehr Querschnitte liebte als A. und die Zweifel und Bedenken noch stärker betonte, wenn auch einzelne schliesslich Fühlung gewannen mit Lehren, die sich völlig von den aristotelischen entfernten. Daneben waren natürlich auch untergeordnetere Geister thätig, Werkstücke anderer zusammenzuleimen, ganze vermisste Abhandlungen und einzelne Kapitel nach den erhaltenen Andeutungen oder auch mit Anleihen aus anderen Schulen zu ergänzen. Auch die in einzelnen Stücken radical Abweichenden hielten in den anderen um so mehr an den Grundanschauungen des A. fest, und alle Einzelarbeit schien nur dazu da zu sein, sie zu bestätigen. Die intuitive Vorstellung von der Erfüllung der Materie durch die gestaltende Form, die grundlegende Lehre von δύναμις und ἐνέργεια, das physikalische Universalmittel von dem Kampf der Kälte und der Wärme, die ethische und politische Maxime von der goldenen Mittelstrasse und vor allem die logischen Fundamentalsätze blieben trotz einiger geäusserter Bedenken der Mittelpunkt der Schullehre. Und damit wurden für das ganze Altertum und das ganze Mittelalter die philosophischen Anschauungen zum Teil und die naturwissenschaftlichen ganz und gar gebunden, da die übrigen Schulen dagegen nur wenig ausrichteten. A. selbst hat das freilich nicht vorhersehen können und noch weniger es beabsichtigt, er konnte aber auch nicht vorhersehen, dass 50 Jahre nach seinem Tode jedes wissenschaftliche Leben im Peripatos erlöschen würde. Und doch war das der Fall: man beruhigte sich bei den [1027] herrlichen Ergebnissen der ersten beiden Generationen und verwendete alle Kraft und alles Interesse ausser auf kostspielige Diners auf litterarische Essays, nicht mehr auf die zahlreichen Probleme der Wissenschaft und ihre Lösung (s. Ariston Nr. 52). Die Wissenschaft selbst vertiefte und spaltete sich, Arbeitsteilung trat mit dem Aufkommen von Fachwissenschaften und Fachgelehrten ein: die Astronomie, die Mathematik und die Medicin nahmen einen glänzenden Aufschwung, Philologie und Grammatik bildeten sich zu eigenen Wissenschaften aus, die eigentlich philosophischen Disciplinen wurden kümmerlich in religiösem oder freidenkerischem Sinne fortgebildet, die Naturwissenschaften hörten nach ihrem kurzen Ikarosfluge auf zu existieren. Man las zunächst wohl noch die meisten Schriften des Α., die in vielfachen Abschriften sich im Besitze der älteren Peripatetiker befunden haben und z. Β. in die Bibliothek von Alexandreia auf Anregung des Demetrios Phalereus gekommen sein werden; man excerpierte auch die Politien und die Zoologie, aber man forschte nicht mehr im Sinne des A. Im Peripatos selbst hörte bald auch die Bearbeitung des Nachlasses des Schulstifters auf, die inhaltlich schwierigen und formell unkünstlerischen Werke scheinen nicht einmal mehr gelesen worden zu sein: man hielt sich an die von A. selbst herausgegebenen, vollendeten Werke, die anderen glaubte man bald für einen ganz engen Kreis bestimmt und verzichtete im Peripatos selbst darauf, in die Mysterien dieser esoterischen Geheimlehre einzudringen. Und so stark war die Reaction der litterarischen Feinschmecker, dass zeitweilig die Stoa als Erbin des A. erscheint und sogar die Schule Epikurs mehr von den Werken des A. wusste, als die Peripatetiker. Benützung seiner Werke lässt sich während zweier Jahrhunderte (250–50 v. Chr.) innerhalb der Schule kaum je nachweisen, ausserhalb derselben fast nur in der Stoa, wie z. B. die der Ethik bei Chrysippos, die der Rhetorik bei Archedemos. Poseidonios, der dem A. nacheiferte in der universalen Zusammenfassung eines grossen Wissensgebietes, hat dann auch die naturwissenschaftlichen Schriften des Α., des Straton u. a. eingehend studiert und dadurch vielleicht eine neue Anregung gegeben, neben den vielbewunderten Dialogen auch die schwer verständlichen systematischen Werke zu lesen. Den äusseren Anstoss, dass ein tüchtiger Peripatetiker seine ganze Kraft diesen zuwendete, scheint ein zufälliger Umstand gegeben zu haben, der Fund einer alten Bücherkiste in einem Keller zu Skepsis und ihre Erwerbung durch den reichen attischen Sammler Apellikon (s. d.). Man hatte diesem Curiositätenliebhaber die peripatetischen Schriften, die von Moder und Motten stark mitgenommen waren, als die Handexemplare des A. und des Theophrast verkauft, und er konnte aus dem Testamente Theophrasts nachweisen, wie die Bücher durch Schenkung an dessen Verwandten Neleus nach Skepsis gekommen und dort vor den Augen der büchersammelnden pergamenischen Könige in dem Keller versteckt seien. So unbekannt waren die Schriften, dass seine Erzählung in weiten Kreisen Glauben fand, weshalb sie denn auch aus der Einleitung der von Apellikon veranstalteten dilettantischen Ausgabe von besseren [1028] Autoren entlehnt und so auf uns gekommen ist, obgleich allerdings nach einer andern Nachricht Neleus die Hinterlassenschaft Theophrasts an Ptolemaios Philadelphos verkauft haben soll. Der Ausgabe des Apellikon folgte bald eine wissenschaftliche des Grammatikers Tyrannion und die darauf fussende des Peripatetikers Andronikos (s. d. Nr. 25); deren Arbeiten bildeten die Grundlage für die ganze Thätigkeit der Peripatetiker in der Folgezeit, die nunmehr im wesentlichen zu einer Α.-Philologie wurde und in Alexander von Aphrodisias (s. Bd. I S. 1453ff.) und den Neuplatonikern Simplikios und Porphyrios besonders tüchtige Vertreter gefunden hat. Die der alexandrinischen Dichterexegese entlehnte paraphrastische Interpretationsmethode des Andronikos fand in Themistios einen geschickten, noch heute gut in das Verständnis des Α. einführenden Vertreter. Andronikos stellte auch ein vollständiges Verzeichnis der sämtlichen Schriften des A. zusammen, vielleicht mit Hülfe älterer Kataloge, z. Β. dessen der Bibliothek zu Alexandreia, der von Hermippos alphabetisch bearbeitet war; Andronikos selbst wählte eine sachliche Ordnung, beginnend mit den Dialogen, den angeblichen exoterischen Schriften: seine Anordnung wurde für alle folgenden Ausgaben bestimmend, auch die modernen. Der Katalog ist, allerdings vielfach abgeändert und erweitert, auch durch Titel von ganz jungen Pseudepigrapha, in drei Brechungen auf uns gekommen, wovon eine, die durch die Araber erhalten ist, auf die Fassung des Neuplatonikers Ptolemaios ‚des Fremden‘ zurückgeht.

Jetzt zum erstenmale liess sich auch eine wissenschaftliche Biographie des A. liefern, während man bisher sich entweder hatte auf die äusserlichen Daten beschränken müssen oder doch, wie die Alexandriner, beschränkt hatte. Für unsere Kenntnis ist Apollodor der, der die Chronologie festgestellt hat, aber er stützte sich natürlich auf ältere Arbeiten, vor allem die wertvolle Monographie des Ariston von Keos (s. d. Nr. 52) über die ältesten Schulhäupter des Peripatos, worin so wertvolle Documente wie die Testamente mitgeteilt waren, sodann die βίοι des Peripatetikers Satyros und den wenigstens zwei Bücher umfassenden Abschnitt des grossen biographischen Werkes von Hermippos, endlich das sechste Buch der διαδοχαί Sotions. Von Apollodor sind die chronologischen Angaben des Dionysios aus Halikarnass (an Ammaios I 5) und die der erhaltenen Viten abhängig, von Satyros und Sotion die späteren Diadochenschriftsteller wie Herakleides Lembos, Nikias von Nikaia u. a. m.; auf Ariston wird Andronikos in der Hauptsache zurückgegangen sein. Wie weit diese Biographen auf eine Würdigung des A. eingegangen sind und z. Β. die thörichte Verleumdung zurückgewiesen haben, die sechs Jahre nach A.s Tode Olympias aussprengte, er habe durch Iollas, Antipaters Sohn, ihrem Sohne Alexander Gift geschickt, woran dieser zu Grunde gegangen sei, das ist im einzelnen nicht mehr festzustellen. Aber sicher hat keiner vor Andronikos die wissenschaftliche Bedeutung des A. gewürdigt, weil sie sie nicht kannten. Das schönste Denkmal hat dem A. gesetzt Aristokles (s. d. Nr. 15) im 2. Jhdt. n. Chr. in seiner ganz im Geiste des Schulstifters geschriebenen Geschichte der Philosophie, von der leider nur einige grössere Abschnitte [1029] erhalten sind. Ein weiter Abstand trennt sie von den vollständig erhaltenen aber kritiklos zusammengeschriebenen Lebensbeschreibungen. Laertios Diogenes beginnt das fünfte Buch seiner Lebensbeschreibung der Philosophen mit A. und hat dabei ausser den guten Autoren Ariston und Apollodor auch so schlechte benützt wie einen Historiker Eumelos, der den A. erst mit 30 Jahren zu Platon gehen (362?) und 70 Jahre alt werden (392–322?) liess; auch den Phavorinos hat er vielfach herangezogen und eine makedonische Reise A.s zur Zeit des Todes Speusipps (339) angesetzt, worauf er den Aufenthalt bei Hermeias († 345!) erst folgen lässt; auch das Bücherverzeichnis ist nicht mehr der unverfälschte πίναξ des Andronikos. Noch schlechter ist ein neuplatonischer βίος im Codex Marcianus 257, der wohl auf Ptolemaios ‚den Fremden‘ zurückgeht, wie auch der späte Erklärer Elias und die Araber; aber auch Simplikios ist darin benützt und Olympiodor, der einen dreijährigen Unterricht des A. durch Sokrates annahm und A. seinen Zögling auf seinem grossen Zuge begleiten liess. Ganz von der Vita Marciana abhängig (bis auf einen Zusatz aus Olympiodors Commentar zu den Kategorien) ist ein auch in anderen Hss. erhaltenes γένος Ἀριστοτέλους, das unter dem Namen des [Pseudo-]Ammonios geht, aber eher [Pseudo-]Elias zu nennen sein würde, und eine eng damit verwandte lateinische Vita. Ferner ist ein ganz kurzes γένος in der Ambrosiana erhalten zusammen mit einem Bücherverzeichnisse, vielleicht von Hesychios Milesios herrührend, da Suidas s. Ἀριστοτέλης den grössten Teil des γένος wörtlich entlehnt hat. Endlich finden sich versprengte Reste biographischer Gelehrsamkeit bei den griechischen Commentatoren und den Arabern, hier auch das dritte, aus Ptolemaios excerpierte Bücherverzeichnis.

Wir erhalten den Eindruck, dass die späteren Zeiten die Person des A. mehr und mehr aus den Augen verloren haben im Gegensatze zu der Zeit Ciceros und Philodems, die nicht nur seine Dialoge mit ihren persönlichen Vorreden bewunderte, sondern auch A.s persönliche Stellung zu Philipp und Alexander beleuchtete. Das Eingreifen des Andronikos wirkte revolutionär, die Philosophie des A. erhielt einen Ehrenplatz in den Schulen, die die Geschichte der Philosophie nicht ganz vernachlässigten, seine Logik wurde die Logik auch des Platonismus, und während mehrerer Jahrhunderte war es die Hauptaufgabe der Peripatetiker und der Neuplatoniker, A.s und Platons Lehren zu vergleichen und die Unterschiede entweder hervorzuheben oder abzuleugnen und eventuell den Vorrang festzustellen. Als die christlichen Dogmatiker sich nach einem philosophischen Systeme umsahen, das sie zur Grundlage nehmen konnten, wählten sie nicht das aristotelische, sondern zunächst das stoische (Origenes), besserten den Fehler aber bald durch Platon aus, der ihnen schon wegen der Weltschöpfung im Timaios näher stand als Α.; aber schon im 4. Jhdt. zeigt der Bischof Nemesios von Emesa eingehende Kenntnis der peripatetischen Lehren und im 6. Jhdt. Joh. Philoponos, Bischof von Caesarea, der A.s Lehre von der Weltewigkeit und die Ausgleichungstheorie eines der letzten neuplatonischen Lehrer, [1030] des Proklos, bekämpfte, selbst aber infolge seines Versenkens in peripatetische Anschauungen des Tritheismos geziehen wurde. Seit dem 4. Jhdt. hatten auch die Christen wenigstens die aristotelische Logik angenommen. So lieferte Praetextatus († 384) oder Augustin († 430) einen lateinischen Auszug der Kategorien. Am Anfange des 6. Jhdts. plante Boethius eine Übersetzung sämtlicher Werke des A. und vollendete die des Organons, das er auch eingehend erklärte nebst der von Victorinus übersetzten Einleitung des Porphyrios. Ein Teil dieser Arbeiten bildete bis zum 13. Jhdt. die Grundlage des gelehrten Unterrichtes in der lateinischen Welt, z. B. gab Notker Labeo in St. Gallen († 1022) die κατηγορίαι und περὶ ἑρμηνείας mit althochdeutscher Interlinearversion und Erklärungen nach Boethius heraus. Die Scholastiker lehnten sich an diese Schriften an wie Hrabanus Maurus († 856), der universalia in re mit A. verfocht gegen die Extreme, Realismus und Nominalismus. Analytik und Topik wurden freilich erst im 12. Jhdt. genauer bekannt. Im Oriente studierten die nestorianischen Christen in Edessa eifrig A. und Platon, besonders die logischen Schriften (Probus); 489 flüchteten sie nach Persien und gründeten hier die Schule von Nisibis und die Academia Hippocratica zu Gandisapora. Durch sie liess der König Chosroes von Persien, den die 529 ausgewiesenen Neuplatoniker von Athen weiter anregten, syrische Übersetzungen des A. anfertigen. Im 6. Jhdt. betrieben auch die syrischen Monophysiten (Sergius, Jakob von Edessa) das Studium des A. Ins Armenische übersetzte ungefähr gleichzeitig David den A. Durch die Nestorianer und ihre syrischen Übertragungen wurden auch die Araber mit A. bekannt, dessen monotheistische Theologie und Metaphysik die Mohammedaner besonders ansprach. Seit Anfang des 9. Jhdts. liessen die Abassiden arabische Übersetzungen anfertigen, selten aus den griechischen Originalen, durch die zweisprachigen Syrer; erhalten hat sich z. Β. die Übertragung der Kategorien durch den Nestorianer Honaïn (Iohannitius † 876). Im 10. Jhdt. wurden neue Übersetzungen durch Nestorianer angefertigt. Die arabischen Philosophen wie Alkendi, Alfarabi, Avicnnae (980–1037) u. a. m. befolgten eine eklektische, halb aristotelische halb neuplatonische Richtung; das Compendium der peripatetischen Philosophie von Abulfaragi (13. Jhdt.) hat sich bis in die neueste Zeit in Syrien in hohem Ansehen erhalten, aber seit dem Ende des 11. Jhdts. sind Religion und Philosophie streng geschieden. Ein Jahrhundert länger blühte die freie Wissenschaft, d. h. die aristotelische Philosophie, unter den Omajaden in Spanien, wo besonders Averroes A. auslegte und fast wie einen Religionsstifter ehrte (geb. 1126, † 1198 von der Kirche verfolgt), aber natürlich weder griechisch noch syrisch verstand. Obwohl die arabische Kultur bald der Orthodoxie und den Mauren erlag, wurde sie doch gerettet durch die Juden in Spanien, die schon in der Kabbala (9. Jhdt.) Kenntnis griechischer Philosophie verrieten und z. Β. in Moses ben Maimun (1135–1204) einen gelehrten Aristoteliker besassen, sowie durch kastilische Mönche, die auf Geheiss des Erzbischofs Raimund von Toledo die Hauptwerke des A. nebst einigen arabischen Commentaren ins Lateinische übersetzten [1031] (um 1150). So fanden die Werke Eingang in Frankreich, wo 1209 durch eine Bischofsversammlung in Paris Physik und Metaphysik des A. verboten wurden. Aber bald siegte der theistische Zug in ihnen, der Widerspruch wurde aufgegeben; die Übersetzungen der jüdischen Gelehrten lieferten bald den gesamten Nachlass des Α., auch liess Kaiser Friedrich II. Übersetzungen für die Universität Bologna anfertigen. Dazu begann man aus griechischen Hss. zu übersetzen, um reinere Texte zu erhalten; so liess der Bischof von Lincoln, Robert Greathead, um 1250 eine Nova translatio der Nik. Ethik herstellen, auf Veranlassung des Thomas von Aquino übertrug Heinrich von Brabant einzelne Schriften und Wilhelm von Moerbecke († 1281) nahm eine sclavisch getreue Übersetzung sämtlicher Werke des A. in Angriff. A. stellte sich jetzt ganz in den Dienst der christlichen Kirche, die Blüte der Scholastik begann unter Albert von Bollstädt (1193–1280) und Thomas von Aquino (1226–74), die A. eifrig erklärten und in Einklang mit den katholischen Lehren brachten. Auch die deutschen Mystiker kannten ihn. Der Humanismus in Italien, der sich zunächst, an Ciceros Bewunderung der Dialoge begeistert hatte, schuf neue Übersetzungen des Theodoros Gazes, Georg von Trapezunt, Kardinal Bessarion, Gregorios Tiphernas u. a., namentlich durch Bessarion und Papst Nicolaus V. († 1455) begünstigt; auch lebte hier der alte Streit um den Vorrang Platons oder A.s wieder auf, den Cosimo Medici in Florenz durch Gründung der platonischen Akademie praktisch entschied. Die deutsche Reformation kämpfte heiss gegen die Scholastik, und wenig fehlte, dass Luther mit der scholastischen Philosophie auch A. weggeräumt hätte; aber Melanchthon hielt die Philosophie mit Recht für unentbehrlich, und so behielt A. vorläufig seine Stellung; ja, manche Reformatoren studierten so philologisch-kritisch den Α., dass es Amerbach seine Stellung kostete, weil er für das richtige ἐντελέχεια gegen die übliche Form ἐνδελέχεια streitlustig eintrat. Erst allmählich erkaltete das Interesse für A.s Philosophie, er wurde den meisten zu schwer; doch blieben z. Β. in England Ethik und Rhetorik des A. Bestandteile der gelehrten Bildung. Die leichte Zugänglichkeit durch den Buchdruck (ed. princeps Venetiis 1495–98, 5 Bd. Folio, die Aldina maior) und die Textbearbeitung durch Philologen wie Victorius, Muretus, Erasmus, Camerarius, Casaubonus und besonders Sylburg (ed. 1584–87) stand in schreiendem Missverhältnisse zu der geringen Verbreitung der Werke des A. Erst im letzten Jahrhundert hat sich das Interesse wenigstens der Gelehrten wieder dem A. zugewendet auf Anregung von Buhle, Jourdain, Schleiermacher u. a. Die grundlegende Textausgabe, die alle früheren antiquiert hat, wurde im Auftrage der Berliner Akademie von I. Bekker (Berlin 1831ff.) geliefert, worauf wieder die grosse Pariser Ausgabe (1848–57) fusst, sowie einzelne im Teubnerschen Verlage herausgegebene Schriften, die zum Teil ganz unselbständig sind (Prantl), zum Teil aber auch ein neues Fundament haben; endlich schliessen sich daran einige sonst erschienene rein kritische oder auch [1032] erklärende Ausgaben an. Die weit zerstreuten Fragmente hat Rose gesammelt und mit grosser Gelehrsamkeit behandelt, obwohl er keins für echt aristotelisch hält. Auf den Wert der Commentatoren hat Brandis hingewiesen; ihre Sammlung in kritischen Ausgaben wird von der Berliner Akademie unter Leitung von Diels gegeben. Einige Stücke der aristotelischen Schriftstellerei hat J. Bernays in schönen Abhandlungen dem Verständnisse auch einer grösseren Anzahl von Gebildeten nahe gebracht. Das Leben und die Philosophie des A. ist eingehend von Brandis und in der klaren Darstellung Zellers behandelt worden; der Philologe wird auch gern Ueberwegs Grundriss (ed. Heinze) benützen, der stets die Termini technici angiebt; eigenartig ist die geistvolle Behandlung in Windelbands Gesch. der Philosophie. Bonitz hat ein musterhaftes Lexikon (in der Berliner Ausgabe) geliefert und mit Vahlen die Sprache des A. feinsinnig ergründet, denen sich neuerdings Kaibel angereiht hat. Die Bearbeitungen einzelner Schriften, Lehren, Stellen ist Legion: und doch fehlt noch viel, dass wir A.s und seiner Schüler Werke in ihrem Entstehen begreifen, den Grad ihrer Echtheit beurteilen und sie historisch richtig einreihen können.

Literatur

III. Litteratur. Die Beschäftigung mit Α. zieht sich durch die Geschichte der Geisteswissenschaften ohne Unterbrechung hindurch, wie der vorige Abschnitt gezeigt hat. Hier wird es genügen, eine Anzahl moderner Arbeiten namhaft zu machen entweder ihrer wissenschaftlichen Bedeutung wegen oder aus praktischen Gründen, z. Β. wenn sie dem Suchenden weiterhelfen können. Im allgemeinen sind die Abschnitte oder Bücher der Werke über die Geschichte der alten Philosophie zu vergleichen, namentlich Brandis Handbuch II 2 und III 1, Berlin 1853–60. Zeller Philos. d. Griech. III³, Lpz. 1879. Überweg Grundriss, bearb. v. Μ. Heinze I⁸, Berl. 1894, mit guten, bis auf die streng philologischen Arbeiten vollständigem Litteratur-Nachweis; auch der sorgsame Artikel von Zell in der ersten Auflage dieser Encyclopädie. Zur Ergänzung dienen die knappen, objectiven Referate Zellers im Archiv für Gesch. d. Philos. und die ausführlichen Besprechungen von Susemihl in Bursians Jahresberichten. Auch die Werke über die Geschichte der griechischen Litteratur von Heitz, Christ u. s. w. dienen zum Nachschlagen, nicht die Aphorismen von Bergk Litt.-Gesch. IV 472ff. Für das Leben und wichtig ausser älteren Specialschriften (vgl. Grant Α., deutsch von Imelmann 1878) betreffs der Quellen im allgemeinen Diels Doxographi Gr., Berl. 1879, dazu die Viten des Α. bei Rose (s. u.); im besonderen Maass Philol. Unters. III 81. Busse Herm. XXVIII 252ff. Lippert Studien a. d. griech.-arab. Übers.-Litt. I, Braunschweig 1894; betreffs der Resultate v. Wilamowitz-Moellendorff A. und Athen, Berl. 1893, I. Wertvoll sind die Nachrichten Philodems (Sudhaus Rh. Mus. XLVIII 522) über A.s politische Thätigkeit in der letzten Lebenszeit, also offenbar in bewusstem Gegensatze zu der Praxis Alexanders; darüber vgl. auch (nebst älteren Arbeiten) Nissen Rh. Mus. XLVII 161ff. und Niese Hist. Ztschr. N. F. ΧΧΧIIΙ 1892, 38ff. Eine zusammenfassende [1033] Arbeit über die wissenschaftliche Stellung des A. zu Platon fehlt, doch liegen sehr brauchbare Untersuchungen zu einzelnen Zweigen, z. B. der Metaphysik und der Poetik vor (Litt. bei Überweg-Heinze). Über das Nachleben des A. im Mittelalter vgl. Überweg-Heinze Bd. II. Über die angebliche Statue des A. in der Sammlung Spada zuletzt Studniczka und Gercke Röm. Mitt. V 12ff. Über die Schuleinrichtung Zumpt Abh. Akad. Berl. 1843; über die rechtliche Stellung der Philosophenschulen: v. Wilamowitz Antigonos von Karystos, Philol. Untersuch. IV 1881; über Schule und Lehre: Usener Die Organisation der wissenschaftlichen Arbeit, Preuss. Jahrb. LIII 1884, 1ff.

Die grundlegende Ausgabe der Berliner Akademie umfasst den Text (ed. Bekker Bd. I. II, Berl. 1831), lateinische Übersetzungen (Bd. III 1831) eine nicht genügende Auswahl der Scholien von Brandis (Bd. IV 1836) und in Bd. V 1870 die Fragmente (von Rose), Syrians Comm. zur Metaphysik (von Usener) und den Index Aristotelicus (von Βοnitz). Bekker hat zum erstenmal umfangreiche Vergleichungen von Hss. vorgenommen, deren Zeit und Verwandtschaft aber nicht festgestellt und manche wichtigen Hss. sowie die Citate des Altertums nicht herangezogen. Die neuere philologische Litteratur zu Einzelschriften wird bei diesen besprochen werden. Die Fragmente sind neuerdings von Rose herausgegeben, Lpz. 1886; sehr gründlich hat er sie behandelt im A. Pseudepigraphus, Lips. 1863, wozu für die erhaltenen Schriften die gelehrte, aber schwer lesbare Untersuchung de A. librorum ordine et auctoritate, Berl. 1854, kommt. Schwächer ist Heitz Die verlorenen Schriften des Α., Lpz. 1865; derselbe hat die Fragmente herausgegeben Paris 1869 in Bd. IV der Didotschen Ausgabe. Umfangreich ist die Litteratur über A.s Angaben zur Geschichte der Philosophie und der übrigen Wissenschaften, fast unübersehbar die über A.s eigene Lehren und ihre Fortbildung von der Stoa an bis zur Neuzeit.

Für das Verständnis der Schriften des A. in grösserem Rahmen hat neuerdings am meisten geleistet und zu eingehenden Untersuchungen angeregt Leonhard Spengel Abhandl. Akad. Münch. II. III. V. VI. IX–XI 1841–66; dazu kommen erklärende Ausgaben einzelner Werke (s. u.); am meisten gelesen werden die formvollendeten, blendenden Abhandlungen von Jac. Bernays Über d. aristotel. Theorie des Dramas, Berlin 1880; Die Dialoge des Α., Berl. 1863. Im einzelnen haben das Verständnis des A. und seines sprachlichen Ausdruckes, zum Teil in berechtigtem Widerspruche gegen Spengel, eine Anzahl klassischer Abhandlungen von Bonitz und Vahlen gefördert, deren Sammlung ein dringendes Bedürfnis ist, sowie der vorzügliche Index von Bonitz. Dazu Untersuchungen von Eucken De A. dicendi ratione, Diss. Göttingen 1866; der Sprachgebrauch des Α., Berlin 1868; Jahrb. f. Philol. XCIX 243ff. 817ff. Kaibel Stil und Text der Ἀθ. πολ., Berl. 1893. Diels Gött. Gel. Anz. 1893, 293ff.

Die Schriften

IV. Die Schriften. Der ganze Nachlass des A. wurde von den späteren Peripatetikern in exoterische und akroamatische Werke zerlegt; sie verstanden unter jenen die für die Öffentlichkeit bestimmten [1034] Dialoge und wissenschaftlichen Briefe, unter diesen die für den engen Schulkreis bestimmten Lehrschriften, von denen man noch als dritte Gruppe die zunächst überhaupt nicht für Herausgabe bestimmten oder geeigneten Collectaneen, die hypomnematischen Schriften, unterscheiden kann. Die Zweiteilung ist unleugbar im Grunde richtig, aber nicht ihre Benennung. Zwar für seine Zuhörer (ἀκροαταί) scheint A. seine sämtlichen erhaltenen Lehrschriften (ἀκροάσεις) bestimmt zu haben, obwohl auch sie vielleicht ihm nur als ὑπομνήματα galten, ein Name, der nach der Zustutzung und Herausgabe freilich nicht mehr zutraf. Falsch ist dagegen die Bezeichnung der populären Schriften als ἐξωτερικοὶ λόγοι, denn mit diesem bei A. mehrfach vorkommenden Namen hat er vielmehr Erörterungen ausserhalb seiner Schule bezeichnet: das hat nach vielem Schwanken einer ausgebreiteten Litteratur und gegen die glänzende und bestechende Darlegung von Βernays (Die Dialoge des A. in ihrem Verhältnis zu seinen übrigen Werken, Berlin 1863) streng philologisch aus den Citaten erwiesen (neben Ζeller u. a.) Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1883, 477ff. Auch inhaltlich haben diese Lehren oft nur Gemeinplätze enthalten (wohin z. Β. auch der im gewöhnlichen Sprachgebrauche beobachtete Unterschied von ποιεῖν und πράττειν gehört), so dass A. sich darauf mit ‚wir pflegen ..‘ berufen kann, bisweilen sind sie aber auch direct unaristotelisch wie die Definition der Zeit Phys. IV 10, die von Bernays übergangen ist. Einmal spricht A. von λόγοις ἐν κοινῷ γιγνομένοις (de an. I 4 λόγοις δὲ ὥσπερ εὐθύνας δεδωκυῖα καὶ τοῖς ἐν κ. γ., vgl. dazu in anderem Bilde Plat. Gorg. 475 D) und meint damit etwa Platons Phaidon oder seinen eigenen Dialog Eudemos oder beides, setzt also jedenfalls voraus, dass seine erhaltenen Erörterungen über die Seele nicht ἐν κοινῷ waren; und Poet. 15 verweist mit τοῖς ἐκδεδομένοις λόγοις wahrscheinlich auf den Dialog über die Dichter: das kann man nicht mit Bernays übersetzen ‚früher herausgegeben‘, vielmehr ist auch hier die Beschränkung der Lehrschrift auf den Kreis der engeren Schule deutlich, das ist nach Soph. el. 13 der Kreis seiner Hörer.

Allgemein zugänglich durch Herausgabe waren nur die populären Schriften, die im 3.–1. Jhdt. v. Chr. bis auf Andronikos fast allein gelesen wurden und durch die Ironie des Schicksals uns bis auf wenige Bruchstücke verloren gegangen sind. Ihre Titel hatte Andronikos an die Spitze seines πίναξ gestellt, zuerst die mehrere Bücher umfassenden, dann die μονόβιβλοι (nr. 1–19 Diog. Laert.). Der Form nach waren sie wohl alle Dialoge, obwohl das von einigen bestritten wird; aber die meisten wichen von der platonischen Dialogform darin ab, dass der Verfasser der Gewohnheit des Isokrates folgend eine persönliche Vorrede vorausschickte, die bisweilen nichts mit dem folgenden Gespräche zu thun hatte (Prokl. ad Parm. IV 54 Cous.), und auch gewöhnlich selbst in der Rolle des Gesprächführers einen längeren Vortrag hielt, wie wir aus Ciceros Bemerkungen (ad Att. IV 16. XIII 19) und Nachbildungen wissen. Damit war der poetische Schmelz der platonischen Kunstwerke und die sokratische Ironie abgestreift, dafür traten die Ansichten des Α., wohl auch der Stand der Wissenschaft deutlich, mit Vermeidung [1035] jedes Missverständnisses hervor; witzlos und undramatisch waren sie (Basil. epist. 135), aber ihr Stil war trotzdem nicht nur gefeilt (z. B. Hiate möglichst gemieden), ihre Sprache erhob sich sogar vielfach zu einer hinreissenden, edlen Beredsamkeit, die einige herrliche Bruchstücke aufweisen. Auch einzelne Stellen der Lehrschriften und bisweilen ein ganzes Buch wie Α der Methaphysik tragen ein ähnliches Gepräge, aber man darf das nicht mit Blass Rh. Mus. XXX 481 äusserlich erklären, als ob A. aus den Dialogen Stücke so zu sagen herausgeschnitten und in die Lehrschriften eingesetzt habe, sondern man wird hierin mit Diels Archiv f. Gesch. d. Philos. I 497 Ansätze populärer Vorlesungen erkennen, deren Hörer in A.s Anschauungen und seiner Terminologie noch nicht geschult waren, d. h. vielleicht zum Teil wenig überarbeitete Reste aus seiner Lehrthätigkeit in der Akademie, die beizubehalten auch später nützlich sein mochte. Die Dialoge sind nach der herrschenden Auffassung durchweg oder meistens in dieser ersten Epoche entstanden, allerdings mit sicherer Ausnahme der politischen Schriften (18. 19 Diog. Laert.). Zwei (5 und 13) sind durch die Veranlassungen etwas genauer zu datieren: nach 362/1 und 354/3. Im Titel lehnen sich an Platon an Menexenos (8) und Symposion (10), auch σοφιστής (7) und περὶ πολιτικοῦ (4), und im Grylos (5) bestritt A. noch, dass die Rhetorik eine Kunst sei (frg. 69). Im Protreptikos (12) erklärte er allerdings, scheinbar jugendlich, die Philosophie für bald abgeschlossen infolge der Fortschritte der allerletzten Zeit (frg. 53), jedoch hat er diese tiefgewurzelte Überzeugung während seines ganzen Lebens vertreten (vgl. z. Β. Eucken Die Methode der aristotelischen Forschung, Berlin 1872). Seine Ausdrucksweise und seine Beweise sind dagegen in den Dialogen häufig noch echt platonisch, auch das Heranziehen von Mythen, aber doch bekämpft er bereits (frg. 19–22) die Weltschöpfung (Platons, wenn dessen Lehre im Timaios mehr ist als platonische Form, vgl. v. Wilamowitz Arist. und Athen I 332, 29) und mehrfach die transcendenten Ideen und die Idealzahlen, z. Β. mit einer Verteidigung gegen die ihm vorgeworfene Rechthaberei frg. 8.

Die beliebtesten dieser Dialoge waren: Grylos (ἢ περὶ ῥητορικῆς, nr. 5), benannt nach dem bei Mantineia gebliebenen und in Leichenreden vielfach verherrlichten Sohne Xenophons; vielleicht schon gegen Isokrates gerichtet, aber noch ohne genauere Kenntnis von dessen Technik. Εudemοs (= περὶ ψυχῆς, 13), anknüpfend an den Traum des Endemos von Kypros in Pherai von seiner Heimkehr ins Vaterland und dessen Erfüllung durch den Tod; die Unsterblichkeit wurde darin im Anschlusse an den Phaidon, auch an dessen Wiedererinnerung bewiesen, die Definition der Seele als Harmonie mit zwei neuen Beweisen, anstatt dreier Platons, abgewiesen. Der korinthische Dialog Nerinthos (6) war nach einem Bauern aus Korinth genannt, der Platons Gorgias gelesen hatte und nun die Akademie aufsuchte. Der Protreptikos (12), dessen Vorrede sich an den kyprischen Dynasten Themison richtete, suchte zum Studium der Philosophie zu begeistern und bewies haarscharf, dass der denkende Mensch ohne sie nicht leben könne; er erwarb sich, wie seine [1036] Nachbildung, Ciceros Hortensius, äusserste Beliebtheit in den besser gestellten Kreisen: nur Schuster und Kyniker konnten darüber spotten, wie A. den Reichtum zum Besten der Wissenschaft verwenden wollte. Ausser von Rose und Bernays ist dieser Dialog besonders behandelt worden von Bywater Journ. of Philol. II 55ff. Hirzel Herm. X 61ff. Usener Rh. Mus. XXVIII 392ff. Diels Archiv I 477ff. Hartlich Leipz. Stud. XI 207ff. Die vier Bücher περὶ δικαιοσύνης (1) behandelten das Thema auf logischem, ethischem und politischem Gebiete ganz ausführlich. Die drei Bücher περὶ φιλοσοφίας (3) scheinen reife Untersuchungen enthalten zu haben, wie Begründung des Glaubens an das Dasein Gottes und (im ersten Buche) den Entwurf einer ganzen Kulturgeschichte; hierin trat A. ganz selbständig Platon gegenüber; vgl. Bywater Journ. of Philol. VII 64ff. Die drei Bücher περὶ ποιητῶν (2) enthielten historisches Material, auch Klatschgeschichten, und praktische Anweisungen; sie scheinen als ‚herausgegeben‘ Poet. 15 citiert zu werden. Von den Schriften über Liebe (9), Reichtum (11) Gebet (14), Lust (16) und Bildung (19) wissen wir wenig oder nichts; περὶ εὐγενείας (15) erzählte im Tone von nr. 2 die Bigamie des Sokrates und wird deshalb und wegen unleugbarer Hiate bisweilen grandios für unecht erklärt, die Echtheit hat schon Plutarch Aristeid. 27 bezweifelt; vgl. Immisch Comm. Ribbeck 71ff. Durch den Titel wird die späte Abfassung von Ἀλέξανδρος ἢ ὑπὲρ ἀποίκων (17) und περὶ βασιλείας (18) erwiesen, deren dialogischer Charakter aus der Stellung im Pinax hervorgeht, doch will Zeller die μονόβιβλοι 14–19 nicht als Dialoge gelten lassen. Die Schrift über das Königtum glaubt Nissen Rh. Mus. XLVII 180 erhalten, wenn auch durch doppelte Übersetzung merkwürdig verunstaltet, in einem arabischen Briefe περὶ βασιλείας (ed. Lippert Diss. Halle 1891): jedoch scheint dieser Brief zwar mit Kenntnis der Politik des A. verfasst zu sein, also wohl (lange?) nach Andronikos, aber im übrigen eine kindliche Fälschung, in Stil-, Dispositions- und Gedankenlosigkeit des A. unwürdig und nur zu getreu übersetzt, vgl. Zeller Arch. f. Gesch. d. Philos. VI. B. Keil Die solon. Verfassung, Berl. 1892, 128ff.

Die systematischen Lehrschriften sind zum guten Teile erhalten (auch Werke jüngerer Epochen dabei). Sie sind stilistisch sehr verschiedenartig: Topik, Rhetorik und einzelne Bücher der Metaphysik z. Β. sehr flüssig geschrieben, wie Vorträge für ein grösseres Publicum; die naturwissenschaftlichen Schriften meist ganz sachlich, nüchtern und kurz; andere aus verschiedenartigen Bestandteilen zusammengesetzt, wie die wohl durchweg aristotelische Nik. Ethik und die mit einigen grösseren Interpolationen durchsetzte Poetik. Diese Unterschiede auch der echten Stücke werden, soweit sie nicht durch den Stoff bedingt sind, nicht nur auf verschiedene Anlässe und Zwecke zurückgehen, sondern vielleicht auch bisweilen auf verschiedene Abfassungszeit.

Die Grundlage der meisten Lehrschriften und oft auch der Dialoge bildeten umfangreiche Materialsammlungen (συναγωγαί), deren philosophischer Gehalt in den Vorlesungen niedergelegt wurde, während die populären Dialoge wohl mehr dazu bestimmt waren, den Standpunkt des A. zu rechtfertigen [1037] gegenüber notorisch abweichenden Anschauungen von Zeitgenossen oder auch in bewusstem Kampfe gegen einzelne Äusserungen. Bisweilen scheint das Material jener Collectaneen sehr umfangreich in die akroamatischen Schriften herübergenommen zu sein, wie z.B. die ἀνατομαί in die zoologischen Werke. In anderen Fällen blieb der Charakter der Sammlungen ganz verschieden von den nach anderem Gesichtspunkte angelegten philosophischen Schriften, vor allem die Geschichte der Rhetorik und des attischen Dramas mit der dazu gehörigen Untersuchung über die Archontenliste, und ferner die grosse Sammlung der halb historisch, halb systematisch behandelten Verfassungen von 158 Staaten In diesen Fällen behielten die Sammlungen einen selbständigen Wert und verdienten nicht selten eine schriftstellerische Feile und buchhändlerische Herausgabe. So ist die Verfassung Athens noch in A.s letzten Lebensjahren zu einem Buche ausgearbeitet worden, das in stilistischer Abrundung mit den Dialogen auf eine Stufe erhoben scheint und wohl mit aus diesem Grunde vielfach gelesen und abgeschrieben wurde, aber freilich auch nur durch einen Zufall uns erhalten ist. Dagegen mussten die Collectaneen, die auch in der Form ihren hypomnematischen Ursprung nicht verleugneten, dem Vergessenwerden viel leichter anheim fallen; wie lange sie im Umlauf blieben, ist nur in seltenen Fällen annähernd festzustellen. Herausgegeben muss A. zwar die für das grössere Publikum bestimmten Dialoge haben und wenigstens die sorgfältig ausgefeilten συναγωγαί, dagegen ist das für die übrigen Lehrschriften teils nicht nachzuweisen, teils direct zu widerlegen. Selbst die Poetik war nur für den engen Kreis der Schule bestimmt und enthält daher einen Verweis (auf den Dialog περὶ ποιητῶν?) ἐν τοῖς έκδεδομένοις λόγοις. Die grösseren systematischen Werke verraten durch ihre Zusammensetzung oft eine späte Entstehung, da zusammengehörige Abhandlungen bisweilen in verschiedenen Werken untergebracht, nicht zusammengehörende zusammengeschweisst sind, da sie Dubletten, Fremdartiges und sogar Unechtes enthalten und Teile von ihnen mehrfach noch den Pinakographen als Einzelbücher oder als Schriften kleineren Umfangs bekannt waren. Durch einzelne Notizen wissen wir, dass Schüler des Α., wie Eudemos, sich um die Feststellung des authentischen Textes (z. B. Phys. V 2 mit Simpl.) und die Herausgabe bemüht haben, aber auch Eudemos hat z. Β. von unseren acht Büchern der Physik nur sieben gekannt, und diese wahrscheinlich als Bestandteile von zwei kleineren Werken, nicht zusammengefasst zu der φυσικὴ ἀκρόασις. Auch den Bestand unserer Metaphysik auf Eudemos zurückzuführen, wird man sich schwer entschliessen. Litteratur: am Eindringendsten V. Rοse De A. librorum ordine et auctoritate, Diss. Berlin 1854. Spengel u. a. über einzelne Werke; eine ungefähre Orientierung mit kühnen Neuerungen, aber ohne Litteratur bei Shute On the history of the process by which the A. writings arrived at their present form, Oxford 1888.

Genauer würde man vielleicht die Herausgabe der grossen Complexe feststellen können, wenn man die Zahlzeichen des Ariston, Hermippos, Andronikos u. s. w. ermittelte. Nämlich mit Ausnahme [1038] der jungen Probleme kennen die Hss. das ς nicht, so wenig wie, nach Alexander περὶ ψυχῆς zu urteilen (vgl. Ζeller IV³ 626, 3), Xenarchos und Boethos, während in den freilich schablonenmässig ausgeglichenen Pinakes das dekadische System mit ς durchgeführt ist und auch Andronikos dies in seiner Sammlung der κ = 20 Bücher Briefe angewendet zu haben scheint. Jedoch lässt sich hierbei nicht einmal eine zeitliche Priorität der unbeholfeneren attischen Zählweise durchführen.

Directe Hinweise auf die Abfassungszeit der Schriften sind selten und zum Teil sich widersprechend, wie wenn Meteor. III 1 der Brand des ephesischen Tempels (356) mit καὶ νῦν ἐθεωροῦμεν, I 7 aber der Archon Nikomachos (341) erwähnt wird, und III 2 A. sich selbst über 50 Jahre alt nennt (nach 334), oder gar Pol. V 10 der Zug Dions (357) als Zeitereignis, ebendort aber auch die Ermordung Philipps (336) vorkommt. Die Rhetorik bezieht sich II 23 auf Vorgänge aus den Jahren 338–36 und III 17 auf Isokrates Philippos (345), und ein Selbstcitat I 8 setzt die Politik als geschrieben voraus; gleichwohl lebt und spielt III 1 noch der Schauspieler Theodoros, der Pol. VIII 17 längst der Vergangenheit angehört. Diese Widersprüche zeigen, dass manche Notizen der älteren Entwürfe stehen geblieben sind, weil Änderungen hierbei zu unwesentlich schienen, anderes später hinzugekommen ist: dass also, wo solche historischen Fingerzeige vorhanden sind, doppelte Spuren auf den ersten und den letzten Aufenthalt in Athen hinweisen. Auch örtliche Beziehungen auf Athen und das Lykeion finden sich öfter, aber keine auf Mysien, Lesbos oder Makedonien. Indessen helfen uns diese Angaben nicht, die Masse der Schriften zu datieren. Weiter scheinen uns die Selbstcitate zu führen, Vor- und Rückverweisungen; danach ordnet man die Schriften ungefähr so: logische, Physik und Metaphysik, die übrigen naturwissenschaftlichen und psychologischen Werke, Ethik und Politik, Poetik und Rhetorik. Allein sobald man diesen Verweisungen genauer folgt, stimmt die Rechnung nicht, da sie einander nicht selten widersprechen (Zeller III³ 127. 151). Diese Widersprüche lassen sich nicht durch Conjecturen beseitigen, sondern fordern die Erklärung, dass die Citate allmählich angebracht sind, einige gewiss auch noch nach A.s Tode. Oft waren sie gar keine Widersprüche, wo nämlich unsere grösseren Complexe aus Einzelabhandlungen zusammengesetzt sind, wie die Metaphysik; andere Citate lehren klar, dass A. nicht einmal völlig sein System ausgearbeitet und die Vorträge als abgerundete Lehrschriften beiseite gelegt hat, sondern durch seine Lehrthätigkeit wieder und wieder auf dieselben Erörterungen geführt wurde, so lange er sie nicht einem Genossen überlassen hatte, und in einzelnen Fällen selbst dann. Die Topik hat er vorgetragen vor der Ausgestaltung der Analytiken und diese vor der der Topik. Das grosse Werk der Politeiai wurde in seinen letzten Jahren ausgearbeitet, wenigstens die Verfassung Athens nach 329/8; dass Poetik und Rhetorik nachher verfasst wären, ist ganz unmöglich, sie könnten höchstens damals noch ausgefeilt sein; damit wird aber auch die Conception der Politik auf eine ältere Zeit verschoben, da sie VIII 7 die Poetik ankündigt und in der [1039] Rhetorik I 8 citiert wird, falls man diese Citate nicht für Zusätze letzter Hand und darum für ziemlich wertlos erklären will. Wahrscheinlich war die Politik längst fertig, bevor die Sammlung der Staatsverfassungen ausgearbeitet wurde. Sicher ergiebt sich, dass A. nicht systematisch sein System ausgearbeitet hat von der propaedeutischen Logik und Erkenntnistheorie beginnend, sondern dass diese innerliche Entwickelungsreihe die des Andronikos und vielleicht auch die der Vorträge des A. war, aber nichts schliessen lässt über die Abfassung der Schriften, nicht einmal in ihrer letzten Fassung, geschweige für die Entwickelung des A. So ist die Rhetorik nach den Citaten das letzte Werk und muss nach II 23 frühestens 335 geschrieben sein, d. h. nach A.s Schulgründung, auch wegen der Belege; aber sie ist nur eine Umarbeitung der älteren Θεοδέκτεια und ist in den Grundzügen ohne Zweifel in dem ersten athenischen Aufenthalte entstanden. Die Poetik, die in wenigen Kapiteln eine Anwendung der rhetorischen Lehren auf die gebundene Sprache zu enthalten scheint, ist in ihrem Kerne durch und durch platonisch und darum mit dem edierten Dialoge περὶ ποιητῶν zusammenzurücken; auch zeigen grosse Stücke einen völlig einheitlichen Guss in der Form, sachlich das Ringen mit methodischen und terminologischen Schwierigkeiten; hier ist also eine völlige Umarbeitung späterer Zeit ausgeschlossen, nur Zusätze und Abstriche werden in den bemerkbaren Fugen vorgenommen sein. Ob Ethik und Politik vor oder nach den naturwissenschaftlichen Abhandlungen anzusetzen sind, bleibt um so mehr unentschieden, als die Politik sichtbar unfertig überliefert ist und die Ethik als besserungsbedürftig von den Schülern betrachtet wurde. Die Zoologie kennt allerdings Elefanten; dass das aber ein Gewinn der Alexanderzüge gewesen sein müsse, ist nicht zu beweisen; war er’s, so kann das Werk trotzdem längst vorhanden gewesen sein.

Eine genauere Chronologie der Schriften lässt sich somit nicht aufstellen, nur in einzelnen Fällen ergeben sich relative Daten oder auch absolute Termini.

Es wird praktisch sein, die συναγωγαί mit den verwandten akroamatischen Schriften zusammen zu behandeln und ihnen die wenigen Überreste der nichtwissenschaftlichen Schriftstellerei anzureihen. Der Aufzählung und Besprechung der einzelnen Schriften wird man am besten eine systematische Anordnung zu Grunde legen, die sich ungefähr mit der des Andronikos und der Ausgaben deckt und der der Hss. nicht widerspricht. Zu den erhaltenen und den durch Inhaltsangaben oder Bruchstücke bekannten Schriften kommen eine grosse Anzahl blosser Titel von meist apokryphen Werken; über deren Verfasser zu streiten würde zwecklos sein, da auch bei den unvollständig bekannten Schriften Vermutungen und Zweifel einen weiten Spielraum haben und sogar bei den vollständigsten und echtesten des A. eine Mitwirkung der Schule nirgends ausgeschlossen ist.

Logik/Organon

Die logischen Schriften oder das Organon d. h. die Hülfswissenschaft, kein Teil der Philosophie: dieser Titel ist erst seit dem 6. Jhdt. nachweisbar und scheint von den einzelnen (συγγράμματα) ὀργανικά, wenn nicht von den 2. Analytika (vgl. Mielach De nomine Organi Aristotelici, [1040] Aug. Vind. 1838), auf das Corpus übertragen zu sein, vgl. Waitz Org. II 293f. Zeller III³ 187. Diese Werke gelten als die ältesten erlhaltenen des A. Vgl. Brandis Über d. Reihenfolge d. Bücher d. arist. Org., Abh. Akad. Berl. 1833 und Philos. II b 406ff. Unecht sind wahrscheinlich die beiden ersten, die sich gegenseitig ergänzen (Rose De ordine 232) und mit grammatischen Untersuchungen einsetzen: 1. Die κατηγορίαι (daneben viele andere Titel) behandeln die Lehre von den zehn obersten Gattungsbegriffen in schülerhafter Weise. Nach Ζeller III³ 69 Anm. sind sie eine von anderen überarbeitete Jugendschrift, dagegen unecht nach Spengel Münch. Gel. Anz. 1845, 41ff. Prantl Gesch. d. Logik I 204ff., der sie nach Chrysippos setzt. Rose De Α. libr. ord. 232ff. und Gercke Archiv f. Gesch. d. Phil. IV 437. Sicher unecht ist der Anhang der sog. Postpraedicamenta (10–15), schon von Andronikos verworfen. Adrastos kannte eine zweite Recension, die verloren ist, aber denselben Anspruch auf Echtheit erhob. Sehr eingehende Bedenken eines antiken Kritikers gegen die Autorität des ganzen Schriftchens sind Schol. 33 a 28ff. berücksichtigt (Rose De ordine 232); dass diese auf Andronikos zurückgingen, ist nicht gesagt: aber Thatsache ist, dass er die zwei Kategorien des Xenokrates (frg. 12 H.) für genügend erklärte (Simpl. Cat. γ 6 υ = Schol. 47 b 25). – 2. Περὶ ἑρμηνείας enthält elementare, schulmässige Erörterungen, dem Titel nach über den Ausdruck der Rede, aber in der Hauptsache über Satz und Urteil, gelegentlich im Gegensatze zu Theophrast (Zeller III³ 70 Anm.). Das letzte Kapitel (14) ist von Porphyrios übergangen, von Proklos und Ammonios verworfen. Die Echtheit der ganzen Schrift haben bestritten Andronikos, Gumposch über die Log. u. d. log. Schr. d. Α., Leipzig 1839, 89ff. und Rose De ord. 232 (Zeit Theophrasts). Brandis Abh. Akad. Berl. 1833, 263ff. erklärt sie für einen unvollendeten Entwurf des Α., Grant Arist. 57 und Zeller für die Nachschrift eines Schülers nach einem Vortrage des A. für Anfänger. Der Verfasser citiert 16 a 8 ein ediertes Werk über die Seele, das mit dem des A. nichts zu thun hat, und schiebt 17 a 5 der Poetik Untersuchungen zu, die im Widerspruche zu dem Grundsatze des A. Poet. 1456 b 13–19 stehen, während seine Darlegung der des Interpolators von Poet. cap. 20 und 21 Schl. auffallend verwandt ist. Meines Erachtens war der Verfasser ein Eklektiker, der sich auf die (erste?) Analytik und Topik (des Α.?) zwar berief (19 b 31. 20 b 26), aber daneben, besonders (cap. 9) in der Lehre vom conträren und contradictorischen Gegensatze (daher cap. 14 dem A. widersprechend!) sowie ihrer Anwendung auf die Schicksalslehre (ἀργὸς λόγος) ganz unter dem Einflusse des durch Diodoros Kronos hervorgerufenen Kampfes der Epikureer und Stoiker (namentlich Chrysipps) betreffs der Willensfreiheit stand; die beste Parallele ist Ciceros Schrift de fato; vgl. Textor De hermeniae Aristoteliae cap. Ι–XI, Diss. Berl. 1870. Michelis Α. περὶ ἑρμμηνείας, Heidelb. 1886. Echt sind die Analytiken und die Topik: 3. Die ἀναλυτικὰ πρότερα (so gewöhnlich von Α., daneben auch als Schrift περὶ συλλογισμοῦ citiert in d. 2. Anal.) in zwei (nach den Verzeichnissen [1041] auch neun) Büchern, behandeln die Schlüsse in sorgfältiger Ausführung; Theophrast und Eudemos lieferten neue Bearbeitungen. – 4. Die ἀναλυτικὰ ὖστερα ebenfalls in zwei Büchern, später auch Apodeiktik betitelt, enthalten die Methodik des Beweisens und Definierens. Sie machen einen unfertigen Eindruck; eine Neubearbeitung scheint Theophrast geliefert zu haben. Beide Analytiken sind oft von A. selbst citiert; Adrast berichtet von 40 Büchern (μ, etwa 12?), erkannte aber nur vier als echt an; Zeller III³ 71 Anm. – 5. Die populären acht Bücher τοπικά behandeln die dialektischen Schlüsse, eine Methodik für die Rhetorik, nach allgemeinen (Gesichtspunkten (τόποι, loci communes). Nach Brandis Abh. Akad. Berl. 1833, 255 sind die Bücher 1, 2, 4–6 vor den Analytiken ausgearbeitet. Dass das von A. oft citierte Werk lückenhaft auf uns gekommen sei, hat Spengel Abh. Akad. Münch. VI 497f. nicht bewiesen. – 6. Als Nachtrag, zugleich mit dem Epiloge des ganzen Werkes, lieferte A. später die Schrift περὶ σοφιστικῶν ἐλέγχων, von Waitz mit Recht als neuntes Buch eingeführt: hierin ist im Anschlusse an Platons Euthydemos die Theorie der Trugschlüsse und ihrer Widerlegung erörtert.

Kritische Ausgabe: Organon Aristotelis ed. Waitz, Leipzig 1844, 2 Bde. Dazu Sophist. Elenchi ed. Poste, London 1866. Die ältesten Hss. sind Β = Marc. 201 (955 geschr.), d = Laur. 72, 5 saec. X/XI, C = Coisl. 330 saec. XI (?); ferner n = Ambros. L 93 saec. X/XI und endlich A = Urb. 35 saec. X/XI(?); vgl. Brandis D. aristotelischen Hss. der vatik. Bibl., Abh. Berl. Akad. 1831. Dazu kommen die lateinische Bearbeitung des Boethius, von der erhalten sind ein Commentar zu den Kategorien und zwei zu de interpretatione, sowie die Übertragungen von beiden Analytiken, Topik und Sophistiken (die angeblichen Excerpte des Organons von Gregor von Nazianz [Prantl Gesch. d. Log. I 657, 169] scheinen auf einem Versehen zu beruhen). Ausserdem sind für die Textkritik und Erklärung unentbehrlich die meisten erhaltenen Commentare, Paraphrasen und Übersetzungen; zu den Kategorien: arabische Übersetzung der Kategorien (Categ. ed. Zenker, Lips. 1846); armenische Übersetzung (Anecdota Oxoniensia class. ser. I 6 by Conybeare, Oxford 1892); griechische Paraphrasen (Berl. Comm. XXIII 2); Commentar von Porphyrios (ebd. IV 1), Dexippos (IV 2), Simplikios, Photios und David; die Schrift de decem categoriis Ps.-Augustins (nach Themistios? Prantl Gesch. d. Logik I 640); endlich die Einleitungen des Porphyrios in quinque voces (Comm. IV 1), Olympiodors in Categ. u. a. m. Zu περὶ ἑρμηνείας: syrische (Joh. Hoffmann De hermen. apud Syros², Leipz. 1873) und armenische Übersetzung (ed. Conybeare); Commentar von Stephanos (Berl. Comm. XVIII 3), Ammonios und wertlose jüngere Arbeiten (Prantl a. a. O. 643f.). Zu den Analytika Priora: Commentar von Alexandros Aphrod. (Comm. II 1), Joh. Philoponos, Anonymos, Ps.Themistios (= Sophonias? Comm. XXIII 3) u. a. Zu den Analytika Post.: Commentar von Themistios, Joh. Philoponos u. a. Zur Topik: Commentar Alexanders (Comm. II 2). Zu den Sophistiken: Commentar Alexanders (vulgo Michael Ephes.) und eine späte Paraphrase (Comm. XXIII 4).

Zum Organon zu rechnen sind ausserdem folgende [1042] verlorene Schriften: περὶ εἰδῶν καὶ γενῶν, περὶ τῶν ἀντικειμένων und (?) ἐναντίων, περὶ τοῦ πρός τι, (βιβλίον) γραμματικόν, περὶ καταφάσεως 〈καὶ ἀποφάσεως?〉, περὶ τῶν ἀντικειμένων (= ἐναντίων? frg. 118–124), συλλογισμοί, συλλογιστικὸν καὶ ὅροι, ὅροι πρὸ τῶν τοπικῶν, περὶ ἐρωτήσεως καὶ ἀποκρίσεως, ἐπιχειρήματα (λογικά), προτάσεις (ἐριστικαί) u. a. m. Diese Titel decken sich oft mit Büchertiteln von Zeitgenossen und Schülern des Α., nicht selten scheint der Inhalt auch Stücken der erhaltenen Werke entsprochen zu haben; ihre Echtheit ist unerweislich, da A. selbst sie nicht anführt, mit Ausnahme der ἐκλογὴ (διαίρεσις) τῶν ἐναντίων Met. IV 2. Χ 3 (Zeller III³ 79 Anm.). Damit scheinen die (platonischen) διαιρέσεις und ὁρισμοὶ Ἀριστοτέλους in Verbindung zu stehen, die Alexander von Aphrodisias verwarf; zwei auf uns gekommene Fassungen (Excerpte) bei Diog. Laert. III 80–109 und Rose Arist. Pseudep. 679–695 sind (wie auch Πλάτωνος ὅροί, vgl. Aristot. 148 a 16) späte Bearbeitungen einer alten Schrift, die von Aristot. 330 b 15 und 642 b 10 (γεγραμμέναι διαιρέσεις, nicht ἄγραφα δόγματα!) citiert wird, nur nicht als eigene Arbeit (vgl. d. plat. Brief XIII 360 B). Höchstens eine ἀγαθῶν διαίρεσις (frg. 113) scheint Alexander anzuerkennen, die sich nach Brandis (de perd. A. libris 12) mit A.s Zusammenfassung der platonischen Vorträge περὶ τἀγαθοῦ deckte.

Metaphysik

Die Metaphysik in 14 Büchern wird von A. gewöhnlich πρώτη φιλοσοφία genannt. Erst die Ordner stellten sie hinter die Naturlehre, weil ihnen, wie dem Verfasser der Schrift κατηγορίαι, die Einzelerscheinungen (πρότερον πρὸς ἡμᾶς) erst den Weg zum Wesen der Dinge (πρότερον τῇ φύσει) bahnten, oder aus paedagogischen Rücksichten (beide Gründe bei Boethos). Sie bezeichneten die Bücher I und III–XIV mit den Zahlzeichen Α–Ν; nur das zweite Buch, das drei mehr naturphilosophische Fragen behandelt, von Pasikles von Rhodos, einem Neffen Eudems, verfasst, wird in der Überlieferung mit Α ἔλαττον bezeichnet, scheint also erst spät eingefügt zu sein oder in einigen Recensionen (Boethos?) an Stelle von Α μεῖζον gestanden zu haben (Syrian und Albertus M.: dies von Theophrast, nach Albertus bei den Arabern fehlend). Flickwerk ist Κ: die zweite Hälfte sicher späte Compilation aus der Physik; cap. 1–7 eine Skizze der Bücher Β Γ Ε, entweder Dublette oder wahrscheinlicher Auszug für Schulzwecke (hierüber zuletzt Natorp Arch. f. Gesch. d. Philos. I 178ff.): angefertigt wohl, bevor Δ eingeordnet war. Früh abgefasst war Δ, ein logisches Compendium περὶ τοῦ ποσαχῶς (τῶν πως λεγομένων), von A. citiert, von Strabon benutzt, auch separat ediert. Eine mehr physikalische Schrift ist Λ, das über (die veränderlichen Substanzen und) die Gottheit als Ursache der Bewegung ziemlich knapp handelt; die Schrift ist alt, weil die unmittelbaren Schüler des A. sie kennen, aber rührt vielleicht von einem dieser her. Μ giebt wie Α, in grösseren Stücken ihm wörtlich gleich, eine kritische Übersicht über Ideen und Idealzahlen im Widerspruche zu Platon; an Μ schloss sich ursprünglich Β an, später ist die alte Einleitung des Werkes durch Α ersetzt worden, wobei manche Stücke im Wortlaute bestehen blieben. Ν enthält eine Fortsetzung der Kritik der platonischen Ideenlehre und steht nur noch mit Μ in Verbindung; es ist wohl ein noch [1043] älterer Entwurf, der frühzeitig vom Plane des Ganzen ausgeschlossen wurde. Die Hand der Redactoren ist auch an den übrig bleibenden Büchern (z. Β. Ε 2 Anf.) mehrfach zu spüren. Die Bücher ΑΒΓ enthalten die Einleitung (histor. krit. Übersicht, Aporien u. s. w.), ΕΖΗΘ den Kern (περὶ οὐσίας etc.), woran sich Ι (περὶ ἑνός) wieder selbständig anschliesst. Dies entspricht ungefähr den Untersuchungen von Bonitz, Brandis Abh. Akad. Berl. 1834, 63ff. und Zeller III 79ff., während v. Christ ΜΝ vor Λ (oder Ι) stellen will und Natorp (Philos. Monatshefte XXIV 574) ΑΒΓ ΖΗΘ1–9 ΜΝΑ + Ι ordnet, ohne doch durch Ausschluss von Ε und der θεολογία und durch sonstige Gewaltmittel einen streng durchgeführten Plan nachweisen zu können. Ausgaben: Brandis, Berl. 1823. Schwegler mit Übers. und Erläuterung, 4 Bde., Tübing. 1847/48. Grundlegend Bonitz 2 Bde., Bonn 1848/49. Handausg. Christ, Leipz. 1886. Übersetzung von Bonitz ed. E. Wellmann, Berl. 1890. Hss. Α Flor. 87,12 saec. ΧII/ΧΙΙΙ. Ε Par. 1853 saec. X/XI, von Bonitz gering geschätzt, dagegen vgl. Christ Studia in A. libros metaphysicos collata, Diss. Berl. 1853; S.-Ber. Akad. München 1885, 406, aber auch z. B. Apelt Beiträge zur Gesch. d. Gr. Philos., Leipz. 1891, 219. V = Vindobonensis phil. 100, gemellus von E, Gercke Wien. Stud. XIV 146. Dazu Commentar Alexanders, von Ε an unecht (Berl. Comm. I), Syrians (Berl. Ausg. V 835–944), des Asklepios zu Α–Ζ (Comm. VI 2); Paraphrase des Themistios, lateinisch aus dem Hebraeischen. Die umfangreiche Litteratur bei Zeller, dazu z. Β. Bullinger A.s Metaph. klargelegt bis in alle Einzelheiten, München 1892.

Zur eigentlichen ‚Philosophie‘ gehörten ausser dem Dialoge περὶ φιλοσοφίας die zwei (?) Bücher περὶ ἰδεῶν (frg. 185 189), die gegen Platon gerichtet waren (wie Met. ΜΝ), und die drei (?) Bücher περὶ τἀγαθοῦ (frg. 27–31), die nach Vorträgen Platons aufgezeichnet waren, also ἄγραφα δόγματα Platons enthielten. Rose hat die Schrift über das Gute fälschlich (Heitz 217f.) unter die Dialoge gerechnet; vgl. dazu Brandis De perd. A. libris de ideis et de bono, Bonn 1823. Zeller III 64f. u. a. Der μαγικός (frg. 32–36) war ein Dialog (?) des Antisthenes (von Rhodos?). Die Theologumena (darin θεογονία und τελεταί, Arist. Pseud. 615ff.) werden von Rose dem Aristokles von Rhodos beigelegt. Eine neuplatonische Theologie des A. ist arabisch erhalten, die secreta secretorum (R. Förster De A. q. f. secretis secretorum, Akad. Programm, Kiel 1888), u. a.

Unecht ist die Schrift gegen die Eleaten (überlieferte Titel im Pinax des Diog. Laert. πρὸς τὰ Μελίσσου (95) .. πρὸς τὰ Γοργίου, πρὸς τὰ Ξενοφάνους, πρὸς τὰ Ζήνωνος (98–100), in den Hss. περὶ Ξενοφάνους, περὶ Ζήνωνος [oder περὶ Ζήνωνος, περὶ Ξενοφάνους], περὶ Γοργίου), von der der Pinax vier, die Hss. drei Teile haben. Von Bessarion und danach einem Leser der Hs. R, Brandis, Kern, Bergk, Apelt u. a. wird sie grundlos dem Theophrast, von Usener Straton, von Diels dem 3. Jhdt. zugeschrieben, von Ueberweg später gesetzt. Ich halte sie für eine unvollständige skeptische Streitschrift, vielleicht der jüngeren Akademie; selbst die Namen der in den einzelnen [1044] Teilen besprochenen und bekämpften Philosophen werden im Texte nicht genannt und sind unsicher. Hss. L Lipsiensis, vgl. Beck Progr. Leipz. 1793, und R (Vatic. 1302 saec. XIV/XV), dazu die aus einem gemellus von R geflossenen Bern. 402, Pal. Vat. 162 (beide 15. Jhdt.) u. a. Übersetzt von Felicianus (Berl. Ed. III) mit guten Emendationen. Kritische Ausgabe von Apelt, Leipz. 1888. Grosse Litteratur, vgl. Zeller I⁵ 500, zur Textkritik besonders Bonitz S.-Ber. Akad. Wien XXXIX 243. Apelt Jahrb. f. Philol. 1886, 729; Rh. Mus. XLIII 208; Praef. der Ausg. Verloren sind Schriften über die Pythagoreer, ferner über Timaios und Archytas, Alkmaion und Demokritos.

Themata der Metaphysik behandelten auch die Schriften περὶ μονάδος und περὶ τῆς ἐν τοῖς μαθήμασιν οὐσίας. In eine niedere Sphäre, die Mathematik, gehört die unechte Abhandlung, περὶ ἀτόμων γραμμῶν, die enthält 1) Formulierung der Ansichten von den unteilbaren Linien an sich mit Beweisen, 2) Widerlegung, 3) Nachweis, dass die Linie auch (vgl. de caelo III 1, 299 a 8) nicht aus Punkten bestehe (R. Ηeinze Xenokrates 61, 1). Im Altertume war die Autorschaft zwischen Theoprast und A. strittig; ersterem schreibt sie zu Usener Anal. Theophr. 23, demselben Zeitalter Ζeller II⁴ 1017, 2. III 90, 1. 812, 4. 944, 6. 936; an Straton denken auch Apelt Beiträge 269f. und Heinze a. a. O. Als bekämpfter Gegner gilt Xenokrates, dessen Name aus zarter Rücksicht verschwiegen sein soll; im dritten Teile nach Ηeinze Pythagoreer. Meines Erachtens ist die minderwertige Schrift einige Jahrhunderte später von einem zünftigen Mathematiker verfasst, der weder die bekämpften Werke noch die transcendentalen Einwände des A. (vgl. Rose De ord. 193) selbst gelesen hat. Ausgabe von Apelt A. quae feruntur de plantis etc., Leipz. 1888. Bekkers Recensio stützt sich auf junge Hss., von denen Ν (Vatic. Gr. 258) allein steht; Apelts Angaben über QU und Η sind ungenau (Susemihl Berl. phil. Wochenschr. 1890, 1362). Für Emendation und Erklärung: Hayduck Jahrb. f. Phil. CIX 161ff. Apelt Proleg. der Ausg. und Beiträge z. Gesch. d. griech. Philos., 1891 (darin auch Übersetzung). Heinze Xenokrates, Leipz. 1892.

Mechanik

Die Μηχανικά gehen von allgemeinen Gesichtspunkten aus, die denen der ältesten Generationen im Peripatos entsprechen, jedoch zielen die Probleme und Lösungen im einzelnen auf praktische Nutzanwendung hin, was (Rose De ord. 192) ganz unaristotelisch ist; sie können vielleicht der Richtung Stratons (vgl. z. Β. dessen περὶ τῶν μεταλλικῶν μηχανημάτων) angehören; ihre Stellung ist nicht genauer untersucht. Grundlegende kritische und erklärende Ausgabe: van Capelle Amsterdam 1812 (danach Apelt A. quae feruntur de plantis etc., Leipz. 1888); Bekkers Text ist schlechter. Die Hss., sämtlich jung, stammen von einer Vorlage, in der die reichlichen Scholien mit dem Texte, oft kaum entwirrbar, zusammengeflossen waren; so ist der Zustand des Paris. 2115 (A). während Vatic. Gr. 1339 (Ρ) und der mit Ρ verwandte Urbinas 44 (W) die Scholien ausgesondert haben, wie auch der noch nicht benutzte Bernensis 402 (1. Hand mit P, 2. mit A gehend), wo Randbemerkungen über die Scheidung [1045] von Text und Scholien handeln. Übersetzung lateinisch von Leonicenus Berl. Ausg. III 409ff.) mit guten Emendationen, deutsch mit Anm. Poselger Abh. Akad. Berl. 1829 math. Kl. und Rühlmann, Hannover 1881. Vgl. Ruelle Rev. arch. XIV 7ff. Hayduck Emend. A., Progr. Meldorf 1877. Zur angewandten Mathematik kann man auch die optischen Probleme (Ὀπτικά) rechnen, die Heron als aristotelisch (frg. 380) citiert, vgl. Probl. 16, 1; darin scheint auch die Spiegelung behandelt zu sein: Rose De ord. 193f.; Arist. Pseud. 373ff. Sie hingen wohl mit Theophrasts vier Büchern (περὶ ὄψεως zusammen, falls nicht etwa Heron eben dieses Werk im Auge hatte.

Naturphilosophie

Die Naturphilosophie ist in den acht Büchern der φυσικὴ ἀκρόασις (τὰ φυσικά, περὶ φύσεως) erörtert, wovon Buch VII auszuscheiden ist als wertlose, wohl unechte (Rose De ord. 199) Dublette, die Eudemos nicht gekannt oder nicht berücksichtigt hat (Diels Abh. Akad. Berl. 1882, 40); dafür ist aber die Parallele zu Phys. III 1. 2. 4. V 1–3 hinzuzufügen: Met. XI 8–12. Andronikos soll VI–VIII als τὰ περὶ κινήσεως angeführt haben, und entsprechend Adrastos I–V als περὶ ἀρχῶν (φυσικῶν), obwohl richtiger V, VI [VII], VIII als die Bücher περὶ κινήσεως des Porphyrios und die drei des Damasos (in der Hs. Ε 〈v = α?〉, VI = β, [VII = α!], VIII = γ) anzusehen sind oder mit A. selbst (?) die ersten drei als οἱ περὶ τὰς ἀρχάς. Nach Tannery Archiv f. Gesch. d. Philos. VII 227 waren ursprünglich nur die Bücher I–IV und VIII verbunden, dagegen V. VI eine noch ältere Untersuchung περὶ κινήσεως; Α. selbst soll aber bereits die Redaction der sieben Bücher hergestellt haben. Vollendung nach der Analytik (Spengel Über die Reihenfolge der naturw. Schr. des Α., Abh. Akad. Münch. III 1849) und nach der Schulgründung (Philipps Tod II 23). Aus Eudemos späte Zusätze (Diels Zur Textgeschichte der A. Physik, Abh. Akad. Berl. 1882) und in Buch VII aus einer alten Paraphrase (Spengel a. a. O. 313ff.). Hss. Ε und (hier mässig) V. Paraphrase des Themistios, Erklärungen von Simplikios (Comm. IX. X) und Joh. Philoponos (Comm. XVI. XVII). Eine kritische Ausgabe fehlt, erklärend Prantl, Leipz. 1854. Barthélemy St. Hilaire, Paris 1862.

Die Fortsetzung bilden die ersten zwei der vier Bücher περὶ οὐρανοῦ (τὰ περὶ τὸν ἄνω τόπον θεωρήματα), während III und IV inhaltlich zur folgenden Schrift gehören. Der Titel war (für alle vier Bücher?) kaum in Theophrasts, sicher in Ciceros Zeit vorhanden. Beste Hss. Ε und V. Paraphrase des Themistios (lat. aus d. Hebr.); Commentar (VII) des Simplikios. Eine kritische Ausgabe fehlt, erklärende Ausgabe von Prantl (mit dem folgenden Werke), Leipz. 1857 u. a.

Die zwei Bücher περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς, auch περὶ στοιχείων, περὶ τοῦ ποιεῖν καὶ πάσχειν (infolge von Umsetzung der beiden logischen Kategorien in physikalische Vorgänge) und περὶ μείξεως genannt, werden mit den Büchern über den Himmel in einer kurzen Inhaltsangabe am Anfange der Meteorologie vorausgesetzt. Beste Hss. E und V; Commentar des Joh. Philoponos. Eine kritische Ausgabe fehlt.

Das zuletzt geschriebene physikalische Werk [1046] sind die μετεωρολογικά in vier, ursprünglich drei Büchern, denen Poseidonios u. a. (z. Β. Seneca) viele Einzelheiten entlehnt haben. Buch IV ist eine Sonderschrift, die schon früh (von A. selbst?) aufgenommen und öfter berücksichtigt ist; sie enthält reife Untersuchungen über die Elemente, nach Alexander im Anschlusse an de gen. et corr. Beste Hss. Ε und V; Commentare von Alexander, Joh. Philoponos und Olympiodor. Vorzügliche Ausgabe von Ideler 2 Bde., Leipz. 1834/36.

Unecht ist die schön geschriebene Abhandlung περὶ κόσμου, an einen ἡγεμὼν Ἀλέξανδρος gerichtet, wahrscheinlich Tib. Iulius Alexander, der seit 67 n. Chr. Praefectus Aegypti war; die Lehre ist die stoische des Poseidonios. Apuleius (s. o. S. 252), der eine lateinische Bearbeitung lieferte, glaubte sie bereits im Kreise des A. und Theophrast verfasst. Viele junge Hss., dazu Apuleius, syrische (vgl. Ryssel Der textkrit. Wert der syr. Übers. d. gr. Klass., 1880/1) und armenische Übersetzung (Anecd. Oxon. class. ser. I 6, Oxf. 1892 ed. Conybeare). Erklärende Ausgabe von Kapp, Altenburg 1792. Umfangreiche Litteratur bei Zeller IV³ 631–647; dazu Bergk Rh. Mus. XXXVII 50 und besonders J. Bernays Ges. Abh. II 278 mit Useners Zusatz; vgl. Poseidonios.

Ebenfalls unecht ist die in später lateinischer Übersetzung erhaltene Abhandlung περὶ τῆς τοῦ Νείλου ἀναβάσεως (frg. 246–248), die nicht von Theophrast oder einem Zeitgenossen (Rose A. Pseudep. 239), sondern nach Eratosthenes verfasst war, der die peripatetische Lösung des Problems durch den Bericht von Augenzeugen (wohl infolge der aithiopischen Expedition eines Königs [Ptolemaios Philadelphos?], vgl. Seneca bei Diels Sen. und Lucan, Abh. Akad. Berl. 1886, 19f.) erhärten konnte (Prokl. in Tim. 37; bei Phot. cod. 249 ist die Pointe auf A. übertragen), ohne die falschen Lösungen zu berücksichtigen (Strab. XVII 790), wie Poseidonios wieder that; man kann daher an Aristons (s. d. Nr. 55) Zeit denken. – Eine Windrose (frg. 250) ist ein dürftiger Auszug ἐκ τῶν Ἀριστοτέλους περὶ σημείων: sie hält zwischen den Peripatetikern und Timosthenes von Rhodos die Mitte und muss, wenn der ἀπαρκτίας nicht in der Überlieferung verloren gegangen ist, auf die Zeit Theophrasts oder dessen Schrift περὶ σημείων zurückgehen. Vgl. Raumer Rh. Mus. V 497ff. Kaibel Herm. XX 605ff. Die verlorenen Schriften περὶ σημείων, περὶ μετάλλων u. a. gehörten Theophrast, vgl. Zeller III 89f. An dessen Art erinnert auch die erhaltene περὶ χρωμάτων, die nicht von A. selbst herrühren kann, eher von Straton; vgl. Prantl A. über die Farben, München 1849 (mit Ausgabe). Beste Hs. E. Ausgabe auch in Schneiders Theophrast, Leipz. 1819 IV 864. Das Bruchstück περὶ ἀκουστῶν gehört Straton (s. d.): Brandis II b 1201.

Probleme erwähnt A. siebenmal (Βοnitz Index 103 b), offenbar Collectaneen, die nicht aufbewahrt wurden. Spätere Peripatetiker, die diese Lücke ausfüllen wollten, hielten sich namentlich an Theophrasts von Problemen strotzende Werke: so entstanden mehrere Sammlungen (frg. 209–245), zum Teil schon vor Ciceros Zeit; man zählte schliesslich 70 Bücher. Erhalten sind προβλήματος φυσικῶν λη κατ’ εἶδος συναγωγῆς, d. h. stofflich geordnet (in den Verzeichnissen λη κατὰ στοιχείου, [1047] d. h. mit 38 Zahlzeichen bezeichnet). Unechtheit erwiesen von Prantl Abh. Akad. Münch. VI 341ff. und Rose De ord. 189ff.; vgl. E. Richter De A. problematis, Diss. Bonn 1885, der mehrere selbständige Bearbeiter zu scheiden sucht. Poschenrieder Die naturwiss. Schriften des A. in ihrem Verhältnisse zu den Büchern der hippokratischen Sammlung, Progr. Bamberg 1887. Beste Hs. Par. 2036 saec. X. (mit περὶ ὕψους), vgl. Bussemaker Didotsche Aristotelesausg. IV Praef. Krit. Ausgabe fehlt bis auf Buch 19: Problèmes musicaux ed. Ruelle, Paris 1891 = Rev. d. ét. gr. 1891. Verloren sind aus den Werken Demokrits ausgezogene Probleme.

Beschreibende Naturwissenschaft

Beschreibende Naturwissenschaft. Eine Botanik hat A. zwar mehrfach in Aussicht gestellt und sogar als vorhanden berücksichtigt, aber das Material nicht selbst ausgearbeitet, da Alex. de sensu 183 Th. die Existenz eines solchen Werkes in Abrede stellt. Theophrast bearbeitete die Botanik, und früh wurde eine Zusammenstellung oder ein Auszug peripatetischer Lehren über Pflanzen veranstaltet, der als Werk des A. galt und von Kallimachos, Plinius und Athenaios benutzt wurde, vielleicht περὶ φυτῶν β der Verzeichnisse. Erhalten ist eine (daraus geflossene?) Compilation, die ein Alfred vor Mitte des 13. Jhdts. lateinisch übersetzt hat, aus dem Arabischen, wo sie wahrscheinlich als Werk eines Nikolaos (von Damaskos oder Laodikeia) galt; sie ist auch ins Griechische rückübersetzt worden und danach noch einmal ins Lateinische. Ausgabe der Übersetzung Alfreds in Nic. Dam. de plantis ed. Ε. Η. F. Meyer, Lpz. 1841. Litteratur: Iulii Caes. Scaligeri In libros duos qui inscribuntur de plantis Aristotele authore libri duo, Marpurgi 1598. Meyer Gesch. d. Bot. I 88ff. Jessen Rh. Mus. XIV 88ff. Rose De ord. 178; A. Pseudep. 261ff. Zeller III 98. Alt aber wohl unecht waren γεωργικά (vgl. Rose A. Pseudep. 268), zuerst erwähnt in Philodems Rhetorik (Rh. Mus. XLVIII 555).

Die Zoologie war im Altertume in einer grossen Sammlung im Umlaufe, als deren XV. Buch Apollonios Hist. Mir. 35 (vgl. auch 27) Hist. Anim. VII citiert. Dazu gehören:

1) Die Tierkunde, περὶ ζῴων ἱστορίαι, in den Hss. und im Pinax neun Bücher, und zwar die letzten VIII IX VII in den Hss. wie bei Antig. Mir. (v. Wilamowitz Antigonos 19) und Athen. IX 387 b; die Umstellung der Vulgata rührt von Theodoros Gazes her. Wimmer bezweifelt die Echtheit von VII (= de coitu?) und IX. Dittmeyer Bl. f. d. bayr. Gymnw. ΧΧΙII 16ff. 65ff. 145ff. und Joachim De Theophr. libris περί ζῴων Diss. Bonn. 1892 haben Buch IX als eine mangelhafte Compilation namentlich aus Theophrast nachgewiesen; Athenaios und Antigonos scheinen es als Einzelbuch Ἀ. περὶ ζῴων ἠθῶν καὶ βίων neben dem ganzen Werke zu kennen. Dessen Kern enthält physiologisch-anatomische Untersuchungen und gehört in der letzten Überarbeitung A.s letzten Jahren an (Rose De ord. 206ff. nach der Schlacht von Arbela); doch wird Buch V von Athenaios oft als πέμπτον und II in Schol. Ambr. Theoer. 2, 17 als δεύτερον περὶ ζῴων μορίων citiert. In einigen Hss. ist als X. Buch angehängt die im Kreise Stratons entstandene Monographie ὑπὲρ τοῦ μὴ γεννᾶν (weiblicher Samen, im Widerspruche zu [1048] Buch V), eine Rückübersetzung eines arabisch-lateinischen Textes. Hss. der Tierkunde jung, vom 14. Jhdt. an, nur Vat. 1339 angeblich 12.(?) Jhdt. Dazu Excerpte von Aristophanes Byz., in den Mirabilienbüchern, bei Plinius. Ausgaben von Schneider 1811, 4 Bde. Aubert und Wimmer, Lpz. 1868, 2 Bde. Litteratur: Rose De ord 216 ff. J. B. Meyer D. Arist. Tierkunde, Berl. 1855. Ζeller III 91. – 2) Verloren sieben Bücher ἀνατομαί und ein (später?) Auszug in einem Buche, nach Rose A. Pseudep. 276 mit dem vorigen Werk sich deckend, wahrscheinlicher aber eine Materialsammlung mit anatomischen Zeichnungen für den Schulgebrauch und daher schwer zu vervielfältigen; die Zeit Varros und Herons nahm kein Interesse mehr an der Arbeit, wenn sie damals überhaupt noch vorhanden war; vgl. Zeller III 93, 1. – 3) ζῴων μορίων vier Bücher. Das Werk ist vor den Parva naturalia geschrieben (abgeschlossen?), worin es citiert wird, aber nach Meteor. I 1 und Tierkunde II 17, Buch I wohl auch nach de anima. Dies Buch giebt eine allgemeine Einleitung in die Zoologie, die der Tierkunde fehlt, und war vielleicht eine Separatschrift. Beste Hs. E; der Schluss des IV. Buches von 691 b 28 an ist im Vat. 261 in abweichender Fassung erhalten. Beste Ausgabe von A. v. Frantzius, Lpz. 1853; Text von Langkavel, Lpz. 1868. Litteratur: Spengel Über die Reihfolge d. naturw. Schr. d. Ar., Abh. Akad. Münch. IV 159. J. B. Meyer A. Tierk. 128. Ζeller 96f. – 4) Περὶ ζῴων γενέσεως fünf Bücher, davon Buch V nur lose verbunden, eine Art Nachtrag über Teile und Zeugung der Tiere. Das Werk wird mehrfach von A. in Aussicht gestellt, nirgends als fertig citiert. Im Par. Ε nr. 4 und 5 von junger Hand. Beste Ausgabe von Aubert und Wimmer, Lpz. 1860. – 5) Περὶ ζῴων πορείας (καὶ κινήσεως), ein Buch, mit de part. an. durch Wechselcitate verbunden, also wohl vor Abschluss dieses Werkes geschrieben, nach Prantl De A. libr. ord. Münch. 1849, 35 zwischen IV 9 und 10 gehörig. Kritische Ausgabe fehlt. Unecht ist περὶ ζῴων κινήσεως, im Par. Ε erhalten, worin die ebenfalls unechte Schrift περὶ πνεύματος angeführt wird, beide (wie περὶ ζῳογονίας) vielleicht von Straton; vgl. Rose De ord. 163. 167. Ζeller 96f. Straton gehörte sicher ὑπὲρ τῶν μυθολογονμένων ζῴων an, Theophrast περὶ τῶν φωλευόντων (vgl. Joachim a. a. O.). – Ungewiss ist der Ursprung der Schrift ὑπὲρ τῶν συνθέτων ζῴων (Laert. 105. Hes. 95). Das von Alexander Myndios und Athenaios viel benutzte ζῳικόν (ἢ περὶ ἰχθύων) scheint ein Auszug aus den aristotelischen und theophrastischen Werken gewesen zu sein; vgl. Apollonios Hist. Mir. 27. Ganz jung war vermutlich de animalium captura.

Unecht und spät ist die Compilation περὶ θαυμασίων ἀκουσμάτων, aus zwei heterogenen Bestandteilen zusammengesetzt: 1) fehlerhafte Excerpte aus naturwissenschaftlichen Werken meist Theophrasts, vielleicht als Schrift eines Trophinios von Stobaios benutzt, und 2) dazwischen eingeschoben historische Excerpte zum grossen Teile aus Timaios, aber nach begründeter Ansicht durch Vermittlung des Poseidonios; das Ganze, gewöhnlich bald nach 260 v. Chr. gesetzt, gehört wahrscheinlich frühestens in die Zeit Hadrians. Dazu kommt 3) cap. 152–178 ein Nachtrag, der [1049] frühestens im 3. Jhdt. n. Chr. geschrieben sein kann, nach meiner Ansicht erst im 6. Jhdt. verfasst ist. Plutarch kannte andere Παράδοξα. Die Hss. sind jung und schlecht, leidlich S (Laur. 60, 19), daneben unvollständige Hss. einer zweiten Klasse; Citate bei Ps.-Sotion, Steph. Byz. und Constant. (Porphyrog.?) im Suppl. Aristotelicum I. Beste Ausgabe mit Erklärung von Beckmann, Gött. 1786; (dazu Westermann Παραδοξογράφοι, Braunschweig 1839. Litteratur: Rose De ord. 54; A. Pseudep. 279. Muellenhoff D. A.-K. I 426ff. Schrader Jahrb. f. Phil. XLVII 217ff., zuletzt Günther De ea q. inter Timaeum et Lycophronem intercedit ratione, Diss. Lpz. 1889. Geffcken Philol. Untersuch. ΧIII 1892. Joachim De Theophr. libris περὶ ζῴων, Bonn 1892, 13ff.

Der Anthropologie gehörte die verlorene, nur Hesych. 183 genannte Schrift περὶ ἀνθρώπου φύσεως an; Fragmente: Rose A. Pseud. 379ff. Unecht sind die φυσιογνωμονικά, jetzt ediert von Förster, Lpz. 1894, vgl. De translatione latina physiognomicorum q. f. Aristotelis, Akad. Progr. Kiel 1884 und Philol. Abh. für Hertz, Berl. 1888, 283ff. Dem Kreise Menons entstammten, soweit sie alt waren, die Bücher ἰατρικὰ περὶ ἰατρικῆς oder προβλήματα ἰατρικά, περὶ διαίτης, de pulsu u. s. w., sowie die grundlegende ἰατρικὴ συναγωγή, von der sich neuerdings eine spätere Bearbeitung gefunden hat (s. Menon und Oreibasios).

Erhalten sind die durchweg echten sog. Parva naturalia: 1) περὶ αἰσθήσεως καὶ αἰσθητῶν; 2) περὶ μνήμης καὶ ἀναμνήσεως; 3) περὶ ὕπνου καὶ ἐγρηγόρσεως (vor den kleinen zoologischen Schriften verfasst); 4) περὶ ἐνυπνίων; 5) περὶ τῆς καθ’ ὕπνον μαντικῆς; 6) περὶ μακροβιότητος καὶ βραχυβιότητος (= περὶ νεότητος καὶ γήρως?); 7) περὶ ζωῆς καὶ θανάτου; 8) περὶ ἀναπνοῆς (nr. 7 und daher auch die eng dazugehörige nr. 8 nach de part. an. geschrieben). Die letzten drei Abhandlungen (6–8) sind zur Ergänzung der zoologischen geschrieben, 1–5 vor ihnen als Ausführung der Psychologie, vgl. Brandis 1192. Kritische Ausgabe fehlt. Beste Hs. E; über arabische Übersetzung vgl. Steinschneider ZDMG XLV. Ausserdem gab es vielleicht noch Schriften περὶ τροφῆς, περὶ νόσου καὶ ὑγιείας, περὶ νεότητος καὶ γήρως. Zeller 95f. – Die Schrift περὶ πνεύματος ist nach Α. (um 300 ν. Chr.?) geschrieben, weil sie mit Praxagoras von Kos Venen und Arterien [1050] scheidet, und wird Straton oder dessen Schule angehören. Sie ist schlecht überliefert in jungen Hss. Eine kritische Ausgabe fehlt. Rose De ord. 167. Zeller 96. 937.

Die Psychologie, von dem animalischen Seelenleben zum νοῦς und seiner metaphysischen Bedeutung aufsteigend, ist in den drei Büchern περὶ ψυχῆς behandelt, die vor De gen. und De part. anim. sowie den kleineren biologischen Schriften abgeschlossen sind, während περὶ ζῴων πορείας inmitten der Ausarbeitung der Psychologie niedergeschrieben zu sein scheint. Die Spuren mehrfacher Bearbeitung oder die Vereinigung ungleichartiger Stücke kann man deutlich beobachten, für das erste Buch ist die mangelhafte Disposition nachgewiesen von Bonitz Herm. VII 416ff. Dahin wird man nicht rechnen können eine (oder mehrere) abweichende Fassung des II. Buches, die inhaltlich und oft auch formell der Vulgata gleich, bisweilen fast wie eine Paraphrase erscheint. Beste Hs. Par. E, für Buch III auch der junge Vat. 253 (L); daneben junge Gruppe der deteriores. Die zweite Fassung in Fragmenten des Cod. E, zum Teil auch in Vat. 1339, 14./15. Jhdt. (Rabe) und in einzelnen Spuren in den Codd. det. und bei den Commentatoren. Commentare von Simplikios (Berl. Comm. XI), Joh. Philoponos, Anonymos (Spengel Ind. lect., Münch. 1847/8. Strehlke De comm. anonymo in A. de an. libros conscr., Diss. Berl. 1876), Sophonias (Comm. XXIII 1); dazu Alex. Aphr. de anima und Qtuaest. (Suppl. Arist. II); Paraphrase von Themistios. Übersetzung (von Moerbecke?). Kritische Ausgaben von Torstrik, Berl. 1862. Trendelenburg² Berl. 1877. Knapp aber praktisch Biese, Lpz. 1884; ergänzend A. de anima l. Β ed. Rabe, Berl. 1891. Erklärende Ausgabe von Wallace, Cambr. 1882. Litteratur: Röper Philol. VII. Torstrik Jahrb. f. Philol. XCV. Vahlen S.-Ber. Akad. Wien LXXI 419ff. Neuhäuser A.s Lehre von d. sinnl. Erkenntnisvermögen, Lpz. 1878. Stapfer Krit. Stud. zu A.s Schr. v. d. Seele, Progr. Landshut 1890.

Ethik

Die Ethik des A. ist in drei Fassungen auf uns gekommen, die sich teilweise sogar im Wortlaute decken, die nikomachische in zehn Büchern, die eudemische in sieben, die grosse Ethik in zwei Büchern. Inhalt:

[1049–1050]

Nik. I II III 1–7 Eud. I II Meg. I 1–19 : Glück, Tugend, freier Wille.
" III 8–15. IV " III " Ι 20–33 : die praktischen Tugenden.
" V " IV " Ι 34. II Anf. : Gerechtigkeit.
" VI " V " Ι 35 : dianoëtische Tugenden.
" VII " VI " II 4–7 : Enthaltsamkeit, Lust.
" VIII IX " VII 1–12 " II 11–17 : Freundschaft.
" VII 13: φρόνησις " II 10 : ὀρθὸς λόγος.
" VII 14–15 " II 8–9 : Glück und Rechtschaffenheit.
" Χ: Lust und Glückseligkeit.

Die Reihenfolge hat Spengel Abh. Akad. Münch. 1841 und 1843 gegen Schleiermacher (Magna Moralia, Eud., Nik.) festgestellt. Die Namen rühren von den Herausgebern her, nicht den Adressaten; die jüngste Ethik giebt in grossen Umrissen das ganze Gebäude, daher μεγάλα ἠθικά oder μεγάλα Νικομάχεια. In ihr sind Spuren theoprasteischer Lehre (Heylbut Arch. f. Gesch. d. Philos. I 194ff.), sowie späteren Sprachgebrauches [1050] und stoischer Termini (Ramsauer zur Charakt. d. Magna Mor., Oldenburg 1858 u. a.) nachgewiesen, auch scheint sie Bestimmungen Eudems neu zu formulieren. Dieser berücksichtigt und bekämpft bisweilen Schulgenossen wie Aristoxenos (z. B. VII 14, vgl. Stob. Ecl. I 206), übernimmt aber anderes wörtlich. Die Herkunft der drei identischen Bücher ist strittig, vgl. Zeller III 102, 1; sie sind in den Hss. der Nik. Eth. überliefert, [1051] in denen der Eud. Eth. finden sich nur Verweise, doch citiert Aspasios Eud. VII 12. Ursprünglich bildeten Nik. Eth. VIII. IX eine Monographie περὶ φιλίας (zweite Bearbeitung von Theophrast, in Cic. Laelius benutzt), Buch X wohl die περὶ ἡδονῆς. Nik. Eth. Hss. zwei Klassen: 1) Κ Laur. 81, 11, 10. Jhdt. L Par. 1854, 12. Jhdt. Ρ Vat. 1342, 13. Jhdt. C Cantabr. 1879. vom J. 1279, aus P?, vgl. Jackson Journ. of Phil. VI 208ff. Susemihl Magn. Mor. Praef. VI 1. O Riccard., 14. Jhdt. Μ Marc. 203, 14./15. Jhdt. Η Marc. 214, 14. Jhdt., Übersetzung von Moerbecke. Wie Κ selbst sind die Vorlagen der übrigen Hss. meist durchemendiert, so dass sich kein Stemma aufstellen lässt und die Verwandtschaft der Hss. sich in den einzelnen Büchern verschiebt. Dazu Commentare von Aspasios (Berl. Comm. XIX 1), Michael, Eustratios und einem Anonymos (XX); Paraphrase des Heliodoros (Comm. XIX 2, in einem Exemplare der Titel gefälscht auf den Namen Andronikos). Ausgaben von Grant⁴, Lond. 1884. Ramsauer, Lpz. 1878. Susemihl, Lpz. 1880 und mit Ausnutzung der indirecten Zeugnisse Βywater, Oxf. 1890; ausserdem einzelne Bücher von Jackson, Hawkins u. a. Litteratur: Rassow Forschungen über d. nik. Eth., Weimar 1874. Susemihl mehrfach, vgl. Eth. Eud. Appendix. Steward Anecd. Ox. class. ser. I 1, Oxf. 1882 und Notes on the Nic. Ethics, Oxf. 1893, 2 Bde. Bywater Contributions .. of A. Nic. Eth., Oxf. 1892. Eud. Ethik schlecht überliefert in jungen Hss.: P, daneben M. Ausgaben Fritsche, Regensburg 1859. Susemihl, Lpz. 1884 (Praef. VII Litt. angeführt). Grosse Ethik: beste Hs. K, daneben zweite Klasse Ρ C M. Ausgabe: Susemihl, Lpz. 1883, in der Praefatio die Litteratur.

Unecht und unbedeutend ist die späte eklektische Compilation περὶ ἀρετῶν καὶ κακιῶν. auch bei Joh. Stobaeus überliefert und mit geringen Änderungen in Ps.-Andronikos περὶ παθῶν aufgenommen. Beste Hs. Mosquensis saec. X (Sonny Filologiczesskoje obogrjenije VII 1894); ihm ähnlich Laur. 7, 35, 14. Jhdt.; interpoliert scheinen die meisten Hss. und die Vorlage des Stobaeus (5. Jhdt.); dazu Arm. Übersetzung (Anecd. Oxon. class. ser. I 6) und Ps.-Andronikos. Ausgabe von Susemihl hinter der Eud. Ethik, Lpz. 1884, nach den griechischen Hss.

Politik

Politische Schriften (vgl. Usener Preuss. Jahrb. LIII. Dümmler Rh. Mus. XLII. Nissen Rh. Mus. XLVII) sind 1) die acht Bücher πολιτικά, abgeschlossen nach Philipps Tode, wahrscheinlich vor Poetik und Rhetorik. Inhalt: Hauswesen (I), bester Staat nebst historischer Kritik (II), Begriff des Staates, Königtum (III), die übrigen Verfassungen, Behörden (IV), Veränderungen im Staate (V), Nachträge zu IV (VI); Eudaimonia, bester Staat, Erziehung (VII), Fortsetzung, besonders musikalische Erziehung (VIII). Die überlieferte Buchfolge wird bestritten von Oresme 1489 u. a., namentlich Barthélemy St. Hilaire Politique d’A. I, der stellt VI, V, während andere VII, VIII vor IV–VI rücken; im übrigen gilt das Werk für unvollständig; vgl. Ζeller III 673f., zuletzt v. Wilamowitz A. und Athen I, dagegen Susemihl Jahrb. f. Philol. 1894 und Ausgabe Praefatio. Zahlfleisch Ztschr. f. österr. Gymn. 1894. Beste Hs. V Fragment Vat. 1298, 10. Jhdt. [1052] vgl. Heylbut Rh. Mus. XLII 102. Einem mit Varianten versehenen gemellus scheint die Masse der ganz jungen Hss., sowie die daneben selbständigeren Hss. Ρ Par. 2023, 14. Jhdt. und Γ (Vorlage des Moerbecke) zu entstammen. Herausgegeben mehrfach von Susemihl, grosse Ausgabe Lpz. 1872, Handausgabe zuletzt Lpz. 1894; Buch I und II mit Einleitung von Newmann, Oxf. 1887, 2 Bde.

2) 158 Bücher πολιτεῖαι (frg. 381–603. 611), fälschlich (?) auch zu 250–255 Büchern gezählt, ist wohl früh angelegt, aber erst in den letzten Jahren des A. ausgearbeitet, die neuerdings zum grössten Teile wiedergefundene Verfassungsgechichte und Verfassung Athens wurde fertig 329/2, wahrscheinlich 328/6, und wohl damals ediert. Die ganze Sammlung wurde viel im Altertum benützt und citiert, von einem Herakleides ausgezogen (frg. 611). Der neue Papyrosfund hat bereits eine unübersehbare Flut modernster Litteratur hervorgerufen (vgl. P. Meyer Des A. Politik und d. Ἀθ. πολ., Bonn 1891 und v. Schöffer Burs. Jahresber. LXXV), darunter schnelle Zweifel an der Echtheit und Einheitlichkeit, dadurch gerechtfertigte Apologien und entsagungsvolle Untersuchungen. Ausgaben der Ἀθ. πολ. von Kenyon, Lond. 1891, separat Facsimile des Papyrus. Kaibel und v. Wilamowitz Berl. 1892, jetzt 2. Aufl. Blass, Lpz. 1892. Sandys, Lond. 1893 u. a. Dublette ein Papyrosfragment dessen Ursprung Βergk Rh. Mus. XXXVI 87ff. erkannte, von ihm u. a. scharfsinnig behandelt. Zur Erklärung besonders v. Wilamowitz A. und Athen, Berl. 1893, 2 Bde. Kaibel Stil und Text der Ἀθ. πολ., Berl. 1893. Im einzelnen Br. Keil Die solon. Verf., Berl. 1892.

3) Νόμιμα βαρβαρικά, frg. 604–610: dazu vielleicht Flinders-Petrie Papyri, Dubl. 1891 I Taf. IX, vgl. Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1891. 837; damit wohl identisch νομ〈ίμ〉ων δ.

4) Δικαιώματα περὶ τόπων oder δικαιώματα τῶν πόλεων, frg. 612–614. erwähnt von Philodem Rhet. (Rh. Mus. XLVIII 555), nach der Vita Marciana für König Philipp bestimmt, vgl. Philod. a. a. O. 557. Nissen Rh. Mus. XLVII 168.

5) Von Theophrast waren die ὑπομνήματα ἱστορικά (frg. 631–636). Dazu kommen der Dialog περὶ πολιτικοῦ ferner Ἀλέξανδρος ἢ ὑπὲρ ἀποίκων (frg. 648), Auszüge aus Platons Staat und unechte Schriften.

Von der Oekonomik wird Buch I, worin Xenophon stark benutzt ist, als theophrasteisch citiert von Philodem de virtutibus IX. Buch II, das hauptsächlich Anekdoten enthält, scheint später dazu gekommen zu sein. Hss. Ρ Vat. 1342. 13. Jhdt., J Par. 161. 14. Jhdt. Ausserdem ist eine andere Schrift (νόμοι ἀνδρὸς καὶ γαμετῆς (?) als liber secundus yconomicorum Aristotelis lateinisch erhalten (frg. 184). Die drei Schriften sind ediert von Susemihl, Lpz. 1887; in der Praefatio die Litteratur. Gute ältere Ausgabe des griechischen Textes von Göttling, Jena 1830.

Das in dem Dialoge περὶ ποιητῶν bethätigte Interesse des A. führte zu Untersuchungen über Homer: ἀπορήματα (προβλήματα, ζητήματα) Ὁμηρικά in ς, ζ oder ι Büchern (frg. 142–179), besonders von Porphyrios benutzt. Vgl. Römer Abh. Akad. München XVII. Damit hängt [1053] die angeblich von A. für Alexander besorgte Homerausgabe, ἡ ἐκ τοῦ νάρθηκος, zusammen. Zweifelhaft sind ἀιτίαι ποιητικαί, ἀπορήματα θεῖα, ποιητικά, Ἡσιόδου u. s. w. Die Grundlagen der Geschichte der attischen Dramas legte A. mittelst archivalischer Studien in den διδασκαλίαι (frg. 618–630), die von den alexandrinischen Grammatikern benutzt und ergänzt wurden; vielleicht nur ein anderer Titel ist νικῶν Διονυσιακῶν (ἀστικῶν καὶ ληναίων) α. In diesen Kreis gehören auch die dem Α. zugeschriebenen Werke περὶ τραγῳδιῶν, κωμικῶν, sowie vielleicht περὶ μουσικῆς. Eine genaue Parallele zu den dionysischen Aufführungen bieten die Πυθιονῖκαι und Ὀλυμπιονῖκαι. Vgl. Zeller III 108f. und die dort aufgeführte Litteratur.

Poetik

Verwertet sind diese Vorarbeiten ausser in dem herausgegebenen aber verlorenen Dialoge περὶ ποιητῶν in der am Schlusse unvollständigen Poetik, die zwischen Politik und Rhetorik niedergeschrieben ist, nach den Verweisungen auf diese Untersuchungen (ἐν τοῖς περὶ ποιητικῆς oder περὶ ποιήσεως). Die alten Erklärer wie Simplikios, die den ständigen Gebrauch des Pluralis in diesen Citaten kannten, sagen ihrem Sprachgebrauche gemäss ἐν τῷ περὶ ποιητικῆς (sc. βίβλῳ) abgesehen von Ammon. Schol. 99 a 12 und Boeth. de interpr. 290 (in libris falsch übersetzt); nur die Verzeichnisse führen zwei Bücher auf, vielleicht ohne Gewähr. Behandelt sind ausführlich Tragoedie und kürzer Epos, die Komoedie nur nebenbei (der Ursprung und, soweit sie sich mit denen der Tragoedie decken, die Bestandteile). Es fehlt am Schlusse eine 6 Anf. verschobene Ergänzung über die Besonderheiten der Komoedie, namentlich eine Rhet. I 11 und III 18 vorausgesetzte Untersuchung über das Lächerliche, deren Überreste Cramer Anecd. Par. I 403 und Bernays Rh. Mus. VIII 561 in dem bedenklichen 11. Tractate de comoedia (vgl. 6 und 8!), wie man annimmt, aufgespürt haben. Sicher lässt sich weder bei den griechischen Grammatikern noch bei Varro mehr eine Spur einer besonderen Behandlung der Komoedie, z. Β. ihrer Definition, nachweisen; und für die Pol. VIII 7 versprochene ausführliche Erläuterung der Katharsis ist nicht einmal mehr der Ort des Ausfalles nachzuweisen, sie scheint also nur in den Vorträgen gegeben worden zu sein. Andrerseits sind cap. 12 Schl., 20 und 21 Schl. wahrscheinlich erst unter dem Einflusse der jüngeren (stoischen?) Grammatik im 3. Jhdt. zugefügt. Die Stellung von cap. 15 ist zweifelhaft. Hs. Par. 1741, 10.–11. Jhdt. (Facsimile ed. Omont Par. 1891). Arab. Übersetzung: Analecta orient. ed. Margoliouth, Lond. 1887 (vgl. Diels DLZ 1888, 158; Abh. Akad Berl. 1888, 49ff.). Unergiebig für den Text ist die Bearbeitung des Averroes (ed. Heidenhain Jahrb. f. Philol. Suppl. XV). Krit. Ausg. von Vahlen³ Leipz. 1885; daneben Ausg. von Susemihl² Lpz. 1874 wegen der Litteraturangaben nützlich; Handausgabe von Christ, Leipzig 1878. Grundlegend Vahlen Symb. phil. Bonn (Lpz. 1864) 155ff. und Beiträge zu A.s Poetik, S.-Ber. Akad. Wien L. LII. LVI 1865 und 1867.

Rhetorik

Die rhetorischen Schriften, abgesehen von dem Dialoge Grylos. 1) Historische Materialsammlung: συναγωγὴ τεχνῶν, viel benutzt; die Fragmente gesammelt und erläutert von Spengel, [1054] Stuttg. 1828, die namentlich citierten Fragmente bei Rose 136–141.

2) Rhetorik des Theodektes (von Phaselis), vor der Schulgründung des A. herausgegeben; A. citiert τὰ Θεοδέκτεια wie ein eigenes Werk. Durch Herausgabe des folgenden Werkes wurde sie wohl antiquiert; erhalten einzelne Fragmente (125–141).

3) Erhalten drei populär gehaltene Bücher περὶ ῥητορικῆς (τέχνη ῥητορική), nach Politik und Poetik abgeschlossen, obwohl auf die späteren Redner, wie Demosthenes, wenig Rücksicht genommen ist. Umstellungen (II 18–26. I 27) von Spengel und Vahlen befürwortet; der Schluss von Buch II wohl unecht. Die Echtheit von Buch III über λέξις und τάξις angefochten von Sauppe Nachr. Gött. Ges. 1863. Rose A. Pseud. 137 u. a. (Zeller 78, 1), verteidigt von Spengel (s. u.) und schlagend von Diels Abh. Akad. Berl. 1886 durch Nachweis der Fortführung seitens Theophrasts. Vgl. Schoell S.-Ber. Akad. München 1889 II 35ff.. Mit Buch III deckte sich vielleicht die Monographie περὶ λέξεως αβ, vgl. Rabe De Theophrasti libris περὶ λέξεως Diss. Bonn. 1890. Auch andere Titel von rhetorischen Specialschriften werden erwähnt. Beste Hs. Par. 1741 (10–11. Jhdt.); zweite Klasse: Tr(anslatio Moerbeckii), Ζ Vat. Pal. 23, 13. Jhdt. und junge Hss. Dazu Commentare (Berl. XXI 2) des Stephanus und eines Anonymos. Ausgaben von Spengel Lpz. 1867 und Cope-Sandys Lond. 1877, 3 Bde. Bester Text von Römer, Lpz. 1885, vgl. Bl. f. bayr. Gymn. XXII 491.

4) Unecht Rhetorik ad Alexandrum, vgl. Anaximenes Nr. 3, Bd. I S. 2088ff.

Anhang: νόμος συμποτικός (συσσιτικός) frg. 181, vgl. ο. S. 1019. Reden apokryph: λόγος δικανικός (Verteidigung wegen Asebie) frg. 645; Enkomien auf Platon (650) und Alexander (649) u. a. Vgl. Rose A. Pseud. 580ff. Briefe (Sammlung Artemons: 8 Bücher; des Andronikos: 20 Bücher); die Stücke, in denen die angebliche Geheimlehre eine Rolle spielte, waren spät abgefasst (s. Andronikos Nr. 25) und verdächtigen die Echtheit der ganzen Sammlung. Zeller 56, 2; frg. 651–670. Gedichte (frg. 671–675) bei Bergk PLG II⁴ 336ff., darunter berühmt und vielbesprochen ein grosses Bruchstück der Elegie auf Eudemos, vgl. zuletzt[1] v. Wilamowitz A. und Athen II 403ff. – Unecht und spät war der Peplos, ἱστορίαν σύμμικτον umfassend (frg. 637–644, dazu Usener Rh. Mus. XXV 605. Rose A. Pseud. 563 u. s.), dem A. oder Theophrast wohl gedankenlos zugeschrieben, bestehend aus Prosa, die stilistisch etwa einem mythologischen Handbuche gleicht, mit eingelegten Distichen (Grabschriften erhaltend), die etwa an die Varros in den Imagines erinnern; vgl. Schneidewin Philologus I 1ff. Hulleman Verh. Akad. Amsterd. 1858. Die Echtheit bezweifelte sogar Tzetzes, und die Verse sind allgemein aufgegeben; die prosaischen Stücke suchen zu retten Preger Abh. für Christ, Münch. 1891, 53ff. und Wendling De peplo A. quaest. sel., Diss. Strassburg 1891, der dem angeblich von Straton vermittelten Werke ausser der Sagengeschichte auch eine von (Varro und daraus) Plinius, Clemens Alex. u. a. benutzte Schrift, wahrscheinlich des Philostephanos, περὶ εὑρημάτων zuweist und die Epigramme um 250/150 eingeschoben sein lässt.

[Gercke. ]

Nachträge und Berichtigungen

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
Band S XI (1968) S. 159336
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Aristoteles, der Philosoph von Stagira, 384—322 [2]

Vorbemerkung: Dieser Art. ist parallel mit meinem Buch Aristoteles, Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg 1965, geschrieben worden; die beiden Darstellungen haben daher vieles mit einander gemein; vieles, was in diesem Art. kurz und ohne eingehende Motivierung dargelegt wird, ist in der Parallelfassung ausführlicher dargestellt und motiviert worden.

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Band R (1980) S. 45
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[18]) A. von Stageira, Philosoph im 4. Jh. v. Chr. (E) S XI.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert: zu-zuletzt
  2. Ersatz für den naturgemäß überholten Artikel in Bd. II S. 1012—1054 (1895) von A. Gercke. D. Red.